1905 / 84 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 07 Apr 1905 18:00:01 GMT) scan diff

notwendigen Desinfektoren auf Präsentation der Kreise und Gemelnden unentgeltlich ausbilden. ö

Meine Herren, als sehr zweckmäßig erwiesen hat sich das Hygienische Institut in Beuthen, auf das ich bei dieser Gelegenheit noch eingehen möchte; dasselbe ist bekanntlich aus Anlaß der Typhut⸗ epidemie des Jahres 1900 errichtet worden. Seit Beginn der gegen⸗ wärtigen Epidemie bis jetzt hat der sehr eifrige Leiter des Instituts bei nicht weniger als 760 Fällen von Genickstarre Nasenschleim, Rachenschleim oder Flüssigkeit aus dem Rückenmarkskanal von Erkrankten untersucht, teils im mikroskopischen Präparat, teils in Reinkultur, und dabei ausnahmslos den Weichselbaum⸗Jägerschen Diplokokkus nachgewiesen. Auch bei der Prüfung der Desinfektions⸗ und sonstigen Bekämpfungs— maßregeln hat sich der Regierungspräsident des sehr wertvollen Gut⸗ achtens des Leiters des Instituts bedienen können. Die Tätigkeit des letzteren vermag ich nur auf das waͤrmste anzuerkennen und festzu⸗ stellen, daß es ohne seine Mitwirkung nicht möglich gewesen wäre, die Bekämpfung in wirksamer Weise durchzuführen. Ich habe aller⸗ dings die Ueberzeugung gewonnen, daß das Institut mit seinem gegen⸗ wärtigen Personal für diese Aufgaben nicht ausreicht, und ich habe angeordnet, daß das Personal für die Dauer der Epidemie um einen Assistenten und einen Diener verstärkt wird. Auch werde ich dem Institut aus bereiten Fonds eine Summe überweisen, um wissen schaftliche Untersuchungen über den Erreger der Krankheit und dessen Uebertragung auf Versuchstiere auszuführen.

Von weiteren Maßregeln kommt in Betracht, ob die Impfung der Kinder im Bezirk Oppeln, welche sonst im Mai und Juni statt—⸗ zufinden pflegt, in diesem Jahre etwas hinausgeschoben werden soll. Ich glaube, daß dies geschehen muß, um die Zusammenhäufung von Kindern möglichst zu verhüten. Die Bedenken, daß in Galizien gerade jetzt die Pocken herrschen, müssen dabei zurücktreten.

Es ist ferner angeregt die Verteilung einer Druckschrift an die Bevölkerung, in der dieselbe über die Natur, den Verlauf und die Verhütung der Krankheit belehrt wird. Eine solche Schrift ist schon in einer größeren Anzahl von Exemplaren verteilt worden. Es soll darin namentlich betont werden, daß die Gesunden, welche mit Kranken zu tun haben, leicht die Krankheitskeime in sich aufnehmen, aber sich und andere vor Ansteckung schützen können, wenn sie sich die Hände sorgfältig reinigen und desinfizierendes Wasser für Mund und Nase benutzen.

Da der Regierungspräsident in Oppeln die Kreisärzte in Beuthen und Kattowitz für überlastet erklärt hat, so werde ich zu ihrer Unter stützung je einen Kreisassistenzarzt für die Dauer der Epidemie in diese beiden Kreise abordnen.

Was im Kampf gegen die Epidemie schwer zu vermissen ist, das ist der Mangel einer rechtlichen Unterlage für das medizinalpolizeiliche Vorgehen. Denn, meine Herren, in dem Regulativ vom 8. August 1835 ist die Genickstarre ebensowenig enthalten wie in dem Reichsseuchen⸗ gesetz. Der Ministerialerlaß vom 23. November 1888 entbehrt daher der rechtlichen Wirksamkeit ebenso wie die Polizeiverordnungen. Der die Bekämpfung der Genickstarre regelnde Entwurf eines Gesetzes, betr. die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten, der diesem Hause vorliegt, wird hoffentlich hierin Wandel schaffen. Sie mögen also, meine Herren, hieraus einen erneuten und wichtigen Beweis für die Notwendigkeit des Zustandekommens dieses unentbehrlichen Gesetzes erkennen. (Sehr richtig) Im übrigen habe ich aus den Berichten des Regierungspräsidenten und aus dem Vortrage meines Fach⸗ referenten, welchen ich vor einigen Tagen an Ort und Stelle übersandt habe, die Ueberjeugung entnommen, daß alles ge⸗ schehen ist, was nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnis möglich ist, um die Seuche mit Aussicht auf Erfolg zu bekämpfen. Es besteht, wie ich allerdings zugeben muß, eine ungewöhnlich schwere Epidemie in recht erheblichem Umfange; sie hat schon eine große Anzahl von Menschenleben gefordert, und wir müssen damit rechnen, daß sie noch eine weitere Anzahl von Opfern fordern wird. Aber ich glaube doch behaupten zu können, daß eine Veranlassung zu einer öffentlichen Beunruhigung nicht vorliegt. Jedenfalls hat die Bevölkerung allen Grund, den Behörden und Aerzten dankbar zu sein und ihnen volles Vertrauen entgegenzubringen. Es geschieht von behördlicher Seite, wie gesagt, alles, was geschehen kann. Wechsel⸗ seitiges Vertrauen zwischen den Behörden und der, wie ich anerkenne, ein fast durchweg korrektes Verhalten beobachtenden Be⸗ völkerung wird hoffentlich die leider noch vorhandene schwere Gefahr beseitigen.

