Meine Herren, es ist nicht nur ein Gebot der Politik im allgemeinen, es ist auch ein Gebot der Finanzpolitik, daß man sich bei solchen Vor— schlägen innerhalb der Grenzen des Möglichen hält; jenseit dieser Grenzen gibt es ja noch eine Menge wunderschöner Steuerprojekte. Sie mögen der Wissenschaft nützen; mir als praktischem Finanzmann nützen solche Vorschläge, die jenseit der Grenzen des Möglichen liegen, nichts. Indes steckt in der Anregung des Herrn Abg. von Gerlach doch ein an sich richtiger und gesunder Kern (sehr richtig! links), insofern näm— lich, als er die Anregung gegeben hat, auch den Verkehr heranzuziehen (Widerspruch links) als Steuerquelle, um das dermalige Defizit im Reichshaushalt zu decken. Diesen Gedanken finden Sie auch in der Vorlage der verbündeten Regierungen ausgebildet insofern, als wir Ihnen vorgeschlagen haben, eine Stempelsteuer zu legen einmal auf die Eisenbahnfahrkarten und auf Frachtbriefe. Nach der Anregung des Herrn Abg. von Gerlach zu schließen, ist wohl die Hoffnung berechtigt, daß, wenn es einmal hart auf hart kommt, bei einer späteren Beratung Herr von Gerlach gerade für diese Steuer Schulter an Schulter mit den verbündeten Regierungen kämpfen wird. (Zuruf links.)
Den eigentlichen Anlaß, daß ich mir heute das Wort erbeten habe, haben mir indes gegeben die Reden, die die Herren Abgg. Gröber und Payer vor wenigen Tagen gehalten haben. Ich hätte auf diese beiden Reden gern schon früher erwidert, wenn nicht gestern der ganze Tag ausgefüllt gewesen wäre durch die Debatten über die Kolonien. Herr Abg. Gröber, um mich zunächst mit ihm zu be— schäftigen, hat in seiner Rede zugegeben, daß meine Auslegung, die ich einige Tage vorher in Ansehung des § 6 des Flottengesetzes gegeben hatte, die zutreffende sei. Ich danke dem Herrn Abg. Gröber für dieses Zugeständnis und danke ebenso dafür dem Herrn Abg. Fritzen, der ja den Herrn Abg. Gröber beauftragt hatte, auch in seinem Namen diese Erklärung hier abzugeben. Der Herr Abg. Gröber hat es aber dabei nicht bewenden lassen, sondern er hat weiter in seiner Rede bemerkt, die Vorschrift des 5 6 des Flottengesetzes von 1900 sei durch die Steuervorlagen, die die verbündeten Regierungen eingebracht hätten, doch verletzt; denn der Mehrbedarf für die Marine beziffere sich jetzt auf 92 Millionen Mark, und er werde bis 1917 bis auf 209 Millienen Mark anwachsen. Damit aber, fährt der Herr Abg. Gröber fort, sei erwiesen, daß das Hauptwachstum unserer Aus- gaben durch den Mehrbedarf für die Marine herbeigeführt sei, daß dieser Mehrbedarf also den Kernpunkt der Regierungsvorlage, ins— besondere der Steuervorlagen, bilde, daß aber der 5 6 des Flotten gesetzes unter allen Umständen beachtet werden müsse, solange er überhaupt noch zu Recht bestehe. Die Richtigkeit des letzten Satzes gebe ich dem Herrn Abg. Gröber vollständig zu, bezüglich der vorausgegangenen Sätze aber habe ich doch meine Bedenken. Es stimmt vor allem nicht ganz, daß der Mehr— bedarf für die Flotte für jetzt auf 92 Millionen Mark und für 1917 auf 209 Millionen zu veranschlagen sei. Ich möchte nur nebenbei bemerken, daß hierbei unberücksichtigt gelassen worden sind die Steuern und Zölle, die im Jahre 1900 für Marine— zwecke bewilligt worden sind, und die sich gegenwärtig, für daz Jahr 1906, schon auf 36 Millionen belaufen. Ich will aber auf diese Frage heute nicht näher eingehen; wir werden uns ja bei den Kom— missionsberatungen noch sehr eingehend mit diesen Berechnungen befassen können. Ich will also heute einmal vorläufig an— nehmen, die Rechnung des Herrn Abg. Gröber stimme, sie sei richtig. Nun muß ich aber diesen Zahlen auf der anderen Seite doch gegenüberstellen die Deckungsmittel, und da bemerke ich, daß bei diesen Deckungsmitteln, wenn ich mich sorgfältig anlehne an den 8§ 6 des Flottengesetzes, gemäß der Konstatierung in der Reichstagesitzung vom 23. März 1898 auszuscheiden haben, als den Massenverbrauch belastend, die indirekten Steuern — ich betone: Steuern, nicht: die Zölle —, die indirekten Steuern also auf Bier, Branntwein, Malz, Tabak und Zucker; in dieser Reihenfolge finden sie sich auch aufgezählt in der von mir schon früher erwähnten Drucksache des Reichstags. Nicht auszuscheiden wären bei der Gegenrechnung alle Arten von Zöllen, die Stempelabgaben und die Erbschaftssteuer. Nun schätzen wir den Mehrertrag aus den letzterwähnten drei Gattungen von Abgaben nach unserer Vorlage für die nächsten Jahre, nach Ueberwindung des Uebergangsstadiums — dagegen wird ja wohl der Herr Abg. Gröber auch nichts einzuwenden haben; es handelt sich dabei nur um das Jalr 1906 — auf rund 147 Millionen Mark. Ebenso glauben wir doch mit ziemlicher Sicherheit annehmen zu können, daß sich auch in der weiteren Folge, bis zum Jahre 1917, mit der Zunahme der Bevölkerung, mit der wir ja doch vor allem rechnen müssen, und mit dem wachsenden Woblstand, der sich insbesondere bei der Erbschafts⸗ steuer als sehr ergiebig geltend machen wird, diese Einnahmen auf einer solchen Höhe halten werden, daß sie, namentlich unter Hinzu— rechnung der von den verbündeten Regierungen selbst Ihnen in Vor⸗ schlag gebrachten 24 Millionen Matrikularbeiträge — noch steigend in den folgenden Jahren — zur Deckung der Flottenkosten vollkommen und überreichlich ausreichen werden. Eine nähere Dar— legung dieser Berechnung muß ich mir wieder für die Kommissions— beratung vorbehalten; sie eignet sich nicht so ohne weiteres zur Er— örterung imzPlenum. Schon heute aber muß ich auf Grund dessen, was ich hier erwähnte, den erneuten Vorwurf, daß die verbündeten Regierungen sich durch die Vorlegung dieser Steuergesetzentwürfe emer Illoyalität schuldig gemacht hätten, auf das entschiedenste zurück= weisen.
