bier nicht am elne bloße Belehrung, sondern um eine Verhetzung der einzelnen Nationen. In Berlin wurde in einer Kommunalschule den Schülern vom Lehrer gesagt, jeder von euch hat 50 3 mitzubringen. Das Kind eines Parteifreundes hat das Geld nicht gebracht, aber jene Aufforderung wurde jedenfalls als ein Zwang aufgefaßt. Was wird mit dem Gelde gemacht? Wer weiß, wie die Summen verwaltet und verwendet werden! Es reißt bier ein Unfug ein, gegen den wir uns
enden müssen. Ich erinnere an den Zehnmillionenfonds zur Unterstützung der Offiziere. Was ist das für eiu Zustand, wenn sich solche Privatfonds vermehren, die nach dem eigenen Gutdünken der Leute verwaltet werden, in deren Hände das Held gelegt wird! Gegen ein solches Verfahren müssen wir uns energisch verwadren. Der Abg Spahn bat eine Parallele jwischen unferer Marine und der anderer Staaten gejegen, die zu unseren Ungunsten arsfiel. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Auf⸗ stellung der verschiedenen Etats auf ganz verschiedenen Grundlagen rubt Jede Nation wird ja zu entscheiden haben, wie weit sie gehen soll und kann Es kann jedenfalls nicht bestritten werden, daß gerade das Vorgeben Deutschlands mit seinen hohen Flotten⸗ forderungen andere Nationen deranlaßt bat, ihre Seerüstungen be⸗ deutend zu verstärken. Es ist hier gerade so gegangen wie vor 40 Jabren mit den Landrũstungen. Als wir so gut wie gar keine Flotte batten, batten wir 400 Schiffe zur See. Heute hat der Großkapitalismus die kleineren Schiffe allerdings aufgesaugt. Die Flottenbegeisterung der Rechten ist wirklich sehr jungen Datums. is49 und 1850 und selbst 1897, als das Wort von der gräßlichen Flette“ und kein Kanitz — keine Kähne“ geprägt wurde, war die Daltung der Konfervativen eine ganz andere. Wenn der Graf Arnim meinte, die deutschen Arbeiter würden sich nicht unter das sozial⸗ demokiatische Joch beugen, so sage ich: warten wir das ruhig ab; beute steben Millionen don Arbeitern hinter uns.
Abg. don Oldenburg (d kons.): Ich möchte einige geschichtliche Reminiszenzen des Abg. Mommsen richtig stellen. Er meinte, die deutsce Flotte entspreche einem liberalen Gedanken. Den ersten Ge⸗ anken der deuischen Flotte hat der Große Kurfürst gehabt, der aber atte mit der liberalen Partei nichts zu tun. Daß die Konservativen e Flettenfrage längere Zeit nicht in den Vordergrund gestellt haben, at feinen Grund darin, daß sie bemüht waren, bei Errichtung der⸗ jeni zen Grundlagen zu helfen, auf denen das Deutsche Reich erst anden . ĩ s Ohne diese, die allein die
ift: der vreußiscken Armeereorganisation.
Sründung des Deutschen Reichs möglich gemacht hat, würden wir eine deutsche Flotte überhaupt nicht haben, ohne sie kein Düppel, kein Königaräs kein Sedan! Sie (links) haben vollkommen versagt, und es
stebt Ihnen nicht an, den Konservativen Verständnislosigkeit in bezug auf die Flotte vorzuwerfen. Nennen Sie Beisplele, wo die kon⸗ serdatioe Partei bei Flottenbewilligungen versagt hat! Im übrigen ben sich ja die Bedingungen der Flotte wesentlich durch Tatsachen er allerneuesten Zeit geändert. Ich begreife nicht, daß der Flotten⸗ erein den Minister Delcasss nicht zum Ehrenmitgliede gemacht hat, r den Deutschen das Verständnis für eine Flotte beigebracht hat. Darch die Vernichtung der russischen Flotte bei 8 ist die deutsche Flotte in die Lage gekommen, bei gegebener Konstellation Verpflichtungen mit zu übernehmen, die sonst der russischen Flotte hätten zufallen können. Allerdings können wir nicht eine so große Flotte haben wie die Engländer, aber eine so große, daß bei einem Kampfe die englische Flotte Gefahr läuft, ihre Vormachtstellung zu verlieren, müssen wir haben. Ich hoffe, daß sich hier auf dem Platz der Siegessäule noch einmal ein Denkmal mit Schiffsschnäbeln er— heben wird, daß ein künftiger Geschichteschreiber nicht schreibt, der Deutsche Reichstag war knickerig, sondern der Deutsche Reichstag von 1906 stand auf der Höhe seiner Aufgabe!