Der Herr Interpellant ist dann noch auf die Maßnahmen ge— kommen, die von seiten der Militärmedizinalverwaltung im Bereiche des VI. Armeekorps ergriffen worden sind. Da wird es die Herren vielleicht interessieren, zu erfahren, daß nach einer Mitteilung des Herrn Generalstabsarztes der Armee im VI. Armeekorps bis jetzt, in der Zelt vom 15. Februar bis 24. März, 7 Fälle vorge⸗ kommen sind, und zwar je drei in Brieg und Ohlau, einer auf dem Truppenübungeplatz Lambsdorf. Von diesen sieben Fällen sind vier tödlich verlaufen. Die Maßregeln, die ergriffen worden sind, sind von dem Herrn Interpellanten bereits vorgetragen worden und werden selbstverständlich mit dem größten Nachdrucke durchgeführt. Hiernach schließe ich mit dem erneuten Ausdruck der Hoffnung, daß es den ergriffenen Maßregeln gelingen wird, die schwere Gefahr von dem Bezirk Oberschlesien sowle von den angrenzenden Kreisen Mittel⸗ schlesiens fern zu halten. Den Herrn Präsidenten würde ich bitten, zu gestatten, daß mein Kommissar noch einige Worte zur Erläuterung der wissenschaftlichen Seite der beregten Frage anschließt.

Den vorletzten Gegenstand der Tagesordnung bildet die Beratung des Antrags des Abg. Dr. Grafen Douglas, betreffend die Schaffung eines Volkswohlfahrtsamts, auf Grund des gedruckten Berichts der zu dessen Vorberatung eingesetzten 33. Kommission.

Die Kommission hat dem Antrage folgende Fassung gegeben: die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, möglichst bald ein Volkswohlfahrtsamt mit einem aus Laien bestehenden ständigen Beirat zu schaffen. Dem Amt soll besonders obliegen, die Volkswohlfahrtspflege im Inlande und Auslande zu verfolgen, Wahrnehmungen, welche das Eingreifen der Gesetzgebung begründen, der Regierung mitzuteilen, Gutachten zu erstatten und an der Vor⸗ bereitung von Gesetzentwürfen mitzuwirken, bei größeren Unglücks—⸗ fällen oder Notständen die freiwillige Hilfstätigkeit zu leiten. Bei der Berufung in den Beirat sollen die privaten Volkswohlfahrts—⸗ organisationen und die Häuser des Landtags berücksichtigt werden; der Beirat soll jährlich einmal , werden und die

einzelnen Wohlfahrtsfragen beraten.“ Berichterstatter Abg. Linz berichtet über die Kommissionsver⸗

handlungen und empfiehlt die Annahme des Kommissionsantrags.

*.

Abg. Schiffer . Die Entwicklung geht dahin, daß der Staat das Gebiet der Wohlfahrtspflege in seine Hand nimmt. Aber die privaten Wohlfahrtsbestrebungen werden und dürfen dadurch . ausgeschlossen werden. Für das Wohlfahrtsamt wird sich ein 3 tigkeits gebiet eröffnen.

Laienelementẽ. /

Abg. Freiherr von Wil 1isen (kons.): Für die sozialpolitische rr sind bis jetzt schon7 Milliarden ausgegeben worden, und man ollte meinen, dp nun alles Elend aus der Welt geschafft werden könne, zumal überall Arbeitsgelegenheit vorhanden ö Ein Teil meiner Freunde verspricht sich bon dem Antrage keine große Wirkung, aber es ist doch erfreulich, daß eine Stelle geschaffen wird, bei der alle Wohl fahrtsbestrebungen sich konzentrieren und die durch ihren Rat und ihre Erfahrung hilfreiche Hand bieten kann.

Abg. Schmedding (Zentr.) erklärt, daß auch seine Freunde diesen Bestrebungen von jeher sympathisch gegenübergestanden hatten und den Antrag der Kommission mit Freude begrüßten. Die private Tätigkeit sei wohl auf diesem Geblete recht rege, es bildeten . immer neue Wohlfahrtsvereine, aber ihre Tätigkeit könne do nicht immer das Richtige treffen, deshalb stimmten seine Freunde dem Antrage zu.

Abg. Goldschm idt (fr. Volkep. erklärt auch für seine Freunde, daß sie dem Kommissionsantrage zustimmten, aber den Wunsch aus— sprechen müßten, daß diese amtliche Zentralftelle die freie Liebestätig keit nicht ersticke, sondern vielmehr ihr Anregung und Förderung gebe. Es sei jetzt besonders auf die große Kindersterblichleit hinzuweisen, durch welche dem Volke viel Arbeitskräfte verloren gingen. Es stürben in Deutschland jährlich 470 000 Kinder unter einem Jahr. Die geringere Kindersterblichkeit in anderen Ländern sei darauf zurückzuführen, daß dort die Frauen ihre Kinder selbst nährten. In Berlin habe die Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahr von 1871 bis 1875 34,3 os betragen; diese Ziffer sei bis auf 194 im Jahre 1903 gesunken. Das sei den hygienischen Einrichtungen Berlins zu danken.

Abg. Dr. Faßbender gsZentr führt in einer Befürwortung des Kom missionsantrags aus, daß Organisation und Konzentration ein Zeichen der Zeit selen. Es komme aber weniger auf die in der Kom⸗ mission erörterte Frage an, ob der Schwerpunkt in dem ständigen Beirat oder in dem Amte selbst liegen solle, sondern vielmehr darauf, daß überhaupt etwas geschehe. Der Redner weist besonders i. die Tätigkeit des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit hin und spricht die Hoffnung aus, daß das Haus bald in die Lage kommen möge, die Mittel für das neue Amt zu bewilligen.

Abg. Münsterberg (fr. Vgg) spricht sich gleichfalls für den Kommissionsantrag aus, betont aber, daß es wesentlich darauf an⸗ kommen werde, daß die Tätigkeit des neuen Amtes nicht unter Bureau— kratismus und Aktenmappen erstickt werde.