Der Herr Abg. Gröber hat dann hingewiesen auf die Worte, die ich am Schluffe meiner vorjährigen Etatsrede gesprochen habe. Ich habe dort, wie allerdings richtig hervorgehoben wurde, bemerkt, daß wir uns bei allen den Steuervorlagen, die wir bringen müßten, leiten lassen würden durch den Grundsatz schonender Rücksichtnahme auf die wirtschaftlich Schwachen“. Zu diesem Grund⸗ satze, meine Herren, bekennen sich die verbündeten Regierungen auch heute noch, und ich kann nur sagen: wenn Sie unsere Steuervorlagen genau studieren, werden Sie finden, daß sich dieser Grundsatz wie ein roter Faden durch alle diese Gesetzentwürfe hindurchzieht.
Ich muß mir auch hier die näheren Ausführungen für die Kom— mission vorbehalten; ich bemerke aber, daß ich schon in meiner Einleitungsrede in dieser Beziehung mich ziemlich ausführlich ge— äußert habe.
Es versteht sich eine solche schonende Rücksichtnahme auf die wittschaftlich Schwachen in der Tat auch eigentlich von selbst; denn keinem vernünftigen Steuerpolitiker kann es doch in den Sinn kommen,
daß er, wenn er Vorschläge wegen Auferlegung neuer Steuern bringt, auf die Leistungsfähigkeit der Steuerträger keine Rücksicht nimmt. Etwas anderes aber, meine Herren, ist die schonen de Rück. sichtnahme auf die wirtschaftlich Schwachen, und etwas anderes ist eine Privilegierung derselben durch grund sätzliche Be⸗ freiung von jeder Mehrbelastung. Eine solche grund sätzliche Befreiung der wirtschaftlich Schwachen habe ich auch damals in meiner vorjährigen Rede in keiner Weise zum Ausdruck gebracht. Jedenfalls wäre es nach: meinem Dafürhalten zu weitgehend, eine solche Befreiung von jeder weiteren Belastung sogar eintreten zu lassen in Ansehung entbehrlicher Genußmittel, die nach meiner innersten Ueberzeugung, der ich unlängst schon Ausdruck gegeben habe, auch den breiten Massen bei reichlicherem Konsum mehr Schaden als Nutzen bringen. Ich möchte den Herrn Abg. Gröber bitten, sich doch in dieser Richtung mal erkundigen zu wollen bei den Vorständen der Krankenhäuser, bei den Vorständen der Irrenanstalten, bei den Vor ständen der Zuchthäuser, welche unheilvolle Folgen auch für die unteren Klassen Nikotin und Alkohol, auch Alkohol in Bierform ge—⸗ nossen, nach sich ziehen, und ich wiederhole hier, was ich schon unlängst bemerkte: das deutsche Volk konsumiertsgegenwärtig in Bierform jährlich nicht weniger als 28 Millionen Hektoliter reinen Alkohol. (Hört, hört h Ich wüßte auch nicht, meine Herren, wie mit der Förderung und Pflege des Genusses von Tabak und Bier der Kampf gegen den Ma⸗ terialismus unserer Zeit in Einklang gebracht werden soll.
Der Herr Abg. Gröber hat dann weiter auf einen Wider- spruch hinweisen zu können geglaubt, der zwischen der Begründung des früheren Tabaksteuerentwurfes, der Fabrikatsteuervorlage, und der gegenwärtigen Vorlage wegen Erhöhung des Zolls und der Steuer auf Tabak enthalten sei. Der springende Punkt findet sich auf der ersten Seite der Begründung des Gesetzentwurfes von 1894, wo es heißt:
Hiezu kommt, daß jede Erhöhung der Rohtabaksteuer not⸗ wendigerweise dazu führen muß, den Nachteil noch weiter zu verschärfen, welcher darin liegt, daß das geringwertige Gut mit dem vollwertigen gleich viel zu tragen hat. Sie würde die Folge haben, daß eine Ueberlastung des Konsums minderwertiger Fabrikate ein träte, welche zum großen Nachteil des Fiskus wie der Industrie einen wesentlichen Rückgang des Verbrauchs im Inlande mit Sicher heit voraussehen läßt.
Nun, meine Herren, im direkten Gegensatz zu dem, was damals hier in der Begründung zum Fabrikatsteuergesetzentwurf vorausgesetzt war, schlagen wir Ihnen hier nicht etwa bloß eine einfache Erhöhung der alten Gewichts abgabe auf Tabak vor, sondern zugleich eine Modifizierung derselben unter Berücksichtigung des verschiedenen Werts der Ware, sodaß sie sich wenigstens in einem gewissen Maße dem System einer Wertbesteuerung des Tabaks nähert. Auch hier muß ich mir, um die Verhandlungen im Plenum nicht zu lange aufzuhalten, vorbehalten, in der Kommissionsberatung noch das Nähere Ihnen darüber mitzu— teilen, vielleicht auch schöon in dem zweiten Teil der Generaldebatte in diesem hohen Hause, die nach Neujahr stattfinden wird.
Ich will indessen ohne weiteres anerkennen, daß der Grundsatz der Schonung der schwachen Schultern bei Einführung einer Tabakfabrikat⸗ steuer noch mehr zu seinem Recht kommen würde als in der jetzigen Vor⸗ lage. Aber ich frage nun, meine Herren: wer trägt die Schuld, daß wir diese Form der Tabakfabrikatsteuer nicht gewählt haben? Die verbündeten Regierungen tragen daran gewiß keine Schuld. Sie haben im Reichstag zweimal einen Gesetzentwurf über eine Tabak- fabrikatsteuer eingebracht. Der Reichstag hat aber jweimal und mit großer Mehrheit diese Gesetzentwürfe abgelehnt. Nun sollte man doch gegen uns keinen Vorwurf erheben, wenn wir jetzt einen höheren Ertrag aus dem Tabak unter tunlichst schonender Rücksicht⸗ nahme auf die schwächeren Schultern auf einem anderen, auf dem hier vorgeschlagenen Wege zu erreichen suchen.
