1906 / 21 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 24 Jan 1906 18:00:01 GMT) scan diff

hohen Preise, die damals für Kälber gezahlt wurden, nicht verleiten lassen sollten, alle Kälber zu verkaufen; daß die Kammern davon ab⸗ raten und darauf hinwirken sollten, daß die Rindviehbestände durch Anbinden von Kälbern vervollständigt und vermehrt würden. Sie müssen scheiden zwischen der im Wirtschaftsbetrieb regelmäßig not⸗ wendigen Ergänzung und zwischen der Vermehrung unserer Rindvieh⸗ bestände; diese kann sich naturgemäß nur sehr langsam vollziehen; es gehen Jahre darüber hin, bis ein Ergebnis erzielt wird. Ich kann also für mich in Anspruch nehmen, daß ich schon vor mehreren Jahren wenigstens versuchte, für die kommenden Zeiten Vorsorge zu treffen.

Was nun das Jahr 1904 anlangt, so war es ein anormales Jahr. Schwache Ernte, tiefe Preise auch für die Schweine, und man glaubte, man müsse die Schweinehaltung möglichst be⸗ schränken, um nicht um Nachteil für die Wirtschaft weiter zu mästen. So war es fast in der ganzen Welt, und wenn der Herr Abg. Oeser sich in das Studium der amerikanischen Landwirtschaft vertieft, die wahrlich doch nirgends eingeengt ist, so wird sich ihm dort auch das⸗ selbe Bild zeigen. Selbst der Staatssekretär für die Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten von Nordamerika hat es noch nicht fertig bekommen, und trotz aller Freiheit wird er nicht fertig bekommen, daß die Schweinebestände aufhören, auf⸗ und abzugehen. Das hängt absolut

mit der momentanen Ernte zusammen, die Jahresernte ist der aus⸗

schlaggebende Moment, von ihr hängt alles ab, und alle Vorschriften, die von einer weisen Stelle aus ergehen, können dem Ausfall der Ernte gegenüber nichts helfen; finden gute Ratschläge keine Unter— stützung in einer guten Ernte, so werden sie meines Erachtens hier wie dort mehr auf Sand fallen als auf fruchtbaren Boden.

Meine Herren, dann ist ich glaube, von dem Herrn Abg. Oeser die Frage der Futtermittelzölle gestreift worden; sie ist ja von be— sonderer Bedeutung, aber es macht sich hier wieder die Erscheinung geltend, daß die städtische Bevölkerung von den ländlichen Verhält. nissen doch oft recht wenig versteht. (Sehr richtig! rechts) Die Einfuhr von Futtermitteln und damit die Zuttermittllzölle kommen bei der Mästung von Schweinen fast gar nicht in Betracht, sondern da ist tatsächlich fast nur die heimische Kartoffel entscheidend. (Sehr richtig! rechts Meine Herren, Sie können in den großen Mastställen möglicherweise andere Futtermittel verwenden, aber der kleine Mann und es ist statistisch festgestellt, daß der den Hauptanteil an der Schweinemast hat mästet sein Schwein mit seinem eigenen Produkt (Heiterkeit), mit seinen eigenen Kartoffeln oder mit den Abfällen seines Haushalts. (Sehr richtig! rechts) Weit und breit werden Sie das finden, auch vor den Toren von Frankfurt a. M., daß in erster Linie die Wirtschaftsabfälle für die Schweinemast benutzt werden. Die Futtermittelzölle sind also nicht schuld daran, daß die Schweinemast nicht stärker betrieben wird. (Sehr richtig! rechts.)

Ich komme nun, meine Herren, zu einem anderen für mich wichtigen Punkte. Der Herr Abg. Oeser hat mir vorgeworfen, ich hätte nur als preußischer Landwirtschafteéminister, nicht als preußischer Staatsminister gehandelt. Es ist neulich auch, bei der ersten Beratung des Etats, vom Herrn Abg. Dr. Friedberg, glaube ich, kurz angedeutet worden, es wäre nicht gut gewesen, daß die Staatsregierung eine solche dilgtorische Behandlung ich glaube, der Ausdruck ist richtig wiederholt dieser wichtigen Frage beliebt habe. Ich habe mich hierüber in der Budgetkommission ausgelassen und will hier kurz folgendes erwähnen.

Meine Herren, die Stellung meines Herrn Vorgängers zur Fleisch⸗ teuerung im Jahre 1899 und meine Lage im Jahre 1902 war wesentlich leichter als meine Stellung und die der Staatsregierung im Jahre 1905. Wollen Sie sich doch vor Augen halten: wir hatten einen kleinen Teil uaserer Handelsverträge ratifiziert, ein Teil war abgeschlossen, aber noch nicht ratifiziert, z. BS. der mit Oesterreich, mit einigen Ländern standen wir in Verhandlungen, mit anderen sollte noch in Verhandlungen getreten werden. Meine Herren, jede schwan⸗ kende Haltung gegenüber der Auslandseinfuhr, jede Begünstigung irgend eines Landes, mit dem wir verhandelten oder verhandeln wollten, mußte zu Reklamationen und Berufungen von anderer Seite Anlaß geben, die unsere Stellung außerordentlich erschwert hätten. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, stellen Sie sich bitte an meine Stelle, und Sie werden, wenn Sie einfach die Akten und Vorgänge objektio prüfen, sagen: es war die schwierigste Situation, die es über⸗ haupt gab; auf der einen Seite der Wunsch und die Pflicht, für die augenblicklichen Bedürfnisse unseres Volkes zu sorgen, auf der anderen die Befürchtung, in den Verhandlungen nicht irgend etwas zu tun oder zu lassen, was den Abschluß der Verträge erschweren konnte. Ständen wir nicht gerade in einer Periode der Handelsvertrags— verhandlungen und hätten wir z. B. mit Amerika schon einen Vortrag abgeschlossen, so könnte man vielleicht sagen, wir wollen irgend welche Produkte, sagen wir, um irgend ein Beispiel anzuführen, einmal Böächsenfleisch, obgleich gerade von diesem Artikel selbstverständlich keine Rede sein kann, für eine gewisse Zeit bis zur Beseitigung des Notstands hereinnehmen. Gewiß, wenn wir den Vertrag fertig haben, in ruhigen Zeiten, wenn ich so sagen darf, könnte man vielleicht an solche vorübergehenden Maßnahmen denken. Wenn man aber in schwierigen Verbandlungen steht, bei denen jede Möglichkeit eines Gewinnes ausgebeutet wird und jede nur in der Ferne sichtbare Kon—⸗ zession den Gegner zu neuen Forderungen veranlaßt, so muß man vorsichtig sein und darf keine Experimente machen. Auch der Herr Abg Oeser würde sich an meiner Stelle in einer schwierigen Lage befunden haben.

