1906 / 20 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 Jan 1906 18:00:01 GMT) scan diff

Die Bedeutung des Entwurfs, meine Herren, wird durch diese Ausnahmen im wesentlichen nicht berührt. Die wirtschaftliche Be⸗ deutung der Vorlage, so wie ich sie eingangs meiner Aus— führungen charakterisiert habe durch die Zahlen, die ich die Chre hatte Ihnen anzugeben, bleibt im wesentlichen unberührt. Die rechtliche Bedeutung der Vorlage wird durch die Ausnahmen auch nicht beeinträchtigt. Ez bleibt eine Kodifikation unseres Ver—⸗ sicherungsrechts. Auf Grund dieser Kodifikation fällt das Landesrecht hinweg, fällt auch die Bestimmung des Einführungkgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch hinweg, durch welche das Versicherungsrecht einstweilen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch und damit dem Reichs⸗ recht entjogen wurde. Auf Grund dieser Kodifikation wird für das Bersicherungswesen der schon lange vermißte einheitliche Rechts boden geschaffen werden. Das ist vor allem wichtig für die Privat⸗ versicherungẽgesellschaften, die über ganz Deutschland hin ihre Tätigkeit erstrecken, während die öffentlichen Anstalten meistens nur ein beschränktes Gebiet in ihre Wirksamkeit einbezogen haben.

Die verbündeten Regierungen sind der Meinung, daß gerade die Privatversicherungsgesellschaften auf Grund dieser Vorlage werden fortfahren können in der an Ehren so reichen Entwicklung, die für sie in der Vergangenheit liegt, daß gerade für das Privat versicherungs⸗ wesen die Vorlage alle Bedingungen enthält für eine weitere erfolg⸗ reiche Tätigkeit. Meine Herren, ich möchte Sie bitten, mitzuwirken bei der Sicherstellung dieses Zieles, dem deutschen Versicherungs⸗ wesen eine neue günstige und glückliche Basis zu schaffen mit juwirken, nicht nur, indem Sie diese, ich darf wirklich sagen⸗ ebenso schwierige wie langwierige Vorlage einer wohlwollenden Prüfung unterwerfen, sondern auch, indem Sie trotz der Belastung des Reichstags mit Vorlagen in dieser Session den Versuch machen, sie noch im Laufe der Tagung zum Abschluß zu bringen. Ich nehme an, meine Herren, das hohe Haus wird genelgt sein, bei dem überwiegend technischen Charakter der Vorlage und dem schwierigen Detail, das sie enthält, sie einer Kommission zu überweisen, und ich kann die Versicherung geben, daß die Vertreter der verbündeten Regierungen bereit sein werden, in jeder Weise die Herren zu unter- stützen, die in diese Kommission eintreten. (Bravo!)

Abg. Heine (Soz): Meine Partei steht auf dem Standpunkt, daß das, Versicherungs wesen gerade wegen seiner sozialen Bedeutung bauptsächlich, ja ausschließlich den Organen des Staats über tragen und zu einer Institution öffentlichen Rechts gemacht werden sollte. Aber wir wissen, daß es noch nicht so weit ist, und werden

desbalb versuchen, im prinaten Versicherungevertrag die Rechte der Bersicherten nach Möglichkeit zu schüßen und dadurch das Ver⸗

sicherungswesen zu einem sozialen Gewinn zu machen. Dem Entwurf

kann man die Anerkennung nicht versagen, daß er in einer ganzen

Reihe von Bestimmungen die Lage gerade der minder gänsfig ge—

stellten und weniger erfahrenen Bevölkerung zu bessern bemüht sst,

und daß auch eine Anzahl von Bestimmungen dadurch ihren Wert

erhalten, daß sie zu zwingendem Recht gemacht werden. Hier

ei mir ein partikularistischer und ein agrarischer Pferdefuß zu en.

Abg. Trimborn Gent): Die Vorlage ist mit der äußersten Sorgfalt auggearbeitet; technisch kann sie vielleicht als besonders vollkommen bezeichnet werden. Auch die Motive sind ganz aus⸗ gezeichnet abgefaßt; ihre Lektüre hat mir so gefallen, daß ich sie sofort noch einmal lesen mußte. Mit der Regelung der WVaterie des Selbstmordes sind wir allerdings nicht einverstanden. Die ¶Versicherunggesellschaft soll bei vorsätzlichem Selbst⸗ mord ihrer Verxflichtung frei und ledig sein; aber eine nachteilige Vereinbarung muß unter allen Umständen nichtig sein, eine solche Srgänzung muß die Bestimmung unbedingt erfahren. Ueber die Frage, wie die öffentlichen Korporationen zu stellen sind, ob sie privi— legiert bleiben sollen oder nicht, wird sich in der Kommission das Hauptgefecht auszuspielen haben. Ich möchte mich in diesem Punkte zur Zeit absolut noch nicht festlegen.

Nach 6isz Uhr wird die Dart ng der Beratung auf Dienstag 1 Uhr vertagt. Vorher Interpellation der Polen, betreffend die polnische Beichte der Rekruten, nachher erste Lesung der Novelle zur Maß⸗ und Gewichtsordnung.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 11. Sitzung vom 22. Januar 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Interpellation der Abgg, Roeren (Hentr) und Genossen:

Durch die Gerichts ver handlung zu Trier vom 30. Oktober bis 2. November v. J. in der Projeßsache Faßbender und von Kesseler gegen Follert und durch verschiedene andere in letzter Zeit bekannt gewordene Vorkommnisse ist festgestellt, daß über das Verhalten der katholischen Geistlichen seitens der Polizei und der lokalen Verwaltungzorgane eine be sondere Kontrolle geübt und geheime Akten geführt werden.

