1905 / 119 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 20 May 1905 18:00:01 GMT) scan diff

von Hamburg und der von München. Der Vertreter von Hamburg, ein Mann, welcher jetzt noch in hochangesehener Stellung tätig ist, hat gleichfalls erklärt, daß gegen die Erhöhung der Revisionssumme vom Standpunkt der Anwaltschaft nichts zu erinnern sei. Und der Vertreter von München sprach sich dahin aus, falls nachgewiesen werden könne, daß der Prozeßverkehr in den süddeutschen Staaten durch eine solche Erhõhung nicht zu hart betroffen würde, würde er nichts einwenden können gegen die Erhöhung. Dieser Nachweis ist in der gegenwärtigen Vorlage geführt worden, wie die Abgeordneten aus Bayern mit Ausnahme des Herrn Abg. Dr. Müller (Meiringen), ebenso wie die Vertreter der süddeutschen Regierungen anerkennen. Ich kann es nicht begreifen, wie gegenüber einem solchen Sachverhalt der Herr Vorredner heute noch behaupten kann, sämtliche Anwalts⸗ kammern Deutschlands hätten sich gegen unseren Vorschlag ausgesprochen.

Abg. Him burg (d. kons.): Ich stelle gegenüber dem Abg. Rintelen fest, daß die Kommisslon stets korrekt und geschäftsordnungsmaͤßig ver⸗ fahren ist. Sämtliche Anträge, die gestellt wurden, sind auch be—⸗ sprochen worden. Der Bericht ist durchaus erschöpfend und der Be⸗ richterstatter verdient für seine gründliche, klare, vorzügliche Arbeit, die er noch dazu unter Darangebung der Osterferien getan hat, den besonderen Dank des Hauses. Im übrigen hat auch Herr Rintelen, als der Bericht in seiner Gegenwart festgestellt wurde, nichts gegen diesen zu erinnern gehabt. Ich gebe ja zu, daß ein Irrtum in dieser Beziehung möglich ist, denn die beutigen Ausführungen des Redners waren tatsächlich nur für die in seiner unmittelbaren Nähe befindlichen

Herren verständlich.

Abg. Stadthagen (Soz): Herr Rintelen hat tatsächlich recht, daß die Vorlage in der Kommission sehr überstürzt beraten worden ist. Die zweite Lesung fand in einer Abendsitzung statt, und schließlich hat nur eine Minderheit der Kommission, nämlich 3 Mit— glieder von 21, dafür gestimmt. Was die Sache selbst betrifft, so handelt es sich bei der Erhöhung der Revisionssumme in der Tat um ein Privi⸗ legium der Reichen. Der kleine Mann, der Mittelstand, der in der Hauptsache die Kosten für das Reichsgericht zu bezahlen hat, wird in seinem Recht beschränkt, das Reiche gericht kommt nur dem Reichen zugute. Eine Rechtseinheit wird auch durch die neue Maßregel nicht erreicht. Will man das, so muß man aus dem Reichsgericht eine Art gesetz⸗ gebenden Körper machen, was ich bekämpfen würde. Die Selk ständigkeit der Richter möchte ich nicht tangiert wissen, am aller— wenigsten im Sinne des Staatssekretärs, wonach man glauben könnte, daß die Qberlandesgerichte den Irrtümern des Reichsgerichts folgen müßten. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß eine Ueberlastung des Reichsgerichts überhaupt nicht bestebt, und daß, wenn sie besteht, sie durch andere Mittel beseitigt werden muß. Das Mißtrauen gegen die Entscheidungen des Reichsgerichts, auch in Zivilsachen, ist durchaus berechtigt. Die Richter beim Reichsgericht sind jedenfalls nicht stärker belastet als jemals die Richter beim Obertribunal. Sie haben nicht mehr als etwas über ein Urteil in der Woche abzufassen. Könnte man sich nicht fragen, ob nicht die Gesetze schlechter geworden sind? Bei Gelegenheit der Revision über den bekannten Königsberger Prozeß hätten Galli und Tessendorff niemals als Reichsanwaͤlte sich so unwissenschaftliche Ausführungen gestattet, wie der jetzige Reiche— anwalt während der nicht länger als zwei Tage währenden Ver— handlung. Wie kann man von einer Ueberlastung des Reichsgerichts sprechen, wenn seit 1879 die Zahl der Richter um die Hälfte erböht und die Zahl der Anwälte ungefähr dieselbe geblieben ist? Wird die Revisionssumme erhöht, so wird das ganze Arbeiterrecht, Schaden⸗ ersatzansprüche, Mietessachen usw. der Revision des Reichegerichts entzogen. 1893 wurde ein Gesetz in Aussicht gestellt, nach dem über Arbeitersachen ein einheitliches oberstes Gericht zentscheiden ssollte. Seitdem haben wir nichts davon gehört, und die Reform der Zivilprozeßordnung ist vor 10 Jahren nicht zu erwarten. Obwohl also jenes Versprechen nicht erfüllt worden ist, kommt man jetzt mit dieser Vorlage; auf die Arbeiter kommt es ja nicht an, die können zehn Jahre und länger warten, wenn man überhaupt auf sie Rücksicht nimmt. Es enden sich hier um ein rluto⸗ kratisches Klassengesetz allerschlimmster Art. Und haben wir denn wirklich nur 593 Richter in Deutschland, die in Zivilsachen in letzter

hochverdiente Beamte, der keine Veranlassung hat, nach unserer lang⸗ jährigen Bekanntschaft mir gegenüber ein Hehl aus dem zu machen, was ihn bewegt und bestimmt, seinen Abschied zu nehmen, mir von seinem Abschied gesprochen und daß er für die Nachsuchung seines Abschieds seine Gesundheitsverhältnisse angeführt hat ich wieder⸗ hole, daß er 75 Jahre alt und daß kein Wort über die Verhältnisse im Kammergericht und über etwaige Gründe, die ihn bestimmt haben könnten, dieser Verhältnisse wegen seinen Abschied zu nehmen, mir gegenüber gefallen ist.

Das möchte ich nur feststellen und die Herren bitten, vorsichtig zu sein gegenüber Schlußfolgerungen, die der Herr Vorredner dem⸗ gegenüber gezogen hat.

