Groß hanbdelspreise von Getreide an deutschen und fremden Börsenplätzen für die Woche vom 22. bis 27. Mai 1905 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. Zusammengestellt im Kaiserlichen Statistischen Amt. 1000 kg in Mark. (Preise für greifbare Ware, soweit nicht etwas anderes bemerkt.)
Woche Da⸗ 22. 27. gegen Mai or⸗ 1905 woche Berlin. guter, gesunder, mindestens A112 g das 1. 156,50 153,23 . ö el ö. i 755 7 das 1. 177,54 175,55 Safer, = ö 1450 g das 1. 140,88 141,33 Mannheim. . Roggen, Pfälzer, russischer, bulgarischer, mittel .. 161,25 ; Wr. . . amerik., rumän., mittel. 187,90 186,50 gi. gi er, wüntteimbergifcher mittel... 166 25 106 35 erste, badische, Pfälzer, mittel.... . 171,88 171,88 Wien. . . JJ 131,98 134,5 . 3 9 JI 168, 66 17250 afer ungart 1 120,91 124,33 e 144 66 144; J 142,20 143,07 Budapest. k d / 123.32 . . K J 155,75 156525 Hel. , in. 1e. w ; 18 gehe . ö 131,B77 133,55 O dessa. an, . ,,,, 107,22 105,25 2 nile, ,, 128,50 127, 84 Riga. J 110,08 110,18 X 9 ö . ö 131,34 131,01 ö 132 15 130 24 ö lieferbare Ware des laufenden Monats s 15536 266 s Antwerpen. 1 ../) 141,24 138,77 d 146,11 144,45 e 1 1436
i J — ;
. en d 164,22 152, 16 150,16 148,34 J 143,10 143,07 1 ö 120, 13 119,37
d,, 20,
Roggen 9. Fd 133550 122 15
; e 156,52 156,96 Weiten ⸗ JJ 176,35 174,565
)) 100,2 99,93 J lõs g I London.
; ; iß! 154,53 154,46 Weizen 6 4 en,, 163 233 15332 Weijen englisches Getreide, 145,40 144,94
ö Mittelpreis aus 196 Marktorten 135,07 133, 19 3 (Gazette averages) 137, 33 139, 14
Liverpool. 111 151,45 149, 96 ö 151,92 150,21
J 144,86 144,32 ö 145,11 142,21 J 154,85 153,72
e 15050 14416
k 107,39 105577
. dd 29, 95 97,78 JJ le s Uiöizs
Chieago. 1 159, 43 148,30
Weizen, Lieferungsware Juli ... ...... 139,36 135,27
J 128,05 125,55
Mais . . 99,93 87,58 Neu York.
JJ 167,62 155, 25
; 1 164,61 152, 54
Weinen J gieferungs ware Tait... 146,76 143,03 1, 134,B73 132,50 Mais ; . hö 66 I. Hõ Buenos Aires. ö .
Weijen! 8G. 38 . ] k ͤ 6 15 70 363
Bemerkungen.
1 Imverial Quarter ist für die Weizennotiz an der Londoner Pro- duktenbörse — 504 Pfund engl. gerechnet; für die aus den Umsaͤtzen an 196 Marktorten des Königreichs ermittelten Durchschnittspreise für einheimisches Getreide (Gazette averages) ist 1 Imperial Quarter Weljen — 480, Hafer — 312, Gerste — 400 Pfund engl. angesetzt. 1Bufhel Weizen — 60, 1 Bushel Mais — 56 Pfund englisch; 1 Pfund englisch — 455,5 g; 1 Last Roggen — 21009, Weizen — 2460, Mais — 2000 Eg.
Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einzelnen Tagesangaben im Reichsanzeiger“ ermittelten wöchentlichen Durchschnittswechselkurse an der Berliner Börse ju Grunde gelegt, und zwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, für London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und Neu Jork die Kurse auf Neu York, für Odessa und Riga die Kurse auf St. Petersburg, für Paris, Antwerpen und Ansterdam die Kurse auf diese Plätze. Preise in Buenoz Aires unter Berücksichtigung der Goldprã mie.
Deutscher Reichstag. 193. Sitzung vom 30. Mai 1905, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet.
Nach dem Abg. Storz ergreift das Wort der ;
Abg. Singer (Sei): Ich kann meine Verwunderung darüber nicht unterdrücken, daß seitens des Bundesrats keine Schritte getan
werden, um die Reichstagsmitglieder dahor zu bewahren, daß ihnen durch irgend einen preußischen Amtsrichter so mitgespielt wird. Es hätte dem Reichskanzler wohl angestanden, zu veranlassen daß die Schuldigen auf die Anklagebank gebracht würden oder onft die ent⸗ sprechende Rüge erfuhren. Der Bundesrat sollte sich doch enblich n . daß * 6 . des Reichstags, des gleich⸗ berechtigten Faktors zu schützen hat.
3 Büsing ul ig liegt zweifellos ein grober Verstoß gegen Art. 31 der Reichsverfassung vor. ch muß meiner Ver— wunderung darüber Ausdruck geben, daß am Bundesratetische weder der Reichskanzler, noch irgend einer seiner Vertreter anwesend ist, um das ern,. Vorkommnis zu vertreten. Wir werden einmütig für den Kommissionsantrag stimmen.