Die Königliche Staatzregierung wird ersucht, anzugeben, ob dieses Verfabren auf behördlicher Anordnung beruht und wie das selbe gerechtfertigt werden soll.“

Nach der Begründung der Interpellation durch den Abg. Roeren, über die bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. be⸗ richtet worden ist, nimmt das Wort der

Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal— angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Namens der Königlichen Staatsregierung habe ich im Einvernehmen mit dem Herrn Minister des Innern die in der vorliegenden Interpellation an die Königliche Staatsregierung ge⸗ richtete Frage dahin zu beantworten, daß eine behördliche Anordnung, wonach seitens der Polizei oder der lokalen Verwaltunge organe über das Verhalten der katbolischen Geistlichen eine besondere Kontrolle geübt oder geheime Akten geführt werden sollen, weder von einer Zentralbehärde, noch von einer Previnzial⸗ oder Bezirksbebörde ge⸗ troffen worden ist. Die durch die Presse verbreiteten Nachrichten katten mit Anlaß geboten, eine hierauf bezügliche Anfrage an die sämtlichen Oberpräsidenten der Monarchie ju richten. Die Berichte lauten übereinstimmend verneinend. Wie bekannt, hat ein Organ der Zentrumspresse in Trier zu seiner unzutreffenden Behauptung sich da= durch veranlaßt gesehen, daß ein Landrat des Regierungebezirls Trier in einer an hãngigen Strafsache der Staattanwaltschaft ein geheimes Akten⸗ ftück über einen katholischen Geistlichen angeboten hat. Das hohe Haus wird es deshalb interessieren, zu erfahren, daß der Bericht des Regierungepräsidenten in Trier, nachdem er hervorgehoben hat, der betreffende Landrat habe nur über diesen einen Geistlichen ein Personalaktenftück angelegt, wörtlich hinzufügt:

Es bedarf wohl keiner besonderen Ausführung, daß im dles⸗ seitigen Berk weder seitens der Landräte noch auch seitentz der Ortepolizeibehsrden eine Ueberwachung der latholischen Geistlichen

stattfindet, daß auch in keiner Weise irgendwelche schwarze Listen oder kränkende Personalnotizregister über katholische Geistliche ge⸗ führt werden. Meine Herren, dasselbe gilt auch für die übrigen Regierungsbezirke der Monarchie.

Die in der Interpellation und in der Presse angeführten Vor⸗ kommnisse, die zum Teil eine längere Reibe von Jahren zurückliegen, können die gegenteilige Behauptung nicht begründen. Sie ergeben nur, daß über einzelne katholiche Geistliche aus diesem oder jenem Anlaß von den staatlichen Behörden Informationen eingezogen worden sind. Aus dieser Tatsache können aber berechtigte Beschwerden um so weniger hergeleitet werden, als derartige Ermittlungen sich nicht auf katho⸗ lische Geistliche beschränken; sie werden ebenso über Geistliche anderer Bekenntnisse angestellt, über beamtete und Privatpersonen, und können in einer geordneten Staatsverwaltung nicht entbehrt werden.

Die Anlässe hierzu sind der mannigfaltigsten Art. Ich erwähne nur, was Geistliche anlangt, beispielsweise einerseits die Fälle von Beschwerden, andererseits Gefuche um Unterstützung und Uebertragung von öffentlichen Aemtern, Vorschläge zur Auszeichnung, Verleihung von Stellen landesherrlichen Patronats usün. Daß in solchen Fällen die unteren Verwaltungsbehörden, wenn von den vorgesetzten Instanzen ein Bericht erfordert wird, ihrerselts mitunter noch weitere Anfragen und Erkundigungen vornehmen müffen, bedarf ebenso wenig einer Ausführung, wie daß es ihre Pflicht ist, solche Erkundigungen in durchaus diskreter und taktvoller Weise vorzunehmen. Wird hiergegen verstoßen, so sind solche Mißgriffe an sich bedauerlich und durchaus nicht zu billigen; sie rechtfertigen aber nicht die in der Inter—⸗ pellation behauptete Feststellung. Der in der Interpellation in allgemeiner Fassung enthaltene Vorwurf ist schon von dem Abg. Herold bei der diesjährigen ersten Etatsdebatte im Hause erhoben, indem er behauptete, die Verwaltungsbehörden gingen dazu über, eine Spionage anzustellen gegenüber den katholischen Geist⸗ lichen, ob fie vielleicht irgend etwas auf dem Kerbholz haben. Ich habe mir damals schon gestattet, gegen diesen Vorwurf entschieden Verwahrung einzulegen, und ich hatte gehofft, daß dies dazu führen würde, daß der Abg. Roeren heute eine gewisse Zurückhaltung in seinen ich kann es nicht anders sagen sehr scharfen Vorwürfen sich angelegen sein lassen würde. (Unruhe im Zentrum.) Das ist leider nicht geschehen, und ich bin nun dadurch, sehr gegen meinen Willen, veranlaßt, gegen die Ausführungen des Abg. Roeren in ent— schiedener Weise Front zu machen.

Der Abg. Roeren hat im Gingange seiner Ausführungen gesprochen von einer Erregung, einem Unwillen und einer Ver⸗ bitterung, die in weiten Kreisen herrsche, und er hat dann in einer noch viel schärferen Form am Schlusse seiner Rede das weiter ausgeführt. Er hat den Vorwurf erhoben, es bestehe, wie längst bekannt, das System, daß die katholischen Geistlichen dauernd einer spionierenden Kontrolle unterworfen sind, daß geheime Berichte über diese Geistlichen erstattet werden, und daß in der ganzen Sache ein einheitliches System liege. Ich kann nur zugeben, daß in den Zeiten des Kulturkampfes und auf diese Periode ist ja der Abg. Roeren auch zurũckgekommen manchmal über die Geenze der objektiven Ermittelung hinausgegangen sein mag. Daz ist erklärlich durch die Erregung, die in damaliger Zeit auf beiden Seiten herrschte, und durch den Umstand, daß zahlreiche Geistliche der katholischen Kirche damals im Vordergrund der politischen Agitation gestanden haben. Meine Herren, wer sich in den Vordergrund des politischen Lebens stellt, darf sich auch jetzt nicht wundern, wenn von seiten der Staatsbehörde, die über staatliche Interessen zu wachen und die ganzen Vorgänge aufmerksam zu beobachten hat, eine gewisse Kontrolle geübt wird. Das Unterlassen einer solchen würde ja eine reine Vogelstraußpolitik sein. Wenn dann von denjenigen Beamten, die dazu berufen sind, über derartige Vorgänge zu wachen, einzelne Notizen gesammelt werden, so kann unter Umständen aus einzelnen Blättern auch ein amtliches Aktenstück entstehen.

