ommission sollen aber die Strafkammern eben nicht erhalten werden, sondern es sollen an ibre Stelle Gerichte treten, bei deren Urteilesprechurg in sebr eiheblichem Umfang auch Lalen mit- wirken. Es wird also in der Tat für die Beurteilung der Preß⸗ sachen auch unter der Voraussetzung der Reform der Strafprozeß⸗ ordnung, wie sie zur Zeit geplant ist, eine sehr erhebliche Aenderung berbeigefübrt werden. Das muß doch bei der Beurteilung der Frage, wenn man billig sein will, nicht außer Betracht gelassen werden. Im übrigen, meine Herren, kann ich nur lebhaft bedauern, daß der Herr Abgeordnete uns im Namen seiner Fraktion erklärt Würde dieser
bat, sie würde dem Antrag Ablaß zjustimmen. Antrag jetzt die Mehrheit im Hause finden derart, daz wir damit rechnen müßten, auch weiterhin würde
die Mebrbeit dieses boben Hauses an der Auffassung, wie sie dem Antrag Ablaß zu Grunde liegt, festhalten, so könnte ich gar kein Be—⸗ denken tragen, den hoben Regierungen zu empfehlen, von der Revision der Strafprozeßordnung überbaupt abzusehen; denn die Folge würde ja nur sein, daß die Mehrheit des Hauses auch bei der Beratung der Strafprozeßordnung an dem Antrag festhält. Für so ernsthaft würde ich wenigftens den Beschluß des Hauses halten, und die weitere Folge würde dle sein, daß die verbündeten Regierungen die nach Maßgabe des Beschlusses des Reichstags abgeänderte Strafprojeßordnung ver— werfen müßten. Für ein solches Ziel, meine Herren, eine solche Arbeit auf⸗ zuwenden, in der wit jetzt stehen, und für die sich uns die Aussicht erẽffnet, würde ich wirklich für Verschwendung an Zeit und Kraft
. alten.
Der Herr Abgeordnete hat dann darauf bingewiesen, daß, indem
die Regierungen zu einem Teil wenigstens sich gegen die Vorschläge der Kommission in betreff der Umgestaltung der Schwurgerichte aus⸗ gesprochen haben, sie das ganze System, wie die Kommission es auf⸗ stellte, bereits durchbrochen hätten. Meine Herren, der Herr Ab⸗ geordnete hat es nicht getan, aber es ist in der Presse mehrfach der Versuch gemacht woiden, mit dieser Behauptung die Arbeiten der Kommission herunterzusetzen, und ich möchte doch, um der vielfach mißliebigen Beurteilung der Arbeiten der Strafprozeß— kommission, soweit es an mir liegt, entgegenzutreten, konstatieren, daß man das nicht behaupten kann, was der Herr Abgeordnete gesagt hat. Infolge der Stellungnahme der Regierungen wird einfach von dem Gebäude, das die Kommission für die Strafprozeßordnung aufgebaut hat, ein Stockwerk weggelassen. Im übrigen würde das System der Strafprozeßkommission, wenn die verbündeten Regierungen es akzeptieren, sich trotzdem sehr wohl durchführen lassen, und zwar, nachdem die Frage der Schwurgerichte ausgeschieden ist, erheblich leichter, also durchaus zu Gunsten einer beschleunigten Durchführung der genzen Reform.
Der Herr Abgeordnete hat dann kurz seine Bedenken gegen den Entwurf, betreffend die Bauforderungen, angedeutet. Ich werde darauf nicht eingehen. Damit aber meine Bemerkungen von neulich nicht mißverstanden werden, möchte ich konstatieren, daß, wenn die Regierungen einen Entwurf zum Schutz der Bauforderungen, wie er jegt vorliegt, dem Hause zugehen lassen würde, sie damit keineswegs alle die Bedenken verkennen will und fallen läßt, die einer solchen gesetzlichen Regelung entgegensteben. Die Frage liegt hier so: ist im Ergegnis der Schutz der hier in Frage stehenden allgemeinen Interessen des Grundkredits und der bestehenden Interessen der Bau— gläubiger andererseits günstiger geordnet unter der Gesetzgebung, wie wir sie jetzt haben, oder unter der Gesetzgebun, wie sie nach Maß— gabe unseres Entwurfs in Aussicht genommen wird? Diese Frage wird s. Z auch das hohe Haus zu prüfen baben; darauf will ich jetzt nicht eingehen. Ich möchte aber nicht sagen, daß die Regierungen der Ibnen jetzt vorzuschlagenden Regelung mit ungeteiltem Herzen und allerseits zustimmen.
Wenn der Herr Abgeordnete uns dann vorgehalten kat, daß der nun dem Bundesrat vorliegende letzte Entwurf der öffentlichen Kritik noch entzogen sei, und daß es dielleicht kesser gewesen wäre, während
der Beratungen des Bundesrats eine neue Publikation zu veran. stalten, ja, da muß ich ihm doch sagen: das wäre gerade der richtige Weg gewesen, um diese schon so lange erörterte Sache nech weiter in die Lärge zu ziehen. Denn dann
bätte doch der Bundesrat mit seiner Entwurfs so lange warten müssen, bis
Meinung von neuem eingesetzt hatte —
die Kritik der etzt sonst würde doch eine Kritik in dem gegenwärtigen Stadium
Nach meiner Meinung wird die Beratung des Entwurfs hier im Hause wo einer 1 Jahr 3 Mogate Gefängnis bekommen hat, sind nur ein
1 20 ö 1 h. . Ausfluß der Angst, des Schreckens, des bösen Gewissens der herr
noch genug Zeit und Gelegenheit bieten, auch in der Tagespresse und in der Literatur Stellung zu unseren Vorschbägen zu nehmen. Ich glaube nicht, daß eine Beeinträchtigung der Kritik der Reichstags
vorlage, dadarch daß diese nicht früher bekannt wird, in nennenswerter
Weise herbeigeführt werden kann. Ich möchte also den Vorwurf, der in diesen Bemerkungen des
Der Herr Abgeordnete hat mich dann gefragt, wie sich die Gesetze bewährt haben, welche wir im vorigen Jahre verabschiedet haben, betreffend die Ertlastung des Reichsgerichtz. Ich habe zu bemeiken, daß zur Zeit ein abschließendes Urteil da noch nicht abgegeben werden kann. Dag neue Recht ist erst im Laufe des vorigen Sommers im Gesetzblatt erschienen, rraktisch ist es eigentlich erst geworden nach Ablauf der Gerichtsferien und auch da zunächst noch nicht einmal in sehr erheblichem Umfange. Die praktischen Wirkungen in ibrer vollen Größe werden sich erst am
Schluß etwa eines Jahres ergeben, und bei der nächsten Etats.
