wird. Ebenso wird vermöge des Grundsatzes der einheitlichen Veranlagung aller Betriebe desselben Unternehmers das Veranlagungssoll einer Gemeinde unter Umständen dadurch empfindlich beeinträchtigt, daß ein der Gemeinde angehöriger ertragreicher Betrieb mit einem auswärtigen, Verlust bringenden Unternehmen in derselben Hand vereinigt ist.
So wenig hiernach die Gewerbesteuer nach dem Systeme des Gewerbesteuergesetzes vom 24. Juni 1891 sich zur Ver⸗ wendung als Kommunalsteuer eignet, so erhebliche Bedenken bestehen — jedenfalls zur 3 — gegen eine Abänderung dieses Gesetzes. Demenisprechend hat auch das Haus der Ab⸗ geordneten in seiner letzten Tagung einen aus der Mitte des Hauses hervorgegangenen Antrag auf Vorlegung einer Novelle zu dem Gewerbesteuergesetz, durch welche unter progressiver Gestaltung der Steuer die beiden unteren Steuerklassen er⸗ leichtert werden, abgelehnt, indessen beschlossen. die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, im Wege der Anregung dahin zu wirken, daß die Gemeinden mehr als bisher auf eine ge⸗ rechte, den kommunalen Bedürfnissen möglichst entsprechende Ausgestaltung der Gewerbesteuer Bedacht nehmen.
Dieser mit der Auffassung der Königlichen Staatsregie— rung im Einklange stehende Beschluß gibt uns Veranlassung, die Herren Regierungspräsidenten ergebenst zu ersuchen, erneut und fortgesetzt bei sich darbietender Gelegenheit die Gemeinden in geeigneter Weise auf die Vorteile einer den örtlichen Ver⸗ hälinissen angepaßten autonomen Regelung der Besteuerung der stehenden Gewerbe hinzuweisen und zu einer solchen an⸗ zuregen. ; ö
Wir sehen davon ab, zu diesem Zweck unsererseits neue Muster für Gewerbesteuerordnungen aufzustellen. Einer⸗ seits haben die bisherigen Erfahrungen gezeigt, daß in Ge— meinden, welche überhaupt der Einführung besonderer Ge— werbesteuern geneigt sind, auch — und das nicht nur in größeren Städten — die Fähigkeit zu einer autonomen Regelung vorhanden ist. Andererseits bieten die in der Anlage ent⸗ haltenen Mitteilungen über die bisher zur Einführung ge— langten Steuerordnungen den Gemeinden geeignete Fingerzeige für die Gestaltung ihrer besonderen Gewerbesteuer.
Allerdings werden die Gemeinden bei Verwertung dieser Mitteilungen zu beachten haben, daß eine jede Steuerform immer nur unter bestimmten Voraussetzungen als der geeignetste, vor anderen den Vorzug verdienende Weg zu einer sachgemäßen, den örtlichen Verhältnissen entsprechenden Regelung der Gewerbebesteuerung anzusehen ist. Die zur Zeit am meisten verbreitete sog. „Gewerbe— kopfsteuer“ (Ziff. 1 4 der Anl.) kann als eine an⸗ gemessene Form der Besteuerung in der Regel nur dort gelten, wo es sich darum handelt, eine beschränkte Zahl von gleichartigen, im wesentlichen unter gleichen Konjunkturen arbei⸗ lenden Großbetrieben zu erfassen, insbesondere zum Ausgleich der vermehrten Ausgaben, die durch Heranziehung von zahl— reichen Angestellten und Arbeitern der Gemeinde entstehen, und auch dort nur unter der Voraussetzung eines verständigen Maß⸗ haltens in der Höhe der Kopfsteuersätze. Aber auch dann bleibt zu berücksichtigen, daß diese Steuerform finanziell versagen kann, wenn ungünstige Konjunkturen oder im Vergleich zu anderen gleichartigen Betrieben ungünstige Produktions- oder Absatz— verhältnisse zu wesentlichen Betriebseinschränkungen führen.
In höherem Grade noch setzen Gleichartigkeit der steuer⸗ pflichtigen Betriebe Steuern voraus, welche sich nach der Menge oder dem Werte der Produktion oder des Umsatzes richten (vergl. Nr. L111 und 12 der Anlage). Auch ist bei ihnen noch mehr mit der Gefahr starker plötzlicher Schwan— kungen des Aufkommens infolge der Konjunkturen zu rechnen.
Besser als die sogenannte Gewerbekopfsteuer eignen sich für die Besteuerung verschiedenartiger Betriebe die nach den gezahlten Gehältern und Löhnen bemessenen Gewerbesteuern (Nr. I 5 a. a. O.), da sie vermöge dieser Bemessungsgrundlage nicht nur die Zahl, sondern auch die Art der beschäftigten Personen berüͤcksichtigen. Immerhin kann auch das Auf⸗ kommen aus einer solchen Steuer durch die bei ungünstigen Konjunkturen unter Umständen eintretende Verminderung des Personals oder der Gehälter und Löhne empfindlich in Mit⸗ leidenschaft gezogen werden. Ueberdies ist zu erwägen, daß durch höher gelöhnte Angestellte und Arbeiter der Gemeinde schon ein höheres Aufkommen an Einkommensteuer zugeführt wird.
Die Mängel dieser Steuerformen vermeiden Ordnungen, welche sich an die mit dem Runderlaß vom 21. Juni 1897 mitgeteilten Muster anschließen, sofern sie im einzelnen den örtlichen Verhältnissen entsprechend gestaltet werden. Es kann hinsichtlich ihrer auf die Ausführungen in der den Mustern bei⸗ gefügten Denkschrift verwiesen werden; nur sei hier nochmals her⸗ vorgehoben, daß sich Steuern nach dem Muster mehr für solche Gemeinden eignen, in denen es sich im wesentlichen darum handelt, gleichartige oder doch verwandte Betriebe mit großer Arbeiter⸗ und Angestelltenzahl, die insbesondere durch diese Arbeiter und Angestellten den Gemeinden besondere Kosten ver— ursachen, diesen Kosten entsprechend zur Gewerbesteuer heranzuziehen. Dagegen sind Steuern, welche sich mehr oder minder an das Muster L anschließen, auch zur angemessenen Belastung verschiedenartiger Betriebe, wie sie sich insbesondere in größeren Städten finden, geeignet. LWie die Anlage (Ziffer 1 1 und 2) zeigt, haben denn auch nächst der Gewerbekopfsteuer die meiste Anwendung solche Steuerformen gefunden, welche mit mehr oder weniger weitgehenden Modifikationen sich an jene beiden Muster anlehnen.