Nun, meine Herren, in dem von Herrn Abg. Roeren erwähnten Fall Follert hat ein solches Aktenstück eine gewisse Rolle gespielt. Zunächst möchte ich aber, ehe ich auf diesen Fall näher eingehe, er— wähnen, daß es sich dabei nicht um einen einfachen Beleidigungeprozeß zwischen dem Herrn Geistlichen Follert und dem betreffenden Bärgermeister bezw. Landrat handelt, sondern um ein Straf⸗ verfahren gegen den Geistlichen Follert wegen öffentlicher Beleidigung zweier Beamten, des Bürgermeisters und des betreffenden Landrats. Dieses Strafverfahren ist dadurch hervorgerufen, daß Herr Follert gegen dessen löbliche Absicht, sich der Interessen der ihm anvertrauten Gemeinde auch auf dem kommunalen Gebiete anzu—⸗ nehmen, ich ja an sich gar nichts einzuwenden habe mehrere Zeitungsartikel verfaßt hat, die dann ju einer Broschüre von 64 Seiten verarbeitet worden sind, betitelt Halali, Jagdgeschichten aus der Gifel'. Im Laufe des Verfahrens ist dann durch ein vor wenigen Wochen ergangenes landgerichtliches Erkenntnis nicht nur der Pfarrer Follert zu einer erheblichen Geldstrafe wegen öffentlicher Beleidigung der beteiligten Beamten verurteilt worden, sondern es haben auch noch zwei andere Herren, die ich nicht nennen will, eben— falls Geldstrafen erhalten. Meine Herren, bei Gelegen—⸗ heit dieses Prozesses ist bekannt geworden, daß der Landrat über den Pfarrer ein Aktenstück angelegt hatte. Wenn aber jemand wie der betreffende Pfarrer so in den Vordergrund der öffentlichen Erörterung tritt, daß er, wie ich eben ausgeführt habe, durch Zeitungsartikel den Stoff zu einer umfangreichen Broschüre auf einem nicht zu seinem geistlichen Amt gehörigen Gebiet liefert, so darf man sich nicht wundern, daß der Landrat Notizen über ihn sammelt und daß daraus ein Aktenstück entsteht.

Nun wird behauptet, es wäre ein voluminöses Aktenstäck gewesen. Hier liegt das Aktenstũück. (Große Heiterkeit) Es enthält nur wenige Blätter, einige Zeitungen und Schreiben in bezug auf die Be— hauptungen der erwähnten Broschüre; voil tout. (Zuruf im Zentrum) Wenn der preußische Adler hier darauf steht, so ist das bei allen Aftenstücken üblich, die das Landratsamt anlegt. Und wenn das Aktenstück geheimgehalten, von dem Landrat sekretiert worden ist, so sehe ich darin eine zarte Rücksichtnahme (Heiterkeit), daß er es nicht indiskreten Blicken aussetzen wollte.

Meine Herren, ich bedaure, daß der Herr Abg. Roeren anläßlich dieses Einzelfalles ganz allgemein behauptet hat, über die Geistlichen seines Kreises führe der Landrat voluminöse Aktenstücke. Dieser Vorwurf, der sich in seiner Allgemeinheit gegen zahlreiche Landräte richtet, muß die Verwaltung peinlich berühren. Denn, meine Herren, ich habe schon vorhin hervorgehoben, daß seitens der maßgebenden Behörde

Weifungen. wonach eine derartige geheime Kontrolle geübt erben

soll, absolut nicht ergangen sind und von einem System nicht die Rede sein kann. Es kann sich in dem einen oder anderen Falle also nur um individuelle Maßnahmen in dieser Beziehung handeln die werden Remedur finden, wenn zur rechten Zeit he der zuständigen Behörde Beschwerde erhoben wird. Ich kann dem Herrn Abgeordneten nur überlassen, in denjenigen Fällen, die überhaupt noch aktuell sind die in der Presse erhobenen Vorwürfe rühren zum. Teil aus einer Zeit her, die viele Jahre zurückliegt, zu veranlassen, daß bei den vorgesetzten Dienstbehörden Beschwerden er— hoben werden; fie werden eine gerechte und sorgfaͤltige Wdigung finden, und es wird überall da Remedur eintreten, wo nach der Ueber. zeugung der betreffenden Vorgesetzten eine solche erforderlich ist.

Ich bedaure auch, daß der Herr Abgeordnete sich veranlaßt gesehen hat, vertrauliche Weisungen, welche von einzelnen landrätlichen Be⸗ hörden an ihre nachgeordneten Bürgermeister ergangen sind, hier alg etwas ganz Selbstverständliches im Wortlaute urdi et orbi bekannt zu geben.

Meine Herren, aus dem Bestreben, einzelne Vorgänge zu generalisieren, um ein vermeintliches Spionagesystem zu begründen und zu brandmarken, kann ich nur das Rauschen des Blätterwaldes im Südwesten der Rheinprovinz, welches sich bekanntlich in politisch aufgeregten Zeiten der Wahlkämpfe ganz besonders geltend macht, vernehmen. Ich sehe voraus, daß die Vorwürfe, welche der Herr Ab— geordnete zu erheben sich heute bestimmt gefunden hat, ein weites Echo in großen Teilen der Bevölkerung finden werden. Denn fie sind in einer Allgemeinheit erhoben worden, die in denjenigen, die nicht den Greignissen näher stehen, nur den irrigen Eindruck erwecken kann, alz handle es sich in der Tat um ein weit ausgebreitetes, wohl durch dachtes und wohl durchgeführtes System.

Der Herr Abgeordnete hat hinzugefügt, das Verfahren müsse auf das äußerste erbittern. Ich habe meinerseits die Befürchtung, daß grade die Vorwürfe, die der Herr Abgeordnete ausgesprochen hat, zu einer derartigen Erbitterung in der Bevölkerung nicht unwesentlich beitragen werden. Ich kedauere es daher lebhaft, daß einzelne Vorkommnisse so über Gebühr aufgebauscht worden sind, statt den Weg einer instanzenmäßigen Beschwerde zu beschreiten. Es hätte zur Klarstellung wahrlich nicht einer Interpellation bedurft, die mit ihrer Begründung geeignet ist, eine überflüssige Erregung in den be— telligten Bevölkerungskreisen hervorzurufen.