Ich gehe nun zu dem über, was der Herr Abg. Payer über den 83 der Finanzreformvorlage geäußert hat. Der Herr Abg. Paver hat hier u. a. den Vorwurf gegen uns erhoben, wir . mit diesem F3 die Matrikularbeiträge aus der Welt schaffen; dadurch aber werde an den föderativen Grundlagen des Reichs gerüttelt und das Etats recht des Reichstags verletzt. Ich verzichte meinerseits auf die Hoffnung, durch meine heutige Rede den Herrn Abg. Payer in diesem Punkt eines Besseren zu belehren. Er ist auch nicht da; aber er liest vielleicht doch hinterher den stenograpbischen Bericht. Ich möchte aber nun doch zum dritten Male inner— halb dieser Generaldebatte aufs bestimmteste und nachdrücklichste erklären, daß in dem 5 3 des Finanzreformgesetzentwurfs mit keinem Wort von irgendwelcher Beschränkung der gesetzgebenden Faktoren in Ansehung der budgetmäßigen Festsetzung der Matrikularbeiträge in beliebiger Höhe die Rede ist, und ich möchte weiter zum dritten Male hier feststellen, daß es sich bei diesem § 3 einzig und allein darum handelt, nach dem Vorbilde der Etatsgesetze von 1904 und 1905 den Einzelstaaten in Ansehung der Entrichtung der Matrikularbeitrãge Erleichterungen zu gewähren, wie sie jeder vornehm denkende Gläubiger seinem Schuldner auch unbedenklich zu gewähren pflegt.
Meine Herren, an den föderativen Grundlagen des Reichs rüttelt der am meisten, der eine solche Rücksichtnahme auf die Einzelstaaten außer acht läßt. Am sichersten fördert den Unitarismus derjenige, der die Einzelstaaten mit unerschwinglichen Matrikularbeiträgen zu überlasten bestrebt ist und dadurch ihren finanziellen Ruin herbei—
führt. Das wissen die Herren Sozialdemokraten auch sehr gut. Auf⸗ räumen mit den Einzelstaaten, das gehört mit zu ihrem Programm. Das hat auch der Herr Abg. Bebel in der Sitzung des Reichstags vom 11. Dezember 1900 hier offen dargelegt: „Ich würde es wegen des reinen Tisches und der Vereinfachung der Geschäfte — was ich liebe — als einen Fortschritt betrachten,
wenn der Bundesrat nicht existierte, d. h. wenn statt der Vielheit
der Staaten und Kleinstaaten ein einziges Deutsches Reich, eine große zentrale Organisation bestände, in der allein die Finanzwirtschast des Reichs zu beraten wäre. (Sehr richtig! bei den Soz)“
Wir aber wollen im Gegenteil festhalten an den föderativen Grundlagen, auf denen die Verfassung des Deutschen Reichs und seine Machtstellung in der Welt beruht.
In launiger Weise hat dann gegenüber dem Absatz 2 des S 3 der Herr Abg. Gröber dem Zweifel Ausdruck gegeben, daß man nicht wisse, wie der Roman schließlich enden werde. Ich habe über das Ende des Romans bereits in meiner letzten Rede Aufschluß gegeben. Vielleicht crinnert sich der Herr Abg. Gröber auch noch an die Traumdeutung deg ägyptischen Joseph. (Heiterkeit) Wir gehen davon aus, daß nach
Finanzreformporlage anstreben, innerhalb eines zehnjährigen Zeit⸗
raumes rund eine Viertelmilliarde ungedeckter Matrikularbeiträge unter allen Umständen für ausreichend zu erachten sei jur Ausgleichung
der Schwankungen, welche sich zwischen den mageren und den fetten Jahren ergeben. Die Bundesstaaten würden jedenfalls mehr als eine solche Viertelmilliarde innerhalb eines Dezenniums an ungedeckten Matrikularbeiträgen auch gar nicht aufzubringen vermögen. Ich glaube, daß ihnen auch in der Vergangenheit meines Erinnerns die Leistung ungedeckter Matrikalarbeiträge in solcher Höhe überhaupt niemals zugemutet worden ist. Wir glauben also, damit rechnen zu dürfen, daß nach menschlichem Ermessen die Zubuße eines Jahres durch spätere Mehrerträge, sei es der reichseigenen Einnahmen zuzüglich der ausgeschriebenen Matrikularbeiträge, sei es der Ueberweisungssteuern, ihre Deckung finden wird. Ein lehrreiches Bei⸗ spiel liefert in dieser Beziehung der Vorgang vom Jahre 1904. Damals handelte es sich nach dem Etatssoll um einen Deckungs— bedarf von rund 41 Millionen Mark; davon haben die Bundesstaaten sofort schon bei Einbringung des Etatsentwurfs annähernd 24 Millionen auf ihre Kassen übernommen, der Rest von 17 Millionen ist ihnen durch das Etatagesetz einstweilen ge⸗ stundet worden. Und nun ergibt sich, daß aller Voraussicht nach schon mit dem Finalabschluß des Jahres 1905 dieser Betrag durch Mehr⸗ erträge vollständig seine Dedkung finden wird. Es wäre daher in der Tat eine wenig rücksichtsvolle Behandlung der Bundesstaaten gewesen, wenn man ihnen ganz unnötigerweise zugemutet hätte, diesen für sie unerschwinglichen Betrag von 41 Millionen sofort im Jahre 1904 bis zum Finalabschluß aus ihren Haushalten aufzubringen.
Meine Herren, es sind schwere Kämpfe, die über diese Finanz reformpvorlagen auszutragen sind. Weniger hier in diesem hohen Hause. Hier handelt es sich eigentlich doch um einen rein objektiven, mehr oder minder freundlichen Austausch der gegenseitigen Meinungen. Aber draußen, außerhalb dieses hohen Hauses, in den Kreisen des Publikums, da werden die Gegensätze wesentlich verschärft durch die Einmischung mächtiger Industriezweige, die sich durch die Vorlage in ihren Privatinteressen bedroht fühlen. So spitzt sich der Streit dort schließlich zu zu einem Kampfe wider den Eigennutz. Dort liegt aber glücklicherweise auch nicht die Ent— scheidung; die Entscheidung liegt hier in diesem hohen Hause, und darum vertraue ich auch, daß schließlich in der Stunde der Ent⸗ scheidung diese auch so ausfallen wird, wie es der Wohlfahrt und dem Gesamtinteresse des Deutschen Reichs entspricht.
