1905 / 284 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 02 Dec 1905 18:00:01 GMT) scan diff

zur Abhilfe? Die Beseitigung des Zwischenhandels, die Uebernahme der Fleischversorgung durch die Städte. Aber gerade wenn man den Zwischenhandel beseitigt, ist die Gefahr der Ringbildung, die Gefahr der Ueberteuerung in böchstem Maße vorhanden, denn ein preis⸗ ausgleichender Faktor wäre dann gusgeschaltet. In der bisherigen Debatte hat man viel mehr Nachdruck auf die Gesundheit des Viehes als auf die der Menschen gelegt. Die strengen Bestimmungen des Fleisch= beschaugesetzes bezüglich der Verwendung von Pröäservemitteln, die Vorschrift wegen der Vierkilogramm-⸗-Sktücke, alles dies muß ein⸗ schränkend auf die Einfuhr und somit verteuernd wirken. Die Rede des Herrn von Oldenburg nehme ich nicht tragisch. Die gegenwärtige politische Lage scheint mir dahin zu führen, daß gerade diejenigen, die die hier zur Erörterung stehende Frage etwas leicht behandelt haben, fich des Ernstes der Lage bewußt werden müssen; gerade darum hahen auch der Reichskanzler und die verbündeten Regierungen alle Ursache, nicht so leichthin über diese die Volksernährung und Volksgesundheit so nahe berührende Frage zur Tagesordnung überzugehen.

Abg. Stubbendorff (Rp.): Daß die Fleischyreise namentlich für Schweine so gestiegen sind, bedauern wir auch im Interesse unserer arbeitenden Bevölkerung, der kleinen Handwerker, Beamten usw. Aber die Fleischpreise auf dem Lande sind lange nicht so gestiegen wie in den Großstäͤdten, sondern wesentlich gleich geblieben. Es handelt

aber um eine internationale Erscheinung, überall ist die Dualität minderwertig geworden infolge der mangelnden Futter⸗ mittel. Die Leute müssen eben bei der Futternot seben, wie sie durchkommen, und lassen das Vieh einfach, laufen, um Futter zu 5 Wir hatten früher aus Dänemark eine reichliche Zufuhr von

indervierteln für 42 6 pro Zentner, und diese Einfuhrmöglichkeit befteht auch heute noch für dänisches Fleisch und österreichische Schweine, und auch für Fleisch aus anderen Gebieten. Aber die Lebenshaltung ist in den breiten Massen unserer Bevölkerung besser eworden, die Geschmacksrichtung des Publikums, besonders des kleinen annes, hat sich verändert, wie ich im praktischen Leben selbst er— fahren habe. Früher hatte ganz allgemein unsere Landbevölkerung einen Bedarf für eine rein fette Nahrung, die Leute aßen Speck im Winter und Sommer, aber heute will das Publikum nur noch mageres Fleisch haben; für das fette Fleisch sind auch heute noch die Preise billiger. Der Abg. Herold hat bereits darauf hingewiesen, daß die Mäster der Schweine über 90 der kleinen Bauern, Tagelöhner und kleinen Handwerker sind, und alle diese werden es sich ad notam nehmen, daß heute die Sozialdemokratie interpelliert, wie diesen kleinen Bauern und Handwerkern der, wie ich zugebe, außer— ordentliche Nutzen von der Schweinemast wieder weggenommen werden foll. Vor zehn Jahren berechnete man die Produktionskosten für den Zentner Schweinefleisch auf 32 M, heute sind es 40 Die Produktionskosten sind durch die Steigerung der Löhne und namentlich durch die Fleischbeschau gestiegen, und dazu kommt, daß infolge der Fleischbeschau das minderwertige Fleisch keine genügende Verwendung mehr findet, sondern ein solches Tier einfach dem Ab— decker überwiesen werden muß. Unter diesen Zuständen leidet be⸗ onders der mittlere Bauer, der nicht mehr allein das ganze Vieh be⸗ . en kann, sondern Arbeitskräfte gebraucht. Wie lange haben wir nicht Preise unter 40 M gehabt! Was hat nicht der Mäster für Arbeit und Sorgen bis zu dem Moment, wo er sein Vieh zur Schlacht bank bringen kann! Dazu kommt namentlich die Angst vor Seuchen und Krankheiten. Die Maul- und Klauenseuche hat unseren Viehbestand denimiert und uns ungeheure Verluste gebracht. Kein Mensch hat das Recht, zu fordern, daß das Vieh unter den . verkauft wird. Redner weist dann noch ausführlich auf die ungarischen Großbetriebe in der Schweinemast hin, und daß in den großen Stallungen in Stein bruch bei Budapest die Schweineseuche niemals auszurotten sein werde. Von dort aus sei sie seinerzeit nach Deutschland übertragen worden. Diese Tatsache dürfe man nicht übersehen, wenn man eine Erhöhung des Schweinekontingents verlange. Gegenüber der Kohlennot sei es viel leichter gewesen, Hunderttausende von Zentnern Kohlen aus der Erde zu fördern als gegenüber der Kalamität in der Viehbeschaffung bei der vorjährigen schlechten Futterernte den entstandenen Abgang zu ersetzen. Im ubrigen sei er überzeugt, daß in zwei, drei Monaten enüͤgend Schweine vorhanden . werden. Die deutsche Landwirt⸗ 6 habe den besten Willen, die Viehproduktion auf die alte . zu bringen. Wenn die Regierung sie wie bisher ,. in ihrem Bestreben, gegen das Ausland einen Schutz zu genießen, so werde sie in der Lage sein, ihrer Aufgabe gegenüber der gesamten deutschen Be⸗ völkerung gerecht zu werden. . .

Abg. Dr. Paasche (nl): Von manchen Seiten, namentlich von seiten des Begründers der Interpellation, ist der Standpunkt vertreten worden, daß die jetzt herrschende Fleischteuerung wieder ein Beweis sei, daß die ganze Wirtschaftspolitik der letzten Jahre Fiasko

Meine politischen Freunde haben gern mitgearbeitet an der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre, und wir erklären aus— drücklich, daß ein intensiverer Schutz der deutschen Landwirtschaft und insbesondere unserer viehzüchtenden Landwirtschaft und der kleinen

gemacht habe.

