hätten, England den Krieg zu erklären. Es ist unwahr, daß wir im vergangenen Winter unsere Flotte gegen England mobil gemacht hätten. provoziert hätten. Und mit der größten Entschiedenheit trete ich dem Versuche entgegen, den Deutschen Kaiser, der seit 18 Jahren so viele Beweise ehrlicher Friedensliebe gegeben hat, als Friedensstörer hinzu⸗ stellen. (Lebhaftes Bravo.)
Am 1. August hatte die ‚Magdeburgische Zeitung“ einen Artikel gebracht, an dessen Schluß es hieß, Kaiser Wilhelm hege keine kriegerischen Pläne. .
Das beweist nicht nur sein bisheriges Regiment in Deutschland, nicht nur die letzte Rede im altehrwürdigen Rathause zu Bremen, sondern es liegt vor allen Dingen in der Natur der Dinge und in dem Charakter des Volkes, an dessen Spitze der Kaiser steht. Deutschland will nichts als für seine eigene Entwicklung den gleichen Frieden und den gleichen Ellbogenraum, den die anderen Völker genießen.
An den Rand dieses Artikels schrieb damals Se. Majestät der Kaiser: „Richtig, habe ich heute wörtlich an den König von Dänemark gesagt. Der Artikel war dem Kaiser vorgelegt worden, als er gerade zum Besuch in Kopenhagen weilte.
Der „Vorwärts“, das leitende Blatt der Sozialdemokratie, hat diese Verleumdungskampagne während des ganzen Herbstes fortgesetzt. Im September schrieb er:
Je eifriger Deutschland seine Flottenrüstungen betreibt, desto näher rückt die Gefahr eines kriegerischen Zusammenstoßes mit England, das ja gar nichts anderes annehmen kann, als daß die kolossalen deutschen Marinerüstungen gegen England gerichtet seien.
(Hört, hört! rechts.) . a, n.
Dazu bemerke ich erstens, daß die deutschen Flottenrüstungen nicht kolossale sind. (Heiterkeit) Der Führer der Sozialdemokratie hat in seiner neulichen Rede selbst zugeben müssen, daß sie relativ gemäßigt sind. Und zweitens, wiederhole ich, ist es eine Unwahrheit, daß diese Flottenrüstungen einen aggressiben Charakter gegenüber England trügen.
Der Herr Vorredner hat neulich gesagt, die englischen Sozial⸗ demokraten hätten niemals in irgend einer Weise gegenüber Deutschland feindliche Absichten an den Taz gelegt. Ich würde mich freuen, wenn dem so wäre. Im Frühjahr aber erklärte einer der Führer der englischen Sozialdemokratie, Herr Hyndman, in einem Artikel in seinem Blatte „Justice“ folgendes — ich bemerke dazu, daß dieser Artikel Mitte März erschien, also vor dem Besuch des Kaisers in Tanger, den der Herr Vorredner mit Unrecht als Wendepunkt in unserer Marokkopolitik hinstellt — also schon vor dem Kaiserbesuh in Tanger erklärte Herr Hyndman: England müsse sich mit Frankreich verbünden, damit es der deutschen Flotte unmöglich gemacht werde, ihre Flagge auch nur für eine Woche auf dem Meere aufrecht zu erhalten. (Hört, hört! rechts.)
Unsere Flotte wollen sie beide nicht, der englische Sozialdemokrat und der Führer der deutschen Sozialdemokratie (Heiterkeit), nur mit dem Unterschiede: wenn der erstere sie nicht mag, so ist es aus einem mißverstandenen, einem irregeleiteten Patriotismus, während bei dem Führer der deutschen Sozialdemokratie Motive mitspielen, die ich nicht weiter charakterisieren will. (Sehr gut h
Weiter hieß es im „Vorwärts“ im Oktober:
Ein Teil der Presse hat die Enthüllungen des Matin“ über den Angrifffplan Englands als unglaubwürdig behandelt. In Wirklichkeit war für die Urteilsfähigen von vornherein klar, daß die Enthüllungen in ihrem Kern wahr sein mußten. Solche Pläne paßten vollkommen in die Situation, die durch den Zusammen⸗ bruch Rußlands herbeigeführt war. England sieht in den deutschen Flottenr üstungen lediglich die Absicht eines zukünftigen Angriffs auf die englische Weltmacht. Welchen Zweck sollte denn auch sonst die so ungeheuer wachsende Flotte Deutschlands haben?
(Hört, hört! rechts, Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Die deutschen offensiven Pläne, die um die letzte Jahreswende mehr in der diplomatischen Welt als in der Oeffentlichkeit de⸗ battiert wurden
— das ist eine nette diplomatische Welt, wo das debattiert wurde (Große Heiterkeit) —, mußten diese Tendenzen in England stärken, seinerseits durch einen Angriff allen zukünftigen Cventualitäten zuvorzukommen. (Gguruf bei den Sozialdemokraten).
