1906 / 21 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 24 Jan 1906 18:00:01 GMT) scan diff

derselbe wird so überlastet, daß das Publikum in der Tat die ihm zugedachte Speise nicht aufnehmen kann. Deshalb ist die Reichs⸗ finanzreform, auf die ich übrigens nicht weiter eingehen will, von so außerordentlicher Bedeutung, weil sie uns hoffentlich der Notwendigkeit

überheben wird, alljährlich den Markt in Anspruch zu nehmen, und

damit wird eine Erleichterung für den Markt geschaffen und damit ein besserer Kursstand. Der Hauptgrund ist aber der, daß es uns in Deutschland und Preußen im Gegensatz zu den anderen großen Kulturstaaten an ständigen festen Abnehmern für unsere Reichs und Staatspapiere fehlt. Es ist ja bekannt, wie in England, Frankreich und Nordamerika viel besser für die Staatspapiere gesorgt ist, als es bei uns der Fall ist. In England und Frankreich müssen die ganzen Einlagen der Sparkassen in Staatsschuldverschreibungen angelegt werden, ein Prinzip, das mir zu weit ju gehen scheint. Denn wenn ein so hoher Teil der Sparkasseneinlagen in Staatspapieren investiert wird, so involviert das im Kriegs falle ein sehr hohes Risiko für die davon betroffenen Staaten. Wir haben ganz den gegenteiligen Weg eingeschlagen, wir haben noch keinerlei Vorschriften getroffen, daß auch nur ein bestimmter Prozent- satz der Ueberschüsse in Titres des preußischen Staates angelegt werden sollte. In Nordamerika können die etwa 500 Nationalbanken ihrer⸗ seits Noten nur ausgeben, wenn sie einen entsprechenden Betrag von Staatsobligationen hinterlegen, und so wird der hohe Kursstand der amerikanischen Fends herbeigeführt. Bei uns in Deutschland fehlt es in dieser Beziehung an jeder Organisation und ich habe mir erlaubt, das hohe Haus darauf hinzuweisen, wie ganz anders bei uns die großen Privatorganisationen ver⸗ fahren als in England. Während belspielsweise in England die großen Banken nicht weniger als drei Milliarden in englischen Staats papieren angelegt haben, haben 12 große Berliner Banken nur 30 bis 40 Millionen in Staatspapieren angelegt. Während die englischen Sparkassen 45 Milliarden in englischen Titres besitzen, sind bei unseren Sparkassen 1 Milliarde in Papieren des Deutschen Reiches und des preußischen Staats angelegt, und 380 der größten Lebensver⸗ sicherungen, die unter dem Schutze des Staats auf Grund einer be⸗ sonderen Verleihung ihre Geschäfte mit großem Nutzen im In⸗ lande betreiben, haben bei einer Prämienreservv von über 2 Milliarden nur 29 Millionen in Reichs⸗ und Staatsanleihe angelegt. Meine Herren, addieren Sie diese verschiedenen Posten auf der einen und auf der anderen Seite zusammen, so ergibt sich, daß in England von der englischen Staatsschuld in Höhe von 16 Milliarden Mark nicht weniger als 11 Milliarden sich in festen Händen befinden und nur 5 Milliarden flottant in den Händen des Privatpublikums. Bei uns in Deutschland ist es gerade umgekehrt. Das Reich und die einzelnen Bundesstaaten haben etwa den gleichen Schuldenbestand; davon sind 2 Milliarden in festen Händen und 13 Milliarden flottant in den Händen des Privat publikums. Also, meine Herren, auf der einen Seite in England 11 Milliarden fest angelegt und bei uns nur 2 Milliarden; auf der anderen Seite in England 5. Milliarden flottant und bei uns 13 Milliarden. Und was die Sparkassen betrifft, so haben die englischen Sparkassen 47 Milliarden angelegt in Staatsschuldverschreibungen, bei uns nur eine Milliarde. Meine Herren, ich halte es für eine, ich möchte sagen, selbstoerständliche Pflicht derjenigen unteren Organisationen des Staatg⸗ lebens, die unter dem Schutz des Staats und zum Tell auf Grund besonderer Verleihung sich entwickeln, und zwar sich günstig entwickeln, ihrerseits zur Stärkung des Staats beitragen, dem sie diesen Schutz verdanken, und deswegen war es auch ein richtiger und meines Er— achtens notwendiger Gedanke, daß in dem Gesetzentwurf über die Privatversicherungen seitens der verbündeten Regierungen vorgeschlagen wurde, daß die ausländischen Unternehmungen die Hälfte ihrer Prämien⸗ reserven in Schuldverschreibungen des Deutschen Reichs und des preußischen Staats anlegen sollten. Bedauerlicherweise hat der Reichstag diese Bestimmung gestrichen, und man wird infolgedessen bei späterer geeigneter Gelegenheit auf diese Frage zurückkommen mũssen.

Meine Herren, was ist nun die Folge des Umstandes, daß sich der größte Teil der Schuldverschreibungen nicht in festen Händen be⸗ findet, sondern jederzeit wieder auf den Markt geworfen werden kann? Einmal ein ganz außerordentlicher Verlust für das Publikum, das, wie ich erwähnt habe, in einer ganz kurzen Periode einen Verlust von nicht weniger als 13 an Staatspapieren erlitten hat. Ich halte es geradezu für eine Ehrenpflicht des preußischen Staats, nicht mit verschränkten Armen zuzusehen, wie sich eine derartige Entwicklung vollzieht. Wenn sich das Publikum und gerade darunter sind sehr viele minder bemittelte Kreise, die Witwen, der kleine Beamte, der seine Gelder sicher anlegen will im Vertrauen auf die Kreditwürdigkeit des Staates ihm seine Gelder anvertraut, so hat auch der Staat die Pflicht, soweit es in seinen Kräften steht dafür zu sorgen, daß das Publikum in seinen Papieren nicht so Schaden leidet wie das bisher vorgekommen ist. Die weitere Folge dieser Sorge des Publikums ist, daß das Publikum sich in steigendem Maße davon entwöhnt hat, Staatspapiere anzukaufen. Infolgedessen haben die Staatsanleihen immer unter größeren Schwierigkeiten und mit immer geringeren finanziellen Erfolgen untergebracht werden können. Meine Herren, diese Entwöhnung des Publikums vom An— kauf von Staatspapieren halte ich schon in Friedenszeiten für eine sehr eraste und bedauerliche Erscheinung, und wenn man in die Zu—