reichlich Gelegenheit sein, die Ergebnisse zu prüfen und daran Schlußfolgerungen zu knüpfen. Big aber darf man sagen, daß die Wirkungen, soweit sie zu übersehen sind, überaus gänstige sind, daß in der Tat eine sehr er⸗ wünschte Erleichterung des Reichsgerichts eingetreten ist, daß auch in der prozessualen Behandlung der Revisionen ein erbeblicher Fortschritt wahrzunehmen ist, und daß bei der Einführung der neuen gesetz. geberischen Gedanken in die Praxis nicht nur der hohe Gerichtshof, sondern auch die Rechtsanwaltschaft vom Reichsgericht in vollem Umfange uns zur Seite gestanden hat, wofür ich ihr gern meine Anerkennung und meinen Dank austspreche. Wenn der Herr Ab— geordnete darauf bingewiesen hat, daß, wenn ez nach gewissen Wünschen gehen sollte, im nächsten Jahre wir vielleicht dahin kommen
beratung wird
würden, um die dem Gerichtgshofe vorliegenden Sachen vollständig und öchtjeitig ju bewälligen, neue Hilft. senate einzurichten, so möchte ich ihn doch warnen, einem
solchen Gedanken ohne dringendsten Anlaß Ausdruck zu geben. Leute, die neue Senate am Reichsgericht aus diesem oder jenem Grunde gern
m der Beratungen keinen Zweck haben.
jetzt
L5 236 sei ies abschließenden Beurteilung des .
öffentlichen
; anwalts Herrn Abg. Dove liegt, nicht gelten lafsen.
sehen würden, wird es immer viele geben, und ich muß von vorn⸗ berein erklären, daß, solange ich die Ebre habe, in meiner amtlichen Stellung zu sein, ich jedem solcher Versuche mit aller Entschiedenbeit entgegentreten werde; denn ich würde es für ein Unglück, nicht nur für unsere Rechtspflege, sondern auch für die Autorität unseres höchsten Gerichtshof halten, wenn es dabin kommen sollte.
Abg. Stadthagen (Soz): Die Justiz deg gegenwärtigen Klassensiaates kann gar nichts anderes tun, als die Grundlage dieses Klaffenstaates zu stüßzen. Als Klassenjustiz nimmt sie die Interessen der Unternehmer, nicht der Arbeiter wahr. Wir ch nicht, daß die Richter bewußte Instrumente der Klassenjustiz sind, sie sind es unbewußt nach ihrer ganzen Vorbildung und ihrer Klassenzugehörigkeit und arbeiten so gegen die arbeitenden Klassen. So muß die Arbeits- kraft schutzlos bleiben. Man kann vielleicht sagen, daß es beute Zu— fall sei, daß ein Mörder nicht gefunden wird. Das ist kein Zufall. Der Redner schildert den Fall des Mörders Hennig. Man ist schon zu⸗ frieden, daß man entdeckk, es handle sich um einen Mord. Man macht ihm Referenzen, weil er gut gekleidet ist und nicht wie ein Arbeiter aussieht. Nehmen Sie an, wie gegen ehrliche Arbeiter vorgegangen wird. Der Fall Hennig sollte Ihnen zu denken geben, wie die Art des Vorgehens Ihrer Organe die Sicherheit des Lebens untergraben muß. Die Regierung hat selbst zugegeben, daß es ihren Organen nicht mög: lich sei, Schwindler zu faffen. Das ist ganz begreiflich, weil sie bei det Jagd auf ehrliche Leute keine Zeit dazu hatten. Es ist zu be— dauern, daß der Staatssekretär nicht der Vorgesetzte der Justiz⸗ minister der einzelnen deuischen Länder ist. Tatsächlich erleben wir es, daß das Ansehen der Justiz in den einzelnen deutschen Ländern sich vermindert. Unschuldige Leute werden mit dem Knüppel der Justiz geschlagen. Die Justiz ist ein politisches Klasseninstrument. Der preußische Justizminister versprach im i g e; Abgeordneten hause gegen eine Klaffe der Bevölkerung politisch seine Richter vorgehen ju lassen. Das erinnert an die schlimmsten Zeiten der Reaktion. Ungerecht zu sein ist jetzt oberstes Prinzix der Justiz. Die Gerichte sind nicht mehr jum Schutz der Gerechtigkeit da, sondern sie sind Rächer, ja Henker. Die Richter sollten das Koalitionsrecht der Arbeiter schützen, statt dessen haben sie es beinabe vernichtet durch ibre Aus— legung des Gesetzes. Ich erinnere an die Enischeidung hinsichtlich des Strelkpostenstehens in Berlin. Anstatt daß man die Beamten oder Richter anklagt, werden die Arbeiter, die ihre Rechte geltend machen, drakonisch bestraft. Natürlich, die Arbeiter sind ja nicht die Be sitzenden, die Stützen der Gesellschaft'. Der Kontraktbruch gegen
Aibeiter wird geschützt, das Reichsgericht legt die Gesetze in tendenziöser, mittelalterlicher Weise aus. Es bat den Grund satz aufgestellt: das Koalitiongrecht sei nur ein strafrecht⸗
liches Privilegium. Arbeiter werden bestraft, weil sie Arbeiter sind, es wird Landfriedensbruch konstruiert 1c. Die heutigen Schwurgerichte nehmen die Interessen der herrschenden Klassen wahr. Das beweist die neulich schon erwãhnte Freisprechung der Vergewaltigung eines Mädchens in Altona. Es macht auf gewisse Geschworene Eindruck, wenn es heißt, die Geschädigte sei ein uneheliches Kind, ein Kind der Sünde“. Es ist schon neulich auf den Fall Löͤbtau an— gespielt worden. Hätte sich die Polizei nicht hineingemischt — wo Polizei ist, ist allemal auch Tumult — so wäre überhaupt nichtz entstanden, am allerwenigsten aber der Landfriedensbruch, den ebrliche Arbeiter begangen haben sollen, weil sie von dem Bauunternehmer die Erfüllung seiner vertraglichen Ver⸗ pflichtungen gefordert hatten! Es kam zu ganz geringfügigen Körperverletzungen. und die Klassenjustir zeigte sich besonders darin, daß das Gericht diese Arbeiter auch mit dem Verluft der Ehrenrechte bestrafte. Die Gerechtigkeit unseres Landes hat zwei verschiedene Wagen: eine für Reiche, die andere für Arme. In letzter Zeit sind rein politische Tendenzprozesse angestrengt worden, nach dem Versprechen des neuen preußischen Justizministers, der das Verlangen der Bourgeoisie erfüllte, durch Furcht und Schrecken der Arbeiterklasse die Neigung, Erweiterung ihrer politischen Rechte zu fordern, schleunigst auszutreiben. Da hat man meinen Freund Löbe in Breslau ju der unerbörten Strafe von 1 Jahr Ge⸗ fängnis verurteilt, weil er in einem Aufruf für die Erlangung des allgemeinen Wahlrechtes für Preußen in durchaus rubiger Weise auf die russische Revolution bingewiesen hat. Die Staatsanwälte folgen nur dem Rufe der bürgerlichen Gesellschaft; Hängt ihn, bestraft ihn hoch, weil er ein Sozialdemoktat ist! Dieser Ruf aber ist der Ruf des bösen Gewissens dieser bürgerlichen Gesellschaft. Wenn der Ange⸗ klagte auch nicht die Gewalt wollte, so habe sein Arnkel doch eine verschiedene Bevsölkerungsklassen gegeneinander aufreizende Wirkung ge⸗
habt, und er müsse bestraft werden; so hat das Reichsgericht entschieden.