Bauern nach wie vor unseren Beifall hat, und daß wir nicht einwilligen wollen in Maßregeln, die diesem Schutz irgendwie Abbruch tun können. Der Abg. von Oldenburg hat gestern mit Recht darauf hingewiesen, daß die heutigen Zustände zurück zuführen sind auf die Caprivischen Handelsvertrage, die gerade von der Linken so lebhaft verteidigt worden sind. Wir stehen noch immer unter dem Szepter dieser von Ihnen so, hoch ge⸗ priesenen Caprivischen Handelsperträge, und daraus sind die Zustände entstanden, die auch wir als eine Notlage bezeichnen müssen. Wir geben auch zu, daß eine Fleischteuerung wenigstens für Schweine fleisch besteht, aber wenn auch diese Frage der Fleischteuerung auf gebauscht worden ist, so muß ich doch ausdrücklich hinzufügen, daß ein gut Teil meiner politischen Freunde ebensewenig darüber, erfreut ist, daß von amtlicher Stelle, speziell von seiten des preußischen Land⸗ wirtschaftsministers, die ganze Frage anfangs nicht mit dem Ernst behandelt zu sein scheint, den die Wichtigkeit der Frage erfordert. Die Aeußerungen, die er bei der Eröffnung der Mastviehausstellung in Altona gemacht hat, sind von seinen guten Freunden leider in die Oeffentlichkeit gebracht worden; ich nehme es nicht übel, wenn auch eine scherzhafte Bemerkung über ein ernsthaftes Thema gemacht wird aber es ist dem Landwirtschaftsminister nicht zum ersten Male, sondern schon oft passiert, daß das, was er im vertrauten Kreise gesagt hat, hinausgetragen wird in die weite Welt, und man kann es der . nicht übelnehmen, wenn sie solche scherzhaften Bemerkungen aufbauscht. Meine politischen Freunde bedauern es auf das lebhafteste, dan von berufener Stelle, die solche Gre, mit allem Ernste behandeln sollte, solche scherzhaften Bemerkungen gemacht werden, die verletzen können. Ich bedauere dies um jo lebhafter, als ich anerkennen muß, daß die preußische Landwirtschaftsverwaltung alles, was sie in diesem Falle tun konnte, getan hat, um Abhilfe zu schaffen. Es wäre vielleicht möglich gewesen, in Oberschlesien unter der strengen Kontrolle, die wir jetzt dort baben, die Grenzen in gewissem Umfange zu öffnen. Aber darüber zu entscheiden, ist dem Laien sehr schwer. Daß sofort die eingehendsten Untersuchungen über die veterinären Verhältnisse angestellt sind, beweist, daß man die Sache mit dem nötigen Ernst behandelt hat. Ich bedaure, daß das Ergebnis nicht das gewesen ist, daß man die Kontingente nach und nach erhöhte, damit auch keine Agitation hätte aufkommen können, aber das, was geschehen ist, ist anerkennenswert. Die Denk— schrift ist uns nicht als Drucksache des Reichstags vorgelegt, sondern sie ist uns als Material vom preußischen Landwirtschaftsministerium zur Verfügung gestellt. Wir sollten also mit unserer Kritik zurück⸗ haltend 3565 Sie ist nach meiner Meinung ebenfalls mit großer Sachkenntnis und großem Ernst ausgearbeitet. Allerdings ent— sprechen die dort angeführten Tatsachen nicht dem, was Sie (nach links) als Tatsachen auffassen, sie kann aber sehr wohl dem Un⸗ parteiischen die Bedingungen zur Bildung eines eigenen Urteils ge⸗ währen. Trotzdem muß ich erklären, daß es in vielen Kreisen 6 stimmung erweckt hat, daß der Landwirtschaftsminister durch miß⸗ verstandene Aeußerungen zu der Auffassung beigetragen hat, als ob nicht das Nötige von eiten unserer Behörden geschehen wäre. Sind die gegenwärtigen Zustände eine vorübergehende Erscheinung, so muß man sie ertragen; ergibt sich, daß sie eine dauernde Erscheinung

sind, so hat man Abhilfe dagegen zu treffen. Auf diese Frage müssen wir uns Antwort geben. eine politischen Freunde, sind darin einig, daß die gegenwärtig bestehenden hohen Preise für Schweine⸗ fleisch keine dauernde Erscheinung sind, sondern eine solche, für die die Gründe ziemlich klar und offenkundig zu Tage liegen. Das deutsche Volk und die deutsche Landwirtschaft sind, unserer Ueber⸗ zeugung nach vollauf im stande, wenn man ihre Viehbestände gegen die euchengefahr schützt, den durchschnittlichen Inlandsbedarf an Fleisch zu decken. Wenn das vorübergehend nicht der Fall ist, so ist die Konsequenz falsch, daß man sofort die Wirtschaftspolitik ändern müßte. Wie oft kommt es in allen anderen Branchen vor, daß der vorübergehende Bedarf nicht gedeckt werden kann und die Preise außergewöhnlich steigen. Ist das dort unter veränderten Produktions- bedingungen der Fall, so sagen Sie, das muß man geduldig hinnehmen, dann spricht niemand von einem Systemwechsel der Wirtschaftspolitik. Aber wenn in der Landwirtschaft knappe Zeiten abwechseln mit guten Zeiten, mit reichen Futtervorräten und billigen Fleischpreisen, so heißt es gleich, es muß ein Wandel in der Gesetzgebung eintreten. Das verlangt die Interpellation ausdrücklich, cinen Wechsel der Gesetz= gebung und des ganzen Wirtschaftssystems. Was für die Industrie gefordert und gewährt wurde, langfristige Handelsverträge, mußte billigerweise auch für die Landwirtschaft gewährt werden. Ein Grund, diese Gesetzgebung ju ändern oder die Grenzen zu öffnen, liegt nicht vor. Wir brauchen für unsere Landwirtschaft, und namentlich für die Viehzucht, feste, dauernde Grundlagen; wenn wir die haben, wird unfere deutsche Landwirtschaft die Ansprüche, die man mit Recht an sie stellt, befriedigen können. Die Gründe dafür, daß es sich nur um eine vorübergehende. Teuerung handelt, liegen klar auf der Hand; die praktischen Männer, die gestern ge⸗ sprochen haben, haben sie ausführlich angegeben: die Mißernte in Futtermitteln usw. usw. Im vorigen Sommer waren Schweineferkel gar nicht abzusetzen, weil die Preise zu sehr gesunken waren; die hohen Kartoffelpreise brachten es mit sich, daß die Schweinezucht fast gar nicht mehr gefördert wurde. Die Linke will die Gefährlichkeit der Seucheneinschleppung nicht wahr haben; aber wer im praktischen Leben steht, weiß, daß gerade die Schweineseuchen den allergrößten Schaden dem Zuchtvieh zufügen. Die größeren Züchter haben darum größere Schwelnebestände gar nicht mehr behalten. Die Schweine fehlen darum doch nicht, denn die kleinen Leute namentlich im ganzen Osten halten nach wie vor an der Schweineaufzucht fest; was uns fehlt, sind die vollreifen Schweine, da diese kleinen Leute die Schweine schon halbreif weggegeben haben. Um so mehr ist es die Pflicht der Re— gierung, die Seuchengefahr von unseren Schweinen fernzuhalten. Gerade weil es sich hier um den kleinen Besitzer handelt, ist dies eine unserer Hauptaufgaben. Es soll also nicht bei einer solchen vorüber⸗ gehenden Erscheinung sofort die Klinke der Gesetzgebung in die Hand genommen werden. Wir bedauern mit dem Abg. Herold, daß dDiese Gelegenheit wieder einmal dazu benutzt worden ist, um einen Gegensatz zwischen Stadt und Land in hetzerischer Weise heraufzubeschwören; ich unterschreibe jedes Wort, das er gesagt hat. Gerade in so ernsten . wie den jetzigen sollte man sich hüten, eine solche lediglich ver⸗ etzende Agitation zu treiben! .