Eine besondere Beachtung wird im Hinblick darauf, daß die Grundsteuern nach dem gemeinen Wert bereits er⸗ hebliche Verbreitung gefunden haben und, getragen durch ihre Bewährung, mehr und mehr zur Einführung gelangen, solchen Formen der Gemeindegewerbesteuer zu schenken sein, deren prinzipalen Maßstab der Wert des Anlage— und Betriebskapitals oder auch nur der Wert des Anlage⸗ d. i. des stehenden Kapitals im Gegensatz zum umlaufenden bildet. Denn vermöge dieses Maßstabs erhält die Gemeinde— gewerbesteuer eine mit einer Gemeindegrundsteuer nach dem gemeinen Wert vergleichbare Grundlage und damit wird der Mangel der staatlich veranlagten Realsteuern beseitigt, daß sie vermöge ihrer verschiedenen Maßstäbe und Veranlagungsvorschriften unter sich inkommensurable Größten bilden. Das Anlage⸗ und Betriebs- oder auch nur das Anlagekapital sind auch plötzlichen Schwankungen weniger ausgesetzt, als andere Merkmale des Be⸗ triebes. Die Anwendung dieses Maßstabes ermöglicht ferner eine nach der Höhe des angelegten Kapitals angemessen ab⸗ gestufte Progression der Gewerbesteuer unter gleichzeitiger Schonung der in der Hauptsache auf Verwertung persoönlicher Arbeitskraft beruhenden Kleinbetriebe. Allerdings kann eine ausschließlich nach diesem Maßstabe veranlagte Steuer unter
Umständen insofern zu Härten führen, als sie das in dem Er⸗ trage sich ausprägende, auch bei den Realsteuern beachtungswerte und beachtungsfähige Moment der jeweiligen individuellen r ,, außer Betracht und andererseits die nach dem Grundsatz einer Besteuerung nach dem Interesse zu fordernde Rücksichtnahme darauf vermissen läßt, daß gleich große Betriebe je nach ihrer verschiedenen Art unter Umständen in sehr verschiedenem Maße von den Gemeindeveranstaltungen Vorteil haben oder der Gemeinde Lasten verursachen können. Indeß läßt sich diesen Mängeln außer durch Aufnahme von Bestimmungen, wie sie 88 14 bezw. 9 der beiden mittels Rund⸗ erlasses vom 21. Juni 1897 empfohlenen Muster vorsehen, auch dadurch abhelfen, daß neben dem Anlage⸗ und Betriebskapital bezw. dem Anlagekapital auch die Höhe des Ertrags, ] B. nach Analogie des 55 des Warenhaussteuergesetzes mit⸗ erücksichtigt wird, daß ferner die Steuersätze für gewisse Be⸗ triebsarten höher oder niedriger als für andere bemessen werden, wofür das mittels Runderlasses vom 27. November 1894 mitgeteilte Muster Anhaltspunkte bietet.
Aehnlich wie eine von vornherein nach dem Anlage— und Betriebskapital bemessene Steuer, sind Steuern zu be⸗ urteilen, bei welchen, wie in Cöln und anderen Städten (vergl. Ziff. I 6 und 7 der Anlage), zwar als prinzipaler Maßstab der Ertrag dient, dieser aber, sofern er hinter einem gewissen Prozentsatz des Anlage⸗ und Betriebs⸗ kapitals zurückbleibt, durch das Kapital ersetzt wird. Indes bedingt die Veranlagung derartiger Steuern in allen Fällen eine zweifache Ermittelung, nämlich die Fest— stellung sowohl des Ertrags als auch des Anlage— und Betriebskapitals. Eine Steuerordnung, welche von vorn— herein das Kapital als Maßstab und eine Berücksichtigung des Ertrages nur dann vorschreibt, wenn der einzelne Steuer— pflichtige wegen ungünstiger Ergebnisse eine Ermäßigung der nach dem Anlage⸗ und Betriebskapital bemessenen Steuer beansprucht, erheischt dagegen eine solche doppelte Ermittelung nur in diesen Ausnahmefällen, deren Erledigung noch dazu durch die im Rechtsmittelverfahren von dem Steuerpflichtigen beizubringenden Nachweise erleichtert wird, und sichert außerdem fh ö Rücksichtnahme auf die individuelle Leistungs⸗ fähigkeit. *
Euer Hochwohlgeboren ersuchen wir ergebenst, unter Be⸗ kanntgabe der vorstehend entwickelten Gesichtspunkte sowie der Anlage dieses Erlasses an die in Betracht kommenden Ge⸗ meinden Ihres Bezirks in geeigneter Weise — unter Ver⸗ meidung jedes Drucks auf die Gemeinden — darauf hinzu— wirken, daß nach und nach die Gemeinden, bei denen die Vor⸗ bedingungen für eine autonome Gestaltung der Gewerbesteuer gegeben sind, zu einer solchen übergehen.
Ueber die Ergebnisse Ihrer diesbezüglichen Anregung wollen Euer Hochwohlgeboren nach Jahresfrist berichten. .
Berlin, den 22. November 1905.
Der Finanzminister. Der Minister des Innern. Freiherr von Rheinbaben. von Bethmann-Hollweg.
An sämtliche Herren Regierungspräsidenten mit Aus⸗ nahme desjenigen in Sigmaringen.
Abschrift hiervon erhalten Eure Exzellenz zur gefälligen Kenntnisnahme und entsprechenden weiteren Veranlassung. Berlin, den 22. November 1965. Der Finanzminister. Der Minister des Innern. Freiherr von Rheinbaben. von Bethmann-Hollweg. An den Herrn Oberpräsidenten der Stadt Berlin in Potsdam.
Nachrichten
äber die Einführung besonderer Gemeinde⸗ gewerbesteuern.
JL. Soviel sich hat feststellen lassen, sind bisher ca. 160 bis 170 Städte und größere, insbesondere industrielle Landgemeinden dazu übergegangen, auf Grund des 5§ 29 K.⸗A.-G. besondere Gemeinde⸗ gewerbesteuern einzufübren, davon mehr als 120 erst in den Jahren 1398 bis 1904, ca S0 erst in den Jahren 1900 bis 1904.
Unter den 160 bis 170 Gemeinden befinden sich von Städten mit mehr als 1060 000 Einwohnern Halle a. S., Kiel, Hannover, Dortmund, Essen a. R. und Cöln, wozu am 1. April 1905 mit einer bereits genehmigten Steuerordnung Frankfurt a. M. tritt, von sonstigen Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern Elbing, Forst i. ., Waldenburg, Beuthen OS., Königshüite, Oschersleben, Staßfurt, Weißenfels, Zeitz, Flensburg, Linden v H., Peine, Recklinghausen, Rheine, Witten, Castrop, Herne, Hörde, Wattenscheid, Gerresheim, M. Gladbach, Meiderich, Odenkirchen, Ratingen, Rhevdt, Ruhrort, Steele, Kalk, Gummersbach, Berg Gladbach, Malstatt. Burbach und Stolberg b. Aachen. Die Hälfte aller dieser Städte über 19 009 Einwohner hat erst in den Jahren 18900 bis 1904 zu dem Mittel besonderer Gewerbesteuern gegriffen.