Abg. Gamp (Rp.): Der Abg. von Gerlach hat sich zwar bemüht, seine Ausfübrungen über den Luxus der Landwirte einzuschränken, er hätte sie lieber ganz zurücknebmen sollen. Es ist unrichtig, daß in der Landwirtschaft mehr Steuerdefraudationen vorkommen als bei anderen Gewerbetreibenden, und es ist unrichtig, daß das vom Bunde der Landwirte und den Landwirtschaftskammern eingesetzte Bureau zur Prüfung der landwirtschaftlichen Bilanzen dazu bestimmt ist, die Entlastung der Landwirtschaft von Steuern vorzubereiten. Die Land⸗ wirtscaftskammern haben ein großes Verdienst, eine solche Institution eingerichtet zu haben. Ebenso sind die Voiwürfe des Abg. von Gerlach gegen die Einschätzungskommissionen durchaus unberechtigt. Ich gebe ja zu, daß es auch Landleute gibt, deren Erträgnisse ihnen gestatten, einen ge⸗ gewissen Luxus zu treiben und ihre Söhne Korpsstudenten und Offiziere werden zu lassen. Der Abg. von Gerlach kann es ihnen aber nicht übel nehmen, daß sie dies, wenn sie dazu in der . tun. Er ist ja selbst der Sohn eines Großgrundbesitzers und ich möchte ihn fragen, ob er annimmt, daß auch in bezug auf seine Person Luxus getrieben ist. Im übrigen kat der Abg. von Gerlach in manchen Punkten recht. Es ist absolut unrichtig, daß man den Alldeutschen Verband immer der konservativen Partei an die Rockschöß? hängen will. Auch Mitglieder der Linken gehören dem Alldeutschen Verbande an. Als Biemarck sich bemühte, die russischen Anleihen vom deutschen Markte möglichst auszuschließen, ging ein Schrei der Entrüftung gerade durch die Presse der politischen Freunde des Abg. von Gerlach. Damals wurde dem Fürsten Bismarck der Vorwurf gemacht, daß er das deutsche Kapital verhindert hätte, aus diesen günstigen Kapitalsanlagen Nutzen zu ziehen. Mit seiner heutigen Ausführung beweist der Abg. von Gerlach nur, kaß er auch gar keine Ahnung von den Börsenverhältnessen hat. Natürlich, so dumm sind die Franjosen auch nicht mehr, die haben an ihren 11 Milliarden russischer Werte gerade genug. (Zwischenruf des Abg. von Gerlach: Der Präsident bittet, keine Frivatgespräche zu führen, da es bereits 3 Uhr sei) Die Verfehlungen einjelner in der Kolonialverwaltung sollten keinen Grund abgeben, die allgemeine Verwaltung der Kolonien anzugreifen; sie hat ja die räudigen Schafe an den Pranger gebracht. Die ganze Kolonialdebatte hätte richtiger in die zweite Beratung des Etats gehört, jetzt hat sie unsere Etatsgeneraldiskussion zerrissen. Auch nach den Ausführungen des Abg. Erzberger habe ich den Eindruck, daß unsere Kolonial⸗ beamten integer aus der Debatte hervorgegangen sind. Jeder von uns bekommt ja Beschwerdematerial von diesem oder jenem unzufriedenen Beamten; ich befolze immer den Grundsatz, an den betreffenden Dezernenten ju gehen, und babe dort immer Entgegenkommen gefunden und nicht nötig gehabt, die Sachen öffentlich ju besprechen. Diese Methode jollte auch der Abg. Erzberger befolgen, er wird damit der Sache einen großen Dienst erweisen. Der Auffassung des Kollegen Ablaß, daß jeder Beamte angebliche Mißstände an die Behörde oder an den Reichstag zu bringen das Recht hätte, muß im Interesse der Disziplin entgegengelreten werden. Die Abgg. Schrader und Gröber haben dem Grafen Posadowsky für seine Acußerung über den Reichstag die Leviten gelesen; Schrader hätte am wenigsten das Recht dazu, denn er meinte gleichzeitig, dem Abg. Liebermann von Sonnen⸗ berg brauche er nicht zu antworten, da, der sich lediglich in Wiederholungen bewegt habe. In der Diätenfrage sind die An sichten bei meiner Fraktion geteilt; ich persönlich bin gegen sie, weil ich davon eine wesentliche Verlängerung der Sessionen befürchte. Zu Schlußanträgen wird man sich schwerlich hergeben, weil man sich damit den größten Angriffen im Lande preisgeben würde; auch nützen beim Etat in der Einzelberatung Schlußanträge nichts im Sinne einer Verkürzung der Debatte. Unsere Verhandlungen werden ver⸗ längert durch die Füue der Parteizersplitterung, daß wir Parteien haben bis zu 8 Mitgliedern herunter, die beanspruchen, zu jeder wichtigen Frage ausführlich Stellung nehmen zu können. In unserer dies⸗ maligen Etatsgeneraldiskussion hätte eine Reihe von Tagen gespart werden können; neun Zehntel der gemachten Ausführungen würden sich als unnötig berausstellen, wenn man die stenographischen Berichte genau daraufhin untersuchte. Der Abg. Gröber bat auf den S 70 der Geschãftẽ ordnung hingewtesen, wonach alle nicht erledigten Vorlagen bei Schluß der Session als erledigt zu betrachten sind. Dieser Paragraph kann jederzeit außer Wirksamkeit gesetzt werden; damit würden wir nament⸗ lich verhindern können, a die jahllosen Initiativanträge in jeder Session wiederkehren; diese Anträge würden dann in jeder Legislatur periode nur einmal wiederkehren. Ferner wäre zu befürworten, eine Bestimmung in die e fir. hineinzuschreiben, wonach etwa gesagt wird: die Sitzungsperlode dauert vom 16. Januar bis 1 uml! eine Verlängerung ist an eine größere Mehrheit des Reichstags und Bundesrats gebunden. Damit ist der Reichstag nicht abgeschafft; 5 Monate . doch genug Zeit. Auch müßte vor, geschrieben werden, daß alle Gtatspositionen, die bis 1. April nicht die Beratung passiert haben, als genehmigt anzusehen sind.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
Wiederherstellung der Ordnung im Reichshaushalt, also der Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben, die wir ja eben durch unsere
M 296.
Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
Berlin, Sonnabend, den 16. Dezember
(Schluß aus der Ersten Beilage)
Die kleinen Staaten werden in ihren Interessen aufs empfindlichste geschädigt, wenn die Matrikularbeiträge einen gewissen ue nn i schreiten; gerade die Parteien, die den föderativen Charakter des Reichs bekennen, sollten doch diese kleinen Staaten vor Ueber— bůurdung schützen. Die Abgg. Gröber und Payer sollten vorschlagen, die Matrikularbeiträge nach Maßgabe des Bier⸗ und Wein⸗ konsums in den Einzelstaaten zu verteilen; das wäre ein positiver Vorschlag, und positive Vorschläge sind uns die Herren schuldig geblieben. Die Württemberger könnten ja noch den Most mit⸗ einbesiehen. Ich wiederhole, die Beseitigung des 5 70 der Geschäftsordnung wäre sehr erwünscht, und der Präsident sollte sich einmal mit dem Seniorenkonvent darüber unterhalten. Was die soziale Gesetzgebung angeht, so wäre eine Erweiterung der Befugnis der Berufsgenessenschaften, obligatorische Schutz vorschriften zu erlassen, durchaus angebracht. Der Abg. Bebel ist für die Erweiterung des Wahlrechts in 8 eingetreten, da die Arbeiter beim Klassenwahlsystem keinen angemessenen Einfluß hätten; aber beim Reichstagswahlrecht haben die Arbeiter doch einen größeren Einfluß auf die Gesetzgebung, als ihnen nach Recht und Billigkeit zugestanden werden kann. Die Aenderung der Wahlkreis eintel lung ist eine ganz andere Sache; in Berlin würden Sie doch bloß Sozialdemokraten erzielen, was Ihnen, Herr von Gerlach, ja allerdings das erwünschteste ist. Sind Sie geneigt, das Reichstagswahlrecht nach der Richtung zu erweitern, daß die Wohlhabenderen und Intelligenteren und die mit größerer Kinder⸗ zabl mehr berücksichtigt werden, dann ließe sich darüber reden. Bei der Justiz vermisse ich auch eine bessere Fühlung mit dem praktischen Leben, aber daß unsere Justiz parteiisch sei und die Arbeiter schlechter behandle als die besitzenden Klassen, dabon kann keine Rede sein, im Gegenteil, sie stellt sich auf die Seite des Schwachen und be— müht sich ihm zu seinem Rechte zu verbelfen. Eg ist geradezu frivol, unsere Rechte pflege derart anzugreifen, wie es in der sozialdemokratischen Presse geschieht. Es gibt keine Zeit in der ganzen Weltgeschichte und keinen Staat, der auf dem Gebiete der Reform in den letzten Deiennien geleistet hat, was Preußen und Deutschland geleistet haben. Wir stehen an der Spitze aller Nationen, und das könnse nicht der Fall sein, wenn wir ein verlumptes Arbeiterheer hätten. Verdanken Sie das nicht zum großen Teil den Unternehmern? Werden nicht für Fach— und Vorbildung namhafte Summen hingegeben? Und hat irgend ein anderes Land etwas aufzuweisen wie die Volksschule in Preußen Deutschland? Die sozialdemokratischen Abgeordneten haben gegen alle Versicherungsgesetze gestimmt, sie haben daher das geringste Recht, sich über mangelnde Fürsorge für die Arbeiter zu beschweren. Jähr⸗ lich erfolgen freiwillige Leistungen des Unternehmertums im Betrage von 70 bis 87 Millionen; statt diese Fürsorge anzuerkennen, wird sie ignoriert und herabgedrückt. Diese Leistungen hätte auch der Staatssekretär ins Auge fassen sollen. Aus dem Geschäftsbericht der Firma Krupy geht hervor, daß die Firma 77 (o Dividende und beinah, 4 Millionen für Wohlfahrtsginrichtungen gegeben hat. Für Wohltätigkeits⸗ und öffentliche Zwecke sind 112620600 S6 von Krupp ausgegeben, während die Aktionäre nur 19 Millionen bekommen haben. Das hat in erster Reihe ein früherer Arbeiter, Friedrich Krupp, verdient, nicht durch seiner Hände Arbeit, sondern durch seinen Kopf und seinen Geist, darum hat auch seine Familie einen Anspruch darauf, daß ihr das in bescheidenem Umfange zugute kommt. Der Abg. Wurm zieht hier immer gern über die Giftbuden‘, die Farben⸗ fabliken, her; wie sehr er dabei übertteibt, ergeben die mir jugegangenen Berichte Lieser Fabriken, die für ihre Arbeiter ganz außerordentlich große soziale Qpfer bringen, auch die Arbeitszeit erheblich herabgesetzt haben. In keinem sozialdemokratischen Be⸗ triebe ist eine solche Arbeitsentlastung eingetreten, man denke nur an die Klagen der Angestellten in den sozialdemekratischen Konsum⸗ vereinen. Dabei ist Deutschland das ärmste der Kulturländer; trotz⸗ dem hat es sozial das Großartigste geleistet. Der Reichtum Deutsch— lands besteht wesentlich in industriellen Anlagen und Grundbesitz, an die großen Werte der Milliardäre in Amerika reicht bei uns niemand heran. Unsere Entwicklung auf allen Gebieten wäre nicht möglich Tewesen, wenn der sittliche Ernst dieser Nation gefehlt hätte, dessen Fehlen der Staatssekretär beklagt hat. Der Abg. Bebel kritisierte den Zu⸗ sammenschluß der Arbeitgeber, aber die Arbeiter haben doch diesen Zu⸗ sammenschluß, diese Form des Kampfes, den Arbeitgebern erst aufgezwungen. Wenn der Abg. Bebel sich darüber beschwerte, daß die Elektrizitäts⸗Gesell schaft 35 900 A beiter auf die Straße geworfen habe, so vergißt er, daß diese Arbeiter den ganzen Betrieb zum Stillstand bringen konnten. Die Arbeiter können sich bei den Hetzaposteln der Sozialdemokratie bedanken. Diese haben die Verpflichtung jene Arbeiter für den Aus- fall an Löhnen zu entschädigen. Die Opfer für die Lohnkämpfe werden von beiden Seiten, den Arbeitgebern und Arbeitern gebracht, sie betragen viele Millionen, und man sollte alles tun, solche Kämpfe zu vermelden. Der Abg. Bebel hatte den Geschmack, von der Gehalts- erhöhung der Minister zu sprechen. Viele der einzelnen sonial⸗ demokrgtischen Beamten bekommen Gehälter, die annähernd so hoch sind, wie die früheren Gehälter der Unteistaatssekretäre. Liebknecht erhielt, soviel ich weiß, als Redakteur 10 000 Gehalt und außerdem jeden einielnen Artikel bezahlt. Unsere böheren Beamten sind die schlechlest bezahlten Arbeiter, und die Minister haben nicht so viel Genuß wie Bebel und andere seiner Parteigenossen. Auf die hobe Besteuerung der besikenden Klassen ist neulich schon hingewiesen worden. Ein Mangel n Opferfreudigkeit auf politischem Gebiet zur Bekämpfung der Sozialdemokratie bei den reicheren Ständen ist gewiß nicht zu be⸗ reiten, wenn auch die mangelhafte Beteiligung an den Wahlen zu beklagen ist. Daß aber die besttzenden Klassen keing großzügige Soꝛial⸗= politik treiben, ist ein unberechtigter Vorwurf. Möge die Regierung nur Veitrauen haben, sie wird die besitzenden Klassen in ihren ämpfen gegen die Sozialdemokiatie auf ihrer Seite haben.
