Deutscher Reichstag. 45. Sitzung vom 16. Februar 1906, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Tagesordnung: Fortsetzung der zweiten Beratung des
Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reich s⸗
,,,, . für das Rechnungsjahr 1906, pezialetat: Reichsamt des Innern.
Ueber den Beginn der Verhandlungen, die mit Kapitel 12 Titel 1J der fortdauernden Ausgaben; „Gesundheitsamt“ fort⸗ gesetzt wurden, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Abg. Dr. Dahlem Gentr.) fortfahrend: Ich muß hier einen sonderbaren Fall vortragen. Es sollten 90 900 1 Rotwein nach Südafrika geliefert werden. Man wandte sich an zwei Berliner Firmen und zog Sachverständige heran. Diese brachten Proben mit und boten ihre Weine an. Darauf ging die Kolonialverwaltung — ich . keinen parlamentarischen Ausdruck dafür — ein, und die Sachver⸗ tändigen wurden mit ganz erheblichen Bestellungen bedacht. Wenn eine wirkliche Kontrolle, namentlich in Berlin, ausgeführt würde, würden die Klagen der Winzer verschwinden. Die Kunstweine würden zurücktreten und der Naturwein zu seinem Rechte kommen. Die Weinkontrolle kann aber nur nützen, wenn sie so durchgeführt wird, wie in Bayern, wo
ungensachverständige zugezogen und die Chemiker an aus dem
piele gelassen werden. Zu diesem Zwecke müßte Kellerkontrolle im Hauptamt angestellt werden. Die Lage des Ehrenkontrolleurs ist e g. finanziell so heikel und abhängig, daß er Bedenken tragen wird, fein Amt wirksam auszuüben. Diese Kontrolleure müßten dann periodisch etwa im Reichsgefundheitsamt zu Konferenzen zusammen treten. Es würde gar nicht schaden, wenn die beratende Behörde des Reichsgesundheitsamts auch einmal beraten würde. So kann es nicht weitergehen mit dem Winzergewerbe. Es werden heute geradezu lächerliche Preise gezahlt wie 18 3 pro Liter. Selbst ein Durchschnittspreis von 40 „ deckt die Kosten des Winteis nicht. Dem, entspricht denn auch das Sinken des Grundstückspreises. Wird hier keine Abhilfe geschaffen, so ist zu be⸗ sorgen, daß die Zahl der Unzufriedenen vermehrt und diese der äußersten Linken zugeführt werden. Der m,, hat gezeigt, daß der Betreffende viel mehr Wein besaß, als in der Gegend wächst. Da ist es kein Wunder, daß die Naturprodukte als unverkäuflich liegen bleiben. Es muß aber rasch geholfen werden. Der Staatssekretär hat gestern eine nochmalige Prüfung des Weingesetzez versprochen. Diese Prüfung ist gar nicht mehr nötig. Unsere Debatte hat dem Auslande den Beweis erbracht, daß die große Masse der Winzer ver⸗ langt, daß die wenigen Panscherelemente . werden, dieselben Glemente, die den Stand schänden. Das Ausland hat keine Ver⸗ anlassung, heuchlerisch die Augen zu verdrehen, gepanscht wird überall. Wir haben die Verpflichtung, der Regierung ganz genau den Weg vorzuzeichnen, den sie gehen soll. Ich für meine Person habe dies Möchte der Staatssekretär schleunigst einschreiten!
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Ich möchte zunächst bemerken, daß mich der Herr Abgeordnete in bezug auf meine Stellung zu den Kellerkontrolleuren offenbar miß— verstanden hat. Ich habe fast dasselbe ausgeführt, was er heute ver⸗ treten hat. Ich habe erklärt — ich habe mir den Oldenbergschen Bericht kommen lassen —:
Meine Herren, ich gestehe ohne weiteres zu, daß eine Kontrolle, wie fie in Bayern, in der Pfalz jetzt mit sichtbarem Erfolg geübt wird, meines Wissens durch selbständige Beamte, einer ehren⸗ amtlichen Kontrolle bei weitem vorzuziehen ist. Darüber kann gar kein Zweifel sein. Ueberhaupt, je länger wir öffentliches Leben haben, je mehr wird man sich überzeugen, daß alle die Aufgaben, deren Lösung man von der Selbstverwaltung erwartet hat, auf vielen Gebieten von berufsmäßigen Beamten doch wirksamer erfüllt werden können.
Ich habe aber hinzugesetzt, meine Herren, und das ist nur die Fest— stellung einer Tatsache und nicht einer Ansicht:
Aber Preußen hat einmal jetzt zunächst die nebenamtliche Kon⸗ trolle eingeführt, und die preußische Regierung wird, glaube ich, zur Zeit nicht geneigt sein, dieses erst seit kurzem eingeführte System schon wieder zu verlassen.
Ja, Herr Abgeordneter, Sie dürfen mich nicht immer nur mit Preußen identifizieren. (Heiterkeit) Ich vertrete hier im Reichstage in Stell—⸗ vertretung des Reichskanzlers die Gesamtheit der verbündeten 26 Regierungen, und diese 26 Regierungen sind keineswegs immer derselben Ansicht. (Heiterkeit) Ich habe mir alle mögliche Mühe gegeben, dahin zu wirken, daß die Kellerkontrolle, und zwar eine unabhängige, sachverständige und scharfe Kellerkontrolle, so bald als möglich in den Bundesstaaten eingeführt werde. Ich habe aber, da die Ausführung den einzelnen Staaten überlassen ist, keinen ent scheidenden Einfluß darauf, namentlich auch nicht auf den größten Staat, Preußen. Ich empfinde vollkommen, welches Gefühl den Winzer beschleichen muß, der auf den steilen Felsenhängen bei glühender Hitze hacken oder den Dünger hinauftragen muß, der bei nassem Wetter das glatte Gestein in seinen Weinbergen hinaufklimmen muß, um den Rebstock zu pflegen und so einen trinkbaren Wein zu erzeugen; ich sage, ich kann dem Winzer nachempfinden, wenn er dann erfährt, mit welchen Mitteln in manchen Kellereien das vielfache Quantum von dem erzeugt und verkauft wird, was er selbst in harter Arbeit der spröden Natur ehrlich abringt. Meine Herren, jeder billig denkende Mensch muß das mitempfinden, und was an mir liegt, so soll es nicht fehlen, auf weitere Abhilfe zu sinnen. Aber ich vertrete hier nicht meinen Standpunkt, sondern ich kann nur den Standpunkt der verbündeten Regierungen vertreten. Wenn deshalb eine andere gesetzliche Regelung der Materie er—⸗ folgen sollte, könnte dies nur geschehen, wenn ich die Mehrheit der Regierungen auch von der Nützlichkeit solcher Regelung zu überzeugen vermag. (Bravo! rechts.)