Abg. Graf Reventlow (wirtsch. Vag.); Herr Scheidemann meinte, der Landwirtschaftsminister würde in einem konstitutionellen Staatswesen innerhalb 24 Stunden verschwunden sein. Wenn er einen richtigen Begriff vom konstitutionellen Staatswesen hätte, müßte er heute selne Meinung umdrehen und sagen, wenn der Minister auf dem Standpunkt des Herrn Scheidemann stände, würde er in einem konstitutionellen Staatswesen allerdings inner— halb 24 Stunden verschwinden müssen, denn die überwiegende Mehrheit des Hauses hat sich auf den Standpunkt des Ministers gestellt. Wir sprechen dem Minister und dem Reichskanzler unsere vollste Zustimmung aus. Darin, daß der Minister diesen ernsten Gegenstand auch in einer Tischrede berührt hat, wird kein ver— nünftiger Mensch das Geringste finden, aber der Minister hätte sich dabei doch sagen müssen, mit welcher Gewissenlosigkeit und heuchlerischen Verlogenheit heute die öffentliche ö vielfach fabriziert wird. Der . hätte auch bei dem ernsten Charakter dieser Frage bei dem Empfang von Deputetionen von der Form des Scherzes Abstand nehmen sollen. Wenn Herr Scheidemann als ein Cato, der kein einziges Schwein besitzt, den inister wiederholt als Schweinejüchter an redete, so hätte der Minister nicht antworten dürfen. Auf solche Anzapfungen ist Schweigen die einzige Antwort, die man bei der Leitung der Geschäfte, die wir hier haben, geben könate. Wir können den Sozialdemokraten nur danken, daß sie sich hier wieder als die Kraft bewiesen haben, die etwas anderes erreicht haben, als sie wünschten, und daß sie sich vor der breitesten Oeffentlichkeit in dieser Frage eine Niederlage geholt haben. Herr Scheide, mann tat so, als ob wir hier gegen den kleinen Handel im Mittelstand kämpften. Den unvernünftigen Kampf gegen irgend welche Teile des Mittelstandes überlassen wir ruhig der Linken des Haufes und vielleicht dem Ministerialdirektor Thiel, von dem ich hoffe, daß entweder feine amtliche oder seine Redetätigkeit ein baldiges Ende finden wird. Ueber die Schweinelieferungen des Abg. Lattmann hätte Herr Scheidemann sich besser informieren sollen. Er hat bei seinen Zahlen vollständig di Abrechnung einer 29 proz. Tara unterlassen. Durch das erwähnte Geschäft ist es den Schlächtern in Schmalkalden ermöglicht werden, Schweine um 3 M pro Zentner billiger zu kaufen, als sie es sonst gekonnt hätten. Spesen sind aller⸗ dings mit 3 ½ pro Schwein berechnet worden, aber weder ich noch Herr Lattmann hat davon etwaz zu sehen bekommen, sondern sie sind in die Hände des Mannes geflossen, der den Verkauf im einzelnen be—⸗ sorgt bat. Das offizielle 6. der Sozialdemokraten, der „Vor- warts“, hat noch vor kurzem Herrn Scheidemann zu verstehen gegeben, wenn er handelspolitische Artikel schreiben wolle, möge er sich erst die daju wünschenswerte Kenntnis verschaffen. Die Steigerung der Konsumpreise können wir auch nur auf daß allerhöchste bedauern, weil wir darin eine Verringerung der Volksernährung sehen. Diese Preissteigerung kann im Interesse des Konsums und auch der Produktion nur beklagt werden. Es kann keine Frage sein, daß nach diesen hohen Preisen die ersten günstigen Futterbedingungen zu einer Ueberproduktion an Schweinen führen müssen, die einen starken 2 im Gefolge haben muß. So hohe Preise können nicht im nteresse der Produzenten liegen. Ich möchte annehmen, daß ein Preis von 45 M pro Zentner Lebendgewicht der normale Preis ist, aber viel mehr als ein auskömmlicher Preis ist es nicht. Der Unternehmergewinn aus diesem Preise ist, immer⸗ hin ein recht geringer, wenn man das gewaltige Risiko be⸗ denkt, das heute auf der Schweinezucht liegt. Denken Sie nur daran, daß der an sich lobenswerte Eifer der Tierärzte in der Bekämpfung der Viehseuchen zuweilen so weit geht, daß, wenn ein Schwein sich zu husten erlaubt, sofort der ganze Stall gesperrt wird. Wer ist denn der eigentliche Interessent? Der kleine und kleinste Besitz. Ein Anerkenntnis hierfür liegt vor von sozialdemokratischer und freisinniger Seite bei der letzten Wahlagitation in Eisenach, wo beide Parteien diejenigen Flugblätter, die von der Fleischnot reden, nicht auf das flache Land hinausgelangen ließen, obwohl dort ein kleiner und ganz kleiner Besitz vorhanden ist. Darin liegt eine An— erkennung des von mir angedeuteten Verhältnisses oder vielleicht ein plötzlicher Anfall von Objektivität. Wenn heute manche Schweinezüchter wirklich einen übermäßigen Verdjenst einheimsen, so wäre das noch kein Grund zu einer lebhaften Entrüstung, schon deshalb, weil zu Zeiten, die noch nicht lange zurückliegen, die Schweine zu einem Preise von 28 M für den Zentner Leb ndgewicht verkauft wurden. Es wäre also nur ein Ausgleich für die Zeiten, in denen die Schweinezüchter geradezu mit Verlust arbeiten mußten. Die Behauptungen der linken Seite und des Interpellanten sind durch die Denkschrift des landwirtschaftlichen Ministeriums und des Deutschen Landwirtschaftsrats genügend widerlegt worden. Der Abg. Pohl hat den sachlichen und würdigen Eindruck seiner gestrigen Rede dadurch abgeschwächt, daß er mit dem 1351sten Schwein zu jonglieren anfing. Ich gebe ihm darin recht, daß in der Zulassung eines Kon—⸗ tingents an sich eine Inkongruenz liegt, wenn auch in einer anderen Weise, als er sie beseitigt zu sehen wünscht. Aber mit solchen Kunst. stücken wie mit der Zahl 1351 wird sachlich zur Debatte nicht gerade