Meine Herren, wenn die Stimmung zwischen Deutschland und England nicht so ist, wie sie nach der Ansicht der verständigen Leute sein sollte, so ist das wesentlich darauf zurückzuführen, daß in jedem dieser beiden Länder es Leute gibt, die dem anderen Land Ab⸗ sichten, Pläne, Tendenzen unterschieben, an die nach meiner Ueber⸗ zeugung die Mehrheit der vernünftigen Leute in dem betreffenden anderen Land gar nicht denkt. (Sehr richtig! rechts, in der Mitte und bei den Nationalliberalen, Es ist ebenso falsch, wenn es in Deutschland Leute gibt, die glauben, daß Deutschland sich nur im Gegensatz zu England entwickeln könnte, wie es unrichtig ist, wenn manche Engländer annehmen, daß eine Schädigung Deutschlands einen Vorteil für England bedeuten würde. (Sehr richtig) Die Bahnen beider Länder laufen an und für sich gar nicht gegeneinander. Wenn aber so viele Engländer an böse Absichten Deutschlands glauben, so ist das zweifellos auch zurück⸗ zuführen auf die Agitation und die Sprache der deutschen Sozial⸗ demokratie (Sehr richtig), die beständig ihr eigenes Land als Stören⸗ fried hinstellt. (Sehr richtig) Wie oft hat die Sozialdemokratie erklärt, an der Verstimmung gegen uns, speziell in England, sei unsere Weltpolitik schuld! Wie oft habe ich gesagt, daß wir unter Weltpolitik nichts anderes verständen, als daß wir auf dem Gebiet des Handels, der Industrie, der Schiffahrt dieselbe Berücksichtigung verlangen, wie alle anderen Länder, und mit aller Welt auf dem Fuße der Gleichberechtigung stehen wollen. Wenn unsere Weltpolitik oft falsch ausgelegt wird, so können wir uns dafür wiederum bei der Sozialdemokratie bedanken, die sie fortwährend falsch auslegt und mißdeutet. (Sehr richtigh
Auch heute wieder ist von sozaldemokratischer Seite angedeutet worden, daß unsere Verteidigungsmaßregeln zur See die Schuld trügen an dem im Ausland gegen uns herrschenden Mißtrauen. Der Ge— danke, als ob wir irgendwie darauf ausgingen, die englische See⸗ herrschaft zu zerstören, ist einfach lächerlich. Unsere Seerüstungen halten sich in viel bescheideneren Grenzen als die mancher anderen Länder und spezlell trotz dem, was eben der Herr Abg. Bebel aus—
Es ist unwahr, daß wir England gereizt oder
ausgeführt hat, als die englischen Seerüstungen. Schon deshalb, von tausend anderen Gründen abgesehen, ist es abfurd, zu glauben, daß wir unsere Flotte gegen England bauten. Wir wollen niemand an⸗ greifen, wir wollen auch England nicht angreifen, aber wir wollen so stark sein, daß wir einen brutalen, einen ungerechten Angriff des Aus lands mit Ehren zurückweisen können. (Lebhafter Beifall.)
Nun, meine Herren, hat der Herr Vorredner auch soeben ge— meint, ich hätte mit Unrecht gegen ihn den Vorwurf erhoben, daß er auf dem Gebiete der auswärtigen Politik sich in Widerspruch setze mit den wirklichen, den wahren Interessen des Landes. Er hat sich und die Sozialdemokratie von dem Vorwurfe reinigen wollen, daß sie eine Politik treibe, die den wahren deutschen Interessen widerspreche. Alpha und Omega jeder richtig geleiteten auswärtigen Politlk ist, daß für sie das nationale, das eigene Interesse des betreffenden Landes die alleinige Richtschnur sein kann. (Sehr richtig! In diametralem Gegensatz dazu ordnet die Sozialdemokratie grundsätzlich und mit Bewußtsein die Interessen, den Frieden, die Sicherheit des Landes ihren eigenen Parteiinteressen und Parteitendenzen, ihren destruktiven und utopischen Parteitendenzen und Parteiinteressen unter. (Lebhafte Zustimmung. Zurufe.) — Gegenüber dem Widerspruch, der sich auf der linken Seite des Hauses regt, will ich eine kurze programmatische Er⸗ klärung vorlesen, die der Partesphilosouoh jener Richtung, der authentische Interpret des Dogmaß von Marr, Herr Kautsky, während dieses Sommers, als unsere Politik kritische Tage durchmachte, veröffentlichte. Da hieß es:
Individuum wie Nation sind dem internationalen Emanzipations⸗ kampf des Proletariats unterzuordnen, und wo eines ihrer Sonder⸗ interessen in Gegensatz zu Bedürfnissen dieses Emanzipationskampfes tritt, da hat das individuelle oder nationale Interesse dahinter zurückzutreten.
(Lebhafte Rufe: Hött, hört!)
Weiter führt Herr Kautsky aus:
Der kapitalistisch denkende Nationalist mag erklären: right or wrong, my country — ob es recht oder unrecht tut, ich stehe auf der Seite meines Vaterlandes; der Sozialdemokrat muß Intelligenz und Mut genug haben, um erkennen zu können, wenn das Sonderinteresse einer Nation, und wäre es auch seine eigene, dem Emanzipationskampf des Proletariats in den Weg tritt, und dem entsprechend zu handeln.
(Hört, hört!)
Herr Kautsky belegt das mit Beispielen. Er weist u. a. darauf hin, daß die Sozialdemokratie während des deutsch⸗französischen Krieges den nationalen Ansprüchen des eigenen Landes entgegengetreten sei, weil sie in Widerspruch gestanden hätten mit den Interessen der internationalen Sozialdemokratie. Nach diesem Grundsatze müsse sich die Haltung der Sozialdemokratie auch gegenüber den Selbständig⸗ keitsbestrebungen aller Völker richten. Beispielsweise hätte die Sozialdemokratie sich den nationalen Aspirationen der Slawen Oesterreich und der Türkei widersetzt, mit Aus— nahme der Polen. Also die Wiederherstellung Polens wird nicht be—⸗ kämpft, obwohl eine solche nur auf deutsche Kosten erfolgen könnte — das eine wie das andere, weil es das Interesse der internationalen Sozialdemokratie verlange. (Hört, hört! rechts.)