Abg. Dr. Blanken born (ul.): Ich muß zunächst Ver- wahrung gegen die Art und Weise einlegen, wie gestern zwei Redner aus einzelnen Fällen Schlußfolgerungen gezogen haben, aus denen man den Eindruck bekommen kann, als ob alle deutschen Weinhändler und Winter Fälscher und Betrüger seien. Dadurch haben sie dem deutschen Weinbau einen schlechten Dienst erwiesen. Im Interesse des letzteren muß ich mein Bedauern darüber ausdrücken, obgleich ich den Herren zugute halten will, daß sie ihre Ausführungen in guter Absicht gemacht haben. Wir wollen gern mitarbeiten, um den richtigen .. zu finden, auf dem den Uebelständen abgeholfen werden kann. ir haben es seit Jahren getan und werden die Bestrebungen der verbündeten Regierungen auch, weiter unter⸗ stũtzen. ie in Preußen nun seit einem Jahre eingerichtete Kon, trolle hat sich als unrichtig erwiesen. In dem Kommissionsbericht des Abgeordnetenhauses über die dortigen Verhandlungen finden Sie die Mitteilung eines Regierungsvertreters, daß in Preußen 573 Kon- trolleure angestellt sind, Chemiker, Aerzte, Kaufleute usw., Leute, die schon gestern bier als Sachverständige bemängelt worden sind. Von den Chemikern ist ja schon erwähnt, daß sie die Leute sind, die den Weinpanschern die Rezepte liefern, womit ich natürlich nicht
getan.
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sagen will, daß sie alle dessen verdächtig wären. Wie wird die Kon⸗ trolle geübt? Hier in Berlin sind 4 Apothekersachverständige ö haben 523 Betriebe revidiert und so gut wie nichts gefunden. ehnlich ist es in Danzig; in Stettin, wo 5 Apothekersachverständige sind, ist guf Grund der Revlsionen eine einzige Bestrafung mit 19 4 erfolgt. Nun läßt sich aber Preußen durch diese Menge von Sachverständigen und die vielen Kontrollen, die vorgenommen werden, die Sache viel Geld kosten. Es sind im ,. Jahre 25 543 Betriebe revidiert worden. Die Sachverständigen bekommen, wie aus dem Kommissions⸗ bericht hervorgeht, 3 bis 4 „ für jede Revision. Rechnen Sie nur 3. c, so kommen Sie auf eine Summe von über 60 00090 M Für diese wäre es möglich, Sach verständige im Hauptamt zu berufen, die bezüglich der Kontrolle mindestens zehnmal mehr leisten würden. J . daß man auf diesem Wege zum Ziele gelangen würde. IJ in gegen eine Weinsteuer, die Graf Kanitz gestern als unbedingt not⸗ wendig für die Reform hingestellt hat. er Weinsteuer stehen ver⸗ fassungsmäßige Bedenken entgegen und um dieser willen ist das Gesetz auch 1894 gescheitert. Nach Artikel 40 der Reichs verfassung können nur diejenigen Bundesstaaten den Wein besteuern, die selbst Wein er zeugen. Bie deutschen Weinbauern haben sich ganz entschieden gegen eine Weinsteuer ausgesprochen. In Frankreich protegiert man direkt die Verwässerung, indem man bei den ins Ausland gehenden Weinen für diesen Zuckerverbrauch eine Rückvergütung erhält; und das ge⸗ schieht, obwohl es kein Geheimnis ist, daß unsere Schwarzwaldheidel⸗ beeren nach Frankreich zentnerweise gehen, um dort bei der Wein⸗ produktion ihre Dienste zu tun. Allseitig wird ferner die Kontrolle des Haustrunkes gefordert, die in dem 3 fehlt; wenigstens sollte man sie im Verwaltungswege einführen, desgleichen die Kontrolle des Tresterweines, der zur Branntweinfabrikation verwendet wird. Ehrhart hat den Haustrunk als das größte Uebel, als ein Gift bezeichnet, das verboten werden müsse. So allgemein trifft das nicht zu, es wird doch niemand sich selbst vergiften wollen. In vielen Fabrikbezirken stellt man den Haustrunk aus Trestern, aus Rosinen her, und die Arbeiter werden davon nicht lassen wollen. Auch die Freunde der Weinsteuer wollen nur eine solche Steuer, deren Aufkommen bei Heller und Pfennig zur Kontrolle verwendet werden soll, der Graf Kanitz will aber 50 Millionen für die Reichskasse heraus⸗ schlagen, um die Reichterbschaftssteuer zu verhindern; also die größten Widersprüche, die es zur Gewißhelt machen, daß diese Reichswein⸗ steuer überhaupt nicht kommen wird. Den Hauptwert legen wir aber darauf, daß durch Reichsgesetz die Nahrungö⸗ und Genuß⸗ mittelkontrolle und deren Durchführung durch die Bundesstaaten ein⸗ heitlich geregelt wird. Wenn der Abg. Dahlem die Abschaffung des Weingesetzes und die Rückkehr zum Zeitalter des Nahrungs mittelgesetzes empfiehlt, so hat er die Zustände, die damals herrschten, wohl nicht gekannt. Die Temperenzbewegung ist auch nicht zu unterschätzen; manche Weinrestaurants müssen 6 Vor⸗ kehrungen treffen, um sich gegen den abnehmenden Konsum zu schützen. Sogar der Restaurateur des preußischen Abgeordnetenhauses hat zu einem solchen Preisaufschlag der Speisen für den Fall, daß nichts getrunken wird, seine Zuflucht nehmen müssen. (Der Redner zeigt unter großer Heiterkeit des Hauses die bezügliche Speisekarte vor) Wir müssen ja tagtäglich die Erfahrung machen, 5. beim Essen entweder gar nichts oder wenigstens ein Fläschchen Selters—⸗ wasser dazu C(etrunken wird; da können die Weininteressenten natürlich keine Seide spinnen. Die zwangsweise Einführung eines Lagerbuches bei den Winzern würde keine Gegenliebe finden und keinen Nutzen haben. Ich stehe auf dem Boden der Buchkontrolle; der Standpunkt, daß der analysenfeste Wein unantastbar sei, muß ver⸗ lassen werden; es muß eine räumliche Begrenzung des Wasserzusatzes in das Gesetz geschrieben werden. .