Der Herr Abgeordnete bemängelte ferner meine sogenannte Prophezeiung, daß die Not in 4 oder 5 Wochen vorüber sein werde. Ja, glauben denn die Herren, daß man in einer Schlacht einen Er⸗ folg, einen Sieg erringen kann, wenn man Pessimist ist? Wenn ich der Truppe sage: vorn sind alle totgeschlagen, ihr sollt jetzt vor und die Sache wieder gut machen! —, dann bekomme ich die Truppe schwer vorwärts; wenn ich aber der Truppe sage: Kinder, kommt, vorn ist Erfolg, ihr sollt daran teilnehmen! dann geht es ganz anders vorwärts. Sie meinen nun, meine Herren, daß ich in der Zeit, wo ich wirklich die Frage der Fleischversorgung nicht etwa leicht genommen habe, hätte vor das Land treten und sagen sollen: es wird noch Monate mit der Fleischnot dauern. Meine Herren, welcher Sturm würde sich da erhoben haben, welche Vorwürfe würden einem Landwirtschaftsminister gemacht worden sein, der so schwarz in die Zukunft sieht und nichts tun kann! Ich mußte also eine Hoffnung aussprechen, ich durfte nicht als Pessimist erscheinen. Mit vpessimisti⸗ schen Auffassungen löst man wirtschaftliche Fragen nicht, man muß

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hoffen, die Schwierigkeiten zu überwinden, man muß guten Mutes sein und tun, was man irgend kann.

Weiter, meine Herren, ist es von der höchsten Bedeutung, daß sich die deutsche Landwirtschaft immer wieder die Frage vorlegt, ob wir stark genug sind, selbständig den gesamten Fleischverbrauch unseres Vaterlandes sicher zu stellen oder nicht. Die letzte Zeit hat uns mit deutlicher Flammenschrift gezeigt: verlaßt euch nicht in dieser Be⸗ ziehung auf das Ausland (sehr richtig! rechts und im Zentrum, stellt euch fest auf die eigenen Füße! Ich frage die Herren, die empfohlen haben, ich solle aus dem Auslande Vieh kommen lassen, man solle die Vieheinfuhr aus dem Auslande überhaupt erleichtern, ich frage die Herren: als dies bei uns auch nur in den Zeitungen geschrieben wurde, was war die Antwort aus Oesterreich? Sie war: wenn ihr die Vieh⸗ und Fleischeinfuhr erleichtert, so schädigt ihr uns und wir werden mit einem Fleischausfuhrverbot antworten. (Hört. hört! rechts.) Die Herren haben das ja auch in der Presse z. B. in der Neuen Freien Pressen in Wien lesen können. Und wie stand es mit Rußland? Meine Herren, es war uns bekannt, daß im vorigen Jahre, wie es sich allerorten nach Kriegen zeigt, die Seuchen in Ruß⸗ land eine große Ausbreitung gewonnen hatten; es war uns bekannt, daß im Innern Rußlands recht schwierige Verhältnisse vorlagen, die eine geordnete Handhabung der Veterinär- und Sanitätspolizei hinderten; es war uns bekannt, daß im Königreich Polen die Cholera Verbreitung gefunden hatte und daß es nicht ausgeschlossen war, daß sie zu uns herüberkäme. Meine Herren, ich frage die Herren, die der Forderung das Wort redeten: öffne die russischen Grenzen! ich frage sie: wer wollte die Verantwortung übernehmen, daß durch einen ver— mehrten Verkehr der Menschen, der sich ja aus einer Vermehrung des Vieh⸗ und Fleischverkehrs unbedingt ergeben mußte, nicht die Cholera bei uns eingeschleppt werde. Meine Herren, die Cholera ist ja trotzdem zu uns gekommen, aber doch nur ganz sporadisch. Ich möchte den Herrn Abgeordneten fragen: wenn nun in der dicht angehäuften Bevölkerung Oberschlesiens die Cholera zum Ausbruch gekommen wäre, und es hätte sich heraus—⸗ gestellt, daß der vermehrte Viehverkehr die Veranlassung dazu ge⸗ wesen wäre, wie würde man auf mich als den Urheber des Elends gezeigt haben! Es ist ja alles gläcklich abgegangen, gewiß; ich freue mich im Interesse unseres Vaterlands und der Bevölkerung darüber; aber eine Garantie würden die Herren ebenso wenig haben über nehmen können wie ich. Ich habe mir gesagt: ich muß sehr vorsichtig auf diesem Gebiet sein und habe danach gehandelt.

Gerade die Einfuhr russischer Schweine nach Oberschlesien, die hier gestreift ist, ist sehr interessant. In den ersten drei Wechen des Ja—⸗ nuar durften aus Rußland für Oberschlesien 6800 Schweine eingeführt werden; ich habe heute zufällig die telegraphische Nachricht bekommen: daß tatsächlich nur 3449 eingeführt sind, es fehlen also 3351! (Hört! hört! rechts und im Zentrum) Wenn die deutsche Landwirt. schaft nicht selber für die nötige Viehproduktion sorgt, dann, meine Herren bedenken Sie das wohl —, kommen wir in eine Abhängig⸗ keit vom Auslande und in Zustände, die wirklich von der traurigsten Art sind. (Sehr richtig) Die Landwirtschaft hat die Pflicht, für die Fleischversorgung unserer gesamten Bevölkerung einzutreten, und ich glaube namens der deutschen Landwirtschaft versichern zu können, daß sie sich dieser Pflicht bewußt ist und ihr Bestes tun wird, um dieser Aufgabe zu genügen.