Auf die Frage, die ich schon einmal an der Soꝛialdemokratie gerichtet habe: wer denn einzelnen Falle zu entscheiden hat, ob das Interesse des betreffenden Landes, das eigene, das nationale Interesse maßgebend sein soll, oder das internationale, das revolutionäre, das sozialdemokratische — auf diese Frage habe ich allerdings bei Herrn Kautsky ebensowenig eine Antwort gefunden, als sie uns heute der Herr Vorredner erteilt hat. Dagegen läßt Herr Kautsky gar keinen Zweifel darüber, daß, gerade so, wie das der Führer der Sozialdemokratie andeutete, der deutsche Sozialdemokrat das Vaterland nur dann verteidigen soll, wenn es der Sozialdemokratie in ihren Parteikcam paßt. Es heißt wörtlich bei Herrn Kautsky:
Wenn für den Sozialdemokraten das Vaterland der Güter höchstes nicht ist, wenn dessen Interessen untergeordnet sind denen des allgemeinen proletarischen Emanzipationskampfes, dann kann seine Verteidigung auch nicht unter allen Umständen Pflicht der Sozialdemokratie sein, sondern nur dann, wenn das patriotische Interesse mit den proletarischen Interessen oder denen der all— gemeinen gesellschaftlichen Entwicklung zusammenfällt.
(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)
Ausdrücklich fügt Herr Kautsky wie die Soaldemokratie sich für jeden Krieg, sei es auch ein Verteidigungskrieg, begeistere, sie ebensowenig jede Teil- nahme an dem Kriege verurteile etwa mit der Motivierung, die Sozialdemokratie wolle Frieden zwischen allen Völkern.
Das ist eine hübsche Illustration zu der begeisterten Friedens⸗ tirade, die wir soeben gehört haben, eine hübsche Illustration zu der Resolution des sozialdemokratischen Parteltages in Jena, wo die Sozialdemokratie für sich das Monopol der Friedensarbeit und der Friedensliebe in Anspruch nahm. Ich will hier vor dem Lande fest— stellen, daß das nicht zutrifft. Im Widerspruch mit dem, was der Herr Vorredner ausgeführt hat, erkärt Kautsky ausdrücklich: Nicht einmal jeder Angriffskrieg sei zu verurteilen. (Hört, hört Die Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungs⸗ krieg sei überhaupt in den meisten Fällen eine zweifel⸗ hafte. Die Sozialdemokratie könne sehr wohl in die Lage kommen, einen Angriffsktieg ju fordern. (Hört, hört!) Im Jahre 1848 hätten Marx und Engels einen deutschen Angriffskrieg gegen Rußland für nötig gehalten. (Aha! rechts.) Später hätten sie sich bemüht, England zum kriegerischen Vorgehen gegen Rußland anzusteacheln. „Dü fen wir sie deswegen tadeln?‘ — fragt Herr Kautsky, und er antwortet: „Sicher nicht!“ Herr Kautsky hätte hinzufügen können, daß es von seinem Standpunkte aus ganz begreiflich war, wenn beispielsweise im Sommer vorigen Jahres nach dem Zwischenfall an der Doggerbank die deutsche sozialdemokratische Presse sich solche Mühe gab, England zum kriegerischen Vor⸗ gehen gegen Rußland zu ermutigen, und daß es auch ganz in der Ordnung war, wenn dieselbe sozialdemokratische Presse, als später einige deutsche Handeleschiffe versehentlich von russischen Kriegsschiffen aufgebracht wurden, trotz der augenscheinlichen Bereit- willigkeit der russischen Regierung, uns sogleich jede wünschenswerte
den Führer nun im
hinzu, daß ebensowenig
Genugtuung zu geben, doch alles in Bewegung setzte, um uns in
einen Krieg mit Rußland hineinzutreiben, der den Interessen des
deutschen Volks durchaus nicht entsprach, wohl aber der Sozial⸗ demokratie in ihren Parteikram paßte. Die sozialdemokratische Presse war nur logisch, sie war konsequent, sie bewegte sich im Rahmen der sozialdemokratischen Doktrin und Tradition, wenn sie uns mit Rußland zu verfeinden suchte. Aber warum bestritt der Führer der Sozialdemokratie bei der Etatsdebatte im vorigen Jahre, daß die Sozial⸗ demokratie bemüht ist, unser- Beziehungen zu Rußland möglichst zu verschlechtern? Warum leugnete er mir gegenüber damals Tatsachen, die sein Freund, Herr Kautsky, ganz offen zugibt? Ich gestehe, daß mich das einigermaßen skeptisch macht gegenüber Versicherungen des Führers der Sozialdemokratie, wenn sie auch noch so pathetisch abgegeben werden. Die Wahrheit ist: die Friedens— versicherungen der Sozialdemokratie sind Schaumschlägereien (lebhafter Beifall; — große Unruhe bei den Sozialdemokraten), ein Paravent, hinter dem sie ihre wirklichen Absichten verbirgt. Was die Sozialdemokratie in Wirklichkeit will, ist, das deutsche Volk zum Landsknecht ihrer internationalen Pläne zu machen (sehr richtig!, so daß es sich für diese internationalen Pläne verbluten würde.
