Moral verletzt wird; besondert tritt dieser Mißstand zu Tage bei Dar. stellung des Fesuskindes, wo leider, entgegen den Forderungen der guten Sitte und des Schicksichkeitsgefühls, in vielen Fällen gar keine Kleidung vorhanden ist. Jede gewöhnliche anständige Mutter bedeckt und klcidet ihr Kind und läßt es nicht nackt herumlaufen, wir haben aber eine Reihe sogenannter klassischer Kunstwerke, wonach Maria geradezu ein befonderes Vergnügen darin zu sinden scheint, daß das göttliche Kind ganz ohne Umhüllung sich vor den Menschen zeigt Die Kunst darf gewiß das Kind so darstellen, aber sie vergreift sich am Heiligsten, wenn sie beim Jesuskind die Forderungen der Wohl anständigkeit und Ehrbarkeit mit Füßen tritt, und dieses Gefühl hat man bel g⸗wissen Darstellungen von Tizian, Dürer und sogar von Raffael. Ich habe hier noch die Aeußerung aus einem anperen Blatte. Der Volkafreund in Straßburg schreibt: Was bezweckt inan denn mit öer Darftellung nackter Gestalten? Kein Mensch in den Kultur staaten geht doch nackt einher, ein solches Umhergehen ist ja gesetzlich verboten Nackte Menschen gibt es in der Oeffentlichkeit ja gar nicht Das ist doch geradezu ein sittlicher Paroxysmus. Wir stehen hier vor zwei grundverschiedenen Weltanschauungen; die eine davon ist muckrig, eine Richtung der Kunst und eine kulturelle Richtung., die unter asketischen, moraltheologischen Anschauungen
leidet, die auch dem Mittelalter vollständig ferngelegen haben. Man kann nicht sagen, daß sie in das Mittelalter zurũck⸗ denn damals kannte man diese Anschauung nicht.
egangen sei, . l 3 Pflege der Kunst im Leben des Kindes verdient die größte nterstützung seitens des Staats und des Reichs. Die Schule, die amille, vor allem die Hebung des Bildungsniveauz, die Empfäng⸗ ichkeit für das Schöne in der Literatur und auch des menschlichen Körpers, die Bekämpfung einer solchen heuchlerischen Prüderie, von der ich Ihnen zwei dractische Beispiele vorgelegt habe, eine vernünf⸗ tige Sozialpolitik und dann eine gute Wohnungsgesetzgebung: alle diese positiven Mittel sind hundertmal mehr wert, als das fortgeseßzte Schreien nach dem Gendarm und Staatsanwalt. Ich möchte des⸗ Falb noch einmal dringend das Reichsjustizamt bitten, sich durch solche Äeußerungen, wie sie auch der Abg. bon Dirksen gemacht hat, nicht zu neuen legislativen Abenteuern drängen zu lassen. Die vernünftige Handhabung der bestehenden Gesetze reicht vollkommen aus. Die Recht⸗ sprechung hat bereits sehr bedenkliche Wege in dieser Richtung eingeschlagen. Sodann bitte ich den Staatssekretär, alles zu tun, um die breitesten Schichten des Volkes an der Rechtsprechung teilnehmen zu lassen, um dadurch das Vertrauen in unsere deutschen Gerichte wieder zu stärken und zu befestigen. Vor allem bitte ich das Haus dringend, unseren Antrag auf Einführung von Diäten für Geschworene und Schöffen anzunehmen .
Abg. von Gerlach (fr. Vngg.); Vor zwei Jahren wies der Staatssekcetär darauf hin, daß die Frage des Zeugnis wanges keine große Bedeutung., habe, weil von 1879 bis 1905 nur 18 Fälle vorgekommen seien. Im Jahre 1903 sind aber allein fünf Fälle vorgekommen, und seit der letzten Besprechung sind mindestens andere . zu verzeichnen gewesen. Augenblicklich sind noch Molken—
uhr in Halle, Zilowski in Hanau und Brüschkt in Hannover in Zwangshaft. In allen diesen Fällen handelt es sich um die Befriedigung der Rachsucht höherer Persönlichkeiten. Jedenfalls müßte man verlangen, daß Leute, die sich, keiner ehrlosen Handlung schuldig gemacht haben, die im Gegenteil eiwas durchaus Moralisches getan haben, der custodia honesta teilhaftig werden. Die Zeugniszwangshaft unterscheidet sich aber in sehr vielen Punkten absolut nicht von der Strafhaft, nicht einmal in Berlin gibt es ein einheitliches Verfahren. So wurden hier dem Redakteur Stärcke seine Schlüssel, sein Portemonnaie, seine Brieftasche abgenommen. Er mußte seine Zelle selbst reinigen, und als er es nicht gut machte, wurde er von dem Beamten angeschnauzt. Als er darauf aufmerksam machte, er wäre kein Strafgefangener, sagte der
Wärter: Ach wat, unschuldig sind se alle, wenn se nach Moabit kommen.“ Als er um ein Abendbrot für 60 8 bat, sagte der Wärter: Se meenen woll, se wärn bei Aschinger. Stärcke
mußte sich, wenn er überhaupt an die frische Luft wollte, an dem berühmten Spaziergang der Strafgefangenen beteiligen. Als er in einer anderen Sache vor den Staatsanwalt geführt wurde, mußte er die Nummer seiner Zelle sich auf die Brust heften lassen. Die Strafprozeßkommission hat auch in dieser Frage einen sehr eng⸗ herzigen Stindpunkt eingenommen. Das liegt auch an ihrer Zu— sammensetzung. Kein einziger Laie nahm an ihr teil. Während drei Juristen des Zentrums vertreten waren befand sich in der Kom— mission kein einziger Sozialdemokrat. Bei einer Partei von drei Millionen Wählern wäre diese Zuziehung schen vom Standpunkte der Zweckmäßigkeit und Klughest geboten gewesen. Aus sozial⸗ demokratischen Kreisen kommen die meisten Beschwerden gegen unsere Rechtspflege, und man hätte diesen Kreisen Gelegenheit geben sollen, ihre Wünsche vorzubringen und Anträge zu stellen. Gegen den Antrag auf Ausdehnung der Kompetenz der Schwurgerichte auf die Preßvergehen hat der Staatssekretär zwar ganz entschieden Stellung genommen; aber deswegen sollten wir nicht auch dagegen stimmen. Der Reichstag ist deswegen in seiner Bedeutung so schwach geworden, weil er bisher gar zu oft vor einem hoc volo sic jubeo des Bundesrats zu Kreuze gekrochen ist. Der Staatssekretär hat noch nicht den Versuch einer Begründung seines ablehnenden Stand⸗ punktes gemacht. Scheiterte wirklich die Reform an diesem Beschluß des Reichstags, so würde ich das Scheitern nicht einmal be— dauern. Es ist doch nun einmal nicht wegzuleugnen, daß man in Süddeutschland mit dieser Einrichtung außerordentlich zufrieden ist, und daß sie in Norddeutschland von weiten Kreisen verlangt wird. Strafkammer ist schlecht, Schöffengericht ist besser, am besten ist das Schwurgericht. Das ist mein Standpunkt. Daß die Strafkammern die schlechteste Form der Justizverwaltung dar⸗ stellen, wollte ich an Beispielen nachweisen. Ich erspare mir das aber für eine spätere Gelegenheit. Sehr bedaure ich daß die Kom mission die Frage, ob Entschädigung für Schöffen und Geschworene gewährt werden soll, unentschieden gelassen hat. Wir stehen durch⸗ aus auf dem Boden der in dieser Beniehung gestellten Anträge. Schon heute könnte im Verordnangswege dafür gesorgt wecden, daß häufiger als bisher die Angehörigen der sogenannten geringeren Klassen zu Schöffen! und Geschworenendiensten herangejogen werden, wie es in Süddeutschland und in Elsaß⸗Lotbringen jetzt schon in höberem Maße geschieht. Man hört jetzt, daß Gewerkschaftsführer
und sozialdemokratische Stadtverordnete endlich zu diesem ihnen bisher vorenthaltenen Ehrenamte herangezogen werden. Aber äußerst spärlich laufen solche Berichte aus Preußen ein.
