Handwerks nicht unterrichtet waren, aber ich eine große Rolle darin spielen. Dadurch ist es gekommen, daß man in Cöln auf den Befähigungs⸗ nachweis verzichtete, weil man ihn für aussichtslos hielt. Der Regierungs. kommissar Geheimer Rat von Seefeld hat dort erklärt, daß er als Ministerialdezernent den Befähigungsnachweis nicht empfehlen könne; er hat damit die Versammlung beeinflussen wollen und beeinflußt. Von den 71 deutschen Handwerkskammern, die in Cöln vertreten waren, hatten nur 7 ihre Innungen über den Befähigungs nachweis be⸗ fragt, nur 17 hatten ihre Vollversammlungen befragt, während die übrigen lediglich nach Vorstandebeschlüssen ihr Votum abgaben. Selbst der Abg. Jacobskötter mußte es erleben, daß in verschiedenen Protest⸗ , seines Bezirks ihm der Vorwurf gemacht wurde, daß er nicht im Sinne der Majorität gestimmt habe. Ich behaupte, daß 90 Co der selbständigen Handwerksmeister Deutschlands den Befähigungs⸗ nachweis verlangen. Wir hätten jetzt wenigstens den Befähigungsnach⸗ weis für das Bauhandwerk erwartet, da die meisten Parteien des Reichẽ⸗ tags darin einig sind, und auch von der Regierung wiederholt ein solches Versprechen abgegeben ist. Jetzt kann jeder dumme Sung Lehrlinge annehmen, und kein Lehrling kann vom Meister zur Ab— legung der Gesellenprüfung angehalten werden. Der Cölner Hand werkertag hat auch die obligatorische Gesellenprüfung verlangt., Es wird doch niemandem schaden, wenn er, bevor er selbständig ein Hand⸗ werk ausübt, die Meisterprüfung macht. Man hätte jetzt etwas anderes von der Regierung erwarten können als diese Vorlage, nachdem der Reichstag bereits dreimal den Befähigungsnachweis gefordert hat. Auch verschiedene süddeutsche und rheinische Gewerbetreibende haben diese Forderung gestellt. Was ist nun nach allen diesen. Jahren des Harrens und der Versprechungen eigentlich in dieser Vorlage zum Vorschein gekommen? Der Berg hat eine Maus geboren. Die Vorlage bringt weder das, was der Handwerkertag, noch was die Parteien gewollt haben. In Handwerkerkreisen ist man geradezu darüber entrüstet, denn die Vorlage trifft nicht die Sache selbst. Bei der Ausführung der Bauten kommen so viele Unglücksfälle vor, es ist in den letzten Jahrzehnten Leben und Gesundheil der Handwerker und Arbeiter so geschädigt worden, daß unhedingt Wandel geschaffen werden muß. Nun behauptete man allerdings, die Unzuläng lichkeit der Bauausführungen sei auf die Spekulation zurück⸗ zuführen. Wie erklärt es sich aber dann, daß verschiedene Bauunter⸗ nehmer freigesprochen wurden, weil die Gerichte festgestellt hatten, daß sie von vornberein nicht die Kenntnis hatten, Bauten aus— zuführen? Das sind doch horrende Zustände. Die Vorlage will denen die Bauerlaubnis entziehen, die nicht die Fähigkeit baben, einen Bau auszuführen. Wir dagegen wünschen, daß der Brunnen nicht erst dann zugedeckt werde, wenn das Kind hineingefallen ist. Der Bauunternehmer soll von vornherein die Befähigung nachgewiesen haben. Wenn Meister und Geselle ihre Prüfung abgelegt haben, dann muß dies ein Ansporn für beide sein und ihr Standesbewußtsetn erhöhen; damit wird auch verhindert, daß die jungen Leute zur soial⸗ demokratischen Partei übergehen. Wenn sie Aussicht auf eine ge— sicherte Existenz haben, werden sie dies nicht tun. Die Hufschmiede haben keine Sozialdemokraten in ihren Reihen, weil sie die Prüfung und die Aussicht auf eine gesicherte Existenz haben. Ich verstehe nicht, weshalb die verbündeten Regierungen diesen kleinen Befähigungs⸗ nachweis nicht konzedieren wollen, der doch beispielsweise von den Tehrern verlangt wird. Ich hoffe, daß in der Kommission, die auch ich im Namen meiner Freunde beantrage, aus dieser Vorlage doch noch etwas Nützliches für das deutsche Handwerk erwachsen wird.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:
Meine Herren! Ich will mit dieser Vorlage, die einen rein gewerbe— technischen Charakter trägt, keine politische Erörterung verbinden und will namentlich nicht in eine Erörterung darüber eintreten, ob etwa der Mangel des allgemeinen Befähigungsnachweises mit unserer inneren politischen Entwicklung irgendwie zusammenhaͤngt. Ich halte es nicht für richtig, bei jeder Gelegenheit, wo es sich um rein gewerbe⸗technische Vorlagen handelt, weit⸗ gehende politische Erörterungen zu pflegen. Ich muß aber be— streiten, daß ich jemals in diesem bohen Hause auch nur auf dem Ge⸗ biete des Baugewerbes die Andeutung gemacht babe, daß die ver⸗ bündeten Regierungen geneigt wären, den Befähigungsnachweis ein zuführen. Ich hätte mich, wenn ich das getan hätte, nicht nur in Widerspruch, und zwar in offenbaren Widerspruch, mit der preußischen Regierung gesetzt, sondern auch mit fast allen verbündeten Regierungen. Ich trete den Urkundenbeweis für diese Behauptung an. Ich habe in der Sitzung am 28. Februar 1905 folgendes erklärt:
Eine andere Frage, meine Herren, ist die Befäbigung im Baugewerbe. (Zurufe.) Da sind allerdings — das kann man nicht leugnen — sehr bedenkliche Mißstände zutage getreten, und wenn wir eine Novelle zur Gewerbeordnung vorlegen, glaube ich, wird sie Bestimmungen enthalten, die den Uebelständen, die sich beim Baugewerbe gezeigt haben, soweit es mit den wirtschaftlichen Interessen, überhaupt mit unserer ganzen Gesetzgebung vereinbar
ist, entgegenzutreten versuchen. In welcher Form das gescheben wird, darüber kann ich mich zur Zeit nicht äußern.