Was die von den Semeindesteuerordnungen gewählten Grund⸗ lagen der Besteuerung anlangt, so beruhen
I). deren 3 — in Königshütte, Laurahütte und Staßfurt — auf dem mittels Runderlasses der Minister der Finanzen und des Innern vom 27. November 1894 mitgeteilten Muster. Die danach eintretende Mehrbelastung einzelner Gewerbearten steigt von 20 bis zu 50 0.
2) In nahezu 30 Gemeinden, unter denen sich befinden Walden⸗ burg, Beuthen O.⸗S. Oschers leben, Halle a. S., Weißenfels, Mübl⸗ bausen, Berg⸗Gladbach, Ratingen und Stelberg b. Aachen, ist die Steuerordnung nach dem mit Runderlaß der gedachten Minister vom 21. Juni 1897 mitgeteilten Muster L gebildet. Das Muster verfolgt das Ziel a. dem gegenüber der persönlichen Arbeit des Unternehmers bei den größeren Betrieben im allgemeinen eine größere Rolle als bei den kleineren spielenden Anlage. und Be⸗ triebskapital eine größere Bedeutung für die Höhe des Steuersatzes einzuräumen, als dies nach dem Gewerbesteuergesetz geschieht, b. für die größeren Betriebe eine stärkere Progression der Steuersätze als nach dem Gewerbesteuergesetz herbeizufübren durch Erhöbung der nach dem Ertrage bezw. Anlage⸗ und Betriebekarital bemessenen Steuer⸗ säße in den Klassen J und II und durch Zuschläge nach der Zabl der beschäftigten Personen und dem Nutzungswert der benutzten Räume. Die Gemeinden haben das Muster in veischiedener Weise modi— fiziert. Insbesondere tritt mehrfach für die Klasse Leine Erböhung der staatlich veranlagten Sätze (5 2) um 500, und ein Mindest⸗ steuersaß von 18 vom Tausend des Anlage- und Betriebskapitals (§5 3 Ziffer 1 ein. Die Erhöhung nach dem Nutzungswert der Geschaͤfis⸗ räume (5 6) haben mehrere Gemeinden nicht mit akzeptiert; andere lassen sie schon bei viel niedrigeren als den in Muster angegebenen Nutzungswerten eintreten. Auch die Erhöhung nach der Zabl der be— schäftigten Personen setzt, wie es scheint, nicht früher als bei 200 ein.
3 Dem mit demfselben Runderlaß mitgeteilten Muster 11 ent— sprechen mit mehr oder minder erheblichen Modifikationen die Steuer⸗ ordnungen in 11 Gemeinden, darunter Essen a. Rh. und Peine. Diese Steuerreform beruht auf einer Kombination einer Steuer nach dem Ertrage mit einer solchen nach der Zahl der Arbeiter ꝛc. wobei für die Höhe des nach letzterer zu be— messenden Teiles des Steuersatzes die durch die Einkommens— steuer der Arbeiter nicht gedeckie, durch sie der Gemeinde ver⸗ ursachte Belastung maßgebend ist. Die Steuerordnungen finden an⸗ scheinend in den meisten der 1 Gemeinden schon auf Betriebe mit
weniger als 100 Arbeitern, und wie j. B. in Essen a. Rh, ohne Be⸗
rücksichtigung der Einkommensteuerleistungen der Arbeiter Anwendung. Es liegt auf der Hand, daß auch diese Steuerreform auf eine Mehr⸗ belastung der größeren Betriebe im Verhältnis zu den kleineren hinauskommt.
4. Am zahlreichsten vertreten — in ca. 75 Gemeinden — sind die sog. Gewerbekopfsteuern, d. h. Gewerbesteuern nach der Zahl der beschäftigten Arbeiter usw. Neberwiegend finden sie Anwendung in industriellen, Großbetriebe nur einer oder weniger Arten, ins besondere Koblenzechen, be⸗ sitzenden Landgemeinden des rheinisch. westfälischen Industriegebietg. Von Städten besitzen sie Dortmund, Recklinghausen, Witten, Castrop,
erne, Hörde, Kamen, Wattenscheid, Gerresheim und Meiderich. Die Mindestzahl der Arbeiter usw. bel der die Steuer einsetzt, bewegt sich an scheinend zwischen 19 und 100. Der Kovpfsteuersatz ist in den meisten Ge⸗ meinden von dem Prozentsatz der staatlich veranlagten Gewerbesteuer, der von den nicht der besonderen Gewerbesteuer unterliegenden Be trieben erhoben wird, abhängig und stellt sich in diesen Gemeinden auf O5 bis 1,65 4 für je 10 9½ der staatlich veranlagten Gewerbe⸗
steuer.
Besondere Modifikationen enthalten namentlich die Steuer⸗ ordnungen für Dortmund und Witten. In Dortmund zablen die mehr als 30 Arbeiter beschäftigenden Betriebe 6 M pro Arbeiter, an Stelle von 100 o der staatlich veranlagten Gewerbesteuer, wenn aber mehr als 100 ,½ der letzteren erhoben werden, außer jenen 6 S pro Arbeiter den 1000, Üübersteigenden Prozentsatz der staatlichen Gewerbesteuer. In Witten entrichten bei Belaftung der nicht unter die Steuerordnung fallenden, d. h. nicht mehr als 20 Aibeiter be⸗ schäftigenden Betriebe mit 150 0½ der staatlich veranlagten Gewerbe—⸗ steuer die unter die Steuerordnung fallenden Betriebe 1250ͤé0 der letzteren Steuer plus 6 M pro Arbeiter, wenn sie aber bergbauliche sind, 150 0 — 10 Æ pro Arbeiter; die Kopfsteuersätze von 6 und 10 * steigen für je 2500 der über 150 0 hinausgebenden Belastung der nicht unter die Steuerordnung fallenden Betriebe um 14 In Reckling⸗ hausen und einigen andern Gemeinden unterliegen der Gewerbekopf⸗ steuer nur Bergbaubetriebe; doch belastet Recklinghausen die Ziegeleien und Holzbändler auf Grund des § 1 Ziff. 1 K. A. G. doppelt so hoch wie andere nicht bergbauliche Betriebe.
Im Vergleich zum Ertrag bedeuten die sog. Gewerbekopfsteuern . . T. außerordentlich starke progressive Belastung der Groß etriebe.