Abg. Dr. Spahn entr.): Der Abg. Lieber hat 1897 keine prinzi⸗ piellen Bedenken gegen die Vorlage gehabt, sondern bloße Organisations⸗ bedenken und darüber, ob damals der richtige Zeitpunkt gewählt war. Der Abg Bebel hatte also unrecht, dem Zentrum einen Vorwurf zu machen. Auch die Vorwürfe gegen die Steuerkommission sind un⸗ begründet. Die Biersteuer wird nur um 22 Millionen erhöht, und ob diese die breiten Massen belasten, ist doch sehr zweifelhaft. Wer Zigaretten rauchen will, darf sich auf § 6 des Flottengesetzes nicht berufen. Daß die Erbschaftssteuer von den Klassen getragen wird, die nicht unter § 6 fallen, ist zweifellos. Dasselbe gilt von der Fahr⸗ kartensteuer; die vierte Klasse soll doch freigelassen werden. Das Wichtigste aber ist: die Arbeiter haben den Nutzen des Flottengesetzes. Belgien und die Schweiz sind neutrale Staaten, auf sie konnte sich der Abg. Bebel nicht berufen. Die Vermehrung der Flotten in den anderen Staaten hängt ab von den Beobachtungen, die man im spanisch⸗amerikanischen und russisch, japanischen Kriege gemacht hat.
Damit schließt die Diskussion.
Persönlich verwahrt sich der
Abg. Graf von Arnim (Rp.), dem Abg. Mommsen gegenüber gesagt zu haben, daß die Agitation des Flottenvereins mehr geschadet als genutzt habe.
Abg. Mom m sen fr. Vgg) erwidert, daß Graf Arnim zugegeben habe, daß der Flottenverein sich Uebertreibungen habe zu schulden kommen lassen.
Es wird zunächst über den Antrag Ablaß abgestimmt. Diese Abstimmung ist auf Antrag des Abg. Müller-Sagan eine namentliche. Für die namentliche Abstimmung er⸗ heben sich die Sozialdemokraten, Freifinnigen, Polen und die deutsche Reformpartei.
Es werden im ganzen 163 Stimmzettel abgegeben, davon 63 für, 95 gegen den Antrag Ablaß, bei 5 Stimmenthaltungen. Das Haus ist also nicht beschlußfähig, die Verhandlung muß abgebrochen werden.
Der Präsident beraumt die nächste Sitzung auf Mitt⸗ woch 1 Uhr an mit der Tagesordnung: Wahlprüfungen, Marine⸗ und Militäretat.
Schluß 53 Uhr.
1
Tg CGG
7 *
Preußischer Landtag. Herrenhaus. 10. Sitzung vom 2. März 1906, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Der Präsident Fürst zu Inn und Knyphausen teilt mit, daß Ihre Majestäten der König und die Königin dem er eng. ein Gruppenbild der Königlichen Familie zum
eschenk gemacht haben, das die Unterschriften Ihrer Majestäten trage; er habe den Dank des Hauses dafür gusgesprochen und das Bild im Vorstandszimmer aufhängen lassen.
Das Andenken des verstorbenen Mitgliedes von Gutz⸗ merow, Schloßhauptmanns von Königs-Wusterhausen, ehrt das Haus in der üblichen Weise.
Vor Eintritt in die Tagesordnung bemerkt
Herr von Buch: Am 19. März habe ich bejüglich der Hzran⸗ ziehung landwirtschaftlicher Grundstücke zur Reichserbschaftssteuer Angaben auf Grund un vollkommenen Materials gemacht, zu denen ich von berufener Stelle eine Richtizstellung erhalten habe. Es wird mir vorgerechnet, daß ein land. oder forstwirischaftliches Grundstück mit 36 030 M Jahresertrag der Erbschafissteuer mit einem Werte von 750 000 unterliege, und daß die Steuer für Geschwister oder Geschwisterkinder nur 49 500 M betrage und nicht 160 099 oder
ar 150 060 6 Diese Berechnung gilt für ein schuldenfreies Grund⸗ tück. Eine Steuer von 250 000 „ sei möglich bei einem Werte von über 1 Million Mark und bei einem Erwerbe durch entfernte Ver⸗ wandte oder Nichtverwandte. Bei einem landwirtschaftlichen Grund⸗ stücke sei das noch um ein Viertel zu kürzen, so daß nur 187 0090 berauskämen. Ich babe allerdings von landwirtschafilichen Gütern gesprochen, die mit 1 Million Mark eingeschätzt waren; ein solches
kann mit einem Reinertrag von 50 000 ½ eingeschätzt werden, das heißt wie die Kommission schätzt. Davon sind aber noch andere Steuern zu zahlen, so daß ich nicht falsch gesagt habe, daß nur eine Revenue von 30 000 9 bleibt. Ich hätte also nicht von einem Betrage von 1 Million, sondern von über 1 Million sprechen müssen. Ich habe nun nachgerechnet und gefunden, daß beim Erwerb durch Nicht⸗ verwandte eine Steuer von 187 500 6 herauskommt. Ich überlasse es Ihrer Beurteilung, ob Sie auf Grund dieser Zahlen Freunde des Erbschaftssteuergesetzes werden. Meine sachlichen Ausführungen werden durch die richtiggestellten Zahlen in keiner Weise widerlegt. Ich halte daran fest, daß ich in der Erbschaftssteuer eine große Ge— fahr für den preußischen Staat und den preußischen Grundbesitz sehe, und bedaure, daß die Regierung unter Abweichung von dem bis— herigen Prinzip sich mit der Erbschaftssteuer einverstanden erklärt hat.
Herr von Zitzewitz⸗Zezenow: Von dem Herrn Präsidenten und Mitgliedern des hohen Hauses sind mir nach meiner Verwundung so viele Zeichen der Teilnahme ausgesprochen worden, daß ich hiermit meinen herzlichsten Dank ausspreche.
