Preußischer Landtag. Herrenhaus. 45. Sitzung vom 28. Juni 1905, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Auf der Tagesordnung steht zunächst der Bericht der XVIf. Kommission über den von dem Hause der Abgeordneten unter Abänderung der Regierungsvorlage angenommenen Gesetzentwurf, betreffend die Abänderung ein⸗
zelner Bestimm ungen des Allgemeinen Berg esetz es vom 24. Juni 1865/1892 (31e, m, erer fe
Die Kommission beantragt die Annahme des Gesetz⸗ der Abgeordneten beschlossenen
entwurfs in der vom Hause Fassung . w Ucber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet. Im weiteren Verlauf der Generaldiskussion erhielt das
Wort der Herr Vopelius: Aus den Verhandlungen hat die Re⸗ ierung erfahren, daß die Mehrheit beider Häuser des Landtags den . lick des Bergarbeiterausstandes als verfehlt für die Einbringung der Vorlage ansieht. Außerdem fehlten überhaupt die Voraus setzungen für eine solche Vorlage, daß nämlich eine unerträgliche, elende Lage der Bergarbeiter und grauenhafte Mißstände auf den Gruben vorhanden waren. Die Untersuchungen der Regierung haben die Haltlosigkeit dieser Voraussetzung bewiesen, und Herr von Burgs⸗ dorff konnte am 2. Juni mit Recht sagen, daß die Zechen⸗ verwaltungen mit tadellos weißer Weste dastehen. Dies mußte jedoch die Fegierung schon beim Beginn des Ausstandes wissen. Daß sie es anscheinend nicht wußte, darin liegt eine unverzeih⸗ liche Unterlassungssünde der Zentralinstanz der Bergverwaltung. Auf die schwankende Haltung des Handelsministers will ich nicht ein⸗ gehen, aber er wird selbst überzeugt sein, daß zwischen seiner Erklärung bom 14. Januar, wonach die Regierung die strikteste Neutralität zu wahren habe, und seiner Erklärung vom 30. Fanuar, wonach er berech⸗ tigte Beschwerden der Arbeiter regeln wolle, ein unüberbrückbarer Gegensatz liegt. Ich mache der Zentralinstanz der Bergverwaltung und dem Handelsminister den Vorwurf einer unverzeihlichen Unterlassungs⸗ fünde. Der Abg. Spahn sagte nämlich im Reichstag am 23. Januar, daß er als Ueberzeugung der großen Mehr⸗ heit des Hauses es aussprechen dürfe, daß die Sympathie der deutschen Bevölkerung auf seiten der Streitenden und nicht der Zechenbesitzer liege. Wodurch wurde es aber möglich, daß ane folche Sympathie Platz griff? Die Behauptungen in den Ar— beiterverfammlungen, daß die unerträglichen Mißstände und die Be⸗ drückung der schlecht gelohnten hungernden Arbeiter diese in den Ausftand treiben müßten, gingen kritiklos in die bürgerliche Presse über und wurden, da ihnen nicht widersprochen wurde, als richtig an⸗ gesehen. So begann ein Sturm der Entrüstung gegen die Zechen—⸗ besitzer, die nicht einmal in kontradiktorische ,, mit dem Siebenerausschuß eintreten wollten. Dies tadelte auch der Reichs⸗ kanzler, aber ich versichere ibm, daß die große Mehrheit der deutschen Industrie die ablehnende Haltung der Zechenbesitzer vollständig ge⸗ Filligt hat und in jedem Falle ebenso handeln würde. Dem all⸗ gemeinen Entrüstungsrummel war die Bergverwaltung verpflichtet entgegenzutreten; ihr mußte bekannt sein, daß allgemeine Mißstände auf den Gruben nicht vorhanden waren, denn ihren 250 Kontrollbeamten war von Mißständen nichts bekannt, und das mußte die Zentralinstanz wissen. Aber dies hat die Zentralinstanz verschwiegen. Und wie sie ihre besfere Kenntnis der Oeffentlichkeit vorenthalten hat, so hat sie der Handelsminister auch dem Staateministerium vorenthalten. Das Staatst⸗ ministerium ist also durch eine Unterlassungssünde irregeführt worden. Aber es gibt Milderungègründe, die für unsere Stellung zur Vorlage maßgebend sind. Die Regierung hat sich sehr stark für dieses Gesetz engagiert und mit der Mehrheit des Abgeordnetenhguses ein Kom⸗ promiß geschlossen, das ich nicht ablehnen kann, Da der Reichs⸗ kanzler ausgeführt hat, daß diefes Haus berufen ist, die Autorität der Monarchie und der Staatsgewalt zu stützen, so kann ich dem Reichs⸗ fanzler in der inneren Politik keine Schwierigkeiten machen zu einem eitpunkt, wo das ganze Land seiner auswärtigen Politik zustimmt. ch nehme deshalb das Gesetz an, wie es das Abgeordnetenhaus be— schlossen hat, so wenig ich mit den einzelnen Bestimmungen einver⸗ ständen bin, um einem Gesetze, das uns der Reichstag bescheren würde, vorzubeugen; auch manch anderer in diesem Hause könnte für das Gesetz stimmen, wenn er durch den Reichskanzler dahin beruhigt würde, daß das Bergrecht kein Gegenstand reichs gefetzlicher Regelung sein wird. Innerhalb weniger Monate sind der Bergwerksindustrie vier Gesetze beschieden worden, Zuerst die Siberniavorlage, dann dieses Gesetz, das unmotiviert in den Arbeitt⸗ vertrag eingreift, ferner das Stillegungsgesetz, das einstimmig von der Kömmiffion verurteilt ist, weil es das Rechtsgefühl auf das empfindlichste verletzt, und schließlich das Mutungsgesetz, das auch, ob bestellte Arbeit oder nicht, lebhaft von der Regierung verteidigt wurde, und in dem ein weiterer Schritt zum Staats monopol ver⸗ mutet wird. Ich erinnere an das Wort des Fürsten Bismarck über die Industrie, man solle die Hühner, die die goldenen Eier legen, nicht schlachten. Dieses Wort möchte ich dem Ministerpräsidenten in Erinnerung bringen. Ich hitte Sie, allen Vorlagen über die Arbeiter⸗ verhältnisse fkeptisch gegenüberzustehen, sei es, daß sie aus dem DVndels· ministerium, aus dem Reichsamt des Innern oder aus der Studier, stube von unkontrollierbarer Seite kommen (3wischenruf), und selbst vom Zentralverband deutscher Industrieller. Solche Vorlagen er. scheinen in der Studierstube eines sozialpolitischen Theoretikers recht schön, aber in der Praxis sind sie meist recht verderblich. Gönnen Sie doch der Bergwerksindustrie endlich einmal Ruhe.