Auf der andern Seite aber, meine Herren, muß die Landwirlschaft als Korrelat dafür fordern, daß sie nach Möglichkeit geschützt wird vor den ihr so verhängnisvollen Tierkrankheiten. (Sehr richtig) Es ist mit den Tierkrankheiten ein eigen Ding. Sie werden, soweit die heutige wissenschaftliche Erkenntnis reicht, meist durch Bazillen ver⸗ ursacht und übertragen. Nun hat sich bei der Cholera gezeigt wenigstens habe ich es bei dieser Krankheit zum ersten Male aus ärzt— lichen Kreisen gehört daß einzelne Menschen, ohne selbst krank zu sein, Bazillenträger sind und daher Krankheitskeime verbreiten können. Ebenso können vielleicht auch Tiere Bazillenträger für Tierkrankheiten sein, ohne daß dies der Tierarzt bei der Untersuchung feststellen kann. Sie scheiden vielleicht auch Ansteckungsstoffe aus, auch wenn sie schon seit längerer Zeit wieder gesund geworden sind.

Möglicherweise findet dieses auch bei der Maul⸗ und Klauenseuche statt und es würde alsdann zu folgern sein, daß wir mit den jetzigen Bestimmungen über die Sperrzeiten für verseuchte Gehöfte und deren Umgebung nicht aufkommen. Ich bin neulich in einer Berliner Zeitung angegriffen worden, weil ich früher alle Seuchenausbrüche auf Einschleppung aus dem Auslande zurückgeführt, nun aber zugegeben hätte, daß Seuchenausbrüche in Prenzlau und bei Marienwerder nicht aus dem Auslande eingeschleppt worden seien. Gewiß, meine Herren, diese Fälle beruhten nicht unmittel⸗ bar auf der Berührung mit dem Auslande; sie waren eigentümlicher Art und lassen sich vielleicht durch das eben Gesagte erklären. Die Gehöfte waren vor einem halben, vor 4 Jahren verseucht gewesen; alles Vieh hatte die Seuche durchgemacht, der ganze Hof war auf das sorgfältigste desinfiziert. Nach langer Zeit wird neues Vieh eingestellt und nun bricht alsbald wieder die Seuche aus. Das deutet doch darauf hin, daß der Ansteckungsstoff sich an oder vielleicht auch in den durchseuchten Tieren viel länger hält, als man bisher angenommen hat. Es mahnt das zur Vorsicht bei der Einstellung von frischem Vieh in durchseuchte Bestände; ez beweist aber auch, mit wie gutem Rechte die deutsche Regierung dem Drängen nach Oeffnung der Grenzen und Aufhebung der Sperrmaßregeln gegenüber solchen Ländern entgegen- tritt, in denen die Seuche geherrscht hat und erst kärzlich für erloschen erklärt worden ist.

Nicht unerwähnt darf ich lassen, daß im Jahre 1904 durch das unter allen Vorsichtsmaßregeln aus Oesterreich⸗Ungarn eingeführte Schlachtvieh doch mehrfach die Maul und Klauenseuche nach Deutsch⸗ land, u. a. auch nach Frankfurt a. M. eingeschleppt ist, und daß von den 3 Seuchengehöften, die nach der letzten Nachweisung am 15. Ja⸗ nuar d. J. allein in ganz Deutschland mit Maul, und Klauenseuche behaftet waren, 2 mit aller Wahrscheinlichkeit die Seuche aus dem benachbarten Auslande erhalten haben.

Die Freunde der Grenzöffnung für Schweine muß ich darauf aufmerksam machen, daß wir der ausländischen Schweineeinfuhr die Schweineseuche zu verdanken haben. Diese hat sich in Deutschland so weit verbreitet, daß nicht nur bei den größeren Züchtern, sondern auch in weiten Kreisen der kleinen bäuerlichen Besitzer zeitweise ge⸗ wisse Bedenken bestanden haben, die Zucht fortzusetzen. Die Seuche flaut in letzter Zeit allmählich ab, sie ist nicht mehr so gefährlich, wie sie es im Anfang gewesen ist, und wir können hoffen, in absehbarer Zeit von ihr befreit zu werden. Kommt aber neuer Ansteckungestoff von dem

Auslande hinsu, so wird sie wieder akut werden und wie früher wie

die ganzen Bestände vernichten. Wir müssen daher in jeder Weise ängstlich darauf bedacht sein, jede Einschleppung von Anstecungz⸗ stoff aus dem Auslande fern ju halten. Daneben müssen wir selbstverständlich zweckmäßige Maßregeln zur Tilgung der Seuche im Inlande ergreifen, und ich kann heute sagen, daß neue Vorschriften in der Ausarbeitung begriffen sind die auf Grund örtlicher Informationen den Verhältnissen unsere Schweinezucht und Schweinehaltung möglichst Rechnung tragen werden.

Der Herr Abg. Oeser hat gemeint, daß ich von der Zulassung von dänischen Schweinen und dänischem Schweinefleisch abgesehen habe, weil ich den Engländern das Fleisch nicht habe verteuern wollen. Ich glaube, daß eine solche Begründung meiner Haltung aus der Denkschrift nicht entnommen werden kann. Ich vermag in dem be. treffenden Satze, den ich mit Erlaubnis des Herrn Praͤsidenten noch einmal verlesen möchte, mit dem besten Willen nicht das zu finden was der Herr Abg. Oeser herausgelesen hat. Ich glaube nicht, dei darin etwas über die Rücksicht auf die Erhaltung billigen Fleischeg für die Engländer steht. Der Satz lautet wörtlich: ;

Diese Ausfuhr ist eben seit Jahren nach England gerichtet und es ist in hohem Grade unwahrscheinlich, daß diese vorteilhaften Handelsbeziehungen plötzlich zu gunsten einer aller Voraussicht nach uur kurzen Einfuhr nach Deutschland abgebrochen werden sollten.