Abg. Schmidt⸗Elberfeld (fr. Volksp.): Es könnte leicht aus der Debatte die Meinung abgeleitet werden, als ob in der deutschen Weinproduktion das Schmieren und Fälschen an der Tagesordnung sei. Das Gegenteil ist richtig. Die Winzer und Weinproduzenten sind ein durchaus ehrenwerter Stand, und die Fälscher und. Panscher sind Ausnahmen. Man hat wieder einmal in unzulässiger Weise generalisiert. Die Preise des Weines sind tatsächlich geringer geworden, aher das Schreien nach der Bestrafung des Fälschers erinnert doch sehr daran, wenn man nach verlorener Schlacht nach dem Verräter ruft. Ich bin deswegen keineswegs gegen eine schärfere Verfolgung der Schmiererei und auch durchaus gegen das übermäßige Strecken des Weineg. Aber mit dem gegen⸗ wärtig geltenden 3 ist tatsächlich ein Fortschritt gemacht worden; größere Fälschungen sind nur in einzelnen Fällen vorgekommen und die Fabrikation von Kunstweinen, die unter dem früheren Gese von 1892 groß geworden war, ist unter dem Gesetz von 1901 * ganz verschwunden. Auf diesem Wege muh fortgefahren werden. Die jetzt bestehende Verschiedenartigkeit der Kontrolle hat ja ihre besonderen Mängel. Wo sie am schärfsten ist, werden die meisten Verfehlungen entdeckt, und daraus erklärt sich die Annahme, dort seien die Fälscher zu Hause. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Was ist denn gestern hier Großes enthüllt worden? Eine große Weinhandlung am Mittel⸗ rhein soll jährlich für 20 000 Chemikalien gekauft . das hat in einer Zeitung gestanden. Wer ist diese Weinhandlung? Man soll doch mit konkreten Tatsachen kommen. In einem Cabaret soll jemand von Weingenuß krank geworden sein. Ja, wenn der Betreffende in einem Cabaret die Naturreinhtit der Dinge und der Menschen studieren wollte, so hat er sich in einem schweren Irrtum befunden. Es wurde endlich gesagt, daß ein Vater in Aljey seine beiden Söhne verführt habe. Diese seien bestraft worden, er selbst sei straflos geblieben. Ich kenne die Verhältnisse in Alzey sehr gut und muß bis auf weiteres diese Erzählung als unwahr zurückweisen und gegen die daraus gezogenen Schlußfolgerungen Protestieren. Leider bleibt von solchen Redereien immer etwas hängen. Um so not— wendiger ist es, die Winzervereine Hessens in Schutz zu nehmen. Die Einführung einer einheitlichen Kontrolle ist erwünscht. Ich bin ein—⸗ verstanden damit, daß die Sache im Rahmen des Nahrungsmittel⸗ gesetzes geregelt wird. Eine Buchkontrolle ist aber sehr schwer aus⸗ führbar, sowohl im Ausschank wie im Großweinhandel Auch die zeitliche und räumliche Beschränkung des Zuckerwasserzusatzes ist schwer zu kontrollieren und die Antragsteller hätten angeben müssen. wie diese Maßregel durchzuführen ist, denn die Ver⸗ hältnisse ändern sich in jedem Jahre. Die Deklarationspflicht für den Verschnitt von Rotwein und Weißwein ist ebenfalls bedenklich. Der Verschnitt erzeugt kein an sich ungesundes Getränk. Es ist auch gar nicht festzustellen, wo der Weißwein aufhört und der Rotwein anfängt. Unser Weinbau verdient mindestens dasselbe Vertrauen, wie der Weinbau der übrigen Länder. Man sollte das Vertrauen en,, Weinbau nicht durch unkontrollierbare Schauermärchen erschüttern.
Inzwischen ist folgende Resolution von den Abgg. Dr. Jäger, Baumann u. Gen. eingegangen:
Der Reichdiag wolle beschließen: Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage noch in dieser 8516 einen Gesttz⸗ entwurf vorzulegen, durch welchen der Artikel 10 Absatz 1 des Wein⸗ gesetzes vom 24. Mai 1901 folgende Fassung erhält:
Bis zur 5 , einheitlichen Regelung der Be⸗ aufsichtigung des Verkehrs mit Nahrungs⸗ und Genußmitteln sind einstweilen zur Ausführung des Weingesetzes und zur Ueber- wachung des Weinbaues und Weinhandels in jedem Bundesstaate besondere Beamte im Hauptamte für kleinere Bezirke anzustellen. Jede Weinhandlung ist der zuständigen Verwaltungsbehörde anzumelden.“
Abg. Vogt; Crailsheim (wirtsch. Vgg) — ö. der Journalistentribuͤne sehr schwer verständlich — tritt ebenfalls für die Einführung einer einheitlichen Weinkontrolle ein. Eine Aenderung des bisherigen Gesetzes sei nach der Richtung einer Verschärfung der Kontrolle unumgänglich notwendig. Es sei unerhört, daß Weine, die bis zu 60 Ho gestreckt werden, vor Gericht unbeanffandet ge⸗ blieben seien. Eine Buchkontrolle könne durchgeführt werden, ohne zugleich eine Weinsteuer einzuführen, wie es der Graf Kanitz empfohlen habe. Gegen diese Weinsteuer ef auch verfassungsmäßige Be⸗ denken vor, wie sie Württemberg schon im Norddeutschen Reichstag
Einführung einer Deklarationspflicht für die Verschnittweine wendig. Wenn die Kellerkontrolle durch Beamte im . überall ,, würde, so würde das Bedürfnis nach einer Aenderung des Gesetzes nicht so een sein.