Darauf tritt das Haus in die Tagesordnung ein.
Die Gesetzentwürfe über die Erweiterung der Stadtkreise Harburg und Thorn werden ohne Debatte unverändert angenommen.
Bei der dann folgenden Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Erweiterung des Stadtkreises Cassel, macht der Berichterstatter ;
Graf von Hutten-⸗Czapsk i darauf aufmerksam, daß durch die Ueberweisung dieses Entwurfs an eine Kommission im Abgeordnetenhause beinahe die rechtzeitige Fertigstellung des . vor dem 1. April in Frage gestellt worden i Er bitte daher die Regierung, in Zukunft solche Gesetze früher einzubringen, damit sie auf jeden Fall vor Beginn des Etatejahres verabschiedet werden könnten, da die Gemeinden sich e, einrichteten. Ferner richtet der Bericht⸗ erstatter, veranlaßt, durch die Bestimmung in der Vorlage, daß die Polizeidirektion in Cassel die Polizeiverordnungen, welche in dem Eingemeindungsgebiet Geltung erlangen sollten, bekannt zu machen habe, an die Regierung die Frage, ob nicht ohne wiiteres das Polizei⸗ recht der Kommunen sich auf eingemeindete Gebiete miterstrecke. Bei der Eingemeindungsvorlage für Mülheim von 1899 sei dieser Grundsatz ausgesprochen worden, das Kammergericht habe aber in einem Falle anders entschieden.
Geheimer Oberreglerungsrat von Falkenbgavn erwidertz daß allerdings der Grundsatz anerkannt sei, daß das Polizeirecht der Kom munen sich auf Eingemeindungsgebiete ausdehne. In einem be— stimmten Straffalle habe aber das Kammergericht eine entgegengesetzte Ansicht ausgesprochen. Um irgend welchen Zweifel auszuschließen, sei diese Bestimmung dem vorliegenden Entwurf eingefügt worden.
Der Gesetzentwurf wird darauf unverändert angenommen.
Der Gesetzentwurf, betreffend die Erweiterung des Stadtkreises Aachen, wird ohne Debatte angenommen; die dazu eingegangenen Petitionen werden für erledigt erklärt.
Es folgt der Bericht der T. Kommission über den Ent- wurf zu einem Kreis⸗ und Provinzialabgabengesetz. Der Berichterstatter Herr von Sydow empfiehlt die Aende⸗ rungen, welche die Kommission an den Beschlüssen des Abgeordneten⸗ hauses vorgenommen hat, sowie folgende Resolution: die Regierung zu ersuchen, möglichst bald dem Landtage eine Gesetzesvorlage zu machen, durch welche die offenkundigen Mängel des Kommunalabgabengesetzes beseitigt und seine Bestimmungen , denen des Staateeinkommensteuergesetz's in Einklang gebracht werden.“
Erster Bürgermeister Dr. Johansen⸗Minden: Die Be⸗ denken, denen ich bei der ersten Beratung Auszruck gab, sind in der Kommission zwar gemildert, aber nicht beseitigt worden. Mit dem Prinzip der Ersetzung der Individualbesteuerung durch das Kon— tingentierungssystem sind wir wohl alle einverstanden. Aber wir müssen den dringenden Wunsch aussprechen, daß die Regierung möglichst bald an die Revision des Kommunalabgabengesetzes herangehen möge. Die Kommission hat auf meinen Antrag eine hierauf bezügliche Resolution gefaßt. Gegen diese Vorlage hat die Landwirtschafis⸗ kammer für Westfalen in ihrer Eingabe das Bedenken geltend gemacht, daß es nicht richtig sei, allen Kreisen ohne Unterschied neue Steuer⸗ quellen zu erschließen. Es könnten damit die Kreise zu Tätig keiten angespornt werden, von denen sie sich besser fern hielten. Für solche Kreise besteht allerdings ein Bedü fnis zur Erschließung neuer Einnahmequellen. Der Minister hat zugesagt, die Genehmigung dazu nur im Falle des wirklichen Bedürfnisses zu erteilen. Er= schwerend wirkt nach meiner Ansicht gerade die Einführung einer Umsatzsteuer für die Kreise. Bei einer Kreisumsatzsteuer kann von Leistung und Gegenleistung wie in den Gemeinden nicht die Rede sein. Es ist falsch, daß der Käufer immer die Umsatzsteuer trägt, er wird also gerade das Prozent, das er noch für Umsatzsteuer zu zahlen hat, vom Kaufpreise abziehen. Man will hier der Landwirtschajt belfen, nimmt ihr aber gerade dadurch einen Teil ihres Besitzes. Zweifellos wird die Kreisumsatzsteuer in Kreisen, in deren Gemeinden schon eine Gemeindeumsatzsteuer erhoben wird, mit dieser in Kollision treten. Ich habe in der Koinmission von der Regierung vergeblich Auskunft darüber erbeten, wie wie diese Kollision beseitigt werden soll. Die Kreistage würden geradezu veranlaßt werden, mit ungleichem Maß zu messen. Ich hoffe deshalb, daß die Erbebung einer Kreisumsatzsteuer in möglichst wenigen Fällen, wo nämlich ohne neue Steuern absolut nicht auszukommen ist, von den Kreisen beschlossen werden wird. Ebenso bedenklich ist mir die Schankkonzessionssteuer. Nach dem Kommunalabgabengesetz haben die Gemeinzen bereils das Recht, eine solche Steuer einzuführen, aber die Minister haben die beabsichtigte Einführung niemals genehmigt, weil sie diese Steuer für ungeeignet hielten. Wenn die Kreise nun das gleiche Recht erhalten sollen, so baben jedenfalls die Gemeinden ein Prioritätsrecht dazu. Eine Schankstätte mag von den Emrichtungen in der Gemeinde Vorteile haben, so daß eine solche Steuer gerechtfertigt wäre, aber in den Kreisen liegt es anders. Es mag immerhin einmal ein Versuch mit der Schankkonzesstonssteuer in den Gemeinden gemacht werden. Trotz aller Bedenken komme ich nicht zur Ablehnung der Vorlage, weil ich erwarte, daß die Ministerialinstanz bei der Ausfübrung des Gesetzes diesen Bedenken Rechnung tragen und diese Steuern nur in den dringendsten Fällen genehmigen wird. ; : .