Kurz darauf, meine Herren, wurde ich darauf aufmerksam gemacht, daß einer der Redner des hohen Hauses, offenbar irrtümlich, aus dieser Erklärung gefolgert hätte, es wäre auch die Möglichkeit vorbanden, oder ich hätte zugesagt, daß im Baugewerbe der Be⸗ fäbigungsnachweis eingeführt werden würde. Ich habe daraufhin, am 2. März 1905, also wenige Tage später, erklärt:
Bei dieser Gelegenbeit ist gestern
— bei der Erörterung des Befähigungsnachweises — auch wieder die Frage des Befähigungsnachweises für die Bau⸗ arbeiter angeregt worden. Um keinen Irrtum aufkommen zu lassen über das, was ich erklärt habe, möchte ich meine Worte nach Maß— gabe meines Stenogramms wiederholen: ich habe gesagt
— und nun verlas ich auf Grund des Stenogrammeé, was ich am
28. Februar 1905 erklärt habe, und ich habe weiter binjugefügt:
Meine Herren, es werden solche Bestimmungen
— das war der Sinn meiner Worte —, um die bervorgetretenen Mißstände zu beseitigen, in Verbindung mit der nächsten Gewerbeordnungsnovelle ergehen; in welcher Richtung, darüber ist ein endgültiger Beschluß bisher noch nicht gefaßt.
Also, meine Herren, wenn Sie gütigst selbst das Stenogramm nach⸗ lesen wollen, werden Sie sehen, daß ich selbst den allgemeinen
Befähigungk nachweis nur für das Baugewerbe nicht angedeutet habe. Auf die Erörterung über den allgemeinen Befähigungsnachweis gehe ich auch jetzt nicht ein. Diese Frage ist in diesem hohen Hause so
oft erörtert worden, und ich habe namens der verbündeten Regierungen
wiederholt eine so bestimmte Stellung zur Sache eingenommen, daß ich wirklich nicht Ihre Zeit damit in Anspruch nehmen möchte,ů Befugnis zu Aber wenn Sie selbst den beschränkten Befähi⸗ weil er die ausreichende Befähigung nicht besitzt, den Bau sach⸗ gemäß durchzuführen — ich meine, ein solcher Beamter über⸗ Meine Herren, wie müßte man solche Verfügungen treffen, er wird solche Verfügungen um so mehr Wasserbauten, in Tief ⸗
das zu wiederbolen, was bereits vom Bundesratétisch aus so oft er⸗ klärt worden ist. gungs nachweis für das Baugewerbe einführen wollen, so bitte ich doch, zu erwägen, welche greßen technischen Zwischenstufen in der Aus⸗ übung dieses Gewerbes vorliegen. heutjutage bei unseren großartigen Bauten, bei der technischen Viel- seitigkeit unserer Bautätigkeit in
bauten, in Hochbauten, besonderz in Brückenbauten, wo die schwierigsten statischen Berechnungen ju machen sind — wie, frage ich, müßte man da den Befähigungenachweis für das Bau⸗ gewerbe im einzelnen ausgestalten? Wollen Sie etwa denjenigen, der befähigt ist, ein einfaches Haus auf dem Lande oder eine Scheune, einen Stall zu bauen, auch für befähigt erklären, eine große Brücke auszuführen oder eine große Eisen⸗ konstruktion für ein Geschäftshaus in Berlin? Soll der Unter— nehmer, welcher nur einfache Bauten auf dem Lande und in kleinen Städten ausführt, die Befähigung für je de Bauleistung nachweisen? Oder soll immer nur ein Minimum der Befähigung nach⸗ gewiesen werden? Soll mit diesem Minim um der Befähigung jeder Bau ausgeführt werden dürfen? Je mehr man sich in solche Fragen vertieft, desto mehr sieht man, wie leicht es ist, solche Forderungen auszusprechen, aber wie schwer es ist, ohne dem Verkehr die schwersten Fesseln anzulegen, sie gesetzgeberisch auch zu verwirklichen.
Nun wird fortgesetzt geklagt, daß infolge mangelhafter Bau konftruktionen schwere Unfälle sich zutragen. Unzweifelhaft richtig! Aber man darf bei solchen Erscheinungen nicht die absoluten Zahlen bewerten, sondern muß immer die Anzahl derartiger trauriger Fälle in Verbindung bringen mit dem Umfang der ge— samten Bautätigkeit in Deutschland. Nehmen Sie an, daß die deutsche Bevölkerung sich jährlich um 800 000 Menschen vermehrt, daß eine Familie etwa aus 5. Personen besteht, und die Wohnung für eine Familie herzustellen mindestens ein Baukapital von 4000 M gehört; nehmen Sie ferner an, daß für alle diese Personen die nötigen öffent⸗ lichen Einrichtungen gebaut werden müssen: Schulen, Kranken⸗ häuser, Gotteshäuser, in den Städten Kanalisation, Wasser⸗ leitung, Läden, Gasthäuser usw., so, glaube ich, geht man nicht zu weit, wenn man behauptet: allein der jährliche Bevölkerungszuwachs von Deutschland nebst den nötigen Ersatzbauten erfordert die Verwendung eines Baukapitals bis zu 13 Milliarden. Stellen Sie sich also diese ungeheure Bausumme vor, die bei der schnell wachsenden Bevölkerung in Deutschland jährlich verbaut wird, und dann stellen Sie diese Summe in ein Verhältnis zu den Unglücksfällen, die durch notorische Nachlässigkeit oder Unkenntnis des Bauunternehmers jährlich eintreten, dann erst bekommen Sie einen richtigen Maßstab für die Größe des wirklich vorbandenen Mißstandes.
Gegen diese Mißstände wird in dem Befähigungsnachweis für das Baugewerbe das Heil gesucht, und man hegt die Hoffnung, daß sich solche Fälle dann nicht mehr ereignen würden. Solange ich noch mehr im praktischen Leben, in der praktischen Verwaltung stand als heute, habe ich mit Bauten recht viel zu tun gehabt und recht vieles davon gesehen, und ich kann Ihnen versichern, daß manchmal die patentierteste Befähigung nicht gegen schwere Baumängel und gegen bedenkliche Konstruktionsfehler schützt. (Sehr richtig! links.) Ich bin auch der Ansicht, daß ein guter Teil der schweren Unglücksfälle, die sich bei Bauten ereigneten, nicht auf Un⸗ kenntnis zurückzuführen ist, sondern auf Fahrlässigkeit, auf Leichtsinn, auf Gewinnsucht, also auf Verfehlungen trotz bessern Wissens ssehr richtig! links), und solche moralischen Mängel und ihre Folge⸗ erscheinungen werden Sie durch den Befähigungsnachweis nicht be⸗ seitigen.