Abg Trimborn Gentr.), Berichterstatter der Kommission: Nach⸗ dem der Abg. Himburg als Vorsitzender der Kommission diese bereits gegen die Angriffe verteidigt hät, die ibr heute zuteil wurden, komme ich darauf nicht weiter jurück. Ich möchte nur bezüglich der zweiten Lesung bemerken, daß die da vorliegenden Anträge allerdings nicht mehr so gründlich beraten worden sind, weil sie schon in der ersten Lesung genugsam besprochen waren. Einmal muß das grausame Spiel doch ein Ende nehmen! In der Kommission waren fast nur Juristen; was wir da an Widersprüchen, an Meinungszwiespältigkeit gebört haben, ging wirklich über das Menschenmögliche. An Gründlichkeit hat es also wahrhaftig nicht gefehlt. Ein Ausweg mußte ge—˖ funden werden. Neues läßt sich über diese Materie wirklich nicht mehr sagen. Den Vorwurf der Ungründlichkeit hat diese Kommißssion wahrlich nicht verdient. Sieben Anwalteékammern haben sich mit Petitionen gegen die Vorlage an das Haus gewendet; eine Stamm— petition mit sechs Unterpetllionen; die Stammpetition hat gewisser— maßen sechs Junge geboren. Wir haben aber 28 Anwalts- kammern im Deuischen Reiche. Die Anwaltskammer am Reichsgericht selbst hat sich ganz entschieden für die Vorlage ausgesvrochen. Was die egberste Reichsinstanz für das Arbeiterrecht betrifft, die 1898 in Aussicht gestellt worden sein soll, so verhält es sich damit etwas anders, als Herr Stadthagen beute es darstellt. Die hetreffende Anregung ist damals gegeben, aber nachher wieder abgelehnt worden.

Abg. Schmidt⸗Warburg (Zentr. ): Die Annahme der Kommissionẽ⸗

beschlüsse scheint ja wohl 4 nachdem feststeht, daß auch meine Fraktion, mit verschwindenden Ausnahmen, dafür stimmen wird. Mit mir stimmt vielleicht nur noch Kollege Rintelen dagegen. Ich persönlich habe seit vielen Jahren die Opposition gegen die Erhöhung der Revisionssumme geführt, sie ist mir aus tiefstem Herzen gekommen, und ich kann auch heute nur nochmals diese Auffassung bekennen. Zuzugeben ist eine gewisse Ueberlastung des Reichsgerichts. Die Er⸗ höhung der Revisionssumme aber ist sozial verkehrt; sie schließt den kleinen Mann vom Reichsgerichte aus, und der steht schon jetzt recht schlecht, denn auch 1500 4 ist schon eine sehr hohe Revisionsgrenze. Niemand hat die soziale Bedenklichkeit dieses Schrittes besfreiten können. Sie haben ja alle nach anderen Wegen gefucht, aber keinen anderen gefunden. Es ist fatal, daß wir, die wir sonst den kleinen Leuten helfen wollen, ihnen hier den Zugang zum Reichs— gericht versperren. Die Erhöhung auf 25906 S6 ist geeignet, ganze Arbeiterfamilien zu ruinieren, weil deren Existenz sebr wohl von dem Besitze oder der Wiedererlangung einez Geldbetrages bon 2500 60 abhängen kann. Auch die Rechtseinheit wird auf diefe Weise immer geringer. Die Urteile von 28 verschiedenen Oberlandezgerichten werden rechtskräftig und die Rechtsverschiedenheit entsprechend gesteigert werden. Der Begruͤndungszwang und die vorläufige Vollstreckbarkeik der Ober—⸗ landesgerichtsurteile würden das Reichsgericht so entlasten, daß die Erhöhung der Revisionssumme ganz überflüssig ist. Abg. Dr. Spahn (Zentr): Die bloße Tatsache, daß das Reichs⸗ gericht genötigt ist, die Termine auf 9, 10 Monate hinaus- zuschieben, genügt, um die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Vorlage zu beweisen. Es muß auch hervorgehoben werden, daß nicht die einzelnen Richter, sondern die Senate Überlastet sind. Das Reichsgericht muß entlastet werden, wenn es seiner Aufgabe wirklich entsprechen soll.

Instanz Recht, sprechen können? Können wir wirklich nicht mehr Richter auftreiben, um noch weitere Senate zu bilden? Mit der Heraufsetzung der Revisionsfumme setzen wir die Unabhängigkeit der R ter noch tiefer herab, als es bis jetzt schon geschehen ist. Wie es mit der Unabhängigkeit der Richter steht, hat ja der Fall des Herrn Ring und der Berliner Milchjentrale genugsam bewiesen. Der preußische Justizminister hat auf das Ersuchen dieses Herrn Ring, der allerdings kein Arbeiter ist, die Akten des bekannten rechts kräftigen Prozesses einfordern und das Kammergericht auf seine abweichende Meinung aufmerksam machen lassen. Also eine Maßregelung in optima forma! Was wäre wohl mit einem Arbeiter geschehen, der sich eine solche Beeinflussung eines Gerichts oder des Justiz— ministers herausgenommen hätte? Hier handelt es sich eben nicht um einen Arbeitern, sondern um eine agrarische Ausbeutungsgesellschaft, die den Wunsch hat, daß in die Rechtspflege eingegriffen wird, und auf ihren Wunsch wird bereitwillig eingegangen. Solange in Preußen die Abhängigkeit der Richter von Jahr zu Jahr wächst, muß man sich mit desto größerer Entschiedenbeit gegen ein solches berderblich⸗s Gesetz wehren, wie es hier zustande gebracht werden soll. Früher hat, öder Reichstag wiederholt ein solches Ansinnen abgelehnt; sollte es jetzt angenommen werden, so werden die Reichsrichter Instrumente zur Ausübung der Klassenjustiz gegenüber dem Mittelstand. Wollen Sie diesen Effekt etzielen, gen Mittelstand völlig rechtlos machen und den Arbeiter pollkomm der Möglichkeit berauben, Recht zu be⸗ kommen, und gleichzeitig diesen beiden Klassen die Kosten für dieses Klassengericht aufbürden, so nehmen Sie das Gesetz an!

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Der Herr Vorredner hat die Tatsache, daß im Laufe dieses Winters einer der ältesten und verdientesten Senatspräsidenten des Kammergerichts seine Versetzung in den Ruhestand erbeten und er— halten hat, dazu benutzt, um aus diesem Falle Kapital zu schlagen gegen den preußischen Herrn Justizminister. Der preußische Herr Justizminister soll dem Senat, dem der fragliche Senats prãsident präsidierte, Bemerkungen gemacht haben, die nach Ansicht des Herrn Vorredners unzulässig waren, und der fraglich: Senatsprãsident soll darüber so verstimmt gewesen sein, daß er deshalb seinen Abschied genommen habe.