Minister des Innern Dr. von Bethmann-Hollweg:

Meine Herren! Aus dem einmütigen Beschluß Ihrer Kommission und aus den Aeußerungen der Vertreter der verschiedenen Parteien, die wir soeben vernommen haben, geht die Ueberzeugung dieses hohen Hauses hervor, daß eine weitere Ausgestaltung der Volkswohlfahrta— pflege eine der wichtigsten und ernstesten Aufgaben der Gegenwart bildet. Die Königliche Staatsregierung ist für diese Bekundung auf— richtig dankbar und erblickt insoweit in den Motiven, welche dem Antrag zu Grunde liegen, eine höchst erfreuliche Uebereinstimmung der beiderseitigen Ansichten. Schließlich bildet Beförderung nationaler Volkskultur den Kern jeder staatlichen Tätigkeit oder sollte ihn bilden —, und ich persönlich halte von den Beamten und Behörden, welche mit meinem Ressort zusammenhängen, diejenigen für die Tüchtigsten, welche den Schwerpunkt ihrer Pflichten in der Förderung solcher nationalen Volkskultur erblicken. (Bravo)

Zweifelloß ist auf dem Gebiet der pflege ganz abgesehen von der Tätigkeit der Staats- und Reichsbehörden sehr vieles geschehen; aber ebenso unzweifelhaft ist mir, daß sehr viel zu tun übrig bleibt. Der Herr Abg. Goldschmidt hatte die Güte, ebenso inter essante wie bedauerliche Zahlen über die Sterblichkeit der Säuglinge mitzuteilen; andere Herren haben auf andere Gebiete verwiesen. Vielleicht ist mir eine Bemerkung allgemeiner Natur gestattet. Man hat in den letzten Jahrzehnten das Hauptgewicht gelegt auf die Für⸗ sorge für die in irgend einer Beziehung Schwachen, auf die Ver— besserung der Krankenhauspflege, auf die Gründung von Heilstätten, auf die Unterbringung von Siechen, von Irren, von Krüppeln usw. Nicht nur der Gang unserer sozialen Gesetzgebung, sondern auch die Erstarkung des charitativen Sinnes erklärt dies, rechtfertigt es für die Vergangenheit und fordert weitere Ausgestaltung für die Zukunft. Aber persönlich will mir erscheinen, daß wir bei einzelnen dieser Einrichtungen auf Formen gekommen sind, welche über das Kultur⸗ und Zivilisationsniveau der gesunden Bestandteile der Bevölkerung hinausgehen. (Sehr richtig! rechts.) Wir werden daraus nicht die Folge zu ziehen haben, daß wir in der Fürsorge für die Schwachen nachlassen, wohl aber die Folgerung, daß wir in der Fürsorge für die Gesunden Unterlassenes nachholen. (Bravo!) Schließlich steht und fällt die Zukunft unseres Vaterlandes doch mit der Frage, ob es gelingt, ein in der Hygiene nicht verweichlichtes und verzärteltes, sondern ein körperlich derbes, den Unbilden der Arbeit und des Lebens gewachsenes Geschlecht heran⸗ zuziehen (Bravo!), und ob es möglich ist, in diesem eorpus sanum eine sana mens zu schaffen, d. h. eine mens, in der das Bildungs bedürfnis nicht mit der letzten Klasse der Volksschule abschließt (sehr richtig! links, in der die Heranbildung nationaler Charakterstärke selbstverständliche Lebensaufgabe ist, und in welcher der für jeden notwendige und bei jedem berechtigte Drang nach Lebens- lust und Lebensfreude in der Veredelung der Vergnügungen keinen Abbruch, sondern einen Zuwachs erblickt. (Bravo! links.) Auf diesem Gebiet, in diesem Zweige der Wohlfahrtspflege, welche positive Werte schafft, indem sie vorhandene gesunde Werte weiter entwickelt, gibt es unendlich viel zu tun, und ich erwarte das beste von der freien Tätigkeit des Volkes. Der Durst nach der Befriedigung derartiger Bedürfnisse ist auch in den unteren Schichten des Volkes viel größer, als man gemeinhin glaubt. (Sehr richtig! links Auf Details kann und brauche ich nicht einzugehen.

Welche Lücken insonderheit in der Fürsorge für die schulentlassene Jugend und namentlich auf dem platten Lande noch auszufüllen sind, weiß jeder, der diesen Dingen einmal nachgegangen ist, und je unab⸗ hängiger man sich dabei von Vorurteilen politischer, religiöser oder sozialer Art hält, je ehrlicher man das Wort zur Geltung kommen läßt: nihil humani a me alienum esse puto dieses Wort hat eine sehr vielseitige und tiefgründige Bedeutung —, um so sicherer wird man Erfolge erzielen. (Sehr gut! links) Ich weiß und gebe es offen zu, es steckt darin ein gutes Stück

Optimismus; aber ich meine, dieser Optimismus hält sich ebenso fern von verschwommener Sentimentalität, wie von weltfremder Utopie. Er beruht ganz nüchtern auf dem Vertrauen in die Ent⸗ wicklungsfähigkeit menschlicher Art, und ohne dleses Vertrauen und

Volks wohlfahrts⸗

Wichtig ist die Mitwirkung des

ohne diesen Optimismus möchte ich nic n cee Stelle . .

(Sehr gut! und Bravo h . Ich habe diese Bemerkungen vorauzgeschickt, um keine Mißbe

ständnisse aufkommen zu lassen, wenn ich mir gegenüber dem .

liegenden Antrag einige kritische Bemerkungen gestatte, die auch dutch

die bisherigen Reden nicht vollkommen widerlegt sind.