Nun glaube ich aber — ja es ist unzweifelhaft —, es sind schärfere Bestimmungen gegen unzuverlässige Unternehmer notwendig. Es sind Fälle vorgekommen, wo man sagen muß: hier muß schärfer eingeschritten werden — und ich behaupte, daß dieser Gesetzentwurf als Schutzmaßregel weiter geht als jeder formelle Befähigungsnachweis; denn er gibt die Möglichkeit, auch gegen Unternehmer, die zwar die formelle Befäbigung besitzen, aber die nötige moralische Zuverlässigkeit vermissen lassen für die Sicherung des menschlichen Lebens, insbesondere auch der Arbeiter, oder auch gegen Unternehmer, die für unbedingt unfähig zu erachten sind, nachdrücklich einzuschreiten und solchen Leuten entweder die Fortsetz ung ihrer Bautätigkeit allgemein oder im einjelnen Falle zu untersagen oder sie überbaupt für unfähig zu erklären, Bauten auszuführen. Meine Herren, das kann ich Ihnen versichern: wenn ich in der praktischen Verwaltung dieses Gesetz auszuführen hätte, dann würde ich es verstehen, alle die Leute, die jetzt angeblich ohne jedes technische Verständnis Bauten ausführen — ich habe hier eine Reihe von Petitionen in meinen Akten, die sich darüber aussprechen —, Leute, die bisher ganz andere Gewerbebetriebe betrieben haben, von der leitenden und selbständigen technischen Ausführung von Bauten aus— zuschließen.
Es kommt eben nicht so sehr darauf an, wie das Gesetz lautet, sondern wie es ausgeführt wird und darauf, daß man solche Fälle nicht nur schematisch behandelt. Es sind die Baukonzessionen nachzusuchen, es sind zu diesem Behufe der Polijeibehörde die Pläne vorzulegen, die Bauberufsgenossenschaft soll die Bauten beaufsichtigen, auch die Polizei hat die unbedingte Verpflichtung hierzu. Nun soll noch dieses Gesetz binzutreten, das doch eine ziemlich weitgehende Vollmacht, zu nächst allerdings dem subjektiven Ermessen des zuständigen Beamten gibt. Ich meine, wenn die Behörden diese Frage ernst behandeln und nicht nur schematisch nach Nummern erledigen, dann haben sie vollständig die Macht, solche fahrlässigen Bauten, wie sie ausgeführt sind und zu schwereren Unglücksfällen geführt haben, wirksam zu verhindern.
Gegen diesen Gesetzentwurf ist der Einwand erhoben, auch in der Presse, er räume dem subjektiven Ermessen einen zu großen Spiel⸗ raum ein. Die Exekutive, wenn sie wirksam sein soll, muß aber nach subjektivem Ermessen handeln. Sie können nicht jede Einzel⸗ entscheidung durch den Buchstaben des Gesetzes bestimmen. Sie müssen, solange Sie überhaupt irgendwelches Vertrauen zu den Organen der Staatsverwaltung haben, auch annehmen, daß die Organe der Staatsverwaltung verständig und unparteiisch die Gesetze handhaben. Außerdem ist dem subjektiven Er— messen hier auch eine formelle Grenze gezogen. Es ist ja das doppelte Beschwerdeverfahren der Gewerbeordnung zugelassen, und wo das Verwaltungsstreitverfahren besteht, können sogar die Einzelstaaten beschließen, gegen derartige Verfügungen das Verwaltungesstreit⸗ verfahren zuzulassen. Ich meine, ein Beamter, der die Verant⸗ wortung auf sich nehmen will, einem Gewerbetreibenden die entziehen, sein Gewerbe ausjuüben, oder einen Unternehmer von der Ausführung eines Baues auszuschließen,
nimmt eine schwere Verantwortung, und er wird nicht willkürlich
überlegen, als seine amtliche Autorität immer einen gelinden Stoß
erleiden würde, wenn in der höheren Instanz seine Verfügung aufgehoben würde. —
Ich halte deshalb das Gesetz, wie es Ihnen vorliegt, zum Aus— schluß ungeeigneter Personen für viel wirksamer als den rein formalen Befähigungsnachweis, den auch Personen besitzen können, die in der unverantwortlichsten und leichtsinnigsten Weise ihre Bauten ausführen.
In großen Städten haben wir schon an und für sich eine schärfere Baupolizeiaufsicht, da sind besondere Organe vorhanden, um die Bau⸗ aufsicht zu üben, während in kleinen Städten die Bauten meist einfacher sind, und die Bevölkerung so nahe aneinander wohnt, sich gegenseitig so beaufsichtigt, auch die Techniker, die Bau— unternehmer untereinander, daß hier schon in der öffentlichen Meinung, in der öffentlichen Aufsicht ein gewisser Schutz liegt, um die Aut— führung dieses Gesetzes zu unterstützen.
Ich möchte Sie deshalb dringend bitten, diesen Gesetzentwurf nicht nur von dem Gesichtspunkt aus zu betrachten, daß man den Organen der Verwaltung neue unkontrollierbare und leicht zu miß⸗ brauchende Befugnisse gibt, sondern daß Sie sich mit den verbündeten Regierungen auf den Standpunkt stellen, daß es sich bei der Ver— hütung von fahrlässigen Bauten um Tatfragen im einzelnen Falle handelt, daß diese Tatfragen zunächst nur von der unmittelbar auf— sichtführenden und verantwortlichen Aufsichtsbehörde entschieden werden können, und daß gegen irrtümliche und falsche Entscheidungen der Beschwerdeweg der Gewerbeordnung und eventuell des Verwaltungẽ⸗ streitverfahrens ein vollkommen genügendes Abwehrmittel bietet.