Minister für Handel und Gewerbe Möller:
Gegenüber den schweren Vorwürfen, die der Herr Vorredner gegen mich gerichtet hat, bedarf es sofort einiger Worte der Abwehr. Meine Herren, daß die Mehrheit dieses hohen Hauses, ebenso wie die des Abgeordnetenhauses, ursprünglich gegen die Berechtigung des Vorgehens der Königlichen Staatsregierung gewesen ist, habe ich zu wiederholten Malen anerkannt. Nichtsdestoweniger sind sowohl im Abgeordnetenhause wie hier die Mehrheit der Mitglieder, wenigstens hier in den Kommissionsberatungen, dazu gekommen, aus allgemein politischen Gründen die Vorlage anzunehmen. Meine Herren, es ist mir von dem Herrn Vorredner der Vorwurf gemacht worden, wir hätten nicht zur rechten Zeit die öffentliche Meinung berichtigt in ihrer irrigen Auffassung in bezug auf das Verhältnis der Bergarbeiter in Westfalen. Meine Herren, der Herr Vorredner hat hier eben wiederum dasselbe getan, was zu wieder holten Malen in diesen Diskussionen auch im anderen Hause geschehen ist. Es wurden uns Vorwürfe gemacht, die nicht ge— rechtfertigt sind. Nicht um diejenigen Klagen, die vor dem Ausbruch des Streiks in den Versammlungen der Gewerkvereine laut wurden und die, wie ich schon in der Kommission ausgeführt habe, wesentlich nach meiner Auffassung dazu bestimmt waren, die Bergarbeiter in die Gewerkvereine hineinzubringen, nicht um diese Klagen hat es sich ge⸗ handelt bei unserer Gesetzesvorlage, sondern wir haben bei unserer Gesetzes vorlage lediglich zurückgegriffen auf diejenigen anerkannten Uebelstände, die bereits den Kern des 89 er Streiks gebildet haben und die damals auch von seiten der Bergwerksbesitzer im wesentlichen an—⸗ erkannt worden sind.
Mir ist eben der Vorwurf gemacht worden, ich hätte nichts getan, um die irre geführte öffentliche Meinung in beiug auf die neuerdings
beigebrachten Forderungen und Klagen der Bergwerksarbeiter auf⸗ zuklären. Meine Aktion hat ja damit begonnen, daß ich bei Beginn des Streiks sofort den Herrn Oberberghauptmann in das Kohlenrevier sandte, um den Herren vom Bergbaulichen Verein den Vorschlag zu machen, in kontradiktorischen Verhandlungen die neuerdings aufgestellten vielen kleinen Klagen zu erörtern und, wie ich überzeugt war, im wesentlichen zu entkräften. In dieser Aktion hat mich aber der Bergbauliche Verein im Stich gelassen, er hat sich verschanzt hinter die Unmöglichkeit, mit Vertretern der Gewerkvereine verhandeln zu können. Er hat dabei in seiner Presse fortwährend behauptet, wie es auch der Herr Vorredner getan hat, wir hätten unsererseits nichts ge⸗ tan, um diese Dinge zu entkräften. Wären die Herren uns gefolgt, hätten sie diese Verhandlungen stattfinden lassen, so wären diese irrigen Behauptungen, die ja bei den einzelnen Verhandlungen auf den ein⸗ zelnen Zechen sich nachher als irrig herausgestellt haben, gleich damals kurzer Hand beim Beginn des Streiks im wesentlichen niedergeschlagen worden, und es wäre eingetreten, was der Herr Vorredner, weil es nicht geschehen sei, beklagt. Ich verstehe den Standpunkt der Herren Bergwerkbesitzer, daß sie mit den Vertretern der Gewerkvereine nicht verhandeln wollten, weil ste diese nicht betrachteten als eine Gesamtvertretung aller Arbeiter. Dadurch aber waren wir in der unbequemen Lage, nachdem uns jede Möglichkeit der Gesamtverhandlung abgeschnitten war, uns nun unsererseits an die sieben Vertreter der Gewerkvereine zu wenden, als es sich darum handelte, die Einzelverhandlungen bei den einzelnen Zechen unter Mitwirkung von Arbeitern durchzuführen. Wir mußten uns also unsererseits, da gar keine andere Vertretung vorhanden war, mit den sieben Vertretern der Gewerkvereine in Verbindung setzen, um uns von ihnen diejenigen Arbeiter bezeichnen zu lassen, die bei den Verhandlungen mitwirken sollten. Dieser Mangel ist es wesentlich gewesen, der dazu geführt hat, anzuerkennen, daß es notwendig war, für eine Vertretung der Arbeiter zu sorgen, und meine Herren, da darüber gar kein Zweifel bei mir herrschen konnte, daß die Herren vom Bergbaulichen Vereine, die ja doch den gesamten Bergbau in Westfalen vertreten, keine Neigung hatten, freiwillig die Ausschüsse einzurichten, damit eine Vertretung der Arbeiter aus ruhigen Arbeitern vorhanden sei, blieb nichts anderes übrig, als auf das zurückzugreifen, was von einer Reichstagskommission, die im Jahre 1839 mit den Bergarbeitern verhandelt hatte, den Arbeitern als be⸗ rechtigt in Aussicht gestellt worden war: die Einrichtung obligatorischer Arbeiterausschüsse. Meine Herren, das ist doch der Kernpunkt der ganzen Vorlage. Hätten wir eine ruhige Vertretung von Arbeitern gehabt, so würden wir in der Lage gewesen sein, die Verhandlungen so zu führen, wie ich es mir gedacht hatte.
Da das nicht der Fall war, so sind die Unterhandlungen jetzt mit den Vertretern der sieben Männer geführt worden, und ich muß es beklagen: die Herren sind nicht immer in der Lage gewesen, uns die geeigneten Arbeiter für diese Verhandlungen zu stellen, und so sind auf verschiedenen Zechen die Verhandlungen recht ergebnislos und schlecht verlaufen, — auch wieder ein Beweis dafür, daß es höchst unangebracht ist, in derart aufgeregten Zeiten, wie es die des Streiks war, Vertreter wählen zu lassen. Meine Herren, die Zustände im westfälischen Revier sind keineswegs unerträgliche; ich gebe das dem Herrn Vopelius durchaus zu, und ich habe auch beim Beginne der Verhandlungen im Abgeordnetenhause immer wiederholt: wenn von verschiedenen Rednern im Abgeordnetenhause Klagen vorgebracht wurden, die ungerechtfertigt waren, so bin ich in jedem Falle, wenn mir bekannt war, daß die Klagen unberechtigt waren, diesen Klagen entgegengetreten; ich habe aber von Anfang an eine neutrale Stellung eingenommen, ich habe nicht Partei für die eine oder die andere Seite ergriffen; ich habe nur das Bedürfnis gefühlt, in einer ganzen Reihe von Fällen, in denen meine Information nicht ausreichte, durch die kontradiktorischen Verhandungen, die ich vorschlug, Aufklärungen zu schaffen.