kunft schauen will, muß man doch damit rechnen, daß in Jahren oder

Jahrzehnten oder noch langeren Perioden auch einmal wieder ernste Zeiten kommen, die Gott uns nicht bescheren wolle, aber es muß doch immerhin damit gerechnet werden; dann würde es in ernsten Zeiten außer⸗ ordentlich bedauerlich sein, wenn das Publikum sich vollkommen von dem Ankauf von Papieren eniwöhnt hat, wenn unsere Anleihen in der Weise vernachlässigt werden, wie das kisher der Fall ist. Des wegen müssen wir den Weg, den andere Staaten betreten haben, auch unsererseitz, wenn auch in bescheldenerem Umfange, einschlagen, nämlich feste ständige Abnehmer für unsere Staatspapiere schaffen, wie Eng⸗ land, Frankreich, Amerika vorangegangen sind. Für die preußische Gesetz⸗ gebung bietet sich die Möglichkeit, die Sparkassen zur Anlezung ihrer Bestände in solchen Staatepapieren anzuhalten. Wir haben, wie ge⸗ sagt, einen sehr schonenden Weg vorgeschlagen, wir haben nicht etwa den Gedanken verfolgt, daß die Sparkassen ihre bisherigen Bestände irgendwie zu ändern brauchten, sondern wir schlagen nur vor, daß sie von den lünftigen Neueinlagen einen bescheldenen Teil, nämlich 2/6, in Inhaberpapieren anlegen und davon die Hälfte, also 1, in Staats- papieren. Wenn dem entgegengehalten worden ist, daß sich daraus eine erhebliche Schädigung der Sparkassen ergeben würde, so teilen

wir nech eingehender Prüfung der Veihältnisse diese Befürchtung nicht. Denn es bleiben den Sparkassen die Reingewinne aus den bis⸗ herigen Anlagen vollkommen intakt, sie werden in keiner Weise ge⸗ nötigt, ihre bisherigen Anlagen zu ändern. Es bleibt ihnen ferner die Möglichleit, , ihres Zuwachses so anzulegen, wie sie es für richtig erachten, und nur * soll in Inhaberpapieren und 13 in Staatspapieren angelegt werden. Die Notwendigkeit, etwa den Zins⸗ satz herabzusetzen, wie uns das als Schreckgespenst an die Wand ge⸗ malt worden ist, wird unserer Ansicht nach nicht eintreten, das einzige, was eintreten wird, ist, daß die Ueberschüsse etwas langsamer steigen werden, als das bisher der Fall war. Ich muß nochmals betonen, daß die elementarste Pflicht der Sparkassen darin besteht, sich jederzeit liquide zu halten, und gegenüber dieser elementaren Pflicht die Rücksicht auf Erzielung des Gewinns nur als eine sekundäre Rücksicht betrachtet werden darf. Wir rechnen auch in dieser Be⸗ ziehung nicht mit unbekannten Größen, sondern, wie ich schon vorher erwähnte, hat ein großer Teil der Sparkassen unseres Vater⸗ landes schon jetzt Inhaberpapiere in dem erforderlichen Maße an⸗ gelegt, beispielsweise sind in der Provinz Brandenburg im Duichschnitt 40 0, in Inhaberpapieren angelegt, in der Provinz Schlesien 370 / 0, also in durchaus zureichendem Prozentsatz. Trotzdem hat sich nirgends die Notwendigkeit ergeben, den Zinssatz herabjzusetzen. So gut wie Brandenburg und Schlesien das können, können es, glaube ich, auch andere Landesteile, die bisher in dieser Beziehung zurück- geblieben sind.

Dann, meine Herren, darf ich noch hinzufügen wie ich schon vorher erwähnte —, daß wir nur den Antrag gestellt haben, / der neuen Einlagen in Staatspapleren anzulegen, daß also die Möglichkeit bleibt, ein weiteres Fünftel in sonstigen sicheren Inhaber⸗ papieren anzulegen, und da kommen namentlich die In⸗ haberpapiere der Landschaften und Gemeinden in Betracht. Ich denke doch, meine Herren, wir haben alle ein großes Interesse daran, den Kursstand auch der landschaftlichen Papiere zu heben, denn deren günstige Gestaltung kommt ja auch der Landwirtschaft selber zugute und ihr zu dienen, meine ich, sollten wir alle doch be⸗ müht sein. Ebenso aber liegt ein wichtiges öffentliches Interesse vor, den Kursstand auch der Gemeindepapiere zu heben. Namentlich die kleineren Gemeinden befinden sich vielfach, wenn sie Anleihen auf nehmen wollen, in einer schwierigen Lage, weil ein größerer Markt für ihre Papiere nicht besteht, und Sie würden deshalb auch den Ge⸗ meinden durch die Annahme der Vorlage einen großen Dienst er weisen. Ich kann mich also kurz dahin rekapitulieren, daß allein durch die Liquiditätsrücksichten, welche die Sparkassen zu nehmen haben, durch die Notwendigkeit, in omnem eventum den Ansprüchen der Einleger zu genügen, um die Mittel zur Rückzahlung der Einlagen zu haben, daß also schon dadurch die Vorlage gerecht⸗ fertigt ist, ja, daß die Vorlage durch diese Räücksichten geradezu be⸗ dingt wird. Die Vorlage wird außerdem dazu dienen, den großen öffentlichen Organisationen, dem Staat, den Landschaften, den Ge⸗ meinden einen wesentllchen Dienst zu leisten, und ich glaube, aus allen diesen Gesichtspunkten heraus empfiehlt sich die Vorlage von selbst ich bitte um ihre Annahme. (Bravo)

Herr von Mendelssohn-⸗Bartholdy: Ich bin mit den Motiven dieses Gesetzes im großen und ganzen einverstanden. Die Hypothekenanlagen erkenne ic selbstverständlich als sicher und gut an, Uquid aber sind sie nicht. Die Sparkassenanlagen müssen daher in pupillarisch sicheren Papleren erfolgen, in ersten Wechfeln und in kurz⸗ fristigen Darlehen.. Sehr verständig ist die Anlegung der Sparkassen⸗ gelder in Staats vapieren, und da begrüße ich die Beschrankung, die sich der Finanzminister auferlegt hat, indem er nur iz der Ueberschüsse auf diese Weise angelegt wissen will. Das sichere Funktionieren

en ist unbedingt erforderlich, und deshalb hoffe ich,

unserer rr nf j daß die Kommission zu einem zustimmenden Votum gelangen wird. Ich begrüße

Präsident des Reichsbankdirektoriums Dr. Koch: die Vorlage als einen glücklichen Schritt in der wichtigen Frage der Anlegung der Sparkassengelder. Der Eingriff in die Autonomie der Sparkassen ist ein so minimaler, daß er kaum nennenewert erscheint. Fraglich ist nur, ob der vorgesehene Betrag von z der Ueberschüsse zur Anlegung in Staate papieren genügend ist.