In dem Volkswohlfahrtsamt soll eine Zentralbehörde geschaffen werden für ein Gebiet, das die Gesamtheit der Volkskultur umfaßt. Das Gebiet ist so weit, wie das menschliche Leben überhaupt ssehr richtig! links), und kennt keine Grenzen, weil die Kulturbedũrfnisse des Volkes Gott sei Dank fortgesetzt steigen. Mir scheint, liegt die Frage nahe, ob ein Gebiet von so weitem Umfange Zentralisation überhaupt verträgt (sehr richtig! links), ob dem Leiter des neuen Amtes derjenige Ueberblick auch nur mglich

sein wird, der eine andere als eine etwas bureaukratisch gefarbt;

Leitung ermöglicht (sehr richtig! links), ob das Amt die Masse des zuströmenden Materials praktisch verwertbar wird ausarbeiten könn ob seine Elaborate in unserer so vereins, kongreß⸗ und schreibfrõhlichn Zeit (sehr gut! und Heiterkeit) bei der Regierung und beim Publikun die ihnen gebührende Würdigung finden werden, mit einem Wort gesagt, ob nicht die neue Institution ganz wider Willen, aber nat, gedrungen denjenigen Stich in das Systematisierende, in zag Theoretische, in das Bureaukratische haben wird, dessen Beka mpfun doch sein vornehmstes Ziel ist. (Sehr richtig! links.)

Man könnte weiter fragen: wird eine Zentralisation auf diesem Gebiete möglich sein ohne Reibungen mit all den Organen, mit al den Körperschaften, mit den Behörden des Staats, des Reichs, mit den Kommunalverbänden von der Provinz bis zur Einzel gemeinde

herab uswe, welche sich gegenwärtig mit Volkswohlfahrt beschäftigen⸗!

Und außer den Organen, die ich eben genannt habe, gibt es n noch viele andere. Denken Sie, daß die Kammern für Handel, fin Handwerk, für Landwirtschaft doch auch Volkswohlfahrtspflege inner halb ihrer Berufe betreiben; denken Sie an die bestehenden großen Zentralorganisationen, an den Zentralverein für Arbeiterwohlfahrtz., einrichtungen, an die großen Organisationen des Roten Kreuzes, der Vaterländischen Frauenvereine wer will fie alle aufzählen! Ich weiß, das Volkswohlfahrtsamt will nicht selbst praktisch Wohlfahrtz— einrichtungen treffen, und insoweit kann es sich mit der entsprechenden Tätigkeit der genannten Organe nicht im Raume stoßen. Es will sammeln, es will anregen, es will beraten. Aber, meine Herren, sehr viele von den von mir genannten Organisationen tun doch das gleiche insonderheit der Zentralverein für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen und die Zentralorganisationen für spezielle Zweige der Wohlfahrtspflege wie der Zentralverein vom Roten Kreuz, der Zentralverein der Vater, ländischen Frauenvereine und andere. Und von den Lokal vereinen wird das neue Amt zum mindesten sehr ausgiebige Berichterstattungen, umständliche statistische Zusammenstellungen u. dergl. erfordern müssen wenn anders es seiner Aufgabe gerecht werden will, in vollem Um— fange die Entwickelung der Wohlfahrtspflege im Inlande und Aut, lande zu verfolgen und darüber der Königlichen Staatsregierung fort laufend Bericht zu erstatten.

Ich fürchte, meine Herren vielleicht ist meine Besorgnis gan unbegründet ich fürchte, daß es ohne Reibungen doch nicht so gan abgehen wird. (Sehr richtig! links) Jedenfalls wird sich die Kön liche Staatsregierung der Prüfung der Frage nicht entziehen dünn inwieweit nicht etwa auf diese oder jene Art bestehende Organisatiom gedrückt, in ihrer Liebe zur Arbeit durch Vermehrung des Schreh— werks gelähmt werden können. (Wiederholte Zustimmung links.) Dau Hauptverkehr wird das Volkswohlfahrtsamt ja mit der Königlichen Staatgregierung haben, und dieser Verkehr wird unzweifel haft immer fried lich und freundlich sein; denn das neue Amt ist ja als eine Organisation gedacht, welche dauernd in den Organismus des preußischen Staatz eingefügt ist ich glaube, so lauten die Worte aus dem Kom— missionshericht. Eine Behörde wie die hier gedachte wird aber un⸗ zweifelhaft, je ernster sie ihre Aufgabe faßt, je schärfer sie vorhandenen Mißständen nachspürt, um so ergiebiger in ihren Forderungen sein, und dies insonderheit dann, wenn sie für die Deckung des entstehenden Kostenaufwandes nicht selber zu sorgen braucht. (Sehr richtig! link und Heiterkeit; Und ebenso wie zum Kriegführen außer der Tapfer⸗ keit vornehmlich Geld gehört, so auch zur Wohlfahrtspflege außer dem warmen Herzen ein sehr voller Beutel. (Sehr richtig! links.)

Meine Herren, interessant und eigenartig erscheint mir die Stellung, welche dem Beirat zugewiesen werden soll. Es könnte vielleicht den Anschein erwecken, als ob ich weiß nicht, wie ich es nennen soll: eine Art Nebenparlament geplant wäre, befreit von denjenigen kleinen Auswüchsen, die der offizielle Parlamentarismus ju nicht ganz von sich hat fern halten können. (Sehr gut! und Heiterkeit) Auch hier wird man ernstlich prüfen müssen, ob eine Vermehrung der Behörden nicht den schon jetzt einigermaßen komplizierten Mechanismu unserer bestehenden Behördenorganisation schädlich belasten wird (Sehr richtig!)

Aber, meine Herren, all das sind Andeutungen, welche der Gegenstand nicht erschöpfen und nicht erschöpfen sollen; es sind Ge danken des ersten Eindrucks, die einer genauen Durcharbeit bedürfen Jedenfalls zeigen sie, welche Fülle von Anregungen auf diesem Gebe die Arbeiten Ihrer Kommission liefern. Wenn die Durcharbeitun erfolgt sein wird und sie wird in ernster und gewissenhafter Weh durch die Königliche Staatsregierung erfolgen, wenn der Antrag Ihe Kommission von diesem hohen Hause zum Beschluß erhoben sein wird= dann wird man sehen, wohin der Weg führt. Heute kann die Könighh Staatsregierung selbstverständlich eine bestimmte Erklärung nicht abgeber Aber wohin auch der Weg führen mag, ob zu diesem oder jenen Ende, ich hoffe, daß Sie auch aus meinen Ausführungen das Cine entnommen haben, daß die Weiterausbildung nationaler Wohlfart pflege von uns allen als eine der ernstesten Lebensaufgabe des preuß schen und des deutschen Volkes aufzufassen ist, daß sie zu lösen sst nur in der Befreiung von allen bureaukratischen Fesseln, nur freler Teilnahme aller Volkskreise, und daß die Königliche Staatt⸗ regierung fest entschlossen ist, im Verein mit Ihnen getreulich an der Lösung dieser Aufgabe weiter zu arbeiten. (lllseitiges lebbat Bravo.)