Meine Herren, der Herr Vorredner hat sich dann aber weiter zu dem Vorwurfe verstiegen, ich hätte nicht nur die öffentliche Meinung dadurch irre geführt, daß ich meinerseits nicht zur Aufklärung beigetragen hätte, sondern ich hätte auch das Staatsministerium offenbar irre geführt, sonst hätte das Staatsministerium nicht zu der einstimmigen Beschlußfassung kommen können, seinerzeit die Vorlage zu machen. Meine Herren, ich bitte Sie, Ihrerseits auch anzunehmen, daß — was das andere Haus bestimmt hat und was, wie ich hoffe, auch Sie bestimmen wird — im Staatsministerium allgemein politische Gründe maßgebend gewesen sind und daß wir keineswegs irgendwie leichtfertig vorgegangen sind.
Dann hat der Herr Vorredner geklagt darüber, daß wir durch die fortgesetzte Einbringung von Gesetzentwürfen, betreffend den Bergbau, den Bergbau beunruhigten; diese Beunruhigung müsse ein⸗ gestellt werden. Meine Herren, die Gesamtbewegung, um deren Behandlung es sich hier handelt, ist nichts anderes als ein Ausfluß der Kapitalskonzentration, die wir gehabt haben. Ich habe zu den jenigen gehört, und der Herr Finanzminister mit mir, die in einer Weise, wie es, glaube ich, in keinem anderen Staate der Welt bisher vorgekommen ist, die Notwendigkeit der Kapitalskonzentration immer wieder dargelegt haben. Die Notwendigkeit, in dem schweren Ringen auf dem internationalen Weltmarkt, uns durch Konzentration gegen⸗ über einem so mächtig organisierten Lande wie den Vereinigten Staaten erfolgreich zu wehren, zwinge unbedingt zu derartigen Konzentrationen. Ich habe mich von jeher dagegen gewandt, daß man dieser Konzentrationsbewegung durch gesetzmäßige Einschränkungen entgegentreten solle, weil ich die Ueberzeugung habe, daß, wenn man versuchen wollte, ähnlich, wie es in anderen Ländern versucht ist, Kartellgesetze, Syndikatsgesetze, Trustsgesetze, wie Sie sie nennen wollen, zu machen, man solche Gesetze nur herstellen könnte auf Kosten der freien Bewegung dieser notwendigen Konzentrationsinstitute, und daß es bisher in keinem Lande gelungen ist, nach dieser Richtung hin eine Gesetzgebung zu schaffen, die, wenn sie wirkungsvoll sein soll, nicht unnütze und schädliche Fesseln den industriellen Verbänden auf⸗ erlegte. Ich habe es daher für den allein gangbaren Weg gehalten, zunächst den Verbänden durch Akte der Regierung, die ihre freie Bewegung nicht einschränken, beizeiten zu zeigen, daß die Regierung die Ueberschreitung gewisser Grenzen im allgemeinen Interesse nicht zulassen kann, und daß sie daher in einzelnen Fällen einschreiten muß, um diese Grenze zu zeigen. Das ist die Entstehungsgeschichte der vier Gesetze, die der Herr Vorredner eben beklagt hat.
Die Konzentrationsbewegung, die der Hiberniaaktion vorausging, überschritt meines Erachtens die nützliche Grenze. Das hohe Haus hat mir zugestimmt in der Hiberniaaktion, und ich darf mich be⸗
scheiden, weiter darauf einzugehen. Bei dem Streik in Westfalen war es auch wesentlich der aus der Machtstellung des Syndikats hervor—⸗ gehende — ich will mich vorsichtig ausdrücken — herrische Stand punkt, den die Besitzer einnahmen, welcher es eben verhinderte, daß sie zur rechten Zeit einlenkten und zur rechten Zeit dazu beitrugen, die Beschwerden, die von alters her vorlagen, aus dem Wege zu räumen. Nachdem jeder Weg dazu mir abgeschnitten war, blieb schließlich nichts anderes übrig, als unsere Landesgesetzgebung in Bewegung zu setzen.
Meine Herren, dann möchte ich bei der Gelegenheit zurückkommen auf einige Aeußerungen, die Fürst Hatzfeldt hier die Güte hatte zu machen. Er meinte, es sei nicht gerechtfertigt gewesen, daß wir dieses Gesetz ein gebracht hätten; die Begründung, wir hätten es im Landtage eingebracht,
weil sonst die Gefahr vorgelegen hätte, daß es im Reichstage vor.
gebracht und beschlossen worden wäre, sei verfehlt; er hat dann ge— meint, die Staatsregierung hätte stark genug sein müssen, um einer solchen Aktion entgegenzutreten. Meine Herren, ich bin nicht un— bedingt sicher nach dieser Richtung hin gewesen. Wir haben es zu häufig erlebt, daß der Reichstag durch Initiativanträge die öffentliche Meinung in einer Weise kaptiviert hat, daß schließlich ein Widerstreben gegen wiederholte Beschlüsse des Reichstags nicht möglich gewesen ist. Ich habe es aber für äußerst wichtig ge— halten, daß von vornherein festgehalten wurde, daß die Berggesetz. gebung als Landesgesetzgebung ein noli me tangers sein müsse, daß wir sie der Landesgesetzgebung unbedingt erhalten müßten, und ich glaube, daß es nicht ungerechtfertigt war, daß, als ich sah, daß im Reichstag eine Reihe von Initiativanträgen geschmiedet würden, wir mit unserer Absicht, mit den alten Forderungen der Bergarbeiter auf⸗ zuräumen, auch eingesetzt haben. Meine Herren, ich habe zu wieder— holten Malen schon ausgesprochen, was ich hier wiederholen muß. Wer sich mit der Schlichtung von Streiks und der Verhinderung von Streiks beschäftigen will, muß in erster Linie untersuchen: wo sind die Schäden, die anerkannt richtig sind, und wo sind die, die nur in der Einbildung existieen? Meine Aktion war gedacht: kontradiktorische Verhand— lungen im großen Stile, Zerschlagung von ?si0 der Vorwürfe, die von den Streikenden erhoben wurden, durch diese kontradiktorische Verhand—⸗ lungen und damit dem Streike die neu aufgestellten Gründe entziehen. Aber da das nicht ging, blieb nichts übrig, als zu der alten Regel zurückzukehren, daß man das, was anerkannt ein Uebelstand ist, beseitigt. Meine Herren, auch alle industriellen Gruppen, die über Streiks zu verhandeln haben, und die erfolgreich verhandeln, gehen stets auf diesen Wege vor. Sie erkennen das als berechtigt an, was man als berechtigt anerkennen muß, und sie konzedieren auch das, was man anerkennen muß. Dann ist der Streik beigelegt. Das aber, was wir in der Gesetzesvorlage gemacht haben, ist im wesentlichen nichts anderes, als was 1889 anerkannt worden ist, und, meine Herren, zum teil anerkannt worden ist von dem Vorstand des beigbaulichen Vereins selbst, der in bezug auf die Ausschüsse seinen damaligen Vorsitzenden Herrn Dr. Hammacher desavouiert hat. Daß und warum ich die Ausschüsse habe machen müssen, habe ich bereits ausgeführt.
