Deutscher Reichstag.
33. Sitzung vom 1. Februar 1906, Nachmittags 1 Uhr 20 Minuten.
(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Tagesordnung: Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reichs haushalts⸗ etatss für das Rechnungsjahr 1906, und zwar die Spezialetats: Reichstag und Reichs amt des Innern.
Ueber den Beginn der Verhandlung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Abg. Dr. Müller⸗Sagan (fr. Volksp.) fortfahrend: Der Wunsch nach einem Generalsachregister wird sicherlich vom Hause sehr lebhaft geteilt. Ich fürchte nur, es wird eine große Schwierig. keit haben, ein folches Sachregister aufzustellen. Es müßte auf einen bestimmten Zeitpunkt begrenzt werden; man müßte etwa das Jahr 1956 oder 1905 als Endpunkt setzen. Ich hatte mich aber jum Wort gemeldet, gerade im Vertrauen auf das Entgegenkommen der Verwaltung des Reichstags und des Bureaus im besonderen, um eine Anregung aus der vorigen Session zu wiederholen. Sie betrifft die Anlage von Ferndruckern hier in diesem Hause. In anderen Parlamenten ist es üblich, daß die Mitglieder unter. richtet werden über die Neuigkeiten, die aus aller Welt in der Volksvertretung einlaufen. Wir sind nicht in der Lage, uns prompt eine solche Kenntnis zu verschaffen, wir müssen abwarten, big die Wolffschen Depeschen hier ausgelegt werden, und das ge— schieht eine Stunde später, als sie in Berlin einlaufen. or einigen Jahren mochte das noch leidlich sein, heute aber, wo die Redaktionen jedes größeren Blattes die Nachrichten sofort durch die Ferndrucker erhalten, wäre es an der Zeit, daß auch der Deutsche Reichstag — es heißt ja, Deutschland voran — diesen Kulturfortschritt mitmachte, und daß der Präsident oder das Bureau dafür sorgte, daß wir in den Besitz einer Anzahl von Fern⸗ druckern gelangen. Ferner wünsche ich, daß uns ein Primavista— Sitzungsbericht, also nicht ein wörtlicher, sondern zusammengefaßter Bericht hier schon im Verlauf jeder Sitzung in ähnlicher Weise zu⸗ gängig gemacht wird, wie er beispielsweise in der französischen Kammer in Ter Salle des pas perdus veröffentlicht wird. Die Einrichtung wäre ja furchtbar leicht zu treffen, es bedarf dazu bloß eines Abkommens der Reichstagsverwaltung mit einem der Bureaus, wie des Oldenberg⸗ schen Bureaus. Ich hoffe, daß der Präsident dieser Anregung Folge geben wird. Es müssen hier und im Abgeordnetenhause die beider⸗ feitigen Verhandlungen successive während der Sitzung ausgelegt werden.
Abg. Arendt (Rp.): In der Anerkennung der Geschãfts führung unseres Bureau ftimme ich mit dem Vorredner vollkommen überein. Ich freue mich, den Anregungen des Vorredners, namentlich bezüglich des Ferndruckers, zustimmen zu können. Heute haben wir nur zwei Exemplare der Depeschen des ‚Wolffschen Bureaus“ in unserem Lese⸗ zimmer, und diese beiden Exemplare sind fast regelmäßig von den Kollegen besetzt. Was die Anregung der Sitzungsberichte betrifft, so würde ich eine solche Einrichtung auch für sehr wünschenswert, aber für fehr schwer durchführbar halten. Die Vereinigung mit einem parlamentarischen Bureau würde nur zu Beschwerden der anderen Bureaus führen. Es würde ein offizieller Sitzungsbericht hergestellt werden müssen. Das Verlangen einer Voranzeige über die mut⸗ maßlichen Sitzungeverhältnifse des Reichstages ist der Ausdruck einer nur zu berechtlgten Klage. Es wäre sehr wünschenswert, wenn eine engere Beziehung zwischen Regierung und Reichstag einträte, sodaß die Mitglieder über Anfang und Schluß der Tagung rechtzeitig unter- richtet würden. Die Ueberweisung des „Reichtanzeigers. würde an' dem bisherigen Zustande nicht viel ändern, und ich bekomme tatsãchlich schon so biel Papier zu eschickt, daß mir davor graut. Etwas anderes wäre es mit der ä, . einer Publikation von bleibendem Werte, deren Zusendung an die Reichstagsmitglieder ich mit Freuden begrüßen würde. Auch die Anregung des Kollegen Erzberger kann ich gutheißen. Ich selbst erneuere den Wunsch des Abg. Gamp aus dem vorigen Jahre, den. Zugang zum Portal sJ bei den gärtnerischen Anlagen mehr berücksichtigt zu sehen. Auch die Klagen über das Restaurant haben wieder sehr zugenommen, nicht nur bezuglich der Qualität, sondern auch deshalb, weil es für die Gesundheit mancher Mitglieder des Hauses, so für die meine, zuträg⸗ licher ist, ihre Mahlzeiten außerhalb der Reichstagsrestaurants einzunehmen. Gewisse Bilder zur Ausschmückung des Hauses, die im Reichstagegebäude ausgestellt werden, fanden nicht den allgemeinen Beifall; es stellte sich aber nachher heraus, daß die Be⸗ stellung schon erfolgt war. In Zukunft würde es sich empfehlen, die Ausstellung vor der Bestellung stattfinden zu lassen. In dem so schönen Lesesaale des Hauses befindet sich ein Bild, das allge⸗ mein 5 das ist das Bild der Wartburg. Diese ist als solche absolut nicht zu erkennen, und im Vordergrunde stehen miß⸗ gestaltete Bäume, die in Deutschland nicht vorkommen; im Hinter⸗ grunde steht etwas, was größtenteils nicht als die, Wartburg“ erkannt wird, die es darstellen soll. Die Perle Mitteldeutschlands darzustellen, diesen Zweck hat das Bild nicht erreicht. Der Reichstag würde nur gewinnen, wenn wir dieses Bild im Lesesaal nicht mehr zu sehen genötigt sind. .