(Schluß in der Zweiten Bellage)

Mn S4.

3weite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger

Berlin, Freitag, den 7. April

18905.

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(Schluß aus der Ersten Beilage.)

. ou glas (frelkons.) führt aus: Die Kommission hat

a , 6. ke öl des zu bearheitenden Materials elne iat fh Wirkfamkeit der zu schaffenden Landeskommission illusorisch pr he nicht anzuschließen vermocht. Es dürfte seinerzeit zum Beispiel malhrägen fein, ob man nicht dem Vorbilde des neu zu errichtenden nde e wer eamtz darin folgen sollte, daß man dem Wohlfahrts⸗ e. „en behördlichen Charakter auch dadurch, beilegte, daß man n. in, Aufficht über die freiwilligen Wohlfghrtsanstalten über= trüge, denen bon den Regierungen oft schon aus Mangel an Fachleuten il immer die wünschenswerte fille ee zugewandt werden kann. ö wie in der ganzen Organisation, so wäre auch besonders hier jede bi an fret ff Einschränkung zu vermeiden, da eine solche keiht lähmend wirken würde. Wir wollen die Kräfte einer solchen hebe in den Dienst der schon vorhandenen freien Kraft unseres Volkes stellen, damit im Zusammenwirken beider das hohe Ziel ge⸗ fordert wird: die Wohlfahrt unseres Volkes. Zum Schluß gedenkt der Redner noch dankend der bürgerlichen Presse, die sich ausnahmslos in ben Yienst dieser so bedeutungsvollen Aufgabe gestellt habe. Nur die *. clbemokratie habe sich ablehnend verhalien. Ein Bau von ungeahnter 5 ornende die zu schaffende Organisation werden, und so werde d koßennanttäts gedanke in seinem welterobernden Siegeslaufe trotz ker ersetzenden Bestrebungen und Hemmungen immer weitere Kreise . und in solcher Liebessaat eine Welt voll Haß und Lüge über—⸗

winden. ö ö kons.) bemerkt anläßlich der Ausführungen des Abg. ga h n 3 6. Milch der Milchzentrale besser sei als die der

Detailgeschäfte in Berlin. eln, 8 1 d f ch ö dt (fr. Volley): Ich kann das nicht anerkennen. Zuzugeben ist, daß die Abnahme der Säuglingssterblichkeit nicht allein auf

die Kontrolle der Kuhställe zurückzuführen ist; jedenfalls hat diese Kontrolle aber erheblich dazu beigetragen. Die Freunde des Herrn Runtze verteuern dem Volke nur die Nahrungemittel.

Die Milch zentrale ist mit dieser Absicht ins Leben gerufen worgen, die Milch zu verteuern. (Zuruf rechts: Zu verbessern) Dann kennen Sie nicht das erste Zirkular der Zentrale, welches nur von der Verteuerun sprach. Als der Redner don den polizeilichen Untersuchungen zer Mil n Berlin sprechen will, ersucht ihn der Vijepräsident Dr. Porsch

darauf nicht einzugehen. Abg. Goldschm idt schließt: Ja, ich bin

och angegriffen worden und habe von der Zentrale selbst nicht ge⸗ a 81 ich will doch schließen.

Damit schließt die Diskussion.

Der Kommissionsantrag wird angenommen.

Es folgt der Bericht der Gemeindekommission über den Antrag der Abgg. von Bodelschwingh und von Pappen⸗ heim, betreffend Fürsorge für arbeitsuchende mittel— lose Wanderer. Die Kommission ersucht in ihrem Antrage die Regierung um Vorlegung eines Gesetzentwurfs ur Regelung der Fürsorge für mittellose arbeitswillige

anderer nach folgenden Grundgedanken: 1) Die Pro⸗ vinzen errichten nach Bedürfnis Wanderarbeitsstätten, in denen Arbeit vermittelt oder vorübergehend Verpflegung gegen Arbeitsleistung gewährt wird. 2) Die Regierung beleiligt sich in angemessener Weise an den Kosten. 3) Zur Errichtung der Stationen dürfen die Kreise verpflichtet werden, 4) der Proyvinzialausschuß, eventuell, wenn der Staat den Kosten beiträgt, die Regierung bestimmt die r ng es Stationsnetzes, 5 zwei Drittel der Kosten erstattet die Provinz den Kreisen, das dritte Drittel trägt der Kreis eventuell unter Heranziehung von Nachbarkreisen, 6) die Stationen sind möglichst in größeren Orten zu errichten, 7) die Beförderung der Wanderer soll auf den Staatseisenbahnen zu ermäßigten Tarifen erfolgen, 8) innerhalb der Provinz ist eine Zentral⸗ arbeitsvermittelungsstelle zu errichten.

Von den Abgg. Arndt-⸗Gartschin, Brü tt (fr. kons.) u. Gen.

liegt der Antrag vor, in der Nr. 2 den Staat mit zwei Dritteln der Kosten zu beteiligen. Abg. von Bodelschwingh (b. k. Fr.) führt aus, . es den einzelnen Provinzen ganz n,, ,. sei, die bezüglichen Maßnahmen zu treffen. Die Zuchtlosigkeit sei sebr schlimm, es liege eine große Verantwortung auf dem Landtage. Der Arbeitsnachweis sei eine große, wichtige Angelegenheit. Der Verkehrsminister hätte das Recht, den furchtbaren Schnapggenuß zu bekämpfen. Lassen Sie mich, so schließt der Redner, nicht wieder umsonst nach Hause gehen, ich habe ja die Sache so leicht wie möglich gemacht.