Ich kann beim besten Willen nicht finden, daß ich in diesem Satze England das Wort geredet habe; ich meine, der Versuch einer an— deren Deutung ist völlig verfehlt. Es ist mir seinerzeit aus Händler. kreisen nahe gelegt worden, ich sollte Holland und Dänemark die Möglichkeit geben, Rindvieh und Schweine einzuführen. Ich glaube, die Herren würden nicht den erwünschten Erfolg gehabt haben. Die Händler meinten, es würde einen wohltätigen Einfluß auf die Preig— bildung haben, wenn nur angedeutet würde, daß solches Vieh auf dem deutschen Markte vorhanden wäre. Ich glaube, daß dem nicht so ist. Die Bezüge, die wir aus diesen beiden Ländern hätten machen können, wären so minim gewesen, daß sie überhaupt gar nicht in Betracht ge— kommen wären.

* Ich möchte den Herrn Abg. Oeser noch auf einen anderen Punkt aufmerksam machen. Er meinte, wir hätten auch für die Zakunft eine Preissteigerung zu erwarten; das Ausland habe überall billigere Preise. Die Statistik des Jahres 1905 zeigt, daß wir trotz unserer hohen Preise noch eiwa 100000 Schafe, ausgeführt haben. Sogar noch im Monat Oktober, wo wir die höchsten Preise gehabt haben, sind noch etwa 3000 Schafe in das Ausland gebracht worden. Ich kann doch nicht annehmen, daß die Händler sie draußen billiger verkauft haben; ich sehe vielmehr in dieser Ausfuhr einen Beweis, daß die Preise für Schafe im Auslande noch höher waren als bei uns.

Was die für den Kopf der Bevölkerung verfügbare Fleischmenge betrifft, so hat sich der Herr Abg. Oeser wohl versehen. In meiner Denkschrift steht ich glaube, auf Seite 15 —, daß der Minder betrag für das III. Quartal v. J. d kg für den Kopf betragen habe.

Ich wende mich nun, meine Herren, zu dem Kapitel der Fleisch« beschau. Ich stimme mit dem Herrn Abg. Oeser darin überein, daß die Fleischbeschau etwas preisverteuernd gewirkt hat. Ich bin zwar bestrebt gewesen, den Wünschen, namentlich auch denen, die vom Westen kamen, nach Verkleinerung der Beschaubezirke und Herabsetzung der Gebühren Rechnung zu tragen. Aber es sind doch immerhin Gebühren zu bezahlen, und bei einer verschärften Kontrolle müssen auch mehr Beanstandungen erfolgen, die das allgemeine Konto der Viehhaltungen belasten. Ich habe mir eine Zusammenstellung machen lassen, die sehr interessant ist; sie ist zu einem großen Teil schon der Oeffentlichkeit durch unser statistisches Landesamt zugänglich gemacht worden. Hiernach sind von 1863 500 untersuchten, über 3 Monate alten Rindern freilich nur 17000, also nicht ganz 100 als untauglich, oo als bedingt tauglich und 198 als minderwertig befunden worden; dagegen sind einzelne Teile, inabesondere Organe, bei 30 0ͤ½ beanstandet worden. Bei den Schweinen steht es lange nicht so ungünstig wie beim Rinddieh. Wenn die Herren bedenken, daß durch die Fleischbeschau ein Drittel der ganzen Rinderschlachtungen, wenn auch meist nur in sehr geringem Grade, beanstandet wurde, so muß das naturgemäß von Einfluß auf die Preisbildung sein. Nach den vorliegenden Berechnungen läßt sich der Wert des gänzlich ver⸗ worfenen und der Minderwert des bedingt tauglichen und minderwertigen Fleisches insgesamt auf etwa 175 und 20 Millionen Mark schätzen. Gegenüber dem Werte der geschlachteten und untersuchten Tiere von etwa 1300 Millionen Mark, ist das ja nicht viel, aber immerhin muß es bis zu einem gewissen Grade preispverteuernd wirken. Man kann zweifelhaft sein, ob wir nicht vielleicht in den Bestimmungen über die Fleischbeschau in einigen Punkten zu weit gegangen sind. Ich ver⸗ weise z. B. auf die von Schlachthoftierärzten viel erörterte Frage der sogenannten einfinnigen Rinder, bei denen nur in den Kaumuskeln eine Finne gefunden wird. Wegen dieser elnen Finne muß das ganze Tier als minderwertig beanstandet werden. Erhebungen und Fest⸗ stellungen haben aber ergeben, daß eine Beanstandung dieser ein innigen Tiere nicht unbedingt notwendig ist. Man kann sie einige Wochen in ein Kühlhaus hängen, dann ist jede Gefahr der Ueber⸗ tragung der Finnen oder Bandwurmkrankheit ausgeschlossen; die Tiere brauchen also nicht als minderwertig oder bedingt tauglich aut geschaltet zu werden.

Es wird die Herren interessieren, zu hören, daß in allernächster Zeit beim Bundesrat die unbeschränkte Freigabe des bisher als minder⸗ werti; behandelten einfinnigen Fleisches nach 21tägiger Aufbewahrung im Kühlraum beantragt werden soll. Ferner wird beantragt, die Fälle der Minderwertigkeit infolge geringgradiger Tuberkulose beim Rindvieh er heblich einzuschränken. Drittens sind Erleichterungen bei der Behandlung von Tieren, bei denen sich Rückstände der Schweine pest finden, in Erwägung gezogen. Wir werden in der Debatte über die Veterinärpolizei vielleicht darauf noch zurückkommen. Ich bin der Ansicht, daß wir betreffs der Schweineseuche und der Schweinepest nicht nur bei der Fleischbeschau, also hinsichtlich der Verwertung ge⸗ schlachteter Tiere, sondern auch bei der veterinärpolijeilichen Behand⸗= lung zu etwas leichteren Bestimmungen kommen müssen. Diese sind aber recht schwierig. Wir werden vielleicht zwischen Mastbetrieben und Zuchtbetrieben unterscheiden und andere Vorschriften für diese und für jene erlassen müssen, wobel dann aber wieder die Zwischenstufen Schwierigkeiten machen, die weder reiner Mastbetrieb noch reiner Zucht. betrieb sind. Wir hoffen, durch zweckmäßige vetertnärpoltzeiliche Maßregeln wieder mehr Lust zur Zucht des Schweines zu erwecken.

(Schluß in der Dritten Beilage.)

Mn 21.

(Schluß aus der Zweiten Beilage.)