Abg. Schrader (fr. Vßgg): Wir können für die gegebene Anregungen nur dankbar sein, ich bin überzeugt, daß der Praͤsident sich die größte Mübe geben wird, ihnen zu entsprechen. Was den Reichsanzeiger“ betrifft, so kann die Ueberschwemmung mit Papier kein Grund sein, diesem Wunsche sich entgegenzustellen; in ge= bundenem Zustande wird er sehr gut aufbewahrt werden können. Für die Ausarbeitung des , , ,. wird es einer Anzahl sachkundiger Leute bedürfen; es ist aber selbstverständlich, daß eine Erneuerung von Zeit zu Zeit stattfindet. Der Redner äußert dann noch Wünsche bezüglich der Herstellung der Stenogramme des Reichtztags und bezüglich der Stellung der amtlichen Stenographen; vielleicht könnte dem amtlichen Stenographenbureau die Herstellung des gewünschten Primavistaberichts übertragen werden. Diese An—⸗ een werde vertrauensvoll dem Wohlwollen des Präsidenten anheim⸗ gegeben.
Abg. Graf Oriola (nl): Auch wir sind mit den Anregungen, welche die Abgg. Erzberger und Müller⸗Sagan gegeben haben, ein⸗ verstanden und schließen uns auch dem Wunsch des Abg. Arendt an, daß man versuchen möchte, etwas bessere Küchenverhältnisse im Hause zu schaffen. Namentlich diejenigen, die in Kommissionen zu aibeiten haben, müssen unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr leiden. Ein Teil unserer Kollegen, besonders solche, die auf die äußere Körper- pflege großen Wert legen, fragt erstaunt: Warum hat das preußische Abgeordnetenhaus einen Friseur und wir nicht? Auch damit sind wir einverstanden, daß möglichst dem gesamten Reichstag Ge⸗ legenheit gegeben wird, sich ein Urteil zu bilden über Bilder, die zur Ausschmückung des Hauses durch die Reichstagsbaukommission bestimmt werden. Die Methode, die jetzt für die Ausschmückung unserer Räume befolgt wird, ist nicht die richtige. In der Aus—⸗ schmückung unseres schönen Lesezimmers herrscht kein einheitlicher Geist. Man hätte zuerst die Künstler sich verständigen lassen sollen, dann würde man nicht so schreiende Gegensätze bekommen. Die Wariburg paßt allerdings gar nicht zu den anderen Bildern des Lesesaales, wenn ich es auch nicht so beurteile wie Herr Arendt. Es ist ein großer Mangel im Deutschen Rꝛichstag, daß wir bei der Ausschmückung des Hauses gar nicht den Eindruck gewinnen, daß wir uns in dem Raum befinden, wo das deutsche Parlament tagt. Es sollten doch auch Daistellungen aus dem Leben desselben jum Ausdruck kommen. In anderen Staaten würde man nicht unterlassen haben, den Moment darzustellen, wo der Reichstag nach Versailles kam, um Wilbelm J. den Wunsch auszusprechen, die deutsche Kaiserkrone anzu⸗ nehmen. Im übrigen schließe ich mich auch der warmen Anerkennung der Leistungen unseres Burgaus an, .
Präsident Graf von Balle strem: Die Anregungen, die von den verehrten Herren Kollegen nach den veischiedensten Rich⸗ tungen hin gegeben werden sind, werden gewiß eine sehr
aufmerksame Prüfung und in vielen Fällen gewiß guch ine Berückfichtigung finden. Natürlich bin ich nicht in der Lage, hier leich aleg mögliche aus den Aermeln zu schütteln und zu ver⸗ , fondern das muß erwogen werden. Was insbesondere ble Stellung unserer Hilferan leidiener anbelangt, so ist im vorigen Jahre eine größ nämlich die älteren, d ; ihre Besoldung benen. Die jüngeren rücken allmählich in diese Stellungen auf, und sie sind auch eber in der 39 in der sitzungs⸗ freien einen anderen Verdienft zu fuchen. Natürlich wird es auch weiter immer mein besonderes Bestreben sein, sehr pflichttreuen und Beamten alles das zu gute kommen zu. lassen Kräften steht und was ich tun kann.
beim Was
. ö zweckt. tzer
nehmigt.
Das Haus geht über zum Etat des Reichsamts des Innern. Die allgemeine Besprechung beim Gehalt des Staatssekretärs 50 9000 S eröffnet
Abg. Trim born Gentr.): Der grandiose Anschauungsunterricht, der in den letzten Jahren im fernen Osten für Fürsten und Völker erteilt wurde, hat allen Kulturstaaten ernste Lehren gegeben, aus denen zu entnehmen ist, daß nicht der Kriegsminifter, nicht der Staats fekretär des Auswärtigen Amts in einem Kulturstaat die erste Rolle spielen, sondern daß ihnen der Verwalter des Ressorts des Innern mindestens gleichwertig zur Seite steht. „Graf im Bart, Ihr seid der Erste. Die sozialpolitische Rückschau. mit der ich auch diesmal diese Debatte zu eröffnen die große Ehre habe, ist nicht be⸗ sonders erfreulich; es sind nur wenige Verordnungen auf dem Ge— biete des Arbeiterschuzes erschienen, anderseits muß der Entwurf über die Hilsskassen wohl auch hierher gerechnet werden. Aus—⸗ geblieben ist aber, und das stelle ich mit einer gewissen Besorgnis sest, die Vorlage wegen der Berufevereine; ich hoffe, daß sie recht bald vor uns eischeinen wird. Anderseits erwarte ich, daß eine Reihe Vorarbeiten des Reichtamts des Innern sich bald zu Gesetzentwürfen verdichten möge. Da handelt es sich zunächst um die Vorlage wegen Regelung der Heimarbeit. Die Auxsstellung Unter den Linden läßt keinen Zweifel darüber, daß die Dinge nicht so bleiben können. Es ist die böchste Zeit, daß etwas geschieht auf diesem Gebiet. Am erwünschtesten wäre uns eine großzügige, einheitliche Gesetzgebung, die das gesamte Heimarbeitsgebiet, auch die. Heimarheiter⸗ versicherung umfaßt. Zunächst und bald müßte wenigstens ein Gesetz uber die Krankenversscherung der Heimarbeiter gebracht werden. Ich frage den Staatssekretär direkt, haben wir in Bälde auf ein solches Gesetz zu rechnen? Ein weiterer Wunsch ist die Ausdehnung der Krankenversicherung auf die landwirtschaftlichen Arbeiter und. das Gesinde, die der Staatssekretär selbst für notwendig erklärt hat. Wie weit sind die gesetzgeberischen Vorarbeiten gediehen für die in Aussicht genommene Witwen. und Waisenversicherung? Wie steht es um die , der Kassen? In welchem Stadium befindet sich diese Angelegenheit, für die sich weite Kreise interessieren? Von der größten Wichtigkeit ist dann die Einführung des zehn⸗ stündigen Arbeitstages für Fabrikarbeiterinnen. Seit dem Vorjahre baben die süddeutschen Textilindustriellen sich für diesen Vorschlag erklärt; das ist ein hochbedeutsamer Fortschritt. Sämtliche Fraktionen, bis auf die rechten, haben sich auf einen Antrag gleich bei Beginn der Session auf Cinführung des zehnstündigen Arbeite⸗ tages vereinigt. Diese Tatsachen müßten auch auf das Reichsamt des Innern Eindruck machen. So etwas muß man