Minister des Innern Dr. von Bethmann-Hollweg:

Die Königliche Staatsregierung ist nicht in der Lage, zu dem vorliegenden Antrag Stellung zu nehmen, da ein Beschluß des Hauses noch nicht vorliegt. Was ich sage, sage ich für mein Ressort und für mich persönlich. Ich erkenne völlig an, daß die Regelung des Wander- arbeitswesens in vielen Teilen der Monarchie eine sehr unbefriedigende ist, einesteils für die Bevölkerung, für die namentlich in den großen Zentren und in den abgelegenen Teilen des platten Landes das Wanderwesen eine unmittelbare Gefahr werden kann, dann aber auch für die wandernde Bevölkerung selbst.

Mit dem Einwurf, daß auf dem platten Lande stellenweise großer Arbeitermangel herrsche, ist meiner Ansicht nach die Sache nicht ab— getan. Zweifellog wandert sehr viel Schuld und Leichtsinn in zerlumpten Kleidern auf der Landstraße. Aber ob diese Anzahl relativ sehr viel größer ist, wie die Anzahl derer, die mit elegantem Anzug auf den Boulevards herumwandern? Wir sind allzumal Sünder! (Bravo! links. Heiterkeit) Ueberdies muß man auf den verschiedenen Grad von Erziehung und Bildung billige Rücksicht nehmen.

Der vorliegende Antrag kommt, und wie ich glaube zu seinem Glück, nicht auf das frühere System zurück, das ganze Land mit elnem engmaschigen Netz von Verpflegungsstationen zu überziehen. Das verminderte wohl den Hausbettel, aber die Sache kostete zu viel Geld, und scharfe Kritiker hatten nicht vielleicht ganz Unrecht mit der Behauptung, daß dieses System eine Organisation der Vagabondage in sich schlösse. (Sebr richtig h

Meines Dafürhaltens muß man sich folgendes als Ziel vorsetzen. Es kommt darauf an, die auf den Landstraßen wandernde Bevölkerung zu zergliedern. Die Arbeitsunfähigen und es gibt sehr viele von diesen Elenden auf der Landstraße sind den Siechenanstalten und ähnlichen Häusern zuzuführen, den Arbeitswilligen, aber Arbeitslosen soll man Arbeit zu vermitteln suchen, die Arbeitgunwilligen mit Zwang zur Arbel. anhalten. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Würde dieses Ziel, das vielleicht zu ideal gedacht ist, erreicht, dann würden wir damit die Landstraßen von den Wanderern säubern. Da

es aber dauernd kaum zu verwirklichen ist, muß die Organisation in der Beziehung ist mir der Antrag der Kommission sehr sympathisch —, so beschaffen sein, daß sie bei der Dirigierung der wandernden Arbeiter⸗ bevölkerung möglichst wenig die Landstraßen und vor allen Dingen die Eisenbahn benutzt. Der Kampf richtet sich also gegen das arbeitslose Wandern und gegen vagierendes Arbeiten mit dem Unterziele seßhafte Arbeit zu befördern. So wenigstens stelle ich mir das Ziel vor, das erreicht werden muß. Vielleicht führt dazu ein System von Arbeiter⸗ kolonien mit Arbeitsnachweis verbunden und, wie es auch Ihr Antrag vorsieht, eine möglichst geringe Anzahl von Etappenstationen zu diesen Arbeiterkolonien. Aber eines schickt sich nicht für alle, und ich glaube nicht, daß die Verhältnisse in allen Teilen der Monarchie so gleich mäßig liegen, daß man die Sache durch ein einheitliches systematisches Gesetz überhaupt regeln könnte.

Gegen die gesetzliche Regelung spricht noch ein anderer Grund. Jede gesetzliche Maßnahme setzt die Möglichkeit striktester Durchführung bei allen Eventualitäten voraus. Dazu gehört hier ein gewisser Legitimations⸗ und Arbeitszwang. Ich denke bei dem Arbeitszwang das will ich nebenbei bemerken nicht an eine neue Auflage der Korrektionshäuser. Die Arbeiterasyle sollen keine Strafanstalten sein wir strafen schon sonst viel zu viel —, aber es muß die Möglich⸗ keit bestehen, einen mittellosen Menschen in dem Arbeiterasyl zurück⸗ zuhalten, bis man ihm Arbeit vermitteln kann. Daß es möglich wäre, einen Gesetzentwurf, ausgestattet mit den Requisiten eines Legitimation und Arbeitszwanges, ohne weiteres einzubringen, glaube ich nicht. Deshalb muß die ganze Organisation der freien Tätigkeit der Kommunalverbände überlassen bleiben. Es handelt sich um eine Angelegenheit, welche ersprießlich nur da gelöst werden kann, wo die freie Arbeit der Person einsetzt. Ich glaube, ich sage durchaus Bekanntes, wenn ich behaupte, daß die guten Erfolge, welche der Provinz Westfalen nachgerühmt werden, in erster Linie auf die Persönlichkeit des verehrten Abg. von Bodel⸗ schwingh zurückzuführen sind. (Abg. von Bodelschwingh: O nein! Heiterkeit) Ich glaube doch. Nun will ja der Antrag Ihrer Kommission auch keine allgemeine gesetzliche Regelung; er will aber für das Vorgehen der Provinzialverbände in einzelnen Beziehungen eine gesetzliche Basis schaffen. Ich bitte Sie mir zu gestatten, daß ich in dieser Beziehung einige Bemerkungen an die einzelnen Vor⸗ schläge Ihrer Kommission knüpfe.