Abg. Jessen 7 Bei der einstimmigen Meinung des Hauses könnte ich den ich darauf verzichten, noch ein Schlußwort hinzuzufügen. Ich bin aber gezwungen, Ihre ufmerksamkeit noch in dieser vorgerückten Stunde (Heiterkeit) in Anspruch zu nehmen. Es ist mir der Vorwurf gemacht worden, daß ich den Reichstag unrichtig unterrichtet hätte, und das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Herr Stockmann hat diesen Vorwurf erhoben; in der dänischen Feptilienprefse hieß es schärfer, ich hätte den Reichstag getäuscht. Der Redner geht darauf sehr ausführlich auf die früheren Auslasfungen des Abg. Stockmann über den Vorfall in Gravenstein ein und kommt auf seine eigene frühere Darstellung zurück. Es sei u. a. verschwiegen worden, daß zwei Beamte einen dänischen Wahlmann überfallen hätten. Die Darstellung des Abg. Stockmann sei einseitig, er sei der Mandatar des Deutschen Vereins für Nordschleswig, die Mitglieder dieses Deutschen Vereins seien die Provokatoren gewesen.
Abg. Do ve fr. Dh) beschränkt sich auf die Erklärung, daß seine Freunde sich in der Auffassung des Geschehenen mit sämtlichen vorher gegangenen Rednern in Uebereinstimmung befänden, Hoffentlich gelte von den Parteien, die sich noch nicht geäußert haben, das qui tacet consentire videtur. ; ö
Abg. Stockmann (Rp): Auch wir sind bereit, für die Im⸗ munität der Reichstagsabgeordneten einzutreten und für den Vor⸗ schlag der Kommission zu stimmen. Der Abg. Jessen hat uns lang und breit unterhalten über eine angeblich falsche Darstellung von meiner Seite über Vorgänge bei einer Wählerversammlung in Gravenstein. Meine Quelle war eine . seine eine dänische Die meinige mag etwas eng, gefärbt sein, die seinige ist sichtlich dänisch gefärbt. Der Fall selbst wird., den Reichstag nicht interessieren. Herr Jessen behauptet, ich sei Mandatar des Deutschen Vereins für Nordschleswig. Ich stelle fest, daß ich in keinerlei Beziehung zu diesem Verein stehe, ich verfolge mit dem größten Interesse seine Wirksamkeit, wie jeder Deutsche nait dem größten Interesse die Bestrebungen verfolgt, das Deutschtum zu stärken und es gegen Angriffe von dänischer Seite zu verteidigen. Weiter reichen meine Beziehungen zu diesem Verein nicht. Ich weiß nicht einmal, wer dessen Vorsitzender ist. Herr Jessen sprach fort⸗ während von der Reptilienpresse, ich weiß nicht, was er darunter ver⸗ steht, er hat keine einzelnen Blätter gengnnt, nur die Samburger Nachrichten.. Dieses Blatt steht jedenfalls so intakt da, daß es über jeden Verdacht erhaben ist, von der Regierung unterstützt zu werden. Uebrigens follte man solche Vorwürfe nicht erhehen, wenn man nicht selbst intakt ist, und ich möchte den Abg. def fragen, wie viel Subsidien denn er aus Dänemark empfängk für seine Presse. ;
Abg. es sen (Dane): Ich habe nicht die Hamburger Nachrichten als von der deutschen Regierung abhängig bezeichnet, sondern ausdrücklich die ‚Schleswigsche Grenzpost“ genannt, außerdem könnte ich auch den „Reuen Apenrader Anzeiger nennen. In bezug auf die Frage, wie viel Subsidien ich für das von mir herausgegebene Blatt aus Dänemark beziehe, kann ich dem Abg. Stockmann mitteilen, 4 eine Zeitung, die 8 bis 9000 Abonnenten hat, keiner Subsidien bedarf und deswegen auch keine bekommt. Im übrigen danke ich dem Deutschen Reichstag, daß er sich so einmütig des Rechtes der Abgeordneten an⸗ genommen hat. .
. Antrag der Kommission gelangt ein stim mig zur An— nahme.
Präsident Graf von Balꝛnvst rem: Meine Herren, ich glaube, daß wir uns dem Ende unserer Tätigkeit in dieser Session nähern. Die Uebersicht über unsere Geschäftstätigkeit werde ich drucken und dem stenographischen Bericht beifügen lassen ; .
Abg. von Normann (d. kons): Wie wir gehört haben, stehen wir dicht vordem Schluß einer ganz besonders langen und arkeits reichen Tagung, in der wiederum unser hochverehrter Herr Präsident unsere Ver⸗ bandlungen hier mit der ihm eigenen großen Geschästskenntnis, Unparteilichkeit und Liebenswürdigkeit geleitet hat. Ich weiß, daß ich in Ihrer aller Namen spreche, wenn ich dem Herrn Präsidenten unseren aufrichtigsten und herzlichsten Dank ausspreche.
Präsident Graf von Ballestrem: Der Dank, den der Herr Abg. don Normann mir soeben ausgesprochen hat, und Ihre freundliche Zustimmung dazu, bat mich mit lebhafter, freudiger Genugtuung erfüllt. Wenn es mir gelungen ist, auch in dieser Session die Geschäfte des Reichstags zu Ihrer Zufriedenheit zu führen, so verdanke ich dies vor allem Ihrer allseltigen freundlichen kollegialischen Unterstützung. Für diese am Ende der Session meinen tiefgefühltesten Dank aus— jusprechen, ist mir ein Bedürfnis. Ein großer Teil des Verdienstes für die richtige Geschäftsfuührung entfällt aber auch auf meine ver ehrten Mitarbeiter im Vorstande, besonders auf die beiden Herren Vizepraͤsidenten, ferner auf die Herren Schriftführer und Quästoren. Ich muß daher einen großen Teil des Dankes, den Sie mir aus— gesprochen haben, diesen verehrten Herren zuwenden. Ich erteile nunmehr das Wort zur Mitteilung einer Allerhöchsten Botschaft dem Herrn Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär Dr. Grafen von Posadowsky.
Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:
Ich habe dem hohen Hause eine Kaiserliche Botschaft mitzuteilen. (Die Mitglieder des Hauses erheben sich, während die Sozial⸗ demokraten den Saal verlassen). Die Botschaft lautet:
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen, tun kund und fügen hiermit zu wissen, daß Wir Unseren Staatsminifter, Staatssekeetär des Innern Grafen von Posa⸗ dowsky⸗Wehner ermächtigt haben, gemäß Artikel 12 der Verfassung die gegenwärtige Sitzung des Reichstags in Unserem und der ver⸗ bündeten Regierungen Namen am 30 Mai dieses Jahres zu schließen.
Urkundlich Unserer Höchsteigenen Unterschrift und beigedruckten Kaiserlichen Insiegels gegeben Neues Palais, den 30. Mai 1905.
Wilhelm. Bülow.
Auf Grund der mir von Seiner Majestät dem Kaiser erteilten Allerhöchsten Ermächtigung erkläre ich hiermit namens der verbündeten Regierungen den Reichstag für geschlossen.
Präsident Graf von Ballestrem: Meine Herren, wir aber trennen uns mit den Gefühlen der Treue und Liebe und Ergebenheit gegen das Allerhöchste, erhabene Reichsoberhaupt. Wir geben diesen Gefühlen Ausdruck, indem wir rufen: Seine Majestät der Kaiser und König Wilhelm II. von Preußen lebe hoch!
(Die Versammlung stimmt dreimal in den Hoch⸗ ruf ein.)
Ich schließe die Sitzung.
Schluß gegen 3 Uhr.
begeistert
Preußischer Landtag. Herren haus. 40. Sitzung vom 30. Mai 1905, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Auf der Tagesordnung steht zunächst die Beratung von Petitionen.
Graf von Keyserlingk berichtet über vier Petitionen, die wünschen: 1) me, m. der Ortsschulaufsicht auf die Geistlichen; 2) Wahrung des christlich⸗konfessionellen Charakters der Volksschule; 3) Zustimmung zu einem Gesetzentwurf, betreffend die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen, im Sinne des von den Abgg. D. Hacken= berg, Dr. von Heydebrand und Freiherrn von Zedlitz im Abgeordnetenhause eingebrachten Antrages; ö gesetzliche Festlegung der Konfessionalität der Volksschule ohne Beeinträchiigung der jetzt bestehenden Simultanschulen und um Sicherstellung des aus kirch-⸗ lichen Quellen stammenden Vermögens und Einkommens vereinigter Kirchen, und Schulstellen für die Kirchengemeinden. Die Petitions⸗ kommission beantragt die Ueberweisung aller vier Petitionen an die Regierung als Material, Nr. 1 und 4 mit Rücksicht auf die , der Regierung, einen besonderen Gesetzentwurf über die Volks⸗« schule im 3. vorzulegen. .
Das Haus tritt den Anträgen seiner Kommission bei.
Es folgt der mündliche Bericht der Kommission für Agrarverhältnisse über den Gesetz entwurf, betreffend die Verwaltung ,, Jagdbezir ke.
Berichterstatter Herr von Rheden beantragt, folgende Resolution anzunehmen: -
„die Regierung zu ersuchen, Bestimmungen zu treffen, welche für 1. ite n erf, . ( a, ; Jagdordnung dem Kreis⸗ ausschuß ein Au recht gewährleisten‘, ö und die von der Kommission abgeänderten Beschlüsse des Abgeordnetenhauses zu genehmigen.
Die Agrarkommission hat zu 84 beschlossen, daß die Ver⸗ pachtung an den Meistbieten den zu erfolgen hat, daß die Verpachtung nicht an mehr als drei Personen erfolgen ö. (Abgeordnerenhaus: solh, daß die Pachtzeit mindestens au 6 Jahre festgesetzt werden muß und gers auf 18 Jahre normiert werden darf, und daß Weiterverpachtungen ohne Genehmigung des Verpächters nicht gestattet sind, während das Abgeordnetenhaus noch eine Genehmigung des Kreis⸗ bezw. Bezirksausschusses forderte.
Die Kommission hat ferner das Recht des Widerspruchs egen den Pachtvertrag in 6 gestrichen und S5 völlig umge⸗ taltet. Er lautet jetzt:
Im besonderen Interesse der Jagdgenossenschaft kann mit Genehmigung des Kreisausschusses, in Stadtkreisen des Bezirke⸗ ausschusses: ö
I) die Mindestdauer der Pachtzeit bis auf 3 Jahre herabgesetzt,
2) die Verpachtung freihändig oder in einem vorher beschränkten Kreise von Bietern vorgenommen, .