Der Präsident Graf von Ballestrem schlägt nunmehr, nachdem das Haus bereits fünf Stunden verhandelt hat, vor, die weitere Beratung auf 414 Uhr zu vertagen. Damit ist das Saus einverstanden. Vorher: dritte Beratung der Nachtrags— etats für die Eisenbahn Lüderitzbucht — Kubub—
Schluß gegen 4 Uhr.
14. Sitzung vom 15. Dezember 1905, Nachmittags 4 /g Uhr.
Am Bundesratstisch: Staatsminister, Staatssekretär des Innern Dr. Graf von Posadowsky, Staatssekcetär des Reichs⸗ chatzamts Freiherr von Stengel u. a.
Zur dritten Beratung stehen zunächst die Vormittags in 696 Beratung angenommenen beiden Nachtragsetats
ür die Schutzgebiete (Eisenbahnbau von Lüderitz— bucht nach euch . ĩ J
Fm der Generaldiskussion nimmt zunächst das Wort 8 Abg. Le deb our (Soz.): Die Kommission hat nicht den Beweis dia ft daß eine wirischaftliche Entwick ung des sütlichen Schutz . zu erwarten ist. Es wurde von einer Seite hervor- 66 es wäre am besten, dieses ganze südliche Gebiet in Süd— estafrika ganz aufzugeben und sich auf den nördlichen
Teil zu beschränken. Die Ausführungen, der Regierungsvertreter, insbesondere die des Geheimrgts Golinelli, haben diese Auffassung nicht erschüttern können. Er hat selbst zugeben müssen, daß die ent— sprechenden Teile des Kaplandes, die dieselbe geologische Formation haben, sich wirtschaftlich nicht gut entwickelt haben.
nicht zu begründen. In der Kommission wurde von einem Kapitän angeführt, daß der Hafen Lüperitzbucht viel besser sei als der von Swakopmund; das ist aber nicht jwingend, wenn das Hinterland nicht lohnend ist. Die Bahn ist als Kriegs⸗ hahn gedacht. Es ist aber sehr wahrscheinlich; daß in acht Monaten dort ein Kriegszustand gar nicht mehr besteht. Oder soll ein Krieg bestehen, solange es dort Eingeborene gibt? Wenn man 1000 Kameele dort schon hat, so ist die Bahn erst recht überflüssig. Es handelt sich nur um eine verhältnismäßig geringe Zahl von Vottentotten, nachdem sich 1065 unter Sebulon ergeben haben. Ein Friedensschluß mit Morenga ist nicht ausgeschlossen. Damit fällt jeder Grund weg, eine Kriegsbahn zu bauen. Es kommt aber den Freunden der Bahn gar nicht auf die Bahn Lüderitzbucht — Kubub an, sondern auf die Fortführung bis Keetmanshooy und nach Windhuk, eine Strecke wie von Metz nach Posen. Ohne den Reichstag zu fragen, sind ja schon für die Strecke Windhuk — Rehoboth 200 000 M verwendet worden, wie gestern hervorgehoben wurde. Auf unsere Anfrage über die Kriegführung in den Schutz» gebieten baben wir bisher nur sebr dürftige Antworten erhalten. Der Reichskanzler und die Koloniglverwaliung haben über den Trothaschen Erlaß hier in den letzten Tagen geschwiegen. Wir haben nun in der Kommission erfahren, daß der Reichskanzler nur den Teil des Erlasses mißbilligt, der sich auf das Schießen auf Frauen und Kinder bezieht, wonach diese dem Tode der Ver— schmachtung preisgegeben werden, daß er aber die Aussetzung von Prämien auf die Köpfe der Häuptlinge billigt. Der Oberst von Deimling katte sogar den ganzen Erlaß gebilligt. Der zweite Erlaß ist ein Ausrottungserlaß gegen sämtliche männlichen Hottentotten, die sich nicht freiwillig stellen. Die Aussetzung von Meuchelmordprämien ist eine durchaus verwerfliche Handlung. Dabei hat Leutwein den jetzt verstorbenen Hendrik Witboi mit Hermann dem Cherusker verglichen! Die ‚Zukunft“ hat, wie wir inzwischen auch in der Kommission erfahren haben, irrtümlich angenommen, daß der Reichskanzler der pfänger des bekannten Telegramms des Generalleutnants von Trotha war, worin von der Anbahnung von Unterhandlungen mit Morenga die
1904.
schöpfen,
— 2 em m .
hinter ihnen steht, das für sie sorgt in warmer Teilnahme, und
aus diesem Bewußtsein wird die Truppe am besten die Kraft weiter auszuharren in ihrer schweren Aufgabe bis
zum siegreichen und, so Gott will, nicht allzu fernen Ende.
Mit der Ent⸗
wicklungsmöglichkeit des Gebietes ist also die vorgeschlagene Bahn zum Etat, der Flottennovelle und den Steuervorlagen fort—
Hierauf wird die abgebrochene Generaldiskussion
gesetzt.
Abg. Gothein (fr. Vnzg): Noch nie ist es den besitzenden Klassen so sehr zum Bewußtsein gekommen wie jetzt, daß es ihre Aufgabe ist, den Minderbemittelten sozial zu helfen Das ist auch von sozialdemokratischer Seite anerkannt worden. Ein Teil der so⸗ genannten Wohlfahrtseinrichtungen gehört allerdings gewissermaßen zu den Geschäftsspesen, weil die Unternehmer sich sagen, daß sie sonst keinen Arbeiter bekommen würden. Im übrigen frage ich den Abg. Stöcker: wer öffnet denn am meisten seinen Beutel für Wohltãtigkeits; wecke? Es vergeht kaum ein Tag, wo nicht ein reicher Mann um einen Bei⸗ trag angegangen wird. Gerade unsere jüdischen Mitbürger erfüllen ihre Pflicht gegenüber der Armenfrage usw. in sehr hohem Maße. In England hat die Sozialdemokratie deshalb keinen Boden gefunden, weil, die Freihandelsbewegung, die bürgerliche Klasse dort ihre Pflicht getan hat, und weil dort für billige Ernährung des Volks gesorgt ist, während bei uns die vermeintliche Vertretung der Arbeiter, die Sozialdemokratie, bedenklich gecalvert und geschippelt hat. Die Uebergeschäftigkeit der Polizei, die kleinliche Ausführung von Verordnungen stärkt die Sozialdemokratie. Schikanen schaffen nur Märtyrer. Von 3 Millionen Wählern der Sozialdemokratie sind sicherlich 2 Millionen nicht Sozialdemokraten. Auch die vielfachen Wahlbeeinflussungen sind der beste Nährboden für die Sozialdemokratie. Unsere Arbeiterschichten sind so intelligent, daß sie der ewigen Be—
vormundung durch die Bureaukratie entbehren können; darum haben
sie den Wunsch, sich an der Verwaltung zu beteiligen. Der Abg. Stöcker
will erst einmal den Mißbrauch der Wahlfreiheit abschaffen, ehe er
an die Erwägung einer Erweiterung des preußischen Wahlrechts gehen will. Er ist sich ganz treu geblieben, das ganze Agens für die ÜUn—
xufriedenheit der weitesten Schichten der Bevölkerung hat er in dem Judentum gesehen. Es war auch ein Jude, nämlich Stahl, der in den
Em⸗
Rede ist; der Empfänger ist vielmehr der Chef des Generalstabes
gewesen, der nach den Mitteilungen der Zukunft“ diese Unter handlungen mißbilligt und inhibiert hat. Tatsachen daß die Kriegführung in Südwestafrika von zwei Seiten kommandiert wird;
stabes.