Graf von Mirbach: Es ist allerdings eigentümlich, die Kreise auf die Schankkonzessionssteuer zu verweisen. Ich bedauere, daß ich dem Minister, den ich als politischen Freund sonst so boch schätze, bei dieser Vorlage opponteren muß. Auf keinem Gebiete wäre das quieta non movers so wichtig, wie hier. Ich fürchte, daß die Kreise jetzt, wo es schon große Schwierigkeiten macht, die kommunalen Abgaben zu erreichen, auf eine Umgestaltung unseres ganzen Kommunal. steuerwesens hindrängen werden. sehe darin eine große Gefahr und würde mich freuen, wenn ich sie überschätze. Gerade dieses Gesetz ist geeignet, einen jungen Landrat, der sich die Sporen verdienen will, zu einem Versuch zu veranlassen, die Kreise zu wirtschaftlichen Unternehmungen zu drängen. In unserer Fraktion wurde darauf hingewiesen, daß ein r, einem neuen Steuer⸗ system in den Kreisen abhängig sei vom Bezirksausschuß und von der Ministerialinstanz. Im Beziksausschuß können aber Strömungen vorkommen, gegen welche einzelne Kreistelle machtloz sind, und die Minister kennen unsere Gegenden car nicht. Ich bitte den Mmister dringend, er möge überall, wo nicht zwingende Gründe zu einer Um- gestaltung der Kommunalabgaben vorliegen, die Genehmigung unter allen Umständen versagen. ; —
Oberbürgermeister Struckmann-⸗Hildesheim: Nach der Ver⸗ abschiedung dieses so notwendigen Gesetzs und der zu eiwartenden Novelle zum Einkommensteuergesez wird eine Revision des Fommunal⸗ abgabengesetzs nicht zu umgeben sein. Durch die geplante Novelle zum
Steuergesetz werden , Verminderungen der Einnahmen aus niederen Sieuerstufen herbeigefübrt werden. Da die meisten Kommunen
einkommensteuer aufkommen, werden sie in Zukunft ihre Sätze noch erhöhen müssen. Da die Einkommensteuer jetzt viel stärker heran⸗ gezogen werden kann als die Realsteuer, so wird auch nach dieser Richtung eine Revision deg Kommunalahgabengesetzes stattfinden müssen. Den Kommunen müssen neue Einnahmequellen eröffnet werden, dazu wäre gut, ein altes Versprechen ö nämlich die Heranziehung der Beamten zu den Kommunalabgaben. Nach den Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts hat in einzelnen Fällen bei Umzügen eine Heranziehung zu den Steuern nicht stattfinden können, wenn der Betreffende bereits nach 3 Monaten wieder den Wohnort wechselte. Hier muß Abhilfe geschaffen werden. Noch eine Reihe anderer Punkte bedürfen der Abänderung. Nach dem neuen Einkommensteuergesetz und nach dieser Vorlage hier muß als⸗ bald an die Revision des Kommunalabgabengesetzes herangetreten werden.
Minister des Innern Dr. von Bethmann⸗Hollweg:
Meine Herren! Herr Johansen hat zwar im Eingang seiner Rede eine recht scharfe Kritik an dem Entwurf geübt, zum Schluß aber so freundliche Worte gefunden, daß ich ihm hierdurch meinen Dank aus—= spreche Herin Grafen von Mirbach versichere ich, daß ich es auf daz entschiedenste verurteilen würde, wenn ein Landiat ohne zwingende Not⸗ wendigkeit und nur, weil er novarum rerum cupidus ist, die Steuer- verhältnisse seines Kreises auf Grund dieses Gesetzes umgestalten wollte. Ich bin gewiß, daß er zunächst dem Widerstand des Kreleausschusses und des Kreistages begegnen würde. Sollte dies nicht genügen, so würde ich von meiner Genehmigungsbefugnis in dem Sinne Gebrauch machen, daß ich eine unnötige Umstoßung nicht dulden wäürde. Ich nehme an, daß Herr Graf von Mirbach im wesent— lichen auf den 5 8 hingenelt hat, auf die Ersetzung der Grund · und Gebäudesteuer durch eine Grundwertsteuer. Ich glaube schon in der ersten Lesung ausgeführt zu haben, daß ich diesen § 8 lediglich zu dem Zwecke vorgeschlagen habe, um in den jenigen Kreisen, wo der gegenwärtige Maßstab veraltet und ungerecht ist, ihn durch einen besseren zu ersetzen. (Sehr richtig) Diese Vorautsetzung scheint mir dieselbe zu sein, die Herr Graf Mirbach festgehallen wissen will.