Meine Herren, ich möchte nur dieser letzten Folgerung wider⸗ sprechen, da sonst nach den Bemerkungen, die der Herr Vorredner in anderer Beziehung gemacht hat, er mein Stillschweigen sofort fruktifizieren und sagen würde: der Staatssekretär hat nicht wirer⸗ sprochen; folglich ist das, was ich behauptet babe, richtig. Es würde die Zeit des bohen Hauses zu sehr in Anspruch nehmen, wenn ich alles dasjenige, was der Herr Vorredner sagte, und was ich nicht für richtig halte, widerlegen sollte.

Meine Herren, der Herr Senatspräsident, um den es sich hier handelt, ist ein Mann, den ich die Ehre habe seit vielen Jahren genau zu kennen. Er hat noch im Laufe des vorigen Herbstes mit mir über seine Absicht den Abschied zu nehmen, gesprochen; es ist ein Mann von 5 Jahren. (Hört! hört! Er hat mir gegenüber auch diese seine Absicht, den Abschied zu nehmer, mit dem Hinweis auf seine geschwächten Kräfte begründet. Kein Wort hat er mir gegenüber verlauten lassen, daß irgend eine Verstimmung im Amte ein Motiv für seinen Ab. schied sein könne. (3uruf) Ich konstatiere nur Tatsachen und schließe nicht aus Tatsachen, wie Sie. Ich will nur bemerken, daß dieser

novelle über die Arbeiterverhältnisse bei 5 86

die Grenzen dieser Einrichtung sind dann nicht mehr abzusehen;

Hierauf wird ein Vertagungsantrag angenommen.

In versönlicher Bemerkung erklärt der

Abg. Kirsch (Zentr.), daß auch er mit einer weiteren Anzabl vo Mitgliedern des Zentrums gegen die Erhöhung der Revisionssumme stimmen werde.

Schluß gegen 7 Uhr. Nächste Sitzung Sonnabend 12 Uhr. (Fortsetzung der zweiten Beratung der Novelle zur Zivilprozeß— ordnung, dritte Lesung der Novelle zum Gerichtsverfassungs— gesetz, kleinere Vorlagen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 184. Sitzung vom 19 Mai 1905, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Das Haus setzt die zweite Beratung der Berggesetz—

Arbeiter ausschüsse) mit den zu diesem Bericht über die 183. Sitzung mitgeteilten Anträgen fort.

Nach dem Abg. Oeser (freis. Volksp., über dessen Aus— führungen bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, erhält das Wort

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kens.): Wenn das Dreiklassenwablspstem noch die Wahl von Leuten wie dem Abg. Deser ermöglicht, die mit vollster Räckbaltlosigkeit die breiten Massen vertreten, so kann dieses Wehlfsystem doch nicht so schlecht sein. Den Arbeiterausschüssen Faben wir von Anfang an mit größtem Bedenken gegenübergestanden. Ich will mit einem Teil meiner Freunde allerdings diese Einrichtung an sich nicht von der Hand weisen; denn es wäre gut, ein? Brücke zwischen den Arbeitermassen und den Unternehmern zu schlagen, damit ein Weg zum Frieden und zur Verständigung geöffnet wird. Aber die Befugnisse der Ausschüsse müssen im Gesetz klar definiert werden. Wir meinen, daß es der Kommission gelungen ist, in dieser Beziehung wesenilich das Richtige zu treffen, und wir würden nicht geneigt sein, Anträge anzunehmen, die diese Bestim⸗ mungen abschwächen. Die Kommission hat wertvolle Ergänzungen der Vorlage gemacht. Auch der Vorschlag der öffentlichen Wahl findet die Billigung meiner Freunde. Der Antrag, die öffenfliche Wahl in die Vorlage aufjunebmen, ist übrigens nicht von uns, sondern von der nationalliberalen Partei ausgegangen. Ich erkläre offen, daß wir im ersten Augenblick bei der ersten Lesung in der Kommission im Zweifel waren, ob wir dem Antrage zustimmen könnten. Was aber schließlich für uns den Aus.¶ schlag gab, war die Erwägung, daß wir es hier mit einer Einrichtung von eminenter Bedeutung zu tun haben, die unzweifelhaft bei anderen Arbeitern Nachfolge finden wird. Die Arbeiterausschüsse werden sich naturgemäß jzunächst auf die Be— triebe ausdehnen, die mit dem Bergbau in Verbindung stehen, und

estellten, in dem

desbalb muß man allen Ernstes überlegen, ob man das, was bier richtig sein könnte, als Grundsatz für alle Zukunft sanktionieren kann, und ob man dadurch, daß man (s jetzt annimmt, es tatfächlich zum gemeinen Recht machen will. Die öffentliche Wabl bildet ein Schutzmittel für die besonnenen, friedlichen und guten Elemente, die noch der Autorität folgen wollen. Die Flucht aus der Deffentlich⸗ keit darf nicht der Grundsatz für alle Zukunft sein. Heimlich—

Das Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gehört zu den vitalsten Dingen, an die man nicht rühren darf. Den Stand⸗ punkt der Wahrung der Autorität können wir als Partei nicht auf⸗ geben. Die geheime Wall steht aber damit in fundamentalem Wider⸗ svruch. Es ist etwas anderes, ob der Wähler offen bintreten muß mit Keinem Votum, oder ob er es verstohlen und heimlich machen kann. Was die politische Seite der Einrichtung betrifft, so ist ja schon eine ganze Menge Hiebe auf uns herabgesaust. Die Herren, die die Be⸗ schluüsse der Kommission abändern wollen, wissen entweder nicht, was sie wollen, oder sie wollen etwas anderes, als sie sagen. Der sreikonservative Antrag mag ja eine Verbesserung des national⸗ liberalen Antrags sein, aber da er sich auf dessen Boden stellt, ist er für uns unannehmbar. Was wir wollen, das offene Aussprechen dessen, daß politische, agitatorische Betätigung diesen Ausschüffen nicht gestattet sei, wollen die Herren nicht, obwohl sie be⸗ haupten, daß das schon so wie so feststehe. Wir brauchen hier err Männer, die keine Halbheiten wollen; wenn es in dem Gesetz n enthalten ist, warum wollen Sie es dann nicht offen aussprechen?