beigetragen. Es kommt bei Gesetzen nicht darauf an, mit irgend welchen dialektischen Kunststücken eine Inkongruenz herauszu= drechseln, sondern auf die ratio legis. Das würde Herr Pohl, wenn er Jurist wäre, anerkennen. Herr Stubbendorff hat sich eine sachliche Unkenntnis insofern zu schulden kommen lassen, als er annahm, daß . Dove einen städtischen Wahlkreis vertritt; merkwürdigerweise vertritt er einen ländlichen. Was die Ursachen der sogenannten Fleischnot angeht, so liegt ein wirklich starker Viehmangel in Deutschland nicht vor. Aus zahl— reichen Marktberichten ist nachweisbar, daß auch zu der Zeit, wo nach den Mitteilungen der Presse die Preise am höchsten waren, auf dem Lande starke Viehbestände unverkäuflich blieben, auch Ueber stände auf den Märkten waren. Die Behauptung, daß dieses Vieh minderwertig gewesen sei, bedarf nicht erst der Widerlegung. Im großen und ganzen hat sich immer die Möglichkeit ergeben, nach den einzelnen Gegenden je nach Wunsch größere oder geringere Vieh⸗ transporte abzusenden, um der Not abzuhelfen. Es sind schließlich selbst in Oberschlesien die Viehsendungen mit der Motivierung zurück gewiesen worden, daß eine Fleischnot dort nicht mehr vorhanden sei. Durch den Mangel an Futtermitteln sind die Kosten für die Schweine allerdings erheblich gestiegen, aber der Landwirtschaftsminister bat vollkommen recht, wenn er die wesentliche Mitschuld an der Fleischteuerung der Presse zumißt, und gerade der, die das Interesse der Fleischkonsumenten vertreten sollte; denn wenn die Landwirte fort- während von hohen Viehpreisen lesen, so ist es ganz naturgemäß, daß sie auch für sich eine solche vielleicht nicht wiederkehrende Konjunktur benutzen wollen und ihre Preise steigern. Daß auch ein äberflüssiger, nicht daseinsberechtigter Zwischenhandel sein Teil beigetragen hat, ist leicht zu beweisen. Wir erkennen gewiß das Fleischergewerbe als be— rechtigt an; wenn aber ein Stück Vieh erst durch vier, fünf Hände geht, ehe es von dem Großhändler zum Schlächter gelangt, so muß dadurch eine ganz erhebliche Teuerung eintreten. Die Differenz zwischen den den Bauern bezahlten Lokopreisen und den Preisen in Berlin hat sich in der Zeit von 1695 bis 1905 von 6 auf 15 Æ erhöht. Dazu kommt noch die Differenz zwischen den Großhandelspreisen und denen in den Fleischerläden. Die Herren, die das Bestehen eines Händlerringes geleugnet haben, haben sich recht ununterrichtet und unvorsichtig gejeigt. Auf dem Husumer Viehmarkt z. B., wo meist rheinische Händler verkebren, haben diese den Bauern gesagt, daß sie ihnen auf jedes Stück Vieh 5. M in Abzug bringen müßten, da sie sich gegenseitig bei einer hohen Konventional⸗ strafe hierzu verpflichtet hätten. Was die Oeffnung der Grenzen betrifft, so möchte ich daran erinnern, daß der Bürgermeister von Wien, Lueger, geäußert hat, sobald Deutschland die Oeffnung der Grenzen anordnet, müßte die Antwort Oesterreichs ein Ausfuhr⸗ verbot sein, weil in Oesterreich selbst ein Viehmangel herrscht. Und trotz der sogenannten hermetischen Sperrung ist in diesem Jahre die Einfuhr nach Deutschland vom Ausland wieder größer er als im Vorjahr, auch die von Holland. Merkwürdigerweise schlagen die Herren auf der Linken die Seuchengefahr so unendlich niedrig an, während sie doch gleichzeitig behaupten, die Verseuchung unserer nationalen Viebhbestände sei womöglich noch größer als die des ausländischen Viehes. Sie haften da am Scheine; erscheint die Ver, seuchung unseres Viehes größer, so deshalb, weil die Seuchenfälle bei uns gründlicher aufgespürt und festgestellt werden Die Herren von der Linken haben ja Beziehungen zu Rußland; lassen Sie sich von diesen Leuten, soweit sie auch wirtschaftliche Kapazitäten sind, bezeugen, wie es mit der russischen Viehzucht steht, wie zahlreich das kranke Vieh dort ist, und wie wenig sich die russischen Viehzüchter be⸗ mühen werden, uns das wenige gesunde Vieh, das sie haben, zuzuführen. Abhülfe gegen die Fleischteuerung kann geschaffen werden durch möglichste Förderung unserer eigenen Viehzucht, durch gewissen⸗ haftere Arbelt in der Presse, die nicht in der Luft schwebende Dinge sich zu Tatsachen verdichten lassen sollte, dadurch, daß die Städte, die ja bisher auf Städtetagen Bedeutendes leisteten, auch sachlich sich betätigten, indem sie die hohen Schlacht-, und Viehhof⸗ gebühren herabsetzten und nicht über die Erfordernisse der Ver—⸗ zinsung und Amortisterung hinaus an diesen Einrichtungen verdienen sollten. Wenn die Städte ernsthaft eingingen auf die erfolgten Aner⸗

bietungen direkter Verhandlungen mit den Produzenten, dann würden

sie auf ihrem , nicht so viel zu klagen haben. Sie können immer nur den einseitigen Konfumentenstandpunkt vertreten, sie sind in diesem Punkte ihrer politischen Anhängerschaft oder Untertanen— schaft gegenüber gebunden. Es ist ja furchtbar leicht, mit dem Strom der volkstümlichen Presse dahinzuschwimmen und sich damit den Schein des einzig wahren Volks- und Arbeiter⸗ freundes zu geben. Ich höre schon fortwährend das Gelächter der Linken, wenn ich ausspreche, daß die eigentlichen Arbeiter freunde gerade auf der rechten Seite des Hauses sitzen. Nicht der ist der wahre Volksfreund, der immer mit dem Strom schwimmt, einerlei, ob es wahr oder unwahr ist, was er sagt, sondern derjenige, der einen gesunden volkswirtschaftlichen Standpunkt auch dann vertritt, wenn er noch so unpopulär ist. Das Wohl des kleinen Mannes ist im höchsten Grade davon abhängig, wie es dem Tandwirte mit seiner Produktion ergeht. Auch Ihre Herr⸗ lichkeit, die wesentlich auf dem Fundament der vopulãren Phrase beruht, wird und muß einmal ihr Ende finden, weil doch ein Kern von Vernunft auch in der deutschen Menschheit enthalten ist. Dauernd wird sich ein wesentlicher Teil des deutschen Volkes nicht geistig sättigen laͤssen damit, daß man ihm panem et circenses zuruft oder ihm im eigenen Hause durch Terrorismus das Piedestal des Parteigötzen wieder zusammenschmiedet; wir glauben, die Vernunft wird wiederkehren, und man wird erkennen, daß wir es sind, die seit langen Jahren die wirklich volksfreundliche Wirtschaftspolitik betrieben haben. Und wir werden sie weiter treiben. ö

Abg. von Skarzvns ki (Pole) ist bei der im Hause auftretenden und sich steigernden Unruhe im Zusammenhange nicht zu verstehen; er schließt sich den gestrigen Ausführungen des Abg. Herold an.