Die Anregungen des Herrn Oberbürgermeisters Struckmann für die Abänderung des Kommunalabgabengesetzes halte ich für wertvolle Winke für die demnächstige Gesetzgebung und werde sie dement⸗ sprechend in Erwägung ziehen.
Damit schließt die Generaldiskussion.
In der Spezialdiskussion werden die 58 1 bis 5 ohne Debatte angenommen. .
Beim S6, wonach die Einführung der Umsatzsteuer und die Erhebung der Schankkonzessionssteuer zugelassen ist, bemerkt
Oberbürgermeister Struckm ann, daß durch die Dehatte über diese Vorlage der bisher streitige Punkt festgestellt sei, daß die Ge— meinden bereits die Befugnis haben, eine Schankkonjessienssteuer ein⸗ zuführen. Die Gemeinden würden mit einer Unmenge von Kon— jessionsgesucken überschwemmt. Diese Anträge würden durch eine Abgabe dafür beschränkt werden. Noch wichtiger wäre es, daß der unverdiente Gewinn, den jemand durch die Erteilung einer Kon— zession erzielt, versteuert werde. Das Haus, in dem eine Kon zefsion erteilt werde, werde im Werte bedeutend gesteigert. Oft erziele schon ein Bauunternehmer dadurch größeren Gewinn. Es sei aber schwer, denjenigen zu finden, von dem eigentlich dieses Geld zu erheben sei, und es sei zu hoffen, daß bier in richtiger Weise das System der Abwälzung eintreten werde. Durch ein vom Ministerium zu entwerfendes Normalstatut könnten den Gemeinden richtige Finger zeige gegeben werden. Es gebe wenig Steuern, die so gerechtfertigt sind, wie die Schankkonzessionssteuer, wenn sie richtig ausgebaut werde. Hoffentlich werde das der Fall sein.
S 6 wird angenommen. — .
Nach 7 sind zur Aufbringung der direkten Krelssteuern die einzelnen Gemeinden und Gutsbezirke verpflichtet. Als Maßstab für die Verteilung der Kreissteuern auf diese Verbände dient das Soll der Einkommensteuer und der Realsteuern, wie es in Gemeinden nach den Vorschriften des Kommunalabgaben⸗ gesetzes, nach Gemeindebeschlüssen und Vereinbarungen mit Steuerpflichtigen der Gemeindebesteuerung zu Grunde zu legen ist. Maßgebend für das Steuersoll ist der Stand vom I. Januar. Steuerbeträge, die erst nach dem 1. Januar veranlagt werden, obwohl die Steuerpflicht schon vorher be⸗ gonnen hatte, werden dem Steuersoll des nächsten Jahres hinzugerechnet. ; .
Herr von Wiede bach befürchtet von der letzteren Bestimmung Schädigungen, z. B. für einen Gutsbezirk, wenn ein leistungsfähiger Mieter fortzieht.
Geheimer Oberregierungsrat Dr. Freund erwidert, daß dem vorgebeugt sei durch den 5 15, worin bestimmt werde, daß, wenn das Gesamtsteuersoll im Laufe des Jahres um mehr als 100, verringert werde, der Mehrbetrag des Ausfalls vom Kreise za erstatten sei.
Oberbürgermeister Struckm ann fragt unter Schilderung der Verhaäͤltnisse zweier kleiner Gemeinden bei Söttingen und der Klofter⸗ kammer von Hildesheim an, was bier unter Vereinbarungen zu verstehen sei und ob die für die Gemeindebesteuerung getroffenen Ver⸗ einbarungen, z. B. die von jenen Gemeinden mit dem Fiskus ge⸗ troffenen Vereinbarungen über die Besteuerung des Fiskus, auch für die Kreisbesteuerung maßgebend sein sollen. ;
Geheimer Oberregierungsrat Dr. Freund erklärt, daß es sich nur um Vereinbarungen handle, welche nach dem Kom munalabgaben⸗ gesetz überhaupt gestattet seien, daß diese aber auch für die Kreit⸗ besteuerung maßgebend seien.
37 wird angenommen. .
8 bestimmt in der Fassung der Herrenhauskommission:
Der Kreistag kann mittels Erlasses einer Steuerordnung beschließen, daß die der Verteilung der direkten Kreissteuern auf. Gemeinde und Gutsbezirke zu Grunde zu legende Grund und Gebäudesteuer durch eine nach dem Maßstabe des Wertes zu veranlagende Steuer vom Srundbesitz ersetzt wird. Dabei soll der Bewertung von Grundftücken, welche dauernd land oder forstwirtschaftlichen Zwicken zu dienen bestimmt sind, in der Regel der Reinertrag zu Grunde gelegt werden, den die Grundstücke nach ibrer bieberigen wintschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger Bewirtschaflung nachhaltig gewähren. (Der letzte Satz lautete in der Fassung des Abgeordneten kauses:; Bei land⸗ und forstwirtschaftlich cder gärtnerisch genutzten Grundstücken. deren Verkauf zu Spekulationszwecken derzeitig rechtlich aus geschlossen ist oder tatsãchlich ausgeschlossen erscheint, soll der jeweilige Verkaufs wert nicht zu Grunde gelegt werden.) .