In Nr. 1 soll der 24 Majorität der Provinziallandtage die Befugnis erteilt werden, Arbeiterkolonien ich will nicht von Ver— pflegungsstationen sprechen oder Stationen will ich einfach sagen (Abg. von Bodelschwingh: Wanderarbeitsstätten ), oder Wander⸗ arbeitsstätten einzurichten. Nun, meine Herren, diese Befugnis haben die Provinzen schon heute und, wie das Beispiel von Westfalen, neuerdings auch von Brandenburg, zeigt, machen die Provinzen von dieser Befugnis Gebrauch. Ja, sie können es gegenwärtig viel leichter als in Zukunft nach Ihrem Kommissionsantrage, weil gegenwärtig keine Zweidrittelmajorität erforderlich ist, die Sie für die Zukunft vorsehen.

Ich meine, die Nr. 1 bekommt eine bestimmte Bedeutung nur in der Verbindung mit Nr. 3, welche vorsieht, daß durch einen Beschluß des Provinziallandtags die Kreise gezwungen werden können, Stationen hier ist von Stationen die Rede Stationen ein— zurichten, zu unterhalten und zu verwalten. In finanzieller Beziehung kann diese Vorschrift eine finanzielle Tragweite haben, aber sie braucht es nicht. Erinnern Sie sich doch, meine Herren, daß die Provinzial⸗ abgaben in der Form von Kreisabgaben erhoben werden, und daß man auch bei dieser Materie die Anwendung der bekannten Be⸗ stimmung über Vorausbelastung einzelner Kreise für zulässig erklärt hat. Also schon gegenwärtig, wenn eine Provinz Wander⸗ arbeitsstätten einrichtet, bringt sie die Kosten durch Beiträge der Kreise auf. Ja, sie kann sogar, wenn sie will, einzelne Kreise präzipual belasten. Markant wird die Bestimmung der Nr. 3 nur dann, wenn sich ein Kreis weigern sollte, sich an dem ganzen System zu beteiligen, wenn er von der Provinz gejwungen werden soll. Nun, meine Herren, bitte ich Sie, zu erwägen: was soll aus einer gezwungenen Mitarbeit eines Kreises in dieser Frage werden? (Sehr richtig) Ich bin sicher, das Stationswesen, das Koloniewesen marschiert in einem gezwungenen Kreise absolut nicht.

Ich bin überhaupt der Ansicht, daß die Kosten dieses Wander— arbeitsstättenwesens Sache der Provinzen und nicht der Kreise sind. Glückt die Organisation, dann kommt sie der ganzen Provinz zu gute, und Sie können nicht abmessen, inwieweit die Station an dem Orte N. nun gerade dem einen Kreise zugute kommt oder dem Nachbar kreise. Die Kreise müssen ja, wie ich bereits ausgeführt habe, in den Provinzialabgaben doch beisteuern. Darum ist es mir auch zweifelhaft, ob die Verteilung der Kosten, wie sie in der Nr. 6 vorgesehen ist, diese obligatorische Verteilung der Kosten zweckmäßig ist. Wir tun in der ganzen Frage die Sache selbst hat meinen vollen Beifall; ich darf bemerken, daß ich der Provinz Brandenburg angeregt habe, die Sache neuerdings auf⸗ zunehmen am besten, wenn wir uns von allem Schematisieren fern halten, und darum gibt auch diese Nr. H immerhin zu einigen Bedenken Anlaß.

Zu Nr. 6 würde ich nichts Besonderes zu bemerken haben. Zu Nr. 7 kann ich auch meinerseits es nur an sich als das Zweckmäßige aussprechen, daß in unserm Zeitalter des Verkehrs die wandernde Be⸗ völkerung von der Landstraße fern gehalten und den Eisenbahnen überwiesen wird. Hinsichtlich der finanziellen Fragen, welche hier in Nr. 7 mit beteiligt sind, kann ich selbsterständlich von meinem Ressort aus keine Stellung nehmen. Es bleibt die Nr. 2, die ich bisher übergangen habe und die ich auch jetzt nicht behandeln will. Der Herr Finanzminister will dazu sprechen. Diese Nr. 2 mit der angemessenen Beteiligung des Staats an den Kosten ist, wie mir scheint, das Schoßkind der Kommission gewesen.

Inwieweit der Herr Finanzminister es liebend in seine Arme nehmen wird, weiß ich nicht; nach den Erklärungen, die er durch seine Kom.

missare in der Kommission abgegeben hat, fürchte ich auch, daß hier Schwierigkeiten vorllegen.

Wie bei dem Antrag Douglas kann ich nur damit schließen, daß ich Erwägungen, die mir auf den ersten Blick gekommen sind, kurz zusammengefaßt habe. Ich werde mich, wenn das Haus den Antrag annimmt, der weiteren gründlichen Bearbeitung selbstverständlich nicht entziehen, ob ich aber den Wunsch des verehrten Abg. von Bodel schwingh erfüllen kann, schon morgen einen Gesetzentwuif fertig zu stellen, möchte ich bezweifeln. (Bravo!)

Abg. Schmedding Gentr, spricht sich im Prinzip zu Gunsten des Kommissionsantrages aus. An sich sei der Antrag Arndt-⸗Brütt seinen Freunden sehr sympathisch, aber es sei zu fürchten, daß der Kommissionsantrag ins Wasser fallen werde, wenn der Staat zwei Drittel der Kosten übernehmen solle.