Dann ist noch eine Frage übrig geblieben, die im Jahre 1889 allerdings garnicht berührt ist; das war der sanitäre Maximalarbeitstag. Daß uns hierzu aber die Statistik und der schlechter werdende Gesundheitszustand gerade in dem westfälischen Revier gerade gezwungen hat, habe ich des weiteren in der Kommission wie im Abgeordneten hause ausgeführt. Ich will darauf nicht zurückkommen. Es besteht, trotzdem in den Zahlen über das Invaliditätsalter Schwankungen vorhanden sind, die auf mancherlei andere Ursachen zurückgehen, doch die Tatsache, daß der Invaliditätszustand sich um verschiedene Jahre verfrüht hat, und ich habe bereits in der Kommission ausgeführt, daß ich meine, weil gerade in diesem hohen Hause immer von den konservativen Elementen behauptet worden ist, daß die Industrie die Arbeiterschaft körperlich herunterbringe, daß die ländlichen Arbeiter den Kern der Armee bilden, daß man deshalb der Industrie entgegentreten müsse, darum sollten die Herren mir darin behilflich sein, wenn ich da eingreife, wo offenbar Uebelstände vorliegen. Ich habe die Zahlen in der Kom— mission als irreführend bezeichnet, die man erhält, wenn man das Invaliditätsalter nackt hinstellt, wie es sich in der Statistik ergibt, d. h. daß vom Jahre 1890 bis Ende 1903 das Invaliditätsalter von 50 Jahren auf 41 Jahre zurückgegangen ist. Aber das bleibt bestehen, daß mindestens 2 bis 3 Jahre, im Durchschnitt gerechnet, das Invaliditätsalter zurückgegangen ist. Das ist doch eine ernste Tatsache. Daß wir die Möglichkeit haben müssen, das wird jeder Patriot anerkennen müssen. Und wenn Sie die Form, in der wir das Gesetz ursprünglich im Abgeordnetenhause ein— gebracht haben, und die Form, in der wir den Sanitäts— arbeitstag eingesetzt haben, angegriffen haben, so haben wir uns im Abgeordnetenhause schon darein gefügt: wir haben unsere schablonen⸗ mäßige Grenze nach der Temperatur fallen gelassen, wir haben uns im wesentlichen mit der Wiederherstellung des § 197 Allgemeinen Berggesetzes, in der Fassung, wie er im Jahre 1892 dem Landtag vorgelegen hat, begnügt, wir haben die Verantwortung für die Durch⸗ führung auf die Bergbehörden gewäljt und haben uns damit begnügt, bei einer Temperatur von 28 Grad den 6 stündigen Maximalarbeitstag einzuführen.
Meine Herren, ich bitte wiederholt, nicht nur aus den Gründen, die die Herren Vorredner vorgebracht haben, aus allgemein politischen Gründen, sondern auch aus den Gründen, die im Gesetze selbst liegen, diesen Gesetzentwurf freundlichst zu unterstützen.
Graf Botho zu Eulen burg: Gegenüber den Ausführungen eines der Herren Vorredner, daß im Bergwerkehetriebe keineswegs so große Uebelstände hervorgetreten wären, . ein Eingreifen der Gesetz gebung notwendig gewesen wäre, hat der Herr Handelsminister heute wiederholt darauf hingewiesen, daß die Gesetzesvorlage nichts anderes enthält als ein Zurückgreifen auf Forderungen, die im Jahre 1889 bereits erhoben und von vielen Seiten als begründet an— erkannt worden sind. Auf die Frage, die in der Kommission gestellt worden, warum denn nicht früher diesen berechtigten Forderungen ent⸗ sprochen worden ist, und warum man den mit Recht angefochtenen gegen⸗ wärtigen Augenblick abgewartet hatte, um ihnen zu entsprechen, hat der e in der Kommissien erwidert, daß für eine solche Gesetzgebung die f ich Meinung erst präpariert werden mußte. Es ist mir doch sehr fraglich, ob, wenn das so notwendig war, es nicht besser gewesen wäre, die öffentliche Meinung in diesem Sinne zu präparieren, als abzuwarten, daß ie öffentliche Meinung das Gesetz präpagrieren würde. Indessen, ich will auf das eingehend erörterte Thema, ob überhaupt eine zwingende Notwendigkeit jetzt vorlag, mit einem solchen Gesetze vorzugehen, nicht weiter eingehen, sondern mich darauf beschränken, zu kon⸗
satleren, welches die Folge dieses Vorgehens gewesen ist und welchen tandpunkt wir . einnehmen müssen. Die Folge dieses Jorgehens ist unzweifelhaft die gewesen, daß die Staatsregierung in hem Maße engagiert ist in dieser Angelegenheit, und dies ist ein Hesichtehunkt, den die politischen Körperschaften niemals außer acht sassen därsen, denn wenn, ein, solches Engagement, der, Staate nehlerung hinterher nicht, honoriert wird, dann entsteht dadurch sine nderung der Autorität der Stagtsregierung, die von dem aller⸗ zachtelligsten Einfluß auf, das Staatéleben sein kann, und Die vir, sowcit es irgend möglich, ist, vermeiden müssen. Ich bin det Meinung, daß die Staatsregierung, wenn ihr der Erfolg versagt werden würde, gar nicht in der Lage sein würde, sich einfach dabei un beruhigen sondern daß sie Mittel und Wege würde suchen 2 um ih le Autoritat aufrecht zu erhalten. Wir können dankbar sein, daß wir mit der Verführung selcher Mittel, um nicht zu sagen mit deten Androhung, gänzlich verschont worden sind, daß man ung Lie Erwägung allein überlassen hat. Um so einster ist es unsere Pflicht, die Nachteile, die aus einer Minderung der Autorität des Staats erwachsen würden, zu vermeiden. Das schließt natürlich eine sorgfältige Prüfung des Inhalts der Vorlage nicht aus. Wir wollen keineswegs flndlings alles annehmen, was uns hier vorgeschlagen wird. Der brennende Punkt der Vorlage ist die Frage der Arbeiterausschũsse. kann mir sehr wohl denken, daß es im allgemeinen von selten ¶ der Unternehmer nicht angenehm empfunden wird, wenn ihr Verhältnis zu. den Arbeitern an gewisse Formen und. Vorausetzungen geknüpft werden soll, und daß sie darin in gewissem Maße einen Eingriff in ihre Rechte erblicken; aber diese Rechte haben ihre Grenze in dem, was das öffentliche Wobl erfordert. Nan kann sich der Erkenntnis nicht entziehen, daß das hergebrachte Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitern nicht mehr in den 'iberigen Formen aufrecht erhalten werden kann, weder in der Form der unbedingten Herrschaft, noch in, der Form des patriarchalischen Verhältnisses. Je mehr die unpersönliche Aktienunternehmung der Atbeiterschaft gegenübertritt, desto mehr wird je länger je mehr die Notwendigkeit hervortreten, ein legales Organ zu schaffen, das jwischen Arbeitgebern und Arheitern vermittelt. Gerade der gioße Streik im Ruhrrevier hat gezeigt, daß es ein großer ebelstand war, daß eine berechtigte Vertretung