Während in dieser Weise die deutsche Sozialdemokratie bemüht ist, überall Mißtrauen gegen uns zu säen, uns nach außen zu diskreditieren und zu denunzieren, während das offizielle wissen— schaftliche Organ der Sozialdemokratie erklärt, die Sozialdemokratie verurteile nicht nur nicht den Krieg, sondern sie mißbillige nicht einmal jeden Angriffskrieg, — verweigert die deutsche Sozialdemokratie dem Vaterlande die Mittel, die es zu seiner Verteidigung bedarf. Und während des Sommers erklärte unter dem Beifall sozialdemokratischer Blätter das leitende süddeutsche sozialdemokratische Preßorgan, die „Münchener Post“ den Heldentod auf dem Schlachtfeld, den Tod, den viele Söhne dieses Landes gestorben sind, den Tod von Theodor Körner und dem Feldmarschall Schwerin, den Tod, den noch heute mancher Deutsche drüben in Afrika stirbt, — den verglich das sozial⸗ demokratische Blatt mit dem Tode des Schweins von der Hand des Schlächters. (Stürmische Zurufe von den Sozialdemokraten. — Pfui⸗ rufe rechts) Ja, Treitschke hat recht, es gibt Niedrigkeiten, zu denen nur in Deutschland der Parteihaß herabsteigt. (Sehr richtig! rechts.) Die Führer der deutschen Sozialdemokratie sind — möge der Herr Vorredner es leugnen oder nicht — nicht nur nicht national, sie stellen sich überall in Gegensatz zu den wirklichen Interessen des Landes. Ich glaube und erkläre es öffentlich, auch vor dem Aus— lande, daß die Masse der deutschen Arbeiter das Herz auf dem rechten Fleck hat (sehr richtig! rechts, daß es der Sozialdemo— kratie nicht gelungen ist, der großen Mehrheit der deutschen Arbeiter, auch denen nicht, die sich von ihr haben ver— führen lassen, weil sie ihnen eingeredet hat, daß sie am wirksamsten die Arbelterinteressen vertrete, alle dentsche Gesinnung auszutreiben. (Sehr richtig! und Bravo) Ich erkläre und glaube, daß die Masse der deutschen Arbeiter im Ernstfall ihre Schuldigkeit tun würde. (Sehr richtig! rechts) Aber die Führer der Sozialdemokratie denken anders. Das fing schon 1870 an, als sie dem Vaterlande die Mittel verweigert haben, um uns gegen einen ungerechten Angriff zu verteidigen. Das setzte sich fort, als von sozialdemokratischer Seite die falsche Beschuldigung in Umlauf gesetzt wurde, der wahre Urheber des Krieges von 1870 sei Fürst Bismarck, eine Legende, die nachher von allen unseren aus— wärtigen Feinden mit Wohlgefallen verbreitet und ausgeschlachtet worden ist. Wo sie dazu Gelegenheit hat, hat sich die Sozial— demokratie auf die Seite unserer Gegner gestellt, mochten das nun die chinesischen Boxer sein oder die Hottentotten oder die Hereros. (Sehr richtig! rechts) Wie steht es denn mit jener Angabe, daß der Führer der deutschen Sozialdemokratie in Amsterdam gesagt haben soll, es würde ihm nicht unangenehm sein, wenn Deutschland auf dieselbe Weise zur Republik käme wie Frankreich 18707 (Hört, hört! rechts und bei den Nationalliberalen Wenn diese Aeußerung wirklich gefallen ist, wenn der Führer der deutschen Sozialdemokratie es wirklich gern sehen würde, daß Deutschland eine Niederlage erlitte, eine furchlbare Niederlage, daß Blut und Tränen über das Land kämen, nur weil die Sozialdemokratie glaubt, daß dadurch ihr Parteiinteresse gefördert wird, damit sie an einem solchen das deutsche Vaterland verheerenden Brande ihre Parteisuppe kochen kann — so fehlen mir wiederum die Worte, um eine solche Auf— fassungsweise richtig zu kennjeichnen. (Sehr gut! und Bravoh Die deutsche Sozialdemokratie ist fortgesetzt bestrebt, unser Land, gegen das sich — es ist vielleicht der einzige Punkt, worin ich dem Herrn Vor— redner recht gebe — viel Mißtrauen, viel Eifersucht regt, nach außen verhaßt zu machen. Während der Marokko⸗Krise ist nicht das leitende Blatt, aber von allen sozialdemokratischen Blättern, soviel ich weiß, dasjenige, das dem Herrn Vorredner am nächsten steht, die „Leipziger Volkszeitung“, so weit gegangen, in einem Artikel dem zu— verlässigen Vertrauen Ausdruck zu geben, daß Frankreich wegen Marokko bis zum äußersten gehen würde. (Hört, hört) In dieser Korrespondenz eines deutschen Blattes hieß es:
Es besteht nicht der geringste Zweifel, daß die britische Flotte und die enormen Hilfequellen des britischen Reiches den Franzosen zur Verfügung stehen werden. Es wird eine der schönsten Zeiten für die britischen Kreuzer sein, den deutschen Handel vom Meer ju verjagen
(hört, hört!) und die deutsche Handelsmarine als gute Prise in die britischen Häfen zu bringen. (Hört, hört!) Man merkt ordentlich dem Schreiber an, welches Vergnügen ihm diese Aussicht bereitet. .
Hinzu kommt noch, daß Deutschland vollkommen isoliert ist. . . . Delcasss kann es sich deshalb gestatten, auf die lärmende deutsche Diplomatie mit aller Ruhe und logischen Schärfe zu antworten.
Das war die von Herrn Bebel soeben gerühmte Unterstützung— welche uns damals von sozialdemokratischer Seite zu teil wurde.
Pikant ist übrigens der Eifer, mit welchem sich die sozialdemokratische Presse für den damaligen franzosi⸗ schen Herrn Minister der auswärtigen Angelegenheiten ing Zeug legte (sehr gut! rechts), den die französische So ial⸗ demokratie bekämpfte. Natürlich legte sich die Sozialdemokratie nur deshalb so für ihn an den Laden, weil sie in ihm einen Feind det Deutschen Reiches sah. (Sehr guth Mehr als einmal habe ich in
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
zum Deutschen Neichsa
M 295.
Zweite Beilage
nzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger. 1905.
Berlin, Freitag, den 15. Dezember
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
französischen Blättern gelesen, daß, wenn die Sozialdemokratie bei uns ans Ruder käme, sie unsere westlichen Grenzprovinzen an Frank— reich zurückgeben würde. Das habe ich noch vor einiger Zeit in der France Militaire“ gesehen, dem angesehensten französischen militärischen Wochenblatt. In einem anderen französischen Blatt, dem Rappel“, habe ich gelesen, daß die deutsche Sozialdemokratie den wuchtigsten Schlag gegen den Frankfurter Frieden führen würde. Also die französischen Revanchepolitiker., rechnen für die Erfüllung ihrer Hoffnungen auf die deutsche Sozialdemokratie. Deshalb pflegen auch im Auslande an gewissen Stellen sozial— demokratische Erfolge so große Befriedigung zu erregen. Das geht nicht aus besonderer Sympathie für unsere Sozialdemokratie hervor — in der Beziehung bitte ich die Herren, sich keine Illusionen zu machen (Heiterkeit), — sondern das geht hervor aus der Ansicht, daß die deutsche Stellung in der Welt um so schwächer wird, je stärker die Sozialdemokratie in Deutschland wird. (Sehr wahr! rechts.)