Abg. Dr. Da vid (Soz): Graf Kanitz hat das Gespenst der Weinsteuer herangezogen und sie mit dem Motiy der Gerechtigkeit hegründet. Der Wein ist keineswegs . ein Luxug. Die Wein. steuer würde in erster Linie die kleinen Bauern treffen; auf die würde die Steuer abgewälzt werden. Es ist bezeichnend, daß auch der Abg. Stauffer die Weinsteuer empfohlen hat. Er bat eine Kontrollabgabe empfohlen, und das ist der erste Schritt zu einer Weinsteuer. Die große Masse der Wesnbauern und Weinbändler is durchaus gegen eine Reichsweinsteuer. Was auf den kleinen Wein bauer nicht abgewälzt werden kann, würde auf den kleinen und mittleren Kon= sumenten abgewälzt werden. Man begründet die Weinsteuer damit, d ohne sie eine wirksame Weinkontrolle nicht durchgeführt werden könne.
at aber der Fiskus einmal Blut geleckt, so wird er Appetit ekommen und möglichst viel einzuheimsen suchen. Man wird vielleicht sagen; Die Sonialdemokratie will nicht den Luxuz besteuern, sie will den Weintrinkern nicht wehe tun. Wenn wir diese Steuer ablehnen, so tun wir es, weil es nicht möglich ist eine klare Grenze zu ziehen zwischen Wein als Luxug. und Wein als Massenkonsum. Es ist zu befürchten, daß gerade die Ge, , getroffen werden würden, um die Steuer ertragreich zu machen. Warum besteuert man denn nicht die Delgemälde oder Edel. steine? Die müßten doch alle getroffen werden, ebenso die Besitzer von Rennställen. Wenn man den Luxus besteuern will, so besteuere man ihn, so lange er hübsch da ist, im Portemonnaie oder Geldschrank. Die einzige rationelle Luxussteuer ist die progressive Reichseinkommen, Vermögeng. und Erbschaftessteuer. Diese gerechten Steuern wollen Se (rechts)] aber nicht. Will man eine Ausgleichung herbei. führen, so beseitige man doch einfach die Branntwein. und Biersteuer. Der Rückgang des Weinkonsums und die Schwäͤdi⸗ gung der Winzer ist nicht auf die Abstinenzbewegung zurück⸗ zuführen, sondern auf die neue 54 und Steuerpolitik. Die Lebensmittel sind im allgemeinen so im Preise gestiegen, daß die mittleren Stände Ersparnisse im Weingenuß machen müssen. Wo der Stgat kontrollieren will, kann er es auch ohne ein fiskalisches Interesse. Wenn irgend ein Arbeiter, ein Streikbrecher einmal ein böses Wort sagt, so ist der Staat gleich hinter ihm her, und dann setzt es hohe Strafen, Der Staat kontrolliert so fein, daß beim Militär sogar die Gesinnung der jungen Leute festgestellt wird. Graf Posadowsky hat die nebenamtliche Kontrolle in Preußen fur unzulänglich erklärt. Als Mitglied des preußischen Staats ministerlums sollte er doch einen genügenden Einfluß haben; freilich st er bei den herrschenden Agrariern nicht gut ange— schrieben. In Preußen ist so gut wie gar keine Kon— trolle; man hat hier den Bock zum Gärtner gesetzt, indem man Apotheker und andere von den Weinhändlern abhängige Leute zu Kontrolleuren gemacht hat. Damit zeigt man, daß man keine strenge Kontrolle will. Die hohe Zahl der Weinfälschungsprozesse ist kein Beweis, daß dort mehr Wein gefälscht wird; es ist nur die Kontrolle strenger. Auf den Weinflaschen der Berliner Weinhändler sollte stehen: ‚Spreeblümchen“. Schon der Abg. Dahlem wandte gegen meinen ift n der g; Ehrhart ein, daß diejenigen, die den Haustrunk rsttellten, sich doch nicht selbst vergiften würden. Ja, dieser Haus— trunk geht doch durch verschiedene Hände, verliert guten Eigenschaften und wird vorwiegend von den Arbeitern getrunken. Wir sind gegen jede Panscherei; so sehr wir auch sonst für die Kunst sind, sind wir doch gegen den Kunstwein. Wir sind bereit, die Kontrolle zu verschärfen. Trotzdem wird aber noch sehr viel Wasser in den Wein gegossen werden und das Fälschergewerbe sein Wesen weitertreiben. Die Weinfälschung ist nur ein Abschnitt aus dem großen Kapitel der Nahrungsmittelfälschung und diese nur ein Teil der Fälschung über⸗ haupt, die in einer Gesellschaft, wo Geld und Besitz alles ist, gam selbstverständlich eine Hauptrolle spielt, weil die agd nach dem Geld in dieser Gesellschaft immer obenan steht. Die Weinsteuer aber wäre nichts als ein Ausbund von Ungerechtigkeit.
Abg. Dr. Jäger (Zentr.): Der Abg. David wird ja nicht zu⸗ geben, was gleichwohl wahr ist: Der ganze Wohlstand, die ganze Sicherheit der Existenz unserer Arbeiterbevölkerung be⸗ ruht auf dem Zolltarif. Ueber die Notwendigkeit einer strengen Kontrolle, einer strengeren als sie jetzt in den größten Bun det staaten geübt wird, ist die große Mehrheit des Hauses einig. Auf die reichsgesetzliche, einheitliche Regelung der Beaufsichtigung des Verkehrs mit Nahrungs⸗ und Genußmitteln können wir aber nicht warten, wenn die Mißstände im Weinhandel und in der Wein⸗ produktion nicht noch weiter um sich greifen sollen. Wir fordern also in unserer Resolution, daß einstweilen zur Ausführung des Weingesetzes und behufs Ueberwachung des Weinbaues und des Weinhandels in jedem Bundesstaate besondere Beamte im Hauptamt für kleinere Bezirke angestellt werden. Die Volls⸗ gesundheit muß geschützt werden; das Volk will reine, gesunde, un— gefälschte Weine trinken. Die Kontrolle kann nicht wirksam aut⸗ geübt werden, wenn sie im Nebenamt wahrgenommen wird. Ez müssen Beamte im Hauptamt, unabhängige Beamte angestellt werden. Wir müssen aber auch verlangen, daß jede Weinhandlung behördlich angemeldet und eingetragen wird; nur dadurch wird es möglich sein, den Weinpanschereien, die in den großen Städten, in Berlin, aber auch in k Nürnberg und anderswo betrieben werden, auf den Leib zu rücken.