Der letzte Appell des Herrn Abg. Roeren geht darauf hinaus, es möchte doch die Regierung daxauf Rücksicht nehmen, daß ein gegen; seitiges Vertrauen zwischen den Staatsbehörden und der Geistlichkeit hergestellt werde; sie könnten sich auf diese Weise viel besser über ein⸗ zelne Vorkommnisse verständigen. Ja, meine Herren, meine ganze Tätigkeit, seitdem ich die Ehre habe, auf diesem Posten zu stehen, hat Ihnen den Beweis wohl schon geliefert, daß ich ein wechselseitiges Vertrauen anzustreben voll und ganz gewillt bin. Ich weiß, daß in diesem Sinne auch die Herren Chefs der Provinzialverwaltungen tätig sind, und daß wir in vielen Fällen auf diese Weise schon im Interesse des konfessionellen Friedens den besten Erfolg gejeitigt haben. (Bravo

Abg. Dr. Porsch Zentr.): Nach der grundsätzli des gr ir. . 6 in . Arik e r, mn Interpellation zu beantragen; seine weiteren Ausführungen aber lassen es doch wünschenswert erscheinen, wenigstens einige kurze Er=

piderungen eintreten zu lassen. Lediglich deshalb beantragen wir die Besprechung.

Das Haus tritt darauf in die Besprechung ein.

Abg. Stychel (Pole): Daß gegen katholische Geistliche eine systemattsche Kontrolle seitens der Behörde geübt wird, steht fest. Der Obenpräsident von Posen hat seine untergeordneten Organe auf, gefordert, namentlich über das Verhalten der katholischen Geistlichkeit Bericht in erstatten. Der Zweck dieser Anordnung war, einen Druck auf die politische Haltung der katholischen Geistlichen

auszuüben. Daß bei dieser Berichterstattung nationale Gegen= sätz. und persönliche Feindschaft ihre Rolle spielen und den schlimmsten Zuträgereien Tür und Tor öffnen, ist ohne weiteres klar. Der Redner gibt eine Beschreibung von dem in diesen Fallen zur Än. en kommenden gedruckten Formular, nach welchem die Schul- lehrer ihre Forschungen über das Verhalten der Geifilichen anftellen und ihre Berichte erstatten sollten. Die Lehrer würden ins befondere angewiesen, darauf zu achten, ob die Geistlichen den Vorschriften über den Gebrauch der deutschen Sprache zuwiderhandeln. (Präsident von Kröcher ersucht den Redner, sich näher an das Thema der Inter- pellation zu halten) Schulzen würden von ihrer vorgesegzten Behörde veranlaßt, darüber zu berichten, ob der Geistliche das vöorgeschriebene Kirchengebet für den Landesherrn, die Armee und Marine ufw. auch vollständig spreche. In der en Lehrerzeitung sei ein Artikel erschienen, der einen Geistlichen anschwärzte, weil dieser im Unterricht die polnische Sprache angewendet habe; diese Anschwärzung könne nur durch Spionage ermöglicht worden sein.

Abg Roeren (GZenir): Ich habe nur Tatsachen berichtet, und ich kann dem Minister versichern, daß ich in absolut einwandfreier Weise in den Besitz des Materials gekommen bin. Bel diesen Akten handelt es sich nicht um gewöhnliche . wie sie über bestrafte PVer⸗ sonen geführt werden. Der Landlat von Kesseler hat in dem einen Falle selbst anerkannt, daß der Pfarrer kein Hetzer sei. Ich kann mir die Sache nicht anders erkläten, als daß über alle Geistsichen des Jreises solche Akten geführt werden. Ich habe bewiesen, daß diese Kontrolle von den unteren Beamten, den Landbürgermesstern, aus⸗ geübt wird. In übrigen begrüße ich es, daß der Minister es ab— gewiesen hat, daß eine allgemeine Verfügung über eine solche Kontrolle ergangen sei. . ;

Darauf wird die Besprechung geschlossen. Damit ist die Interpellation erledigt.

Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Abänderung des siebenten Titels im Allgemeinen Berggesetz vom 24. Juni 1865 (Knappschaftsvereine).

Minister für Handel und Gewerbe Delbrück:

Meine Herren! Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf bezweckt eine Abänderung und Umgestaltung des siebenten Titels des allgemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865, welcher von den Knappschaftskassen handelt. Die Einrichtung der Knappschaftskassen ist in ihren An— fängen beinah so alt wie der deutsche Bergbau; sie hat schon in ihren Grundzügen eine der jetzigen entsprechende Regelung gefunden im 16. Titel des II. Teils des Allgemeinen Landrechts und ist dann einer Neuregelung unterzogen worden durch daz preußische Knappschaftsgesetz vom 10. April 1854, das im wesentlichea unverändert in das All⸗ gemeine Berggesetz von 1865 übergegangen ist. Das preußische Gesetz von 1854 hat Zwangskassen geschaffen, die dem Bergarbeiter sichern eine Unterstützung im Falle der Krankheit, im Falle der Verunglückung im Berufe, im Falle der Bergfertigkeit und elne Unterstützung für die Hinterbllebenen im Falle des Todeg. Auf Grund dieser Organisation bestehen zur Zeit 72 Vereine mit mehr als 660 000 aktiven Mit⸗ gliedern, welche 69 000 Berginvaliden, 000 Witwen und 48009 Waisen Unterstützungen gewähren.

Diese Einrichtung bedeutete im Jahre 1854 eine sozialpolitische Tat, indem sie auf der Grundlage von Zwmangskassen den Berg. erbeitern eine Reihe von Anspriüchen sicherte, die den übrigen industriellen Arbeitern Preußens und Deutschlands sehr viel später und in gleichem Umfange auch heute noch nicht zuteil ge⸗ worden ist. Gleichwohl sind darüber besteht bei allen Beteiligten seit langem kein Zweifel mehr die jetzigen Bestimmungen des siebenten Titels des Allgemeinen Berggesetzes nicht mehr zeitgemäß und einer Umgestaltung dringend bedürftig. Zunächst hat die riesige Gntwicklung, die unser Bergbau genommen hat, die alten Bestimmungen ewas überholt. Die veränderten Verhältnisse der Arbeiterschaft lassen fie als unzureichend erscheinen, und endlich haben die reichsgesetzlichen Bestimmungen, insbesondere die sogenannten sozialpolitischen Ver⸗ sicherungsgesetze, mancherlei Bestimmungen getroffen, die in die Naterie tief eingrelfen, eine teilweise Abänderung herbeigeführt haben und die Handhabung derselben außerordentlich erschweren.