Durchweg wird nur der sogenannte bessere Mittelstand, die oberen Schichten herangezogen, es wird durchaus politisch und sozial ein seitig ausgewählt. In Sachsen dagegen ist neuerdings vom Justiz⸗
minister eine Verfügung ergangen, die es als mit dem Geiste des Gerichte verfassungsgesetzes unvereinbar bezeichnet, wenn die Angehörigen der unteren Schichten von der Wahl ju Geschworenen und Schöffen ganz ausgeschlossen werden, eine der erfreulichsten Meldungen, die seit langem aus Sachsen gekommen sind. Von dem vpreußischen Justizministerium kann ein gleiches noch nicht gesagt werden. Preußen in Deutschland hintenan! Der Staatssekretär könnte sich ein großes Verdienst erwerben, wenn er die preußische Justizverwaltung veranlassen
könnte, nach dem sächsischen Muster zu verfabren. Auch die Frage der b⸗dingten Begnadigung oder der bedingten Verurteilung ist Gegenstand der Verhandlungen der Kommission für die Strasprezeßreform ge— wesen. Der Staate sekretär gab anbeim, über gewisse schwebende Fragen nicht zu reden, sondern erst abzuwarten, bis eine Vorlage ans . gekommen sei. O nein, denn es ist viel leichter, zu ver . indern, daß uns schlecht- Vorlagen gemacht werden, als schlechte Vorlagen, wenn sie uns gemacht sind, zu verbessern; es ist viel leichter, die Empfängnis eines Kindes zu verhindern, als das Kind, wenn es eist erzeugt ist, wieder zu beseitigen. 5 der Mehrzahl der Fälle wirkt die erste Strafhaft demorali⸗ ierend; darum ist nichts wünschenswerter, als daß die Menschen bor dem ersten Schritt in die Strafanstalten bewahrt bleiben. Wir haben ja die bedingte Begnadigung, aber vor dieser bat die bedingte Verurteilung doch ganz entschiedene Vorteile. Sie beruht
auf Gesetz, während die Begnadigung nur ein Verwaltungsakt ist, die bedingte k— würde für ganz Deutschland gelten, die gilt
bedingte Begnadigung nicht für alle Staaten, so nicht fũr Mecklenburg · Etre 6 was niemand wundern wird; die bedingte Ver. urteilung erfolgt öffentlich, die bedingte Begnadigung vollzieht sich binter den Kulissen. Die bedingte Verurteilung kann nur Dann zu einer endgültigen führen, wenn der Betreffende fich einer Straftat schuldig macht; bei der bedingten Begnadigung wird aber das Gesamt.· verhalten in Betracht gezogen, und es ist da ber durchaus denkbar, daß ein bedingt Begnadigter, der sich vater vielleicht in der Gewerkschafts⸗ in der Ärbeiterbewegung hervorktut, päter zur Strafvollstreckung beran—⸗ gezogen wird. Eg börl vollends alles auf, wenn eine Strafe sogar dann eventuell vollstreckt werden kann, wenn ihm die Tat agicht voll bewiesen ist; das ist ja die reine Willkür. Der Ersatz der bedingten Begnadigung durch die bedingte Verurteilung ist daher abfolut zu wänschen. Wag die Jufftzverrraltungen billigen, braucht noch lange nicht dem Volksbewußtsein zu entsprechen. In Deutschland wird au von der bedingten Begnadigung welt weniger Gebrauch gemacht als j. B. in Frankreich; das liegt offenbar daran, daß in Frankreich nicht wie bei uns die Behörden, son dern die Gerichte zu entscheiden haben. Der Redner gebt dann noch auf die Handhabung des s 185 Str. G. B., be treffend die Wahrnehmung berechtigter Interessen gegen die Redakteure ein. Einem Redakteur in Berlin sei der Schutz des 8 193 versagt worden, weil er nicht Berliner Steuerjahler war, und das war er nicht, weil er das Pech gehabt hatte, Schöneberger Bürger zu sein. Die Hand— habung des Gesinderechts in der Provinz Posen gebe ju Len schwersten Anständen Anlaß. Der Redner exemrlifiziert in dieser Be⸗ ziehung auf den Fall Koelowsaf, der zwar freigesprechen wurde, aber trotzdem 5 Tage sitzen mußte. Die Schuld treffe den Distrikta⸗ kommissar.
Staatesekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Die Frage der Reform des Gesinderechts werde ich jetzt nicht anschneiden; ich wünsche nur, dem Herrn Abgeordneten zu antworten bezüglich des Falls des in Posen in Haft genommenen Knechts, besonders weil ich im vorigen Jahre nicht in der Lage war, ihm die gewünschte Antwort zu erteilen. Ich erklärte damals, das
sei zurückzuführen auf ein Versehen unseres Bureaus, und der Herr Abgeordnete nahm daraus Anlaß, das Bureau des Reichsjustizamts recht schlecht zu machen. (Heiterkeit)
Um nun diesen damaligen Angriff gegen unser Bureau doch etwas abzuschwächen und den Herrn Abgeordneten etwas milder zu stimmen, kann ich heute erklären, daß unser Bureau keine Schuld an meinem Verhalten trägt, sondern ich allein und meine Vergeßlichkeit die Schuld haben. Das Bureau hatte mir den Fall vorgelegt, ich hatte den Zeitungsartikel darüber gelesen. Meine einzige Entschuldigung ist die, daß die Rechtslage bereits nach diesem Artikel für mich so klar war, daß ich es überhaupt nicht für möglich bielt, daß dieser Fall bier im Reichstag zur Besprechung gelangen werde. (Hört, bört!) deshalb hatte ich mich nicht weiter mit dem Fall beschäftigt.