3) der Zuschlag versagt oder an einen andern Bieter als den Meistbietenden erteilt werden.“
In 89 ist folgender Satz eingefügt worden: „Soweit die Erträge der Jagd bisher nach ge. licher Vorschrift zu Gemeinde⸗ zwecken zu verwenden sind, behaͤlt es hierbei sein Bewenden.“
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten von Podbiels ki:
Meine Herren! Ich möchte in diesem Moment dem hohen Hause gegenüber mit Wärme dafür eintreten, daß die Herren die Vorlage, wie sie jetzt aus dem Abgeordnetenhause hier wieder vorliegt, annehmen mögen und es nicht nochmals für erforderlich erachten, den Gesetzentwurf erneut dem Abgeordnetenhause mit Abänderungen zu⸗ gehen zu lassen. Es ist mir von verschiedenen Seiten entgegengehalten worden — und ich kann dies sehr wohl verstehen, warum überhaupt an der Jagdgesetzgebung Aenderungen vorgenommen werden sollen — man solle doch die Materie ruhen lassen; es würden Geister geweckt, die man lieber schlafen lassen solle. Dem⸗ gegenüber halte ich mich für verpflichtet, nochmals den Herren hier vorzuführen, in welche schwierige Lage wir jetzt gekommen sind. Zu⸗ nächst hat das Reichsgericht auf Grund des Bürgerlichen Gesetzbuchs entschieden, daß, sofern nicht landesgesetzliche Bestimmungen die Schriftform vorschreiben, Jagdpachtverträge nicht schriftlich abgefaßt zu werden brauchen. Meine Herren, ich frage Sie, was soll daraus werden? Wir stehen hier vor einem einfach unhaltbaren Zustand. Ich verstehe nicht, ob man glaubt, daß wir damit auskommen können, wenn der Bauer, der sich gewöhnlich doch nicht klar ausdrückt, einen Jagdvertrag mündlich abschließt. Ich halte es für völlig ausgeschlossen, daß auf diese Weise dauernd befriedigende Verhältnisse erhalten werden können. Aber auch nach anderen Richtungen haben sich — ich glaube, das habe ich in der Kommission selbst ausgeführt und auch meine Herren Kommissare haben es verschiedentlich dargelegt — leider auf diesem Gebiete Verhältnisse entwickelt, die ein Eingreifen er— heischen, und zwar deshalb, weil die Ortsvorstände nach der Lage der jetzigen Gesetzgebung nicht angehalten werden können, nach dieser oder jener Richtung hin den Anweisungen der Behörden zu folgen, sondern in
ihren Entschließuugen vollständig frei sind. Ich habe das schon im anderen Hause angeführt. Es sind zum Beispiel Fälle vorgekommen, daß, wenn ein Besitzer einen Hof in
einem Dorfe hat, die anderen Interessenten aber nicht wünschen, daß er sich an der Jagdpachtung mitbeteiligt, dann wird einfach in den Jagdvertrag mit aufgenommen: der Besitzer des Hofes und seine Angestellten dürfen bei der Jagd nicht mitbieten. Das ist doch ein Zustand, der zweifellos nicht aufrecht erhalten werden kann; aber nach der jetzigen Gesetzgebung ist die Aufsichtsbehörde nicht in der Lage, einen solchen Ausschluß als ungesetzlich zu bezeichnen; obwohl der Betreffende dert Steuern bezahlt, ist er nicht berechtigt, bei der Ver⸗ pachtung der Gemeindejagd mitbieten zu können.
Auch ein anderer Fall ist noch typisch, meine Herren. Ein Orts- vorsteher verpachtete die Jagd von einem Zeitpunkt ab, in dem seine Wahlperiode bereits abgelaufen sein wird. Er hat nämlich im Jahre 1903, kurz vor Ablauf seiner Wahlperiode, eine Jagd verpachtet vom 1. Juli 1906 ab — und nebenbei nech an eine Persönlichkeit, die sehr viel Ausständen begegnete — und ist 1903 nicht wiedergewählt. Trotzdem aber hat er die Gemeinde zu diesem Vertrage vempflichtet.
Das sind doch Verhältnisse, meine Herren, die meiner Meinung nach nicht gestatteten, die Materie ruhen zu lassen, sondern die dazu zwangen, sie so zu regeln, wie es den berechtigten Forderungen der Interessenten entspricht. Durchaus unberechtigt ist es, wenn mir als Landwirtschaftsminister vorgeworfen wird, daß ich in dem vorgelegten Gesetzentwurf, wie es in der Presse heißt, die Bauern unter Vormunbschaft stellen will. Nicht darum handelt es sich, sondern darum, geordnete Rechtsverhältnisse innerhalb der Jagdinteressentenschaft zu schaffen, und das allein, meine Herren, ist mit der Vorlage beabsichtigt.
Nun gebe ich gern zu, daß der eine nach seinen Erfahrungen in seiner Gegend den einen Wunsch für Sie Ausgestaltung des Gesetzes hat, und ein anderer nach seinen Erfahrungen einen anderen Wunsch. Es ist aber nur möglich, hierbei gewisse allgemeine Grundsätze fest⸗ zulegen, und die bestehen in der Hauptsache darin, daß die Befugnisse des Jagdverwalters fest umschrieben werden und daß eine Aufsichts behörde mit bestimmten Rechten geschaffen wird. Ich glaube, meine Herren, daß das wahrlich nicht ein Eingreifen in die Rechte der Interessenten⸗ schaften ist, sondern daß das nur einen Schutz der Rechte der Jagd⸗ interessenten bedeutet.
Meine Herren, die Vorschläge, etwa einen Jagdvorstand wählen zu lassen, sind früher schon a limins von dem hohen Hause zurück— gewiesen worden. Die Regelung dieser Wahl würde, wie ich auch im Abgeordnetenhause ausgeführt habe, eins der schwierigsten Probleme sein; denn man muß davon ausgehen, daß der kleinste Grundbesitz, der vielleicht nsao eines Morgens beträgt, die Basis bildet bei der Berechnung der abgegebenen Stimmen. Im nächsten Jahre wird davon vielleicht noch ein Drittel abperkauft und dann ist wieder selbst dies kleine Stück die Basis für die Wahl; denn sonst würde man ja immer einen Teil der Interessenten von der Wahl ausschließen, und das ist ja doch nicht die Absicht. Was sodann den gemachten Vorschlag an— geht, zur Wahl des Jagdvorstands nur Leute mit mindestens zehn Morgen zuzulassen, so gibt es Ortschaften, in denen nur ein einziger Besitzer über zehn Morgen hat und die übrigen weniger; dann würde ja der eine nur wählen, und auch das ist doch nicht gerechtfertigt.