Oberburgermeister St ruckmann⸗ Hildesheim: Ez ist schwierig, nach zwei so bedeutenden Finanzmännern in dieser Frage eine gegen⸗ teilige Ansicht zu äußern. Jeder Eingriff in die Verwaltung der Sparkassen sollte vermieden werden, da die Sparkassen aus eigener Macht emporgeblüht sind. Man vertraue doch auch etwas auf den Verstand der Sparkassenleiter, daß sir in bezug auf die Anlegung der Ueberschüsse das Richtige treffen. Das Geld gehört doch nicht den Sparkassen, sondern den Sparern, und denen kann man es doch nicht vorschreiben, wie sie ihr Geld anlegen sollen. Wenn andere Länder wie England, einen derartigen Eingriff in das Sparkassenwesen sich erlauben, so braucht das fuͤr uns noch nicht nachahmenswert zu sein. Daju kommt, daß im Falle eines Krieges gerade die Staatspapiere, deren Kredit durch diese Maßnahmen gestärkt werden soll, zuerst erschüttert sind. Hier . ch der Staat aus egoistischen Gründen in Dinge ein, wo er lieber wegbliebe. Ich bitte die Kommission, wenigstens diesen Teil des Gesetzes zu streichen.

Oberbürgermeister Dr. Wilm s⸗Posen: Auch ich kann mich für den Gesetzentwurf nicht erwärmen, da ich eine besondere gesetz— liche Regelung dieser Materse nicht für notwendig erachte, zumal die bisherigen Bestimmungen vollauf genügen. Die Anlegung von i der Ueberschüsse in Staatspapieren ist für städtische Kassen zur Erhaltung der . nicht genügend, während sie für die ländlichen Kassen zu reichlich ist.

Herr Dr. von Burgsdorff: Der Staat hat nicht nur die Aufgabe, für die Liquidität der Sparkassen zu sorgen, er muß insbesondere auf die Sicherheit bedacht sein und die kleinen Kapitalisten von 3000 bis 100090 ½ davor bewahren, daß ihre Gelder in Industriepapieren, wie den Treberaktien 2c, angelegt werden. Die Kurssteigerung der Staats⸗ papiere wird nicht ausbleiben, wenn ein größerer Teil der Staats papiere von den Sparkassen in Anspruch genommen wird. Die Kom⸗ mission wird schon den richtigen Weg finden.

Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Wenige Bemerkungen auf die Ausführungen einzelner Herren Vorredner. Der Herr Oberbürgermeister Körte warf uns vor, daß die Gesetzesvorlage einen Eingriff in die Selbstverwal⸗ tung enthielte, sagte aber in demselben Atemzuge, wir könnten das, was die Vorlage wolle, ja bereits im Aufsichtswege auf Grund des Sparkassenreglements von 1838 erreichen. Ja, meine Herren, da halte ich unseren Weg für den viel loyaleren und viel weniger einen Ein⸗ griff in die Selbstverwaltung darstellenden, als wenn wir auf Grund unseres Aufsichts rechts die Gemeinden und die Sparkassen zu dem zwängen / wozu wir hier eine gesetzliche Grundlage erbitten. Ich will auf die Frage gar nicht eingehen, ob das Reglement von 1838 Gesetzes⸗ kraft hat oder nicht. Aber zweifelhaft ist die Frage, und ich glaube, man könnte uns viel eber den Vorwurf eines unberechtigten Eingriffs machen, wenn wir, obwohl das Reglement von 1838 Gesetzeskraft hat, einfach im Aufsichtzwege uns eine Befugnis zumessen wollten, die uns das Reglement von 1838 nicht gibt, nämlich das Recht, den

Sparkassen ganz bestimmt vorzuschreiben, wie sie lhre neberschij anlegen sollen. Dazu gibt uns das Reglement von 1838 keine ha habe, und es ist fraglich, ob wir auf Grund dieses Reglementz de können. Ich erkläre das auedrücklich für zweifelhaft. Ich sage, lovale Weg scheint mir doch zu sein, daß wir Ihnen eine Dai unterbreiten und auf Grund dieser Vorlage uns die Gru iind geben lassen. n

Dann, meine Herren, hat Herr Oberbürgermelster Stnt mann gesagt, es seien doch bieher keine Schwierigkeiten hemwor getreten, die Kriege von 1866 und 1870 seien glücklich verlauf Jawohl, meine Herren, weil wir eben sehr gläcklicke, sehr lu Kriege hatten! Aber haben wir denn einen Anspruch, ich michl sagen, selbst nur ein Recht darauf, zu hoffen, daß uns immer s glückliche Zeiten beschieden sein werden! Erst den Brunnen zur, decken, wenn das Kind drin liegt, ist doch die schlechteste Polit die es gibt. Und dann hat Herr Oberbürgermeister Struck nam noch einige ganz ängstliche Perspektiven uns rorgemol. Er hat gesagt, wenn wir jetzt die Sparkassen zwingen, einen Tel ihrer Bestände in Staatspapieren anzulegen, würde man demnach dazu übergehen, den Privaten zu zwingen, einen Teil seinez Vermögen in Staatspapieren anzulegen. Meine Herren, diesen Befürchtun n brauche ich doch nicht ausdrücklich entgegenzutreten. Ich glaube, de doch ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen öffentlicher Sparlass die das Recht mündelsicherer Anlage hat, und einem beliebigen Privaten. Was man öffentlichen Institutionen gegenüber forden kann und unter Umständen fordern muß, dazu hat man einem Pribaten gegenüber durchaus nicht das Recht.

Ich glaube ferner, daß die Auffassung des Herrn Oberbirze, meisters Struckmann unzutreffend ist, daß durch die gesteigerte Nach frage nach Staatspapieren die Kurse der landschaftlichen und Gemeinde papiere fallen würden. Meine Herren, gerade das Gegenteil wird ein, treten. (Sehr richtig) An sich wird eine Steigerung des Kurseß de Staatspapiere auch eine Steigerung des Kurses der landschafilich und Gemeinde papiere nach sich ziehen. (Sehr richtig! Aber abgeschen hiervon: da nur die Hälfte der Zweifünftel in Staatepapleren an gelegt werden muß, bleibt noch ein volles Fünftel zum Ankauf von Landschafts. und Kommunalpapieren übrig. Also ich glaube, auch diese Befürchtung ist nicht gerechtfertigt.