Abg. Schmidt⸗Wanzleben (nl): Aus den Worten des Staats sekretärs ergibt sich ja, eine wie schwierige Materie hier zur Ent— scheidung steht. Gewiß sind auch in den Vorberatungen im Schoße der Regierungen die verschiedensten Meinungen bereits zur Geltung gekommen. Daß Mißstände eingerissen sind, die einer Korrektur be⸗ dürfen, ist zweifellos; auch der Reichstag ist in seiner großen Mehrheit darüber einig. Wir begrüßen den vorliegenden Entwurf insofern, als er der Materie überhaupt nähertritt, aber von vornherein muß ich die Vorlage als unseren Erwartungen nicht ganz entsprechend anseben. Die Regierung will die bestehenden Wünsche auf dem Wege erfüllen, daß die Ausübung des Baugewerbes denjenigen untersagt werden kann, die nicht genügende Zuverlässigkeit in technischer und moralischer Beziebung bieten. Dierrach soll eine Prüfung der Qualifikation des Betreffenden nicht schon bei Anmeldung des Betriebes erfolgen, sondern es soll erst das Eintreten von Tatsachen abgewartet werden, die eine Einschreitung rechtfertigen. Man will also erst nachträglich, aber nicht vorbeugend, eingreifen, wie das ja eigentlich hätte erwartet werden können. Wir sind daher durch das hier Gebotene einigermaßen ent— täuscht. Die Motive behaupten, der Beweis der Notwendigkeit der Einführung des Befähigungsnachweises für das Baugewerbe sei nicht geführt; der Staatssekretär hat daneben noch eindringlich auf die hm entgegenstehenden schwerwiegenden Bedenken hingewiesen. Ich muß ja anerkennen, daß sich die Grenzen schwer ziehen lassen; ich gebe auch zu, daß eine gewisse einseitige Bevorzugung oder Priollegierung der Bauhbandwerker durch eine gewisse summarische Be⸗ fahigungsprüfung der Maurer, Zimmerer und Steinmetzen gegenüber den anderen im Baugewerbe tätigen Personen als nicht unbedenklich angesehen werden könnte. Es ist richtig, daß gegen unsolide Bau— unternehmer der Befähigungsnachweis allein keinen Schätz bietet; immerhin kann aber hier doch das Strafgesetz korrigierend eingreifen, was überhaupt auf diesem Gebiete n , . wäre, wie ich in Uebereinstimmung mit unserem verstorbenen Kollegen Walbrecht be— tone. Aber eine groß: Zahl meiner Freunde ist der Meinung, daß ein beschränkter Befähigungsnachweis für das Baugewerbe wünschens- und erftrebenswert ist. Wir hoffen auf die Möglichkeit einer entsprechenden Ausgestaltung der Vorlage in der Kommission. Aus den beteiligten Kreisen sind Beschwerden erhoben worden gegen die Gleichstellung der Personen, die nur die Prüfung beim Abgang von einer Baugewerkschule gemacht haben, mit denen, die eine höhere Ausbildung und Prüfung durchgemacht haben. Die ersteren haben durchschnittlich nur eine kurze Ausbildungszeit durchgemacht, koͤnnen aber nachher auf Grund der Prüfung als. Bauunternehmer auftreten. Dieser Punkt wird in der Kommission näher zu untersuchen sein. Auffällig ist, daß die ganze Vorlage nur auf Neubauten zugeschnitten und die a der Umbauten ganz beiseite gelassen scheint. Die eventuelle Entscheidung über die Ver— fagung der Tätigkeit wird nach dem Entwurfe zunächst in die Hand der unteren Verwaltungsbehörden gelegt. Es möchte doch vielleicht zweckmäßig sein, diese Entscheidung in andere Hände zu legen, sei es, daß man eine eigene Aufsichtsbebörde schafft und durch Heran⸗ ziehung von Interessentenkreisen, Handwerkskammern usw. ergänzt, oder in anderer Weise. Sehr bedauern muß ich, daß, da es sich um eine Aenderung der Gewerbeordnung handelt und schon mehrfach auch aus unserer Mitte das Lehrlingswesen in Erörterung gezogen ist, nicht gleichzeitig ein Entwurf über die Regelung des Lehrlingswesens vor⸗ gelegt ist. Ich bitte die Regierung, ihre Tätigkeit in dieser Richtung möglichst bald zu einem Gesetzentwuif sich verdichten zu lassen. Ich hoffe ferner, daß der, wie ich höre, schon beinahe in der Vorarbeit fertiggestellte Entwurf über die Sicherung der Bauhandwerker⸗ forderungen recht bald gesetzgeberischer Verabschiedung zugeführt wird. Der Kommission wird es hoffentlich gelingen, die Bedenken gegen die Vorlage kinwegzuiäumen und so ein für die beteiligten Kreise brauch⸗ bares Gesetz zustande kommen zu lassen. Für die Einsetzung einer Kommission von 21 Mitgliedern erklären wir uns ebenfalls.
Abg. Raab (wirtsch. Vgg.): Viel Zweck scheint es nicht zu haben, uͤber die Vorlage noch zu sprechen. Von der Regierungsbank hört man wie von allem, was von da kommt, immer nur das Nein. Die Regierung will nicht * auch die redlichsten Be—⸗ mühungen, sie zu einer anderen Stellungnahme zu nötigen, müssen daran scheitern. Was nützen ihr gegenüber Argumente? Sie sieht nur, was sie sehen will; sie verschließt, dem anderen Teil ihre Ohren, die Handwerkertage können resol vieren, was sie wollen. Auch die guten Erfahrungen der öster⸗ reichischen Regierung und des oͤsterreichischen Handwerks mit dem obligatorischen Befahigungs nachweis verschlagen nichts; im Gegenteil, die Regierung hält uns vor, wir seien ja noch selbst uneinig über das, was wir wollten. Da bleibt nichts übrig, als das Handwerk un— ermüdlich zu organisieren und innerhalb dieser Organisation das Ver⸗ ständnis für unsere Forderungen gründlich zu wecken und durchdringen zu lassen. In der Frage des Car lenden dre sth für das Bau⸗ de. haben auch die in Cöln versammelten Handwerker, deren Mehr⸗ eit gegen den allgemeinen Befähigungsnachweis war, eine ganz andere Stellung eingenommen als jetzt die verbündeten Regierungen. Die Vorlage aber gibt uns nicht den Befähigungsnachweis für das Bau—⸗ gewerbe, sondern es sollen gewisse polizelliche Sicherungs⸗ vorschriften gemacht werden, und zwar rangiert man jetzt das Baugewerbe in den Trödler⸗ und Winkelkonsulentenparagraphen ein. Die Vorlage ist nicht einmal die Maus, die der kreißende Berg ge boren hat, sondern noch sehr viel weniger. Das gesamte Hand werk verfolgt den Verlauf dieser Frage mit Interesse, weil man auf dem Gebiet des allgemeinen Besähigungsnachweises leichter vorwärts zu kommen hofft, wenn der Bezãhigungsnachweis erst einmal für das Bau⸗ gewerbe eingeführt ist. Daher ist das gesamte Handwerk von dieser Vorlage äußerst enttäuscht. In allen Fragen des Mittelstandes hat Graf Posadowskvy sich immer außerordentlich vorsichtig und bedingt aus⸗ gedrückt. Man kann der Vorlage zustimmen, doch als Ersatz für den Befähigungsnachweis kann sie nicht gelten. Warum macht man es denn auf anderen Gebieten nicht ebenso, warum gestattet man nicht jedem,
so lange sich Arzt zu nennen, bis er einen Menschen zu Tode kuriert
hat? Daß erst zugegriffen werden soll, nachdem ein Unglück ge⸗ schehen ist, macht diese Vorlage wertlos, und die entscheidenden Ver⸗ waltung behörden werden außerordentlich vorsichtig darin sein,