von Trotha tut, was ihm beliebt, und sich um die Zivilverwaltung einfach nicht kümmert. Das sind unhaltbare Zustände. Der Erlaß des General⸗ leutnants von Trotha war ein politischer Akt von großer Bedeutung, und da müßfsen wir fordern, daß in der gesamten Kolonialverwaltung sowohl im Frieden, wie im Kriege nur die Entscheidung der Kolonial⸗ verwaltung maßgebend sei und die Eingriffe der Militärverwaltung als unzulässig unbedingt zurückgewiesen werden. Der Zudrang zu den Stellen in der Kolonialverwaltung ist minimal, die Auswahl sehr gering. Der Geheime Legationsrat von König wies heute darauf hin, daß die Kolonialbeamten im Congostaat ebensolche und noch schlimmere Greueltaten begangen haben. Das bewies mir, daß unsere Kolonial
beamten gar nicht unter dem Durchschnitt stehen; vielmehr sind
diese entsetzlichen Greuel nur der Ausdruck der Ausbeutungswirtschaft, die in den Kolonien Die Verwaltungsbeamten mit ihren nahezu absolutistischen Rechten
kapitalistischen
gegenüber den Eingeborenen müssen bei ihrem Aufenthalt in den
Kolonien allmählich dahin kommen, daß in ihnen die Keime der brutalsten Entartung geweckt und ausgebildet werden.
in höchstem Grade biutalisierend.
Wuklicher Legationsrat Helfferich: Wenn ich recht verstand, hat der Vorredner gesagt, der Reichskanzler habe dem General von Trotha eine scharfe Rüge erteilt. a sondern daß die Anweisung an den General eine dienstliche Anweisung war, die von. dem Reichskanzler mit dem Generalstab vereinbart worden ist, und worin mit den wärmsten Worten dem General von Trotha die Anerkennung für seine hervorragenden Dienste aus— gesprochen wird. ö
Abg. Dr. Müller- Sagan (fr. Volksp.) verteidigt sich gegen die Vorwürfe wegen der Benutzung des von Poeylau ihm übe gebenen Materials. Poeplau habe ihm geschrieben, daß er das Material wegen seines Falles wie der Fälle Brandeis und Kannenberg dem Kanzler übersenden, es jedoch nicht früher öffentlich benutzen solle, ehe der Reichskanzler die erforderlichen Maßnahmen zugestanden hätte. Der Abg. Ledebour möge den Parteien nicht eine veränderte Stellungnahme in der Beurteilung der wirtschaftlichen Interessen dieses Bahnbaues vorwerfen. Die Mehrheit stimme nicht aus wirt schastlichen Interessen der Vorlage zu; er selbst habe ausdrücklich erklärt, daß seine Freunde mit der Zustimmung keine weitere Ver— pflichtung übernehmen und sich alle Entscheidungen über die Weiter⸗ führung der Bahn über Kubub hinaus vorbehalten müßten. Aus— schlaggebend seien lediglich die Kriegszwecke gewesen und die Mit— teilungen des Obersten von Deimling in der Kommission. Die Frage der Zurückziehung der Truppen, aus dem Süden könne nur von den militärischen Sachverständigen beurteilt werden. Es handle sich lediglich um die Frage, ob die Bahn die Ver— problantierung unserer Truppen sicherstellen kann für die Zeit, in der eine Beendigung des Feldzuges noch nicht abzesehen werden könne. Seine Freunde müßten deshalb, um die Beendigung des Krieges zu sichern, für den Bahnbau stimmen.
Abg. Ledebour (So): Ich weiß nicht, was der Fall Poeplau mit meinen Ausführungen zu tun hat,. Der Brief. Poeplaus rechtfertigt natürlich den Aba. Dr, Müller⸗Sagan, aber unsere Partei⸗ presse konnte doch nicht wissen, daß der Abg. Müller⸗Sagan darauf hin das Material dem Reichskanzler mitgeteilt hätte. Was die Vorlage betrifft, so geht die Regierung nicht von, dem Standpunkt ab, daß Verhandlungen mit den Hoittentotten gänzlich ausgeschlossen seien. Wenn Verhandlungen angeknüpft würden, könnte der Krieg beendigt sein, ehe die Bahn gebaut oder auch nur die Kameele beschafft seien. Ich finde es noch immer unbegreiflich, daß die Parteien fich durch die Gründe der Regierung haben für den Bahnbau bestimmen lassen.
Damit schließt die Beratung.
Die Vorlage wird in ihren einzelnen Teilen und darauf im ganzen endgültig genehmigt.
Nach erklärter Annahme bemerkt .
Oberft von Deimling: Im Namen meiner Kameraden draußen in Afrifa danke ich von ganzem Herzen dem Hause für die schnelle Erledigung der Bahn. Aus allen Gauen eutschlands sind un⸗ gejählte Weihnachtsgaben als Liebesgaben jetzt hinausgeschickt worden. Sie dürfen überzeugt fein, daß von allen diesen Weihnachtsgeschenken keines so die Herzen der Truppen draußen erfreuen wird, als wie Ihre Gabe, die Eisenbabn. Stehen doch daraus die Truppen, daß die Abgeordneten des Volkes und damit das ganze deuische Vol
; ͤ Schon auf Privatpersonen wirkt die Ausbeutungsmöglichkeit der armen Schwarzen Mit solchen Reden sucht der Reichskanzler die Kritik der Übrigen
Ich konstatiere, daß das nicht der Fall ist,
50 er Jahren der konservativen Bewegung ihren geistigen Inhalt ge— geben hat, und davon leben die Konservativen heute noch, nur daß sie
das agrarische Mäntelchen umgenommen haben. Die führenden Geister
der französischen Revolution von 1789 waren keine Juden. Und haben wir etwa in England, in den Vereinigten Staaten keine Juden?