Nun boten die Bestimmungen über die Knappschaftskassen, als die Reichtgesetzgebung mit ihrer Arbeiterfürsorge einsetzte, zweifellos den Bergarbeitern mehr als die sukzessiv eintretenden reichsgesetzlichen Borschriften ihnen bieten konnten, und daraus ergibt sich von selbst, daß die Bestimmungen über das Knappschaftswesen und über die Fnappschaftskassen neben den reichsgesetzlichen Bestimmungen bestehen blieben. Die Reiche krankenversicherungsgesetze haben aber vorgeschrieben, daß die Knappschaftskassen an Krankenunterstützungen mindestens das leisten müssen, was nach den Reichegesetzen durch die Betriebskranken= kassen im Falle von Krankheit zu gewähren ist, und daraus hat sich die praktische Folge ergeben, daß die Knappschaftskassen, soweit sie eine Krankenunterstützung bejwecken, etwa Betriebskrankenkassen geworden sind wie die Betriebskrankenkassen anderer industrieller Unternehmungen, die aber, soweit sie leistungefähig und mitgliedkräftig sind, im großen und ganzen mehr leisten als die Mindestforderungen des Gesetzes über die Krankenversicherung der Arbeiter, unter allen Umständen aber die Mindestleistung dieser Gesetze erfüllen.

Es hat dann neben den Bestimmungen über die Knappschafts— kafsen die Reichsunfallversiche rung eingesetzt. Man hat eine Knapp⸗— schaftsberufggenossenschaft für Deutschland gegründet, die nach reichs; gesetzlichen Vorschriften die Arbeiter und ihre Hinterbliebenen für den Fall des Unfalls sicherstellt, mit der Maßgabe, daß ein Teil ihrer deistungen auf die Knappschaftsleistungen angerechnet werden kann, und mit dem praktischen Erfolge, daß in einem Teil der Fälle, und jwar namentlich, wenn der Unglücksfall jüngere Mitglieder der Knappschaftskassen betrifft, der Bergmann alles in allem aus beiden Kassen etwa bekommt, was die Unfallversicherung vorschreibt, während in dem übrigen Teil der Fälle die Leistungen aus der Knappschaftskasse und der Unfallversicherung, trotz der Verrechnung gewisser Leistungen beider Kassen, für die Bergleute ein Plus bieten.

Aehnlich haben sich die Verhältnisse gestaltet bezüglich der In⸗ validenversicherung. Auch hier bestehen die knappschaftlichen Ein⸗ richtungen neben den reichsgesetzlichen, auch hier ist eine Verrechnung unter gewissen Voraussetzungen zugelassen, und das Schlußergebnis ist, daß auch hier im Durchschnitt der Bergmann vermöge der Zugehörig- keit zu beiden, den landesgesetzlichen und den reichsgesetzlichen, Ein⸗ richtungen, mehr bekommt, als er erhalten würde, wenn er lediglich auf Grund der reichsgesetzlichen Bestimmungen versichert wäre. Es werden augenblicklich, abgesehen von den auf Grund der Reichsgesetze zu leistenden Unterstützungen, aus den Knappschaftskassen jährlich etwa 2385 Millionen Mark gezahlt; das ist die Zahl, die die Statistik des Jahres 1904 angibt.

Meine Herren, aus diesen Darlegungen ergeben sich nun ohne weiteres die Ziele des Gesetzentwurfs. Es lag in der Natur der Dinge, daß man die Knappschaftskassen als besondere Ein— richtungen des Bergbaues bestehen ließ, und es erschien selbstver⸗ ständlich, daß man bei einer Einrichtung, die so eng mit der Geschichte und den Traditionen unseres Bergbaues verknüpft ist, nicht mehr ändert / als unumgänglich notwendig ist, um den Anforderungen zu genügen, die die augenblicklichen Verhältnisse uns zu stellen nötigen. Eine Hauptschwierigkeit bei den bestehenden Knappschaftskassen liegt nun darin, daß einmal die Kassen in bezug auf die Zahl der aktiven Mitglieder außerordentlich verschieden sind. Wir haben eine Kasse, die nach der neuesten mir vorliegenden Statistik 280 00 Mitglieder bat, also, soweit die Mitgliederzahl in Betracht kommt, unter allen Umständen leistungsfähig ist, während wir Kassen haben, welche weniger als 10 Mitglieder haben, also unter allen Umständen kaum in der Lage sind, den Anforderungen zu genügen, die an sie gestellt werden müssen. Eine weitere Schwierigkeit besteht aber auch darin, daß die jetzigen gesetzlichen Bestimmungen der Aufsichtsbehörde nicht die Handhaben geben, die notwendig sind, um gegen Kassen einzu⸗ schreiten, deren Beiträge und Leistungen nicht in einem Verhältnis zu einander stehen, die die dauernde Leistungsfähigkeit sicher stellt. Endlich besteht eine fernere Schwierigkeit des jetzigen Rechtszustandes darin, daß die bestehenden Kassen zwar als Zwangskassen gedacht sind, daß aber einem Bergarbeiter, der aus einer Knappschaftskasse ausscheidet und in eine andere eintritt, die bei seiner bisherigen Kasse erworbenen Ansprüche nicht erhalten werden können. Es fehlt also, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, eine gesetzliche Freizügigkeit im Knappschafts— wesen; es kann nicht ein Arbeiter aus einer Kasse in die andere über⸗ gehen, ohne unter Umständen der Gefahr ausgesetzt zu sein, seine bisher erworbenen Rechte zu verlieren.

So wünschenswert es nun sein mag, die Arbeiterstümme auf den einzelnen Zechen und Werken so konstant wie irgend möglich zu halten, so ist doch der Wandertrieb der Arbeiter stärker gewesen als ihr Bedürfnis, sich wohlerworbene Rechte zu erhalten, und daraus folgt, daß die Gesetzgebung dem insoweit nachgeben muß, als sie eine liebertragung der Rechte belm Uebertrilt aus einer Kasse in die andere ermöglicht.

Endlich haben sich Schwierigkeiten insofern herausgestellt, als es nicht möglich ist, leistungsunfähige Kassen zu schließen und ihre Mit glieder anderen Kassen zuzuweisen. Auch nach dieser Richtung hin hat der Entwurf versucht, einen Wandel zu schaffen.