5) In Malstatt⸗Burbach und 11 überwiegend dem Saarkohlen⸗ tevier angehörenden größeren industriellen Landgemeiden sind, und zwar in Malstatt. Burbach und 10 Landgemeinden nur sür die in den Gewerbesteuerklassen J und IL veranlagten, in einer Gemeinde für alle unfallversicherungspflichtigen Betriebe besondere Gewerbesteuern nach der Summe der gezahlten Gehälter und Löhne eingeführt, und zwar in der zuletzt erwähnten Gemeinde als Zuschlag von 49, der Gehälter und Löhne zu den von allen Betrieben erhobenen Prozenten der staatlich veranlagten Gewerbesteuer, in den übrigen an— statt der letzteren; in diesen 11 Gemeinden bewegt sich, soweit hier bekannt, die besondere Gewerbesteuer zwischen K und 3 0 der gezahlten Gehälter und Löhne. .
6) In Kiel, Linden v. H., Ruhrort, Gummersbach, Querfurt, Herdecke, Gronau, St. Andreasberg und 3 Landgemeinden erfolgt die Besteuerung entweder aller oder nur der größeren Betriebe sei es stets, sei es nur wenn die staatlich veranlagten Steuersätze hinter einem gewissen Promillesat deg Anlage, und Betriebe⸗ kapitals zurückbleiben, nach dem Maßstabe des letzteren, und zwar fast überall, wo die Steuer nicht überhaupt auf die Klassen J und L beschränkt ist, mit progressiven Sätzen; in Kiel z. B. beträgt die Steuer in Klasse 1 15,8, in II 1,2, in III 1,1 und in IV LO vom Tausend. 1
7) Die Stadt Cöln und in äbnlicher Weise Hannover, Elbing, Nordhausen, M⸗Gladbach, Odenkirchen, Rheyrt, Kalk, Schulitz und 2 Landgemeinden schließen sich zwar an den Ertrag an, berücksichtigen aber mehr als das Gewerbesteuergesetz auch das Anlage⸗ und Betriebs- kapital und haben stärker progressive Steuersätze.
s In 9 Landgemeinden des Regierungsbezirks Cöln werden bei Betrieben der Steuerklassen L bis III, welche mehr als 10 Personen beschäftigen und Räume mit mebr als 500 1 Gebäudesteuernutzungs⸗ wert benutzen, die staatlich veranlagten Steuersätze um 50 o erhöht mit der weiteren Maßgabe, daß, sofern dieser erhöhte Steuersatz binter 1.5 00 des Anlage. und Betriebskapitals zurückbleibt, letzterer Promillesatz an seine Stelle tritt.
9) Eine Kombination von Arbeiterzabl und Anlage⸗ und Betriebs. kapital hat als Steuermaßstab die Stadt Flensburg eingeführt: Gewerbetreibende der Klasse L bis III, welche 30 oder mehr Arbeiter beschäftigen oder mit einem Anlage und Betriebskapital von? 090 000 K oder mehr arbeiten, zahlen einen nach den Gewerbesteuerklassen und der Zahl der Arbeiter progressiven Satz für jeden Arbeiter, mindestens aber 1 060 des Anlage ⸗ und Betriebskapitals; falls aber die übrigen Gewerbetreibenden mit mehr als 100 90 der staatlich veranlagten Gewerbesteuer belastet werden, tritt zu jenem Satz der besonderen Gewerbesteuer noch der 100 übersteigende Prozentsatz der staatlichen Gewerbesteuer. .
10 Die Stadt Forst i. L. besteuert Betriebe mit einem Anlage⸗ und Betriebskapital von mehr als 30 000 S, sofern deren staatliche Veranlagung weniger als oMν des letzteren zuzüglich o/ der ge= zahlten Gebälter und Löhne beträgt, mit der Summe dieser Beträge.
11) Die große industrielle Gemeinde Steele im Regierungsbezuk Düsseldorf ziebt die Betriebe der Gewerbesteuerklassen JI und II mit 150 0½ der staatlich veranlagten Sätze, mindestens aber mit 146 des Anlage. und Betriebskapitals heran, erhöht aber die sich hiernach ergebenden Sätze bei bergbaulichen Betrieben um 1 3 für die Tonne der im abgelaufenen Kalenderjahr auf den Markt gebrachten Produkte, bei Wasserwertsbetrieben um 1 3 für jede 100 cbm der geförderten Wassermenge.
12) Die Stadt Zeitz hat eine Warenumsatzsteuer für Klein handelsbetriebe mit 106 060 MÆ oder mehr Umsatz; die Steuer steigt bis 30/0 aber unter Anrechnung der Warenhaussteuer.
II. Neben den 160 bis 170 Gemeinden, die besondere Gewerbe⸗ steuern eingefübrt baben, sind gegen 50 weitere dazu übergegangen, durch verschiedene Abstufungen der zur Hebung gelangenden Prozente der staatlich veranlagten Gewerbesteuer auf Grund des § 31 Ziff.] K.. A. G. die in dieser schon enthaltene Progression der Steuersätze noch wesentlich zu veistärken. Es gebören hierzu zunächst die Städte Schöneberg und Spandau und 15 weitere Vororte von Berlin, wo überall die Klassen J und Il, in einem Orte auch III, erheblich, bis um nahejn 100 υά der staatlich veranlagten Sätze höber berangezogen werden als die unteren Klassen. In ähnlicher Weise sind die Städte Düsseldorf, Elberfeld. Bonn, Mülheim a. Rh. Aachen, Eschweiler, Düren, Bernstadt, Nimptsch, Löbejün und Nebeim und einige Landgemeinden, wie z. B. Sterkrade, Bensberg, Wemmet?⸗ weiler und Forst bei Aachen vorgegangen, während Opxeln, Ott— machau, Billerbeck und einzelne Landgemeinden einzelne Gewerbe— arten. insbesondere Berg⸗ und Hüttenwerke, Ziegeleien, Zement— fabriken u. a. m., mit höheren Prozentsätzen als die übrigen beranzteben, Oberhausen endlich eine Progression der Projent⸗ sätze, je nachdem meist mehr als 80, 81 bis S0 oder mehr als 800 Arbeiter beschäftigt werden, eintreten läßt.
Sowohl die besonderen Gekhneindegewerbesteuern als auch die Ab— stufungen der Prozentsätze tragen somit ausnahmslos den Charakter von Mehrbelassungen der größeren gegenüber den kleineren Betrieben.
Per sonalveränderungen.
Königlich Preußische Armee.