Herr Oberbürgermeister Wilms regte in der Tat ein paar scht wichtige Punkte an, z. B. wie die Papiere im Kriegsfalle behandelt werden sollen. Ich glaube, die Kommission ist der Ort, wo ich af diese Frage genau Autkunft geben kann und Auskunft geben werke Er erwähnte ferner, daß es ein wichtiges Mittel seia würde, Mn Umsatzstempel, den Kaufstempel für die Staa spapiere zu beseiign oder wenigstens herabzusetzen. Ich bin immer in diesem Sinn tätig gewesen. Die Aufhebung des Kaufstempels war bisher zwa nicht ganz zu erreichen, aber nach einer Vorlage, die jetzt den Bundesrat unterbreitet worden ist, soll der Stempel von 16 auf ) herabgesetzt werden. Ich glaube, daß auch diese dazu beitragen win, den Kurs der Staatspapiere zu steigern.

Wenn sodann Herr Oberbürgermeister Körte auf ein Wort da Herrn von Miquel, das mir nicht bekannt ist, hingewiesen hat, d die Sparkasse nicht in Finanzgeschäfte hineingezogen werden soll s

entspricht dies ganz meiner Meinung. Ich habe hervorgehoben, dh

manches zurücktreten müsse hinter der Rücksicht auf die Liquidltät, in

daß diese Rücksicht es absolut notwendig macht, einen erheblicher Prozentsatz des Vermögens in Inhaberpapieren und dabei wieder i

Staatspapieren anzulegen.

Herr von Zitzewitz-Zezenow: Das große Vertrauen unserer Sparkassen beruht darauf, daß sie jedem kleinen Span es ermöglichen, die Ersparnisse anzulegen, und anderseits ver pflichtet sind, jede Kündigung zu beachten und das Geld zurückzujablen. gie Vorteile werden durch die Vorlage gestärkt, und deshalb stimme ich ihr zu.

Herr Dr. Wach ler: Das Prinzip des Gesetzentwurfs st durchaus als gut zu bezeichnen, wenn auch einige Abänderungen not— wendig sein werden. Wenn die Regierung Furch diese Vorlage mm die Erhaltung der Liquidität anstrebt, so genügte es, zu bestimmen, daß die Ueberschüsse in sicheren Papieren anzulegen seien. Ducch gesetzliche Vorschriften sollte aber nicht in die Selbstverwaltung ein— gegriffen werden.

Damit schließt die Generaldebatte.

Auf Antrag des Grafen von Schlieffen wird die Vor— lage an eine Kommission von 15 Mitgliedern verwiesen.

Es folgt die Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Aenderung der Amtsgerichtsbezirke Bernau und Ebers walde.

Nach einem Referat des Kommissionsberichterstatters Herm Dr. von Burgsdorff empfiehlt

Graf von der Schulenburg⸗Trampe die Vorlage m Annahme, indem er auf die örtlichen Bedürfnisse der Gegend un n g und Eberswalde nach Aenderung der Amtsgerschtebeju inweist.

Darauf wird die Vorlage unverändert angenommen.

Daran schließt sich die Beratung des Gesetzentwurfs, be treffend Aenderung der Amtsgerichtsbezirke Labischin, Schubin und Znin.

Dr. Graf Jorckvo8n Wartenburg empfiehlt namens de Kommission die unveränderte Annahme der Vorlage.

Das Haus beschließt ohne Debatte dementsprechend.

Damit ist die Tagesordnung erledigt.

Schluß Si. Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uht. Kotterievertrag mit Hessen und den thüringischen Staaten Vorbereitung zum Verwaltungsdienst und kleinere Vorlagen.

Haus der Abgeordneten.

12. Sitzung vom 23. Januar 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sitzung, auf deren Tagesordnung di zweite Beratung des Entwurfs des Staatshaushalts— etats für das Rechnungsjahr 1966 steht, ist in de gestrigen Nummer d. Bl, berichtet worden. ö.

Bei den Ausgaben des Etats der landwirtschaftlicher Verwaltung, und zwar bei dem Tilel „Gehalt des Ministers“, befürwortet

Abg. Br. Heisig (Zentr.) eine Abänderung der Bestimmunge⸗ über den Fettgehalt der Milch, da die landwirtschaflliche Bedell nach den jetzigen Bestimmungen leicht Gefahr laufe, daß die Mil beschlagnahmt werde. Ueber den Verkehr mit Nahrungs. und Gant. mitteln beständen ganz verschiedene Polijeiverordnungen, einige ging über den Rahmen des auf ihn bezüglichen Ministerialerlasses hin., Der Redner wünscht besonders die Berücksichtigung der Verhãltuf in Oberschlesien.

Minister für Landwirtschaft ꝛc. von Podbielski:

Meine Herren! Die Frage, die der Herr Vorredner soeben ge⸗ streift hat ist von hoher Bedeutung für die Landwirtschaft und für tie fläͤdtische Bevölkerung. Sie wissen, daß die Milch als Nahrunge= mittel dem Ressort des Kultusministers angehört (Heiterkeit), daß aber auch dle landwirtschaftliche Verwaltung ein wesentliches Interesse an der Ausgestaltung der einzelnen Bestimmungen über den Milch handel hat. Zur Regelung dieser Frage sind die verschiedensten und zum Teil sich widerstreitenden Polizeiverordnungen erlassen worden, dies hat seinen Grund darin, daß man sich über die ein schneidende Bedeutung dieser Frage für den Produzenten und für den Konsumenten nicht klar geworden ist. Selbst in der betreffenden Polijel verordnung für Berlin, an der ich mitgewirkt babe, sind Be⸗ stimmungen, die sich in der Praxis nicht bewährt haben, ent⸗ halten. Neuerdings bin ich nun mit dem Herrn Kultus minster in Fühlung getreten, und in einer Vereinbarung sind die Grundpriniplen über den Verkehr mit Milch festgelegt worden; diese Grundprinzipien sind j'tzt den Herren Oberxräsidenten jur Begutachtung zugesandt worden, und auf Grund dieser allgemeinen Grundprinzipien werden nachher den lokalen bejw. propinziellen Ver⸗ hältnissen angepaßte Polizeiverordnungen erlassen werden. Dies ist notwendig. Denn, wie der Herr Vorredner bereits ausgeführt hät, sind die Verhältnisse J. B. in Oberschlesien zweifellos andere als in Berlin, wohin Milch aus dem zanzen Vaterlande zusammenströmt.