Abg. Molkenbuhr (Soz ): Wenn die Maul. und Klauen⸗ seuche wirklich aus dem Auslande bei uns eingeschleppt wäre, so müßte sie doch gerade am meisten in den Grenzbezirken vorkommen, aber unter den 1100 verseuchten Gehöften liegen gerade 1009 nicht in Grenzbezirken, und aus Holland und Frankreich, die für die Einschleppung in Betracht kommen könnten, ist gerade in den letzten Jahren kein einziges Stuck Vieh bei uns eingeführt worden. Wenn Graf Reventlow bei jedem einzelnen Seuchenfall die Ursache nach= weifen könnte, so wäre das sehr verdienstvoll; denn wenn wir die Ürfachen kennen würden, könnten wir die Seuche am leichtesten be— kämpfen. Es handelt sich jetzt nicht bloß um Notstandspreise, sondern die ganze Preisbildung entspricht durchaus der gegenwärtigen Agrarpolitik der Regierung. Der Reichskanzler hat in dieser Frage immer die Einzelstaaten vorgeschoben, und die Einzelstaaten verschanzen sich wieder hinter den Reichskanzler, wie es z. B. in der Antwort der mecklenburgischen Regierung auf eine Eingabe um Auf⸗ hebung der Einführbeschränkungen heißt, daß die Einfuhrbeschränkungen auf Reichsgesetz beruhten und für eine Aufhebung derselben eine Ver= ständigung der Reichsregierung vorausgesetzt werden müsse. Die städtischen Oktroiz sind für die Fleischteuerung ins Feld geführt worden, und Herr Herold wies spezlell auf Aachen mit seiner hohen Schlachtsteuer hin. Ja, wenn sich das Zentrum nur einig wäre, könnte es diesen Mißffand beseitigen; denn gerade in Aachen haben Herren des Zentrums bedeutenden Einfluß. In den Gemeinde verwaltungen haben auf Grund der Städte- und Gemeindeordnung den größten Einfluß gerade die Besitzenden, welche die Lasten auf die indirekten Steuern abwällen, und daher werden in den meisten Städten die Schlachtsteuern aufrecht erhalten. Wenn es der Regierung Ernst wäre, für die Beseitigung derselben zu wirken, so sollte sie das allgemeine gleiche direkte Wahlrecht in den Städten einführen. dann würden 8 ter! entstehen, die mit diesem Mißbrauch aufräumen und die Leistungsfähigen zu den Steuern heranziehen, Hier bellagt die Regierung die Verteuerung der Lebensmittel durch die städtischen Oktrois, aber in Offenbach, wo die, soꝛialdemokratische Mehrheit sie abschaffen wollte, derhinderte es die Regierung, In der Denkschrift wird als abschreckend die Höhe der Schlacht hofkesten angeführt. Im Jahre 1895 bezahlten nun die Hamburger Schlächter,

1855 an der Jahl, im Durchschnitt 630 6 Ich glaube nicht, daß

nicht in Abrede zu stellen.

9 einen solchen Preis die Schlächter Stall und Fütterung auf den iehhöfen erhalten würden. Dazu kommt, daß sie jetzt nicht so viel Gesellen brauchen für das Schlachten. Man macht den Zwischen⸗ handel verantwortlich für die Teuerung. Die Tatsache an sich ist l Der Minister sollte aber doch wissen, daß dieselbe verteuernde Wirkung auch bei jedem anderen Produkt vor⸗ handen ist, denn der i e. kommt doch nicht bloß im Schlächtergewerbe vor. Wir sind damit einverstanden, den Zwischen⸗ handel überhaupt zu beseitigen und eine andere Organisation der Pro— duktion und Konsumtion zu schaffen. Es wäre aber ein großes Unrecht, den Händler im Fleischergewerhe allein zum Opfer fallen zu lassen. Der größte, Teil dLieser Zwischenhändler sind kleine Gewerbetreibende, Schlächtermeister, die Vieh auftaufen. Der Minister sprach von den veränderten Ansprüchen an die Schlächter, von den schönen ,, . der Läden, der elektrischen Be⸗ leuchtung, den Spiegelschelben, den Marmorfliesen und davon, daß den Kunden jetzt das Fleisch ins Haus gebracht wird. Das Austragen von Fleisch war schon in meiner Jugend selbst— verständlich, und der Minister wird seine Wohnung heute auch ganz anders beleuchten lassen, als seine Eltern es getan haben. Der Minister ist gewiß ein genauer Kenner der landwirtschaftlichen Verhältnisse. Der war er aber auch schon am 11. August, als er sagte, der Notstand würde in sechs, höchstens acht Wochen vorüber sein. Da sich seine Prophetengabe damals als falsch erwiesen hat, so wird er sich auch jetzt irren. Nun wäre es interessant gewesen zu hören, welche Mittel er vorzuschlagen hat für den Fall, daß der Mißstand ein dauernder ist. Soll etwa bloß in bezug auf die Beleuchtung und sonstige Ausstattung der Läden eine Verbilligung eintreten? Ich glaube nicht an eine solche Verbilligung. Ich erinnere Sie an die bevorstehende Erhöhung des Zolls auf, Futtermittel. Der Mais allein wird um 14 Millionen verteuert. Diese müssen doch herausgebracht werden. Die kleinen Besitzer und Arbeiter können überhaupt nicht viel züchten, ohne höhere Preise zu nehmen. Durch diese künstliche Verteuerung der Futtermittel setzen Sie selbst die Viehproduftionskosten herauf. Die Vieh- und Fleischzölle sind auch erhöht. Der Industriearbeiter kann sich nicht so ernähren wie der Landarbeiter, er ist auf den Fleischkonsum angewiesen. Der be— kannte badische Gewerbeinspektor Dr. Wörrishofer hat in einem Buch über den Einfluß der Tuberkulose auf die Zigarrengrbeiter hierzu interessantes Material geliefert. Die Bestrebungen gehen dahin, die Löhne möglichst niedrig zu halten, aber auch bei gestiegenen Löhnen ist es heute unmöglich, die Lebenshaltung zu verbessenn. In der Aera Caprivi suchte man in Ermangelung eines Besseren der Land—⸗ wirtschaft durch die sogenannten kleinen Mittel zu Hilfe zu kommen. Es wurden allmäblich eine ganze Reihe von Einfuhrverboten zur Ver⸗ hinderung der Einschleppung der Maul und Klauenseuche eingeführt, aber drei Jahre nach der Einführung der vollständigen Sperre war die Zahl der verseuchten Höfe, erheblich größer als vorher. Hat man durch diese Verbote die Verbreitung der Seuchen nicht wesentlich beschränken können, so muß man desto skeptischer sein gegen die entsprechenden Verbote, die uns vor der Einschleppung anderer Seuchen aus dem Auslande behüten sollten. Glaubt heute noch ein Mensch, daß es sich bei der Schweinesperre wirklich um die Fern⸗ haltung der Trichinen handelt? Alle diese Maßregeln gewinnen bei genauerem Studium mehr und mehr den Anstrich, daß es sich bei ibnen lediglich um die Verteuerung des Viehes handelt. Graf Caprivi wollte Waren ausführen, um nicht Menschen ausführen zu müßsen. Will man den Zuwachs der Bevölkerung im Lande be— schäftigen, so kann dies nur in der Industrie geschehen, nicht in der Landwirtschaft. Eine für die Agrarier recht unangenehme Neben— erscheinung dieser Entwicklung ist die Tatsache, daß so in den Industriezentten die Millionäre und Milliardäre gezüchtet werden, magen die Fürsten nur noch als eine Art Mittelstand er⸗ scheinen; und o kommt man folgerichtig zu der Erkenntnis, daß diese Kanitzsche Wirtschaftspolitik darauf berechnet ist, die Industrie⸗ bevölkerung zu dezimieren. In dem gleichen Gedankengange bewegt sich die Rede, die Graf Bülow bei der Einbringung der Handels— verträge im Reichstage hielt, sonst wäre diese ganze Politik über⸗ haupt nicht zu verstehen. Wäre dies nicht ihr Zweck, so könnten solche horrenden Steuervorlagen, wie die neuesten, nicht an den Reichs. . gebracht werden, eine Vorlage, die durch ihre Tabakzollerhöhung allein abermals Zehntausende von Arbeitern brotlos machen muß. Eine solche Dezimierung ist also die Absicht der Reichspolitik. Man singt uns gegenüber das alte LZied von der Aufhetzung. Manche gute Dausfrau, die jetzt auf dem Markt nur noch drei Viertel oder jwei Drittel des Fleisches für dasselbe Geld bekommt, hält jetzt, nach Hause zurückgekommen, eine scharfe⸗ urwüchsige Hetzrede, ohne Sozialdemokratin zu sein; was soll vollends die Frau machen, in deren Haushalt nur eine bestimmte Summe für Fleisch überhaupt zur Verfügung steht? Die „Neue Preußische 5 vom 26. Januar 1893 sagt in einem Leitartikel: Wir müssen aufhören zu klagen, wir müssen schreien, aber wir müssen auch gleichteitig handeln, indem wir aufhören, für die Regierung in unserem Bezirke die Wahlen zu machen, wir müssen alle Ehrenämter ablehnen, zu denen wir nicht gesetzlich geiwungen werden können... Wir müssen Politik, und zwar . treiben. Haben wir doch den Mut, den Namen Agrarier .. . mit Recht zu tragen., so klang es 1893 aus Ihren Lrechts) Kreisen heraus; das war das Sturmsignal des Herrn Ruprecht⸗Ransern. Sie haben unter dieser Fahne gesiegt. Können Sie es da den Arbeitern verdenken, wenn die ebenfalls rücksichtslos ihre Interessenpolitik vertreten? Jetzt tritt die Zeit ein wo die Arbeiter am Geldbeutel die Wirkung der Agitation der Agrarier verspüren. Bei den Arbeitern handelt es sich um die Existenz, um die notwendigen Lebensbedingungen. Wenn die Wirtschafts, und Zollpolitik die Lebensmittel verteuert, die Aus- fuhr unterbindet, dann darf man sich nicht wundern, daß die Arbeiter in dem Ringen um die Existenz auch einmal etwas andere Töne an— schlagen. Die gegenwärtige Fleischteuerung hat schon an sich recht aufreizend gewirkt. Wir hatten gar nicht nötig, uns dabei etwa an= zusttengen, denn wir wissen ja ganz genau, wie es mit dem 1. März 1906 werden wird, wenn die neuen Handelsverträge und der Zolltarif in Kraft treten. Darum ist auch die gegenwärtige Fleischkeuerung keine vorübergehende Erscheinung; es ist fur Sie außerdem sehr an— genehm, daß sie jetzt schon eingetreten ist, weil Sie dann nachher be⸗ haupten können, sie sei nicht auf den Zolltarif und die Handels— verträge zurückzuführen.