sich eigentlich nicht abringen lassen. Neben der Kontrolle der Zuverlässigkeit oder Be= faͤhigung der bauausführenden Meister und Unternehmer müssen wir nach wie vor dringen auf eine reichsrechtliche Regelung des Bau arbeiterschutzes. Die Zahl der Unfälle hat sich sehr erheblich vermehrt. Der Zentralverband der christlichen Bauhgndwerker bat in einer Petition ein gan] genaues Programm dieser Bestimmungen aufgestellt, daz ich Ihrer Beachtung empfehle. Hinsichtlich der Sonntagsruhe hatte der Staatssekretär eine Revision der in Frage kommenden bundesrätlichen Verordnungen in Aussicht gestellt. Wie weit ist die Sache gediehen? Besonders dringend ist die Sache hinsichtlich der Binnenschiffahrt. Vor zwei Jahren erfolgte die Zusage des Staatssekretärs, Arbeits kammern einzuführen. Inzwischen ist Liese Frage sehr eingehend in den beteiligten Kreisen diskutiert worden, namentlich in der Richtung, ob selbfländige Arbeitskammern oder ob sie im Anschluß an die Gewerbegerichte errichtet werden sollen. Wie denkt das Reichs amt des Innern heute über die Sache? Sie hat ja ihre Schwierigkeiten, aber der große gewaltige Arbeiterstand, der nach Millionen zählt, wartet schon 16 Jahre auf die Schaffung einer Interessenvertretung, die andere Stande schon längst besitzen. Es muß Veistimmung hervorrufen, wenn in dieser Beziehung nichts ge⸗ schieht. Die große Bedeutung der Tarifgemeinschaften hel Kollege Gröber schon bei der ersten Lesung des Etats hervorgehoben Der Schwerpunkt liegt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnebmern, in der Preisgabe des Nichtverhandlunge standxunttes. Die schroffe Ablehnung der Arbeit⸗ geber, mit den Arbeitern zu verhandeln, Arbeiter ungemein aufreijend. Die Tarifverträge müssen rechtlich sichergestellt werden. Heute siebt es damit schlimm aus, auch nach der höchstgerichtlichen Entscheidung. Die Gerichte müßten er— kennen können, daß in einem anderen Streitfalle, wo keine aus⸗ drückliche Lohnverabredung getroffen ist, der Tarifvertrag der
Verbesserung eingeführt worden, daß nicht angestellt sind, das ganze. Jahr.
wünschen wir eine in der Anerkennung der Gleichberechtigung
gehört. wirkt auf die
Organisation maßgebend sein 1 der die Streitenden angehören. In swischen sollten die Tarifgemeinschaften und verträge von Reichs und Staats wegen . werden. Die Behörden sollten darüber wachen, und auch bei ihren eigenen Aufträgen immer solche Arbeiter beschäfligt werden, die auf Grund der Tarlfverträge bezahlt werden. Bie Thronrede hat leiber in diesem Jahre auch nicht einen Satz ent. halten über Maßregeln zu Gunsten deg Mittelstandes. Das führt zu der Meinung, als ob die soziale Fürsorge sich nur auf ben Arbeiterstand erstrecken soll. Ueber eine solche Anschauung sollte doch auch das Reichsamt des Innern hinaus sein. In der Frage des allgemeinen Befähigungsnachweiseg stebe ich auf dem Stand⸗ punkt des Abg. Erzberger, man braucht sich in dieser Frage nach keiner Richtung hin zu präjudizieren. Die Frage des kleinen Befähigung nachweises dagegen ist spruchreif, und ich hätte erwartet, daß die Thronrede eine Vorlage für RNese. Session., versprochen hätte. Wer einen Lehrling übernimmt, übernimmt gewissermaßen ein öffent⸗ siches Lehramt, er muß also seine Befähigung dazu nachweisen, wie jeder andere Lehrer. Das Ae e e fn. sollte der polizeilichen Kontrolle entzogen und einer fachmännischen Kontrolle unter- stellt werden. Die Forderung einer gesetzgeberischen Aktion gegn das Schmiergelderwesen müssen wir nach wie vor im Auge be⸗ halten. Besonderes Gewicht legen wir darauf, daß die wirtschaft⸗ lichen Verhältnisse des kleinen und mittleren Handelsstandes durch eine Statistik klargestellt werden. Durch eine große Enquete könnten wir uns ein unpartelisches Urteil verschaffen darüber, was berechtigt ist an Klagen über die großen Warenhäuser, und wie eventuell abgeholfen werden kann. Eine große Rolle spielt auf diefem Gebiete auch die mangelhafte kaufmännische Ausbildung. Wie bei den Maßregeln zur Hebung des Handwerks wird auch zur Abstellung der berechtigten 2 des kleinen und mittleren Kauf⸗ mannsstandes die Reform der Lehrlingsausbildung die Grundlage zu bilden haben, und darum hat die gesamte Oeffentlichkeit ein großes Inter-
effe daran, nachzusehen, ob auf diesem Gebiete alles in Ordnung ist.
Meine sozialpolitische Amschau und Rückschau wäre unvollständig, wenn fie nicht auch der fortschreitenden Organisation der Privatheamten ge⸗ dächte. Diefe Kategorie erstrebt jetzt u. a. bessere Bestimmungen über den Dienstvertrag und die Schaffung einer Interessenvertretung nach Art der Handwerkekammern. Meine Parten freut sich a. richtig dieser Bewegung und wird sich die e n en,. der Dur führung ihres Programms angelegen sein lassen, ohne daß wir uns natürlich auf jeden einzelnen Punkt desselben festlegen. Auch die Angestellten der Rechtsanwälte haben sich eine festere Organisation gegeben. Der große Bergarbeiterstreik, an dem mehr als 209 000 Krbeiter beteiligt waren, veranlaßt mich, die Erklärung zu wieder- holen, daß wir die reichsgesetzliche Regelung des Bergrechtes nach wie vor als Ziel erstreben; das ist für uns ein festes e f. Der Zusammentritt der internationalen Arbeiter chutzkonferenz in Bern zeitigte erfolgreichere Ergebnisse als die erste, die auf Anregung des Deutschen Kaisers 1890 in Berlin statt⸗ gefunden hat. Man hat sich endlich überzeugt, daß die Sozialpolitik zu ihrer erfolgreichen Durchführung der internatsonalen Mitwirkung bedarf. Wir danken dem Staatssekretär für die vorzügliche Vertretung, die Deutschland auf diesem Berner Kongreß gefunden hat; ich stelle fest, daß speziell der Direktor Caspar, wie ich, und nicht aus deutschem Munde, bestätigen gehört habe, durch sein geschicktes und sachkundiges Auftreten allgemein imponiert hat. Gedenken müssen wir noch in diesem Zusammenhange der Verdienste des im letzien Jahre dahin⸗ geschiedenen Unterstaatssekretärs Lohmann. Zur Förderung der soꝛial⸗ politischen Arbeiten des Reichsamts des Innern sind wir bereit, jede gewünschte Vermehrung der Kräfte zu bewilligen; vor allem wünschen wir die Ausgestaltung der betreffenden Abteilung zu einem Reichs arbeitsam Die Beihilfe für die internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz zur Unterhaltung des internationalen Arbeits⸗ amtes sollte von 8000 auf 10 000 M erhöht werden.