Nach diesen Ausführungen erglbt es sich von selbst, daß der Gesetz entwurf sich in der Organisatlon im wesentlichen an das Be⸗ sehende anschließt. Er hat es vor allen Dingen vermieden, etwa die Hrankenversicherung, wie das nach dem Vorbilde der reichsgesetzlichen Bestimmungen wohl hätte geschehen können, von der Invaliden⸗ und dinterbliebenenversicherung zu trennen, sondern er hat alle drei Unterstũtzungs formen in ein und derselben Kasse vereinigt gehalten, mur mit der Maßgabe, daß die Krankenkassen innerhalb der Knapp schaftekaßen von den Pensiongkassen gesondert abrechnen und gesondert

Buch führen müssen. Er hat dann zur Grundlage der ganzen Organisation die Krankenversicherungspflicht genommen, insofern als jeder Arbeiter, der in einem dem Gesetz unterliegenden Betriebe in die Arbeit tritt, krankenveisicherungepflichtig ist, und jeder, der einmal in der betreffenden Knappschaftekasse krankenversicherungspflichtig ist, auch penstoneversicherungspflichtig ist, sofern er in bezug auf sein Alter und seine Körperbeschaffenheit nach den Satzungen der Kasse zum Eintritt inedie Pensionskasse qualifiziert erscheint.

Der Gesetzentwurf ist dann den reichegesetzlichen Vorbildern darin gefolgt, daß neben dem Beitrittsrechte der Beamten eine Beitritts—⸗ pflicht für alle diejenigen Werksbeamten konstruiert ist, die weniger als 2000 M Einkommen haben; für alle übrigen Werksbeamten ist, wie bisher, ein Beitragsrecht statuiert.

Die Knappschaftskassen werden nach wie vor durch einen Vorstand unter Mitwirkung von Knappschaflsältesten, wie das frühere Gesetz es ausdrückt, verwaltet; es ist aber auch das Institut der Knappschafts—⸗ ältesten, einem in der Praxis bereits hervorgetretenen Bedürfnis folgend, ausgebaut zu einer Generalversammlung. Die Organisation baut sich nun so auf, daß aus geheimen, allgemeinen, direkten Wahlen von seiten der Arbeiter die Knappschaftsältesten gewählt werden, die in der Generalversammlung entweder direkt oder durch einen von ihnen gewählten Ausschuß die Vertreter der Arbeiter bilden, während daneben in der Generalversammlung eine Vertreterschaft der Werksbesitzer ge⸗ schaffen wird, und die Beschlüsse dieser so geschaffenen General⸗ versammlung können nur zustande kommen, wenn sowohl der Teil der Werksbesitzer, als auch der Teil der Kassenmitglieder überein⸗ stimmende Beschlüsse fassen. Im Fall einer Divergenz kommt ein Beschluß nicht zustande. Wenn aber ein solcher Beschluß notwendig ist, so ist die Aufsichtsbehörde in der Lage, ihn zu ergänzen. Ent— sprechend dieser Gleichstellung bei der Verwaltung ist auch die Höhe der Beiträge der Werksbesitzer derjenigen der Bergarbeiter gleichgestellt.

In ähnlicher Weise wird der Vorstand gewählt, in dem ebenfalls Arbeitervertreter und Werksvertreter mit gleichem Stimmmrecht sitzen, die aus sich nachher den Vorsitzenden zu wählen haben.

Das sind im wesentlichen die für die Organisation der Kassen maßgebenden Bestimmungen. Zu bemerken ist nur noch, daß es nach⸗ gelassen ist, wenn die Beteiligten sich darüber einig sind, besondere Krankenkassen u gründen, die also dann eine von der sonstigen knappschaftlichen Verwaltung unabhängige, aber unter ihrer Aufsicht stehende Verwaltung führen.

Um nun leistungsunfähigen Kassen zu Hilfe kommen zu können, hat der Entwurf zwei Möglichkeiten vorgesehen. Er gibt einmal der Aufsichtsbehörde das Recht, leistungsunfähige Kassen aufzulösen und ihre Mitzlieder anderen Kassen zuzuweisen, und er bietet ferner die Möglichkeit, leistungsschwache, aber noch nicht überführt leistungs—⸗ unfähige Kassen anderen Knappschaftskassen anzugliedern, um den Mitgliedern unter allen Umständen die Leistungen zu sichern, die ihnen auf Grund der Bestimmungen ihrer Kasse zustehen würden.

Man hat dann ferner, um die Freizügigkeit der Arbeiter von einer Kasse zur anderen zu ermöglichen, bestimmt, daß die verschiedenen Formen der Pensionen berechnet werden nach festen Steigerungssätzen, die in bestimmten Perioden erdient werden. Wenn der Arbeiter, der durch mehrere Kassen gegangen ist, bergfertig wird und eine Berginvalidenunterstützung beziehen muß, dann haben die einzelnen Kassen, denen er angehört hat, diejenigen Steigungssätze zu zahlen, die der betreffende Arbeiter bei ihnen erdient hat. Es ist das zweifellos die einfachste Form der Lösung dieser Frage; sie macht die wenigsten Schreibereien, die wenigsten Rechnungsschwierigkeiten, und sie entspricht auch, wie ich beiläufig bemerken will, den Wünschen der überwiegenden Mehrheit der von uns bei der Beratung des Gesetzes wiederholt und ausgiebig gehörten Interessenten.

Es ist endlich im Gesetzentwurf der Instanzenzug anders und ein facher geregelt als bisher. Der Entwurf gibt einmal und das gilt insbesondere für Beschwerden über die Festsetzung von Leistungen der Krankenkasse die Beschwerde an das Oberbergamt vorbehaltlich des Rechtswegs und im übrigen bei der Festsetzung der Pension an Arbeitgunfähige oder Hinterbliebene ein schiedsrichterliches Verfahren, das seine Ent— scheidungen fällt unter gleichmäßiger Mitwirkung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, also von Mitgliedern der Knappschaftskassen und der Werksbesitzer unter Leitung von Vorsitzenden, die von seiten der staatlichen Behörden ernannt werden.

Meine Herren, das sind im wesentlichen die Grundzüge des Gesetzentwurfé, den ich Ihrer wohlwollenden Beurteilung hiermit empfehle.