Bevollmächtigter zum Bundesrat, preußischer Staats⸗ minister und Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten von Podbielski:

Der Herr Vorredner wie auch einige andere Herren sind ver— schiedentlich auf die Veterinärfrage eingegangen. Dies gibt mir, da ich glaube, daß diese Verhältnisse bei vielen Herren noch nicht völlig aufgeklärt sind, Anlaß, nochmals das Wort zu ergreifen.

Der Herr Vorredner sagte er wandte sich, glaube ich, an den Herrn Grafen Reventlow betreffs der Maul⸗ und Klauenseuche, wie könne jeder Fall der Seuche im Lande zusammenhängen mit einer Einschleppung vom Auslande? Direkt das muß ich zugeben natürlich nicht, aber das Contagium der Klauenseuche ist bekanntlich sehr leicht übertragbar, und nachweislich hat jede Einschleppung in die Grenzbenirke Verschleppungen des An—⸗ steckungsstoff nach dem Binnenlande zur Folge. (Sehr richtig! rechts.) Wir haben in den letzten beiden Jahren zwei erhebliche Seuchen einschleppungen über die russische Grenze gehabt. Der Herr Vorredner hat die Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Posen und Schlesien angeführt. Gerade in diesen Provinzen hat sich gezeigt, wie die Uebertragung der Krankheit von Seuchenausbrüchen an der Grenze stattfand und daß dann im Inland durch den Verkehr mit Vieh und durch allerlei Zwischenträger, zu denen an erster Stelle der Mensch gehört, weitere Seuchenherde entstanden, die sich auf jene ersten durch Ein⸗ schleppung aus dem Auslande entstandenen zurückführen ließen. Die emsige

Arbeit unserer gesamten Veterinäre hat es zustande gebracht, daß wir heute in Preußen wie in ganz Deutschland keine Klauenseuche haben. Da ist es naturgemäß, daß wir, um diese endlich erreichte Seuchen⸗ freiheit zu bewahren, auf der Hut sein müssen und uns nach allen Richtungen schützen müssen, damit nicht etwa von neuem diese Krank⸗ heit eingeschleppt wird, die in den deutschen Viehbeständen jährlich für 100 Millionen Mark Schaden angerichtet hat.

Der Herr Vorredner sagte: bald nach der Verhängung der Sperre ich hatte damals noch nicht die Ehre, preußischer Minister zu sein sei eine große Verbreitung der Seuche ein getreten, und schloß daraus, daß die Sperre überflüssig sei. Ich gebe zu, die Statistik spricht für ihn. Aber der Kampf be⸗ gann damals erst. Der Ansteckungsstoff war schon im Lande, und naturgemäß konnte die Bekämpfung der so tief eingenisteten Seuche nicht mit einem Schlage gelingen. Aber nach und nach wurden die Maßregeln intensiver und, nachdem man sicher war, daß von außen kein neuer Ansteckungsstoff hinzukam, konnte auch im Inlande schärfer vorgegangen werden. Jetzt ist endlich der Sieg über diese hartnäckige Seuche errungen.

Aber es handelt sich nicht allein um Fernhaltung der Maul- und Klauenseuche von unseren Grenzen. Der Herr Vorredner ging auch auf die Trichinenkrankheit ein. Die Trichinenfrage sieht in Nord⸗ amerika naturgemäß anders aus als bei uns, weil bei uns in größerem Umfange rohes Schweinefleisch und roher Schinken gegessen wird. In Ländern, wo nicht rohes Fleisch und roher Schinken, sondern nur ge— kochtes Fleisch genossen wird, ist selbstverständlich die Gefahr der Trichinose geringer, denn das Kochen zerstört diese Parasiten.

Ich verstehe es aus diesem Grunde sehr wohl, daß der Nord⸗ amerikaner über die Trichinengefahr und Trichinenfurcht lächelt, während wir bei den anderen Lebensgewohnheiten unseres Volkes die Gefahr der Trichinenkrankheit sehr hoch anschlagen müssen. Ich brauche nicht hervorzuheben, wie schwere Verluste an Leben und Ge⸗ sundheit bei uns durch die Trichine entstanden sind. Ich meine, da sollte man doch anerkennen, daß diese Frage in Deutschland eine andere Beurteilung erheischt als in Amerika und daß unsere Maß— regeln nicht unbegründet oder überflüssig sind, mag der Amerikaner darüber lächeln oder nicht.