Ich hoffe, daß unsere ländliche Bevölkerung aus diesen An— deutungen entnimmt, wie die landwirtschaftliche Verwaltung unaus. gesetzt bestrebt ist, Wandel zu schaffen, wo es not tut, und vorsorglich da ju tun, was zur Sicherung und Vermehrung unserer Viehzucht dienlich ist.

Ich muß noch kurz einen Punkt berühren, der auch von ver schledenen Rednern gestreift worden ist. Es hat iweifellos der Staats⸗ regierung und dem Herrn Reichskanzler bei den bekannten Anregungen nichts ferner gelegen, als das Fleischergewerbe in seiner Tätigkeit für die Versorgung der Städte mit Fleisch lahm zu legen; ich kann das auf das bestimm teste versichern.

Man hätte der ganzen Frage der Fleischversorgung im Interesse der Bevölkerung mehr Dienste geleistet, wenn man das politische Moment, die Möglichkeit, Sturm zu laufen gegen die Handelsverträge, ausgeschaltet und allen Kreisen der Bevölkerung nahegelegt hatte, diese eminent wichtige Frage rein sachlich und ohne Voreingenommen⸗ heit ju erörtern und zu lösen. (Sehr richtig! rechts) Wenn in jeder Zeitung steht ich glaube, der Abg. Malkewitz hat dies schon hervor⸗ gehoben daß das Fleisch enorm teuer ist, was ist die Folge? Auf der einen Seite sagt der Verkäufer: wenn das Fleisch so teuer ist, muß ich auch hohe Preise für meine Schweine bekommen. (Zuruf.) Ja, Herr Abgeordneter, das ist doch ganz zweifellos. Wenn in jeder Zeitung zu lesen ist, daß Schweinemangel herrsche, sagt sich der Verkäufer draußen ganz naturgemäß: wenn ein solcher Mangel vor— handen ist, muß ich für meine seltene Waare auch bessere Preise er⸗ zielen als bisher. Und auf der anderen Seite muß die Bevölkerung in den Städten leider die ganze Differenz und noch mehr bezahlen. Denn die Fleischer, das Gewerbe und was damit zusammenhängt, hat sich sichergestellt; es hat ja, wie alle Erhebungen ergeben haben, keinen Bucher getrieben, aber es ist zu seinem Gelde gekommen. Schließ⸗ lich hat nur die konsumierende Bevölkerung die Kosten tragen müssen.

Ich meine, man hätte doch wohl die Hand zum Frieden bieten müssen. Ich glaube, meine Herren, die Versuche hierzu sind zum Teil fehlgeschlagen, weil man absichtlich Forderungen stellte, die nicht zu erfüllen waren ich meine, es wäre besser gewesen, man wäre mit dem guten Willen gekommen: wir wollen helfen, die Preise herab— mindern. Liegen die Möglichkeiten hierzu vor? Ich meine, nach einer Richtung hin kann uns die jetzige Fleischteuerung wichtige Fingerzeige geben. Ich bin der Meinung und die Herren, die aus der Praxis diese Verhältnisse kennen, werden mir das zugeben müssen: der Handel kauft in der Hauptsache nicht nach Gewicht, sondern nach Stück, und in dem Fehlen der Notierung nach Gewicht liegt die Unübersichtlichkeit der gesamten Marktlage. (Sehr richtig! rechts) Warum wider⸗ streben die Herren der Umgestaltung dieser Verhältnisse? Meine Herren, warum wollen wir nicht einen Deklarations⸗ und Schluß. notenzwang einführen, durch den jeder Verkaufsabschluß klargelegt wird? warum wollen wir ferner nicht das Gewicht der Tiere mittels öffentlicher Wage feststellen? Dann wäre Preis und Gewicht fest—⸗ gestellt, die Marktlage wäre durchsichtig und jedermann wüßte, wie er darn ist.

Sie bestreiten jetzt einen Teil meiner Ausführungen, ich bestreite einen Teil von Ihren Ausführungen; man kann nicht klar sehen, und doch hat das gesamte Volk ein vitales Interesse daran, daß die Grund⸗ lagen für die Beurteilung der Fleischversorgung für jedermann klar erkennbar sind. Meine Herren, sehen Sie sich z. B. die Preis notierungen in Berlin für den Monat Dezember an und versuchen Sle, sich daraus ein klares Bild über die Marktlage zu machen; es wird Ihnen kaum gelingen. Wir müssen nach meiner Ansicht durch Gesetz Schlußscheine und die Notierung nach Lebendgewicht eir— führen. Diese beiden Punkte müssen festgelegt werden. Ich hebe hierbei hervor, daß dieser Teil meiner Ausführungen nur meine persönliche Auffassung wiedergibt. Die Frage hat das Staatsministerium noch nicht beschäftigt; ich glaube aber, der Uieberjeugung sein zu dürfen, daß das Staatsmlnisterium diese meine Ausführungen billigen wird. Wenn die Preisbildung offen vor sich geht, so werden wir auch bei Zeiten einen Einblick gewinnen und rechtzeitig Vorbeugungtmaßregeln ergreifen können, wenn schwierige Zeiten im Anzuge sind.

Ich möchte noch eine Bemerkung machen, die ich vorhin vergessen habe. Ich empfehle den Herren, sich den gewiß nicht für die Land⸗ wirtschaft geschriebenen Bericht der Handelskammer von Berlin über das Wirtschaftejahr 1905 anzusehen. Auf der ersten Seite gleich findet sich ein Abschnitt ‚Preissteigerungen', der das Steigen sämt⸗ licher Robprodukte, Halbfabrikate und das Steigen samtlicher Löhne darlegt. Ich glaube, daz nicht alles hier vorlesen zu dürfen; aber es ist interessant, daß auch im Handel und in der Industrie dieselben Beobachtungen gemacht werden wie in der Landwirtschaft. Da Sie es wünschen, will ich doch einen Satz vorlesen:

Durchgängig trifft die Steigerung zu bei den Rohstoffen: die Er⸗ ieugnisse des Ackerbaues, der Viehzucht und der Forstwirtschaft, ein- heimische und fremde, darunter namentlich auch die wichtigen in⸗ dustriellen Rohstoffe: Wolle, Baumwolle, Flachs, Jute, Seide, Häute und Felle, Holz, Kautschuk und viele ausländische Drogen, ebenso, mit der wichtigen Ausnahme der Steinkohle, die der un⸗ organischer Natur abgewonnenen Erjeugnisse, wie Eisen und andere Metalle, Koks, Braunkohlenbriketts sie alle erhöhten im Laufe des Jahres ihren Preisstand.