Also alle diese Vorschläge haben sich als nicht ausführbar er wiesen. Man muß sich vielmehr auf den Standpunkt stellen, daß der Ottsvorsteher der geborene Jazdvorstand ist, der unter die erforder⸗ liche Aufsicht zu stellen ist. Die Herren im Abgeordnetenhause haben ja auch schließlich diesem Gedankengange zugestimmt.
Man hat dann auch angekämpft gegen den im Gesetzentwurfe ausgesprochenen Grundsatz der meistbietenden Verpachtung. Ich gebe zu, daß dagegen mancherlei Bedenken vorliegen, und die meistbietende Verpachtung ist ja auch nicht als Prinzip in dem Gesetz beibehalten, sondern nur als eine der verschiedenen, gleichberechtigten Modalitäten zugelassen worden.
Nach dem, was der Herr Präsident hier zur Verlesung gebracht hat, sind zwei Abändecungen des Entwurfs beabsichtigt, von denen ich ja zugeben will, daß sie für das Gesetz eine Verschönerung bedeuten denn sie stellen noch klarer, was der Gesetzgeber beabsichtigt, indem im § 5 in der jweiten und der vierten Nummer hinzugefügt werden soll; Mit Genehmigung des Kreisausschusses. Ich bin der Ansicht, daß es nach der gestrigen Erklärung des Herrn Kommissars des Ministers des Innern in der Agrarkommission nicht notwendig ist, diesen Zusatz zu machen. Nach dieser Erklärung ist die Aufsichts— behörde berechtigt und verpflichtet, darüber zu wachen, daß der Jagd— vorsteher die Geschäfte nach Maßgabe des Gesetzes führt.
Wenn es nun in dem Passus 2 des § 5. heißt:
die Verpachtung der Jagd auf demselben Jagdbezirke soll in der Regel nicht an mehr als drei Personen gemeinschaftlich erfolgen, jedoch kann dieselbe im Interesse der Jagdgenossenschaft auch an
mehr als drei Jagdpächter oder an eine Jagdgesellschaft (Verein,
Genossenschaft) von nicht beschränkter Mitgliederzahl vorgenommen werden; so ist damit ausgesprochen, daß eine Verpachtung an mehr als an drei Personen nur erfolgen kann, wenn dieses im Interesse der Jagd—
genossenschaft liegt, und daß die Aufsichtsbehörde befugt ist, dem Ab.
schluß des Vertrages an mehr als drei Personen entgegenzutreten, wenn diese Voraussetzung nicht zutrifft. Da ist also nun nach den in der Kommission abgegebenen Erklärungen der Landrat immer befugt, zu entscheiden, ob eine solche Verpachtung im Interesse der Genossen⸗ schaft liegt, und es ist nicht nötig, das noch in das Gesetz hinein⸗ zubringen. Dat, was Sie wollen, stellt die Sache vielleicht klarer, es ist nur die Fraze, ob es praktisch ist, in diesem Momente noch
einen Zusatz zu beschließen und damit die Notwendigkeit zu schaffen,
daß die Vorlage nochmals an das andere Haus zurückgeht, damit auch das Abgeordnetenhaus seine Zustimmung zu der Aenderung gäbe.
Dann war noch eine Abänderung im 5§ 9 beabsichtigt. Da wünschen die Herren in ihrem Antrage, daß die ergehende Entscheidung eine endgültige sei, wie das auch schon in dem ursprünglichen Ent— wurfe vorgesehen war. Ich verstehe dieses Verlangen sehr wohl, da es erwünscht ist, daß möglichst bald eine klare Rechtslage geschaffen wird. Es spricht vieles für die Sache, allerdings auch manches dagegen. Man hat im anderen Hause den Zusatz beschlossen, weil im Westen vielfach Kreisausschüsse bestehen, in denen gar keine ländlichen Vertreter sitzen. Darum also hat man noch die Möglichkeit schaffen wollen, die Sach-! an den Bezirksausschuß bringen zu können, und dieser Erwägung ist eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen. Aus diesem Grunde möchte ich die Herren bitten, eine Aenderung des 9 nicht vorzunehmen.
Das wären die Punkte, die ich auszufähren hätte, und ich möchte nochmals die Bitte aussprechen, wenn möglich, das Gesetz in der Fassung, wie das Abgeordnetenhaus es Ihnen zugesandt hat, anzu— nehmen.
Herr Dr. von Quistorp: Durch Aenderungen an den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses würden wir die Vorlage gefährden. Deshalb habe ich Wiederherstellung dieser Beschlüsse beantragt. Jedoch wollen wir vermeiden, daß der Landrat gegen eine Verpachtung opponiert und ein Jagdgenosse an den Regierungspräsidenten rekurrlert. Des⸗ ö. wollen wir hier an die Stelle des Landrats den Bezirksausschuß etzen.
Damit schließt die allgemeine Besprechung.
5 1— werden nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses unverändert angenommen, ebenso 4 unter Ablehnung der Kommissionsbeschlüsse nach dem Antrag Quistorp.
i S5 beantragt Herr Dr. von Quistorp Wieder— herstellung der Beschlüsse des Abgeordnetenhauses mit der Aenderung, daß bei Verpachtungen an mehr als drei Personen und Verpachtungen über 12 Jahre hinaus die Genehmigung des Kreis- bezw. Bezirksausschusses nötig ist.
Der Antrag wird angenommen, ebenso der Rest des Ge⸗ setzes ohne Debatte nach den Beschlüssen des Abgeordneten— u Die Aenderungen der Kommission werden in allen
unkten abgelehnt. Hierauf wird der Entwurf im ganzen sowie die von der Kommission beantragte Resolution an⸗ genommen. .