Auch nach den heutigen Ausführungen des Herrn Abgeordneten muß ich erklären: die Rechtslage ist so klar, daß gar kein Zweifel darüber bestehen kann, daß fär die Reichsverwaltung kein gesetzlicher Raum gegeben ist, sich in die Sache zu mischen. Es handelt sich ganz einfach darum, daß angeblich unrechtmäßig — ob wirklich unrecht⸗ mäßig, kann ich nicht beurtellen, weil ich den Sachverhalt nach dieser Richtung nicht kenne — ein Knecht von der Posener Verwaltungs. behörde verhaftet worden ist. Als auf Grund dieser behaupteten Unrechtmäßigkeit nun gegen den Beamten, der die Verbaftung ver— anlaßt hatte, im Prozeßwege vorgegangen werden sollte — so liegt, soviel ich weiß, der Fall — erhob die Posener Regierung den Kom⸗ petenzkonflikt. Sie ist berechtigt, in solchen Fällen den Kompetenz konflikt zu erheben; der Artikel 17 des Einführungsgesetzes zum Ge— richtsberfassungsgesetz hat die gesetzlichen Unterlagen dafür vorgeseben. Die Entscheidung hat dann nach den reichsgesetzlichin Normen zu er— folgen durch einen besonderen Gerichtshof, der der Mehrzabl nach aus Richtern bestehen muß, abstimmen muß in der gesetzlichen Besetzung und verhandeln muß in öffentlicher Sitzung nach Ladung der Parteien — also alles Garantien, die für eine gerichtliche Entscheidung gelten. Soviel ich aus dem Vortrage des Herrn Abgeordneten entnehme, bat dieser Gerichtshof in der Sache befunden, und zwar dahin, der Kompetenz konflikt sei begründet. Ist das richtig — ich weiß es nicht —, dann kann ich den Worten des Herrn Abgeordneten, hier liege ein durchaus ungerechtes und gesetzwidriges (Zuruf) — also nur: un gerechtes — Verfahren vor, nicht zustimmen. Denn ich nehme nicht an, daß der Kompetenzgerichtshof, wie er in Preußen nach Maßgabe der Anforderungen der Reichsgesetzgebung gebildet ist, wenn er er— kannt hat, in ungerechter Weise erkannt habe, sondern er wird eben manche Gesichtspunkte berücksichtigt haben, die in Betracht zu ziehen waren, und die anscheinend dem Herrn Abgeordneten nicht bekannt geworden sind. Ich bedaure also, nach Maßgabe der Zu⸗ ständigkeit, die durch die Reichsgesetzgebung begründet ist, hier keine Einwirkung üben zu können.
Im übrigen möchte ich mich darauf beschränken, die von dem Herrn Abgeordneten ausdrücklich erbetene Auskunft zu geben über meine Stellung zur Frage des Zeugniszwangs. Der Zeugniezwang ist 1. 3. eine gesetzliche Institution bei uns; die Richter sind berechtigt, ihn an—
zuwenden. Wenn ein Richter auf Grund des Gesetzes von dem Zeugniszwang Gebrauch macht, so bandelt er in den Grenzen seiner Befugnisse in einem schwebenden
Verfahren, in das ich ablehnen muß, einzugreifen. Der Herr Vor— redner kann deshalb nicht mir einen Vorwurf machen, wenn bisher das Zeugniszwangsverfahren vielfach — nicht so häufig, wie er viel—⸗ leicht annimmt — aber doch in zahlreichen Fällen neuerdings ange—⸗ wendet wurde; die Fälle, die er hier angeführt hat, sind auch uns bekannt. Der Hert Vorredner kann auch von mir nicht verlangen, daß, solange das Zeugniszwangeverfahren besteht, von der Reichs—⸗
justizverwaltung irgend etwas Allgemeines zur Einschränkung der richterlichen Anordnungen geschehe. Das ist nicht möglich (Zuruf. — Ich verstehe nicht. — (Erneuter Zuruf.)
— ich sage, der Herr Vorredner kann nicht verlangen, daß, solange der Zeugniszwang auf Grund des Gesetzes angewendet werden kann, meinerseits etwas dahin geschähe, daß die Richter von dieser ihrer gesetzlichen Befugnis keine Anwendung machen sollen. Das ginge über meine Befugnis hinaus. Nur dies habe ich sagen wollen.
Nun gebe ich eins zu. Ich habe aus neueren Fällen allerdingt
den Eindruck gewonnen, daß vielleicht hier und da von dem Zeugnisiwangsverfahren unter Umständen Gebrauch gemacht wird,
unter denen dies, wenn man das Staatsinteresse allein als maßgebend
ansieht, nicht rätlich sein würde. (Hört, hört! links.) Ich sage: persönlich habe ich den Eindruck davon; ich kann es aber nicht be—⸗ stimmt beurteilen; denn die Akten haben mir in keinem der mir be⸗ kannt gewordenen Fälle vorgelegen und ich habe auch keine Ver⸗ anlassung, diese Akten einzuziehen. Aber ich glaube wohl, daß es
wäünschengwert ist, wenn die Richter in den einzelnen an sie beran= tretenden Fällen sich sebr ernst äberlegen, ob die Sache wirklich dan ac angetan ist, ob es wirklich notwendig ist, von der gesetzlich zu. lässigen, aber nicht gebotenen Maßregel Gebrauch ju machen. Wird wirklich nur in dringenden Fällen von der Zwangshaft Sebranch gemacht, dann wiid, glaube ich, das Gebässige, was der Maßregel unter Umständen anbaften kann, sich für billig denkende Leute völlig verlieren. Daß wir nicht in allen Fällen auf den Zeugnißjwang ver= zichten können, ist für mich persönlich außer Zweifel.