Die Preissteigerung findet also nach dem Bericht der Handelke⸗ ammer Barlin auf allen Gebieten statt.

Ich freue mich, daß der Herr Abg. Oeser in vollem Verständnis

Sachlage der Landwirtschaft gegenüber sagte: „Wenn alle Pro— dukte im Preise steigen, wird das auch bei der Landwirtschaft der Fall ein müssen‘ Ich bin Überzeugt, wir müssen Hand in Hand gehen; wenn sich unsere Industrie, unser Handel auf eine wirklich leistungs⸗ sãhice, lieferungsfähige Landwirtschaft stützt, wird beiden am besten

gedient sein. (Sehr richtig! rechts) Verlassen wir uns nicht auf das

Dritte Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Mittwoch, den 24. Januar

Ausland, meine Herren; seien wir preußische, seien wir deutsche Männer, die in gemeinsamer Arbeit die Interessen des gesamten Vaterlandes und der gesamten Bevölkerung fördern wollen. (Lebhafter Beifall

rechts.)

Abg. Sittart (Zentr.: Als Vertreter Aachens habe ich die Wünsche von der Westgrenze unseres Vaterlandes zu äußern. Ich werde dabei nicht in den Verdacht kommen, ein Agrarfeind zu sein. Die geographische Lage Aachens dicht an der Grenze ist in erster Reihe an der dortigen Fleischteuerung, ja sogar der Fleischnot schuld. Ich habe stets den Grundsatz „Schutz der heimischen Produktion hochgehalten und die Parität zwischen Landwirtschaft und Industrie pertreten. Solange das Inland den Bedarf decken kann, soll die Grenze gegen das ausländische Vieh gesperrt, werden. Auch wenn für die Landwirtschaft einmal schlechte Zeiten sind, muß Las Inland die Folgen tragen, auch die Industrie. Ich habe diese Parole auch vertreten gegen eine städtische Arbeiterschaft und habe trotz dieser Parole die soꝛzialdemokratische Stimmenzahl zurückzedrängt. Wir haben im Aachener Bezirk niemals Kirchturms— politik getrleben, sondern immer erklärt, daß eine Oeffnung der Grenzen unserer Landwirtschaft großen Schaden bringen kann. Wenn aber die Regigrung den Eindruck gewinnt, daß ein beschränkter Bezirk unter einem Ausnahmezustand leidet, so darf sie nicht an Theorien sesthalten, sondern muß die Bedürfnisse dieses Bezirks berücksichtigen. Wir haben dafür ein Beispiel an Oberschlesien, für das ein bestimmtes Kontingent der Einfuhr zugelassen ist. Wir hatten daraus die Hoff⸗ nung geschöpst, daß das auch anderen Landesteilen zuteil würde. Trotzdem haben wir nach dem Wort „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott! uns selbst zu helfen gesucht. Es haben in Aachen Konferenzen mit den landwirtschaft⸗ lichen Vertretern stattgefunden, und diese zeigten Entgegenkommen. Nur eine Woche lang konnte die rheinische Landwirtschaft ihre Zu— age halten, die Stadt Aachen mit Schweinen zu versorgen. Die Ceran e Lage unseres. Bezirkes mit seinen industriereichen

rten nötigt uns, unseren Viehbedarf weither zu holen. Die Fleisch⸗

teuerung herrscht bei uns eigentlich seit Jahrzehnten. Wir haben ung bemüht, eine Verbindung zwischen den verschiedenen Interessenten. kreisen herzustellen, aber vergeblich. Von Ministern ist uns einfach gesagt worden: Ihr habt ja immer die höchsten Preise gehabt. 1903 und 1904 hatten wir schon ein Teuerungsjahr, 1905 setzte aber der Teuerung die Krone auf. Bei ung in Aachen ist die Fleischnot bisher noch nicht geringer geworden. Der Fleisch— verbrauch pro Kopf ist bei uns ganz gewaltig zurückgegangen. Der Leiter der Turnlehrerbildungsanstalt hat mir einmal gesagt, er habe in Deutschland nirgends eine so schlappe Jugend gefunden wie in Aachen. Die Stadt Aachen hat an den Minister eine Eingabe ge—⸗ macht, worin gebeten wird, unter allen möglichen Sicherheitsmaß⸗ regeln, die nur irgend zum Schutz der Landwirtschaft nötig sind, nur ein kleines Kontingent von Schweinen und Rindern aus Holland und Belgien hereinzulassen. Aber seit 4 Monaten ist auf diese Eingabe noch immer keine Antwort erfolgt. In einer g, die so sehr den Menschen ergreift und eine politische rregung verursacht, sollte etwas mehr Entgegenkommen gezeigt werden. Daß gar keine Antwort erfolgt, kann uns nicht angenehm berühren. An gutem Willen, selbst dem Uebelstande abzuhelfen, hat es bei uns nicht gefehlt. Ich erkenne dankbar an, daß der Ober= präsident Freiherr von Schorlemer in eine Prüfung der Verhältnisse eingetreten ist und Vorschläge zur Abhilfe gemacht hat. Auch der Landrat hat sich unserer Sache angenommen, aber ein Erfolg hat sich nicht ergeben. Wenn man in Schlesien eine Ausnahme von der Regel machen kann, warum sollte denn die gleiche Ausnahme bei uns unter bestimmten Bedingungen und Beschränkungen die ganze Regel Lügen strafen? Man sagt, man befürchte, daß beim Transport lebenden Viehs trotz aller Sicherheitsmaßnahmen durch die Be—⸗ leitung Seuchen eingeschleppt. werden. Theoretisch mag das . aber jetzt werden doch die einzelnen Metzger hinaus— getrieben, zu Dutzenden gehen sie nach Holland um Fleisch zu be— schaffen, und vergrößern so die Seuchengefahr. Dann die Sorge um den gesundheitlichen Zustand des Fleisches; ein Drittel des ge— schlachteten Viehes wurde beanstandet. Wie sieht es denn mit dem Fleisch aus, das in ganzen Vierteln eingeführt wird? Können wir denn da überhaupt kontrollieren, ob das Stück Vieh gesund war? Ist es nicht viel besser, daß man das Vieh lebend hereinläßt und dann gleich in den Schlachthäusern schlachtet? Wenn man Fleisch einführt und nicht das Vieh, so entzieht man auch dem Metzger eine Menge von Nebenprodukten, die er bei der Einfuhr von Vieh noch verwerten kann. Auch die Tatsache möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß bei dem jetzigen Zustande der Schmuggel blübt. Alles dies muß unsere Forderung, unier gewissen Kautelen ein bestimmtes Schweine— kontingent aus Holland und Belgien hereinzulassen, als berechtigt er— scheinen lassen. .