Abg. Fischer⸗Berlin (Soz.): Der Zustand, in dem der Vor⸗ redner den Staatssekretär des Innern an der Spitze aller Minister und Staatssekcetäre gesehen hat, kann nur eine Vision gewesen sein, denn in wachem Zustande kann er solche Vorstellung nicht haben. Auch wir fragen; Wo bleiben die Berufsvereine, wo bleiben die Arbeitskammern, wo bleibt das Reichsarbeitsamt, wo bleibt die Regelung der Heimarbeit? Der Abg. Trimborn macht sich ebenfalls zum Sprachrohr dieser Wünsche und Beschwerden, aber dann gibt er sich e nem unbegreiflichen Optimismug hin. Er entrollte eine unendliche Liste seiner Spezial⸗ wünsche, mit denen er wie das Mädchen aus der Fremde jedem eine Babe austeilte; wie kann er im Ernste glauben, daß das Reichsamt des Innern in der nächsten Zeit alle diese riesigen Aufgaben lösen und er⸗ füllen soll? Und wie kann der Abg. Trimborn bei der gegenwärtigen Zu⸗ sammensetzung der Regierung nur einen Augenblick glauben, daß es nur an dem guten Willen des Ressorts liege, daß diese Aufgaben gelöst werden? Der Abg. Trimborn redet hier von der reichsgesetzlichen Regelung des Bergwesens. und im preußischen Landtage treten seine Partei⸗ genossen mit dem größten Cifer für Lie partikulare preußische Regelung ein, um dem Reichstage diese Materie nicht zu überlassen. Maßgebend ist doch für die heutige Situation das Wort von der gefüllten Kompottschüssel. Dieses Wort kennzeichnet die Situation so klar, daß es beinahe wie die Worte, unter denen die Bestallung des neuen Generalstabschefs Moltke erfolgte. aus dem „Simplieissimus hätte stammen können. Die Soziale Praxis. hat. iüngst bei Eröffnung des Reichstags festgestellt, daß wieder einmal in der deutschen Politik die Sozialpolitik das Aschenbrödel sei; ja, wenn es mit guten Worten getan wäre!“ In 5. Jahren ist blutwenig an Sozialreform geschaffen worden. Die gut bürgerlichen Münchner Neuesten Nachrichten haben anerkannt, daß alle wirtschafllichen Vorteile den besitzenden Klassen zugute ge⸗ kommen sind. Vor einigen Jahren sagte der Abg. Hitze oder Trimborn, daß in der Zeit des Niedergangs der wirttschaftlichen Konjunktur die Sozialreform nicht durchgeführt werden könnte Widerspruch des Abg. Hitze) — dann sagte es der Abg. Trimborn - (Abg. Trimborn: Ich erst recht nicht! Der Minister von Rheinbaben wies auf die Lasten hin, die die Unternehmer für die soziale Fürsorge zu tragen haben. Im Verhältnis zu der Profitsumme der Unternehmer kommen die Beiträge der Arbeitgeber nicht in Betracht. Graf Posadowsky hat in einer Denkschrifr anerkannt, daß diese Beiträge nicht aus dem Kapitalstock bezahlt werden, sondern daß sie zu den Produktionskosten gebören und nur ausgelegt werden. Die Arbeitgeber zahlen höchstens 5— 5 pro Tag und Arbeiter. Der Finanzmin ister brüstete sich mit der hohen Ziffer der direkten Steuem der Be⸗ sitzenden. Es ist doch schlimm genug, daß der größte Teil des Volkes nicht einmal 900 M jährliches Einkommen hat. Es gibt in der deutschen Sozialdemokratie nicht einen einigen, der nicht jeden Schritt zur Sonialreform mit Freude begrüßte. Durch bloße Versprechungen und Wassersuppen freilich lassen wir uns nicht absprisen. Wir verlangen eine ernsthafte Sozialreform. Haben die Herren denn schon vergessen, wie die bürgerlichen Parteien bei dem ersten Unfallversicherungs- gesetz sich verhalten haben? Damals wurde dem Fürsten Bismarck vorgehalten, er wäre im Grunde eigentlich ein Sozialdemokrat. Erst auf unser Drängen ist der Reichstag in der Sozialreform vor⸗ geschritten. In der Verkürzung der Arbeitszeit sind uns einzelne Staaten noch voran. Wir haben nicht einmal den Zehnstundentag, geschweige den Achtstundentag. Die Regierung erklärte sich früher gegen den Zehnstundentag, und nun haben wir es erlebt, daß die Baum wollindustriellen den Z ähnstundentag selbst eingeführt haben.