der Arbeiter nicht bothaaden war. Dle Zechenbesitzer hatten ein formelles Recht, zu sagen: wir verhandeln mit der Siebenerkommission nicht, sie ist nicht berechtigt, die Arbeiterschaft zu vertreten und hat sie nicht in der Hand. Anderseits nehme ich keinen Anstand, auszusprechen, daß Riefe formell richtige Haltung ein grober taktischer Fehler war, weil sie die im Augenblick allein vorhandene Möglichkeit, zu einem Ausgleich uu kommen, verhinderte; und sie war ein noch viel gröbergr, Fehler nach der Richtung, daß die öffentliche Meinung in einer Weise auf, gereitt wurde, die geradezu unerhört war. Anfangs fand sich noch ne Stimme in der Oeffentlichkeit, die darauf hinwies, daß die Zechenbesitzer sozusagen doch auch Menschen wären. Die Stimmung schlug aber gänzlich um, als die Unternehmer erklärten, mit den Ar⸗ bestern nicht verhandeln zu wollen. Nun bin ich nicht so sanguinisch, anzunehmen, daß die Wirksamkeit dieser Ausschüsse unmittelbar außerordentlich groß sein wird. Solche Wirkungen können wir über⸗ haupt von Maßnahmen der Gesetzgebung ohne weiteres nicht erwarten. Vir werden in. vielen Fällen uns damit begnügen müssen, die Rittel ju gewähren und an die Beteiligten die Mahnung zu sichten, den Weg zu betreten, um zu friedlichen Verhältnissen zu klangen. Nun muß ich ja jugeben, daß die Errichtung der Atbesterausschüsse die Gefahr in sich birgt, daß sie von der Sozial— demokratse ausgebeutet und unter ihre Herrschaft gebracht werden. Ein rad kales Schutz mittel gibt es dagegen nicht, weil über die Ver⸗ kindungen der Menfchen unter einander keine gesetzlichen Vorschriften gemacht werden können. Anderseits bitte ich doch eins zu erwägen: schafen Sie diese Möglichkeit der Arbeiteraus schüsse nicht, dann treiben Sie die gesamte Aibeiterschaft in eine gemeinsame Koalition, und wem dann die Führung zufallen würde, darüber kann unter uns niemand im Zweifel fein: es sind immer die ertremsten Elemente. Der schwache Widerstand, den leider bisher die der Sozialdemokratie nicht angehörenden Bergarbeiterverbindungen dem Einfluß der Sotial, demokratie entgegengefetzt haben, würde sich dann auf Null, reduzieren. Dies ganze Gebiet würde dann, ein Dbsekt der Ägitation der Sozialdemokratie werden. Das ist der zweite Grund, warum ich Ihnen empfehle, für das Gesetz zu stimmen. Graf Tiele - Winckler hat die Befürchtung ausgesprochen, daß, wenn wir die geheime Wahl beschließen, diese als gemeines Recht in unser öffentliches Leben eingeführt werden könnte, Ich kin iin entschiedener Gegner der geheimen. Wahl. Ich Halte sie für theoretisch falsch und für praktisch unendlich hinderlich. Aber abgesehen dadon, daß wir bereits ein gemischtes System bei den Wahlen haben, kann, man darüber streiten, ob die geheime Wahl in diesem Rilieu nicht sogar gewisse Vorzüge hat. Und dann muß ich sagen, daß ich das, was ich hier konzediere, keineswegs konzediere als öffentlich es Recht für Preußen oder für das Deutsche Reich. Ich würde mich auf das entschiedenste dagegen aussprechen, wenn eine solche geheime Wabl auch fär die übrigen politischen Törperschaften oder kommunalen Körperschaften eingefübrt würde. Dazu kommt,
daß, wenn wir ein Srgan schaffen wollen, das einigermaßen. die
Vermittlung zwischen Arbeitgebern und Arbeitern herstellen soll, wir es auch so gestalten müssen, daß die Arbeiter zu ihm Vertrauen haben. Die öffentliche Wahl ware in der Beziehung sicherlich ein Schlag ins Wasser. Vir müssen alles vermelden, was dazu führen könnte, die christliche Arbeiterschaft in das Schlepptau der Sozialdemokratie zu bringen. National und christlich sind die Parolen, unter der die christlichen Arbeiter⸗ dereine marschleren, und die können sie nicht beibehalten, sobald sie sich unter die Leitung der Sozialdemokratie begeben. Und darum bitte ich, nicht nur die Arbeiter selbst, sondern vor allen Dingen auch diejenigen, dies zu beherzigen, die diese Bewegung der Arbeiter Fatroniseren und befürworten. Fast gleichzeitig mit dem großen Streik im Ruhrrevier entbrannte der Streik der EGisenbahner in Itallen. Dort erhob sich wie ein Mann die öffentliche leinung gegen den unberechtigten und frivolen Eisenbahnerausstand. Dieser berllef denn auch erfolglos, und die Ordnung auf den Eisenbahnen wurde wieder hergestellt. Und bei uns? Als die Arbeiter mit ihren Forde. rungen hervortraten, da genägten einige Aeußerungen, vielleicht auch einige Vorkommnsffe auff seiten der Arbeitgeber, die nicht gan; korrekt waren, um die gesamte öffentliche Meinung gegen die Arbeitgeber auf⸗ sureizen zu Gunsten einer Bewegung, die unter Kontraktbruch ins Leben gttreten war; und als die Arbeitgeber es ablehnten, mit der Siebener. lommission zu verhandeln, da war kein Halten mehr, da tratzman auf die Se le der Arbelter. Die ses Moment dürfen wir nicht außer acht lassen; es mußte nunmehr etwas geschaffen werden, um den Streik beizulegen. ch sage das weniger in der Absicht, um zu rekriminieren, als darauf auf⸗ merksam zu machen, welche ungeheure Verantwortung darin liegt für diz leni gen Männer, die sich an der Bildung der öffentlichen Meinung betelligen; daß sie eine Macht ist, gegen die schwer an, zulämpfen ist, wird niemand von ung bestreiten, um so größer ist aber auch die Verantwortung für alle diejenigen, die in das große Horn stoßen, ohne die Verhältnisse genu zu kennen. Anderer⸗ seits können wir nur dringend an far, daß alle bürgerlichen parteien fich der großen Macht immer mehr bewußt bleiben und Perden, die sich in der öffentlichen Meinung geltend macht. Es sind die geistigen Waffen, mit denen sie die Sozialdemokratie be⸗ mpfen müssen und die dauernd Erfolg aben werden. Schließen sich die bärgerlichen Parteien zufammen in der Erkenntnis und der Be⸗ ampfung der grundstürzenden antinationalen und antisozialen Be⸗ strebungen der Sozialdemokratie, dann werden sie diese Überwinden, a, dann. scwer se ch dieser Red rr Professor Reinke: Es wird mir schwer sein nach die ser Rede
Ihte 2 r fe zu fesseln. Ich kann diese Rede ihrem Werte nach nur dahin charafterisferen, daß ich sie in allen Gemeinden Preußens affen lich asgeschlagen - fehen möchte. Das Fertenhaus hat mit der Etledigun dieser Vorlage eine staatsmännische Aufgabe zu lösen, und iese Lösung darf nicht negativ ausfallen. Preußens Landtag darf hier nicht bersagen, und zwar aus polttischen Gründen. Schon mehrfach ist auf die Konkurrenz des Reichstags mit uns hingewiesen worden; im Reicht⸗