Unter Milch schlechthin wird man in Zukunft nur das tierische Produkt verstehen müssen, dem weder etwas zugesetzt, nech etwas fort- genommen ist; Milch also, die so zum Verkaufe kommt, wie sie gemolken wird, d. h. das unveränderte Produkt ohne Rücksicht auf den Fettgehalt. Unter Vollmilch aber soll man nur eine Milch perstehen, die einen Fettgebalt von mindestens 2,70 /, garantiert durch den Verkäufer, hat. Durch diese Unterscheidung wird eine Menge der bisher so häufigen polizeilichen und gerichtlichen Beanstandungen beim Milchhandel fortgeräumt, und jeder, der Voll milch kauft, hat die Sicherheit, daß der Verkäufer ihm Milch mit 2,70 / Fettgehalt liefert. Außerdem würde nur noch die sogenannte Magermilch, deren Fettgehalt nicht polizeilich festgelegt werden braucht, im Handelk⸗ verkehr zugelassen sein.

Die Herren werden sich des großen Krieges in den Zeitungen über das Pasteurisieren der Milch erinnern. Auch darüber soll künftig vom Verkäufer eine, Erklärung gefordert werden, ob die Milch pasteurisiert ist oder nicht. Naturgemäß müssen wir für dle sogenannte Vorzugsmilch, d. h. Kindermilch, Milch für Kuren u. dgl., viel schärfere Bestimmungen als bisher erlassen; namentlich müssen die Kontrollen in den Ställen viel intensiver gestaltet werden als bisher. (Sehr richtig!)

Der Herr Vorredner hat bereits darauf hingewiesen, daß bei längerem Transport in größeren Gefäßen eine Aufrahmung der Milch stattfindet; und man deshalb aus demselben Gefäß sehr verschiedene Milch erhalten kann. Das ist richtig, und es sind daher auch Vor⸗ schriften über das Anbringen geeigneter Mischvorrichtungen an größeren Transport bezw. Verkaufsgefäßen ins Auge gefaßt. :

Der Herr Vorredner wird aus diesen Mitteilungen ersehen, daß das Kultusministerium wie die landwirtschaftliche Verwaltung bestrebt sind, Grundlagen für einen gesunden Verkehr mit Milch zu schaffen.

Bezüglich der Fragen des Herrn Abg. Wallenborn habe ich bereits in der Budgetkommission darauf hingewiesen, daß auch ich Bedenken habe, ob die Statistik über die Verschuldung des Grundbesitzes überall das richtige trifft, oder ob nicht Fehler untergelaufen sind. Meine Herren, bedenken Sie aber, daß dies der erste große Versuch ist, Klarheit in die verwickelte Materie zu bringen. Ich wäre den Herren Abgeordneten sehr dankbar, wenn sie an der Hand dieses zwei⸗ bändigen Materials zwei weitere Bände werden noch nachfolgen die landwirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Kreisen, bis auf die die Statistik durchgerechnet ist, nachprüfen und dann vielleicht im nächsten Jahre in einer eingehenden Diskussion hier besprechen möchten. Ich habe in der Budgelkommission neulich auch gesagt, daß dieses Material in der kurzen Zeit unmöglich durchzusehen ist. Selbst die gegnerische Presse wird eine große Summe von Materlal finden, das Licht in diese Materie bringt. Ich möchte also ebenso wie der Herr Abg. Wallenborn bitten, mit Vorsicht das Material zu benutzen und Hand anzulegen, daß wir Verhältnisse bekommen, die allseitig befriedigen. Das ist mein Wunsch und die Absicht, die ich bei der Statistik gehabt habe. (Bravo! rechts)

Vizepräsident Dr. Porsch bemerkt, daß der letzte (in der gestrigen Nummer d. Bl. mitgeteilte) Vorschlag des Abg. Deser falsch verstanden worden zu sein scheine, und daber wohl eine Abstimmung zu stande gekommen sei, welche dem Wunsche der Mehrheit nicht entspreche; er möchte deshalb nochmals eine Beschluß⸗

Firn darüber herbeiführen, ob jetzt eine Debatte über die Fleischnot stattsinden solle.

Das Haus beschließt nunmehr, in diese Debatte einzu⸗ en.

tret

Berichterstatter von Arnim berichtet über die betreffenden

Kommissionsverhandlungen.

Abg. Deser (freis. Voltep.): Ich freue mich, daß durch den neuen Be⸗ schluß die Auffassung zerstört worden ist, als ob irgend eine Partei Ver⸗ anlassung hätte, einer Besprechung der Fleischnot aus dem Wege zu gehen. Wir auf der Linken unterschelden uns von der Rechten dadurch, daß wir die Befferung der PVerhältnisse in der Landwirt- schaft nicht durch Maßregein herbeizuführen wünschen, welche einen anderen Teil der Bevölkerung benachteiligen. Auch heute noch sordern wir, daß die Regierung die von ihr in der Frage be⸗ liebte Stellungnahme einer Revision unterzieht. Auch in diesem

use hat man von einem „Fleischnotrummel“ gesprochen. Nach meiner Ueberzeugung stehen wir tatsächlich noch heute nicht am Ende der Fleischnot; der kleinen Senkung der Preise im De⸗ dember ist im Jannar eine neus Steigerung gefolgt. Bas Preis— nivean des Fleisches ist durch eine Reihe von Ümständen in die Höhe getrieben worden, wozu auch die allgemeine Tendenz des Steigeng der Preise aller Nahrungsmittel gehört. Eine abnorme Wirkung auf die Fleischpreife it aber schon' durch die Furcht vor einem ent stchenden Fleischmangel möglich und im vorlgen Jahre wirklich eins= getreten. Die Statiftik, obwohl noch immer nicht genügend, gibt uns och, bereits Anhaltspunkte, für die richtiger Beurteilung, der ischeinung. Bei Schafen, Rindern, Kälbern hat sich der Preis in den letzten zehn Jahren stetlg langsam gehoben, wie die statistischen Durchschnitts ahlen ergeben, weil der Zuwachs an Schlachtpieh it dem Steigen der Bevöllecungsziffer nicht . Schritt hielt. ie Schweinepreise folgen nicht ganz diesem Gesetze; . een explostontartig in die Höhe und wieder herunter, je na 3 die Schweineproduktion gesteigert oder verringert wird. er Redner führt ein umfang'eicheß statistisches Material an) e Statiflik der Schiachthöfe beweist, daß der Fleischkonfum in eutschland höher sft, als man bisher annahm, daß der Konsum urchaus ein gesunder zu nennen ist; wir kommen auf über