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Wir Sozialdemokraten wollen den Arbeiter vor den Folgen der
kapitalistischen Produltionsweise schützen, und zu diesem Zwecke nsche Verkürzung der Arbeitszeit, wir wollen die Widerstandskraft der Arbeiter durch Organisalionen schüßen. Des wegen treten wir für die Koalitionsfreibeit der Arbeiter ein. Von diesem Gedanken haben wir beute vom Abg. Trimborn nichts Das Zentrum ist Lie ausschlaggebende Partei; es liegt an dieser, wenn wir auf diesem Gebiete nicht weiter kommen. Die ganze Sozialreform steht auf dem Paxier, wenn die Arbeiter nicht die Möglichkeit haber, durch ihre Organisaticnen sich bessere Lobn⸗
verhältnisse und bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Heute gehen die Unternehmer in den meisten Fällen Arbeiterschutzvorschriften fast ohne
bei Uebertretung der trafe auꝛf. Die Gewerbe⸗
ftoren erkennen allerdings an, daß die Arbeiter durch ihre In rfselonen fich in eine bessere Lage gebracht haben. Wie stellt
nun die Regierung, speziell die preußische Regierung, zu den Arbelterorganisationen? Der Minister von Rheinbaben sprach neulich pon frivolen Streiks. War etwa der Berliner, Elektrizitãtsstreit mmm! srivoler? Frihol, war vielmehr. die Augsperrung durch Arbeitgeber wegen einer solchen Bagatelle⸗ wie die, daß die Ar⸗ heiter mehr Lohn verlangten. Wer die Versippung der Industrie mit den Regierungsleuten kennt, kann sich über solche Urteile nicht wundern. Wie ftellt sich, die Regierung zu den Tarifverträgen? Der Direktor der Reichsdruderel erkennt den Buchdruckertarif nicht an. Der Virektor der Reichsdruckerei hat den ursprünglich verweigerten Tohn für den zweiten Osterfeiertag zwar gejahlt, aber die Ar⸗ Feiler hinterher entlassen, angeblich wegen Arbeitsmangels! Die Arbeitszeit wurde um zehn Minuten verlängert. Von Aucshilfs⸗ arbeitern hat man sogar ein polizeiliches Führungsattest verlangt, als handelte es sich um etrüger und Gauner. Die Gewerbein spektoren find einig in der Anerkennung der segentzreichen Tätigkeit der Arbeiter⸗ organisationen. Die Behörden aber, wie eine Werftdirektion, wollen mit diefer Organisation nicht verhandeln, Die Arbeiter am Nord⸗ ostfeekanal baten, daß ihnen nicht nach 4 Wochen, sondern nach 14 Tagen der Lohn ausgezahlt werde. Das wurde ihnen vom Kanal⸗ amt versagt, auch ein Vorschuß. Wenn so Reichsbehörden handeln, dann kann man sich über das Benehmen von. Stadtverwaltungen wie der Breslauer nicht wundern, wo der freisinnige Oberbũrger⸗ meister die Arbeiter in der ihnen gewährten Audienz in der bratalsten Weise, anschnauzte und dem Führer sogar seine Vorstrafe vorhtelt. Eigentuͤmlich ist auch die Haltung, die ein ostpreußlscher Gewerbeinspekter in seinem Bericht über einen Maurerstreik eingenommen hat. Er erwähnt zwar, daß in 45 Fällen wegen Bedrohung Arbeitswilliger Strafanzeige erstattet fei, aber nicht, daß nur in wenigen Fällen eine Verurteilung erfolgt ist. Daß kann man doch von einem Gewerbeinspektor verlangen, daß er ssber einen Streik, wenn er sich über ihn ausläßt, richtig berichtet. Aber vergessen darf auch nicht werden, wie die Gewerbeaussichts· heamten von oben drangsaliert worden sind, ihrer Amtepflicht in den denkbar engsten Bahnen zu genügen; der verflossene Handels. minister Möller, verbat sich direkt in ihren Berichten jedes Räfonement“. Unter diesen Umständen ist es fast zu verwundern, daß wir noch so viel von den tatfächlichen Zuständen auf dem Gebiete der Gewerbehygiene erfahren. Unser stetes Verlangen, die Gewerbeaufsicht durch Zuziehung von Frauen auszugestalten, ist zur Stunde noch ein frommer Wunsch; nur eine ganz winzige Zahl weiblicher Assistenten ist angestellt. Auf 435 Betriebe entfiel 1903 ein Aufsichtsbeamter, 1904 einer eist auf os! Allein in Preußen fehlen mindestens 40 Aufsichtsbeamte. Einmal im Jahre wenigstens sollte doch jeder Betrieb eine Revision erfahren; aber selbst diese be⸗ scheidene Forderung kann das gegenwärtige Personal nicht erfüllen. Und wie ungenügend sind die Repisionen selbst. In Berlin wurden
bloß 35 og, in Wiesbaden gar nur 29 0jo aller Betriebe revidiert.
Und obwohl die Beamten heute schon äußerst überlastet sind, denkt die preußische Regierung nicht an die Vermehrung der Beamten. Daß man pon den Gewerbeaufsichtsbeamten verlangt, sie sollten über die fültlichen Justände unter der Arbeiterschaft berichten, halte ich für zwecklos, wenn sie nicht gleichzeitig den Bericht erstatten über die sittlichen Zustände bei den. Unternehmern. Nach einer Ausführung des preußischen Finanzministers von Rheinbaben,
die die Rechte mit lautem Hört, hört! aufnahm, haben die Unter-
nehmer für die Arbeiter geradezu Ungeheures getan; denn der Durch⸗ schnittslohn, eingeschlossen die jugendlichen Arbeiter und die Frauen, sollte von 1888 bis 1903 von 612 auf 819 S, also um 33 5/0 ge⸗ stiegen sein. Diese statistischen Zahlen sind e d. es ist von einer solchen Steigerung der Löhne gar nicht die Rede. er Finanzminister war vordem Pol zeiminister in Preußen, und er wird vielleicht wissen, daß sein Vorgänger von Puttkamer vor dem Reichstage bei der Bekämpfung der Sozialdemokratie regelmäßig mit gefälschten Zitaten arbeitete Ünd Herr Möller hatte für die Klagen über die Fleisch= not nichts übrig als das Bedauern, daß die Arbeiter S dieses unverschämte Gesindel — auch noch täglich Fleisch essen wollten, da es doch genüge, wenn sie jwei Tage in der Woche Fleisch bekämen! Ein Mann, so bar alles sozialen Empfindenz, hat selbst auf der preußi⸗ schen Minifterbank wohl kaum je gesessen. Und wie steht es denn mit den Eisenbahnunterbeamten? Die Hülfebremser und Betriebsarbeiter baben Tagelöhne von 280 bis 240 M! Das sind die Löhne, die der Eisenbahnminister zahlt; die Steigerung beträgt in zwei Jahren ganze 10. 3; der Finanzminister stellt schlankweg die Behauptung auf, die Löhng seien um 3631/. o/o gestiegen! Dabei bestehen noch immer Arbeitszeiten von 12 bis 15 Stunden. Rücksichten auf die Privatunternehmer halten die Eisenbahnverwaltung ab, die Arbeitszeit zu verkürzen und die Löhne zu erhöhen. So ist es auch in staatlichen Bergwerkshetrieben. Die Gewerbeinspektoren erkennen an, daß, soweit in diesem Jahre Lohnsteigerungen für die Arbeiter eingetreten, sind, sie durch die teueren Lebens mittel⸗, ins⸗ besondere Fleischpreise wieder wett gemacht worden sind. Wer die Sozialreform nicht als Phrase und Lockmittel im Munde führen will, muß dahin wirken, daß die Regierung auf dem Wege der Soyzialreform fortschreitet, daß die Sozialgesetzgebung ins Marschieren kommt. Sie haben die Macht (Gum Zentrum), Ihren Einfluß auf die Regierung geltend zu machen, damit auch die Zahl der Gewerbe⸗ inspektoren vermehrt wird. 8