So kann es denn kommen, daß ein englischer Poet, der uns gegenüber sehr mißgünstig ist, Mr. Kipling, in einem Interview mit einem Journalisten, das viele der Herren gewiß im Sommer geltsen haben, gleichzeitig Partei nahm für den britischen Imperia— lismus und für die deutsche Sozialdemokratie (große Heiterkeit), daß er den britischen Imperialismus für durchaus berechtigt, für schön und gut erklärte, dagegen über die bescheidenen Bestrebungen des deutschen Volks, auch seine überseeischen Interessen zu entwickeln, ungefähr ebenso abfällig, ebenso höhnisch urteilte, wie dies unsere Sozialdemokratie zu tun pflegt. So kann es kommen, daß! zwei große, aber uns nicht gerade freundlich gesinnte Blätter wie die Londoner Times! und der Pariser ‚Temps“, die in England und in Frankreich den Sozialismus bekämpfen, sich nicht genug tun können in Lobeserhebungen über die Reden des Herrn Vorredners. (Sehr wahr! rechts und bei den Nationalliberalen. Heiterkeit So mag wohl ein skrupelloser Kauf⸗ mann, obwohl er selbst in seinem Bureau strenge Zucht hält, es nicht ungern sehen, wenn sein Rivale Angestellte hat, die unter Um— ständen bereit sind, das Konkurrenzhaus in die Luft zu sprengen. (Große Heiterkeit. — Unruhe links.) In der Beziehung haben unsere ausländischen Neider und Feinde eine feine Witterung. Wenn es jemals unserer Sozialdemokratie gelänge, das Ziel zu erreichen, von dem der Herr Vorredner soeben wieder erklärt hat, daß es ihr vor— schwebt, wenn sie je bei uns das Heft in die Hand bekäme, so würde das nicht nur den Verlust unserer Grenzprovinzen bedeuten, die mit deutschem Schweiß und Blut getränkt sind, sondern wir würden wieder dastehen wie in den jämmerlichsten Zeiten unserer Geschichte, als Spielball für fremde Willkür, als Tummel—⸗ platz für fremde Beutegier. (Bravo) Man hat oft Parallelen zwischen französischen Jakobinern und deutschen Sozialdemokraten gezogen. Ich leugne nicht, daß eine gewisse Aehnlichkeit vorhanden ist, Aehnlichkeit im Gedankengange, in der Redeweise, im Fanatismus wie im Dogmatismus, Aehnlichkeit vielleicht auch in der freundlichen Gesinnung der Herren urtereinander. (Große Heiterkeit) Aber ein Unterschied waltet ob zwischen der deutschen Sozialdemokratie und den französischen Jakobinern. Die französischen Jakobiner waren Patrioten durch und durch, sie wollten ein großes, ein starkes Frankreich, Frankreich ging ihnen über alles; — unsere Jakobiner fangen damit an, überall vor den Ansprüchen des Auslandes zurückzuweichen, unsere Grenzposten auf⸗— zugeben, sie wollen kein stärkeres, sie wollen ein schwächeres, ein ver— kleinertes Deutschland. Das ist der tiefste Graben zwischen ihnen und uns, das ist das, was die größte Kluft bildet zwischen ihnen und uns: der Mangel an Verständnis für die Daseinsbedingungen der Nation, für diejenigen Forderungen, ohne welche die Nation ihre Stellung in der Welt nicht behaupten kann. (Zurufe von den Sozial demokraten.)
Meine Herren, nun hat der Herr Vorredner unsere gegenwärtigen Zustände in Deutschland und die Zustände vor der französischen Re— volution verglichen. Ich gestehe, daß mir kaum jemals ein hinkenderer Vergleich vorgekommen ist. (Sehr richtig! rechts) Dort in Frank— reich vor der Revolution Zwang, Unfreiheit, Leibeigenschaft — hier bei uns Verfassung, Rechtsstaat, allgemeines Stimmrecht. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) — Jawohl, Rechtestaat, ein wirklicher Rechts⸗ staat, wie er bei Ihnen ausgeschlossen wäre, wenn Sie das Heft in der Hand hätten. (Sehr richtig! rechts. Widerspruch bei den Sozial demokraten, Damals in Frankreich Frivolität und Fäulnis — bei uns im großen und ganzen gesunde, gute Verhältnisse. Verschonen Sie uns mit solchen Vergleichen! Und seien Sie jedenfalls überzeugt, daß, wenn Sie versuchen sollten, einen Bastillensturm zu unternehmen, Ihnen das übel bekommen würde. (Bravo! Lachen bei den Sozial⸗ demokraten Ich wiederhole meinen Rat: gehen Sie nicht von Redensarten zu Taten über. Versuchen Sie es, Sie werden sehen, was danach kommt! (Lebhafter Beifall. — Unruhe bei den Sozial⸗ demokraten.) =
Abg. Erzberger (3entr): Ich freue mich, Gelegenheit zu haben, noch in der Generaldebatte meine Beschwerden über die Kolonialpolitik vorjutragen. Hätte Fürst Bismarck voraussehen können, wohin unsere Kolonialpolitik uns führen würde, wir hätten keine Kolonien be⸗ kommen. Wir sitzen mit dieser unserer Politik vollständig fest. Die Aufstãnde in Südwest⸗, in Ostafrika, in Kamerun und Togo scheinen einen vollständigen Stillstand herbeizuführen. Seit 1884 haben unsere Kolonien uns netto 750 Millionen Mark gekostet; wie steht es dem gegenüber mit dem Gesamthandel Deutschlands mit ihnen? Dieser Besamthandel beträgt aber nur 259 Millionen. Die Gegenüberstellung dieser Zahlen mag manche Illusionen zeistören, aber es ist doch besser, die Wahrheit zu sagen und ihr ehrlich ins Auge zu sehen. Wenn auf dem zweiten Kolonialkongreß ein Redner meinte, Deutsch= land werde eine Kolonialmacht sein oder auf seine Großmachtstellung Verzicht leisten, so können wir dieser Auffassung nichts abgewinnen.