arum wollen Sie dann auch nicht die nötigen Kautelen einfügen? Wir können also für Ihren Antrag nicht stimmen. Die allgemeinen politischen Rechte auszuüben, ist den Mitgliedern der Ausschüffe keineswegs benommen; nur soll diese Betätigung sich nicht in Wider⸗ sPpruch setzen mit ihrer Eigenschaft als Arbeiterausschußmitglieder. Die Begriffe politische und sozialpolitische Betätigung find nicht dehnbarer als die Begriffe Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ꝛc. Wenn Sie also an der Dehnbarkeit Anstoß nehmen so lehnen Sie doch konsequenterweise die Kommissione beschlüffe ab und kehren Sie zur Regierungsvorlage zurück. Ueber die juristischen Zwirnsfäden stolpere ich nicht, wenn ich weiß, was ich will; foßal= politische Maßnahmen zur Herbeiführung der Versõhnung und des Frie⸗ dens dürfen nicht ausgebeutet werden zu Gunsten staatsfeindlicher Parteien. Wenn die Vertreter einer solchen Partei die Sache in die Hand be— kommen, drehen sie diese guten Zwecke geradeju um. Ich möchte errn Deser als Freisinnigen an seinen Parteigenoffen r,. Mugdan erinnern, der in geradezu ausgezeichneter, meister⸗ hafter Weise. nachgewiesen hat, wie die Sozialdemokratie die Krankenkassenderwaltungen an sich gerissen und darin ihre Tendenjen zur Geltung gebracht hat. wobei es ihr gar nicht darauf ankam, die ganzen sozialpolitischen Einrichtungen der Krankenversicherung zu schaͤdigen. Und bei den Gewerbe⸗ gerichten scheint es ähnlich gẽöhen zu sollen. Die Taften der sozialpolitischen Gesetzgebung wollen wir gern tragen, aber nicht dazu beitragen, wenn zu ziehen, welche die Vernichtung des Staates auf (ihre Fahne geschrieben haben. Das auszusprechen, ist eine nationale Pflicht. Das ganze Gesetz ist eine behördliche Organisation der Arbeiterschaft gegenüber den Arbeitgebern, die Erfüllung eines großen Teils des sozialdemokratischen Programms. Der Antrag der Sozialdemokraten im Reichstage zeigt Ihnen doch, waß die Solialdemokratie sich don dieser Sache verspricht. Da können Sie uns nicht berdenken, wenn wir uns die Sache drei- mal überlegen. Wir stehen hier an der Grenze. Die Beschlässe der Kommission sind das Aeußerste, das wir vielleicht noch ertragen können; wollen Sie es anders haben, so beschließen Sie danach. Ich werde die Konsequenzen dieses Beschlusses meinerseits ziehen.

Justizminister Dr. Schönstedt:

Der Herr Abg. von Heydebrand hat Ihnen in Aussicht gestellt, daß bezüglich der Ihrer Beschlußfassung in diesem Augenblick unter⸗ liegenden Kommissionsbeschlüsse und Anträge noch juristische Bedenken vorgetragen werden würden. Ich glaube darin eine Aufforderung er— blicken zu dürfen, mich meinerseits vom juristischen Standpunkte aus über die umstrittenen Punkte hier auszusprechen.

Meine Herren, ich kann in vieler Beziehung alles das unter schreiben, was der Herr Abg von Heydebrand soeben ausgesprochen hat nicht alles! Ich finde es begreiflch, daß man sich bemüht, Mittel zu finden, die es verhindern sollen, daß die in Aussicht ge— nommenen Arbeiterausschüsse sich politischen Agitationen in Miß⸗ brauch ihrer Vertrauensstellung hingeben, daß man es zu verhindern sucht, daß sie der Tummelplatz soialdemokratischer Bestrebungen werden und daß daduich geradezu der Zweck, der durch die Einführung dieser Ausschüsse erzielt werden soll, nämlich die Herbeiführung eines guten Einvernehmens zwischen Belegschaft und Arbeitgeber, in sein Gegenteil sich umwandle. Ich begreife also das Motiv der Anträge, die zu den vorliegenden Kommissionsbeschlüssen geführt haben. Ich will ihnen die Be— rechtigung keineswegs absprechen; die Gefahr, daß insbesondere die Soꝛialdemokratie sich dieser Arbeiterausschüsse bemächtigen könne, halte ich keineswegs für ausgeschlossen, auch nicht, wie der Herr Abg. Trim— born gemeint hat, durch den Umstand allein, daß in den Beschlüssen eine Verhältniswahl vorgesehen worden und dadurch ein genũgendes Sicherheitsventil gegeben sei.

Wenn ich also diese Bestrebungen an und für sich nicht als un— berechtigt ansebe, so entstebht doch die Frage, ob es einen gangbaren Weg gibt, auf dem dieses Ziel erreicht werden kann. Sobald man an diese Frage herantritt, dann, meine Herren, zeigen sich allerlei Schwierigkeiten, die Herr von Heydebrand rielleicht, wenn er mich ge⸗ hört haben wird, unter den Begriff der juristischen Zwirnsfäden bringen wird, die ich aber doch nicht für unerheblich erachten kann. Meine Herren, ich glaube kaum, daß der Versuch, die vorhandenen Schwierigkeiten zu lösen, wie er in dem Kommissionsbeschluß zum Ausdruck kommt, ein ganz glücklicher gewesen ist. Ich würde die Bestimmung des Beschlusses unbedenklich finden, daß ein Arbeiterausschuß, der seine Zuständigkeit überschreitet, der Auflösung unterliegt. Eine solche Bestimmung ist auch keineswegs ohne Vorbild. Wir haben eine ähnliche Bestimmung schon gegenüber den Innungtausschüssen in der Gewerbeordnung. Insoweit aber, als die Beschlüsse hierüber hinausgehen und speziell die Betãtigung politischer Richtungen nicht nur den Arbeiterausschüssen, sondern auch seinen Mitgliedern unter dem Präjudiz untersagen, daß eine solche Betätigung für die Mitglieder eine Ausschließung aus dem Ausschuß zur Folge haben müsse, insoweit, meine Herren, habe ich erhebliche Bedenken.