Abg. Brütt (fr. kons ): Es handelt sich lediglich darum, ob die im Antrage vorgeschlagenen Maßnahmen notwendig, zweckmäßig und durchführbar sind. Wir haben 1895 den Gesetzentwurf, welcher die Kreise zwingen wollte, Verpflegungsstationen einzurschten, abgelehnt. Es wurde ein Antrag angenommen, wonach die Provinziallandtage darüber ge— hört werden sollten. Es sind seitdem zehn Jahre ins Land egangen, aber die Provinziallandtage sind nicht gehört worden. Ich ir das Vorgehen der Kommission nicht für ganz richtig; ich bin mit meiner Ansicht in der Kommission in der Minderheit geblieben. Die Kom— mission hat es unterlassen, uns ein Bild davon zu geben, wie sich die Ver⸗ pflegungsstationen bisher entwickelt haben. Was in der Kommiffion darüber gesagt ist, genügt nicht, um die Gegner der Verpflegungs⸗ stationen zu einer anderen Ueberzeugung zu bringen. Wie schwierig würde die Sache werden, wenn die Kreise wider ihren Willen gezwungen würden, Verpflegungsstationen zu unterhalten! Daß die Propinzen die Kosten tragen, ist eine ganz üble Sache. Eine große Gefahr liegt darin, daß die Würdigen von den Un— würdigen nicht unterschieden werden. Ein Bedenken gegen die Ver— pflegungsstatlonen ist es auch, daß sie in bejug auf die Lohn— verträge die Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern staäͤrken, denn die Arbeiter brauchen darauf nicht einzugehen, wenn sie in den Verpflegungsstationen Unterkommen finden. Wenn aber die Ver⸗

flegungsstationen wirklich so werden, wie ihre Befürworter wollen, o wirken sie prophylaktisch gegen die Zunahme der Verbrechen, und dann liegt ein solches staatliches Interesse vor, daß damit die Be—⸗ teiligung des Staates an den Kosten gerechtfertigt wird. Ich halte es nicht für zu viel, wenn nach unserem Antrage der Staat zwei Drittel der Kosten übernimmt. Wir dürfen aber erwarten, wenn eine Gesetzesvorlage an das Haus kommen sollte, daß dann ein umfassendes Material zur Beurteilung vorgelegt wird.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Ich möchte, meine Herren, mich über den Antrag in allen seinen einzelnen Teilen nicht verbreiten, und in der Hauptsache nur über die finanzielle Seite der Sache mich äußern.

Kurz kann ich bemerken, daß ich die Auffassung des Herrn Abg. Brütt insofern teile, als es auch mir sehr fraglich ist, ob gerade auf dem in Rede stehenden Gebiete der Zwang angezeigt ist. Ich bin der Auffassung, daß auf diesem Gebiete wirkliche Erfolge nur erzielt werden können, wie das auch der Herr Minister des Innern aus— geführt hat, wo ein herzliches Interesse und eine Opferwilligkeit für diese ganze Materie vorhanden ist, und daß, wo dieses Moment fehlt, auch trotz des Zwanges diese Sache nicht marschiert. (Sehr richtig!)

Ich wende mich aber hauptsächlich nach der Seite der Sache, die mein Ressort angeht, insbesondere zu dem Antrage, wonach der Staat sich mit zwei Dritteln an den ganzen Kosten beteiligen soll. Der Herr Abg. Brütt führte aus, daß der Staat eine Verpflichtung habe, sich daran zu beteiligen. Ich muß dem entgegen daran festhalten, daß für den Staat keinerlei rechtliches Fundament vorliegt, sich an diesen Kosten zu beteiligen. Denn die Kosten der Wanderbettelei stellen entweder Kosten der Ortsarmenpflege oder der Landarmenpflege dar. Im ersten Falle sind sie von den Gemeinden zu tragen, im zweiten von den Provinzen, und wenn der Herr Abg. Brütt sagt, daß man, wenn man diese Einrichtung schafft, auch eine möglichst weitgehende Staatsaufsicht schaffen müsse, so glaube ich, widerspricht er sich damit selber. Eine solche Einrichtung mit einer weitgehenden Staats⸗ aufsicht würde meines Erachtens den Keim des Todes in sich selber tragen. Also auch aus diesem Gesichtspunkt, glaube ich, kann eine Verpflichtung des Staats nicht hergeleitet werden.

Trotzdem nun, meine Herren, eine Verpflichtung des Staats nicht vorliegt, sich an den Kosten zu beteiligen, hat der Staat freiwillig, und zwar bereits zweimal, Mittel zur Verfügung gestellt, um die hier in Rede stehenden Bestrebungen auch seinerseits zu unterstützen. In dem Dotationsgesetz vom Jahre 1902, das ich selber mit eingebracht habe, durch welches den Provinzen 10 Millionen Mark zur Verfügung gestellt wurden, ist die Unterstützung dieser Stationen auch ausdräck⸗ lich als einer der Verwendungszwecke bezeichnet. In der Begründung zu dem § 1 heißt es:

Unter Armenlasten der engeren Kommunalverbände sind aber vornehmlich auch solche Kosten zu verstehen, welche zur Bekämpfung der Wanderbettelei aufgewendet werden, insbesondere also Kosten zur Grrichtung, Unterhaltung oder Unterstützung von Wanderarbeits stätten, Arbeitsnachweisstellen u. dgl.

Also aus den Motiven geht unzweideutig hervor, daß diese 10 Millionen auch zur Unterstützung der hier in Rede stehenden Be⸗ strebungen dienen sollen. ;

Es haben denn auch fast alle Provinzen in den Grundsätzen, die hinsichtlich der Verwendung dieser Staaterente aufgestellt sind, die Unterstützung der Arbeitsstationen als einen Teil ihrer Aufgabe und als einen derjenigen Zwecke hingestellt, für welche die Staatsrente Ver⸗ wendung finden soll. Beispielsweise finden Sie in den Grundsätzen für die Provinz Westfalen ausdrücklich ausgesprochen, daß diejenigen Kreise und Gemeinden unterstützt werden sollten, welche für Armen und Wegezwecke einschließlich der Kosten für die Bekämpfung der Wanderbettelei bezw. Unterstützung durchziehender arbeitsloser Personen Beträge in einer gewissen Höhe ihrerseits aufwenden, und in dem Reglement, das in der Provinz Westfalen ausgearbeitet ist, heißt es ausdrücklich in § 1:

Aus dem gemäß § 5 Abs. 3 des Gesetzes verfügbaren Betrage, welcher in der Regel auf zwei Drittel der nach 8 4 des Gesetzes dem Provinzialverband von Westfalen zukommenden Jahresrente sich belaufen soll, sind zunächst zu bestreiten die Beihilfen zu den