tag sind bereits verschiedene Parteien ner , und liegen auf der Lauer, um, sobald wir diefes Gefetz verwerfen, ihrerseits durch Initiat iwanträge die Sache aufzunehmen. Darum hätte eine Opposition des Herrenbauses in dieser Frage keine praktische, sondern lediglich theoretische Be⸗ deutung, und gerade im Hinblick auf die . Konstellation der politischen Lage dürfen wir uns eine derartige Stellungnahme nicht gestatten, Ich halte fest an der Betschaft des ersten großen Kaisers, die den Schutz des wirtschaftlich Schwachen proklamierte, und diesem Programm entspricht das Gefetz. Wir lassen uns auch nicht irre⸗ machen durch die Wahrnehmung, daß hie und da diejenigen, denen diese Wohltat gilt, sie nicht verstehen oder sich gar ihr entgegenstellen, wie anderfeitz die Vertretung des rücksichtslosen Interessenstandpunktes durch einen Teil der Presse gar zu sehr don der Herrenmoral diktiert wird. Hauptfächlich wird die geheime Wahl zu den Arbeitergusschüssen an— gefochten; das Mißtrauen der Arbeiter gegen die öffentliche Wahl und die Befürchtung vor dem Terrorismus der Arbeitgeber sind vor⸗ handen. Wenn nun auch nicht zu verkennen ist, daß tatsächlich ein Terrorismus weit mehr durch gewissenlose Agitatoren auf die Arbeiter bei der Wahl ausgeübt werden kann, wenn sich hiernach die Gründe fuͤr und gegen die geheime Wahl wohl die Wage halten, so wird es gerade deshalb angebracht fein, dem Vorschlage, der Regierung, zu folgen und die geheime Wahl zuzugestehen. Die Ablehnung der Vorlage wäre. Wasser' auf die Mühle. der Sozialdemokratie. Nicht nur aber der Vorwärts“ und die sozialdemokratische Presse sind von der Wertlosigkeit dieses Geschenkes durchaus überzeugt, sondern auch, die „Frankfurter Zeitung.; befürwortet die Ablehnung, damit das Herrenhaus feine Unfähigkeit zur Lösung, der hier gestellten Aufgaben dokumentiere. Man hat auch von einer Revolution gesprochen. Borussta trägt das Schwert in der Scheide, ich hoffe, deß es dabei bleiben wird, aber ich weiß, wie scharf es geschliffen ist: blitzschnell wurde es herausfahren und eine frivole Revolution nieder⸗ schlagen. Bie Furcht vor einer Revolution darf uns also nicht von solchen Maßnahmen zurückhalten, deren Berechtigung an sich wir nicht berkennen können. Wir bedürfen einer starken Regierung, Gegen⸗ wärtig ist die Stellung Deutschlands nach außen und speziell zu anderen europäischen Großmächten derart, daß das Ansehen und der Einfluß, des preußischen Ministerpräsidenten unter Keinen Um⸗ ständen geschädigt werden darf. Als eine der stärksten Stützen des Reichskanzlers betrachte ich den festen Bau des preußischen Staates, die Hausmacht der Dynastie der Hohenzollern. Der maßgebende Einfluß der preußischen Hausmacht auf die Lenkung zer allgemeinen Geschäfte des Deutschen Reichs könnte eine Schwächung erfahren, wenn wir in dieser wichtigen Frage die Regierung im Stiche lassen. Wollen wir unsere Interessen nach außen in der uns allen erwünschten Weise bewahrt sehen, so darf bei unseren Feinden auch nicht die leiseste Meinung geweckt werden, als fehle es der Regierung des ftärksten deutschen Staates an dem nötigen Vertrauen und Rückhalt in, der Bevölkerung. , und Zu⸗ friedenheit der Bexvölkerungsmassen ist ein nicht, zu unter schätzender Faktor für eine zielbewußte äußere Politik; darum wärè die Ablehnung dieses Gesetzes ein schwerer politischer Fehler; denn wenn nicht alle Zeichen trügen, nähern wir uns einer Zeit oder stehen schon mitten drin, wo alle Meinungsverschiedenheiten im Innern zurücktreten müssen vor der äußeren Politik, wo alle querelles allemandes zurückzutreten haben. Darum ist es mir Bedürfnis, dem Kanzler auch hier an dieser Stelle mein Vertrauen auszusprechen zu feiner äußeren Politik. Wir können innere Reformen machen, weil wir stark sind. z
Graf von Mirbach: Ich wünsche mit einer erheblichen Anzahl meiner Freunde, daß die Vorlage die Zustimmung des Hauses erfährt. Sachlich stehe ich allerdings vollkommen auf dem Standpunkt der Mehrheit der konservativen Partei des Ab— geordnetenhaufes, und hätte ich ihren Reihen angehört, so würde ich unbedingt ihre Stellung dort eingenommen haben, die auf Grund konservativer Prinzipien zur Ablehnung führte. Aber die Dinge liegen jetzt für uns erheblich anders; es heißt nicht, das Votum meiner Freunde im Abgeordnetenhause desgvouieren, wenn ein Teil von uns gegen die Vorlage stimmt. Wir haben jetzt eine neue politische Situation, der man auch vom konservativen Standpunkt nach vielen Seiten Rechnung tragen muß. Es handelt sich jetzt um die definitive Enischeidung, die auf diesem Gebiet schwerwiegender ist, als es auf den ersten Blick den AÄnschein hat. Die Ablehnung seitens des Herrenhauses würde ein Festhalten an wichtigen, unumstößlichen Prinzipien auf diesem Gebiet bedeuten. Aber für die Annahme der Vorlage sprechen doch sehr schwerwiegende Gründe. Das Herrenhaus muß mehr einer Aus. gleichung zustreben als einer Verschärfung der Situation, und ferner — und' darauf lege ich entscheidendes Gewicht — die Mitglieder des Herrenhauses sind in überwiegender Mehrzahl die größten Arbeitgeber auf industriellem und landwirtschaftlichem Gebiet. Ich zweifle nicht daran, daß gerade in ihren Betrieben die vollste und treuefte Pfchterfüllung gegenüber den Arbeitern sich vollzieht; aber diese bevorzugte und verantwortliche Stellung der Herrenhaus⸗ mitglieder verpflichtet sie auch zu weitem Ent egenkommen auf diesem Gebiete. Und drittens ist, allerdings mit vollem Unrecht, durch eine agitatorische Presse die Meinung weit verbreitet, als sei das Herren⸗ haus der Trager reaktionärer Bestrebungen zx. Und unsere Gegner würden? in einen Jubeltuf; ausbrechen, wenn es hieße: das Herrenhaus hat den Weg, auf, den die Re⸗ ierung entscheidenden Wert legt und den das Abgeordneten⸗ . mit erheblicher Mehrbeit gebilligt hat, abgelehnt. Dieses Sdium möchte ich für meine Person als Mitglied des Hauses nicht auf mich nehmen. Diese Gründe lassen mir eine Zustimmung des Haufes wünßschenswert erscheinen. Sachlich stehe ich, wie gesagt, auf dem