Ich möchte noch einmal vorausschicken, es liegt uns daran, so wenig am Bestehenden zu ändern, wie irgend notwendig ist. Wir haben uns aber nicht gescheut, das politisch und wirtschaftlich unab⸗ wendbar Notwendige zu schaffen, auch unter Verzicht auf die bisherigen und durch die Tradition geheiligten Beflimmungen. Es gehört hierher ganz besonders die Bestimmung über die Wahlen. Nach den bisherigen Bestimmungen stand es den einzelnen Knappschaften frei, zu bestimmen, in welcher Form die Wahlen zu den Knappschaftsvertretungen vor⸗ genommen werden sollten. Die Entwicklung der Dinge war die, daß bei einzelnen Knappschaftskassen geheime, bei anderen öffentliche Wahl war, und die Reichsgesetzgebung hat insofern auch hier bereits ein⸗ gegriffen, als sie für die als besondere Invalidenversicherungs⸗ anstalten zugelassenen Knappschaftskassen die gehelme Wahl aus- drücklich vorgeschrieben hat, sodaß also heute die verschiedenen Wahlsysteme nebeneinander bestehen. Es ist nun der Regierung nicht angängig erschienen, diesen Zustand bestehen zu lassen, sondern es erschien ihr als eine politische Notwendigkeit, die allgemeine und geheime Wahl durchweg zur Regel zu machen, mit Rücksicht darauf, daß man es nicht für zweckmäßig erachtete, trotz des konserpvativen Charakters des Entwurfs den Bergarbeitern einen Wahl modus vorzuenthalten, der ihnen in den analogen reichsgesetzlichen Bestimmungen durchweg gewährt ist und der ihnen bei einem Teile der bestehenden Knappschaftskassen bereits zusteht, sei es auf Grund der Satzungen der Kassen, sei es auf Grund besonderer gesetzlicher Bestimmungen.

Ich schließe meine Ausführungen mit der Bemerkung, daß viel. leicht selten ein Gesetzentwurf vor selner Einbringung so ausgiebig und so vielfach zum Gegenstand von Beratungen mit den Interessenten gemacht worden ist, und ich knüpfe daran die Hoffnung, daß es Ihnen gelingen wird, ein Gesetz zustande zu bringen, das im wesentlichen dem entspricht, was in dem Entwurf der Königlichen Staatsreglerung ent- halten ist. (Bravo!)

Abg. Stackmann (kons.): Namens meiner Freunde habe ich zu erklären, daß wir dem Grundgedanken des Entwurfs zustimmen. bedarf natürlich einer sehr gründlichen Durcharbeitung des Entwurfs in der Kommission. Auf Einzelheiten eir zugeben, darauf verzichte ich in der Generaldebatte. Erwähnen will ich nur die Frage des Wahlrechts. Mein Freund Hevdebrand hat im vorigen Jahre bei der Berggesetz⸗ novelle unsere Bedenken zum Ausdruck gebracht, die wir gegen die geheim! Wahl iu den Arbeiterausschüssen haben. Es muß in der Kommission ernsthaft geprüft werden, ob in diesem Gesetz es zweckmäßig ist, die geheime Wahl beizubehalten oder sie wieder aus⸗ uf eren. Ich beantrage die Ueberweisung der Vorlage an eine Kom⸗ mission.

Abg. Bru st (GZentr.): Das Haus hat früher einer vom Zentrum beantragten Resolution zugestimmt, worin eine Reform des Knapp— schaftswesens und dabei auch die geheime Wahl verlangt wurde. Wir bedauern, daß seitdem 15 Jahre vergehen mußten, ehe diese Vorlage kam. Im allgemeinen begrüßen meine Freunde die Grundlagen des Entwurfs. Wir hoffen, daß es gelingen wird, eine wirklich zeitgemäße Gestaltung des Knappschaftswesens durchzuführen. Dazu bedarf es aber noch einer Reihe Abänderungen des Entwurfs. Das Gesetz soll leistungsfähige Kassen schaffen. Warum hat man dann die Neu— bildung von Knappschaftskassen zugelassen? Man soll lieber die kleinen auflösen und zu größeren Verbänden zusammenschließen. Ich sehe auch nicht ein, weshalb man besondere Krankenkassen in den Knappschaftskassen zulassen will. Man sollte vielmehr jeder weiteren Zersplitterung der Knappschaftspereine vorbeugen. Das Mindest— alter für die Mitgliedschaft in den Knappschaftsvereinen muß von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt werden, damit die Knappschafts-⸗ versicherung der Reichsversicherung gleichgestellt werde. Der Berg⸗ mann gehh seiner Pension verlustig, wenn er sich seine Invalidität durch grobes Verschulden zugezogen hat; aber der Offizier, der in einem Duell jum Krüppel geschossen wird, wird mit Pension ver- abschiedet. Wir müssen dagegen Front machen, daß der Arbeiter in dieser Weise zum Staatsbürger zweiter Klasse gemacht wird. Zu Ppiüfen ist ferner die Frage, ob nicht die Freizügigkeit, die die Vorlage den Arbeitern in bezug auf den Uebergang von einer Knappschaftskasse zu einer anderen gewähren will, in den meisten Fällen illusorisch werden kann. Daß die e nl g. in Zukunft dieselben Beiträge wie die Arbeiter leisten müssen, entspricht durchaus den Rechten, die sie an Kassen selbst haben. Die geheime Wahl entspricht unserer Resolution; aber es ist in der Vorlage nicht bestimmt, daß auch die Vorstandsmitglieder in geheimer Wahl zu wählen sind. Nach unserer Ansicht muß die Vorlage ferner dahin geändert werden, daß auch in Kranken- kassenangelegenheiten das Schledsgericht angerufen werden kann. Gestrichen werden muß nach unserer Ansicht die Bestimmung, welche von den Beisitzern des Schiedsgerichts die Kenntnis der deutschen Sprache in Wort und Schrift verlangt. Die Bergarbeiter haben in bezug auf die Leistungen der Kassen noch weitergehende Wünsche, von denen man einen Teil wohl erfüllen kann, Die Arbeiter verlangen unter anderem, daß ihnen nach 265 jähriger Dienst⸗ zeit die Pension auch ohne den Beweis der Invalidität gewährt werde. Die Versicherung der Knappschaftsbeamten ist mit der Zeit ganz un— haltbar geworden. Es sind z. B. beim allgemeinen Bochumer Knappschaftsverein aus Beiträgen der Werksbesitzer und Beamten o6ß G00 S eingekommen, aber für die Beamten ausgegeben sind 1148090 6 Wir werden in der Kommission an dem Entwurf gern mitarbeiten und beantragen die Ueberweisung an eine Kommission von 28 Mitgliedern.