74 Eg auf den Kopf der Bevöllerung, daher haben wir auch einen größeren Bedarf, als bisher immer angenommen wurde, die Produktion hat aber mit dem Konsum nicht gleichen Schrilt gehalten. Am befsen zeigt die Verhältnisse ein Ver⸗ eich des dritten Vierteljahreß von 1905. mit. dem von 1864. Der Mangel an schiachtreifen Schwelnen ist in, dieser Zeit von 1505 besonders durch eine vermehrte Schlachtun Fon Pferden ausgeglichen worden. Es läßt sich nach der Statisti nicht bestreiten. daß in diesem Vierteljahre ein empfind- licher Mangel an Flrisch vorhanden gewesen ist und sich auch noch in daß vierte Quartal fortgeseßt hat. In der Denkschrift des land. wirtschafisichen Minisleriums werden die Dinge möglichst harmlos hingeftellt; aber auch aus der Denkschrift geht hervor, daß eine be deutende Fleischteuerung herrschte. Die Fleischnot ist gerade eine Frage fuͤr den Mittesftand, und gerade dieser kann sich nicht dagegen schätzen, er muß die Feste feiern, wie fie fallen. Es ist eine falsche Berechnung, wenn man sagt, der Fleischmangel mache nur zwei Drittel Kilogramm für den Kopf der Bevölkerung aus, und ein jeder brauche seinen Fleisch⸗ bedarf nur um ganz Weniges zu beschränken; es kommt darauf an, welche Kreise der Bevölkerung dieser Mangel trifft. Im Osten sind die Schweinepreise noch mehr gestiegen als im Westen; im Westen hatten wir schon hohe Prelse, Im Osten stiegen sie aber plötzlich, ohne daß die Löhne stiegen. Die Denkschrift, macht Mit teilungen von dem Viehbestand in den einzelnen Provinzen, danach hat in allen Provinzen ein Rückgang des Viehs stattgefunden, viel⸗ leicht mit Ausnahme eines Teiles von Ostpreußen. Ist es nicht Pflicht des landwirtschaftlichen Ministeriums, solchen Zuständen vor⸗ zubeugen? Allerdings hat man 1904 Notstandstarife für Futtermittel bewilligt, aber die Viehfrage ist nicht allein eine agrarische Frage, sondern eine Frage der allgemeinen Wohlfahrt. Deshalb muß mit ganz anderen Mitteln für den Viehbestand gesorgt werden. Wer garantiert denn dafür, daß nicht einmal zwei oder drei Notstandsjahre auf einander folgen? Da muß doch für eine Verbilligung der Rohstoffe überhaupt gesorgt werden. Der Minister hat sich lediglich auf den Standpunkt der Produzenten gestellt und den Ronsumenten nicht das geringste Entgegenkommen gezeigt. Allerdings können wir die Grenzen nicht vollständig öffnen, jeder Volkswirt wird zugeben, daß die Abwehr der Seuchengefahr eine nationale Frage ist, aber wir haben doch schon eine beschränkte Einfuhr, ohne daß die Seuchen dadurch eingeschlepst worden sind. Deshalb müssen wir verlangen, daß in Notstandsjahren eine größere Einfuhr zu⸗ gelassen wird. Es sind doch Kautelen gegen die Seucheneinschleppung gegeben. Man kann doch nicht sagen, daß das zugelassene Kontingent von 7009 russischen Schweinen keine Seuchen—⸗ gefahr bringe, daß aber jedes Schwein darüber die Seuchen gefahr bringe. Gerade Rußland ist von Viehseuchen heimgesucht, und doch läßt man das Kontingent herein. Von der Zulassung der Ein⸗ fuhr aus Dänemark befürchtete der Minister eine Beeinträchtigung der Versorgung Englands mit Fleisch. Diese zarte Rücksichtnahme auf England rührt mich fehr, aber vielleicht wird sie auch einmal auf uns angewendet. Sehr nützlich für die Volksernährung wäre auch die erleichterte Ein fuhr von amertfanischen Fleischprodukten. Man sagt, das ameri- kanische Büchsenfleisch sei ungesund. Da wundert es mich aber doch sehr, daß eine deutsche Reichsverwaltung dieses ungesunde Fleisch ver⸗ wendet; das ist die Reichsmarine. Warum soll man denn nicht das Büchsenfleisch auch für die städtische Bevölkerung zulassen? Auch das Einfuhrverfahren muß vereinfacht werden, besonders muß man das Wiegen an den Zollgrenzen beseitigen. In der Denkschrift ist darauf Bezug genommen, ob man nicht eine allgemeine Zentralstation für die Viehversorgung für das ganze Reich schaffen könns. Es wird anerkannt, daß eine erhebliche Differenz zwischen Schweinepreis und Schweinefleisch⸗ preis nicht vorhanden ist, also eine Uebervorteilung des Publikums durch den Hanpel nicht stattfindet. Der Kleinhandelspreis bleibt beim Anziehen der Viehpreise zunächst stabil, bis der Kleinhändler merkt, daß er dabei nichts verdient, und dann wird das Steigen der Detaillpreise natürlich rapid. Aber es zeigt sich immer, daß die Detailpreise nicht in einem Mißgerhältnis zu den Vlehpreisen stehen können. Wesentlich für die Organisationsfrage ist, daß in den kleineren Städten Schlächter, die selbst schlachten, mit v konkurüeren, die vom Engros⸗ schlächter beziehen, ein Bewels, daß der Engrosschlächter wirt- schaftlich eine nützliche Institution ist. Die Metzger haben eine viel bessere Auswahl auf den Märkten als bei den einzelnen Landwirten, deshalb kommen z. B. nach Frankfurt a. M. zum Monatsmarkte von weit ber die Merger zum Einkauf, anstatt in ihrer Heimat direkt vom Landwirt zu kaufen. Die Viehverwertungszentrale in Ober⸗ schlesien hat versagt. Der Vorschlag, daß die Schlachthofverwaltungen bon der Viehverwertungszentrale beziehen sollen, hat sich als unausführbar erwiesen, weil die Zentralstelle versagte, obwohl einige kleinere Städte auf den Vorschlag eingehen wollten. Eine vom Oberpräsidenten des Rheinlandes veranlaßte Konferenz am 23. November in Cöln verlief völlig resultatloß. Ich ver stehe den Wunsch des Ministers, die Viehproduktion auf solche Höhe zu bringen, daß sie den inländischen Bedarf allein decken kann, aber die sprunghafte Produktion liegt nicht im Jateresse der Landwirtschaft selbst. Cin Ausgleich für die Zeiten der Fleischnot durch verstärkte Einfuhr liegt im Interesse der Landwirt⸗ schaft; denn sonst stürzen sich alle Landwirte wegen der gestiegenen Preise plötzlich auf die Viehproduktion, und dann sinken die Preise wieder stark durch das vermehrte Angebot. Hier kommen aber überhaupt nicht allein die landwirtschaftlichen Interessen in Frage, sondern das allgemeine Staatsinteresse. Wenn der Land- wirktschaftsminister eine scherzhafte Bemerkung über die Fleischnot macht, so schätzen wir sie ja nach ihrem Wert; aber draußen im Lande wirken solche Scherze . aufceizend, weil die Konsumenten sich sagen müssen, daß die Regierung ihre Interessen nicht vertritt. Ich wünschte, die Herren hätten in den Versammlungen sein können, wo über die Fleischnot gesprochen wurde, dann hätten sie viel⸗ leicht eingeseben, daß es die höchste Zeit sei, einzugreifen. Der Minister wird ja wohl wieder sagen, die Fleischnot sei in sechs Wochen behoben, aber ich meine, sie wird noch ein ganzes Jahr dauern; denn was gus den Ställen herauszuholen war, ist herausgeholt worden. Wenn die staatliche Politik die Teuerung unterstützt, so kommen wir zur Beschränkung der Kinderzahl, um die Ernährung der Familie zu erleichtern. Man freut sich aber über die Zunahme der Bevölkerung, weil man sich sagt, je größer die Kinderzahl, desto stärker das Land. Wenn die Teuerung so weiter geht, werden wir zu französischen Zuständen des Rückgangs der Kinderzahl kommen. Ich werde Sie ja nicht über— zeugt haben, aber der eine oder andere wird sich die Sache wohl nochmals überlegen. Ich hoffe auch, daß der Minister bereit sein wird, den Städten zu geben, was sie nötig haben.