Es entsteht dabei zunächst der Zweifel, an welche Tätigkeit der Mitglieder hier gedacht worden ist. Allerdings heißt es in den Be⸗ schlüssen und Anträgen: Nur eine solche Tätigkeit, die sie ausüben in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Ausschusses. Herr von Heyde⸗ brand bat das soeben dahin definiert, daß damit jede Tätigkeit aus⸗ geschlossen sei und nicht unter diese Strafandrohung, wenn ich sie so nennen darf, gebracht werden könne, die außerhalb des Ausschusses als solchen liege. Ob das dem Wortlaute des Beschlusses vollkommen entspricht, das, meine Herren, erachte ich für mindestens zweifelhaft. Jedenfalls glaube ich, daß es sehr schwer sein wird, überall im einzelnen Falle zu trennen, ob eine solche politische Tätigkeit innerhalb der Berufs tätigkeit des Ausschusses gelegen hat oder außerhalb derselben. Und nun, meine Herren, wenn den einzelnen Mitgliedern mit einer solchen Folge gedroht wird für den Fall der Ausübung einer politisch agitatorischen Tätigkeit ein Ausdruck, den ich an und für sich schon

keit und Flucht wollen wir nicht zum Prinzip für die Zukunft machen.

für einen wenig glücklichen halte, und dessen auch vom Herrn von Heydebrand anerkannte Dehnbarkeit doch vielleicht über das

sie bloß dazu dienen, Parteien groß

hinausgeht, was unter Umständen ertragen werden muß bei der Formulierung von Gesetzen wenn ich mich also auf den Stand. punkt stelle, daß eine politische Tätigkeit unter Umständen für das einzelne Mitglied des Ausschusses solche Folgen haben soll. wie sie hier angedroht werden, dann erhebt sich vom rechtlichen Standpunkt aus die Frage, ob diese Bestimmungen sich in Einklang befinden mit verfassungs und reichsrechtlichen Vorschriften.

Da stößt man zunächst auf die Frage, ob ein derartiges Verbot vereinbar ist mit der in der preußischen Verfassung jedem Staatsbürger gewährleisteten Freiheit der schriftlichen und mündlichen Meinungs⸗ zußerung. Man stößt ferner auf die Frage, ob nicht in einer der⸗ artigen Bestimmung eine unzulässige Beschränkung der Rechte liegt, die die Gewerbeordnung in ihrem 5 152 auch den Bergarbeitern gewährt, sich zusammenzuschließen zur Erlangung günstiger Arbeits- und Lohn⸗ bedingungen. Es kann endlich auch die Frage aufgeworfen werden, ob nicht darin eine Beschränkung zu finden sein möchte der in dem Reichswahlgesetz allen Wahlberechtigten eingeräumten Be— fugnis, sich für Wahlzwecke zu Vereinigungen und zu Versammlungen zu verbinden.

Nun, meine Herren, werden Sie gewiß mir darauf erwidern: derartige Tätigkeiten sind ja niemanden verboten und sollen niemandem an sich verboten sein; jeder behält seine volle Freiheit, er kann außer · halb der engeren Ausschußtätigkeit tun, was er will, ein Eingriff in diese seine staatsbärgerlichen Rechte liegt nicht vor. Das ist ja dem Wortlaute nach gewiß richtig. Aber meine Herren, eine indirekte Be⸗ schränkung dieser Befugnisse wird doch leicht in solchen Best immungen gefunden werden können, und da meine ich, wäre es geboten, sich der allergrößten Vorsicht zu befleißigen. Wir befinden uns hier auf einem Gebiete, in dem nach meiner Meinung kein Schritt unternommen werden sollte, wenn man nicht ganz festen Boden unter den Füßen hat, und auf dem jeder Fehltritt von verhängnisvollen Folgen begleitet sein kann.

Ich begebe mich nicht auf dieses politische Gebiet; ich be— trachte das nicht als meine Aufgabe, überlasse es vielmehr dem Herrn Ressortminister, der die Vorlage von allen Gefichtspunkten aus zu vertreten hat. Ich habe aber geglaubt wenigstens nicht ver schweigen zu sollen, welche Bedenken gegen die vorliegenden Beschlüsse vom rechtlichen Standpunkt aus wie ich glaube, nicht ohne Grund geltend gemacht werden können.

Der Herr Abg. Dr. Friedberg hat seinerseits den Standpunkt vertreten, es werde überhaupt solcher Bestimmungen nicht bedürfen, da den Arbeitgebern genügend andere Mittel zu Gebote ständen, um solche Mitglieder des Ausschusses, die in einer nach der Ueberzeugung der Arbeitgeber verhängnisvollen, friedenstörenden Weise ihren Einfluß dort zur Geltung bringen würden, unschädlich zu machen. Das würde die Dpportunitätsfrage betreffen, auf die ich mich aber gleichfalls nicht einlassen will; auch die betrachte ich nicht als zu meinem Ressort gehörig. Ich beschränke mich eben darauf, auf die Zweifel und Be⸗ denken hinzuweifen, die vom rechtlichen Standpunkt aus gegen die Vorlage vorgebracht werden können.

Ich erkenne an, daß der nationalliberale Antrag, der heute ein⸗ gebracht ist, eine wesentliche Verbesserung von diesem Standpunkt aus enthält. Er nähert sich in wesentlichen Punkten der Regierungs— vorlage. Aber auch da halte ich mich als Mitglied des Staats— ministeriums für verpflichtet, heute nur den Standpunkt der Regierungsvorlage zu vertreten und deshalb an Sie die Bitte zu richten, auch unter Prüfung meiner juristischen Erwägungen auf den Boden der Regierungsvorlage zurückzukehren.

Minister für Handel und Gewerbe Möller:

Meine Herren! Der Herr Abg. von Heydebrand hat in der ein drucksvollen Weise, die seinem Reden eigen ist, uns vorgeführt, welcher Mißbrauch von der Sozialdemokratie mit den sozialpolitischen Ein⸗ richtungen unserer Versicherungsgesetze getrieben wird. Ich stimme darin vollständig mit ibm überein und wünsche auch nicht, daß wir neue Institutionen schaffen, die einen ähnlichen Mißbrauch zuließen. Aber, meine Herren, wir baben uns zu vergegenwärtigen, daß wir bei den Institutionen, die wir hier schaffeu wollen, doch anderweitigen nebelständen gegenüberstehen, deren Beseitigung vielleicht ebenso wichtig, vielleicht wichtiger ist als die Beseitigung der etwaigen Miß⸗ bräuche, die mit dieser Inftitution getrieben werden könnten. Meine Herren, der Zustand, der gegenwärtig herrscht, daß absolut keine Ver⸗ tretung in dem gewaltigen Industriebezirk zwischen den Direktionen und der Arbeiterschaft vermittelt, dieser Uebelstand hat sich gerade bei dem letzten Streik als so verhängnisvoll erwiesen, daß es unbedingt notwendig erscheint, Sorge dafür zu tragen, daß eine derartige Ver⸗ bindung bergestellt wird.