Abg. Dr. Voltz (al): In Oberschlesien liegen die Verhältnisse besonders eigenartig, weil die dortige Bevölkerung von 1 Million nicht von der eigenen Landwirtschaft ernährt werden kann, sondern auf den Bezug aus Rußland angewiesen ist. Es ist deshalb ein wöchentliches Kontingent von 1559 xussischen Schweinen zugelassen zur Einfuhr in die Schlachthäuser. Die veterinär— polizeiliche Ueberwachung genügt vollkommen gegen die Seuchen— einschleppung. Unter der Fleischteuerung und dem Viehmangel litt Oberschlesien am meisten, wir hatten haarsträubende Preise. Zwar fand Anfang Juli in Kattowitz eine Konferenz darüber statt, aber elne Erhöhung des Kontingents erfolge noch nicht. Erst im November gestattete der Minister die allmähliche Steigerung des Kontingents bis auf die 2500 Stück, die infolge des Handels vertrags vom 1. März ab zugelassen sind. Ohne jeden Schaden für die Landwirt⸗ schaft hätte aber dies Kontingent schon längst zugelassen werden können. Bei ung in Oberschlesien geht die Industrie mit der Landwirischaft immer Hand in Hand. Dle Industrie war immer bereit, der Land- wirtschaft zu helfen. Die ganze Stellung des Ministers in dieser Frage hätte sich verbessert, wenn er Oberschlesien geholfen hätte. Die durch die Fleischteuerung hervorgerufene Unzufriedenheit nützt nur dem Großpolentum. Bei anderem Verhalten der Regierung in dieser . wäre bei der Reichstagswahl der Pole nicht durchgekommen.

ch erhebe meine warnende Stimme, damit nicht mehr solche Febler gemacht werden. Schließlich bitte ich den Minister, auch zuzulassen, daß das Kontingent von einer Woche auf die andere verschoben werden kann, damit nicht die Schlächter, um das Kontingent auszunutzen, jeden von Rußland geforderten Preis zahlen müssen.

Abg. von Oldenburg (kons. : Ich kann in bezug auf das Büchsenfleisch nicht die Meinung des Ministers teilen. Er sagte, daß zu erwägen sei, ob das nicht dereinzulassen sei. Aber wir brauchen uns darüber gar nicht zu verständigen, denn es ist durch das Fleisch= beschaugesetz verboten. Der Minister hat es wohl bloß hyporhetisch gemeint. In den städtischen Kreisen ist Erbitterung hervorgerufen worden durch die Fleischteuerung. Diese Erbitterung hat aber ebenso

in den ländlichen Kreisen stattgefunden. Seit mehr als 12 Jahren,

zt die Landwirtschaft Kopf und Kragen bei ihrer Produktion zu; kenne keinen Landwirt, der sein Kapital mit mehr als 3 bis höchstens 35 0so verzinst bei strengster Arbeit. Die meisten haben mit 20so zu⸗ frieden sein müssen. Und was geht nun vor? In den großen Städten ist das Schweinefleisch aus nahmsweise teuer. Die kleinen Städte haben das gar nicht so mitgemacht, sondern nur um 10 bis 15. 3 höhere Schweineflelschpreise gehabt. Wenn Sie an die siebziger Jahre

19006.