Meine Herren, die legislatorische Bebandlung dieser Frage steht uns bevor; sie gehört zu den Fragen, die in der Straf⸗ proz pßreviston zur Erörterung kommen müssen. Wir sind im Reichsjastizamt bereits mit der Frage befaßt und haben uns sehr ernstlich mit dem Gedanken beschäftigt, ob es nicht möglich sein möchte, irgend welche Einschränkungen zu treffen, die die Garantie dafür bieten, daß von dieser Einrichtung wirklich nur in solchen Fällen Gebrauch gemacht wird, in denen in der Tat das staatliche Intertsse solches verlangt. Wir sind zu einem Abschluß der Erwägungen noch nicht gekommen, aber ich gebe mich doch der Hoffnung hin, daß ez gelingen wird, im Wege einer gewissen Einschränkung der richter lichen Befugnisse zu einer Verständigung jwischen Reicht tag und Regierung zu gelangen. Eine Verständigung wäre allerdings sebr schwierig wenn man darauf entscheidendes Gewicht legen wollte, bis zu welchen unbegrenzten Anforderungen die Vertreter der Presse in dieser Be ziehung vielfach geben. Ist es mir doch vorgekommen, daß, als ich Herren von der Presse auseinandersetzte, wie doch die Möglichkeit ge geben sein müsse, daß, wenn in eirem Falle, in dem J. B. ein Mord vorliegt und eine Untersuchung wegen dieses schweren Verbrechenz schwebt, ein Zeitungsartikel erscheint, der dem Untersuchungerichter Anlaß gibt, anzunehmen, der Verfasser dieses Artikels wisse von gewissen, fär die Ermittlung des Mörders wichtigen Umftänden, mir gegenüber der Standpunkt vertreten wurde, daß selbst in einem solchen Falle die Vertreter des Blattes den Mund nicht öffnen dürften, sondern ihr Zeugnis versagen müßten. Wer sich auf diesen Standpunkt stellt, wird sich mit uns niemals verständigen; denn wir wir müssen verlangen, daß Vertreter der öffentlichen Blätter in Fällen wo es sich um ein vitales, ein ernstes öffentliches Interesse bandelt Rede steben, wie jeder andere Zeuge, denn die großen Intereffen der staatlichen Gemeinschaft stehen über den Interessen, welche mit der Presse verknüpft sind, und nicht unter ibnen. (Sehr wahr! rechts)
Nun, meine Herren, komme ich noch zu der praktischen Hand= habung des Zeugniezwanges unter den Verhältnissen, die der Herr Vorredner hier berührt bat. Ich stehe mit ihm auf dem Standpunkt, daß die Zeugnisjwangsbaft die mildefte Form der Freibeitsentzie hung sein soll, in keinem Falle weiter gehen darf in Einschtänkungen gegen über dem Verhafteten, als die einfache Haft des Strafgesetzbuchs dat
mit sich bringt. In Preußen ist die Sache in dieser Beziehung vollständig geregelt; in Detmold scheint fie n dem, was der Herr Vorredner angefübrt bat, nicht
geregelt zu sein. Ich teile seine Ansicht, daß in diesem Punkte gleichmäßig in Deutschland verfahren werden soll, und ich will ihm gern das Bersprechen geben, daß falls die Unzuträglichkeiten vorgekommen sind, die er aus Detmold in dieser Bejtehung kebauptet hat, ich für eine Abbilfe wich bemüben werde, damit eine Praxis dort sichergestellt wird, — ich glaube, die dortige hohe Reg'erung wird keine Bedenken tragen, in dieser Richtung uns beizutreten — eine Praxis dort sicher gestellt wird, wie sie in Preußen besteht. Meine Herren, in Preußen ist die Einrichtung so, daß diese Gefangenen nach festen Srundsätzen, die in der Gefängnisordnung fesigelegt sind, in der mildesten Form der Haft bebandelt werden. Sie bekommen die besten Zellen, ausgestattet wit Bett, Tisch, Waschtisch, Stäblen und möglichst großem Fensterlicht; sie sollen, was die Beschäftigung, Bekleidung, Lagerung und Se— köstigung betrifft, nach den Bestimmungen behandelt werden, wie fie für einfach? Haftgefangene gelten; sie können sich also arf Wunsch auch selbst beköstigen, sie können sich selbst nach ibrer Wabl beschäftigen, Schreibmaterialien stehen ihnen jur Verfügung. der briefliche Verkehr unterliegt keiner Beschränkung, Be⸗ suche dürfen sie ohne Aufficht annehmen; die Reinigrng der Zelle wird von Amts wegen besorgt. Meine Herren, da bleibt
so erschöpfend
in der Tat doch nichts anderes übrig, als daß der betreffende Herr
eingespertt ist, und das können wir ja, sobald das Gesetz r Am wendung kommt, nicht bindern. (Zuruf links) — Auf den Fell komme ich noch. — Daß also in diesen von mir bezeichneten Richtungen alles gescheben ist, was man billig verlangen kann, dat werden Sie anerkennen. Nun, meine Herren, ist der Hert Abgeordnete noch ausdrũcklich auf das Spazierengehen gekommen. Der tägliche Spaziergarg muß natürlich innerbalb der Mauern des Gefängniffet vor sich geben und kann auch, wenn Ordnung in großen Gefängriffen aufrecht erba
*
alten werden soll, nicht ju verschiedener Zeit, je rach dem Ermesse einzelnen Gefangenen volljogen werder. Das kann vielleicht in Detmold in dem keinen Gesäng nit anders behandelt werden, ist da vielleicht nachsichtiger zu Gunsten det Herrn Stärcke geübt; in Berliner Gefängnissen kann da, wenn Sicher ⸗ beit und Ordnung nicht aufs äußerste gefährdet werden sollen, nickt gewährt werden, was nicht den Reglements entspꝛicht. Dem Ber hafteten wird die Möglichkeit gegeben, in dem Gefängnis zu einer be stimmten Stunde spazieren ju geben, natürlich nur in den freien Räumen, die auch den anderen Gefangenen zur Verfügung gestelt sind; anderwärts können doch in der Tat innerhalb der Gefangri⸗ mauern diese Spajiergänge nicht ausgeführt werden, denn anderwärt gibt es in den Gefängniffen keine Gärten oder sonstigen freien Rämmt für diesen Zweck. Der Herr Abgeordnete bat Herrn Stärcke ein kesonderes Arm gelegt sei. Ja, wenn Heir Stärcke den Wunsch ante sprochen hätte, von kiesem Nummernschild befreit zu sein, * wäre diesem Wunsche voraussichtlich entsprochen worden. (3rrr links) — Der Herr Abgeordnete behauptet, er wäre gemwrngen worden. Das steht mit den Ermittelungen, di⸗ ich angeftellt babe im Widerspruch wie der Herr Abgeorhnete auch behauptet, der Ber bafte⸗ hätte dagegen protestiert — auch das steht mit meinen Ermittelnage⸗ im Widerspruch. Die Gefängnie verwaltung hat dem Herrn Stärke cn
en des
sich darüber beschwert, deß
dem Num mernschild an den
autgrzeichretes Zeugnis auegestellt, hat anerkannt, dah er fich in *
Beiiebun⸗ musterhaft, räcksichtevoll und ansprucht los betragen bebe die Verwaltung wäre gewiß jederzeit gern bereit gewesen, setarn
Wünschen entgegenzukommen, und es ist nicht ibre Schuld, wenn ny
Wänsche kes Herrn Stärcke nicht 10 ihrer Kenntnis gelangt fra
herr Stärcke hat eben keine Wünsche geäußert. Ich bedaure das im Juteresse des Herrn; denn er hat nach seinem von der Gefängnis rerwaltung bezeugten Verhalten verdient, daß er in jeder Weise cine rücksichtsolle Bebandlung erfuhr. Ich kann nur wieder · kelen, sie wäre ihm zuteil geworden, wenn er seiner⸗ seits Wünsche geäußert hätte. Ich glaube aber, weiter kann man nicht gehen, wenn der Zweck der gesetzlichen Maßregel überhaupt er⸗ llt werden soll. Hat der Herr Abgeordnete darüber andere An sichten, so werden die nach meiner Ueberzeugung niemals eine gesetz · liche Anerkennung finden (Bravo! rechts).