Abg. Preiß ((Elsässery: Als Mitunterzeichner des Antrages Baumann bin ich natürlich ein Freund der darin vorgeschlagenen Maßregeln: Buchkonirolle, Deklarationspflicht für den Verschnitt von Weißwein mit Rotwein und wirksame Einschränkung der Ver⸗ zuckerung; aber mir gehen diese Anträge nicht weit genug. Der ratio⸗ nelle Weinbau ist im Elsaß, wie im ganzen Reiche, um die Hälfte zurückgegangen und der Winzerstand geht langsam dem Untergange ent⸗ gegen, während gewissenlose Spekulanten mit Hilfe von ebenso ewissenlosen Chemikern unter den nachsichtigen Augen des Gesetzes
ch in unerhörtester He bereichert haben. Wir brauchen eine rasche und durchgreifende Reform und eine Gesetzgebung, die für den Richter wie für den Laien verständlich und faßbar 1. muß. Das bestehende Gesetz hat es ermöglicht, in Gegenden, wo nur saures Zeug wächst und produziert werden kann, billige Weinsorten zu fabrlzieren, die dem Gesetz genügen, womit aber der reelle Wein— produjzent nicht konkurrieren kann. Das hat. die gesetz⸗ liche Erlaubnis zum unkontrollierten Zuckerwasserzusatz zu⸗ wege gebracht. Hier muß absolute Deklarationspflicht vor⸗ geschrieben werden; nur dadurch kann eine Gesundung dez ehrlichen Weinhandels und des ehrlichen Weinbaues bewirkt werden. Wer noch an dem bestehenden Gesetz herumdoktern will, 3 für eine
alle seine
streng räͤumliche und zeitliche Beschränkung des Zuckerwasserzusatzes fein. Die sogenannte Umgärung ist nur ein Vorwand fuͤr die Schmiererei⸗ manipulation. Ueber 25 o/o Zusatz halte ich für ausgeschlossen; sonst hat man es nicht mehr mit Wein, sondern nur noch mit einem chemischen Gemisch zu tun; daneben müßte als Endtermin für die Zuckerung etwa der erste Dezember festgesetzt werden. Von meinem weitergehenden Standpunkte auß begrüße ich die Resolution Jäger mit Freuden, denn sie macht wenigstens einen Anfang damit, 23 in n, g. Staaten, die mit einer strengen Kontrolle im Rückstande sind, Wandel zu schaffen. Für die Kontrolle kann sehr wohl, wenn man an dem Kostenpunkt Anstoß nimmt, eine Kontrollabgabe erhoben werden. Geht es nicht anders, 8 bin ich auch für die er , . Reichs weinsteuer. Wir in Elsaß⸗Lolhringen, dem größten Weinbaudistritt Deutschlands, . nicht so angftlich, wir schrecken davor nicht zurück. Allerdings darf es nicht eine Steuer von 10 M für das Hektoliter nach des Grafen Kanitz Vorschlage sein; aber eine mai. Wein steuer, die uns die Buchkontrolle ermöglicht, würden wir akzeptieren.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
durch den Mund des Ministers von Mittnacht geäußert habe. Die
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
ir in den Reichslanden haben eine Weinsteuer, an die die Wein; 2 bei uns vielfach anknüpft; bei uns lassen diejenigen, die mit gestrecktem Wein handeln, diesen don außen kommen, von der Pfalz und anderswo her, wo eine solche Steuer nicht besteht. Dieser Zu⸗ stand würde mit einem Schlage beseitigt, wenn eine allgemeine Wein⸗ steuer bestände; dann würde den Fälschern sofort ihr Handwerk gelegt en können. . 1, Dr. Wol ff (wirtsch. Vg): Die Großgrundbesitzer im Ossen haben für höhere Zölle auf Traubenmaische und frische Trauben gestimmt und die Sozialtemokraten haben dabei verlagt. Es freut nich aber, daß die Sozialdemokraten für die Resolution Jager⸗Baumann stimmen wollen. ÜUmfomehr wundert mich, daß die Freisinnigen, die boch auch Weinbaugegenden vertreten, nicht dafür sind. Es handelt sich hier nicht um eine Gesetzgebung ab irato. Diese Forderungen, wie Deklarationszwang, räumliche und zeitliche Begrenzung der Verzudeerung, sind schon lange gestellt worden. Gerade in den norddeutschen Städten läßt die Kontrolle sehr viel zu wänschen übrig; darum werden Sie es uns nicht verübeln, wenn wir verlangen, daß auch in Preußen der Hebel angesetzt wird. Das kann nur günstig wirken auf unseren Export. Deutschland führt 6 mal mehr aus, als überhaupt Wein wächst! Ich kann auch heute nicht einsehen, daß man ohne Wein⸗ steuer zu einer wirksamen Kontrolle nicht kommen kann. Ich glaube piclmehr, das Reich könnte sehr wohl sogar auf, eine Kontrollabgabe versichten, angesichts der hohen Werte, die hier auf dem Spiele stehen. Ich bitte deshalb die Mehrheit, von einer Weinsteuer ab⸗ zusehen. Es ist traurig, daß Preußen durch seine mangelnde Kon- trolle den Weinbau i han hat. Wir hoffen und erwarten, daß Preußen uns jetzt entgegenkommt und die Kontrolle im Hauptamt einführt. . Abg. Hu entr.) spricht fich für die Resolution und vom badischen 2 9 die Ri e ie aus. Buch⸗ und Kellerkontrolle müßten sich gegenseitig ergänzen. . . . Damit schließt die Weindebatte, die Abstimmung über die Resolutionen bleibt vorbehalten. . Gegen 6i /g Uhr wird die Weiterberatung auf Sonnabend 1Uhr vertagt. Außerdem dritte Lesung des Reichsbanknoten⸗ esetzes und Beratung des Etats des Rechnungshofes und . Reichsjustizverwaltung.
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Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 24. Sitzung vom 16. Februar 1966 Vormittags 10 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn J. ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt die zweite Beratung des Staatshaus⸗ haltsetats für das Etatsjahr 1906 im Etat der Handel s⸗ und Gewerbeverwaltung fort.