Meine Herren, ich habe bei meiner Einführungsrede bei der ersten Lesung schon ausgeführt, daß ich das Mißtrauen, den Gegensatz, der unter der Arbeitgeberschaft in Westfalen gegen Arbeiterausschüsse besteht, im wesentlichen für Vorurteile halte. Ich babe Ihnen ent⸗ gegengestellt, daß und in wie vielen Fällen die Arbeiterausschüsse durchaus wehltätig gewirkt hätten, und ich bin nach wie vor der Meinung, daß Arbeiterausschüsse, wenn sie richtig gehandhabt werden, im wesentlichen wobltätig wirken werden. Ich bin allerdings der Meinung, daß Arbeiterausschüsse in wirklichen Krisen, bei schweren Konflikten wie bei dem vergangenen Streik, die großen Massen nicht balten können (leb⸗ haftes Hört, hört! und Bewegung rechts und bei den Natienalliberalen), daß nichtsdestoweniger Explosionen vorkommen werden. Aber, meine Herren, der Weg jzur Vermittlung kann durch sie wiederum gefunden werden; die Möglichkeit einer Verhandlung mit den Arbeitern ist durch die Ausschüsse gegeben, während, wie jetzt die Verhaältnisse in Westfalen liegen, dies absolut unmöglich ist. Die Arbeitgeber erkennen die Arbeiterorganisationen aus prinzipiellen Gründen nicht an; sie wollen mit den Organisationen nicht ver⸗ handeln, sie erkennen niemals die von den Organisationen gewählten Vertreter als Vertreter der Arbeiterschaft an, und sie haben von ihrem Standpunkt aus ja auch recht, weil keine der Organisationen ihre gesamte Arbeiterschaft vertritt, sondern jede Organisation vertritt immer nur einen gewissen, ver⸗ hältnismäßig kleinen Teil ihrer Arbeiterschaft. Es muß doch aber, wie heute unsere Verhältnisse liegen, die Möglichkeit einer Ver⸗ handlung gegeben werden; es muß die Möglichkeit von Untersuchungen über die angeblich bestehenden Uebelstände gegeben sein. Ich babe bereits bei der ersten Lesung hervorgehoben, welche unglücklichen Um⸗ stände eingetreten sind, als die Arbeitgeber selbst die Untersuchung

konnten. Damals sind die Arbeiter vertreten worden gerade von derjenigen Kombination der Organisationen, welche die Arbeitgeber nicht anerkannt haben.

Die Arbeiterausschüsse werden ebenso, wie sie es gegenwärtig in vielen Fällen tun, überall da gut arbeiten, wo man es versteht, sich regelmäßig Kleinarbeit mit ihnen zu schaffen und ein regelmäßiges Vertrauensberhältnis mit ihnen herzustellen. Ich habe wiederholt darauf hingewiesen, daß es notwendig ist, ihnen nicht, wie das auch in den Anträgen zum Ausdruck kommt, die Behandlung der Beschwerden als Hauptsache für ihre Betätigung hinzustellen, sondern mehr Gewicht auf die regelmäßige Betätigung in bezug auf Wohlfahrtseinrichtungen zu legen. Damit stellt sich ein freundliches und friedliches Verhältnis zwischen Arbeitern und Arbeit gebern her. Es liegt vollständig in der Hand der Arbeitgeber, dies Verhältnis herzustellen, und ich zweifle nicht, daß, wenn die Institution geschaffen ist, die zahlreichen vortrefflichen Wohlfahrtseinrichtungen, die auf den Zechen in Westfalen vorhanden sind, und von denen sich die Herren überzeugt haben, die im Bezirk gewesen sind, einen Boden zu regelmäßiger Tätigkeit der Ausschüsse geben, und daß damit eine Ver⸗ trauensstellung geschaffen wird, die jetzt feblt.

Gegenüber der gegenwärtigen Lage, in der wir uns bezüglich der Kommissionsbeschlüsse befinden, muß auch ich mich dem Herrn Justiz⸗ minister anschließen und meine Bedenken gegen die Beschlüsse der Kommission aufs neue zum dringendsten Ausdruck bringen. Der Herr Justizminister hat die rechtlichen Bedenken dagegen geltend gemacht und die Hervorhebung der politischen Bedenken mir überlassen. Wenn Sie, wie es ja auch in dem Beschluß der Kommission steht, die politische Betätigung sowohl der Ausschüsse als auch der einzelnen Mitglieder stehen lassen, dann werden Sie das Gute, was die Arbeiterausschüsse schaffen können, von vornherein eliminieren, weil Sie damit den Arbeitern einen Agitationsstoff in die Hand geben, der die ganze wohltätige Wirkung totschlagen wird.

Wie ich gestern schon ausgeführt habe, bin ich leider nicht in der Lage, namens des Staatsminister iums Erklärungen abgeben zu können, sondern ich kann nur für meine Person hier sprechen. Ich betrachte die Anträge, die von seiten der Nationalliberalen eingebracht und durch die Freikonservativen amendiert sind, sachlich immerhin als eine erhebliche Verbesserung gegen das, was die Kommission beschlossen hat. Ich muß selbstverständlich von meinem Standpunkt aus die Regierungs⸗ vorlage als das in erster Linie Erstrebenswerte bezeichnen, daher die vom Zentrum und von den Freisinnigen gestellten Anträge in erster Linie befürworten; aber ich bin sachlich genug, anzuerkennen, daß ich bei der Mehrheit, wie sie sich im Hause gestaltet, auch mit der Even⸗ tualitãt rechnen muß, daß diese Anträge keine Mehrbeit finden, daß dagegen auch eine gewisse Aussicht vorhanden ist, daß die Anträge der Nationalliberalen, kombiniert mit denen der Freikonservativen, eine solche finden könnten. Ich muß mich daher im wesentlichen darauf beschränken, Stellung zu diesen zu nehmen.

Meine Herren, ich betrachte, was die Kommissionsbeschlüsse an⸗ betrifft, die Einfügung der Worte: die sich auf die Betriebs⸗ und Arbeitsberhältnisse des Bergwerks beziehen“, als eine wesentliche Ver⸗ besserung der Regierungsvorlage. Ich erkenne an, daß damit die Ziele der Ausschüsse klarer präzisiert sind und vor allem klargestellt ist, daß die Ausschüsse nur Instrumente der Verständigung zwischen Arbeitgeber und Arbeiter auf den einjelnen Werken sein sollen, daß verhindert werden soll und muß, daß die Ausschüsse als solche sich als großes Arbeiterparlament in cumulo versammeln und eine geschlossene Organisation der Arbeiterschatt im Gegensatz zur Arbeitgeberschaft herstellen. Meine Herren, das ist von uns nicht gewollt, und wir erkennen es daher willig als eine wesentliche Ver—⸗ besserung an, daß diese Einschaltung erfolgt ist.