Klassenkampf führt die herrschende Klasse doch gegen die Arbeiter klasse; wir leben im Klassenkampf, und die Arbeiterschaft gebt ja gerade darauf aus, diesen Klassenkampf zu beseitigen. Wegen Klassen—⸗ kampfes aber geht man gegen die Leipziger Volkszeitung“ dor und in⸗ kriminiert gleich 25 Artikel auf einmal. Die vorgeschlagenen Sach⸗ verständigen darüber, daß in den Artikeln nichts von Klassenkampf zu finden ist, zu vernehmen, lehnt das Gericht ab, und in tendenziösester Weise waltet der jetzige Oberstaatsanwalt Böhme Amtes, der schon in einem früheren Prozeß einen
angeklagten Redakteur einen gewerbsmäßigen Verleumder nannte,
eine Beleidigung, gegen die es gerichtlichen Schutz über— baupt nicht gab. Die Justi;z muß zur Tendenz entarten,
denn ibre Vertreter ind ja nur die Sachwalter der Brutalität der besitzenden Klassen. Jene Schreckensurteile von Breslau und Leipzig,
schenden Klassen; der Oberstaatsanwalt Böhme hat seine Stellung mißbraucht zu den gröbsten Schmähungen gegen Außenstehende ... (Präsident: Ich kann es nicht durchlassen, daß Sie einen Beamten derart beschimpfen; wegen Beleidigung des Oberstaats⸗ Böhme tufe ich Sie zur Ordnung! Der Herr hat gesagt, hinter dem Angeklagten ständen andere, die sich feige im Hinterhalt hielten; das ist also keine Beleidigung, keine Schmähung, sondern die Ausführung seiner Pflicht als Oberstaatsanwalt!
r Es kommt auf recht bohe Strafen an, meinte dieser Oberstaats⸗ arauf
anwalt, nicht weil der Angeklagte, sondern weil sein Partei gefähr— lich it, gefährlich der bestebenden Staats. und Gesellschaftsordnung! In Elberfeld ist ein ganz unschuldiges, ganz gesetzliches Flugblatt am 14. Januar verbreitet worden; sofort wird Jagd gemacht auf das Flugblatt, und dem Jäger lag gar nicht daran, eine strafbare Hand⸗ lung zu verfolgen, sondern das Flugblatt unter allen Umständen in Beschlag zu nehmen, und nachher wollte man in aller Ruhe“ konstruieren, was darauf zu erfolgen hätte. Hochverrat sollte darin liegen! Hochverrat doch höchstens gegen den ge. unden Menschenverstand! Der Minister im preußischen Abgeordneten⸗ bause bat ja auch nicht etwa erklärt, die Sozialdemokraten sollten wegen strafbarer Handlung verfolgt werden, sondern deshalb, weil sie Sozialdemokraten sind Das Flugblatt wurde unter Anklage gestellt, und der Staatsanwalt nahm nicht seinen Wortlaut vor, sondern die unsinnige Behauptung des Reichsverbandez, Publikationen gegen die Sozialdemokratie, wie sie von Spitzeln, von Verleumdern usw. verbreitet werden, um die Verurteilung zu erzwingen. Der Ver teidiger suchte ibn eines anderen zu belehren; aber er blieb dabei, die Forderung des allgemeinen Wahlrechts in Preußen sei nur durch Ge— walt zu verwirklichen Das Gericht hat ,,. freigesprochen, weil auch nicht eine Spur von Verffoß gegen das Strafgesetzbuch in dem Flugblatt zu finden war. Freilich, dasselbe Flugblatt kommt in Pommern vors Gericht, und die Verbreiter werden verurteilt, weil das Bericht einfach annimmt, sie hätten es gelesen! Wer im Klassenstaat är Recht und Gerechtigkeit eintritt, muß verfolgt werden! Vor 150 Jahren sagte ein preußt cher König, Friedrich der i es muß nach der Gerechtigkeit verfahren werden ohne alles Anse der Person, danach sollen sich die Justizkolle ien richten. 8a. die änder der Justiz kann man sich nicht . Heute wird derurteilt wegen der Tendenz, weil der , e ein Sozialdemokrat ist! Solche Juftij untergraͤbt die * assenordnung. Das gan Dau bat den Zeugnigjwang Auch diesen hat ein vreußt ⸗
antragt eine
in der schlimmsten Reaktion.
scher König verurteilt, Friedrich Wilhelm III.
. Das Reichsgericht hat erklärt, die se Kabinettẽ order, welche die Wahrnehmung berechtigte:
Intereffen der Deffentlichkeit durch die Presse in Schutz nimmt, nicht ju kennen. Der Staatssekretär meinte, der Zeugnis ijwang gegen die Presse komme gar nicht so oft vor. Ich kann ihm eine ganz Reihe von Fällen mitteilen. Ich erinnere ihn an den Fall Zilowskt in Frankfurt, an den Fall Schuhmann in Bielefeld, der schon 7 Wochen in Haft ist, weil er eine ehrlose, unanständige Handlung nicht begeben wollte. Dahin gebört auch der Fall Perner in Erfurt. Der Redakteur wurde gegen Kaution entlassen. Darauf wurden vier Setzer der. nommen. Sie sollten das Geschäftsgeheimnis verraten, wer daz Manufkript geliefert habe. Das Gericht drohte mit Zwangshaft. Die dier sozialdemokratischen Setzer haben selbstverständlich diese ehr. lose & n abgelehnt. Sie zogen es vor, ins Gefängnis zu geben, das für anständige Leute da ist, sobald ein paar Zellen frei sind. Wenn Sie dies Vorgehen billigen, dann haben Sie einen abgrund, tiefen Begriff über Ehre.
Vizepräsident Graf zu Stolberg; Sie haben eben gesagt, die Richter haben einen abgrundtiefen Begriff... (Lebhafter Wider. spruch bei den Sozialdemokraten.) — Vizepräsident Graf zu Stol. berg: Sie haben behauptet, die Abgeordneten auf der rechten Seite hätten einen abgrundtiefen Begriff von Rechtsgefühl, ich rufe Sie deshalb zur Ordnung!