einem Unternehmer seine Betätigung bei einem Bau zu unter— sagen, ein Beamter wird sich eme besinnen, ehe er sich ber Möglichkeit aussetzt, eine Nase von oben zu erhalten, und lieber funf gerade sein lafssen. Gerade, die unsoliden Elemenie im Bau. gewerbe sind ganz gerissene Menschen und werden von ihren Berufẽs— genossen als i,, n. bezeichnet. Nach 5 und 10 Jahren wird man vielleicht von einem ganzen Dutzend von Fallen be⸗ richten können, in denen auf Grund dieses Gesetzes vorgegangen ist. Wenn man dem Handwerk nicht mehr geben wollte, hätten die Herren der Regierung ihre schätzenswerte Arbeit anderen Gegenständen zu—⸗ wenden können. Wir wünschen zwar auch die Beratung in der Kom—⸗ mission, erwarten aber kein erhebliches Entgegenkommen von der Re⸗ lerung. Gerade die Stellungnahme der Sozialdemokraten gegen den
esählgungsnachweis sollte die Reglerung in ihrer Haltung stutzig machen, denn sie ist fast allein noch auf die Zustimmung dieser , Linken angewiesen. Der Abg. Frohme meint, noch nirgends sei von Arbeitern das Verlangen nach dem Befähigungsnachweis für das Baugewerbe um 36. des eigenen Lebens oder der eigenen Gesundheit gestellt worden. Freilich mögen die Arbeiter sich um die Angelegenheiten der selbständigen Unternehmer nicht gekümmert haben, aber sie haben für sich selbst den Grundsatz vertreten, auf dem der Befaͤhigungsnach⸗ weis er das Baugewerbe überhaupt beruht, denn sie haben wieder— holt bei der Ueberwachung der Unfallverhütungsvorschriften die Hin juziehung von Baukontrolleuren aus den Arbeitern verlangt. Selbst⸗ verständlich ist dabei, daß sie nur in diesem praktischen Berufe aus—⸗ gebildete Arbeiter damit meinen und nicht etwa einen Friseur oder einen Bäckergesellen. Auch in dem n der sozialdemokratischen Fraktion über den Arbeiterschutz werden Baukontrolleure verlangt. Genau dieselben theoretischen Argumente, die gegen den Befähigungs—⸗— nachweis für das Baugewerbe vorgetragen werden, könnte man auch gegen diesen Antrag anführen. Die Forderung des Handwerks ist so natürlich, daß man den Widerstand dagegen nicht versteht. Das ge—⸗ samte Handwerk möge sich fest zusammenschließen, um machtvoll mit der Vertretung seiner Interessen der Regierung gegenüberzutreten.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:
Meine Herren, ich möchte gegenüber der letzten Aeußerung des Herrn Vorredners einwenden, daß der Mittelstand nicht identifiziert werden kann mit dem allgemeinen Befähigungsnachweis. (Sehr gut! Der allgemeine Befähigungsnachweis und der Mittelstand sind ganz ver⸗ schiedene Dinge. Der Mittelstand setzt sich aus zahlreichen sehr ver⸗ schiedenen Elementen jzusammen, auf die der allgemeine Befähi⸗ gungsnachweis keinerlei Anwendung findet. (Sehr richtig!)
Aber gleichzeitig will ich hier einen Irrtum berichtigen, den die beiden Herren Vorredner ausgesprochen haben. Sie haben diesen Gesetzentwurf so aufgefaßt, als ob erst nachträglich eingeschritten werden soll, während sowohl S 35 wie S 53 vorbeugender Natur sind. Aus 5 53 geht das ganz klar hervor, aber ebenso aus 5 35 in Verbindung mit dem Wortlaut der Gewerbeordnung und der Begründung, indem danach auch einem Unternehmer, der die formelle Befähigung hat, oder der gar keine Befähigung hat, aus moralischen Gründen, d. h. weil er tatsächlich nicht die nötige Zuverlässigkeit. besitzt, die Ausführung von Bauten unter— sagt werden kann. Ein schärferes Einschreiten, als der Gesetzentwurf bietet, gegenüber unzuverlässigen Elementen ist meines Erachtens nicht denkbar. Ich bin außerordentlich überrascht über die Einwände, die von den beiden letzten Herren Vorrednern von einem grund⸗ sätzlichen Standpunkte aus gemacht worden sind. Meine Herren, ich bitte Sie dringend, wegen des Zieles, das Sie mit dem allgemeinen Befähigungsnachweis verfolgen, nicht die Wohltaten dieses Gesetzes außer Augen zu lassen. Bezüglich des Befähigungsnachweises hat die Regierung ihre Erklärung abgegeben; hier handelt es sich nur darum, daß einem ganz positiven Mißstande, den auch die verbündeten Re⸗ gierungen anerkennen, abgeholfen wird, und dieses Gesetz ist hierzu ein durchaus gangbarer Weg.
Abg. Hoffmeister (fr. Vxzg): Wenn der Bundesrat ge⸗ laubt hat, mit dieser Vorlage etwas zu bieten, was auch die Zünftler zefriedigen würde, so hat er sich darin stark getäuscht, denn die Zänftler sind empört über den Brosamen, den man. ihnen hier hin—⸗ Jeworfen hat. Aber auch nach unserer Anschauung ist der Weg, der i eingeschlagen werden soll, so wenig wie möglich geeignet, den be⸗ haupteten Uebelständen abzuhelfen. Nach dem Vorschlage der Regierung sollen die Bauhandwerker nicht nur, sondern auch die Bau⸗ unternehmer und Bauleiter in die Kategorie derer eingereiht werden, die unter 5 35 der Gewerbeordnung fallen, als da sind; Trödel händler, kleine Händler mit Garnabfällen, Händler mit Dynamit, Winkelkonsulenten, Auktiongtoten, Viebkommissäre, Agenten, Feiratsvermittler ukw. Und die Kontrolle über die Zuverlässig⸗ leit oder Unzuverlässigkeit des Baugewerbetreibenden soll von der unteren Verwaltungsbehörde ausgeübt werden. Ich kann nur wünschen, daß die Vorschläge nicht Gesetz werden. So unerfreulich dieser positive Inhalt des Regierungsentwurfes ist, so erfreulich ist die Be⸗ gründung der Vorlage und ihre unzweideutige Absage an die Freunde des großen und des kleinen Befähigungesnachweiseg. Die Begründun hebt hervor, daß die Gutachten der Handwerkerkammern, die si überwiegend für die Einführung ausgesprochen haben, in keiner Weise den Nachwels für die Möglichkeit einer sachgemäßen Durch führung desfelben gebracht haben, und daß die Mehrzahl der Bau⸗ unfälle? nicht auf Unkenntnis des Bauausführenden, sondern auf deichtsinn, Gewinnsucht usw. zurückzuführen sind. Nun haben wir aber doch die Baupollzei, die die Aufsicht über die Bauten zu führen hat; um so unnötiger erscheint die vorgeschlagene Maßregel, die nur zu den größten Unzuträglichkeiten führen kann. Die beweglichen Klagen der Bauhandwerker selbst sind wohl nicht berechtigt. Ich babe niemals gehört, daß die Kaufleute einen Be⸗ fähigungsnachwels derlangen. Sie sind eben immer auf dem qui zize— und ebenso müssen auch die Handwerker beweglich sein und mit der Zeit vorschreiten. Ein Befäͤhigungsnachweis im Sinne der Zünftler zit im Zeitalter der Gewerbefreiheit eine Unmöglichkeit. Die Forde rung ist wohl in der Hauptsache auf Geschäftsneid , , , r, Ich' kenne einen sehr tüchtigen Kaufmann, der unter eigener Leitung einen großen Getreldespeicher erbaut hat, und iwar ganz vorzüglich. Diefer' Kaufmann hätte das nicht tun können, wenn der Befähigungs⸗ nachweis eingeführt wäre. Unglücksfälle kommen auf der anderen Selte auch unter der Leitung geprüfter Baumeister vor, Von der Stirne heiß rinnen muß der Schwelß, soll das Werk den Meister loben.. Nur unter en ih Praxis bilbet sich der Meister. Ich bedauere sehr, daß heute ein Richtfachmann von natignalliberaler Seite sich dem Be—= sähigungs nachweis abgeneigt erklärt hat, nachdem sein Vorgänger, der seit seiner Jugend im Baugewerbe gestanden hat und also ein gualifizierterer Sachverständiger war, den Befähigungsnachweis hefür. — hat. Ich hoffe, daß der Befähigung nachweis für alle Zeit tot ein wird.