Zu den Ausgaben für die Regierun s⸗ und Gewerbe⸗ räte, Gewerbeinspektoren und Hil sarbeiter bemerkt
Abg. Goldschmidt fr. Volkesp.): Die Fabrikinspektoren sollen nach der Dienstanweisung nicht polijeiliche, sondern vermittelnde DOraane zrischen den Arbeitgebern und den Arbeitern sein. Das Vertrauen ilch Aꝛbeitgebern und Fabrikinspektoren sst im steten Wachsen; Ther das schließt Auenahmen nicht aus. Es ist erfreulich, daß die Inspektoren für Arbeiter Vorträge über die Bedeutung der Arbeiterversicherung 2 halten. Die Zahl der Be⸗ werber für die Fabrikinspektion hat sich erfreulicherweise gehoben. Den geftellten Ansprüchen gegenüber ist aber die Besoldung Der Gewerbeinspektoren, namentlich der Assistenten, keine glänzende. Bei der großen Zahl weiblicher Arbeiter ist zu wünschen, daß eine größere Zahl weiblicher Assistenten angestellt wird. Die His herigen vier weiblichen Assistenten können kein vollkommenes Bild von! der Berechtigung der weiblichen Inspektoren geben. Die Gewerbeinspektion müßte der Hygiene ihre besondere Aufmerksamkeit wit men; leider fehlt es dazu an Aerzten und Sygienikern. Professor Sommerfeld tritt in einer Publikation mit überzeugenden Hründen für die Zulassung von Aerzten zu dem Personal der Gewerbe⸗ inspettion und für die Zuziehung von Aerzten in das Ministerium behufs einheitlicher Regelung der Handhabung dieses so wichtigen Veiwaltungszwelges ein, der den Schutz und die Erhaltung von Leben und Gesundheit unserer Arbeiterschaft zum Gegenstande hat, Nicht bloß aus Menschenfreundlichkeit, sondern auch in ökonomischem und nafionalem Infteresse ist an die Lösung dieser Aufgabe mit aller Kraft heranzutreten. Ebenso notwendig ist die Heranziehung von
Arbeitern zur Gewerbeinspektion.
Minister für Handel und Gewerbe Delbrück:
Meine Herren! Ich möchte nur mit wenigen Worten auf das eingehen, was der Herr Vorredner über die Gewerbeaufsicht gesagt hat. Der Herr Vorredner ist der Ansicht, daß neben den jetzigen Ge⸗ werbeinspektoren noch äritliche Gewerbeinspektoren in Tätigkeit treten müßten, und daß neben diesen Gewerbeinspektoren auch noch Arbeiter an der Ausübung der Gewerbepolizei beteiligt werden möchten. Nun, meine Herren, ich verkenne keinen Augenblick, wie notwendig und wie wichtig eine sorgsame Gewerbeinspektion ist, nicht nur nach der Seite der Verhütung mechanischer Unfälle, sondern auch nach der Seite der hygienisch zweckmäßigen Einrichtung und Ausgestaltung der Betriebe. Aber ich mache kein Hehl daraus, daß ich mir selbst ein Bild noch nicht machen kann, wie den Wünschen des Herrn Vorredners und seiner Freunde entsprochen werden sollte.
Meine Herren, ich habe den Eindruck, daß es bel uns in Preußen an⸗ fängt, ein Uebelstand zu weiden, daß wir für jede neu auftauchende Frage einen neuen Beamten einsetzen (Sehr richtig! Sehr gut! rechts), der ohne Fühlung mit den übrigen Verwaltungs beamten anfängt, zu regieren (sehr richtig) und dadurch eine Unruhe und Verwirrung hervorruft, die mehr schadet als die Mängel, die beseitigt werden ollen. 3 Herren, was sollen Arbeitervertreter bei der Ausübung der Gewerbepolizei eigentlich tun? Sollen sie Polizeibeamte werden? Dann hören sie auf Vertrauensleute der Arbeiter zu sein, und ich habe die Besorgnis, daß wir sehr bald gerade über diese aus dem Arbeiterstande hervorgegangenen Polijelbeamten die gleichen Beschwerden der Arbeiter hören würden, die wir im Bergbau speziell über die aus dem Arbeiterstande hervorgegangenen Werksbeamten hören. ((Sehr
Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeig
Berlin, Sonnabend, den 17. Februar
j erren, dann werden sie allein Vertrauensleute der Arbeiter
, solche zwar den Gewerbeaufsichtsbeamten auf die Dinge aufmerksam machen, die infolge von Unterlassungen der Betriebsunter⸗ nehmer den Betrieb und die Gesundheit der Arbeiter gefährden, sie werden sich aber wohl hüten, Unterlassungen und Dienstwidrigkeiten ihrer eignen Genossen zur Kenntnis des Gewerbeaufsichtsbeamten zu bringen. (Sehr richtig) Soll der Gewerbeaussichtsbeamte sich aber lediglich eine unverantwortlich Mitwirkung der Arbeiter bei der Inspektion der Fabriken bedienen, so kann er dat auch heute schon. Ich halte es für das Wünschenswerteste, daß eine Mitwirkung der Arbeiter bei der Gewerbeaufsicht überhaupt nicht im Wege des Zwanges, sondern des freien Zusammenwirkens zwischen den Be—⸗ teiligten erfolgt; nur dann kann es nützen. Zuruf des Abg. Gold⸗ schmidt: Der Arbeiter muß aber auch unabhängig gestellt werden) Der Herr Abg. Goldschmidt ruft mir zu, der Arbeiter müßte unab- hängig gestellt sein, sonst würde er entlassen. Dann scheidet er aber, wenn er unabhängig gestellt sein soll, aus dem Betrieb aus, dann wird er Beamter (sehr richtig! rechts), und die Sache spitzt sich praktisch dahin zu, ob wir Beamte der sozialdemokratischen Agitation oder Beamte des Staates haben wollen; ist er Beamter des Staates, dann ist er überflüssig, und ist er Beamter der sozialdemokratischen Agitation, dann ist er vom Uebel. (Sehr richtig! rechts) Ich bin also absolut nicht abgeneigt, auf ein geeignetes Zusammenwirken der Gewerbe⸗ aufsichtsbeamten mit den Arbeitern bei der Ausübung der Gewerbe⸗ auf sicht hinzuwirken; aber ich halte es für völlig ausgeschlossen, Ar⸗ beiter zu Trägern der Pollzeigewalt des Staates bei der Fabrik⸗ inspektion zu machen. (Sehr richtig! rechts.) . Ich komme nun zu der Frage der Aerzte. Ja, meine Herren, sollen wir nun wirklich noch neben der gewöhnlichen Polizei, neben den Gewerbelnspektoren, neben dem Kreisarzt noch einen ärztlichen Beamten anstellen, der auf seine eigene Faust und unter seinen be⸗ sonderen Gesichtspunkten eine Fabrikinspektion eintreten läßt? Wir geraten dann in eine Verwirrung, aus der überhaupt kein Mensch mehr herauskommen kann. (Sehr richtig) Ich erkenne ohne weiteres an, daß auf dem Gebiete, das der Herr Abg. Goldschmidt eben erörtert hat, d. h. der hygienischen Aus- gestaltung der gewerblichen Betriebe, mancherlei getan werden kann. Aber dadurch, daß man immer neue Beamte anstellt und neue Organe schafft, werden wir auch hier nicht zu einem zweckentsprechenden Ziele kommen. Ich bin gern bereit, die von mir bezeichnete Frage zu prüfen. Sie ist aber heute für mich nicht spruchreif.