Das Jentrum hat die Kölonialpolstik im Interesse der Missionen des Fhristentums und der Kultur unterstützt; aber auch auf diesem Ge—
sich alles in allem auf 6000; für die geben wir 3. Milliarden aus. Für diese Summe hätten wir in Deutschland 6000 zufriedene Bürger haben können; jetzt haben wir 6000 unzufriedene Kolonisten, die immer neue Ansprüche stellen und uns schwere Sorgen machen. An den unbefriedigenden Zuständen trägt unsere Regierung und Kolonjalverwaltung ein großes Teil der Schuld. Dem Reichskanzler persönlich mache ich keinen Vorwurf, denn er kann schon bei seiner Arbeitsüberlastung nicht persönlich die Verantwortung für diesen Zweig tragen; aber er hat die Pflicht, Leute in die Verwaltung der Kolonien und der Kolonialabteilung zu schicken, die dort am rechten Platze sind. Der bisherige Kölonialdirektor ist jetzt abgegangen; gegen eine Reihe Gouverneure werden die schwersten Vorwürfe erhoben. Ist es wahr, daß ein disziplinarisch aus dem Reichs— dienst entlassener Beamter, wie Dr. Karl Peters, wieder in den Reichsdienst aufgenommen werden soll? Ich halte das für kaum glaublich. Wir vermissen ein bestimmtes Kolonialprogramm, eine einheitliche Kolonialpolitik. Das beste Programm schafft noch lange keine guten Kolonien; es kommt alles auf die Ausführung an. Das Kanzlerprogramm vom September 1904 scheint mir nicht genügend; die Aenderung in den Organisationen tut es nicht. Man, hat das Wort Systemlosigkeit für unsere Kolonialpolitik gebraucht; ich unter⸗ schreih' das vollständig. Jeder Kolonialdirektor hatte bisher sein eigenes System; das des Nachfolgers stand oft mit dem des Vor— gängers in Widerspruch; mancher mußte seine ganze Arbeitskraft da— rauf verwenden, die Fehler der Vorgäaͤnger wieder gutzumachen, und namentlich der beste Direktor, Dr. Stuebel, hat sehr darunter ge⸗ litten. Der Kanzler hat zugegeben, daß große Fehler gemacht worden sind, aber jezt müsse man streben, wie man es besser machen könne. Nach dieser offenen Erklärung werden wir uns wohl doch über eine neue, bessere Kolonialpolitik veiständigen können; wir sind dem Reichs- kanzler daher für diese Worte dankbar. Ganz besonders gefährlich ist der Kolonialbureaukratis mus. Ist schon daheim die Bureaukratie unerträglich, so führt sie in den Kolonien direkt zur Vernichtung des deutschen Ansiedlers. In Keetmanshoop wollte ein Deutscher ein kleines Hotel bauen, nach einiger Zeit wurde ihm der eingereichte Plan zurückgegeben und ihm erklärt, er könne die Konzession nicht bekommen, weil der lan einer preußischen Verordnung von 1866 nicht ganz genau entspreche. In Togo hat die weltbewegende Frage, ob ein Bureauvorsteher in Togo gegenüber einem Assessor in Togo „ergebenst‘ oder „gehorsamst« zu schreiben habe, alle In⸗ stanzen durchlaufen und auch die Kolonialabteilung beschäfiigt; es ist schließlich entschieden worden, daß ein Bureauborsteher gegenüber dem Assessor nur „gehorsamst“ schreiben könne. Wie es mit dem Herrn, der in Deutschland nicht mehr bleiben konnte, an der Spitze einer Kolonie in Afrika gegangen ist, davon hat ja gestern der neue Kolonialdirektor die bloße Andeutung gemacht. Daß die Kolonial⸗ verwaltung sich veranlaßt sieht, ein besonderes Verbot gegen die Be— schaffung von eingeborenen weiblichen Personen zum Geschlechts— berkehr mit den Kolonialbeamten zu erlassen, ist doch entweder die schwerste Anklage gegen die amtierenden Beamten draußen, oder man traut denen nicht, die man neu hinüberschickt. Wie manche Gesellschaften gehaust haben, davon sind auch sehr schlimme Nachrichten hierher gelangt. Die Kolonialabteilung hat an— scheinend in manchen Fällen, wo gegen Beamte Beschwerden einge— gangen sind, Disziplinaruntersuchungen nicht eintreten lassen und auch sonst nicht Remedur geschaffen. Der Redner trägt einen solchen Fall vor, in dem man gegen den Unterheamten, der der Beschwerdeführer war, einzuschreiten und ihn durch Zwangspenstonierung unschädlich zu machen suchte; dem Mann sei unrecht geschehen nach dem Sprichwort: Die kleinen Dlebe hängt man, die großen läßt man laufen. Zur Illustra— tion der Rechtspflege führt der Redner den einen Fall an, wo in erster Instanz auf 55 Jahre Zuchthaus, in zweiter auf 3 Wochen Gefängnis erkannt wurde, Die Ursachen des Aufstandes in Deutsch-Ostafrika sind nicht die Zauberer, sondern es ist die falsche Politit gegen die Ein⸗ geborenen, die Einführung des Arbeits zwanges, den alle Kolonialmächte der Welt längst verworfen haben. Man hat ihnen täglich einen Pfennig Arbeitslohn gegeben, da sind sie zu den Missionaren gelaufen und haben gefragt, warum sie diese neue Strafe zu tragen hätten, früher seien sie die Sklaven der Araber oder Inder gewesen, heute seien sie diejenigen der weißen