Dann wurde darauf hingewiesen: daß das dänische Vieh nicht allein eine Quarantäne durchmachen müsse, sondern auch einer Tuber⸗ kulinimpfung unterzogen würde. Man hat das unter Berufung auf die Statistik als überflüssig und chikanös bezeichnet. Der Handel hat es allerdings verstanden, die Tuberkulinprobe, die von unserer Verwal⸗ tung vorgenommen wird, bis zu einem gewissen Grade zu neutralisieren; ob das Tier tuberkelverdächtig ist oder nicht, man spritzt jedem Tier, ehe es zur Einfuhr nach Deutschland kommt, Tuberkulin ein, und man bewirkt dadurch, daß bei der Tuberkulinimpfung in den Quarantäneanstalten keine oder nur eine sehr geringe Reaktion eintritt. (Hört! hört! rechts) Diese Manipulation ergibt sich klar aus der Statistik. Im letzten Jahre haben wir in den Quarantäneanstalten nur 1,6 tuberkelkrankes Vieh gefunden, während einige Tage später bei den Schlachtungen nicht weniger als 20, in früheren Jahren sogar 30 0 o der Tiere tuberkulos befunden wurden. (Hört! hört! rechts.) Wie Sie wissen, meine Herren, haben wir auch in Deutschland in erheblichem, vielleicht in demselben Umfange tuberkelkrankes Vieh. (Zuruf links.) Ich bin Überzeugt, daß Sie eine umfangreiche Kenntnis auf diesem Gebiete besitzen ich werde dies auch nie in Abrede stellen. Aber wir suchen diese Krankheit zu bekämpfen und wollen in der bevor— stehenden Novelle zum Viehseuchengesetze sogar eine Entschädigung für tuberkuloses Vieh einführen, das auf polizeiliche Anordnung getötet wird. Da ist es doch natürlich, daß wir uns gegen die Zufuhr von tuberkelkrankem Vieh, das andere Länder, um sich von diesem Uebel zu befreien, zu uns abschieben wollen möglichst zu wehren suchen. Ich will nicht auf den Streit der Gelehrten eingehen, inwieweit die Tuberkulose des Rindviehs auf den Menschen übertragbar ist. Jeden falls ist es ein erstrebenswertes Ziel, daß Fleisch von tuberkulosen Tieren nicht zur menschlichen Nahrung verwendet wird, und ich hoffe deshalb, daß alle Herren, die für die Gesundheit unserer Be⸗ völkerung eintreten, auch an der Gesundung unseres Vieh— bestandes mitarbeiten werden. Ich glaube, daß diese Ausführungen dazu beitragen werden, diese zum Teil nicht ganz einfach liegenden Fragen zu klären, und daß man dann der Regierung nicht mehr den Vorwurf machen wird, sie hätte nach Vorwänden gesucht, das fremde Vieh von der Einfuhr fernzuhalten, sie kämpfe mit untaug— lichen Mitteln.

Meine Herren, ich verwies schon darauf, was die Klauenseuche der Landwirtschaft gekostet hat. Die Provinz Sachsen hat bis vor zwei Jahren an mehrere Hunderttausend Mark durch Umlagen für die Ent schädigung der Lungenseucheverluste aufbringen müssen. Das ist auch eine Krankheit, die wir vollständig bei uns beseitigt haben, und ich kann nicht annehmen, daß man wünscht, nachdem wir im Gesundheitszustande des Viehs so vorwärts gekommen sind, daß wir nun unsere Rüstung ablegen und zu den alten traurigen Verhältnissen zurückkehren sollen. Ich gebe ohne Anstand zu, daß unter den Schweinen noch erhebliche Krankheiten sie sind von den Herren ja genannt worden herrschen. Aber der Kampf gegen diese Seuchen ist auf der ganzen Linie auf— genommen worden, und nach unseren Erfahrungen bei anderen Seuchen, werden wir auch diese Krankheit in wenigen Jahren überwinden, und dann werden unsere kleinen Landwirte den größten Vorteil haben.

Ich möchte nun noch einmal kurz auf die Apothekerrechnung ein Wort, das ich gestern angewendet habe eingehen, die ich bei der Abrechnung über den Verkauf meiner drei Schweine auf dem Berliner Viehhofe bekommen habe. Gewiß gebe ich jederzeit zu, daß eine Reihe von Schlachthöfen mit Schwierigkeiten kämpfen und nicht über hohe Einnahmen zu verfügen haben. Ich gebe auch gern zu, daß in einzelnen wenigen Städten die Versuche mit Viehhöfen gescheitert sind und den betreffenden Kommunen Schaden gebracht haben. Aber auch auf der anderen Seite werden die Herren mir zu— geben müssen: wer die Jahresabrechnungen der Viehhöfe nicht der Schlachthöfe sieht, wird erkennen, daß erhebliche Einnahmen aus den Schlachthöfen für die Städte resultieren. Die Gebühren an sich sind nicht sehr hoch, aber all die kleinen Posten, die dort in Rechnung gestellt werden: das Stroh mit 30 8, das Abwaschen der Schweine, das Treiben, das Füttern usw. ergeben im ganzen eine ganz stattliche Summe. Namentlich möchte ich die Aufmerksamkeit der Herren auch auf eine Einrichtung lenken, die in Wien schon eine andere Regelung erfahren hat: das sind die Kommissionsbanken oder Kommissionsbankgeschäfte, die die Geld⸗ geschäfte zwischen Käufer und Verkäufer abwickeln und sehr erhebliche

Einnahmen erzielen. Wenn die Herren sich rechnen, daß für eine Zahlung von 420 M, wie sie in der Abrechnung stand, das Delkredere mit 6 ƽ, das sind 16 0,½ per annum, berechnet wird, so wird es erklärlich, daß diese Banken im großen und ganzen gute Geschäfte machen, und daß es wohl der Erwägung wert ist, ob man nicht diesen Teil des Geschäfts seitens der Städte selbst in die Hand nehmen könnte. Ich will zugeben, daß die Landwittschaft heute vielleicht noch nicht in dem Maße organisiert ist, daß sie das Vieh direkt an die städtischen Viehhofverwaltungen liefern könnte. (Hört! hört! links.) Die Schwierigkeiten solcher Lieferungen einzelner Landwirte oder kleiner Vereinigungen sind von den Herren zutreffend hervorgehoben worden; sie beruhen hauptsächlich darin, daß wir heute die Ladungen noch nicht so einheitlich zusammenstellen können, wie sie nach dem Viehmarkt gesandt werden müssen, und daß der Einzeltransport viel zu teuer würde, als daß ein Gewinn dabei erzielt werden könnte. Aber ich hoffe, daß wir allmählich weiter kommen und die Schwierigkeiten auf diesem Gebiete überwinden werden. Alle beteiligten Seiten werden dabei dahin wirken müssen, daß die Preise nicht unnötig verteuert werden. Ich hoffe, daß wir auf diesem Gebiet mit der Zeit doch zu einer Verständigung auch mit jenen Faktoren kommen werden, die jetzt diesen Gedanken als unaus— führbar so weit von sich weisen.