Hierauf wird Vertagung beschlossen.
Persönlich bemerkt der
Abg. von Gerlach, daß er im Falle Koslowski einen Vor— wurf gegen den Gerichtshof nicht erhoben habe, er habe nur das Vorgeben des Distriktskommissars getadelt.
Schluß 6i/ Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. Initiativanträge. U. a.: Antrag Nißler, betreffend die Ge⸗ vährung von Beihilfen an Kriegsteilnehmer, Antrag Basser— mann und Graf Hompesch auf Abänderung der Gewerbe— ordnung.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 31. Sitzung vom 24. Februar 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Das Haus setzt die k 5 Beratung des Staats haus⸗
haltsetats für das Etatsjahr 1906 bei dem Etat des inisteriums der geistlichen, Unterrichts— Medizinalangelegenkeiten fort.
Ueber den ersten Teil der bei dem ersten Titel der dauernden Ausgaben, „Gehalt des Ministers“, statt⸗ findenden allgemeinen Besprechung ist bereits in der vor⸗ gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. Abg. Dr. Porsch (Zentr) bemerkt, wie hier kurz wiederholt sei: Das Kultusministerium bat festgestellt, daß die Behauptung nicht richtig sei, daß die preußischen Gymnasien mit einem Netz von Marianischen Kongregationen überzogen seien. Trotzdem taucht diese Bebauptung in der Presse immer wieder auf, und ich nehme daher Veranlassung, gegen diese Behauptung zu protestieren.
Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal— angelegenheiten Dr. Studt:
Meine Herren! Ich war im vorigen Jahre in der Lage, auf Anfrage eines Herrn der nationalliberalen Partei die Auskunst zu er— teilen, daß im ganzen 9 Anträge auf die Erteilung der Genehmigung von Marianischen Kongregationen in der Zentralinstanz eingegangen seien, und zwar 6 Anträge auf Bildung von neuen Vereinen an den Schulen und 3 Anträge auf Beteiligung von Schülern an bestehenden Marianischen Kongregationen. Ich habe hinzugefügt, daß bisher noch nicht ein einiger Antrag genebmigt worden sei. Meine Herren, die Anträge sind demnächst im Einvernehmen mit den kirch— lichen Oberen zurückgezogen worden, neue Anträge stehen nach Lage der Sache nicht in Aussicht, und ich kann hiermit konstatieren, daß keine einzige Marianische Kongregation seitens irgend einer zuständigen Behörde und namentlich seitens der Zentralinstanz für die höheren Unterrichts anstalten Preußens genehmigt worden ist. Somit kann ich nur wiederholen, was ich damals schon gesagt habe, daß die große Aufregung, die im Lande über die von der Unterrichtsverwaltung ge— troffenen Maßnahmen hervorgerufen worden ist, gegenstandslos ist. Ich babe schon vor jwei Jahren bei der Beratung des bezüglichen Gegenstandes meinerseits betont, daß die ganze Sache eine erhebliche praktische Tragweite nicht gewinnen werde dank den Kautelen, die meinerseits getroffen seien. Diese Annahme hat sich bestätigt. Es ist außerdem die günstige Folge mit der diesseitigen Maßnahme ver⸗ bunden gewesen, daß nicht allein keine Marianischen Kongregationen
und
entstanden sind, sondern daß auch die bestebenden Kongregationen, die
sich heimlich ohne Genehmigung fortgesetzt hatten, soweit mir bekannt, inzwischen beseitigt worden sind. Ich glaube, daß die ganze Maßregel nicht zur Erregung eines konfessionellen Zwistes, im Gegenteil dazu beigettagen hat, den konfessionellen Frieden zu fördern.