, Der Nährboden wird der Unzufriedenheit und der Sozialdemokratie 1 6
Bisher
durch die reaktionäre Haltung der Regierungen gegeben.
* wird i 2 ĩ tig 9 . s . ĩ * ,, ,, n,, d die Gleichberechtigung den deutschen Arbeitern doch nur vor ,. der Kolonialverwaltung, aber nicht denen des Großen General ⸗
; enn so ganz verschieden von einflußreichen Stellen eingegriffen wird, können wir uns schließlich nicht wundern, daß der Generalleutnant
gegaukelt. Die deutsche Wissenschaft wird den Abg. Stöcker nicht als kompetenten Beurteiler gelten lassen; wir durften bisher stol; sein auf ihre Erzeugnisse, und es ist ein Armutszeugnis für Deutsch⸗ land, daß Leute, die ein Urteil darüber fällen, wie es der Abg. Stöcker getan, noch zu Abgeordneten gewählt werden. Der Abg. Stöcker hat den Scheiterhaufenbrief geschrieben; wer im Glashause sitzt, soll nicht auf ein ganzes Volk mit Steinen werfen. Er klagt über Unglauben und Irreligiosität, aber er übersieht, daß die Unduldsamkeit der kirchlichen Kreise selbst die Hauptschuld daran trägt. Wir wollen den Orthodoxen ihren Glauben nicht nehmen, wir ver— langen nur Toleranz auch für uns. Wir sind gegen Ketzergerichte. Der Abg. Stöcker hat in Essen nicht dazu beigetragen, die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen zu vermindern. 6 ist als evangelischer
Geistlicher in Straßburg-Land aufgetreten und hat die Zentrums
partei unterstützt. Das kann das evangelische Bewußtsein nicht gerade stärken. Wir steben unsererseits auf dem Standpunkt der
J bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung, 9 n m, e r esellschaftsordnung, aber wir wollen den
Arbeitern nicht ihre Rechte verkümmern. Wo Freiheit herrscht, wie in England und Amerika, findet die Sozialdemokratie keinen Boden. Der Größenwahnsinn wird künstlich erzeugt, wenn der Reichs— kanzler sich sofort erhebt, sobald der Abg. Bebel gesprochen, um die Sozialdemokratie in Grund und Boden zu reden. Wenn es bloß Reden machten, dann wäre die Sozialdemokratie schon längst tot.
Parteien an seiner sonstigen Politik abzulehnen. So einwandsfrei ist seine Politik doch nicht. Er meinte, die internationale Politik würde nur durch die Sozialdemokratie gestört. Der Abg. von Gerlach hat schon auf das Treiben der Alldeutschen und ings⸗ besondere des Leipziger Tageblattes hingewiesen. Das Ausland ist nicht so dumm, zu glauben, daß die Sozialdemokratie einen Einfluß auf die auswärtige Politik hat. Diesen Einfluß haben ganz andere Kreise. Right or wrong, my country ist ein sehr gefährlicher Satz. Wir sind hier doch nicht Soldaten, die unter der Disziplin stehen. Wir haben die Pflicht, über die auswärtige Politik zu sprechen und sie zu kritisieren. Es wäre nicht patriotisch, sondern chaupinistisch, wenn wir diese Kritik nicht übten. Jaurés hat sich ein Verdienst um sein Vaterland erworben, hat das Treiben des Ministers Delcasss gegeißelt und seine Entlassung herbeigeführt. Freilich muß die Kritik vorsichtig geübt werden. Die erste Lesung darf nicht vorübergehen, ohne auf, das Gelbbuch der französischen Regierung hinzuweisen, das sie ihrem Parlamente vorgelegt hat. Eines scheint daraus hervorzugehen, daß wir eine konseguente Politik in der ganzen Marokko⸗Frage überhaupt nicht geführt haben, daß diese Politik anfangs eine andere war als später. (Der Redner zitiert veischiedene Stellen daraus.) Anfangs wurde das englisch⸗franzoͤsische Abkommen in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ günstig beurteilt; später trat eine Aenderung ein. Die einseitige Darstellung von französischer Seite kann ich allerdings nicht gelten lassen, aber der Reichskanzler wird nicht umhin können, nunmehr ein Weißbuch über unsere deutsche Politik zu veröffentlichen. Wer hat denn so viel über Mobilmachung gesprochen? Es war gerade die Stimme der Offiziere, und sie haben den Eindruck im Auslande hervorgerufen, daß eine Kriegfgefahr vorhanden war. Ich glaube, daß das englische wie das deutsche Volk lediglich den Frieden will. Die feindliche Stimmung in England ist nicht auf unsere wirtschaftlichen Er- folge zurückzuführen, die von unserer Seite vielfach, über—⸗ trieben werden, sondern auf unsere Absperrungspolitik, die uns als barbarische Nation, als Hort der Reaktion erscheinen läßt. So können wir keine moralischen Eroberungen machen. Unsere Polen- und Dänenpolitik kann uns im Auslande keine Sym pathien verschaffen. Wundern wir uns darum nicht, daß in einer Zeit, die unter dem freiheitlichen Gedanken steht;, wir immer un⸗ beliebter werden. Bei der späten Stunde (es ist 7 Uhr), erklärt der Redner, seine Deduktionen hier abbrechen zu wollen, und schließt mit der Erklärung, daß nur ein freimütiger und freiheitlich gesinnter Patriotismus uns aus diesen schweren Zeiten herausbringen wird. Abg. Graf von Mielzyns kv (Pole) protestiert gegen die Aug= führungen des Kanzlers, soweit sie die Haltung der Polen betrafen. Nicht die Polen, sondern die deutschen offiziellen Blätter hätten die auffälligen Ausführungen enthalten. Deutschland müsse immer ge⸗ rüstet sein, um in die Wirren in Russisch⸗Polen einzugreifen. Das Ansiedlungsgesetz werde nicht so unparteiisch und gerecht ausgeführt, wie es die Minister versprochen bätten; die Beamten destillierten aus dem Gesetz auf eigene Faust, noch, weitere Ausnahmebestimmungen heraus. Auch die Polen glaubten nicht, daß sich die Völker beute so in die Kriege treiben lassen würden als früher; die heutigen Kriege ließen sich mit den früheren nicht vergleichen, sie seien nur noch Ge metzel. Die Massen würden sich nicht mehr abschlachten lassen. Kein