Offiziere usã. Neues Palais, 12. Dejember. Alberti, Lt. im 1. BHannov. Inf. Regt. Nr. 74, auf sein Gesuch um Verab⸗ schiedung mit Pension ausgeschieden und zu den Res. Offizieren des Regts. übergeführt. Dr. Aßmy, Stabs, und Bats. Arjt des 2. Bats. Oldenburg. Inf. Regts. Nr. Il, von der Stellung als Bats. Arn enthoben und beurlaubt.
Beamte der Militärverwaltung.
Durch Verfügung der Feldzeugmeisterei, 6. De jember. le Vrang, etatẽmäß. Meister beim Feuerwerkslaboratorium in Spandau, zum Obermeister, Laue, Meister beim Feuerwerke⸗ laboratorium in Siegburg, zum etatsmäß. Meister, — mit dem J. De⸗ zember d. J. ernannt.
stõniglich Sächfische Armee.
äh nriche usß. Ernennungen, Beförde⸗ rungen und ersetzungen. Im Beurlaubtenstande. 8. Dezember. Befördert; Haußner, Oberlt. der Res. des 2. Gren. Regts. Nr. 101 Kaiser Wilhelm, König von Preußen, ennig, Oberlt. der Landw. Inf. 1. Aufgebots des Landw. Bejirks lauen, Itzer ott, Oberlt. der Landw. Inf. 2. Aufgebots des Landw. Bezirks Leipzig,. — ju Hauptleuten, Thie mer, Lt. der Res. des 7. Inf Regts. König Georg Nr. 105. Gerrmann, Lt. der Landw. Inf. 1. Aufgebots des Landw. Bez. Großenhain, Schlobach Lt. der Zandw. Inf. 2. Aufgebots des Landw. Bez. Leiptig, — zu Oberlts.; die Vizefeldwebel bzw. Vizewachtmeister: Kohl, Ot to, Vogel des Landw. Bezirks 1 Dresden, zu Lts. der Res. des 1. (eib) Gren. Regts. Nr. 109, Sch ol; desselben Landw. Beznitks, zum Lt. der Res. des 2. Gren. Regts. Nr. lol Kaiser Wilhelm, König von Preußen, Uhlig des Landw. Bezirks Schneeberg, zum Lt. der Res. des 5. Inf. Regts. Kronprinz Nr. 104 Baron des Landw. Bezirks Leipzig, zum Lt. der Res. des 7. Inf. Regts König Georg Nr 106, Bruns, raetorius, Sievers, Kirchner desselben Landw. Bezirks, zu ts. der Reserve des 8. Inf. Regts. Prinz Johann Georg Nr. 107, Hartenstein des Landw. Bezirks Schneeberg, zum Lt. der Res. des 9. Inf. Reats. Nr. 133, Müller, Becker des Landw. Bezirks Leipzig, zu Lts. der Res. des 10. Inf. Regts. Nr. 134, v. Lippe des Landw. Bezirks Chemnitz, zum Lt. der Res. des 13. Inf. Regts. Nr. 178, Queck des Landw. Bezirks Leipzig, zum Lt. der Res. des 14. Inf. Regts. Nr. 179,1 Wahn des Landw. Bezirks Chemnitz, zum Lt. der Res. des 15. Inf. Regts. Nr. 181, Hagemann des Landw. Bezirks Bautzen, Heymann des Landw. Bezirks Chemnitz. — zu Lts. der Res. des 1. Jägerbats. Nr. 12, Melzer desselben Landw. Bezirks, jum 2 t. der Ref des 2. Jägerbatß. Nr. 13, Müller des Landw. Bezirks Leipiig, jum Lt. der Res. des Karab Regts, Reisland, De rham desselben Landw. Bezirks, u Lts. der Res. des 1. Hus. Regts. König Albert Nr. 18, Coccius desselben Landw. Bezirks, zum Lt. der Res. des 1. Ulan. Regts. Nr. 17 Kaiser Franz Joseph von Oesterreich, König von Ungarn, Leitsmann, Limprecht des Landw. Bezirks II Dresden, Kirchner des Landw. Bezrks Schneeberg, Plüntsch, Goes des Landw. Bezirks II Dresden — zu Ltz. der Res. des 1. Feldart. Regts. Nr. 12, Feustel, Mohr desselben Landw. Bezirks, zu Ltg. der Res. des 2. Feldait. Regts Nr. 28, Ziegen speck, Stel iner, Böttcher, Aulhorn, Buschbeck, Zeppernick desselben Landw. Bezirks, zu Lts. der Res. des 4. Feldart. Regts. Nr. 48, Lehmann desselben Landw. Bezirks, zum Lt. der Res. des 5. Feldart. Regts. Nr. 64, Kornick des Landw. Bezirks Chemnitz, Wilfferodt des Landw. Bezirks Leipzig, — ju Lts. der Res. des 6. Feldart. Regts. Nr. 68, Brandstetter desselben Landw. Bezirks, zum Lt. der Res. des J. Feldart. Regts. Nr. 77, Fischer des Landw. Bezirks Schneeberg, zum Lt. der Res. zes 8. Feldart. Regts. Nr. 78, Fürstenberg des Landw. Bezirks IL Dresden, zum Lt. der Res. des Fußart. Regts. Nr. 12, Tram nitz des Landw. Bezirks Leipzig, Reiche des Landw. Bezirks Meißen, — zu Lts. der Landw. Inf. J. Aufgebots. Abschieds bewilligungen. Im Beurlaubtenstande. 8. De- zember. Gappisch, Hauptm. der Res. des 2. Feldart. Regts. Nr. 28, behufs Ueberführung zum Landsturm 2. Aufgebots, Horn, Rittm. der Landw. Kav. 1. Aufgebots des Landw. Bezirks II Dresden, behufs Ueberführung zum Landsturm 2. Aufgebots mit der Erlaubnis zum Tragen der Landw. Armeeuniform, Kühne, Hauptm. der Landw. Feldart. 1 Aufgebots des Landw. Bezirks Freiberg, behuss Ueberführung zum Landsturm 2. Aufgebots mit der Erlaubnis zum Tragen der bis⸗ herigen Uniform, Ho f mann, Hauptm. der Landw. Inf. X. Aufgebots
Offiziere,
des Landw. Bezirks Zwickau, mit der Erlaubnis zum Tragen der
Landw. Armeeuniform, Gröppel, Lt. der Landw. Inf. 1. Aufgebots des Landw. Bezirks Leipzig, behufs Ueberführung zum Landsturm 2. Aufgebots, Kell, Lt. der Res. des 8. Inf. Regts. Prinz Johann Georg Nr. 107, Richter, Lt. der Landw. Inf. 1. Aufgebots des
Landw. Bezirks Plauen, Müller, Lt. der Landw. Kav. 1. Aufgebots
des Landw. Bezirks Borna, — diesen dreien wegen überkommener Feld. und Garnisondienstunfähigkeit, — der Abschied bewilligt. Beamte der Militärverwaltung.