Abg. Hilbck (ul.); Ich werde nicht, wie der Vorredner, auf die einzelnen Paragraphen eingehen; das wird Aufgabe der Kommission sein, für die ich 21. Mitglieder borschlage. Das Gesetz ist von der größten Wichtigkeit. Die Knappschaftskassenleistungen übersteigen um das Dreifache die Leistungen der Reichsversicherung, ein Beweis, daß wir im Bergbau das Knappschaftswesen gar nicht entbehren können. Ich begreife deshalb nicht, wie der Vorredner in bezug auf die Berg arbeiter von Staatsbürgern zweiter Klasse sprechen konnte. Es werden Summen zu Gunsten der Arbeiter im Bergbau auf⸗ gewendet, die sich doch sehen lassen können. Das Gesetz hat meine Fraktion mit großer Freude begrüßt; es bringt sehr wesentliche Verbesserungen des jetzigen Zustandes, namentlich die Zulassung der Freizügigkeit. Wenn die Arbeiter jetzt von einer Kasse zur anderen

übergehen, verlieren sie ihre Beiträge zu der früheren Kasse teilweise

oder sogar ganz, Es ist eine wesentliche Verbesserung, daß ihnen in Zukunft diese Beiträge erhalten werden. Man befürchtet zwar, daß nun sehr viele Bergleute, dem Zuge nach dem Westen folgend, von Schlesien nach Westfalen wandern werden, aber man wird in Schlesien wohl finden, daß dafür auch wieder Ausgleich sich findet. Die Tätigkeit der Behörde wird nach diesem Gesetzentwurf allerdings einen sehr großen Umfang haben, und es werden tiefe Eingriffe in die Verwaltung der Knappschafts⸗ kassen gemacht, zB. soll, wenn das Oberbergamt eine Versammlung der Kassenmitglieder für notwendig hält und selbst anordnet, der ober bergamtliche Kommissar die Leitung der Sitzungen übernehmen. Leider haben sich die Gegensätze in den Knappschafisvorständen mehr und mehr zugespitzt, im Bochumer Bezirk kommt überhaupt kein Be— schluß mehr zustande, weil immer 15 Arbeiter 15 Arbeitgebern gegen⸗ über stehen. Die Vertreter der Arbeiter sind nämlich immer radikaler geworden. Wenn dies schon zu unhalibaren Zuständen in Westfalen geführt hat, um wie viel schlimmer wird es in Schlesien mit seiner polnischen Bevölkerung werden! Es wird eine großpolnische Agitation großgezogen werden, wie sie schlimmer nicht gedacht werden kann. Was wir für die Germanisation bisher ausgegeben haben, wird mit einem Feder uge wieder weggelöscht werden, wenn wir in den Knappschaftskassen die geheime Wahl einführen. Die Krankenkassen sind zu Versorgungs— anstalten von sozialdemokratischen Agitatoren geworden; wir haben doch keine Veranlassung, das auch auf Preußen zu übernehmen. Ich schlage vor, daß wie bisher das Wahlrecht in dem Statut der Kasse geregelt werden soll. Politische Rücksichten brauchen wir in den Knapp⸗ schaftekassen nicht zu nehmen, wo es sich lediglich um wirtschaftliche Dinge handelt. Es wird sehr ernst zu prüfen sein, ob es uns möglich ist, in das Gesetz die geheime Wahl hineinzuschreiben. Jedenfalls müßten wir vorschlagen, daß der Vorsitzende im Vorstand ein Arbeitgeber sein muß, und daß bei Stimmengleichheit der Vorsitzende den Ausschlag gibt. Was haben denn, die Arbeitgeber von ihren Beiträgen? Sie zahlen diese Beiträge doch lediglich zu Gunsten ihrer Arbeiter und haben gar keine Rechte davon. Als leistungsfähigs haben sich bisher alle. Vereine gezeigt bis auf einen einzigen. s soll ein Reservefonds in den Kassen aufgesammelt werden, man hätte aber doch bestimmte Beträge fesisetzen sollen, damit nicht riesige Beträge angesammelt werden, und die Arbeiter dafür riesige Beiträge zablen müssen. Die Schiedsgerichte, die hier vorgeschlagen werden, haben sich bisher im allgemeinen gut bewährt, aber sie müssen auch mit praktisch erfahrenen Männern und nicht mit jungen Beamten besetzt werden, worüber zwar nicht in Westfalen, aber in anderen Landesteilen geklagt worden ist. Von katholischen Arbeitern in Saarbrücken ist ein grohe Wunschzettel für Abänderungen des Gesetzes aufgestellt worden, aber je er Versicherungsbeamte könnte, den Leuten nachweisen, daß ihre Vorschläge undurchführbar sind. Die nationalliberale Partei wird an der Vorlage gern mitarbeiten, denn sie hält die Grundlagen des Gesetzes ür gut, ( t ,,, von Velsen widerspricht einer Aeußerung des Vorredners, daß eine staatliche Tnappschaftskasse aufgelöst worden sei; es seien ö. dem ö, , Falle lediglich die Pensionen auf den Staat übernommen worden. ö

Abg. Dr. Wagner (fr. kons.): Die Knappschaftskassen sind für viele neue Veisicherungszweige vorbildlich gewesen, aber der Lehrer muß jetzt von seinem Schüler belehrt werden, daß die Knappschaftsversicherung mit der Hteichsversicherung nicht mehr überelnstimmt. In der Kom⸗ mission wird man erwägen müssen, ob nicht ein Normalstatut für alle Knappschaftskassen aufgestellt werden soll, damit . um jeder Kleinigkeit willen eine Gesetzesänderung einzutreten hat. i rüße es besonde s, daß der Entwurf die Krankenkassen und die Penstons- kassen vollftändig von einander trennt. Auch kleinere Krankenkassen

w 4