Was dann weiterhin den Antrag der Nationalliberalen betrifft, der sich im wesentlichen dem Wortlaut der Vorlage in seinem ersten Teile anschließt, so kann ich auch nur anerkennen, daß die Anträge der Herren Freikonservativen, das Wort „Anträge“ zu streichen und die gutachtlichen Aeußerungenꝰ zu ersetzen durch mündliche Aeußerungen“, als solche zu bezeichnen sind, däe unsererseits eventuell akzeptiert werden könnten. Aber, meine Herten, ich wiederhole nochmals, daß der Rest des nationalliberalen Antrags, der ja auch im wesentlichen dem entspricht, was die Kommission beschlossen hat, nach dem Antrage des Zentrums und der Freisinnigen besser gestrichen würde. Meine Herren, ich wiederhole nochmals: diejenigen, die dafür sind, beseitigen ein, gut Teil desjenigen, was sie mit den Ausschüssen schaffen wollen, wenn sie zu viel reglementieren. Ich möchte mich damit anschließen an das, was der Abg. Schiffer gestern hier ausgeführt hat und etwa so lautete, daß zu große Schärfe in Gesetzen, die dem sozialen Frieden dienen sollen, nicht zu billigen sei. Durch den Wortlaut der Kom— missions vorlage in starkem Maße, aber auch noch durch den Antrag der Nationalliberalen wird der soziale Zweck der Bildung der Aus⸗ schüsse erheblich abgeschwächt, wenn Sie zu dieser Reglementierung schreiten.

Meine Herren, dann nehme ich an, daß, wenn der Antrag der Nationalliberalen auf Nr. 961 eine Mehrheit im Hause finden könnte, nachdem die Anträge des Zentrums und der Linken gefallen sind, unter allen Umständen noch einige Aenderungen nötig sein würden. Zu denen rechne ich in erster Linie, daß die dreijährige Dauer der Suspendierungsmöglichkeit des Ausschusses durch eine höchstens ein⸗ jährige ersetzt würde.

Was dann den Antrag der Freikonservativen auf Nr. 964 be⸗ trifft, so habe ich die erheblichen Bedenken dagegen, daß Sie dem Oberbergamt die Aufgabe stellen wollen, stets darüber zu wachen, ob die Mitglieder des Arbeiterausschusses ihre Funktionen überschreiten, und dem Oberbergamt die Verpflichtung auferlegen, seinerseits derartige Mitglieder des Ausschusses zu beseitigen. Meine Herren, ich halte das für eine Aufgabe, die das Oberbergamt un—⸗ möglich erfüllen kann. Sie würden auch dadurch, daß Sie dem Ober⸗ bergamt eine derartige Aufgabe auferlegen, seine Stellung, die doch eine Vertrauensstellung zu beiden Parteien, Arbeitgebern und Arbeit⸗ nehmern, sein soll, erheblich erschweren und verschlechtern. Ich habe bereits in der Kommission, als ein ähnlicher Antrag vorbereitet wurde, hervorgehoben, daß zum allermindesten eingesetzt werden müßte, daß eine solche Beseitigung aus dem Ausschuß auch durch das Oberberg⸗ amt nur vorgenommen werden könnte, wenn dies von den Arbeit. gebern beantragt sei. Auch hierauf ist man in der Kommission nicht eingegangen und, wie ich sehe, auch hier nicht in dem Antrage der Herren Freikonservativen. Diese Verpflichtung, die dem Oberbergamt

verlangten. Es war da auf seiten der Arbeiter niemand da, den wir bei den kontradiktorischen Verhandlungen als ihren Vertreter ansehen

hier auferlegt wird, ist für mich derartig entscheidend, daß ich meiner⸗

seits bitten möchte, von dem ganzen Vorschlag gütigst Abstand nehmen

zu wollen.

Ich wiederhole hier auch noch, was ich in der Kommission wieder⸗

holt gesagt habe: meine Herren, reglementieren Sie hier nicht zu

weit! Wenn Sie Mitglieder in den Ausschüssen haben, die sich offen⸗

bar feindselig zu dem Arbeitgeber stellen, so hat der Arbeitgeber jeder⸗

zeit die Möglichkeit, ein solches Mitglied aus der Arbeiterschaft zu

beseitigen und damit auch aus dem Ausschuß. (Abg. Hilbck: Und

dann ist sofort der Streik da) Das ist das natürliche Mittel, das

überall angewendet ist, und das auch hier vollstãndig ausreichend wäre.

Meine Herren, was nun noch die weiteren Bestimmungen in dem

§ 80f betrifft, so habe ich auch noch verschiedene Bitten, die Kom⸗

missionsbeschlüsse zu reformieren. Zunächst ist es das öffentliche Wahl⸗

recht, das Sie konstruiert haben. Meine Herren, auch hier kann ich

nur wiederholen, was ich auch in der Kommission bereits ausgeführt

habe: ich halte es für völlig undenkbar, daß man ein Wahlrecht, das

durch das Berggesetz von 1892 für die Ausschüsse konstruiert ist, im

Jahre 1905 rückwärts revidiert. (Sehr richtig! im Zentrum.) Meine

Herren, ich habe von jeher den Standpunkt vertreten und auch hier

ausgesprochen, man soll auf sozialpolitischem Gebiete mit seinen Maß⸗

nahmen vorsichtig sein, weil es auf diesem Gebiete niemals ein Rück⸗

wärts gibt. Ein derartiges Rückwärts ist auch hier unmöglich, und

ich hoffe, daß sich eine Mehrheit in diesem hohen Hause finden wird,

die aus diesen rein politischen Gründen, aus der politischen Unmög— lichkeit, eine derartige Rückwärtsrevision stattfinden zu lassen, sich dazu verst'hen wird, die geheime Wahl an die Stelle zu setzen, die, wie gesagt, im Jahre 1892 eingeführt worden ist. (Sehr richtig! im Zentrum.) Ich halte es für uns undenkbar, einer Annahme des öffentlichen Wahlrechts zuzustimmen.