Dann möchte ich noch auf eins aufmerksam machen. Wenn immer exemplifiziert wird auf andere Länder, so ist das ja in mancher Beziehung sehr lehrreich; aber man darf nicht vergessen, daß ein Ver⸗ gleich zwischen Deutschland und England und jwischen Deutschland und der Schweiz nie ohne weiteres zu ziehen ist, wenn man sich nicht dabei klar macht, daß die wirtschaftlichen Verhaͤltnisse, die behördlichen Organe dieser Lander völlig verschieden sind (sehr richtig ), und daß man nicht die Einrichtungen und Erfahrungen des einen Landes ohne weitere auf das andere übertragen kann. Ich muß doch betonen, daß wir in dem Institute des Kreisarztes tatsächlich einen Sachverständigen haben, der verpflichtet ist, den Gewerbeaufsichtsbeamten zu unterslützen, und der in der Lage ist, die hygienischen Verhältnisse der Fabriken in an gemessener Weise klarzustellen. Wir haben außerdem den Regierungẽ⸗ und Medizinalrat, der jederzeit auf Ersuchen des Regierungs⸗ und
zu beteiligen. Ich sollte doch meinen, daß das ausreicht. Die ganze
hältnismäßig einfache Grundsätze und Gesichtapunkte, nach denen die Sache gehandhabt werden muß, die ieder intelligente Gewerbe⸗ aufsichtsbeamte begreifen kann und jeder Gewerbeaufsichtsbeamte, der seinen Dienst versieht, weiß. Deshalb ist es nicht notwendig, daß noch ein besonderer ärztlicher Gewerbeaufsichtsbeamter bestellt wird. Denn die jetzigen Gewerbeaufsichtsbeamten sind jederzeit in der Lage, die nötige hygienische Ueberwachung der Gewerbebetriebe selbst oder mit Hilfe unserer Medizinalbeamten zu bewirken.
Es ist dann darauf hingewiesen worden, daß den hygienischen Verhaͤltnissen in der Heimarbeit nicht die hinreichende Aufmerksamkeit gewidmet sei. Nun, meine Herren, das unterliegt ja gar keinem Zweifel, daß einer der Krebsschäden in der Heimarbeit die un— günstigen hygienischen Verhältnisse sind. Aber, meine Herren, gerade hier ist es so überaus schwer, die Mängel zu beseitigen, weil man in den seltensten Fällen einen Unternehmer für sie verantwortlich machen kann. Vielmehr trägt die Hauptschuld an den Mängeln die erbãrm⸗· liche und beklagenswerte wirtschaftliche Lage des einzelnen Heim arbeiters und seiner Angehörigen. Die Hygiene der Heimarbeit kann nach meiner Ansicht zweckentsprechend nur gefördert werden auf dem Gebiete einer verständigen Wohnungshygiene. (Sehr richtig) Sobald wir in der Lage sind, auf dem Gebiete des Wohnungswesens vorwärts zu kommen, wird es uns auch gelingen, auf dem Gebiete der Heim⸗ arbeit hygienisch bessere Zustände ju erzielen, als sie heutzutage vorliegen. Dabei erkenne ich an, daß es vielleicht wünschenswert sein wird, auch nach dieser Richtung die Kontrolle der Heimarbeit zu verschärfen und zu verbessern.
Also, meine Herren, ich wiederhole: ich bin weit davon entfernt, die Notwendigkeit einer sorgsamen Kontrolle unserer gewerblichen Be⸗ triebe nach der hyglenischen Seite zu verkennen. Ich bin bereit, zu überlegen, wo und wie man etwa nach dieser Richtung hin bessern kann. Ich halte es aber nicht für zweckmäßig, dieses Ziel in der Weise erreichen zu wollen, daß man eine neue Art von Gewerbe · inspektoren einrichtet, und ebenso halte ich es nicht für zweckmäßig, die Beteiligung der Arbeiter an der Gewerbeaufsicht in der Weise herbeizuführen, daß Arbeiter dem Gewerbelnspektor als behördliche Organe zur Seite gestellt werden. (Bravo)
Abg. Graf von Speel Zentr.) bemängelt den heutigen Instanzenzug
i pon Fabrikanlagen in ländlichen Bezirken. . . , , ,. werde die oberste Instanz
Gewerberats in der Lage ist, sich mit diesem an der Fabrikinspektion
Hygiene ist doch nicht ein Buch mit sieben Siegeln, es sind doch ver⸗
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er und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
1906.
scheidungen manchmal nicht unanfechtbar selen. Es müsse, um zu vermeiden, daß der Handelsminister einseitig im Interesse dust der Landwirtschaftsminister mitwirken.
seine Rekurzentscheidungen nicht der Induftrie treffe, in der obersten Instanʒ Außerdem sollten in allen . wo bön der Anlage einer solchen Fabrik Gefahren für die andwirtschaft, die Viehhaltung ꝛc. entstehen können, auch landwirt⸗ schaftliche Sachverständige zugezogen werden. Geheimer Oberregierungsat von Meeren: Der Meinung, der Handelsminister seine Entscheidung zu einseitig treffe die landwirtschaftlichen Interessen zurücktreten lasse kann In zweffelhaften Fällen holt der Minister des Landwirtschaftsministers ein. Im übrigen sst er ja doch auch an die Bestimmungen des 5 16 der Gewerbeordnung gebunden. Die Folgeerscheinungen, welche sich an folche Ankagen anschließen, wie den Zustrem einer starken Arbeiterbepökerung u. dergl., Dinge, die der Landwirt ungern fommen sieht, kann man ja beklagen, aber der Handels⸗ minister kann sich ihnen nicht entgegenstellen. Die Mitwirkung von landwirtschaftlichen Sachverständigen direkt vorzuschreihen, sst unnötig, da sich die bisherige Praxis durchaus bewährt hat. Der Handelsminister erläßt auf. Grund des reichsgesetzlich geregelten Ronzesstonierungsverfahrens seine oberste Entscheidung gewissermaßen als Richter. K J Abg. von PJappenheim (kons): Wir erkennen mit Herrn Gold- schmidt ir ö der staatlichen Gewerbeaufsicht durchaus an und werden der Verstärkung ihrer Kräfte nicht entgegen sein, müssen uns aber durchaus gegen die Heranziehung von Arbeitern aussprechen, womit nur den sozialdemokratischen Parteigelüsten Vorschub geleistet würde. Ez muß den Gewerbeaufsichtsbeamten selbst überlassen werden, welche Organe sie zu ihrer Information hinzuziehen wollen in hygienischen und anderen Fragen, wo sie sich für nicht genügend orientiert halten. Dem Grafen Spee bin ich dankbar für seine Anregung. Dem Bandelsminifterium wohnen, soweit die landwirtschaftlichen Verhält⸗ niffe in Frage kommen, nicht die genügenden Kenntnisse inne. Es müßten landwirtschaftlich⸗technische Sachverständige zugezogen werden.