Abg. Stadthagen (fortfahren): Ich will das Urteil dez Hauses nicht anrufen, sondern das der Oeffentlichkeit. So weit ist ez mit der konservativen Partei gekommen, daß sie einen solchen Zeugnisjwang billigt. In Hannover ift es vorgekommen, daß vor dem Schöffengericht ein Schöffe nieste. Ein Zeuge sagte Prosit und dafür wurde er in eine Strafe von 10 Æ genommen. Mehrfach sind Fälle vorgekommen, daß der Richter das Urteil fir und fertig mit der Bemessung der Strafe in die Verhandlung gebracht, auch mit der Bemerkung, ob dem Angeklagten geglaubt werden solle oder nicht. Der Kammergerichtsrat wurde beurlaubt und ist es beute noch, weil seine Haltung in der Frage der Koalition der Arbeiter nicht efiel. Soll ich noch besonders auf die Haltung des preußischen Justizministers gegenüber dem bekannten Milchzentralenprozeß hin— weisen? Die Milchzentrale wurde schließlich verurteilt. Die Rechtspflege muß unabhängig gemacht werden von der Verwaltung. Ich n r noch einen anderen Fall erwähnen, den Proreß gegen die Kammerfrau einer hoben Dame, gegen Fräulein Milowska. Sie wurde verhaftet und bat, ihr mitzuteilen, warum sie ver— haftet würde. Es wurde ibr mitgeteilt, es sei gescheben auf Veranlassung des Kammerherrn des Herzogs Ernst Günther. Es wurde ihr vorgeworfen, sie habe einen Schmuck gestoblen. Sie wies nach, daß sie den Schmuck schon in Kairo gehabt habe, und daß der Schmuck nicht echt gewesen sei. Es entstand nun eine Reihe dor , , dn, Es wurden dann Vergleichs verhandlungen eingeleitet.
er Herzog ließ die Milowska zur Herausgabe von Briefen oder wenigstens zur Gestattung der Einsichtnabme auffordern. Darauf ging die Dame nicht ein. Sie behauptete nun vor Gericht, der Herzog habe ihrem Rechtsanwalt mitgeteilt: bitte, sagen Sie der Miloweka, daß, wenn sie auf den Vorschlag nicht eingebt, sie sich in die Situation hineindenken möge, ein Jahr Gefängnis zu bekommen. Ich habe mit dem Richter persönlich gesprochen. Wenn das wahr sein sollte, so wäre es etwas Ungebübrliches. Würde der Herzog darüber vor Gericht unter seinem Eide vernommen, so würde die Wahrbeit festgestellt werden können. Warum vernahm man nicht den Rechts. anwalt? Das Wolffsche Depeschenbureau hat allerdings verbreitet, der Herzog babe erklärt, an der Sache wäre kein wabres Wort. Warum hat man aber nicht sofort Beweis erhoben, als die An— geklagte bat, den Rechtsanwalt als Zeugen zu vernehmen? Ich möchle den Richtern jene er, n nicht zutrauen. Aber schon die Möglichkeit, daß die Gesellschafterin einer Prinzessin, die sich weigerte, einen Brief einer hochgestellten Person beraus= zugeben, oder die Einsicht darein nicht gestattete, die den Herjog bloßstellen würde, einer solchen Drohung ausgesetzt wurde, ist bedenklich genug. Schlimmer als die Depravierung der Gerichte ist die Antastung der Unabhängigkeit der Rechtsanwälte. Anklagen wurden erhoben gegen jemand, der bei einem Auflauf zu— gegen war, von einem Schutzmann einen Stoß erhielt und sich darüber
mit dem Schutzmann augzeinandersetzte. Als der Rechtsanwalt, der ibn verteidigte, in seiner Verteidigungsrede bemerkte, es feblte
nur noch, daß der Angeklagte auch wegen Brandstiftung angeklagt würde, weil er mit einer brennenden Zigarre in der Luft herum. gefuchtelt babe, erhebt sich der Staatsanwalt sofort und be⸗ : Ungebührstrafe von 20 16 und der Verteidiger wird vom Gerichtshofe verurteilt?! Wir stecken wahrlich mitten drin s mste Ein polnischer Rechtsanwalt wurde wegen eines Artikels, den er in seiner eigenen Zeitung veröffent. lichte, von der Liste der Rechtsanwälte gestrichen, und das Ehrengericht in Marienwerder bat die Streichung bestätigt! Und über alle diese unerhörten Dinge erhebt sich kein Sturm der Enrt— rüstung mehr, wie er früher, namentlich in Zentrumskreisen, sofort ausgebrochen wäre, wenn so gegen einen ihnen angehörigen Rechts anwalt vorgegangen worden ware. Und im Hannoverschen spricht eine Anwaltskammer, die doch die Jnteressen der Rechtzanwälte zu schützen berufen ist, einem Rechtsanwalt, gegen den ein Verfahren wegen Majestätsbeleidigung angestrengt war, aber eingestellt werden mußte, ibre Mißbilligung aus. Ja, sind denn auch die Rechtsanwälte schor so weit heruntergekommen, daß sie sich nicht mehr als Mitfinder des Rechtes, sondern als Mitfinder des Unrechtes mißbrauchen lassen? Pfui Teufel über solche Justiz!
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Ich bitte nur um Gehör für jwei kurje Be⸗ merkungen. In dem letzten Teil seines Vortrags hat der Herr Ab- geordnete die Prozeßverbältnisse berührt, in die die Kammerfrau einer verstorbenen Fürstlichen Dame verwickelt ist, und er hat, wenn ich ibn recht verstanden habe, behauptet, daß das Verfahren des Gerichts gegenũber dieset Kammerfrau dem Gesetze nicht entsprochen habe, bat dabei so unter der Hand auch verstehen lassen, daß, wenn das Gericht nicht korrekt gehandelt habe, dieses geschehen sei mit Rücksicht auf eine hohe Fürstliche Person, die ebenfalls von dem Prozeß berührt werde.
Meine Herren, dieser Prozeß ist bereits früher, im vorigen Jahre wenn ich nicht irre, vom Herrn Vorredner behandelt worden, und da enige, was er damals anführte, hat sich meines Erinnerns nicht als stichhaltig erwiesen. (Zuruf bei den Sozialdemokraten) Ich bin sehr bereit, mit dem Herrn Vorredner in eine Debatte dieses Prozesse⸗ einzutreten, sobald er rechtskräftig beendigt sein wird. Ueber einen schwebenden Prozeß rede ich nicht. Nach meiner Meinung ist das weder rãtlich für das bohe Haus, noch ist es zulässig für die Vertreter der Regierung, und ich möchte den Herrn Abgeordneten donnern hörer, wenn ich ohne seine Veranlassung es versuchen wollte, in irgend einen noch nicht beendeten Prozeß, wo es ihm vielleicht nicht angenebm ist mit einer Aeußerung mich hören zu lassen. Ich hebe mir alles auf bis dahin, daß der Prozeß rechtsgültig entschieden sein wird. Ich babe das Vertrauen in unsern Richterstand, daß dasjenige, was dann über das Verhalten der Richter zu erklären ist, nur zu ihrer Rechtfertigung und ihrer Ehre gereichen wird.