Für die elfte Kommission berichtet über den Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten,
die Untersuchung des beamteten Arztes bei
hach auszunehmen,
allfieber und Rotz nur bei Erkrankung und Todesfall,
nicht beim Verdacht dieser Krankheiten zuzulassen (5 6), dem Staate die Kosten für die von der lar ichte ber k⸗ vor- genommenen Vorbeugungsmaßregeln nur aufzulegen, wenn die
Anordnung als rechtlich unzulässig‘ aufgehoben wird (8 32), und strafbar zu machen, wer wissent lich“ (Abgeordneten haus: schuldhaft) unrichtige Angaben macht (5 35).
3 . einige Anträge vor.
u s 32 beantragt Oberbürgermeister Körte⸗Königs— berg, zu 8 385 Professor Dr. Loen ing Wiederherstellung der Beschlüsse des Abgeordnetenhauses.
Freiherr Lucius von Ballhausen beantragt zu ö 1, jeden Fall, welcher den Verdacht von Kindbettfieber oder
yphus erweckt, von der Anzeigepflicht auszunehmen, und zu S6, in den gleichen Fällen dem beamteten Arzt den Zutrltt zu versagen.
Graf von Oppersdorff beantragt, in 88 1 und 6 die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses wiederherzustellen.
Graf von Haeseler will für Syphilis, Tripper und Schanker eine zwangsweise Behandlung der erkrankten weiblichen Perfonen egg in anordnen, nicht nur der gewerbsmäßig Unzucht Treibenden.
Graf von Lesezynski: Das Gesetz ist auf dem Lande un— aufführhar. Denn wo soll man einen Kossäten ifolieren? Das Wesentliche ist, die erste Hilfe zu schaffen. Biefe können wir aber
nicht schaffen, wenn wir nicht genügend Räume haben. Daher bitte ich, das Gesetz abzulehnen. 9 ᷣ
Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal— angelegenheiten Dr. Studt:
Meine Herren! Der verehrte Herr Vorredner geht in seiner ersten Befürchtung von der Voraussetzung aus, daß der vor—
liegende Gesetzentwurf etwas ganz Neues in bezug auf Seuchenbekämpfung herbeiführt. Das ist durchaus nicht der Fall. Ich habe schon früher darauf hingewiesen,
daß das Regulativ vom Jahre 1835 nahezu dieselben Bestimmungen hinsichtlich der Absonderung von Kranken vorsieht; sie sind jetzt nur genauer präzisiert und dem Stande und den Anforderungen der modernen Wissenschaft entsprechend begrenzt worden. Ich mache darauf aufmerksam, daß hierdurch hinsichtlich der Verpflichtung der Gemeinden und Gutsbezirke zur Durchführung der Ab— sonderung von Kranken usw. absolut keine Aenderung und Erschwerung eintritt. Im Gegenteil, es tritt eine Erleichterung ein, und diese Erleichterung liegt — dies bemerke ich gegenüber dem zweiten Bedenken, das der verehrte Herr Vorredner hervorgehoben hat — insbesondere auf finanziellem Gebiete. Ebenso ist die Be— lastung der Gemeinden durch die von dem verehrten Herrn Vorredner betonte Notwendigkeit eines schleunigen Eingreifens der Medizinalbeamten und einer sofortigen Konstatierung von ansteckenden Krankheiten jetzt ganz außerordentlich erleichtert, und zwar dank dem Entgegenkommen des Herrn Finanzministers. Wenn die Herren die Güte haben wollen, sich FS 25 der Vorlage anzusehen, werden Sie finden, daß die Kosten der ersten Fest⸗ stellung von ansteckenden Krankheiten jetzt der Staat übernimmt, während sie nach dem gegenwärtigen und bisherigen Zustand der Gesetzgebung ausschließlich den Gemeinden und Gutsbezirken zur Last fielen. Das ist eine enorme Erleichterung nach allen möglichen Richtungen und für die Staatskasse eine erhebliche Belastung. Es kommt hinzu, daß gerade auf diese Weise die Schleunigkeit des Ein greifens garantiert ist. Bisher hat wohl manche Orts— polizeibehörde alliu ängstlich abgewogen und überlegt, ob sie in leistungsschwachen Gemeinden auf Kosten der Ortschaft einen Arzt hinschicken solle, um Krankheiten zu konstatieren. Jetzt ist die Verwaltung glücklicherweise von solchen Bedenken befreit. Ich möchte also bitten, doch zunächst die Vorlage von einem etwas anderen Gesichtspunkte zu beurteilen, als es hier zum Ausdruck gekommen ist. Ich kann die Vorteile der Vorlage nur noch weiter dahin präzisieren, daß ein erheblicher Teil der Kosten, sowohl was Entschädigungen als was sanitäre Einrichtungen betrifft, welche bisher von den Gemeinden zu tragen waren, durch das Entgegenkommen des Finanzressorts ebenfalls auf den Staat übernommen werden. Der Herr Finanzminister hat sich ferner in dankenswerter Weise bereit erklärt, bei der Bekämpfung der für die Ostprovinzen so sehr gefährlichen Granulose, wo es erforderlich erscheint, fast den ganzen Kostenbetrag, bis zu 6 Siebenteln auf die Staatekasse zu übernehmen. Für leistungsschwache Provinzen bildet dieses Gesetz also eine sehr große Erleichterung. Es kommt endlich hinzu, daß der Dispositionsfonds der Medizinalverwaltung, welcher vorzugsweise dazu bestimmt ist, diesen Zwecken zu dienen, dank dem Entgegenkommen des Herrn Finanzministers für die Zukunft erhöht werden soll.