Abg. St vch el (Pole) wendet sich ausführlich gegen eine Begünsti⸗ gung deutschsprechender Katholiken gegenüber den polnischsprechenden, wie sie in den Ostmarken stattfinde. Die Parole, nach der die Re⸗ gierung dort vorgebe, heiße: divide et impera. Die deutsch; katho= lischen Vereine würden von den Hakatisten unterstützt, die , Rundschau“ erhalte eine Subvention von der Regierung. Dies geschehe aber nur im politischen und nicht im konfessionellen Interesse. In Berlin solle es ber hunderttausend Polen geben, wovon ein großer Teil noch in polnischer Muttersprache füble. Seiteng der Regierung solle eine Kontrolle darüber veranstaltet werden, welche Zugeständnisse den polnischen Katholiken auf kirchlichem Gebiete durch die katholischen KRirchenbebörden gemacht worden seien. Der Redner geht dann auf die schon mehrfach erwähnte Verordnung ein, in der den polnischen Lehrern vorgeschrieben sein solle, sich auch im häuslichen Kreise der deutschen Sprache und nicht ihrer polnischen Muttersprache zu bedienen. Der Minister habe die Verordnung anders auszulegen gesucht, aber der Wortlaut lasse keinen Zweifel zu. Die religiöse Freiheit solle nach der Zusage Seiner Majestät des Königs durch keine politischen Mittel beeinträchtigt werden. Die Tatsachen ständen damit aber im Widerspruch. ö
Abg. Tourneau Gentr.): Ich wurde neulich leider verhindert, auf die Rede des Abg. von Campe einzugehen. Ich sagte damals, ich müͤsse bedauern, daß ein Herr uns bei Beratung des Justizetats ein kleines Stack Kulturkampf vorgeführt hat. Herr von Campe sprach von einem Mißbrauch des Gesetzes, vom Uebergang zur Tagetzordnung über das Gesetz und von der Ausbrütung eines ultramontanen Kuckuckseiet. Ich will nicht mit ihm darüber rechten, aus ihm sprach eine gewisse Nervosftät, vielleicht infolge angestrengten Arbeitens. Er sprach aber von Hintermaännern, die hinter den Ordensschwestern ständen und auf Wegen gingen, wo man sonst solche findet, die in fraudem legis vor- gehen. Dag ist eine Beleidigung und Verdächtigung von Einrich— tungen der katholischen Kirche und von Mitgliedern katholischer Orden. 8 von Campe hätte sich sagen müssen, daß er dapurch nicht nur die
itglieder einer großen Partei, der Katholiken hier im Hause, sondern das Janze kathol ische Volk Deutschlande, insbesondere Preußens verletzen würde. Da kürzlich ein Protestant, der früher Katholik war, von
einer Beleidigung der Katholiken freigesprochen wurde, weil er nach
Ansscht des Gerichts nicht das subjektive Empfinden der Beleidigung hatte, will ich Herrn von Campe eine mildere Auffassung zubilligen und ihm den Mangel an subjektivem Empfinden zu gute halten. Was die juristische Frage bezüglich der Eintragung von Orden als Gesell— schaften m. b. H. betrifft, so hat das Gericht entschieden, daß die Ein⸗ tragung zulässig sei, wenn die Voraussetzungen des Gesetzes dafür er⸗
füllt seien, und wenn die Orden sich nicht durch ein feierliches Gelübde
gebunben hätten. Alle die religiösen Gesellschaflen, die 6 von Campe neulich anführte, sind nicht durch ein feierliches Gelübde gebunden und fallen daher nicht unter Artikel 13
der Verfassung. Herr von Campe hergißt, daß alle Ordensnieder- lassungen der' Genehmigung des Ministers des Innern und des
Kultusministers bedürfen, daß also vorher schon genaue Erhebungen über sie statifinden. Von Verschleierungen ist keine Rede.
Die
Geistlichen treten offen hervor und verstecken sich in keiner Weise.
Es ist naturgemäß, daß, wenn
ie in Preußen als Niederlassungen
enebmigt sind, sie auch eine Rechtsfähigkeit haben müssen, wie jeder
ensch einen Geist und einen Körper bat. Die Ordensniederlassungen haben auch ganz bedeutende wirtschaftliche Zwecke in ibren verschiedenen Veranstaltungen zu erfüllen, und darum bedürfen sie auch der Rechtsfähigkeit. Im Interesse und zum Schutze des Publikums muß ibnen die Rechtsfähigkeit erteilt werden, denn wohin sollte es führen, wenn sie große Gesellschaften bilden und nicht, haftbar gemacht werden können? Die Gesetze über die Genossenschaften und Gesell⸗ schaften m. h. H. sind doch gerade gemacht worden, um solche Gesell⸗ schaften haftbar machen zu können. Unsere Ordensgesellschaften leiden sogar unter den Beschränkungen und Ausnahmebestimmungen, denen sie noch unterworfen sind. Ich weise auf die wiederbolten Reden des verstorbenen Abg. von Heereman hin, die immer großen Eindruck bier gemacht haben. Es muß der Geist des Gesetzes beobachtet werden, und der Geist des Gesetzes it daß auch den religiösen Gesellschaften die Rechtsfähigkeit zugestanden werden muß. Ich schli⸗ße mit den eigenen Worten des Abg. von Campe: „Das Interesse, das ich an der Sache habe, ist lediglich das, daß Recht Recht und Gesetz Gesetz bleibt im preußischen Staate, und daß nicht der Buch— stabe des Gesetzes siegt über den Geist des Gesetzes.“
Abg. Dr. von Campe (nl): Ich bätte gewünscht, daß der Abg. Tourneau mit den friedlichen Akkorden, mit denen er seine Rede geschlossen hat, auch seine Rede begonnen hätte. Er hat behauptet, er könne mir nicht mit den Worten antworten, die ich gesprochen hätte. Aber in seinen ersten Ausführungen hat er mit Worten gesprochen, die einen ganz anderen Ton hatten als meine. Er hat gesagt, er wolle mir mildernde Umstände zubilligen. Die Strafe nehme ich nicht an. Dann hat er gesagt, nachdem es unlängst einmal vorgekommen sei, daß ein Protestant, der wegen Beleidigung von Einrichtungen der katholischen Kirche an geklagt war, freigesprochen sei, weil man ihm nicht habe nach—⸗ weisen können, daß er die Tragweite seiner Behauptungen äber⸗ sehen habe, müsse er in weiten Kreisen des protestantischen Volkes ein gewisses mangelndes subjektives Empfinden für Beleidigungen voraussetzen. Das ist denn doch eine etwas recht arge Ver— allgemeinerung. Herr Kollege Tourneau, Sie sind Richter wie ich, Sie wissen ganz genau, daß mancher manchmal einen Ausdruck gebraucht, der nachher ganz anders ausgelegt wird, als er ihn gemeint hat, und daß er deshalb freigesprochen werden muß. Aber daraus die Folgerung zu ziehen, daß ein großer Teil der Pro⸗
testanten moralisch oder intellektuell — ich weiß nicht, wie er es gemeint hat — minderwertig sei, das geht denn doch so weit, daß man es schlechterdings nicht . . kann. Die
Vorwürfe habe ich gebraucht, daß ich von einem Mißbrauch des Rechts gesprochen habe; ich habe dabon gesprochen, daß das Erhabene herabgejogen werde; ich hahe von Hintermännern gesprochen, Das sind die Ausdrücke, die ich gebraucht habe. Wenn er von Verschleierung gesprochen hat, so ist das nicht ganz richtig. Ich habe gesagt, der eigentliche religiöse Orden 1 w, hinter dem reinen Geschäfts⸗ mäßigen. Wenn Sie solche Ausdrücke so empfindlich machen, so herrscht bei Ihnen eine solche Sensibilität, daß Sie die letzten sind, die sich beschweren dürfen. Dann soll ich weiter Einrichtungen und Mitglieder der katholischen Orden nach den Ausführungen des Kollegen Tourneau verdächtigt haben. Diesen Vorwurf weise ich zurück.! Wenn Sie sich der Mühe unternehen wollen, meine Ausfübrungen durchzulesen, dann werden Sie finden, daß ich gesagt habe — ich zitiere hier nach dem Gedächtnis — Fern liegt es mir, auf irgend ein Mitglied eines Ordens Steine ju werfen. Wie steht damit im Einklang, daß ich die Einrichtungen und Mit- glieder der katholischen e he verdächtigt hätte! Beim Justizetat brachte ich die Sache vor, weil ich vom Justizminister Remedur er hoffte. Vielleicht war es dort nicht opportun, aber die Sache ist doch wichtiger, als daß wir uns darüber streiten, ob sie beim Kultus oder beim Justizetat ju erörtern sei. Ich bedauere fast, daß ich sie beim Juflfizetat vorbrachte, denn die allgemeinen Ausführungen, die ich
damals vorausschicken wollte, verhinderte der Präsident, weil sie nicht dahin gehörten.