Oberbürgermeister Dr. Bender⸗ Breslau beantragt die Wiederheistellung der Regierungẽ vorlage, welche lediglich bestimmte: Der Kreistag kann mittels ee einer Steuerordnung heschließen, * die der Verteilung der direkten Kreisteuern auf Gemeinden un Gutsbezirke zu Grunde zu legenden Grund⸗ und Gebäudesteuer durch eine nach dem Maßstabe des gemeinen Wertes zu veranlagende Steuer vom Grundbesitze ersetzt wird“, jedoch unter Streichung des Wortes gemeinen).
Graf von Mirbach beantragt, in der Kommissionsfassung die Worte in der Regel“ zu streichen.
Dberbürgermeister Dr. Bender: Ob es gerechtfertigt ist, die Brutiobesteurung in den Kreisen einzuführen, beimemfle i 8 ist oft hart und ungerecht, die direkten Steuern wan, . zu den Kreis⸗ abgaben heranzuziehen, obwohl die Kreievorteile inf itig empfunden werden. Es ist namentlich in den Vororten nicht richtig, die Ein⸗
schon heute nicht mit den 106 0 Rommunalsteuerzuschlag auf die Staats-
kommenstener, Gewerbesteuer und Gebäudesteuer voll zu den Kreig⸗
abgaben heranzuziehen, welche fast ausschließlich durch den Wegebau begründet sind. Die Lasten, die den großen , , rn, Kummer machen, die Armenlasten, Schullasten und Polizeilcsten, trägt der Kreis nicht. Würde der Kreis alle diese öffentlichen Lasten kragen, dann würden wir nicht immer rie Konflikte bei den Eingemeindungen erleben, sondern dann wären die Kreise froh, wenn sie die Vorort= gemeinden los würden. Wenn aber diese Besteuerung gerechtfertigt sst, bat man jedenfalls nicht mit zweierlei Maß zu messen, wie es die i der Kommission und auch die des Abgeordnetenhaufes tun.
ie Wertsteigerung muß zu den Gemeindelasten herangezogen werden. Allerdings können solch? großen Umwälzungen in dem Werte des Grundbesitzes, wie sie z B. durch den Bau des Teltowkanals hervor- gerufen sind, nicht beruͤcksichtigt werden. Ich glaube nicht, daß mit dem § 8 in der Kommissionefassung gearbeitet werden kann. Um Breslau herum jz. B. gibt es Rittergüter, die lediglich für Zwecke der Spekulation gekauft werden. Nach dem Wortlaut der Kom⸗ missionsfassung wird nur der landwirtschaftliche Ertrag dieser Güter ö, werden. Also der Zweck der Bestimmung wird geradezu berse hl
Graf von Mirbach: Ich habe den Antrag gestellt, die Worte in der Regel“ zu streichen, weil darin keine gesetzliche klare Be⸗ stimmung liegen kann. Auf dem größten Teil des Landes sind solche Grundstuͤcke gar nicht vorhanden. Ich habe persönlich kein e eff an dieser Bestimmung, und will nur die landwirtschaftlichen Betriebe schützen.
Herr Dr. von Dziembowski: Ich hoffe, daß der bei der Beratung von der Mehrheit beider Häuser ausgesprochene Wunsch, land und forstwirtschaftliche Grundstücke nicht nach dem gemeinen, sondern nach dem Ertragswert zu besteuern, festgehalten wird. Für uns im Osten ist eine Besteuerung nach dem gemeinen Wert unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht mehr möglich, wir bekommen Verkaufspreise, die mit der Rentabilität den Zusammenhang verloren baben. Nach der Denkschrift der Ansiedlungekommission wird in Posen der Hektar des Großgrundbesitzes für 1149 6 gekauft, vor noch nicht 10 Jahren für über 600 M, also nur die Hälfte. Ich bitte, es den Selbsiverwaltungsorganen zu überlassen, daß sie das Gesetz nach Recht und Billigkeit anwenden werden.
Minister des Innern Dr. von Bethmann-Hollweg: Ich bitte den Antrag Mirbach abzulehnen, weil er das Anwendungsgebiet des 58 so einschränken würde, daß man den ganzen 8 8 streichen könnte. Namentlich in Vorortsgemeinden wäre die Grenze, wo ein Grundstück dauernd? landwirtschafilich betrieben wird, eine flüssige; die aller⸗ größten Schwierigkeiten würden entstehen. Durch den § 8 soll ledig- lich eine gerechtere Besteuerung herbeigeführt werden, ohne daß diese stäcker als bisher geschieht. Die Fassung des 5 8 durch das Herren⸗ haus ist unvergleichlich besser als die des Abgeordnetenhauses; ich bitte um Annahme des Kommissionsbeschlusses.