Abg. Malkewitz (kons.): Ich habe vor einigen Jahren, als ich hier den Landwirtschaftöminister zum ersten Male namens meiner Freunde erfuchen konnte, die Hoffnung auegesprochen, daß der Minister auch in kritischen Zeiten nicht versagen, sondern energisch die Interessen der Landwirtschaft wahren wird. Die i notfe fe war ein solcher kritischer Moment. Wir danken dem Minister, daß er in dieser Frage nicht nur die Interessen seines Ressorts, sondern auch als Staateminister die gesamten Interessen der Volksernährung gewahrt hat. Wir können die Frage vollkommen ruhig und . erörtern. Herr Oeser hat mit uns den Vorwurf zurückgewiesen, daß die deutsche Landwirtschaft allein an der Fleischteuerung schuld sei und Fleisch⸗ wucher treibe. Der Vorwurf des Wucherg, der der deutschen Land= wirtschaft jahrelang gemacht worden ist, fällt ebenso in sich zusammen, wie der Vorwurf des Brotwuchers. Wir erkennen die ernste Be⸗ deutung der Fleischteuerung an, wir erkennen die Gefahren an, wenn die Preise über Gebähr erhöhßt werden. Darin sind wir mit dem Vorredner einig, und auch meine Freunde werden diese Argumente der Statistik beachten, und vielleicht werden wir noch einmal einig darüber mit dem Abg. Oeser. Dieser wat aber ein Mittel zur Ab- hilfe vorgeschlagen, das wit nur als gefährlich ansehen können. Auch das zugelassene Kontingent der Einfuhr hringt schon die Gefahr der Seucheneinschleppung mit sich, und jede Vergrößerung des Kontingents vermehrt diefe Gefahr. Aber das Mittel der verstärkten Einfuhr würde gar nichts nützen, wie der Minister nachgewiesen hat.

Dänemark führt sein Fleisch nach England aus, weil der dortige Markt noch günstiger ist als der unsrige. Wir könnten also von Dänemark gar nicht auf eine vermehrte Einfuhr rechnen. Als „Fleischnotrummel“ haben wir nicht die Bewegung unter der Be⸗ völkerung gegen die Fleischnot bezeichnet, ö das Drum und Dran dieser Bewegung, das über die gesunde Bahn dieser Bewegung hinausgeht. Auch städtische Körperschaften beteiligen sich leider in dieser Weise an der Bewegung, so daß man wohl von einem Fleischnotrummel“ sprechen könnte. Gewiß sind die Preise im Kleinhandel jetzt noch nicht so abgeflaut; aber an be⸗ stimmten Tatsachen sehen wir, daß die Teuerung zurückgeht, und wir in absehbarer Zeit wieder zu erträglichen Verhältnissen kommen müssen. Das beweisen die Zahlen, welche die Allgemeine Fleischer⸗ zeitung veröffentlicht. Für die Garnison Potsdam sind für das erste Halbjahr 1906 Preise gefordert für Ochsenfleisch 135 bis 139 3 pro Kilogr.,, für Schweinefleisch 157 bis 164 FJ. Darin zeigt sich, daß die in Potsdam noch bestehende Mahl⸗ und Schlachtsteuer die Preise, beeinflußt. Die Städte sollten sich die Aufhebung dieser Steuern überlegen. Gerade durch die Bewegung in der Fleischnot⸗ frage hat man zur Erhöhung der Preise angereizt. Herr Oeser ziebt den Begriff des Mittelstandes augenscheinlich sehr eng. Wir rechnen mit Fug und Recht auch die landwirtschaftliche Be⸗= völkerung dazu. Wir müssen für einen Ausgleich der gegenseitigen Interessen sergen. Wenn wir die Interessen des Mittelstandes in der Landwirtschaft fördern, so schädigen wir damit aber keineswegs die Interessen des städtischen Mittelstandes. Die Kartoffel ist das her⸗ vorragendste Futtermittel für die Schweinezucht. Weil 1904 es an Kartoffeln fehlte, konnte die Schweineproduktion nicht auf der Höhe gehalten werden, und ich wüßte nicht, daß ein hoher Kartoffelzoll die Einfuhr von Kartoffeln verhindert hätte. Es ist in dieser Frage von beiden Seiten sehr scharf geschossen worden, um so angenehmer ist es, sich hier ruhig darüber unter- balten zu können. In einer städtischen Verwaltung ich will sie nicht nennen wurde scharfer Protest gegen die Fleisch—⸗ teuerung erhoben und eine Eingabe an den Reichskanzler beschlossen. Als dann aber wegen der Teuerung die Arbeiter der städtischen Verwaltung eine Teuerungszulage verlangten, wurde ihnen gesagt, daß die Fleischteuerung reichlich durch die herabgegangenen Preise anderer Lebensmittel aufgewogen werde. Meine Freunde meinen nicht, daß der Hein Zwischenhandel beseitigt werden muß in Großstädten ist die Versorgung natürlich eine andere als in Kleinstädten ; aber es fragt sich, ob nicht die Zahl der Zwischeninstanzen so groß ge— worden ist, daß ohne Schaden die eine oder andere ausgeschaltet werden kann, damit die Produkte verbilligt werden. Wir wollen damit keineswegs das Fleischergewerbe beseitigen; diesen großen und an⸗ gesehenen Teil des Mittelstandes wollen wir vielmehr schützen, damit er keinen Nachteil in dieser Frage erleide. So schwarz, wie Herr Oeser die Folgen malt, sind sie nicht; unsere Arbeiter werden nicht die Kinderzahl einschränken, ich bin in dieser Beziehung für völlige Freiheit. Der Steigerung der Lebensmittelpreise steht auch die Steige⸗ rung der Löhne und der ganzen Lebenshaltung der Arbeiter gegenüber. In dieser Frage hat sich gezeigt, von welcher ungeheuren Bedeutung die Landwirtschaft für die Ernährung unseres ganjen Volkes ist; deshalb sollten wir uns bemühen, die Landwirtschaft in die Lage zu versetzen, daß sie allen Ansprüchen genügen kann. Wir können in dare f, unseren Ministern auch für die Zakunft volles Vertrauen entgegen- bringen. Mögen die Preise für die Lebensmittel bald wieder zurück⸗ gehen; aber die Landwirtschaft hat sich in dieser Hinsicht keinen Vor⸗ wurf zu machen.