(Schluß in der Zweiten Beilage)
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichs anzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
M 49.
Berlin, Montag, den 26. Februar
1906.
(Schluß aus der Ersten Beilage)
Zweitens, meine Herren, hat der Herr Vorredner in dem ersten Teil seiner Ausführungen mehrfach die Tätigkeit des gegenwärtigen Herrn Justizministers in Preußen berührt. Er hat das in vorsichtiger Weise getan, aber doch in einer Art, daß diejenigen Kreise, die diesem Hause ferner stehen und mit den Redegewohnheiten des Herrn Vor⸗ redners nicht vertraut sind (sehr gut!), sehr leicht zu der Annahme verleitet werden könnten, als ob der Herr Justizminister sich be⸗ müht habe und bemühe, einen ungesetzlichen Einfluß auszuüben auf die Entscheidungen der preußischen Gerichte, und zwar ju Un⸗ gunsten von Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei. Diese Aeußerungen des Herrn Abgeordneten führen zurück auf eine Er⸗ klärung, die der preußische Herr Justizminister vor kurzem im Ab⸗ geordnetenhause abgegeben hat, und die schon vor einigen Tagen ein Fraktionsgenosse des Herrn Abgeordneten berührt hat in einer Form, die dem Herrn Präsidenten Veranlassung zu einer Rüge gab. Um die Vorwürfe, die in den Ausführungen des Herrn Abgeordneten nach meinem Gefübl für ferner stehende Kreise enthalten waren, gegenüber dem Herrn Justizminister zu kennzeichnen, bitte ich um die Erlaubnis, jene Erklärung des preußischen Herrn Justizministers vom 13. Januar d. J. zu verlesen. Damals stand im preußischen Abgeordnetenhause zur Diskussion eine Anregung wegen schärferen Vor⸗ gehens gegen die sozialdemokratische Bewegung. Der Herr Justiz- minister erklärte da:
Meine Herren, Sie wissen so gut wie ich, daß Entscheidungen über diese Sache nicht in der Hand der Verwaltung, sondern in der Hand der Gerichte liegen; und Sie wissen, daß die Gerichte unabhängig und frei sind. Ich kann Ihnen erklären, daß ich diesen Stand⸗ punkt stets vertreten habe nach jeder Richtung hin, daß ich also jede Erklärung den Gerichten gegenüber ablehnen muß. Ich kann eine direkte Aeußerung darüber nicht ergehen lassen. Ich kann da⸗ gegen wohl dazu beitragen, daß alles, was in dieser Richtung in der Oeffentlichkeit hervortritt, auf das sorg— fältigste dahin geprüft wird, inwieweit die Gesetze unseres Staates dadurch verletzt werden, und das Meine dazu beitragen, daß dann der Antrag gestellt wird, auch die Strafe auf die Tat folgen zu lassen.
(Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) — Ja, „hört! hört!“ Was hat denn der Herr Minister gesagt? Er hat erklärt: die Gerichte sind unabhängig, und ich lehne es ab, in die Entscheidung der Gerichte ein- zugreifen. Er hat ferner gesagt: die Staatsanwaltschaft — wenn auch nicht mit diesen Worte, aber inhaltlich — steht zu meiner Verfügung, und ich werde sie veranlassen, diejenigen Anträge, wenn es bisher nicht geschehen ist, ju stellen, die den Anforderungen des Ge— setzts gemäß zu stellen sind. Den Gerichten gegenüber hat der Herr Justisminister das Recht gewahrt, der Staats- anwaltschaft gegenüber hat er das getan, wozu das Gesetz ihn nicht nur ermächtigt, sondern wozu er kraft des Legalitätsgrundsatzes unseres Strafrechts verpflichtet ist. (Sehr richtig) Also er hat durchaus in den Grenzen seiner gesetzlichen Vollmacht gehandelt, und ich weise jeden Verdacht zurück, der etwa in den Worten des Herrn Vor⸗ redners gefunden werden könnte, als ob er widergesetzlich vorge⸗ gangen sei. Mit diesem einfachen Tatbestande vergleichen Sie nun alle die schweren Beschuldigungen und Angriffe des Herrn Vorredners, und Sie können daraus ohne weiteres schließen, wie be⸗ gründet alle seine Vorwürfe gegenüber den Gerichten find. (Sehr gut! — Zurufe von den Soz.) Wenn wir hier die Zeit hätten, und wenn der Herr Abgeordnete mir rechtzeitig, wie ich schon wiederholt betont habe, das Material, das seinen Angriffen zu Grunde liegt, zur Verfügung stellen wollte, dann würde ich sicherlich im Stande sein, seine Beschuldigungen auch zur Ueberzeugung dieses bohen Hauses zurückzuweisen. Ich verzichte aber hier darauf, etwas Weiteres zu erklären. (Lebhafter Beifall.)
Sächsischer Bundesbevollmächtigter Dr. Börner: Der Abg. Stadthagen hat das Urteil besprochen, das jüngst gegen den Redakteur der Leipziger Volkszeitung Heinig ergangen ist. Gegen das Urteil ist Revision eingelegt, der Proseß schwebt, und aus den Gründen, die soeben schon der Staatssekretär dargelegt bat, bin ich außer stande, auf die Sache einzugehen. Die Situation ist keineswegs angenehm. Die Darstellung, die der Abg. Stadthagen von der Sache zu geben für gut befunden 2 geht ins Land, und vielleicht bemerkt dann noch die eine oder die andere Zeitung dazu daß nicht einmal der Verfuch einer Rechtfertigung gemacht sei. Ich muß das hin— nehmen, aber solange das Reichsgericht nicht gesprochen hat, kann niemand behaupten, daß das Urteil ju Unrecht gefällt ist. Der Abg. Stadthagen hat sich dann auch eingehend mit dem Auftreten des Staatsanwalts in diesem Prozesse beschäftigt und unter dem Schutze der Redefreiheit heftige Vorwürfe und Beleidigungen gegen ihn aus— gefprochen. Ich sehe mich im Namen der sãächsischen Justtzverwaltung genötigt, gegen die geradezu unglaubliche Verunglimpfung dieses ge⸗ if fen und tüchtigen Beamten, der weiter nichts getan hat als seine Pflicht, mit aller Entschiedenheit Verwahrung ein— zulegen. . .