Durch Allerhöchsten Beschluß. 8. Dezember. Dr. Cossack, Rebenstorff, Oberlehrer beim Kadettenkorps, der Titel als Professor verliehen. ö
Durch Verfügung des Kriegsministeriums. 8. De zember. Sicker, Unterapotheker der Res. im Landw. Bezirk
lauen, zum Oberapotheker des Beurlaubtenstandes befördert.
utewohl, Oberapotheker der Landw. 1. Aufgebots im Landw. Bezirk II Dresden, behufs Ueberführung jum Landsturm 2. Aufgebots der Abschied bewilligt.
gaiserliche Marine.
Offiziere usw. Ernennungen, Beförderungen, Ver— setzungen. 5. Dezember. Mauve, Korv. Kapitän zur Ver⸗ fügung des Chefs der Marinestation der Ostsee, zum Admiralstabe der Marine in Berlin versetzt. .
Befördert: Rösing, Kavitänlt. vom Admiralstabe der Marine⸗ station der Nordsee, zum Korv. Kapitän, Lassen (Alfred), Oberlt. zur See, kommandiert zur Marineakademie, Holtzapfel, Oberlt. jur See, Seekadettenoffijier an Bord S. M. Schulschiffes Stosch“, — ju Kapitänlts, Wien holdt, Lt. zur See vom Stabe S. M. Linienschiffes Wörth“, Wolf (Friedrich), Lt. zur Ser, kommandiert zur Dienstleistung bei der 1. Torpedoabteil., nn Treusch v. Buttlar⸗Brandenfels, Lt. zur See, ommandiert zur Dienstleistung bei der 1. Torpedoabteil, v. Richt«⸗ hofen, Lt. zur See vom Stabe S. M. Linienschiffes Wittelsbach“, — ju Oberlts. zur See, Springer, Marinestabsingen., Geschwader⸗ ingen. des 1. Geschwaders, zum Marineoberstabsingen.,, Jehle, Marineoberingen. vom Stabe S. M. Linienschiffes Brandenburg“, Wundrack, Marineoberingen. vom Stabe S. M. Linienschiffes Kaiser Wilbelm II.., Arnold. Marineoberingen., vom Stabe S. M. kleinen Kreuzers Lübeck, — zu überzähl. Marinestabs⸗ ingenieuren, Schaedla, Marineingen. vom Stabe S. M. Kanonen bootes Jaguar“, Katz schke, Marineingen. von der 2. Werftdiv., Büsing, Marineingen. vom Stabe S. M. großen FKreujzers Prin Heinrich, — zu Marineoberingenieuren; ju überzähl. Marine⸗ ingenieuren: die Marineingen. Oberaspiranten: Hemmann, Helmke, Müller (Hans) von der Marinestation der Ostsee, Schmidt (Waldemar) von der Marinestation der Nordsee; ferner unter Voibehalt der Patentierung: Friedrich (Ernst),
aarmann, Koch, Castagne, Steinkopf von der Marine—⸗ ation der Ostsee, Siepmann, Feldbus, Busche, Irmscher, Köhn, Plath von der Marinestation der Nordsee; Dr. Knöner, Marineassist. Arit von der Marinestation der Nord= see, jum Marineoberassist. Arjt. Dr. Molinari, Oberarit der Res. a. D, bisher im Landw. Bezirk 1 Breslau, unter Zuteilung zur Marinestation der Vordser im aktiven. Marinesanitätskorps als Marineoberassist. Arzt mit seinem bisherigen Patent vom 18. Sep- tember 1905 angestellt. Wahrendorff, Kapitän zur See a. D., zuletzt Küstenbeztrksinsp. für Elbe und Weser, zur Disp. gestellt. Abschiedsbewilligungen. Lehm ann, Marineoberstabs. ingen. von der 2. Wersidiv, unter Verleihung des Charakters als Narinechefingen, Hoff mann, Marinestabsingen. von der 2. Werft⸗ div., unter Verleihung des Charakters als Marinesberstabs ingen. — mit der gesetzlichen Pension nebst Aussicht auf Anstellung im Zivil- dienst und der Erlaubnis zum Tragen der bisherigen Uniform, Stehr, Marinestabsingen. von der 1. Werftdiv., unter Verleihung des Cha— rakters als Marineoberstabs ingen, mit der gesetzlichen Pension und der Erlaubnis zum Tragen der bisherigen Uniform, — der Abschied bewilligt. J
Deutscher Reichstag.
11. Sitzung vom 13. Dezember 1905, 1 Uhr. (Bericht nach Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Tagesordnung: Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Gesetzes, betreffend die militärische Strafrechtspflege im Riautschougebiet; Abstimmung über die Ueber— weisung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Handels⸗ beziehungen zum Britischen Reiche, an die Kommission für den w und event. zweite Beratung der Vorlage; zweite Beratung des Handels-, Zoll⸗ und Schiffahrtsvertrages zwischen dem Deutschen Reiche und Bulgarien; Wahl eines Mitglieds zur Reichs⸗ schul den kommission an Stelle des Abg. Dr. Paasche und Fortsetzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1 ꝛc.
Staatssekretar des Reichsschatzamts Freiherr von Stengel:
Meine Herren! Aus der erst kürzlich in diesem hoben Hause be⸗ endeten ersten Lesung des zweiten Nachtragsetats für das sũdwestafrikanische Schutzgebiet wird Ihnen allen noch erinnerlich sein, daß die Verhält⸗ nisse im nördlichen Teile dieses Schutzgebietes sich zwar befriedigend zu gestalten begonnen baben. Allein bedauerlicherweise liegen im Süden dieses Schutzgebietes die Verhältnisse anders. Im sogenannten Groß Namaland läßt die militärische Lage zur Zeit noch recht vieles zu wünschen übrig. Es hängt das in erster Linie mit der Schwierigkeit der Proviantbeschaffkng und der Munitions⸗ beschaffung für unsere dort stationierten braven Truppen zusammen. Ich glaube, ich brauche auf diesen Punkt heute nicht wieder des näheren einzugehen; denn noch in Ihrer aller Erinnerung haften doch die eindringlichen Auseinandersetzungen, die Sie über diesen Punkt vernommen haben aus dem Munde des sachkundigen Herrn Obersten von Deimling.