Abg. Pa ul i- Potsdam (d. kons. ). Der Staatssekretär bat im vorigen Jahre eine Revision des Krankenkassengesetzes in Aussicht ge⸗ stellt. Davon haben wir hier heute nichts gehört. Die Thron⸗ rede und der Reichskanzler haben ein Witwen⸗ und Waisengesetz ver⸗ sprochen. Auch davon haben wir nichts gemerkt. Wir sind der Meinung, daß ohne eine fundamentale Reform der sozialen Gesetz⸗ gebung alles andere Flickwerk ist. Die Verwaltungs kosten betragen allein jährlich 36 Millionen Mark; es muß also ein Fehler in der Gesetzgebung liegen. Aus den Zöllen sollen für die Witwen und Waisen 0 Millionen verwendet werden. Glauben Sie, daß diese Summe ausreicht? Es würden dazu 125 Millionen notwendig sein. Sollen etwa die Arbeitgeber allein die Lasten tragen und nicht etwa auch die Lute mit dem großen Einkommen im Volke? Wir sind ia gern für ein solches Gesetz, aber die Kosten dürfen nicht der ärmeren Bevölkerung, dem“ Mitteistande und den Arbeitern auferlegt werden. Deshalb ist, wie gesagt, eine fundamentale Aenderung dieser Gesetz⸗ gebung notwendig. Der kleine Handwerksmeister kann doch nicht . bejahlen als der reiche Bankier, darum müssen die Lasten gerechter verteilt werden. Auch der kleine Handwerker müßte bis zu einer ge⸗ wissen Höbe des Einkommens der Vorteile der sozialen Gesetzgebung teilhaftig werden. In diesem Sinne hat sich ja auch der Reichstag in einer Resolution ausgesprochen. Die Petition des Zentralverbandes der Bauhandwerker zum Schutz der Bauhandwerker ist akzeptal; eine andere Petition aus Hamburg scheint dagegen weit übertrieben, nament⸗ lich in der Angabe der Zahl der Unfaͤlle. Die , , ,. von denen der Abg. Trimborn sprach, haben günstig gewirkt nicht nur für die Arbeiter, sondern auch für die Arbeitgeber. Ich kann das aus meiner eigenen Branche bestätigen. Allerdings hat es im Mittelstande Mißmut erweckt, daß in der Thronrede von ihm gar keine Rede ge⸗ wesen ist. Der Reichsregierung können doch die Klagen des Mittel⸗ standes nicht unbekannt sein. Die Hauptsache ist, . man den Mittel⸗ stand nicht noch mehr belastet; das ist jedenfahs wichtiger als eine einzelstaatliche Förderung durch Gründung von Genossenschaften, Dienstbarmachung der Elektrizität usw. Wenn Industrie und Hand⸗ werk noch mehr belastet werden, so entsteht die Gefahr, daß wir mit dem Auslande nicht mehr konkurrieren können. Das ist auch für die Aibeiter gefährlich; denn mit dem Arheitgeber wird auch der Arbeiter brotlos. Als ich im vorigen Jahre fär den Befähigungsnachweis für das gesamte deutsche Handwerk eintrat, tat ich dies in dem Glauben, daß die große Mejorität des Handwerkz hinter mir stände. Das ist aber nicht der Fall. Selange sich das Handwerk nicht eines Besseren belehren läßt, muß ich von meinem früheren Veilangen abkommen. Ein anderes ist die vom Kölner Handwerker- und. Gemerbe⸗ tag vorgeschlagene Einführung der obligatorischen Gesellenprüfung. Vielleicht kann dadurch eine Besserstellung herbeigeführt werden.
Dasselbe gilt von dem sogenannten kleinen Befähigungsnachweis, von dem wir uni nicht . ob ihn die Regierung annehmen wird. Im Baugewerbe ist ja allerdings eine Wandlung in Vorbereitung. Vlelleicht Fann der betreffende Gesetzentwurf noch verbessert werden. Ber Abg. Fischer sprach von frivolen Streiks und be⸗ hauptete, daß beim Berliner Clektrizitätsstreik ginzelne, Arbeiter nur datselbe gefordert häften, was Arbeiter derselben Kategorie bei den anderen Fabriken bekommen. Dem muß ich entgegentreten,. Ein poltzeiliches Faährungzattest, wie es in der Reichsdruckerei gefordert wird, wird auch in prlvaten Betrieben verlangt, und das sst gegenüber manchen Glementen durchaus berechtigt. Wenn wirklich in der Esfenbahnverwaltung so geringe Löhne gezahlt werden, wie kommt es denn, daß Handwerksgesellen, die 4 0 bis 450 e Lohn bekommen, sich in den Eisenbahnwerkstätten melden? Manche von ihnen warten sogar jahrelang auf ihre Cinberufung. Der Abg. Fischer hat vielleicht übersehen, daß zu dem Lohne von 2, So s 1. in manchen Fällen ein Lohn von 140 K tritt, das wären auch 420 Sƽ. In der Eisenbahnverwaltung hesteht eben eine eigen artige Lohnjahlung. Im allgemeinen haben sich die Löhne gebessert und die Lebensweise des ien, durch die sozialpolitische Gesetz⸗ gebung gehoben. Das soll uns aber nicht hindern, die Lage der Arbeiter noch weiter zu verbessern. Ich bedauece, daß die Eisenbahn⸗ verwaltung. nicht auch wie einzelne Kommunen und Private ihren Arbeitern Feuerungszukagen bewilligt hat. Ebenso wie der Abg. Trim. born kann auch ich im Namen meiner Freunde erklären, daß es uns mit der Förderung der sozialpolitischen Gesetzgebung Ernst ist; aher die ö und Arbeiter dürfen dadurch nicht höher belastet werden.
Gegen 5o Uhr wird die weitere Beratung auf Sonnabend
1 Uhr vertagt.
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Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 14. Sitzung vom 31. Januar 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt die zweite 6 des Entwurfs des Staatshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1906 im Etat der landwirtschaftlichen Verwaltung fort.