Abg. Gamp (Rp.): Im Gegensatz zu dem Vorredner kann ich in den Mot oc nur eine höchst mangelhafte Begründung der Vorlage sehen. Ich hätte gewünscht, daß die Aeußerungen der Handelskammer im Driginal uns vorgelegt worden wären, um das Material auf seine ,, keit u prüfen. Soviel ich, weiß, stehen die Handwerkskammern in ihrer großen Mehrheit auf dem Boden des; ,,, , , n Auf diefen felbst gehe ich nicht näher ein. Auch die Ausführungen des Staatssekretärs waren nicht direkt gegen die Einführung des Be⸗ sähigungsnachwejfes gerichtet. Er hat anerkannt, daß ein bedenklicher hier, auf diefem Gebiet vorhanden sei. In den Motiven wird
nur anerkannt, „daß mancherlei im argen liege“. Die Auffassung, daß man den =, erst zudecken will, nachdem das Kind hinein-
gefallen, ist doch nicht unbegründet. Dat beweist der S Hö a.
Allerdings vermehrt sich die Bevölkerung um 800 000 Köpfe, wenn aber der Staats sekrelär das jährlich verbaute Kapiial auf IJ. Millarden berechnet. so iert er sich. Durch dieses Gesetz, darin stimme ich mit dem Abg. Euler überein, wird sehr wenig erreicht werden. Die Kommission wird sich mit den Handwerkskammern in Verbindung fetzen müsfen, um alle Anschauungen kennen zu lernen. Es muß auch hier heißen: Was du n. tue ganz!
Abg. Erzberger (Zentr): Wenn man sich diesen Entwurf an⸗ sieht, o kommt man zu der Ansicht: es geht sehr langsam mit der Erfüllung der Handwerkerwünsche. Der Bundesrat behandelt eigentlich nur zwel Institutionen schlecht: den Reichstag in der Frage der Be⸗ willigung Der Diäten und das Handwerk. Alles ist auf diesem Ge— biete des Handwerks nur erreicht durch Schieben und Drängen des Reichstags. Man vermitzt jedes selbständige Vorgehen des Bundes— rats, und das hat große Mißstimmung in Handwerkerkreisen hervor⸗ gerufen. Unsere prinzipielle Stellung haben wir niedergelegt in unseren Initiativanträgen. Darin steht der Befähigungsnachweis nicht, und der Abg. Euler hat nur für seine Person ge⸗ sprochen. Den allgemeinen Befähigungsnachweis verlangen wir nicht, sondern nur für Bauhandwerker, und vor allem, daß nur derjenige Lehrlinge ausbilden darf, der den Meistertitel führen darf. Wir treiben praktische Politik und stellen keine Anträge, von denen un— umwunden die Regierung erklärt, daß sie sie in absehbarer Zeit nicht annehmen wird. Die Konstruktion des Gesetzentwurfs erweckt leb⸗ hafte Bedenken. Daß das Baugewerbe nach Annahme dieses Gesetzes unter elne gewisse Polizeiaufsicht kommt, ist unbestreitbar, und das ist in politischer Her bing , unbedenklich. Es muß befremden, af die Regierung den Wunsch der großen Mehrheit des Hauses auf Einführung des Befähigungsnachweises für daz Baugewerbe nicht berücksichtigt hat. Wir bedauern auch, daß die Regierung uns das sehr schätzenswerte Material der Handwerkerkammer nicht mit geteilt bat. Den Abg. Frohme verstehe ich nicht. Die Interessen der Arbeiter sprechen doch nicht gegen die Einführung des Be— fähigungsnachweises im Baugewerbe. Derselbe verhindert doch eine wirksame Baukontrolle in keiner Weise. Die Einführung des kleinen Befähigungsnachweises ist 19094 und 1905 dem Bundesrat nahegelegt worden. Weshalb hat er sich diesem Gedanken verschlossen? Wir werden ihn in der Kommission in das Gesetz hineinarbeiten. Auf diesem Gebiete sind alle organisierten Handwerker einig. Eine bloße Resolution genügt nicht; sondern der 8 l29 G⸗O. muß ent⸗ sprechend geändert werden, Das ist wichtiger als das ganze Gesetz. Wir dienen damit der Allgemeinheit.
Die Vorlage wird einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen.
In erster Lesung erledigt dann das (,. den Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Abänderung der Wahlkreise 12 und 13 Baden und 7 Hessen, und geht dann über zur ersten Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Aenderung des Gesetzes über den n n,, Die Vorlage sieht die Herab— setzung der Altersgrenze für Erwerb und Verlust des Unter⸗ stuͤtzungswohnsitzes vom 18. auf das 16. Lebensjahr vor; außerdem soll die Frist, deren Ablauf den Verlust des bis⸗ herigen Unterstützungswohnsitzes bedingt, von zwei auf ein Jahr verkürzt werden, also drei Jahre früher ihr Ende er— reichen.