Ich will diese allgemeinen Erörterungen nachholen, und dann wird auch Herr Tourneau wohl einen anderen Ton an⸗ schlagen. Ich wollte folgendes vorausschicken: Ich erkenne an, daß viele katholssche Orden ein religiöses Bedürfnis befriedigen und auch allgemeine humanitäre Bestrebungen pflegen, und bedauere deshalb, daß sie noch Beschränkungen unterworfen . die nach der geschicht⸗ lichen Entwicklung und nach unseren Erfahrungen mit vielen Orden doch immerhin noch geboten sind. Ich hatte aussprechen wollen daß hoffentlich in naher 86 diese Beschränkungen für die nützlichen Orden fallen könnten, und wir diesen dann die Korporationsrechte geben könnten, daß aber, solange solche Sachen passieren, daß man auf un⸗ richtigen Wegen die juristische Persönlichkeit sich verschafft, man diese Entwicklung hemmen muß. An diesen Ausführungen wurde ich damals verhindert. 13 Kongregationen haben sich die juristische Per— sönlichkeit durch Eintragung als Gesellschaften m. b. H. oder in anderer Form zu a . gewußt.
Standpunkt kann es zweifelhaft sein, ob dies recht oder nicht recht ist. Ich halte es vom Standpunkt des Geistes der Verfassung nicht für richtig. Es ist verblüffend und absurd, wenn sich ein Orden von Schwestern zur ewigen Anbetung eine Gesellschaft m. b. H. nennt. Das muß jeder einsehen, der tiefes inneres Gefühl für Religlon hat. Ueber die juristische Auffassung will ich mit dem Vorredner nicht streiten; ich bleibe dabei, daß dies mit dem Artikel 15 der Verfassung und 5 84 des Einführungsgesetzes zum B. G-⸗B. im Widerspruch fen. Geheimer Rat Kahl sagt in einem Aufsatz darüber, daß formaljuristisch
Bedenken Anlaß gegeben haben. Ich erwähne ferner, daß mir ver⸗ schiedene Klagen von Lehrern zugegangen sind, in denen sie bedauern, daß sie nicht in der Weise, wie sie es gewünscht hätten und wie sie es zu verlangen berechtigt gewesen wären, zu Worte gekommen wären. Ich will auch nicht auf die Ucbertreibungen eingeben, deren sich einzelne Lehrer zweifellos schuldig gemacht haben. Ich habe eine, wie ich glaube, sehr weitgehende Zurückhaltung geübt; Sie werden nicht finden, daß in irgend einer amtlichen Preßäußerung die Lehrer⸗ vereine angegriffen worden sind. Ich habe diese Zurückhaltung geübt, um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, als ob ich die Lehrer mund⸗ totmachen und ihnen das Recht beschränken wollte, sich so zu äußern, wie sie als Staatsbürger und Lehrer das Recht haben.
Im übrigen nehme ich dankbar von der Versicherung Akt, welche die Herren Ernst und Eickhoff dahin ausgesprochen haben, daß die Lehrerschaft sich ihrer Aufgabe, Vaterlandsliebe und Religiosität zu fördern, voll bewußt bleiben und pflichtgemäß danach handeln werde.
Was den Preußischen Lehrertag betrifft, so ist eine Einladung an die Zentralinstanz, an den Verhandlungen teilzunehmen, nach Lage
der diesseitigen Akten nicht ergangen, und der Verlauf läßt es mich
auch nicht bereuen, keinen Vertreter dorthin entsandt zu haben.
Was die weitere Frage der Zulassung der Volksschullehrer zum Univeisitätsstudium anlangt, so habe ich mich im vorigen Jahre ein— gehend darüber ausgelassen. Ich wiederhole heute, daß ich in dieser Allgemeinheit dem Wunsche, es möchte Lehrern der Zugang zur Universität eröffnet werden, nicht zu entsprechen vermag. In einzelnen Fällen, in denen Lehrer, die besonders befähigt waren, sich zum Universitätsstudium vorbereitet haben, ist ihnen in ausgiebiger Weise seitens der Unterrichtsverwaltung Erleichterung und Förderung zuteil geworden.
Die Frage der praktischen Vorbereitung für das Amt des Kreis⸗ schulinspektors, auf die der Herr Abgeordnete Ernst mit Recht Gewicht gelegt hat, unterliegt in der Zentralinstanz eingehender Er⸗ wägung. Es ist jedenfalls wertvoll, wenn die Möglichkeit geboten wird, daß die Kreisschulinspektoren, die aus dem Volksschullehrer⸗ stande hervorgehen, sich auch praktisch zu diesem Berufe vorbereiten.
Ich gestatte mir ferner dem Herrn Abg. Dr. Friedberg zu erwidern, daß er selbst seine Ausführungen über die Marianischen Kongregationen als von einem Pessimismus eingegeben gekennzeichnet hat. Mich hat andererseits bei meinen Maßnahmen kein Optimismus
geleitet, sondern lediglich das staatliche Interesse und das Interesse
Vom formalen jursistischen
die Eintragung nicht zu beanstanden sei, daß aber zweifellos etwas An⸗
flößiges darin liege, daß eine Bestimmung des Staatsgrundgesetzes vor aller Augen unter amtlicher Mitwirkung und sozusagen spielend ihrem Inhalt nach wirkungslos gemacht werden kann. Er sagt, daß 5 84 des Einführungsgesetzes zum B. G. B. mit der gan bestimmten Tendenz aufgenommen sei, den Artikel l der Verfassung sicher zu stellen und die Umgehung zu verhindern. Er stellt sich also juristisch auf den Standpunkt des Herrn Tourneau, betont aber ganz präzise die Bedenken, die ich hervorhob. Ich exemplifizierte neulich auf das bevorstehende Gesetz über die Rechtsfähigkeit der Berufsvereine. Wenn Gesellschaften in dieser Art sich als Gesellschaften m. b. H. bezeichnen können, so wird es auch möglich sein, daß 19 oder 12 Jesuiten nach dem bevorstehenden Gesetze sagen: Wir sind befugt, uns als Berufeverein niederjulassen, denn unfer Beruf ist, Jesuiten zu sein. Deshalb habe ich die Regierung gebeten, beizeiten vorsichtig zu sein und Kautelen dagegen zu schaffen, damit wir nicht durch ähnliche Kon— scquenzen überrascht werden, wie wir überrascht sein würden, wenn der Toleranzantrag angenommen werden würde.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt:
Meine Herren, wollen Sie mir gestatten, auf einzelne Ausführungen der Herren Vorredner zurückzukommen.