Abg. Dr. Müller- Meiningen (fr. Volksp): Mit Rücksicht auf die schweren Klagen über die Mißachtung der persönlichen Freiheit in der Justizpflege möchte ich den Staatssekretär darauf aufmerksam machen, daß das bavyerische Justizministerium vor kurzem eine Statistik aufgemacht hat über die Dauer der Haftstrafen. Es darf mit Be⸗ friedigung festgestellt werden, daß eine Beschleunigung der Haft⸗ dauer bejiehungsweise des Verfahrens konstatiert werden konnte. Es wäre nach meiner Ee, , , sehr zu begrüßen, wenn das Reichs⸗ jostizamt eine solche Statistik für das ganze Reich anlegen würde. Was dann die Frage der Schwurgerichte anbelangt, 6 möchte ich zunächst mein Bedauern aussprechen über das allgemeine Urteik, das der Abg. Bassermann über einige süddeutsche Schwurgerichtsurteile der letzten Zeit, vor allem über das Urteil in dem sogenannten Thoma, Prozeß, gefällt hat. Dieses Urteil wird in süddeutschen Kreisen großes Befremden hervorrufen. Ich sinde das Bedauerliche in diesem Thoma⸗Prozeß nicht in der Zulassung von Sachverständigen, sondern in der Be— handlung der Sachverständigen vor allem seitens des Staats⸗ anwalts. Männer, wie Ganghofer usw, dürfen doch nicht in einer derartigen, geradezu schnöden Weise behandelt werden, wie es damals 5 Die Sachverständigen sind doch wahr- haftig nicht zu ihrem Vergnügen zu diesem Prozeß gegangen, sondern sie mußten erscheinen, und die Herren haben bereits erklärt,
sie würden sich in Zukunft sehr schwer hüten, wieder zu einem Prozeß zu gehen, wenn sie in würden. Wenn die Sachverständigen, was ich aber absolut nicht an⸗ nehme, in dem Prozeß über ihre Grenzen hinausgegangen sein sollten, so ist der Vorsitzende der einzige Mann und dazu da, um diese Grenzen einzuhalten. Der Staatsanwalt hat ebenso die Möglich- keit wie die Verteidigung, Sachverständige laden zu lassen. Wenn er es nicht getan hat, so war er entweder zu siegesgewiß, oder er wollte überhaupt keine Sachverständigen haben, und er war damit der Ueberzeugung der Abgg. Bassermann und Roeren, die aber nach meiner Anschauung nicht richtig ist, oder er fand keine. Der bayerische Justizminister hat zu meiner Freude eine viel liberalere Haltung zu diesem ganzen Prozeß eingenommen. Das zweite Bedauerliche in dem Prozeß ist der schwere Angriff, den die Richter auf das süddeutsche Preßprivilegium machten durch Einziehung des betreffenden Flugblattes im sogenannten
objektiven Verfahren. Ich weiß zwar sehr wohl, daß dieses Vorgehen sich auf eine Entscheidung des Reichsgerichts stützt,
allein im Hinblick auf § 177 StGB. kann es keinem Zweifel unterliegen, das das auch juristisch höchst anfechtbar ist. Gegen diese Ignorierung des bayerischen Preßprivilegiums hat sich eine namhafte Reihe Juristen gewendet. Ich will im Hinblick auf die körperliche Indisposition, unter der ich heute leide, auf die Ausdehnung der Schwurgerichte nicht näher eingehen und nur das eine sagen, daß die Klagen gegen die Schwurgerichte zurückzuführen sind auf die anfechtbare 9 auf eine zu große Berücksichtigung des Besitzes und des Vermögens. Es müssen allein maßgebend sein sittliche Reife und intellektuelle Urteils. fäbigkeit. Um die Schwurgerichte lebensfähig zu erhalten, wäre des⸗ halb die Einführung von Diäten dringend notwendig. Nach meiner Ueberzeugung ist diese ungemein wichtige Frage vollständig spruchreif. Die württembergische und die bayerische Abgeordnetenkammer und der Meininger Landtag haben sich in diesem Sinne ausgesprochen, und der badische Minister von Busch hat in der badischen Abgeordneten⸗ kammer erklärt, daß er ebenfalls dieser Frage höchst sympathisch gegen⸗ überstehe. Ebenso hat eine Reihe anderer Bundesstaaten sich genau auf denselben Standpunkt gestellt. Sogar Sachsen hat eine ent— gegenkommende Haltung bis zu einem gewissen Grade eingenommen. Wenn die Herren wollen, daß auch Arbeiter zugezogen werden, so müssen Sie Diäten bewilligen, sonst bleibt die Sache auf dem Papier stehen. Es ist unzweifelhaft, daß die staatsbürgerliche Last des Geschworenen und Schöffen nach Möglichkeit vom Staate er— leichtert werden muß. Der Staat hat das größte Interesse daran, daß die weitesten Kreise des Volkes an der Rechtsprechung teilnehmen. Die Lust, als Geschworener und Schöffe zu wirken, ist nicht groß, weil die dafür erforderlichen Opfer viel zu groß sind. Bei der Aufstellung der Urlisten tritt stereotvp die Frage auf: Hat der Betreffende die materiellen Mittel, als Geschworener oder Schöffe auftreten ju können? Ein soelcher plutoktatischer * kann nur zum Unsegen für unsere Recht⸗ sprechung sein. om Reiche werden ja keine Geldmittel verlangt, die Bundesstaaten sollen oder wollen ja die Kosten aus eigener Lasdh bezahlen. Wir brauchen uns also * nicht auf die Revision der Strasprozeßordnung vertrösten zu lassen, sondern müssen fordern, daß diese Frage baldigft erledigt wird. Auch der Abg. Bassermann hat zuge⸗ standen, daß das Vertrauen zu dem deutschen Richter nicht mehr so groß ist, wie früher. Die erdrückende Mehrheit des Richtertums ver— letzt ja sicherlich nicht bewußt das Recht; die allgemeinen Angriffe des Kollegen Stadthagen sind denn dech Uebertreibung, die der berechtigten Kritik nur schaden können. Nach solchen furiosen Ausführungen ist es sehr schwer fur einen Vertreter einer bürgerlichen Partei, in eine be—⸗ rechtigte Kritik von Urteilen deutscher Richter einzutreten. Aber das läßt sich nicht leugnen, daß zahlreiche Urteile zu großen Bedenken Anlaß geben und für die Herren auf der äußersten Linken leider Gottes ein sehr willkommenes Agitationsmittel bilden. Der Graf von Posadowsky . nach Gründen für die Zunahme der Sozialdemo⸗ kratie: er soll sich nur einmal die Kritik der bürgerlichen Presse über gewisse Urteile, namentlich in gewissen Bundesstaaten, ansehen. Gewiß schießt eine Kritik wie die Stadthagensche