Regierung. Man läßt die Strafe durch Zwangkarbeit entrichten, wobei die Leute gefesselt und sogar verhindert werden, sich Nachts auf den Boden legen zu können. Man wirft dem Reichstag die Schuld an den Zuständen in unseren Kolonien vor, weil er nicht mehr Geld für diese bewilligt hätte. Dieser Vorwurf trifft den hohen Bundesrat selbst, der Reichstag hat von dessen Forderungen nur 3,8 o/o gestrichen. Im neuesten Kolonial— etat findet sich eine neue Forderung unter den Erläuterungen zu der Bahn von Windhuk nach Rehoboth, eine Forderung von 260 000 , die die Regierung früher zurückgezogen hatte und die der Reichstag niemals bewilligt haben würde. Darin liegt eine Budgetverletzung des Reichstags. Dieser hat auch deshalb besonderen Grund zur Klage, weil ihm gegenüber nicht mit der wünschenswerten Offenheit vorgegangen ist. Auf die Widersprüche in den Denkschriften will ich nicht näher eingehen. Ich erinnere nur an die Widersprüche bezüglich der Hafen— anlage in Swakopmund, worüber uns früher eine günstige Mitteilung gemacht wurde, während jetzt zwei Kapitäne die entgegengesetzte An⸗ sicht äußerten. Diese Widersprüche werden mich fortan zu größter Vorsicht mahnen. Der Redner tritt dann dem Stgatssekretär bezüglich dessen Angaben über die Bahn von Windhuk nach Swakopmund ent— gegen und hält an seinen Angaben vom 2. Dezember fest. 1901 fragte der Abg. Bebel, was aus dem Hauptmann Kannen⸗ berg geworden sei, der Frauen und Kinder in Ostafrika umgebracht hatte. Es wurde ihm geantwortet, der Hauptmann sei mit n, , n,. und drei Jahren Gefängnis bestraft worden. Der Redner geht auf die Frage der Kameruneisenbahnvorlage ein, die er im Sommer in der „Kölnischen Volkszeitung? angeregt bat. Es waren dagegen zwei amtliche Erklärungen erfolgt, die einen bedenk— lichen Mangel an Wahrheitsliebe verraten. Diese unrichtigen Angaben seien der Budgetkommission gegenüber gemacht worden. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung? habe ihm die schwersten Vorwürfe gemacht, sei aber selbst mit der Wahrheit leichtfertig umgegangen. Seine, des Redners, Angaben über die Fristbestimmung deckten sich fast wörtlich mit einem Schreiben des Reichskanzlers. Unrichtig sei auch die Behauptung des früheren Kolonialdirektors, das Buch des Konsuls Rens sei eine reine Privatarbeit, denn das Kameruneisenbahnsyndikat habe vertragsmäßig unter anderem auch die Zahlung von 5000 Mark für die Drucklegung jenes Buches übernommen, und für diese 5000 Mark habe das Reich mit die Zinsgarantie übernommen. Es gewinne den Anschein, daß die Verwaltung von allen diesen Dingen nichts wissen wolle, wenn man den Brief des Geheimen Kommerzienrats Lenz in Betracht ziehe. Es könne wirklich nicht ernstlich bestritten werden, daß die Druckkosten wirklich bezahlt worden seien. Der Redner geht dann auf die Frage der Verleihung der Bergrechte an das Syndikat und auf das Verhältnis desselben zum Bankkonsortium näher ein und behauptet, daß auch hierüber von seiten der Kolonial: verwaltung nicht die volle Wahrheit gesagt worden sei. Er sei seinerzeit als jüngstes Mitglied in den Reichztag getreten in der festen Ueberzeugung, daß alles, was die Herren am Regierungs— tisch sagten, fo wahr sei wie Gottes Wort in der Heiligen Schrift. Darin sei er allerdings bitter enttäuscht worden.
biete haben wir eine Reihe schwerer Enttäuschungen erfahren müffen. Die Zahl der Deutschen, die in unseren Kolonien leben, beläuft
Die mittelparteiliche Presse habe ihm sogar die parlamentarischen Ehrenrechte abgesprochen und ihn als „Ahlwardt der Zweite“ be—
zeichnet. Die Nationalliberalen haben freuli ĩ Angriffen nicht angeschlossen. Die Ehre e ,, erfordere die Aufrechterhaltung unserer Kolonien. Notwendig aber sei eine Förderung des Missionswesens, ein besseres Beamtenpersonal, eine wesentliche Mitwirkung des Reichstags, eine reinliche Scheidung zwischen Justiz und Verwaltung in den Kolonien und eine Sicher— stellung der Rechte der Eingeborenen, die heute eigentlich nichts weiter als Sklaven seien. Christianisierung unserer Kolonien müsse die Parole sein.
Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Dr. Freiherr von Richthofen:
Meine Herren! Ich will bei der vorgerückten Stunde Ihre Ge— duld nicht lange in Anspruch nehmen. Ich glaube aber, einiges von dem, was der Herr Vorredner sagte, nicht unwidersprochen lassen zu dürfen — auch in dieser späten Abendstunde.
Ich selbst stehe ja seit nunmehr 8 Jahren der Kolonialverwal⸗ tung fern, ich kann deshalb auf die einzelnen Fälle meist nicht ein—⸗ gehen, sondern muß das den Vertretern der Kolonialvernaltung über⸗ lassen. Aber einiges von dem Vorgetragenen berührt ja auch meine Verwaltung, ich will deshalb darüber einige Worte sagen.