zurückdenken, die letzten, wo die Landwirtschaft prosperierte, so haben wir damals für das Rohmaterial dieselben Preise bekommen wie jetzt; Rinder wurden gehandelt mit 36 bis 39 S, Schafe mit 32 bis 35 „½ανς, die Schweine allerdings haben damals nicht so hoch wie jetzt gestanden. Die ganze Schweinezucht vollzieht sich überhaupt nach dem Grundsatz; „Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt!“ Es ist keine Viehproduktion so schnell abstellbar und steigerungsfähig, wie die Schweineproduktion. Wenn wir hohe Preise haben, so liegt das daran, daß Die Kar- toffel bei uns und im Auslande hohe Preise hatte. Die Oeffnung der Grenze hätte also gar nicht zum Ziele geführt; wenn aber die Grenze wegen des Fleischnotgeschreis geöffnet worden wäre, so wäre eine berechtigte Beunruhigung bei den Landwirten ein= getreten, die sich gesagt hätten: was nützt uns nun die Zollpolitik und der ganze Schutz der Landwirtschafi? Erschreckt hat mich die auf dem Städtetage unter dem Jubel der Zuhörer gefallene Aeußerung des Herrn Cassel, daß, was Gott wachsen lasse, nicht mit Zöllen belegt werden dürfe. Eine solche Acußerung muß Er— bitterung erregen. Am Ostjseesttande hat ein Besitzer sein Land ein⸗ gezaͤunt, weil sonst die Fremden das Korn zertreten, wenn sie Kornblumen suchen. Die wollten also auch, daß alles frei sei, was Gott wachsen läßt. In früheren Zeiten beteten die Städter mit den Landwirten zusammen: Bewahre uns vor Mißwachs und Teuerung! Jetzt ist der Verkehr gekommen, er kann den Mißwachs nicht be- seitigen, wohl aber die Mißwachspreise, die früher der Landwirt bekam. Die Städter sind den laͤndlichen Verhältnissen entfremdet, ich verstehe daher, wenn die Hausfrau in der Stadt immer der Land⸗ wirtschaft die Schuld gibt, was ihr ja Tag für Tag eingeredet wird. Herr Broemel sagte neulich, die Sache gehörte auch vor den Minister für Handel und Gewerbe; ich stimme ihm zu, sie gehört am meisten dahin, weil der ganze Zwischenhandel in Frage kommt. Eine Berechtigung zur Preissteigerung liegt in unserer ganzen landwirtschaftlichen Entwicklung und der Entwick⸗ lung der ganzen Lebenshaltung auf dem Lande und in der Stadt. Die Preise der landwirtschaftlichen Produkte hatten in den letzten 20 Jahren eine sinkende, die Unkosten eine steigende Tendenz. Wenn bei der Steigerung der Löhne usw. die Preise der Produkte heruntergehen, so muß der Landwirt kopfüber gehen. Die Preise sind an sich gar nicht so hoch, die Städter sind nur durch die bisherigen zu billigen Preise verwöhnt. Die Kartoffeln sind unter dem Produktionspreis. Der Zucker hat einen Tiefstand von 8 S erreicht, wofür kein Mensch Zucker her—⸗ stellen kann. Das Getreide hat einen Preis, der die Produktions kosten beim Weizen noch lange ni tt deckt, beim Roggen gerade die Grenze erreicht. Allein also hohe Preise beim Fleisch, und deswegen das Geschrei in den Städten! Die berechtigten Gründe der Teuerung liegen in der Steigerung der Produktionskosten und in dem größeren Konsum der deut schen Bevölkerung, der in 20 Jahren gesttegen ist von 17 Kilogr. auf 54 Kilogr. auf den Kopf der Bevölkerung, wie heute Herr Oeser sagte. Also einen Notstand in dieser Hinsicht kann ich nicht zugeben. Ein weiterer Grund, den ich auch nicht bedauern kann, ist der, daß jetzt viel bessere Qualität von Fleisch geliefert werden muß infolge der sanitären Gesetzgebung. Wenn wir auf dem Lande diese unbequemen saniiären Maßregeln auf uns nehmen müssen wir können das minderwertige Vieh gar nicht mehr verwerten so können wir doch verlangen, daß dem Auslande dieselben Maßregeln auferlegt werden. Die Spannung zwischen den Preisen des, Viehes und des Fleisches ist aller⸗ dings zu hoch, in Berlin ist diese Spannung viel erheblicher ge⸗ worden als die Spannung der Preissteigerung. Wir denken nicht daran, den Fleischer ausschalten zu wollen. Ich kann in dieser Hin—⸗ sicht nur zum Frieden raten. Aber zwei Instanzen können aus geschaltet werden, die sich widerrechtlich eingeschlichen haben. Den kleinen Händler auf dem Lande wollen wir gar nicht missen; der schindet sich täglich bei jedem Hundewetter, er verdient auch nicht viel, aber etwas anderes sind der Kommissionär und die Kommissions“ banken, von denen der Kleinhändler sein Geld leiht. Diese Institution könnte beseitigt und durch die Städte übernommen werden. Die zweite. Instanz ist der Großschlächter, der das Fleisch an die Ladenschlächter meiter verkauft. Die Erhöhung der Ladenmiete kommt gar nicht so sehr in Betracht, denn die meisten Hausfrauen kaufen in den Markthallen. Der Schlächter kann statt vom Großschlächter direkt vom Lande bezieben. Man könnte vielleicht die Transportkosten herabsetzen. Ein fernerer Grund der Verteurun

ist die Schlachthofgebühr. Die Städte können nicht verlangen, da

ihre Anlagen sich so außerordentlich hoch verzinsen, ganz abgesehen von der Aktise mancher Städte, die man heute eigentlich gar nicht mehr versteht. Das zu beseitigen, haben die Städte selbst in der 9 Wir werden jetzt gut tun, Hahn in Ruh zu blasen, damit die Gegensätze zwischen Stadt und Land hier nicht künstlich verschärft werden. Im Reichstage liegt das anders, weil mit den Sozialdemokraten überhaupt nicht sachlich zu diskutieren ist. Für diese bedeutet das nur die Rückzugskanonade für die Handels—⸗ verträge und die Erregung von Mißstimmung. Aber hier sollten wir zur Beseitigung der Gegensätze beitragen. Wir können auch die Sache nicht allein von lokalen Gesichtsvunkten aus ansehen, wie in Aachen und Oberschlesien. In Aachen mag ja vielleicht noch eine Einbruch⸗ stelle für Vieh geschaffen werden, aber die Herren aus Oberschlesten können sich nicht beklagen, denn sie haben die Einbruchstelle und stehen viel besser da als viele andere Landesteile. Hoffentlich trägt die heutige Erörterung dazu bei, daß die Gegensätze gemildert werden, das wäre ein Vorteil für unser Vaterland

Darauf wird die Debatte geschlossen.

Abg. Broemel (fr. Vgg zur Geschäftsordnung: Ich be— dauere, daß es mir durch den Schluß unmöglich gemacht ist, zwar i Gegner der Landwirte, aber als Gegner der Agrarier auf⸗= zutreten.

Abg. Cassel (fr. Volksp.) bedauert, daß es ihm wegen des Schlusses nicht mehr möglich ist, auf die Angriffe gegen den Abg. Oeser zu erwidern.

Abg. Dr. Arendt ffreikons.): Ich möchte bemerken, daß ich gegen den Schluß gestimmt habe, um den Abg. Broemel noch zu hören.

Nach 41 Uhr wird die weitere Beratung des landwirt⸗

schaftlichen Etats auf Mittwoch 11 Uhr vertagt.

Handel und Gewerbe.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien. ö. e . ö. sind am 23. d. M. gestellt 22 244, nicht recht⸗ tig gestellt keine Wagen. 66 . Oberschlesien sind am 20. d. M. gestellt 7941, nicht recht⸗ zeitig gestellt (97 Wagen; am 21. d. M. 124 bezw. keine Wagen; am 22. d. M. 81416 be jw. keine Wagen.

Die Lieferung von Lampenzylindern für das Etatsjahr 1906 wird, wie der Berliner Handelskammer mitgeteilt ist, von der Königlichen Eisenbahbndirektion Altona am 10. Februar d. J. vergeben. Angebotsbogen und Lieferungsbedingungen können im Verkehrsbureau der Handelskammer eingesehen werden.

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