häufig über das Ziel hinaus; aber wir haben doch klassische Beispiele seltsamster richter⸗ licher Erkenntnisse. Eine arme, alte, kranke . kann nicht mehr arbeiten, weil ihr die Finger vor Kälte steif werden, sie ist der Verzweiflung nahe, da öffnet sie den Kohlenkeller des Nach—⸗ barn mit einem falschen Schlüssel und entwendet eine Schürze Kohlen. Bei der Verkündung des Urteils auf 3 Monate Gefängnis stürzt sie ohnmächtig jusammen, weil sie glaubte, mit einer kleinen Geldstrafe davonzukommen. Der Staatsanwalt schämt sich selbst seines Antrages und regt sofort ein Begnadigungsgesuch an! Hier liegt geradezu ein Legislaturnotstand vor; wie kann man da auf eine Reform vertrösten, die noch ein Jahrjehnt dauern kann? Hier abzu⸗ helfen hätte der Reichsregierung mehr angestanden, als uns eine Anzahl von Gesetzentwürfen vorzulegen, die lange nicht so dringlich sind. Ich möchte dem Zentrum raten, seinen Toleranzantrag zurückzuziehen, und, wenn Sie am Schwerinstage wieder an der Reihe sind, den fehr vernünstigen Antrag des Dr. am Zehnhoff zur Beratung zu stellen; der wird sicher sofort angenommen werden. Ein Urteil, das dem eben er⸗ wähnten als Pendant zugesellt werden kann, ist das Urteil gegen den russischen Fürsten Kotschubey, ein Urteil, wie es nie von einem Schwurgerichtet ergangen wäre. Dieser Fürst hat in einem Dresdener Hotel den Portier Müller so brutal behandelt, daß dieser auf lebenslang verkrüppelt sein dürfte. Der Fürst verlangte seine Zeitung, die er noch nicht bekommen; der Portier bringt ihm arglos elne Nummer des „Simplicissimus“, in der sich, wie der Fürst bemerkt, eine Zeichnung befindet, die eine Beleidigung des russischen Fürsten darstellte. Der Fürst ließ den Portier kommen und brüllte ihn an: Entweder sind Sie ein großer Esel oder ein ganz gemeiner Verbrecher! Der Portier ist sehr ver— blüfft über diese Behandlung, hat devot mit der Mütze in der Hand dagestanden und dreht sich herum, nach der Tür zu gehen; da gibt ihm der Fürst von hinten in einer 6 niederträchtig feigen Weise einen derartigen Tritt in den ücken, daß dem Portier die „Funken aus den Augen sprühen'; er taumelte und fiel. Er hat eine sehr schwere Verletzung davongetragen. Diesen Fürsten hat das Gericht in einer geradezu auffallenden Weise behandelt; es hat ihn gegen eine Kaution von 10 009 4M (der Mann hat eine Jahredeinnahm von 400 009 „S) freigelassen und ihn vom Erscheinen bei Gericht entbunden. Er wurde durchweg als Durch⸗ laucht und als Ritter des Malteserordens bezeichnet. So fein be⸗ handelt man höchstens den Grafen Pückler, den Mann, der sich alles, auch das Allertollste gegen Staatsanwalt und Richter erlauben darf. Entweder dieser Mann ist ein Narr, dann gehört er dahin, wo die Narren sind, oder er ist kein Narr, dann muß er behandelt werden wie andere auch. Der Verteidiger Hausmann hat in jenem Falle Kotschubey ganz offen von einer Prinzenjustiz gesprochen, wie sie ja schon einmal dagewesen ist. Statt die Tat des Fürsten als schamlos zu bezeichnen, wurde in dem Urteil von einer Freiheitsstrafe abgesehen, weil der Fürst durch die schamlosen Artikel des „Simplieissimus“ ge⸗ kränkt worden sei. Hat denn der arme Portier etwas von diesem In— halt zewußt? Es wurde auf eine Geldstrafe von ganzen 1000 erkannt, weil der „Simplicissimus“ einen solchen Artikel gegen die russische Flotte gebracht habe! Dies Urteil muß in den weitesten bürgerlichen Kreisen Befremden erregen. ine solche Judikatur muß ja, da hat die Presse recht, die Quelle
einer derartigen Weise behandelt
für Hunderttausende von sozialdemokratischen Mitläufern abgeben. In den letzten Tagen hat die sogenannte lex Heinze eine Rolle ge⸗
spielt. Besonders der Abg. von Dirksen verlangte stürmisch eine lex Heinze. Er hat die leidenschaftlichen Kämpfe der g0er Jahre im
Reichstage um dieses Gesetz nicht mit erlebt, sonst wäre er wohl etwas vorsichtiger aufgetrelen. Ich freue mich, daß der Staats- sekretär seine Vorlage don der Hand gewiesen bat, und daß selbst der Abg. Roeren meint, es sei mit den jetzigen Strafvorschriften voll- kommen auszukommen; aber dagegen muß ich ganz energisch pro⸗ testieren, wenn der Abg. Dirksen sich nämlich zu dem Satze verstieg: Deutschland in der Welt voran, auch in der Pornographie! Es ist schon früher hervorgehoben worden, daß diese Schmutzliteratur und diese Schmutzbilder hauptsächlich von Paris, Wien, Budavest usw. importiert werden; und auch der Dr. Kammer, den der Abg. Roeren für seine Auffassung anführte, konstatiert in seinem Buche, daß das, was wir in Deutschland auf diesem Ge— biete der Produktion exportieren, wir auf der anderen Seite wieder von diesen ausländischen Zentren importieren. Vor solchen Schlagworten sollte man sich doch sehr hüten, namentlich auch dann, wenn man so nervös bezüglich der Kritik des Auslandes ist. Ich muß denn doch im allgemeinen sagen — ich spreche hier ganz im allgemeinen —, es verrät eigentlich einen staunene werten Mangel an nationalem Takt, immer wieder Deutschland gewisser⸗
maßen als den Hort der Unsittlichkeit hinzustellen. Das ist unwahr. Wer die Verhältnisse in anderen Ländern, vor allen Dingen romanischen, kennt, der weiß, daß Deutschland in der