Wenn Sie sich alle diese Vorteile (vergegenwärtigen und ferner erwägen, daß die Ausgaben für diese Zwecke in der Vorlage genau püiäzisiert sind, während die etwas ver— schwommene Ausdrucksweise des Regulatios von 1835 nicht genügend sichere Anhaltspunkte bot, so werden Sie zweifellos davon überzeugt sein, daß das Gesetz ein erheblicher Fortschritt ist und eine ganz bedeutende Erleichterung zugleich für die Gemeinden bedeutet. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte: wir bedürfen dieses Gesetzes wie des täglichen Brotes. Der bisherige lückenhafte und unhaltbare
Zustand hat gerade in bezug auf die Bekämpfung der Genickstarre in Oberschlesien zu unleidlichen Konsequenzen geführt. Nach dem Regulativ von 1835 sind gewisse Krankheiten,
Genickstarre, Kindbettfieber usw. nicht anzeigepflichtig. Das Kammer— gericht hat aber auch entschieden, daß die Anzeigepflicht nicht im Wege der Polizeiverordnung, sondern nur durch die Gesetzgebung angeordnet werden kann. Diesen Weg beschreitet die Vorlage; also auch nach dieser Richtung hin bedeutet sie einen erheblichen Vorteil.
Ich bitte Sie also dringend um gütige Beurteilung dieser Vor— lage und um Annahme derjenigen Vorschläge, die durch die Kommission dieses hohen Hauses Ihnen unterbreitet sind.
Freiherr Lucius von Zallhausen: Der Staat will viel tun; aber die Gemeinden sollen noch mehr belastet werden. Wir werden unsere Steuern um 150 9 für sanitätspolizeiliche Zwecke erhöhen müssen. Außerdem greift das Gesetz schwer in die perfönliche Frei= heit des einzelnen und sein Hauswesen ein. Um diese Eingriffe zu mildern, wünsche ich, in 5 1 die Anzeigepflicht für Verdacht von Typhus und Kindbettfieber zu streichen. Die Bestimmung 'ist ge— eignet, furchtbare Vexationen hervorzubringen, sowohl gegenüber Aerzten wie Erkrankten und deren Familien. Denn die Medizin ist Erfahrungewissenschaft, in der die Anschauungen des Tages eine große Rolle spielen. Ich erinnere nur an die These, daß durch Fleisch— Ch en tuberkulösen Rindern die Tuberkulose übertragen werde.
ch bitte daher, die nötigen Kautelen zu treffen, um Publikum und
Qberbürgermeister Ehlers ⸗-Danzig. Er beantragt, für Lie derdächtigen Fälle von Rückfallfieber und Rotz die Anzeigepflicht
Aerzte vor unbequemen Belästigungen und die Kommunen vor über— mäßigen Ansprüchen zu sichern.
Graf von Oppersdorff: Ich bin anderer Ansicht als die Herren Vorredner. Das Gesetz spricht nur aus, daß isoliert werden kann, selbstveiständlich nur da, wo es nach den vorhandenen Räumen möglich ist. Vexationen fürchte ich nicht, weil die öffent= liche Aufmerksamkeit den Kreisärzten sehr stark gilt. Die Eingriffe ins Familienleben müssen im Interesse der Allgemeinheit ertragen werden. Nun ist beantragt, das Rückfallfieber aus dem Gesetze zu streichen, weil es sehr selten vorkomme. Aber es kommt darauf an, wenn es einmal auftritt, was es dann, zur Epidemie anwachsend, an⸗ richten kann. Daher wäre es bedenklich, wenn wir es in die Klaffe der ungefährlichen Krankheiten versetzen wollten.
Damit schließt die allgemeine Besprechung.
Zu § 1 begründet
Freiherr Lucius von Ballhausen seinen Antrag mit dem Hinweise darauf, daß 1903 nur 4120 Todesfälle an Kindbettfieber vor⸗ gekommen seien. Das beweise, daß jetzt schon große Fürsorge herrsche.
Graf von Oppersdorff befürwortet seinen Antrag, auch den Verdacht von Genickstarre, Rückfallfieber und Rotz anzeigepflichtig zu machen. Die Zahl von 4120 Todesfällen an Kindbetifieber müäffe er für eine kolossale erklären. Ueber die Genickstarre brauche er als Schlesier kein Wort zu verlieren. Daß ein Arzt nicht ohne begründeten Verdacht zur Anzeige schreiten werde, könne man wohl jedem deutschen Arzt zutrauen.
Geheimer Obermedizinalrat Dr. Kirchner: Ich bitte, den Typhusverdacht anzeigepflichtig zu belassen; die Bekämpfung des Typhus wäre sonst unmöglich. Ebenso bitte ich, die andern vier Krank heiten anzeigepflichtig zu belassen. Insbesondere Rotz und Rückfallfieber sind gefährlich; und was die Genickstarre angeht, so ist sie eine der schlimmsten Epidemien, die wir je gehabt haben. Die Zahl der Fälle ist sehr groß. Daher bitte ich, den Antrag des Herrn Grafen Oppersdorff anzunehmen.
Graf von Seidlitz-Sandreczki: Am besten wäre es schon,
das Gesetz abzulehnen und die Regierung aufzufordern, uns eine Vor— lage zu machen, die sich auf die Ausführung des Reichsgesetzes beschränkt. Im Lande besteht ohnehin schon eine große Beunruhigung, hervorgerufen durch das vielfach unsachgemäße Auftreten der Herren Kreisärzte. Wie soll insbesondere auf dem Lande der Haushaltungs— vorstand kontrollieren, ob Verdacht von Typhus, Rückfallfieber oder Kindhettfieber vorliegt! Der Willkür, dem Klatsche wird dadurch Tür und Tor geöffnet. Ich kann daher nur bitten, wenigstens den Antrag von Lucius anzunehmen. Geheimer Obermedizinalrat Dr. Kirchner: Nach dem Reichs⸗ seuchengesetz und nach der Vorlage wird zwischen Krankheit, Krank— heitsverdacht und Ansteckungs verdacht ausdrücklich unterschieden. Als ansteckungsberdächtig gelten solche Personen, die mit Kranken in Be— rührung waren. Als typhusverdächtig kann man nur jenen bezeichnen, der solche Symptome aufweist, daß man an Typhus denken muß; diese Symptome sind aber durchaus charakteristischer Art. Die Medi⸗ zinalverwaltung kann der wirksamen Waffe nicht entbehren, die in der Anzeigepflicht für die verdächtigen Fälle gegeben ist.