Insbesondere infolge der ganz ungeahnten Größe der nicht vor— herzusehenden Schwierigkeiten ist die Belastung der für das laufende Jahr bereits festgesetzten Etats eine derartige geworden, daß die Ein— bringung eines weiteren, eines vierten Nachtragsetats (hört, hört! nicht zu umgehen ist. Die Ausarbeitung dieses vierten Nachtrags— etats ist innerhalb der Reichsverwaltung beendet. Der Entwurf liegt bereit zur Absendung an den Bundesrat. Aber nach den bis jetzt be— kannt gewordenen Dispositionen dieses hohen Hauses können wir nicht mehr mit der Möglichkeit rechnen, diesen Nachtragsetat noch an dieses hohe Haus zu bringen, bevor dasselbe seine Weihnachts pause beginnt.
Da ich nun nicht in der Lage bin, der Beschlußfassung der verbündeten Regierungen über diesen rierten Nachtragketat irgendwie vorzugreifen, so muß ich mich heute auf die ebenso kurze als be— dauerliche Mitteilung beschränken, daß dieser vierte Nachtragsetat voraussichtlich mit einer Forderung von rund 30 Millionen Mark abschließen wird. (Hört, hört)
Meine Herren, die eingangs von mir berührten Verhältnisse im Süden des Schutzgebiets haben sich aber inzwischen durch den Ausbruch der Rindeipest noch sehr erheblich verschlimmert. Es fehlt nicht nur an Proviant, es fehlt nicht nur an Munition für unsere Truppen im Süden, sondern es fehlt insbesondere auch an den erforderlichen Trans portmitteln, um Proviant und Munition an ihren Bestimmungsort zu bringen. Es fehlen uns mit einem Wort die Tiere, die diesen
Transport vermitteln können. Unsere Truppen sind dadurch bedauerlicher⸗
weise zu einem Stillstand in ihren Operationen genötigt.
heiten, in denen sich unsere Truppen befinden, durchaus nicht unbekannt
geblieben, und diese aufrührerischen Banden sind durch ihre Wissen— schaft von diesen Verlegenheiten wiederholt zu angriffsweisem Vor— gehen auf unsere Truppen veranlaßt worden. Es ist Ihnen auch aus den kereits zur Veröffentlichung gelangten Telegrammen bekannt geworden, daß die Angriffe der aufständischen Hottentotten gegen unsere Schutztruppen sich mehren, und daß unsere Truppen zur Zeit nicht in der Lage sind, diesen Angriffen erfolgreich entgegen ju treten. Sie werden aus diesen veröffentlichten Telegrammen ins⸗ besondere auch vernommen haben, daß diese Angriffe zu wiederholten Malen zu Verlusten, insbesondere in Ansehung unseres Pferdematerials geführt haben.
Genug, meine Herren, die Verbältnisse haben sich in dem südlichen
Teil des Schutz gebiets derart entwickelt, daß die militärischen Instanzen
sowobl draußen im Schutzgebiet als auch hier in Berlin jede Ver— antwortung für die weitere Entwicklung der Dinge ablehnen müssen, wenn nicht sofort mit den erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr be— gonnen wird.
Es handelt sich dabei um folgende Dinge: einmal um die Entsendung zweier Ergänzungstransporte von jusammen 700 Mann jur Aus— füllung der Lücken bei den Schutztruppen im Süden des Schutzgebiets,
sodann um die Beschaffung von 2600 Pferden zur Ausfüllung der staꝛrk
gelichteten Bestände an Pferden, und es handelt sich des weiteren um die Beschaffung von 1000 Dromedaren zur Erhöhung der Leistungs— fähigkeit der Etappenlinie Windhuk — Keetmanshoop. Um nun die Ergãnzungsmannschaften etwa um Mitte Januar bjw. gegen Ende Februar aus Deutschland abgehen lassen zu können, müßten die zur Ausbildung
dieser Mannschaften erforderlichen Pferde etwa am 3. Januar 1906
an ihrem Sammelplatz Munster eintreffen; der Ankauf dieser Pferde muß deshalb ungemein beschleunigt, muß sofort eingeleitet werden. Ebenso dringlich ist die Beschaffung der Dromedare, weil nach dem Ausbruch der Rinderpest, wie Ihnen ja durch Zeitungsnachrichten auch schon bekannt geworden ist, auf dem Baiwege die Truppen im Süden wesentlich auf die Etappenlinie Windhuk — Keetmans hoop angewiesen sind, und weil diese Linie, wenn nicht ein direkter Mangel an Proviant und Munition für unsere Schutztruppe eintreten soll, in ihrer Leistungsfähigkeit sofort verstärkt werden muß.
Meine Herren, die Durchführung dieser Maßnahmen, die ich Ihnen soeben geschildert habe, und die nach der Auf— fassung des Herrn Reichskanzlers tatsächlich unaufschiebbar sind (sehr richtig), läßt sich ohne die Inanspruchnahme eines Teils derjenigen Mittel nicht bewerkstelligen, die durch den in meinen einleitenden Worten Ihnen angekündigten Nachtrags— etat von Ihnen gefordert werden sollen. (Hört, hört) Die Reichs— verwaltung ist daher abermals in der Lage zu einem Vorgriff auf noch nicht bewilligte Mittel. Die Ungunst der Verhältnisse übt in dieser Richtung einen unabwendbaren Zwang. Der Herr Reichs. kanzler bedauert persönlich diese Zwangslage, in der wir unt
befinden, auf das allerlebhafteste; aber er vermaz sich nach seiner pflichtmäßigen Ueberzeugung dem nicht zu entziehen, da jeder Tag, jede Stunde der Verzögerung die Zustände im Süden des Schutzgebiets nur noch weiter verschlimmern würde. (Sehr richtig) Der Herr Reichskanzler ist doch seinerseits als der verant- wortliche Leiter der Reichsverwaltung für alle die Folgen verant⸗ wortlich, die sich aus einer solchen Verjögerung der Maßnahmen eventuell ergeben müßten.
Meine Herren, der Herr Reichskanzler rechnet bei seinem Vorgehen auf Ihre sachverständige Beurteilung und Würdigung der ungemein schwierigen Lage, in der wir uns befinden, und e gibt sich der bestimmten Erwartung hin, daß sein Vorgehen, wenngleich es, wie gesagt, abermals einen Vorgriff auf noch nicht bewilligte Gelder in sich schließt, doch der Billi— gung dieses hohen Hauses nicht entbehren wird. Um dieser nachträglichen Billigung seines Vorgehens nun die Wege zu ebnen, bin ich von dem Herrn Reichskanzler beauf— tragt, Ihnen heute diese Darlegungen zu machen. Denn wenn der in Frage stehende Nachtragsetat Ihnen auch nicht mehr rechtzeitig zugehen kann, so hat der Herr Reichskanzler es doch für un umgänglich erachtet, in Würdigung Ihres budgetären Bewilligungs⸗ rechtes nicht eher an die Ausführung der sofort und unmittelbar zu ergreifenden Maßnahmen seinerseits heranzutreten, bevor er nicht wenigstens über die Sachlage und über seine Absichten diesem hohen Hause eine vorläufige Mitteilung hat zugehen lassen.