Unsiitlichkeit gottlob noch nicht in der Welt voran ist, und diese Darstellungsweise sollte doch vor allem wegen der hämischen Kritik des Auslandes aufhören. Ich bin der letzte, und habe das stets betont, der leugnet, daß viel erbärmlicher Schmutz in Wort und Bild auch in Deutschland vorkommt. Ich empfinde vor gewissen Witzblättern wie vor gewissen Theaterprodukten nicht viel mehr als Ekel. Ich gebe auch ohne weiteres zu, daß die Inserate in gewissen Witzblaͤttern höchst ekelbafter Natur sind. Wenn der Abg. von Gerlach an uns appelliert, daß wir gemeinsam den Kampf gegen die Unsittlicheit, besonders in der Presse, aufnehmen sollen, so möchte ich die Herren in der Mitte darauf aufmerksam machen, daß ich wiederholt, so auch bei der letzten Generalversammlung des Goethe⸗ Bundes, auf etwas hingewiesen habe, das bisher noch viel zu wenig betont wurde. Die Berichterstattung von Zeitungen, auch von solchen, die in letzter Zeit ganz besonders für die Sittlicheit schwärmen, über sensationelle Prozesse mit sexuellem Hintergrund ist eines der traurigsten Kapitel, die ich mir überhaupt denken kann. Wenn dagegen von allen Parteien und der Presse aller Parteien Front gemacht würde, so würde sehr viel Gutes bewirkt werden können. Es ist in einer ganzen Reihe von Fällen geradezu nachgewiesen worden, daß Lustmörder durch derartige sensationelle Zeitungs artikel auf ihre mörderischen Ideen gekommen sind. Auch auf diesem Gebiete tragen wir den Herren ohne weiteres unsere Bundesgenossenschaft an, ebenso wie auf anderen Gebieten zur Hebung der Sittlichkeit. Ich erinnere an die Bekämpfung des Mädchen⸗ handels und der Prostitution. Da können wir demselben Ziele zu⸗ streben, aber sonst sind Trennungspunkte zwischen uns vorhanden. Eine merkwürdige Erscheinung, auf die auch bereits der Abg. Roeren hingewiesen hat, ist, 4 das, was wirklich ekelhaft ist, mit den § 184 und 18442 der jetzigen Gesetzgebung leicht bekämpft werden könnte, ob⸗ gleich es sich ungeschoren unter den Augen der Polizei breitmacht. J besitze in dieser Beziehung ein kolossales Material, das mir, wie wiederholt betonte, vor allem von den Amtsärzten in hohen Stellungen zugeschickt worden ist, weil die Herren gerecht genug waren, zu sagen, daß in den denkwürdigen Tagen der lex Heinze die Linke auch vom ärztlichen Standpunkt aus den einzig richtigen Grundsatz aufstellte, auf der einen Seite das wirklich Unsittliche unbedingt zu bekämpfen, auf der anderen Seite aber unter allen Umständen gegen die Muckerei vorzugehen. Oftmals verfallen unzweifelhaft künst⸗ lerische Werke der Denunziation. Ich könnte Ihnen einige vergnügte Stunden bereiten, wenn ich Ihnen aus meiner Raritätensammlung ein kleines Bukett vorlegen wurde, ich will mich jedoch mit zwei Bei⸗ spielen begnügen, die meiner Auffassung nach toll genug sind. Unter allen Umständen muß ich unsere deutschen Gerichte gegen den Vor⸗ wurf verwahren, daß sie in der Behandlung derartiger Sachen zu lax selen, nein, bei den Gerichten fehlt es 3. bei den Polizeiorganen fehlt es. Weiter kann ein Gericht in der Aus⸗ legung der 55 184 und 1842 nicht gehen, als es das Reichsgericht 8 hat mit der Schaffung der sogenannten relativen Unzüchtigkeit. as Reichsgericht hat nämlich ausgesprochen, daß ein Bild in einem Museum als Kunstwerk wirken, jedoch den Charakter der Unzüchtigkeit haben kann, wenn es Unerwachsenen zugänglich sei. Der Unterprimaner oder Sekundaner oder der Backfisch mit 15 Jahren könnten geradezu als die homines normales morales angesehen werden. Die Statistik über die Anwendung der Paragraphen 184 und 1842, die zum Schutze der Jugend von uns aufgenommen sind, zeigt wie irgend etwas die Ueberschätzung derartiger Strafbestimmungen für die Hebung der Sitt lichkeit. Bei der Zusendung solcher Kataloge, wie sie der Abg. Roeren erwähnt hat, ist meist der Verlag nicht genannt, so daß es sehr schwer ist, dem Urheber nachzugehen. Es sind meist sehr verschlungene Wege, auf denen der Betreffende die lüsterne Sache beziehen kann. Aber das Grenzgebiet ist das schlimmste. Die Scheidung des künstlerisch Dargestellten, Natürlichen, den Begriff der Kunst über⸗ haupt. Wie mißtrauisch wir da gegen die Herren, mit denen wir sonst gern den Kampf aufnehmen würden, auch heute noch sein müssen, möchte ich Ihnen an zwei drastischen Fällen zeigen. Ich will hier die Reproduktion einiger Bilder, welche die Buchhandlung bon Viktor von Zabern in Mainz auf die Einsprache des Domkapitels in Mainz aug dem Ladenfenster als unzüchtig beseitigen mußte, auf den Tisch des Hauses niederlegen und die Frage an den Abg. Roeren und andere Herren des Zentrums richten, was sie gegenüber der Be—⸗ anstandung derartiger ernster Kunstwerke zu sagen haben, ob sie auch der Auffassung sind, daß es sich hier um unanständige, unzüchtige Sachen handelt. Ich will, damit auch die Presse Gelegenheit hat, davon Notiz zu nehmen, die einzelnen Werke hier nennen, dle nach der Anschauung des Mainzer Domkapltels als sogenannte Kunstprodukte der neuesten Richtung und als unanständig und teilweise skandalös bezeichnet sind. Sie sind zum größten Teil so bekannt, daß jeder Mensch, der sich nur etwas mit ernster Kunst abgibt, sie ohne weiteres kennt: Cobersteins rühling, Michel Angelos berühmte Figur aus der Grabkapelle in lorenz ‚Tag und Nacht“, Danneckers Ariadne auf dem Panther, der erühmte Dornauszieher, die Kugelspielerin, der Borghesische Fechter, der sterbende Gallier, die Venus von Milo, Abschied der Amazone von Haase, eine Gruppe Junge Liebe von Max Kruse Berlin, dann ein sehr bekanntes Kunstwerk, Die Perle, und einige antike Sachen, die ebenso bekannt sind, schließlich, worauf ich noch ganz besonders hinweisen möchte, Cauers wasserschöpfende Nymphe, die als ganz unanständiges Weib bezeichnet ist. Das Original dieses unanständigen Weibes be⸗ findet sich im Besitz des Deutschen Kaisers. Ich glaube, es wird mir jeder zugeben, daß, wenn dies unanständig und unzüchtig sein soll, es eine völlige Negation aller ernsten Kunst überhaupt bedeutet. dl eras er fiche aber als alles andere ist ein Urteil über Kunst, dag auch zeigt, daß die Prüderie bereits in weiten Kreisen geradezu lrank⸗ haft geworden ist. Ich entnehme dieses kritische Urteil einem bekannten Zentrumsblatt Südbadens, aus Rudolfszell. Christus müßte dargestellt werden in allen Phasen seines Lebens, auch als Kind. Es 1 doch gewlß ein schreiendes Unrecht, wenn in seinen Darstellungen seine eigene