Nun möchte ich noch auf einen Punkt eingehen. Der Herr Vor⸗ redner schloß aus meinen Ausführungen über den vorübergehenden Charakter der Teuerung, daß ich nun auch annehme, es würden auch die Kosten aller einzelnen Faktoren, die in der Denkschrift als preissteigernd bezeichnet sind, auf den früheren Stand wieder herab gehen. Das ist eine Schlußfolgerung, zu der ich keine Veranlassung gegeben zu haben glaube. Ich habe nur gegenübergestellt: die Herren (links) sind der Ueberzeugung, der jetzige hohe Preisstand werde dauernd sein; ich bin der Ueberzeugung: er wird vorübergehen. Ich für meine Person halte einen Preis für Schweine von über 70 M als mit unserer jetzigen Markt- und Geldlage für die Dauer nicht verträglich. Sie werden mich jederzeit bereit finden, auf Mittel zu sinnen, ihn zu beseitigen.

Einer der Herren Abgeordneten ich weiß nicht, wer es war hat die Frage an mich gerichtet, ob ich als Minister für Landwirt schaft in Preußen glaube, daß der jetzige Preis den Produktionskosten entspreche und dauernd gehalten werden müsse. Ich antworte darauf: Nein; ich glaube, daß die Produktionskosten, die naturgemäß nach der Marktlage der einzelnen Gegend verschieden sein können, sich in Preußen in der Regel zwischen 40 und 45 M für den Zentner Lebend⸗ gewicht bewegen; die Preise, die der Produzent bekommt, es treten natürlich die Marktzuschläge dazu brauchen nicht höher zu sein als dieser eben genannte Satz von 40 bis 45 M pro Zentner. Die jetzigen höheren Preise sind wesentlich mit dadurch herbeigeführt, daß die Kartoffeln im vorigen Jahre so teuer waren. (Sehr richtig! rechts) Der Landmann rechnet sich draußen seine Kartoffeln auf dem Hofe mit 1 S, 1,20 S½, 1,30 SM Nun stieg im vorigen Jahre der Kartoffelpreis auf 2,50 M loko. Da nun, um 1 Zentner Schweine—⸗ fleisch zu produzieren, 10 Zentner Kartoffeln erforderlich sind, so können sich die Herren leicht berechnen, daß der Zentner Lebendgewicht früher im Maximum 12 bis 13 46 kostete, im Vorjahre 25 Mn für den Zentner in der Schweinemast angelegt werden mußten. Folglich sind die Produktionskosten im vorigen Jahre 10 bis 12 M höher ge⸗ wesen als in gewöhnlichen Jahren. Ich glaube, daß ich in dieser Beziehung aus landwirtschaftlichen Kreisen Zustimmung finden werde.

Meine Herren, wenn Sie diese Zahlen zu Grunde legen, dann werden Sie sehen, daß ich an Stelle des Preises von 74 M, der jetzt auf den Märkten gefordert wird, unter gewöhnlichen Verhält— nissen einen Preis von 55 bis 58 M für angemessen erachte, und glaube, daß Sie, meine Herren (nach rechts), wenn Sie objektiv prüfen, einen solchen Preis als den Produktionskosten entsprechend an= erkennen werden.

Meine Herren, die Erscheinungen im Wirtschaftsleben hängen eng miteinander zusammen, sie bedingen sich gegenseitig. Wenn der Vor⸗ wurf gegen mich erhoben wird, ich hätte die Teuerung absichtlich herbeigeführt, glauben Sie mir, meine Herren und wer mich kennt, weiß es es wäre mir viel angenehmer gewesen, die Preise wären normal geblieben. Wer die Zeitungen gelesen und alles verfolgt hat, was gedruckt und gesprochen ist, der wird zugeben müssen: der preußische Landwirtschaftsminister hat vom August bis zum Dezember gerade keine angenehme Existenz geführt. Also daß ich darauf ausgegangen sein sollte, eine Teuerung des Fleisches herbeizuführen, das ist eine Voraussetzung, die wenig Wahrscheinlich⸗ keit für sich hat und bei mir sicher nicht zutrifft.

Es sind die sogenannten Caprivischen Handelsverträge erwähnt worden. Meine Herren, Sie werden nicht bestreiten können, daß diese Handelsverträge dazu geführt haben, daß die ländliche Bevölkerung in die Städte abströmte, und daß die Landwirte an ihrer Stelle eine Menge ausländischer Arbeiter als Ersatz einstellen mußten. (Sehr richtig! rechts) Waren oder sind das angenehme oder erwünschte Verhältnisse? Nein, meine Herren! Jene Herren (links) sagen, man wolle die Industriebevölkerung dezimieren, der Industrie die notwendige Arbeitskraft entziehen. Durchaus nicht. Ich wünsche nur, daß die Produktionsverhältnisse der Landwirtschaft sich so stellen, daß auch der ländliche Arbeiter bei uns auf dem Lande heimisch bleiben kann (sehr richtig! rechts), und dazu sollten, meiner Ansicht nach, auch Sie mithelfen. Wir Landwirte wollen ruhig und fest an die Produktion gehen, wir wünschen aber das ist für mich und alle deutschen Landwirte das Ideal —, daß wir wieder mit heimischen Arbeitern unsere heimische Scholle bearbeiten können. (Lebhafter Beifall rechts.)

Abg. Graf Schwerin ⸗Löwitz (. kons.): Ich habe mich auf die Rednerliste setzen lassen, weil ich annahm, daß nach dem Lärm, der in der letzten Zeit in der Presse erhoben worden ist, neue und durch⸗ schlagende Argumente fur die Berechtigung dieses Lärms und die daran geknüͤpften Forderungen hier vorgebracht werden würden. Nachdem dies zu meiner Ueberraschung nicht gescheben ist, und nachdem alle bereits in der Presse gebrachten Argumente in der eingehenden Denk schrift des Landwirtschaftsrats und auch hier von verschiedenen Seiten widerlegt worden sind, möchte ich Sie nicht mit weiteren Aus⸗ führungen behelligen, sondern ich nehme an, daß die Sache nun ge⸗ nügend geklärt ist. Ich möchte nur eine gute Seite des Fleischnotlärms und der Interpellation erwähnen, das ist die, daß dieser Fleischnot⸗ lärm den verbündeten Regierungen und dem Reichskanzler die Gelegen⸗ heit gegeben hat, nun wirklich einmal klar zu beweisen, daß es ihnen um den d,, , Schutz der landwirtschaftlichen Interessen Ernst sei, und daß diese Haltung der verbündeten Regierungen hoffentlich in unserer ländlichen Bevölkerung dazu beitragen wird, das Vertrauen zur Re⸗ en wesentlich zu befestigen. Die eingebrachte Interpellation hat

estgestellt, daß die verbündeten Regierungen in bezug auf ihre Haltun in dieser Beziehung die große r . des Deutschen 3