Darauf tritt das Haus in die Tagesordnung ein.
In dritter Lesung wird der Gesetzentwurf wegen Ver⸗ längerung der Gültigkeitsdauer des Gesetzes uͤber die militärische Strafrechtspflege in Kiautschou bis 1912 ohne Debatte unverändert endgültig genehmigt.
Es folgt die Abstimmung über die Verweisung des pro— visorischen Handelsabkommens mit dem Britischen Reiche an die Budgetkommission. Die Ueberweisung wird fast einstimmig abgelehnt, und das Haus tritt in die zweite Beratung ein. Dazu geht ein hand⸗ schriftlicher Antrag ein von dem Abg. Grafen Revent⸗ low, die Verlängerung des Provisoriums statt auf zwei Jahre nur auf ein Jahr auszusprechen, und ferner hinzu⸗ zusetzen, daß die Ermächtigung des Bundesrats sich nicht be— ziehen soll auf britische Kolonien, die deutsche Reichsangehörige und Erzeugnisse ungünstiger behandeln als andere. *
Tr Graf Schwerin -⸗Lswitz (Ek): Wir haben neulich für Kommissionsberatung gestimmt, weil wir über manche Punkte Auf- klärung zu haben wünschten, die uns füglich im Plenum nicht gegeben werden konnte. Nachdem dies heute in der Kommission geschehen ißst, haben wir keine Veranlassung, auf diesem Antrag zu bestehen, und haben daber gegen unsern Antrag gestimmt. Wit stimmen auch gegen die Anträge, die eben erwähnt wurden, aber nur in der Hoffnung,
5 es der Regierung gelingen möge, baldigst ju einem Definitivum
Ten.
keineswegs geändert worden;
Abg. Graf Reventlow (wirtsch. Vgg.): Unsere Stellung zu er Vorlage ist durch die Erklärung der verbündeten Regierungen wir werden nach wie vor gegen den Ent⸗ wurf stimmen. Was meinen zweiten Antrag betrifft, so stelle ich fest, daß man trotz früberer entgegengesetzter Erklärungen der ver⸗ bündeten Regierungen die differentielle Behandlung deutscher Erzeugnisse seitens einiger Kolonien geduldet hat, obne Gegenmaßregeln zu er— greifen. Auch stelle ich nochmals feft, daß auf meine Frage nach dem Ob und Wann speneller Verbandlungen mit England über einen neuen Handelsvertrag eine Antwort nicht erfolgt ist. Mit einem gewissen hohen Ton bat sich der Staatssekretär Graf von Posadowsky neulich über meine Prophezeiung geäußert; seiner Aeußerung kann nur der
Den auf⸗ rührerischen Banden, die ibnen gegenüberstehen, sind die Verlegen.
Sinn untergelegt werden, daß schon bei der Vorlegung des ersten Provisoriums die ernste Absicht, mit England in Unterhandlung zu freten, nicht bestanden hat. Es wird auch künftig anscheinend alles beim alten bleiben. Unsere Absicht ist nicht, Zollschwierigkeiten oder einen Zollkrieg mit England herbeizuführen, unsere Absicht ist gerade, zur Heistellung fester dauernder Handelsbeziehungen mit England zu gelangen.
Staatsminister, Staatssekretär des Innern Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Ich will nur eine kurje Erklärung abgeben. Ich bitte Sie dringend, die gestellten Anträge abzulebnen, und bemerke sachlich, daß sich in unserm Verhältnis zu den englischen Kolonien seit der Vorlage von 1963 nichts geändert hat, Grund des noch heute bestehenden Zuftandes der Regierung Vollmacht erteilt ist. In bejug auf die Begründung meine
nur auf das bezieben, was ich bei Vertretung Jahre 1903 gesagt babe.
Abg. Zimmermann (D. Rfr.): Die Ausführungen des Abg. Grafen Reventlow haben mich von der Zweckmäßigkeit seiner Antrãge nicht überzeugt. Ich vermag absolut nicht einzuseben, was den deutschen Bauern durch diese Anträge genützt werden soll; außerdem befürchte ich davon eine Schädigung unseres deutschen Handels. Wir stimmen gegen die Anträge und für die Verlängerung des Provisoriums.
Damit schließt die Debatte. Für die Anträge des Grafen Revenilow stimmt die Wirtschaftliche Vereinigung und der größte Teil der Deutschkonservativen; das Abkommen wird in zweiter Lesung unverändert fast einstimmig angenommen.
Es folgt die zweite Lesung des am 1. August 19056 in Berlin abgeschlossenen Handels⸗, Zoll⸗ und Schiffahrtsvertrages zwischen dem Deutschen Reiche und Bulgarien.
Abg. Dr. Sem ler (nl) als Berichterstatter der Budgetkemmisston bespricht zunächst die einzelnen Bestimmungen des Vertrages, weist darauf hin, daß unsere Unterbändler sich bemüht haben, für unsere deutsche Industtie möglichst viel heraussuschlagen, freilich nicht mit dem Erfolge, daß unserer Industrie recht schwere Opfer erspart ge— blieben seien. Die Kommission sei aber der Meinung gewesen, da wir in den sauren Apfel beißen müssen, um wenigstens einen Vers zu machen und zu einem vertragömäßigen Zustande zu kommen. Die Kommission schlage deshalb vor, dem Vertrage die verfass ungsmäßige Zustimmung ju geben. . z
Abg. Wolff (wirtsch. Vag): Meine Freunde bedauern sehr die Herabsetzung der Zölle auf Graupe, Grieß und Grütze im Inter⸗ esse der deutschen Müllerei. Wir fürchten, daß dies ungünstige Kon sequenjen auch für andere Verträge haben kann. Wenn dieser Ver⸗ trag schon für die Industrie ein saurer Apfel ist, so bat die Land⸗ wirischaft erst recht keinen Anlaß, sich dafür auszusprechen. Wir können den Vertrag nur glatt ablehnen.
Nach einer kurzen Erwiderung des Unterstaatssekretärs im Reichsamt des Innern Wermuth wird Artikel 1 ge⸗ nehmigt.
Bei Artikel 23, nach dem der Vertrag am 16. Januar 1906 in Kraft treten, die deutsche Regierung jedoch berechtigt sein soll, die Inkraftsetzung der Zollsätze für die Einfuhr in das deutsche Zollgebiel bis zum 1. März 1906 zu verschieben, während anderseits die jeßigen bulgarischen Einfuhrzölle für deuische Waren mindestens bis zum 13. Januar aufrecht erhalten bleiben sollen, führt
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