Abg. Trim born Gentr.) beantragt die Ueberweisung des i entwurfs an eine Kommission von 14 Mitgliedern. Der Entwurf sei hervorgerufen durch das Bedürfnis, die ländlichen Gemeinden bezũg⸗ lich der Armenlast zu entlasten. In der Kommission würde zu prüfen sein, ob nicht noch eine weitere Entlastung dadurch möglich fei, daß im weiteren Umfange als bisher Gesamtverbände errichtet würden, welche die Lasten zu tragen hätten. .
Abg. Mom m en (fr. Vgg.): Ich kann zugleich im Namen der Freisinnigen Volkspartei erklären, daß wir mit einer Kommissions⸗ berakung einderstanden sind, um so mehr als bei der Geschäfts lage unserer Kommissionen nicht so bald die Kommissionsberatung statt finden wird. Der Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit, der vollkommen unabhängig von den politischen Parteien dasteht und befonders sachverständig ist, will diese Vorlage einer eingehenden Beratung unterziehen, und es wäre kein Schade fur uns, wenn wir das Ergebnis dieser Beratung in unserer Kommission mitberücksichtigten. Der Entwurf kann das Motto tragen; Belastung der Städte und Entlastung des Landes. Wir sind gewohnt, daß alle Lasten auf die Industrieftädte geladen werden. Die Vertreter der ländlichen Inter⸗ . sollten hier doch prüfen, ob hier wieder eine Belastung der
tädte notwendig ist. Die Motive des Entwurfs gehen von dem Wanderungsgewinn der Städte und dem Wanderungsverlust der kleinen Landgemeinden aus. Gewiß ist die Abwanderung aus den kleinen Landgemeinden für diese ein Schaden, aber durch selün⸗ Mittel kann man ihm nicht entgegentreten. Für Berlin kann von einem Wande⸗ rungsgewinn auch nicht gesprochen werden, denn die wohlhabenderen Krelfe wandern in die Vororte ab, die ärmeren gehen nach Berlin, denn in keiner anderen Stadt ist so glänzend für Schulen, Kranken—⸗ anstalten usw. geforgt. Die Hauptbelastung wird durch die Herab · setzung der Altersgrenze von 18 auf 16 Jahre erfolgen. Ich bestreite, daß die jugendlichen Arbeiter mit. 15 Jahren bereits wirtschaftlich felbständig sind; besuchen sie doch über dieses Alter hinaus die Fortbildungsschule. Die Verkürzung der Frist von zwei auf ein Jahr würde die Neigung der Landgemeinden, zu den bekannten eigen; tümlichen Manöbern, um sich von einer ihnen drohenden Armenlast zu befreien, noch ganz wesentlich verstärken. Es sind das Manöver, deren sich die Städte nicht schuldig machen, weil sie in der Weise nicht individualifieren können; die Städte allein würden den Nachteil haben, es muß alfo auch hier gründlich in der Kommission unter⸗ fucht werden, ob der entstehende Schaden nicht größer ist, als der er⸗ hoffte Rutzen. Eg sollen nun auch hier die sehr schwierigen Ver⸗ hältniffe der großen Städte zu ibren Vorortsgemeinden eine Regelung erfahren, gegen die so erhebliche Bedenken bestehen, daß es besser getan fein wird, diese Frage aus dem Gesetze herauszulassen. Der Zweck der Vorlage ist ja zugestandenermaßen eine erhebliche Verschiebung der Armenlast zu in fl des platten Landes; aber die soll man 13 einseitig auf Kosten der großen Städte allein bewerkstelligen wollen.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:
Ich kann dem Herrn Vorredner darin nur recht geben, daß diese Vorlage vorzugsweise daju bestimmt ist, das platte Land ju entlasten. Die Erreichung dieses Zweckes ist nach Ansicht der verbündeten Re⸗ gierungen unbedingt notwendig. Wer die Verhältnisse des platten Landes kennt, weiß, wie dasselbe unter der fortgesetzten Abwanderung der arbeitsfähigsten Elemente beiderlei Geschlechts leidet. (-Sehr richtig! rechts) Es ist nicht nur der Großgrundbesitz, der darüber klagt, sondern ich möchte fast sagen, noch viel mehr der Bauernstand. Es ist notorisch, daß im Osten der Monarchie Bauern, die früher fest an ihrer Scholle hielten, jetzt geneigt sind, diese Scholle zu verkaufen, aus dem einfachen Grunde, weil es dem Bauern, wenn er keine eigenen Kinder hat, die ihm bei der Arbeit helfen, häufig nicht mehr möglich ist, Gesinde zu bekommen, und weil er ohne fremde Hilfe seine Scholle nicht bearbeiten kann. Aber auch wenn der Bauer er—⸗ wachsene Kinder hat, kommt es häufig vor, daß sie den Vater ver⸗ lassen und in die Stadt ziehen, und dadurch ist der Mann schließlich gejwungen, seine Scholle zu veikaufen. Aus verschiedenen Kreisen im Osten ist mir die traurige Erscheinung mitgeteilt worden, daß im Bauernstande immer mehr die Neigung zunimmt, sich seiner
heimischen Scholle zu entäußern, und das halte ich sozialpolitisch
und wirtschaftlich für außerordentlich bedenklich.
Wenn es sich um die Auswanderung nach Amerika handelt, dann ist alles darüber einig, daß eine Auswanderung von Deutschen immer ein Verlust für das Land ist, und daß man alles tun müsse, um dieser Auswanderung nach fremden Ländern möglichst entgegentreten. Für das platte Land sind aber die Arbeitskräfte, die nach den Städten ziehen, ganz ebenso ein Verlust wie die Auswanderung über See; denn der Fortgewanderte kommt fast niemals zurück.