Oberbüurgermeister Or Bender hält seine Meinung aufrecht, daß die jetzige Fassung des 5 8 gerade diejenigen ungerecht besteuern werde, die geschont werden sollen. Einem Gesetz, das etwas Ungerechtes noch ungerechter mache, könne er nicht zustimmen. Ein Gut, das ein bis zwei Meilen von einer Großstadt entfernt liegt, sei immer Spekulationsobjekt, dadurch träten in den Vororten stets sehr starke Differenzen zwischen Ertrags⸗ und Gemeinwert zu Tage.
Graf von Mirbach zieht darauf seinen Antrag zurück.
Graf Botho zu Eulenburg: Durch die Kommissions⸗ fassung wird der auch von der Regierung gutgeheißene Gesichtspunkt jum Ausdruck gebracht, daß eine Veranlagung nach dem gemeinen Werte nicht stattfinden solle. Unsere Kommissionsfassung führt nicht zu verschiedener Belastung gleichartiger Grundstücke, sondern der Zweck und die Wirkung ist, daß verschiedenwertige und verschieden artige Grundstücke nicht gleichmäßig belastet werden, sondern nach ihrer Art verschieden. In der Praxis wird die Einführung zwar schwierig. aber nicht unmöglich sein. Ich bitte, es deshalb bei der Kommissionsfassung zu lassen.
err Dr. Wachler meint, daß die Kommissionsfassung die Gefahr
in sich berge, daß danach alle Grundstäcke, wo kein landwirtschaftlicher
Betrieb beabsichtigt sei, mit dem Verkaufs wert herangejogen würden.
Die Bergwerke müßten Grundstücke ankaufen, die aber nicht bewirt⸗
schaftet würden, sondern nur Oedland seien. Die Regierung möge
. eine entsprechende Erklärung in dieser Hinsicht Beruhigung affen.
Minister des Innern Dr. von Bethmann-Hollweg: Ich kann nicht sagen, wie ein einzelnes Grundstück eingeschätzt werden wird, aber ich mache darauf aufmerksam, daß der F 8 mit keinem Worte sagt, was der Wert sein soll. Es ist nicht aus dem argumentum e contrario zu folge, daß den landwirtschaftlichen ähnliche Grendstücke nicht wie solche behandelt werden sollen.
Herr von Wedel Piesdorf ist durch diese Erklärung nicht befrie igt. Grundstücke, die für den Betrieb eines Bergwerkes an—⸗ gekauft würden, müßten ebenso behandelt werden wie solche, die ge—⸗ kauft werden, um Häuser darauf zu bauen.
Herr Dr. Wachler: Die Bergwerksbesitzer müssen die Grund stücke ankaufen, sie tun es aber nicht zu Spekulationszwecken; der Vergleich mit Hausgrundstücken trifft nicht zu.
Herr von Wedel⸗Piesdorf: In beiden Fällen wird das Grundstück erworben, um es höher auszunutzen, als durch den land—⸗ wirtschaftlichen Betrieb geschehen kann; deshalb müssen diese Grund⸗ stücke höher belastet werden. ;
Oberbürgermeister Dr Bender widerspricht dieser Auffassung; die Schlimmsten seien gerade diejenigen, welche überhaupt nicht bauen.
Nach einigen weiteren Bemerkungen der Herren von Wedel⸗Pies dorf und Dr. Bender wird der Antrag Bender abgelehnt und die Kommissionsfassung unverändert ange⸗ nommen. ; ;
Der Rest des Gesetzes wird nach unerheblicher Debatte, an der sich die Herren Struckmann und Dr. Bender sowie Geheimer Oberregierungsrat Dr. Freund beteiligen, unverändert im einzelnen angenommen; darauf wird bei der Gesamtabstimmung das Gesetz im ganzen angenommen.
Die Resolution wird angenommen.
Eine Petition um Abänderung der Kreisordnung für die Rhein-
provinz und die Provinz Westfalen, dahin gebend, daß den Bürgermeistern und besoldeten Beamten das Recht zur Wählbarkeit im Kreistage und im Kreisausschusse gegeben werde, wird der Regierung als Material überwiesen. Die übrigen zu der Vorlage eingegangenen Petitionen werden für erledigt erklärt. Es folgt der Bericht der Handels- und Gewerbekommission über die Petition des Justizrats Dr. Baumert zu Spandau, namens des Preußischen Landesverbandes städtischer Haus— und Grundbesitzervereine, um Aufbringung eines Ent— schädigungsfonds seitens der Bergwerksbesitzer für die nach Einstellung des Bergwerksbetriebs ein— tretenden Grundstücksschäden.
Der Referent Graf von Hohenthal⸗Dölkaubeantragt die Ueberweisung der Petition an die Regierung als Material, bemerkt aber, daß die Petition an mancher Stelle tendenziöse Uebertreibungen enthalte, die nicht eines sozialdemokratischen Beigeschmacks entbehrten.
Das Haus beschließt nach dem Kommissionsantrage.
Zwei Petitionen, die eine von Professor Dr. Paul Förster ju Frledenaü namens des Landesverbandes des Weltbundes zum Schutze er Tiere und gegen die Vivisektion, die andere von Frau Mina Schmidt⸗Bärkly zu Berlin und anderen, bitten um Ablehnung der für viviseftorische Lehr. und Werkstätten berlangten Mittel bezw. um Einichränkung der Vivifektion.