Abg. Glatzel (nl): Wir können diese Frage jetzt mit einer gewissen Ruhe und Nächternheit beurteilen und haben dies auch bei der ersien Besprechung im Reichstage getan. Die Rechte wird ge⸗ sehen haben, daß wir die Frage mit der größten Objektivität be⸗ handeln. Die Industrie hat sich von seiten der Landwirtschaft nicht immer derselben Behandlung erfreut, das hat sich z. B. bei dem Vorschlag gezeigt, die gesamte Kohlenproduktion zu verstaat⸗ ichen. Eine gewisse Steigerung der Preise gönnen wir der Landwirtschaft durchaus, damit sie vor der ausländischen Kon— kurrenz geschützt ist; und wenn der landwirtschaftliche Mittelstand etwas höhere Viehpreise erzielt hat, so können wir das nur mit Freuden begrüßen. Wir stehen auch auf dem Standpunkt eines ausreichenden Seuchenschutzes; eine Suspension der Schutz⸗ maßregeln würde uns in der Zukunft noch zu ganz anderen Preisen führen. Andererseits aber können wir auch keinen Mißbrauch des Seuchenschutzes billigen. Die landwirtschaftliche Verwaltung ist aller⸗ dings in einer schwierigen Lage gewesen. Bezüglich der Ausschaltung des Zwischenhandels wollen wir abwarten, was die Untersuchungen darüber ergeben; ju einer völligen Ausschaltung des Zwischenhandels wird es nicht kommen können. Die Vorwürfe gegen die Schlächter muß ich zurückweisen oder etwas abschwächen. Man meint, die Schlächter hätten sich die Situation besonders zunutze gemacht, aber natürlich mußte auch der Schlächter den Preis für das einzelne Stück aufschlagen, um nicht zu Schaden zu kommen. Herr Oeser sagt, die gestiegenen Preise bewiesen, daß unsere Viehproduktion nicht ausreiche, den heimischen Bedarf zu decken. Das ist der Kernpunkt. Wir meinen, daß es wohl möglich sein müßte, unsere Landwirtschaft in diese Lage zu versetzen. Dazu wird der erhöhte Zollschutz dienen. Die Landwirtschaft hat in dieser Beziehung eine große Verantwortung. Ein sprunghaftes Steigen der Preise kann der Landwirtschaft selbst nicht angenehm sein, um so weniger, als naturgemäß auch andere Preise mit in die Höhe gehen. Es ist Aufgabe der Landwirtschaft, wie ich Herrn Oeser zugebe, bei Futternotständen durch die Tarife vorzubeugen, aber in der elt unserer Futternot herrschte auch in Rußland Futternot. ür die Sicherung unseres Bedarfes an Nahrungsmitteln sind bereits im Landesökonomiekollegium Vorschläge gemacht worden. Wir würden z. B. bereit sein, für Fütterungeversuche größere Mittel zu bewilligen; diese Versuche müssen nach einem gc an gelegten Plane stattfinden. Besonders für meine ostpreußische Heimat würde ich noch eine Ermäßigung der Futtermitteltarife wünschen. In bejug auf die Bevölkerungszunahme sehe ich nicht so schwarz wie Herr Oeser, wenn auch bereits eine Abnahme des Geburtenüberschusses zu verzeichnen ist. An der Fleischteuerung liegt der Rückgang nicht. In der ersten Lesung hat mein Freund Friedberg gesagt, man hätte vielleicht mehr Vieh über die Grenze bereinlassen können, um es sofort an der Grenze zu schlachten. Diese Bemerkung ist in der Korrespondenz des Bundes der Landwirte falsch verstanden worden, als ob Herr Friedberg eine Verringerung des Seuchenschutzes zu⸗ gestehen wollte. Das ist nicht der Fall. Wir halten unbedingt an dem Seuchenschutze föst. Aber mit solchen Vorwürfen sollten wir uns e, verschonen und lieber das Einigende und nicht das Trennende suchen.

Minister für Landwirtschaft 2ꝛc. von Podbielski:

Meine Herren! Es freut mich, daß das Haus beschlossen hat, in eine Debatte über die Fleischnot einzutreten. Es hat mich besonders angenehm berührt, daß biese Erörterung rein sachlich gewesen ist. Ich fühle mich verpflichtet, in dieser für das gesamte Volk so wichtigen Frage hier im Abgeordnetenhause Rede und Antwort zu stehen und meine Auffassung der Sachlage zum Ausdruck zu bringen.

Zunächst wurde gefragt, was hat die landwirtschaftliche Ver⸗ waltung vorsorglich getan, als Erscheinungen auftraten, die darauf hindeuteten, daß die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch schwierig werden könnte. Ich habe zunächst darauf hinzuweisen, daß von der Teuerung des Jahres 1902 ab die landwirtschaftliche Ver- waltung unausgesetzt die Vermehrung unserer Viehbestände im Auge behalten hat, und ich kann den Herrn Abg. Oeser namentlich darauf hinweisen, daß ich u. a. auch im Herbst 1903 eine Verfügung an die Landwirtschaftékammern erlassen und wiederholt darauf hingewiesen habe, wie notwendig es sei, ernstlich an die Vermehrung unseres Rindviehbestandes zu denken; daß die kleineren Landwirte sich durch die

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