Bei den ordentlichen Ausgaben zur Förderung der Fischerei beschwert sich
Abg. Wol gast (fr. Volksp.), wie hier kurz wiederholt sei, darüber, daß den Fischern im Kieler Hafen durch Polizeiver ordnung verboten worden fei, vom J. Mai bis zum 15. September mit engmaschigen Netzen zu fischen. Diese Verordnung habe den Zweck gehabt, die Kieler Sprotten zu schützen; den Fischern liege aber absolut nichts an dem Sprottenfang während dieser warmen Jahreszeit, denn die Preife seien so gering, daß sie die Ware in dieser Zeit nicht los würden. Der Redner weist noch darauf hin, daß innerhalb der Grenzen der preußischen Fischerei das Fangen mit Schleppnetzen perboten fei. Die Oberfischmeister seien aber meist gar nicht in der Lage, diese Verfügung auszuführen, denn die fremden Zeesen⸗ fischer nähmen, wenn der Poltzeidampfer komme, ihre Netze auf und enfflöhen. Es handle sich hier um eine nationale Frage; denn wenn bei uns nicht genügend Fische gefangen werden dürften, fo würden sie von Schweden usw. zu uns eingeführt. Diese Ware sei aber nicht so gut wie die unserige, weil sie durch den Transport leide.
Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski:
Ich bitte zunächst die Herten Vorredner, die zu dem vorigen Titel gesprochen haben, um Entschuldigung, daß ich es übersehen habe, ihnen vor Schluß der Debatte auf ihre Anfragen und An⸗ regungen zu antworten; ich werde bei einem späteren Titel Gelegen⸗ heit nehmen, dies nachzuholen.
Was die letzte Anfrage anlangt, so habe ich bereits in der Budgetkommission die Erklärung abgegeben, daß ein besseres Fahrzeug für den Oberfischmeister beschafft werden soll. Das Bedürfnis hierfür wird von seiten der Landwirtschafts verwaltung anerkannt. Wie das Fahr⸗ zeug auszugestalten ist, kann ich heute noch nicht sagen; das hängt ab von dem Ergebnis der Verhandlungen, besonders auch mit dem Herrn Finanzminister. Ich möchte hierbei aber hervorheben, daß die Ver⸗ stãrkung der Aufsicht des Oberfischmeisters nicht die Folge haben kann, daß die Aufsicht nun über die Hoheitesgrenze hinaus ausgeübt werden darf, dies ist für die Ostsee bei dem Mangel eines internationalen Ab⸗ kommens nach dieser Richtung nicht möglich.
Was die Frage der Fischerei in der Kieler Bucht anlangt, so erkläre ich mich bereit, in eine Ermittlung der Sache einzutreten, da sie bis jetzt in die Instanz des Ministeriums nicht gekommen ist; ich bin bereit, durch meine Kommissare untersuchen zu lassen, ob den Fischereiinteressenten nach der einen oder anderen Richtung hin geholfen werden kann.
Bei den Ausgaben für Landesmeliorationen, Moor-, Deich⸗, Ufer- und Dünenwesen richtet
Abg. von Klitzing (kons) an den Minister die Bitte, für eine Beschleunigung der Revision der Meliorationsprojekte in der Zentralinstanz zu sorgen. Die Hauptschuld an den . trage die Bauverwaltung. Es solle deshalb lieber die Revision der Meliorationsprojekte in der Provinzialinstanz stattfinden. In die Provinzen seien allerhand neue Beamte gekommen, aber trotzdem gehe alles an die Zentralinstanz.
Abg. Löfcher (fr. kons.) bittet den Minister um Begünstigung des Meliorationeprojekts für das Friesacker Luch.
Minister für Landwirtschaft 2ꝛc. von Podbielski:
Auf diese Anfrage habe ich kurz folgendes zu erwidern: Ich gebe Herrn von Klitzing vollständig zu, daß vielfach jetzt die Aufarbeitung kleinerer Meliorationsprojekte lange Zeit erfordert und manchmal die Leute darüber mißmutig werden. Ich bitte aber, auf der anderen Seite bedenken zu wollen, daß in früheren Jahren erhebliche Klagen gegen die landwirtschaftliche Verwaltung erhoben wurden, daß Meliorationsprojekte in Angriff genommen würden, die noch nicht genügend durchgearbeitet wären. Ich kann eine ganze Reihe solcher Sachen anführen, die nicht so geglückt sind, wie ich es im Interesse der Betreffenden wohl gewünscht hätte. Ich bitte, auch ferner bedenken zu wollen, daß wir, wenn die Projekte aufgestellt sind, mit der Provinz verhandeln müssen wegen der Be— teiligung und Beschaffung von Provinzialbeihilfen. Alles das trägt zu meinem großen Leidwesen zu einer Verlangsamung bei. Prinzipiell stehe ich als Vertreter der Landwirtschaft auf dem Standpunkt, daß nach dieser Richtung eine gewisse Dezentralisation erforderlich ist. Aber wieweit sie durchführbar ist, wieweit die anderen Ressorts, die hierbei mitzuwirken haben, bereit sind, darauf einzugehen, darüber kann ich augenblicklich keine Eiklärung abgeben. Ich stehe aber, wie ich wiederholen will, auf dem Standpunkt, daß die Dezentralisation vielfach zu einer Verbesserung der Verhaͤltnisse führen würde. ö
Betreffs des Friesacker Luchs möchte ich erklären, daß ich hoffe, daß im nächsten Etat die erforderlichen Summen hierfür werden ein⸗ gestellt werden, und daß damit dies bedeutsame Kulturwerk in Angriff genommen werden kann. Ich möchte auch den Herrn Vorredner darauf hinweisen, daß bei diesen großen Meltorationen es erst immer die Folgeeinrichtungen sind, die ein solches Projekt für den einzelnen wirkfam machen (sehr richtig), und daß bei der augenblicklichen Lage der Landwirtschaft ich hoffe, daß die Interessenten auch die Mittel besitzen werden, um die Folgeeinrichtungen in vollem Umfang durch⸗ zuführen; denn damit wird zweifellos ein großes Gebiet in der Nähe von Berlin erschlossen, das dann landwirtschaftlich höher auszunutzen sein wird, als es leider heute geschieht. .
Abg. Dr. Jäne cke (nl) bittet um eine Besserstellung der Deich⸗ vögte in der Probinz Hannober und befürwortet namentlich, daß die Tagegelder und Reisekosten pensionsfähig gemacht würden. Diese An= gelegenheit möge umsomehr mit Wohlwollen geprüft werden, als auch ein politisches Moment dabei in Frage komme.
Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski:
Ueber die Stellung der Deichvögte in Hannover ist bereits in früheren Jahren in der Budgetkommission verhandelt worden. Wie schon der Herr Vorredner angedeutet hat, würden wir auf ein ganz schwieriges Gebiet kommen, wenn entgegen den allgemeinen Grund sätzen die Einnahmen an Reisekosten und Tagegeldern bei diesen Beamten für pensionsfähig erklärt würden, und es wird wohl schwerlich möglich sein, diesen Vorschlägen des Vorredners zu folgen.
Wenn der Herr Vorredner eine gewisse Berechtigung der Ansprüche aus den Anstellungsverhältnissen der Deichvögte zu hannöverscher Zeit herleiten will, so möchte ich mir erlauben, darauf hinzuweisen, daß von den zur Zeit angestellten 12 Deichvögten — soweit mir erinnerlich ist — keiner auf Grund der alten hannöverschen Pensions— ordnung zur Anstellung gelangt ist. Bei diesen müßte ich zweifellos eine gewisse Billigkeit anerkennen; aber die jetzigen Stelleninhaber suchen die alte Ordnung heraus, obgleich sie erst später als Militär- anwärter in die Stellung gekommen sind und — das muß ich auch hervorheben — wesentlich besser dotiert sind als nach der alten hannöverschen Ordnung. Die Bezüge dieser Beamten sind gestiegen; ich habe die Zahlen nicht zur Hand, da ich von der Anfrage nichts wußte, und kann nur konstatieren, daß ihre Be jüge heute besser sind als früher. Sie bekommen rund 1200 bis 1600 M an festen direkten Bezügen nebst den Wohnungsgeldzuschüssen der mittleren Beamten und außerdem Tagegelder für auswärtige Beschäftigung in beträcht⸗ licher Höhe; sie haben hiernach ein durchschnittliches Einkommen von etwa 2500 bis 3000 M Es sind sehr umworbene Stellen (Abg. Dr. Jänecke: sehr richtigh, die ausschließlich Militäranwärtern vor— behalten sind, die also gleich vom ersten Tage derartige nicht un= bedeutende Bezüge haben. ;
Meine Herren, in der prinzipiellen Frage wird das hohe Haus im vollen Einverständnis mit der Budgetkommission daran festhalten, daß Reisekosten und Tagegelder nicht als pensionsfähig angesehen werden. Das würde weitgehende Folgerungen für alle Beamtenklassen haben, und es ist zur Zeit nicht denkbar, solche Wünsche zu erfüllen. Ich will aber die allgemeinen Anstellungsverhältnisse nochmals prüfen und völlig klar legen, und die Herren dürfen sich überzeugt halten, daß ich auch nach dieser Richtung hin volles Wohlwollen walten lassen werde. Bravo! rechts.)
Bei dem Titel Unterhaltung von Deichen, Dünen, Ufern und fis kalischen , so wie nichtschiffbaren Flüssen (129 850 M)“ trägt
Abg. Graf von Molt ke (freikons) eine Reihe von Spezial⸗ wünschen für die Provinz Schleswig⸗Holstein vor, bleibt aber auf der Tribüne völlig unverständlich.
Bei dem Titel Vorarbeits- und Verwaltungs⸗ kosten in Landesmeliorations- und Deichbau— angelegenheiten und Subventionen für Wiesenbau⸗ techniker, ferner für das Moorwesen usw.“, der gegen das Vorjahr im Ordinarium um 30 000 6 erhöht worden ist, verbreitet sich
Abg. Mooren (entr.) über das gegenwärtige, nach seiner An= sicht zum Teil noch recht mangelhafte System der Abführung der Abwässer der großen Fabriken.
Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski:
Ich möchte dem Herrn Abgeordneten folgendes antworten. Zu scheiden sind zwei Fragen. Die erste Frage ist die allgemeine Frage der Verunreinigung der Flüsse. Ich habe bereits Gelegenheit gehabt, dem hohen Hause gegenüber mich dahin auszusprechen, daß zweifellos wir auf diesem Gebiete energischer vorgehen müssen. Aber ich kann nur anerkennen, daß die Städte — Rheydt und Gladbach, glaube ich — die hier in erster LZinie in Frage kommen, eine Reihe von Kläranlagen geschaffen haben, die meiner Ansicht nach dazu beitragen werden, das Wasser wieder zu verbessern.
Die zweite Frage betrifft die alten Meliorationsgenossenschaften. Da sind zur Zeit — wenn der Herr Abgeordnete sich erkundigen will — Verhandlungen im Gange, bei denen wir leider noch nicht das Entgegenkommen gefunden haben, das zu finden ich gewünscht hätte. Meine Herren, das sind sehr schwierige Fragen. Sowohl der Herr Finanzminister wie die Landwirtschaftliche Verwal- tung sind bereit gewesen, auf gewisse ältere Staatsdarlehen ganz oder zum Teil zu verzichten, aber nur unter der Bedingung, daß das betreffende Meliorationswerk besser ausgebaut wird. Dazu wollen sich die Beteiligten noch nicht ganz verstehen. Aber ich bin bereit, mit vollem Wohlwollen an die Sache heranzugehen, und hoffe immer, auch das Verständnis bei den Anliegern zu finden, daß sie nun bereit sind, an eine neue bessere Melioration heranzugehen, die natürlich nicht ganz auf Staat und Provinz übernommen werden kann, sondern an der sich die Anlieger auch mit entsprechendem Kapital beteiligen müssen.
Bei dem Dispositionsfonds zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Vereine und zur Förderung der Landkultur im allgemeinen, der 640000 M beträgt, bedauert
Abg. Dr. Becker (Zenfr.), daß dieser Fonds keine Erhöhung er⸗ fahren habe. Die Zuschüsse für die landwirtschaftlichen Vereine müßten bei deren großer Bedeutung für die Landwirtschaft erhöht werden. Namentlich bleibe den Vereinen für Prämiierungszwecke in der Pferdezucht viel zu wenig 46 Die Staatsgelder sollten weniger für die Einfuhr zweifelbaften Duꝛchschnitts materials verwendet werden. Der Staat solle nicht, bloß die Renn⸗ vereine unterstützen, sondern auch die landwirtschaftlichen Vereine, welch! die Kaltblutzucht auf ihre Fahne geschricben baben. Die kleineren Züchter, die sich der Kaltblutzucht widmen, müßten den Augsstellungen fern bleiben, während belgische
Pferde auf den Ausstellungen aus Staatsmitteln vrämiiert würden. Es sei von sachverständiger Seite, auch vom Oberlandstallmeister an⸗