Der Herr Abg. Erzberger hat soeben gesagt, ich hätte ihm vor— geworfen, er habe Unrichtiges hier gesagt hinsichtlich der Windhuk⸗ Bahn. Damit Sie beurteilen, ob das zutrifft, will ich Ihnen die Stelle vorlesen. Der Herr Abgeordnete hatte gesagt, der Vor⸗ anschlag habe auf 4 bis 5. Millionen gelautet, und der sei bis zum 1. April 1902 um zirka 300 ½ überschritten. Darauf erwiderte ich wörtlich:
Ich bemerke dem Herrn Vorredner, daß der ẽtste Kosten⸗ voranschlag für die Bahn von Swakopmund aus gar nicht einmal auf 4 bis 5. Millionen Mark lautete. Der erste Gedanke war vielmehr, die Bahn als Eselsbahn und lediglich bis Karibib zu bauen, und man hoffte, mit 2 Millionen fertig zu werden. Dann ist man weiter gegangen und hat die Bahn als schmalspurige Eisen⸗ bahn und, wie ich auch gleich von vornherein hoffte, allmählich bis Windhuk ausgeführt.
Danach habe ich nicht etwas als unrichtig bezeichnet, sondern im Gegenteil, ich habe die Ausführungen des Herrn Abg. Erzberger voll⸗ ständig konfirmiert und ausdrücklich gesagt, man habe erst nicht einen Kostenanschlag von 4 Millionen, sondern von 14 Millionen gemacht Es ist ja richtig, daß die Bahn nachher auf 15 Millionen gekommen ist; aber daß sie so leidlich ausgeführt ist, das ist noch ein großes Glück für uns gewesen.
Wenn noch hervorgehoben worden ist, daß ich mich in den Betriebskosten geirrt habe, so muß ich das ablehnen. In den Betriebskosten und in den Erträgen der Bahn stecken doch auch sämt⸗ liche Transporte der Regierung. Wenn man berechnen würde, welche Transportkosten für Beförderung der Regiekungsgüter durch Fracht- fahrer hätten bezahlt werden müssen, so wäre ein sehr, sehr großer Ueberschuß über die Betriebskosten herausgekommen.
Der zweite Fall betrifft Swakopmund. Es ist richtig, daß die Mole dort allmählich versandet ist. Die Techniker — ich bin keiner — haben damals angenommen, daß sie sich länger halten würde. Aber selbst so, wie sie geworden ist, ist sie auch ein großer Segen für das Schutzgebiet gewesen; denn ohne die Mole hätte man den Feldzug dort nicht führen können. Wäre die Mole nicht gewesen, dann hätte man an Waren, die nicht gelandet werden konnten, und an Booten, die zerschlagen wären, mehr verloren, als die gesamte Mole gekostet hat.
Dann ist die Angelegenheit Pöplau vorgebracht worden. Es ist ja immer unbequem, über einen Beamten sprechen zu müssen, mit dessen Verhalten man als Vorgesetzter nicht einverstanden ist. Aber da der Herr Vorredner darauf eingegangen ist, muß ich natürlich darauf antworten. Ein Beamter namens Pöplau hatte Material gesammelt, welches teils den Akten entnommen war, teils auf Küsten⸗ klatsch beruhte, und er hat seiner vorgesetzten Behörde gegenüber wiederholt mit der Veröffentlichung dieses Materials gedroht. Dieser Mann war uns als Querulant bekannt und wurde auch von seinen Kollegen als schwieriger Charakter betrachtet. Es bestand die größte Wahrscheinlichkeit dafür, daß er an Querulantenwahnsinn litt. Wir haben diese Vermutung aus Rücksicht und aus Nachsicht auf den Beamten aufgegriffen; denn wenn er für geisteskrank erklärt worden wäre, so würde ihm eine Pension gewährt worden sein; im anderen Falle würde wegen seines Verhaltens zweifellos auf Dienstentlassung erkannt worden sein, und er hätte nichts bekommen. Der erste Arzt, der ihn untersucht hatte, hat in der Tat seinen Geistes— zustand für nicht normal erklärt. Eine zweite Untersuchung hat jedoch auf Grund des Gutachtens des Arztes ergeben, daß das erste Gutachten nicht aufrecht erhalten werden konnte; nun blieb uns nichts anderes übrig, als die Disziplinaruntersuchung einzuleiten, und in dieser ist in erster Instanz auf Dienstentlassung erkannt worden. Ich ver— stehe nicht recht, wie der Herr Abg. Erzberger über mangelnde Disziplin in den Kolonien klagen kann und uns gleichzeitig in dem Falle Pöplau, der wegen Disziplinlosigkeit bestraft ist, uns auf das schwerste angreift. Alle Vergehen, die Pöplau zur Anzeige gebracht hat, sind untersucht worden, soweit das nicht bereits früher ohnedies geschehen war, und es hat sich ergeben, daß zu weiteren Untersuchungen kein Anlaß vorliegt.
Der vierte Punkt, der mich berührt, ist, daß der Herr Ab⸗ geordnete gesagt hat: der Herr Kolonialdirektor Stuebel hat die Fehler von allen seinen Vorgängern gutzumachen gehabt. In diesem Zusammenhang hat er sich auf die Landfrage bezogen. Ich gebe zu, daß ich auch Fehler während meiner Kolonialamtsführung gemacht habe; ich habe aber den besten Willen gehabt wie alle meine Vorgänger und Nachfolger, und habe mich an die schwierige Materie mit außerordentlichem Fleiß herangemacht und kann sagen, daß ich an manchen Tagen bis 17, 18 Stunden gearbeitet habe. Daß ich auch Fehler gemacht habe, will ich, wie gesagt, gern zugeben; aber in der Landfrage kann ich absolut versichern, daß ich keinen Fehler begangen habe. Während der anderthalb Jahre, wo ich Kolonialdirektor war, habe ich es als meine Hauptaufgabe betrachtet, die Rechte des Reichs hinsichtlich der Landkonzession zu stärken. Wir dürfen da nicht zu