Abg. Dr. Hitze (Zentr): Im vorigen Jahre hat der Abg. Sittart unser . bezüglich der Fabrikinspektoren dargelegt. Die Zu⸗ ziehung der Medizinalbeamten zur Fabrikinspektion denke ich mir so, daß ab und zu auch einmal ein Arzt gehört werden soll, aber nicht so, daß Aerzte zu Fabrikinspektoren ernannt werden Die Be⸗ fürchtungen des Ministers über die Zuziehung von Arbeitern zur
abrikinfpektion scheinen mir übertrieben zu sein. Die Zahl der er , mn genügt nicht. Vielleicht hilft man sich mit der ver⸗ mehrten Anstellung von Hilfsbeamten.
Minister für Handel und Gewerbe Delbrück:
Meine Herren! Nur noch ein kurzes Wort zu den Ausführungen des letzten Herrn Redners! Ich habe allerdings den Eindruck, daß die Herren, die zuletzt gesprochen haben, uns vielleicht nicht ganz ver⸗ standen haben. Ich habe vorhin in bezug auf die Beteiligung der Arbeiter bei den Fabrikinspektionen folgendes ausgeführt: es kann sich einmal darum handeln, daß man den Gewerbe⸗ aufsichtsbeamten Beamte beigibt, die aus dem Arbeiterstande hervorgegangen sind, und habe hinzugefügt, daß ich die Befürchtung hätte, daß diese Beamte in ihrer Eigenschaft als Beamte nicht den Anforderungen entsprechen würden, die man an sie stellen muß. Man würde dann auf das Institut der Einfahrer kommen, wie es im Ruhr⸗ revier meines Wissens besteht. Aber die Einfahrer sind nicht mehr Arbeitervertreter, sondern sie sind Reviergendarmen geworden, es sind polizeiliche Hilfsorgane der Revierbeamten. Ich habe aber den Herrn Abg. Goldschmidt so verstanden, daß es ihm in erster Linie darauf ankam, Arbeiter zu haben, die eine Vertrauensstellung von seiten der Arbeiter bekleiden, und da habe ich mir auszuführen erlaubt, daß ein derartiger, zwar aus dem Arbeiterstande hervorgegangener, aber dann zum Gewerbepolizeibeamten gemachter Mann nicht das Vertrauen der Arbeiter in dem Maße genießen würde, wie es der Abg. Goldschmidt für wünschenswert hielt. .
Ich will mich hierbei nur auf einen authentischen Zeugen berufer, das ist der Herr Abg. Wurm, der sich im Reichstage wiederholt über diese Sache ausgesprochen hat. Er sagte am 7. Februar 1893:
Der Arbeiter hat nur Vertrauen zu den Leuten, die er entweder als Vertrauensmänner gewählt hat, oder die aus seinen eigenen Kreisen stammen.
Er sagt dann weiter am 21. Januar 1898:
Der Arbeiterschutz müsse ergänzt werden dadurch, daß auch Arbeiter mindestens als Assistenten hinzugezogen werden, und zwar solche Arbeiter, die das Vertrauen ihrer Kameraden besitzen, solche Arbeiter, die selber in Organisationen gewesen sind.
Und, meine Herren, darin liegt die Schwierigkeit der Lösung. Er sagt dann am 12. Januar 1901:
Wer nicht von den Arbeitern selbst gewählt wird, hat ihr Vertrauen nicht.
Im Anschluß daran habe ich gesagt, daß ich mir bei den unerquicklichen, gespannten Verhältnissen, wie sie augenblicklich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern großenteils bestehen, von einer Mitwirkung gewählter Arbeiter bei der Gewerbeaufsicht nichts versprechen kann. Ich habe sagen wollen: entweder sind die Arbeiter Dutsider, sie gehören nicht zu den Organisationen, oder sie gehören einer Gewerkschaft an, die aber nicht immer der Majorität der Arbeiter des betreffenden Werkes entsprechen kann. Die Folge davon würde sein, daß die übrige Ar⸗ beiterschaft von ihnen nichts wissen will, wie wir das ja, wer weiß wie oft, bei anderen Gelegenheiten erfahren haben. Sie wissen ja alle, wie weit der Terrorismus der Arbeiter unter sich geht, nicht bloß auf politischem Gebiet, sondern auch auf anderen Gebieten. Ich habe es einmal sogar erlebt, daß ein Mann, der Antialkoholiker war, des⸗ wegen von seinen Kameraden ausgeschlossen wurde. (Hört! hört! — Heiterkeit.)
Also, meine Herren, daß ist ein Grund, weshalb ich Bedenken trage, Arbeiter, die aus der Arbeiterschaft zewählt sind, bei der Fabrik ⸗ inspektion zu beteiligen. Ich glaube, ich habe mich jetzt klar aus— gesprochen.
Wenn ich noch eine allgemeine Betrachtung hinzufügen darf. Ich habe mich bis jetzt, glaube ich, genau an das gehalten, was mein Ressort in Preußen betrifft, d. h., ich habe die Frage erörtert, was für Beamte ich zur Ausführung der reichsgesetzlichen Be— stimmungen der Gewerbeinspektion eventuell anstellen könnte. Nach
daß und ! ich nicht beistimmen. auch das Gutachten
richtig) Sollen sie aber keine Pollzeibeamten sein, sondern den Ge⸗ werbeaufsichtsbeamten nur beim Aufdecken von Mißständen behilflich
in diesen Fragen durch den Minister vertreten, der doch eigentlich in ug . . Selbstverwaltung nicht gehöre, und dessen Ent⸗
meiner Ansicht kann eine wirksame Beteiligung der Arbeiter an der