Es kommt noch dazu, daß die jungen Leute, die im Militär dienen, namentlich in größeren Städten, auch häufig dauernd dort bleiben oder wenigstens nicht in die Heimat zurückkehren. Das städtische Leben hat eben für diese Leute einen größeren Reiz wie das ver— hältnismäßig einsame Land. Es ist in der Zeit der größten Arbeiternot versucht, durch Vermittlung der Militärbehörden eine Art Auskunftstellen zu schaffen für Reservisten, die entlassen sind, um ihnen Arbeitsstellen nachzuweisen, insbesondere auch auf dem Lande; von diesen Auskunftstellen ist aber nur ein verschwindend ge⸗ ringer Gebrauch gemacht worden. Also die Landwirtschaft verliert so ihre besten Arbeitskräfte, und daß die Landwirtschaft unter diesem Verlust schwer leidet, geht aufs deutlichste daraus hervor, daß wir Tausende von fremdländischen Arbeitern von einem ganz anderen Kulturzustande nach Deutschland hineinlassen müssen, damit nur die notwendigen Arbeitskräfte für die Feldarbeit zur Verfügung stehen. Mir hat ein Besitzer aus Franken in Bayern gesagt, daß er schon mit russisch⸗polnischen Arbeitern arbeiten müsse, weil er nicht mehr die nötigen heimischen Arbeiter fände. Es haben mir ferner Guts— besitzer gesagt, daß sie ihre Milchwirtschaft einschränken müßten, weil sie nicht mehr in der Lage seien, die notwendigen Arbeitskräfte für das Melken ihres Viehes zu bekommen. Also auf der einen Seite verliert die Landwirtschaft ihre Arbeitskräfte, auf der anderen Seite sind aber die Gemeinden und Gutsbezirke des platten Landes ver⸗ pflichtet, für diese Arbeiter, die nach den Städten abziehen, noch zwei Jahte lang und häufig weit darüber hinaus die gesamten Kosten der Armenpflege zu tragen. Diese Armenpflege wirkt bisweilen sehr eigentümlich; es müssen Gemeinden die Armenlasten tragen für Per sonen, die niemals im Orte gewesen sind. Der Fall kommt jeden Tag vor, daß eine Witwe einen Mann heiratet in irgend einer großen Stadt, der noch seinen Unterstützungswohnsitz in einer Gemeinde des platten Landes oder in einer kleinen Stadt hat. Dann folgen die Kinder der Witwe dem Domizil der Mutter, und die Mutter folgt dem Domizil ihres zweiten Mannes. Eine solche unglückliche Gemeinde bekommt dann unter Umständen eine Armenlast für ö, 6 Personen an den Hals, während die Personen, für die sie die Armenkosten vorzugsweise zu tragen hat, niemals in der Gemeinde gewesen sind.
Die Armenlasten sind für manche Gemeinden geradezu er⸗ drückend. Kleine Gemeinden, die ein Staatssteuersoll von 200 6 haben, bekommen manchmal Armenrechnungen aus den Induftriebezirken des Westens im vielfachen Betrage ihres Staatssteuersoll. Stellen Sie sich einmal vor, was das heißt, wenn eine Gemeinde das Vielfache ihrer Staatssteuern nur für einen Armenfall zablen soll.
Nun sind nach meiner Erfahrung die Gemeinden auch in einer taktisch viel ungünstigeren Lage als die Städte und namentlich die größeren Städte. Die Städte haben Beamte, die die Armengesetz gebung, die Entscheidungen des Bundesrats für das Heimatswesen, die Entscheidungen des Reichs⸗ gerichts, der Landesgerichte, des Oberverwaltungsgerichts in Armen sachen bis in alle Einzelheiten kennen. Die Gemeinden auf dem platten Lande stehen diesem Peozesse in der Regel ratlos gegenüber. Armenfragen sind unter Umständen sehr verwickelte Prozesse. Nun kann vielleicht ein ländlicher Gemeindevorsteher zum Rechtsanwalt nach der nächsten kleinen Stadt gehen, um sich Rat zu holen; die Herren Rechtsanwälte werden es mir nicht übel nehmen, wenn ich sage, die Kenntnis der Armengesetzgebung setzt Spezialstudien voraus, über die sehr viele sonst ausgezeichnete An— wälte, die in ihrer Zivilpraxis bestens Bescheid wissen, aber den Fragen des Armenwesens ferner stehen, nicht immer verfügen. Also schon die taktische Lage der Gemeinden und Gutsbezirke des platten Landes ist gegenüber den Städten, nament- lich gegenüber den großen Städten mit ihren ausgezeich⸗ neten fachtechnisch geschulten Beamten, eine ungünstige, und es bekommen nach meiner Ueberzeugung die kleinen Gemeinden eine Masse von Armenpflichten zu ihren Lasten, nur weil sie nicht mit dem nötigen tatsächlichen und prozessualischen Material ausgerüstet sind. Aber ganz abgesehen davon, wenn in dieser Weise, wie ja statistisch nachgewiesen, eine Abwanderung von dem platten Lande nach den Städten erfolgt, so kann man nicht das platte Land auch noch in solchem Unfange mit Armenlasten der Abgewanderten über⸗ lasten. Ich meine, hier ist der Grundsatz von Leistung und Gegen leistung der einzig zutreffende. Wo die Arbeitskraft benutzt wird, muß meines Erachtens auch der Schwerpunkt der Armenlasten liegen. Wir haben dieses Prinzip noch gar nicht einmal völlig durchgeführt; denn man könnte schließlich dazu übergehen, die Armenlast nur an den Aufenthaltsort zu knüpfen, wie schon anderweit vorgeschlagen. Wir haben nur die Frist für den Erwerb und Verlust des Unterstützungs⸗ wohnsitzes auf ein Jahr verkürzt und das Erwerbsalter herabgesetzt.
Es kann auch kein Zweifel darüber sein, daß in den arbeitenden Klassen der junge Mann mit 16 Jahren und ebenso das junge Mädchen selbständig erwerbsfähig sind und sich auch sehr häufig tatsãchlich selbständig ihre Existenz erwerben. Wenn das aber richtig ist, mässen sie in diesem Alter auch schon selbständig ihren Unterstützungswobnsitz erwerben können; die Grenje von 18 Jahren für die Erwerbung des Unterstützungswohnsitzes ist bei lden heutigen Erwerbtsverhäͤltnissen bereits ein Anachronismus.
Nun komme ich mit einigen Worten auf die Vorortgemeinden zu sprechen. Den Herrn Abg. Mommsen, dessen Ausführungen ich mit dem größten Interesse gefolgt bin, möchte ich doch bitten, diesen Gesetzentwurf nicht nur auf Berliner Verhältnisse anzuwenden. (Sehr richtig! rechts) Im Lande draußen, namentlich im Westen, sind die Verhältnisse wesentlich verschieden. Da können Sie seben, daß die Ar⸗ beiter, sobald die Arbeitszeit beendet ist, in die Eisenbahn. züge steigen oder in die elektrischen Wagen oder ihr eigenes Rad benutzen, um in großen Scharen in die Vororte zu fahren, wo sie ihren Wohnsitz baben, weil sie dort billiger und gesunder wohnen. Ist es da nicht eine Ungerechtigkeit der Gesetzgebung, daß von den Vorortgemeinden, wo der Mann nur seinen Wohnsitz hat, wo er aber keine Arbeit leistet, während der eigentliche Mittelpunkt seiner ganzen wirtschaftlichen Existen seiner ganzen Arbeitstätigkeit in dem Haupt⸗ ort, in der Großstadt liegt, wo die Fabrik ist undzwo er auch meist
8 4 — 2 — — = / e . 288 - . e i