. Professor Dr. Lo ening: Ich bitte Sie, den Antrag Lucius doch nicht anzunehmen. Kindbettfieber und Typhus müssen möglichst rasch getroffen sein, bedenklich aber erscheint mir, daß für die Anzeigung des Verdachts von Kindbettfieber und Typhus nicht nur der Arzt oder die behandelnde Person, sondern unter gewissen Vorauesetzungen auch Laien zuständig sind. Ich werde daher zu 5 2 eine Abänderung be— antragen, die diesen Bedenken gerecht wird.
Graf von Seidlitz; Dem Kommissar möchte ich doch noch entgegenhalten, daß selbst Aerzte sich bei der Diagnose auf Typhus geirrt haben. Jedenfalls würden die Fälle des Typhusverdachts , außerordentlich vermehren, wenn es bei dieser Fässung Mleibt.
Geheimer Obermedizinalrat Dr. Kirchner: Selbstverständlich kann sich auch jeder denkende Arzt irren, aber wir wollen ja gerade diese seltenen Fälle festgestellt wissen.
Der Antrag Oppersdorff wird abgelehnt. Lucius angenommen.
S2 wird unverändert angenommen, nachdem der an— gekündigte Antrag Loening durch die Abstimmung zu 81 gegenstandslos geworden ist. ,
Zum zweiten Abschnitt: Ermittlung der Krankheit (§ 6) befürwortet Freiherr Lucius von Ballhausen seinen An— trag als Konsequenz des zu 51 gefaßten Beschlusses.
. Minister der geistlichen, Unterrichts und Medizinalangelegen— heiten Dr. Studt macht auf die weittragenden Konsequenzen auf— merksam, die sich aus der Annahme des Antrages Lucius ergeben würden.
Geheimer Obermedizinalrat Dr. Kirchner bittet dringend, den Antrag Laclus zu §6 nicht anzunehmen.
Oberbürgermeister Dr. Bender: Es handelt sich hier gar nicht um eine Konseguenz von Beschlüssen zu 1, sondern um die Vor—˖ schriften des Reichsseuchengesetzes über die Ermittlung der Krank— heit. Wir können doch nicht der Behörde in den Arm fallen und ihr untersagen, bei dringenden Epidemien die notwendigen Vor— kehrungen zu treffen. Ein solcher Beschluß würde überhaupt nicht zu verstehen sein. .
Graf von Oppersdorff: Auch die Hebammen sind Medi— zinalpersonen und beziehen in manchen Kreisverwaltungen eine Re— muneration, wenn sie Kindbettfieber behandeln und ihnen ihre sonstige Tätigkeit gesperrt ist. Die bestehenden Einrichtungen zur Bekämpfung des Wochenbettfiebers kommen speziell den kleinen Leuten zu gute, und ich würde es auf das lebhafteste bedauern, wenn hier wieder ein Stück aus diesem System durch eine neue Abänderung der Vorlage herausgebrochen würde.
Freiherr Lucius von Ballhausen zieht seinen zurück.
Der dritte Abschnitt (38 8—11) handelt von den maßregeln.
Eraf von Seidlitz befürwortet folgenden Zusatz zu S8: ‚Eine zwangsweise Unterbringung kranker Personen in einem Krankenhaufe oder in einem anderen geeigneten Unterkunftsraum gegen den Willen des Haus haltungsvorstandes darf nicht erfolgen, wenn nach der An— sicht des beamteten Arztes oder des behandelnden Arztes eine aus— reichende Absonderung in der Wohnung sichergestellt ist. Diese Be— stimmung will der Antragsteller nicht auf die Diphtherie beschränkt, sondern auf sämtliche hier in Betracht kommenden Krankheiten aus— gedehnt wissen.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt:
Ich bitte, den Antrag des Herrn Grafen von Seidlitz⸗Sandreczki auch in der modifizierten Form abzulehnen. Er bedeutet eine ganz erhebliche Beschränkung der polizeilichen Befugnisse und namentlich der des beamteten Arztes, die im vorliegenden wichtigen Falle gar nicht entbehrt werden können.
Meine Herren, die Bestimmung des 8 38 schließt sich an das Reichsgesetz von 1900 an, und dieses letztere sagt im § 14 Absatz 2 im zweiten Teile:
Werden auf Erfordern der Polizeibehörde in der Behausung des Kranken die nach dem Gutachten des beamteten Arztes zum Zwecke der Absonderung notwendigen Einrichtungen nicht getroffen, so kann, falls der beamtete Arzt es für unerläßlich und der be—⸗ bandelnde Arzt es ohne Schädigung des Kranken für zulässig er— klärt, die Ueberführung des Kranken in ein geeignetes Krankenhaus oder in einen anderen geeigneten Unterkunftsraum angeordnet werden.
Hier ist also eine Teilung der Befugnis in der Weise vor— gesehen, daß der beamtete Arzt die Maßregel der Absonderung als unerläßlich bezeichnet, und der behandelnde Arzt sie ohne
Der Antrag
ebenfalls
Antrag
Schutz⸗
Schädigung des Kranken für zulässig erklärt. Der vorliegende