Standpunkt der Konservativen im Abgeordnetenhaus, und ich möchte deshalb meinem Freunde v, Burgsdorff meine besondere An⸗ erkennung für seine ausgezeichnete Stellungnahme in der Sitzung vom 2. Juni aussprechen. Seine Ausführungen sind überaus wirkungsvoll ge⸗ wefen. Ich möchte ihn mit dem jugendlichen Führer einer Kayallerie⸗ abteilung bergleichen, der unbekümmert um Reserven hinter ihm den Gegner niederreitet. Ich prognostiziere ihm auf Grund dieser seiner ausgezeichneten Ausführungen einen erheblichen Erfolg auf politischem Gebiete und hoffe, daß er im Reichs tag in derselben wirksamen, Weise in die Arena eintritt, Er befindet sich ja noch in einem Lebens. alter, wo er noch nicht angektänkelt ist durch Rücichten auf Eventualstãten, Kompromisse usw. Wäre er in diesem Streit nicht mit dieser berechtigten Rücksichtslosigkeit vorgegangen, so würde ich ihm ein solches Prognostikon nicht stellen können. Widersprechen muß ich der Ansicht, als oh Fürst Bismarck das geheime Wahlrecht für den Reichstag veranlaßt hätte. Das geheime Wahlrecht entfprang damals nicht der Vorlage der Regierung, sondern wurde erst vom Reichstag hineingebracht, und Fürst Bismarck hat geglaubt, es in Kauf nehmen zu müssen. Wie er darüber dachte, bitte ich in feinen „Gedanken und Grinnerungen“ nach⸗ julesen. Auch dagegen verwahre ich mich, daß man den Füursten Bismarck als Kompelle auf sozialpolitischem Gebiete egen die konfervative Partei ins Gefecht bringt. Eines 5 chen bedarf die konservative Partei nicht. Das Alters⸗ und“ Invalidilätsbersicherungsgesetz wurde 1889 mit 185 gegen 165 Stimmen angenbmmen, außer den Sozialdemgkraten stimmten dagegen die beiden freifinnigen. Parteien; das Zentrum stimmte mit 75 Mitgliedern dagegen und mit 13 dafür; die beiden konservativen Parteien stimmten mit ganz geringen Abweichungen und die National liberalen mit einer Abweichung von 13 Stimmen dafür. Die Konser⸗ vatiren waren also die Träger und wirklichen Stützen der sozial—= politischen Gesetzgebung. Ich ehst gehörte allerdings zu der Minder⸗ beit wegen der schweren Belastung für die öͤstlichen Landesteile Bie Erfahrungen auf fozialpolitsschem Gebiete sind allerdings ziemlich trübe. Finanziell kommen wir zu einem stets steigenden Defizit durch die wicht borhergesehene und vom Grafen Posadomekz so lekhaft beklagte Simulation. Nicht Zufriedenheit wird durch diese Gesetzgebung eschaffen, sondern cher das Gegenteil, die Begehrlichkeit. . kürhlich wegen der Angriffe in der Presse eine Unter, redung zwischen dem Fürsten Bismarck und mir publiziert. Der Fürst fagte mr damals: „Glauben Sie doch nicht, daß ich auf dieses
Gesetz (Allers. und Invaliditätsversicherungsgesetz, zumal in der Konstruktion, die es erfahren hat, ein so großes Gewicht lege.“ Wenn man die Worte „zumal in der Konstruktion, die es erfahren bat‘ unterstreicht, kommt man zu einer richtigen Interpretation der Stellung des Fürsten Bismarck. Er war viel zu praktisch und ein sichtig, um nicht die drückende einseitige Belastung und die Be⸗ lästigung des Markenklebens und deren vexatorische Wirkungen einzufehen. Herr von Burgsdorff hat daher mit Recht vor zu weit⸗ gehenden soztalpolitischen Gesetzen gewarnt, als der Minister⸗ präfident neulich sie ankündigte. Durchschlagend sind für mich und einen großen Teil dieses Hauses die Ausführungen des Oberbürger⸗ meisters Zweigert gewesen, der die Verhältnisse im Ruhrrevier voll⸗ kommen kennt, auf neutralem Boden steht und ein liberaler Politiker ist, dessen Ausführungen hier mit unseren Meinungen zusammen— treffen. Ich habe zu dem leitenden Staatsmann das volle Ver⸗ trauen, daß er unter keinen Umständen den Weg der Reichszesetz⸗ gebung für das Bergrecht beschreiten wird. Bei der Entwicklung der Dinge im Reiche und der Zusammensetzung Les Reichstags würde mir für ein folches Vorgehen der parlamentarische Ausdruck fehlen. Aber trotzdem die Vorlage, und zumal die Zeit ihrer Einbringung ein bedeutsamer Fehler ist, wäre es eim Vetschärfung dieses Fehlers, wenn das Herrenhaus die Vorlage ablehnte. Die Regierung ist allein für den Fehler dieser an sich bedenklichen Vorlage verantwort— lich, und ich habe auch volles Verständnis für die ö derjenigen meiner Freunde, die auch heute noch ihr ablehnendes Votum aufrecht erhalten, denn sachlich trennt mich nichts von ihnen.
Herr von Helldorff zur tatsächlichen Berichtigung): Ich möchke die Angaben über die Stellung der Konservativen zum Alters— verficherungsgefetz richtig stellen. Die Vorgänge sind mir persoönlich genau bekannt. Als damals das Gesetz im Reichstag beraten wurde, fand sich eine starke Opposition aus drei Elementen; einem Teil detz Zentrums unter der Führung von Windthorst, der Forischritte partei und einem kleinen Teil der konservativen Partei unter Führung des Grafen Mirbach. Es wurde damals das Gerücht verbreitet, Fuͤrst Bismarck hätte sich dahin ausgesprochen, daß ihm am Zustande⸗ kommen des Gesetzes nichts liege, sondern daß er nur mit Räcksicht guf den. Minister v. Boetticher dem Zustandekommen nicht entgegen sei. Sie wissen ja, wie durch seinen Fleiß und durch seine Tüchtig⸗ keit Herr von Boetticher das Gesetz zu stande bringen half. Am 29. März, bei der zweiten Lesung, ging ich zum Fürsten Bismarck, um ihn perfönlich wegen jenes Gerüchts zu befragen. Er war ziemlich empört darüber und kam mit mir sofort zum Reichstag. Der Minister v. Boetticher widersprach gerade dem Gerücht, daß der Reichskanzler das Gesetz nicht billige, und erklärte, daß ihn Fürst Bismarck er⸗ mächtigt habe, es geradezu für eine Beleidigung zu erklären, wenn man ihm einen Mangel an Interesse nachsage. Da erschien auch gerade Fürst Bismarck selbst und erklärte das Gerücht für eine Ver⸗ tächtigung, dessen Entstehung ihm vollständig unverständlich sei. Er erklärke es fast als eine Beleidigung, wenn man von ihm glaube, daß er die Sache im Augenblick der Entscheidung im Stich lassen würde, und das heiße auch geradezu das Andenken des hochseligen alten Kaisers und die Ansichten des jetzt regierenden Kaisers beleidigen. Redner verliest die Aeußerungen des Ministers von Boetticher und des Fürften Bismarck aus der damaligen Reichstagssitzung im Wortlaut.)
amit habe ich die Tatsachen erschöpfend richtig gestellt.