Ich möchte mich zunächst mit den Ausführungen der Herren Abg. Ernst und Elckhoff beschäftigen, die sich auf die Lehrer⸗ vereine bezogen. Meine Herren, über die Lehrervereine und über die Frage, inwieweit sie bei der Vorbereitung des Volkeschulunterhaltung⸗ gesetzes hätten gehört werden sollen, hier mich näher auszulassen, kann ich mir, glaube ich, versagen angesichts der doch mit Sicherheit in Aussicht stehenden Debatten über diese Frage bei Gelegenheit der zweiten Beratung des erwähnten Gesetzentwurfs.
Wenn heute hier Herr Abg. Ernst die Lehrervereine gegen die Angriffe in Schutz genommen hat, die hinsichtlich ihrer
Verhandlungen und des Inhalts einzelner Ausführungen der betreffenden Redner in diesen Vereinen in der neueren Zeit erhoben worden sind, so muß ich meinerseitz doch sagen,
daß zwelfellogß gewisse Aeußerungen gefallen sind, die zu erheblichen
des konfessionellen Friedens. Ich kann den kirchlichen Oberbehörden aber die Anerkennung nicht versagen, daß sie bei ihrem Verhalten in dieser Angelegenheit auch ihrerseits sich von denselben Beweggründen haben leiten lassen. Die Gründe für die Unhalt⸗ barkeit des bisherigen Zustandes habe ich vor zwei Jahren eingehend dargelegt, ich kann es mir daher versagen, jetzt darauf zurückzukommen. Ich will angesichts der Tatsache, daß bisher eine Marianische Kongregation von mir nicht genehmigt worden ist, gern die zahl⸗ reichen Angriffe vergessen, die mich als einen Verräter der wichtigsten Interessen des Vaterlandes und der evangelischen Kirche hinzustellen versucht haben.
Was den Herrn Abg. Stychel betrifft, so habe ich die logische Schlußfolgerung des seinen Ausführungen vorangeschickten Satzes „divide et impera“ nicht verstanden. Ich brauche nur, was die justitia distributiva anbetrifft, daran zu erinnern, daß eine differenzielle Behandlung der Bewohner und insbesondere der Katho⸗ liken in den Provinzen Posen und Westpreußen sowohl in kirchlicher Beziehung, wie das gestern in der Budgetkommission schon nach— gewiesen werden konnte, als auch namentlich auf dem Gebiete des Volksschulwesens absolut nicht stattfindet. Im Gegenteil, wenn von einer differenziellen Behandlung überhaupt die Rede sein kann, so ist festzustellen, daß die außerordentlich hohen Summen, welche all— jährlich für Volksschulzwecke in den Provinzen Posen und Westpreußen ausgegeben werden, in allererster Reihe der minder leistungsfähigen polnischen Bevölkerung zugute kommen. Ich darf nur einige Zahlen hervorheben. Für Posen und Westpreußen sind zusammen an Staats- aufwendungen für das Schulwesen im Jahre 1903 — ich will dieses Jahr besonders erwähnen, weil die betreffenden Zusammenstellungen mir gerade vorliegen — im ganzen ausgegeben worden: 16945 000 4, in runder Summe also 17 Millionen Mark, während das Gesamt⸗ steuersoll an, direkten Staatssteuern in diesen beiden Provinzen nur 85 Millionen betragen hat. Auf die Provinz Posen entfallen davon an Ausgaben 94 Millionen Mark, während das Steuersoll der Pro—⸗ vinz nur 45 Millionen Mark betragen hat. Wenn man berücksichtigt, daß in diesen 45 Millionen Steuersoll sich auch das Steuer⸗ soll der im ganzen leistungsfähigeren deutschen Bevölkerung befindet, dann werden Sie daraus entnehmen können, daß eine ganz außer— ordentlich viel höhere Summe allein für Schulzwecke den Polen zu gute gekommen ist, als sie überhaupt an Steuern aufgebracht haben. Auch die Bebauptung, glaube ich, wird nicht widerlegt werden können, daß, wenn überhaupt von einer differenziellen Behandlung der einzelnen Konfessionen die Rede sein kann, eine solche zu gunsten der katholischen Bevölkerung stattgefunden hat.
Dann hat der Herr Abgeordnete behauptet, daß die katholische Seelsorge sich selbstverständlich darauf richte, jeden einzelnen stets in der Muttersprache zu pastorieren. Meine Herren, meine Akten sind voll von Beschwerden von deutschen Katholiken darüber, daß ihnen ihr Recht in dieser Hinsicht nicht zu teil geworden ist. Ich will diese Beschwerden heute hier nicht einzeln darlegen; ich möchte aber auf die Tatsache doch hinweisen, daß vor einer Reihe von Jahren der Herr Abg. von Jazdzewski selbst zugestanden hat, daß zahlreiche polnische Geistliche garnicht in der Lage seien, die deutsche Sprache so zu beherrschen, daß sie die deutschen Katholiken ausreichend pastorieren könnten. (Zuruf bei den Polen: Das ist unrichtig h Der Herr Abg. von Jazdzewski hat es selbst gesagt; ich habe keine Veranlassung, die Richtigkeit seiner Angabe zu bezweifeln.
Nun, meine Herren, was die deutschen Gottesdienste anbetrifft, so ist in der Tat, und zwar weniger, das muß ich anerkennen, durch die kirchlichen Oberbehörden, als durch einzelne Geistliche, deren Motive dabei ganz klar sind, den Wünschen der Deutschen, ja sogar den Anordnungen der vorgesetzten kirchlichen Behörden ein passiver Widerstand geleistet worden, der den Beweis liefert, daß das Entgegen kommen, von dem der Herr Abg. Stychel hier gesprochen hat, durchaus nicht in dem behaupteten Umfange geübt wird. Gerade die mir unterstellte Verwaltung hat die außerordentlich wichtige Aufgabe — das habe ich hier wiederholt be- tont —, die deutschen Katholiken vor dem für das nationale