Meine Herren, und dann noch eine weitere Bitte: erwägen Sie nochmals, ob dann die weiteren Beschränkungen, die Sie für das Wahlrecht der Ausschußmitglieder eingesetzt haben, nicht viel zu weit gehen. Sie haben eine zweijährige Anwesenheit auf dem Werk für das aktive Wahlrecht gewählt, eine vierjãhrige Frist für das passive Wahlrecht. Sie baben sich dabei gestützt auf die Bestimmungen bei den Gruben in Saarbrücken, wo noch viel längere Fristen bestünden. Ich habe Ihnen bereits in der Rommission gesagt und muß das hier wiederbolen, daß Saarbrücken mit Westfalen nicht zu vergleichen ist. In Saarbrücken gibt es nur eine einzige Stelle, an der Bergarbeiter Unterkunft fi den: das ist die Königliche Direktion, das sind die Königlichen Gruben. Meine Herren, wer Bergarbeiter ist und Arbeit in dem Distrikt sucht, kann nirgendwo anders sein; mehr als 90 aller Bergarbeiter sind lange, lange Jahre in der Königlichen Verwaltung, wenn auch nicht auf demselben Werke. In Westfalen ist der Wechsel ungemein groß. Das liegt daran, daß ein Zuzug vieler fremder Arbeiter fort⸗ während stattfindet, und es liegt in der großen Zabl der Werke. In Westfalen gibt es Gruben, in denen über 100 ½ Wechsel im Jahre stattfinden. Nicht alle Arbeiter wechseln, aber es gibt Werke, wo die dauernden Arbeiter kaum 25 bis 30 übersteigen; und wenn Sie diese Arbeiter noch so weit beschränken, wie es die Kommission tat, dann ist die Auswahl zu gering. Sie untergraben den Arbeitern die Möglichkeit, die wirklichen Leute ihres Vertrauens zu wählen, und darauf kommt es doch an. Ich bitte deshalb dringend, diese Fristen mindestens auf die Hälfte zu reduzieren.

Ebenso verhält es sich mit dem Alter. Das Alter von 30 Jahren ist nach unserer Auffassung zu hoch gegriffen. Es ist bereits bervor⸗ gehoben, daß bei den Bergarbeitern insofern andere Verhältnisse existieren als bei den anderen Arbeitern, als die Bergarbeiter eine viel geringere Arbeitslebensdauer haben. Die wenigsten Bergarbeiter über⸗ schreiten das 45. Jahr in ihrer Arbeit auf der Grube. Wenn sie dort auch nicht vollständig invalide werden, so werden sie doch, wie man sagt, bergfertig, sie sind nicht mehr geeignet, im Bergwerk zu arbeiten.

Ich zweifle, daß es möglich sein wird, nach den Aeußerungen aller Parteien bei dieser Lösung eine wesentliche Aenderung dessen zu erreichen, was in den Anträgen verschiedener Parteien niedergelegt ift. Ich bitte Sie dringend, wenn die Beschlüsse dieser Lesung entgegen dem ausfallen sollten, was die Staatsregierung Ibnen vorschlägt, in eine erneute Erwägung zwischen der jweiten und dritten Lesung ein⸗ zutreten, ob Sie sich nicht der Vorlage der Regierung in erböbtem Maße anschließen können, damit die Vorlage in befriedigender Weise zur Erledigung kommt, und damit das erfüllt wird, was weite Kreise im Lande erwarten. (Abg. von Savigny: Bravo!)

Abg. Dip pe (nl.): Es tut mir leid, daß der Abg. von Zedlitz eftern seine Ausführungen in eine Form gekleidet hat, die Derrn eser die Zustimmung zu unserem Antrage verekelt hat. Unser An⸗

trag will präzis und mit wenigen Worten die Zuständigkeit der hieß in aus f hi umschreiben. Ehe wir diesen Antrag gestellt haben, haben wir die Männer der Praxis darüber gehört. Aus den Worten des Herrn von Hevdebrand ging nicht klar genug bervor, was unter dem Verbot der politischen Tatigkeit der Ausschußmitglieder zu ver= stehen sei. Nach der korrekten Auslegung des Herrn von Zedlitz kann darunter nur die Tätigkeit zu versteben sein, die die Pflichten ver⸗ letzt, die ein Ausschußmitglied als solches übernommen hat. Des⸗ halb kann bei unserem Antrage diese Bestimmung überhaupt ge⸗ strichen werden. Es würde übrigens gar nicht genügen, daß ein politischer Hetzer nur aus dem Arbeiterausschuß entfernt würde und dann außerhalb desselben doch seine verhetzende Tätigkeit

fortsetzen könnte. Das Natürliche ist, daß ein solcher Mann aus der Belegschaft überhaupt entlassen wird. Wenn Herr DOeser dagegen Bedenken bat, braucht er ja nur eine Bestimmung ju beantragen, die dem Arbeitgeber das Recht der de,, eines Mannes wegen politischer Betätigung überhaupt nimmt. as hieße: dem Arbeit- geber jeden e,. auf den Arheiterausschuß nehmen; aber so weit können wir natürlich nicht gehen. Die Auflösung des Arbeiter⸗ ausschusses muß offen bleiben, denn was wollen Sie mit einem Arbeiterausschuß anfangen, der dauernd seine Verpflichtungen verletzt? Allerdings besteht die Möglichkeit daß, wenn ein Ausschuß aufgelöst wird, dleselben Leute immer wieder gewählt werden. Da ermöglicht es die Suspendierung des Ausschusses auf drei Jahre, erst wieder eine Zeit der Ruhe eintreten zu lassen. Wenn wir den obligatori— schen Arbeiterausschüssen zustimmen,. tun wir es nicht aus Furcht vor der Regierung oder dem Reichstag, sondern in der Hoff⸗ nung, daß sie vielleicht zum sozialen . dienen können. Aber wir können nicht die Hand dazu bieten, Einrichtungen zu schaffen, welche die ohnehin schon schwierige Lage der Arbeitgeber noch mehr erschweren. Wir müssen eine gewisse Garantie haben, daß die Arbeiterausschüsse dem Frieden dienen, und diese Garantie sehen wir darin, daß wir das wablfähige Alter auf dreißig Jahre bemessen, damit Leute gewählt werden, die nicht mehr den Einflüsterungen von Agitatoren folgen. Ebenso ist es erforderlich, daß die Leute, die wählen. dürfen, schon eine gewisse Zeit auf der Grube beschäftigt sein müssen. Die Leute, die von einem Betriebe zum andern laufen, können wir nicht für die Zusammensetzung der Arbeiterausschüsse mitwirken lassen. Die Mehrheit meiner

Freunde stimmt für die geheime Wahl, damit die Arbeiter in der

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