Graf von Mirbach: Das steht in Ueberenstimmung mit dem, was ich ausführte. Ich habe es selbst für vermessen erklärt, den Fürsten Bismarck in Gegensatz zur Tendenz der sozialpolitischen Gesetze zu bringen. Die Rede des Fürsten Bismarck war mir sehr wohl er⸗ innerlich, als ich von Karlsbad aus die erwähnte Publikation in die Zeitung brachte. Man muß den Schwerpunkt auf den Satz legen, den ich zum Abdruck brachte: Fürst Bismarck sagte: glauben Sie doch nicht, daß mir an diesem Gesetz so viel liegt, zumal in der Form, die es erbalten hat; ich halte es lediglich für notwendig, die Vorlage durchzudrücken, weil usw.“ Es liegt mir fern, den Fürsten Bismarck irgendwie angreifen zu wollen; dadurch würde ich ja mit meiner ganzen Tradition brechen. Aber dem Uebermaß sozialpolitischer Be⸗ strebungen gegenüber wollte ich zum Ausdruck bringen, was Fürst Bismarck damals ausgeführt hat. Seine Rede im Reichstag ging vielleicht sehr viel weiter, als ihm in seinem Herzen ju Mute war, er mußte aber seine ganze Autorität einsetzen, um die Vor⸗ lage zu retten. Ich bin persönlich durchaus kein Feind der sozial⸗ politischen Gesetzgebung und habe korrekt meinen Standpunkt zum Nusdruck gebracht. Ich würde ja heute nicht mehr an der Spitze ne Partei stehen, wenn ich nur ein Tüpfelchen von der Wahrheit abwiche.
Staatsminister von Boettich er gurtatsächlichen Berichtigung): Es könnte nach den Ausführungen des Grafen Mirbach scheinen, als ob der verewigte Fürst Bismarck, an dessen Seite zu arbeiten mir zehn Jahre hindurch vergönnt gewesen ist, von einer ursprünglich gehegten Absicht, vielleicht bestimmt durch die parlamentarischen Verhandlungen, abgewichen wäre. Ich kann aber dem Grafen Mirbach fagen, daß mir wahrend der ganzen Entwicklung des Alters⸗ und Inbaliditätsversicherungsgesetzes auch nicht eine einzige Tatsache oder AÜeußerung bekannt geworden ist, die auch nur entfernt den Schluß zuließe, als ob der Fürst die Alters. und Invaliditäts-. versicherung, die er als den Abschluß seiner sozialpolitischen Betätigung bezeichnete, zu verlassen die Absicht gehabt hat. Im Gegenteil, nicht bloß das, was Herr v. Helldoꝛff darlegte, spricht dafür, mit welcher Wärme der Fürst auch im letzten Stadium der Beratung des Reichstages auf dem Standpunkt stand, von dem aus der Gesetzentwurf konzipiert war — dem Standpunkt, durch die Ver⸗ sorgung im Falle des Alters und der Invalidität dem deutschen Ar— beiler eine Anerkennung und eine Hülfe zu bringen, auf die er An⸗ spruch hat gegenüber den Leistungen, die er ein langes Leben hindurch iin Bienfte der Arbeit getan hat — sondein auch noch später in dem Moment, als ich dem Fürsten Bismarck melden konnte; „Durchlaucht, das Gesetz ist mit 20 Stimmen Majorität angenommen“ sprach er seine helle Freude darüber aus und sagte: „Nun sehen Sie, Sie haben wieder umsonst Sorge um das Schicksal des Entwurfs gehabt.“ Das Mittel, Gesetzentwürfe dadurch zu bekämpfen, daß man dem leitenden Staatsmann entgegen den Intentionen seiner Mitarbeiter die Absicht unterlegt, daß er das Gesetz eigentlich gar nicht wolle, ist nicht neu; ich bin in meinem langen parlamentarischen Leben mehr fach auf dieses Mittel gestoßen, und ich kann agen, daß es ein billiges Mittel, aber auch ein recht verwerfliches Mittel ist, und daß die Herren, die es anwenden, übersehen, daß sie damit den leitenden Staatsmann entweder einer Doppelzüngigkeit oder einer Gewissen⸗ losigkeit zeihen. / J .
Freiherr von DurantzS (bei der eintretenden Unruhe zu Anfang seiner Ausführungen nur schwer auf der Tribüne verständlich), stellt zunächst einen persönlichen Angriff richtig, den bei der ersten Lesung aus Änlaß seiner früheren Aeußerungen über die Abänderung des Warenhaussteuergesetzes der Oberbürgermeister Zweigert auf ihn gemacht hat; im Verlaufe seiner Richtigstellung wird er vom Prä—⸗ sidenten ersucht, bei der Sache zu bleiben. Zum Gegenstand ber Verhandlung übergehend, kommt der Redner auf die Erklärungen bes Ministers bezüglich der Arbeit erausschüsse zurück und stellt unter anderm fest, daß nach der Meinung des Ministers auch ein Streik den Arbeitsvertrag im Sinne des 8 80 unterbreche.
Professor Schmoller; Da daß Gesetz mit großer Mehrheit angenommen werden wird, hätte ich auf das Wort verzichten können, wenn ich nicht kurz Herrn Vopelius antworten möchte, der sich einen in diesem Hause noch nie erhörten Angriff auf den Minister erlaubt hat. Herr Vopelius meinte, die Aktion der Staatsregierung wäre nur berechtigt gewesen, wenn unerträsliche und grauenhafte Zustände im Ruhrrepier vorhanden gewesen wären. Mas ist eine grenzenlose Uebertreibung, denn zwischen guten und unerträglichen, grauenhaften Zuständen liegt unendlich viel dazwischen. Er hat den Minister be⸗ schuldigt, daß er das Staatsministerium irregeführt habe; er will ihm aßer mildernde Umftände bewilligen. Das erinnert dach lebhaft an Angriffe, wie sie eben Herr v. Boetticher gerügt hat. Daß die Miß-⸗ stände, die seit 188 schon als beseitigungebedürftig erkannt werden, allein schon das Gesetz rechtfertigten, ist bereits festgestellt worden. Ich schließe mit der Feststellung, daß Herr Vopelius