Der Referent der Petitionskommission, Fürst zu Stolberg Bernigerode, beantragt zur ersten Petition den einfachen ebergang zur Tagesordnung, zur zweiten Petition den motivierten kbergang zur Tagesordnung in Anbetracht der vom Kultusministerium getroffenen Maßnahmen.
sektion anstreben, der Regierung zur Berüdsichtigung, im übrigen aber als Material zu überweisen. Der Erlaß des Kultusministers von Goßler von 1885 habe nun allgemeine Richtlinien für die Ausführung der Vivisektion gegeben, die schon damals als nicht ausreichend erschlenen seien. Die Anschauungen seien leider immer perpersere geworden. Ein großer Teil der Experimente könne auch an ftisch getöteten Tieren vorgenommen werden oder an Tieren, die bewußtlos gemacht worden sind. Vipisektionen bei medizninischen Fällen, die bereits genügend bekannt seien, dürften überhaupt nicht mehr statt= finden. Das Strafgesetzbuch reiche nicht aus, da Tierquälereien nur bei Konstatierung des öffentlichen Aergernisses bestraft würden. Der Redner fragt an, ob die Anstellung eines neuen Tierwärters beim biolcgischen Institut in Frank— furt a. M. auf eine noch weitere , ,, dieser Vivisektlonen abziele. In aͤritlichen Kreisen sei man geteilter Ansicht. Die Petition der Frau Schmidt- Bürkly sei außer von vielen hochstehenden Damen auch von 112 Medizinern und vielen Schriftstellern, im ganzen von 350 Personen unterzeichnet. Im Interesse der Menschlichkeit bittet der Redner, seinem Antrage zuzustimmen.
Graf von Hutten⸗Ezaps ki Die beiden Petitionen stellen die sentimentale und die fanatische Richiung der Antivivisektione— renn dar. Unter den Medizinern der Petitionsunterzeichner be— finden sich keine von Bedeutung; einige Anregungen möchten beherzigenswert sein. Einige der Unterschriften machen den Eindruck von Gefãlligkeitsatzepten. Die Petition des Professors Förster enthält Beleidi⸗ gungen, Männer wie Koch, Behring werden als gewissenlose Verbrecher bingestellt. Dagegen muß man im Namen der deutschen Wissenschaft aufs schärfste Widerspruch erheben. Die Gesetzgebung seit Moseg hat das Tier als dem Menschen untertan angesehen, sei es als Genuß— oder als Forschungsmittel. Wir dürfen nicht aus Sentimentalität gegenüber dem Tiere vergessen, dem Menschen zu helfen. Die Be— stimmungen des Goßlerschen Erlasses reichen aus; ich bitte um Ab— lehnung des Antrageg Durant, und ich bitte weiter die Regierung, recht große Mittel für die Zwecke der wissenschaftlichen Forschung durch Tierexperimente einzustellen.
Graf von Oppersdorff ist ebenfalls der Meinung, daß die Förstersche Petition mindestens eine gewaltige Uebertreibung fei. Pro— fessor Förster habe in seiner Petition auch den Professor Neisser an. gegriffen. Es sei hier der Ort, es äffentlich als eine blanke Unwahrheit zurückzuweisen, daß der Prof ssor Neisser Spphilis auf Ge⸗ junde übertragen habe. Uebrigens habe doch der Welt— bund zum Schutze der Tiere richts mit den angeblichen Versuchen Prof. Neissers an Menschen ju tun. In der maßlosen Agitation all der weichherzigen Herren und Damen liege nicht nur Mitgefühl für die Tiere, sondern sogar ein gewisses selt— sames philosophisches System, das z. B. dahin gehe, zu behaupten, wie Gott zum Menschen herabsteige, um ihn zu erlösen, so müsse es auch der Mensch gegenüber dem Tier tun. Man düfte ja noch dem Standpunkt dieser Fanatiker auch im landwirtschaftlichen Betriebe keine Kastrationen mehr vornehmen.
Wirklicher Geheimer Rat, Professor Dr. von Bergmann: Ich füble mich berufen, in diesem Hause auch mein Bekenntnis über die Vbvisektien abzulegen. Die erste Vivisektion wurde meines Wissens 1250 unter Innozenz IV. ausgeführt, wodurch festgestellt wurde, daß ein verletzter Darm durch die Luftröhre einer Gans ersetzt werden konnte. Die moderne Telephonie wäre nicht möglich, hätte Galvani nicht durch Exxerimente mit Fröschen den Galdanismus ent- deckt. Der Kampf gegen Tuberkulose, Sppbilis und Krebs wäre nicht möglich ohne die Resultate der Vivisektion. Frau Lilli Lehmann⸗Kalisch hat geäußert, sie wolle ihr Leben in keinem Falle der Qual eines Tieres verdanken, und sei es auch nur eine Fliege. Ich stehe nicht auf diesem Standpunkt. Solche Experimente, wie sie auf den hier vorgelegten Bildern an Katzen gezeigt werden, lommen kaum vor, die meisten Experimente besteben jetzt in Impfungen der Tiere. Ich habe auch von den behaupteten Roheiten der Studenten bei Vivisektionen nie etwas bemerkt.
Nach einigen Bemerkungen des Freiherrn von Durant und des Referenten Fürsten zu Stolberg wird der Antrag Durant abgelehnt und der Kommissionsantrag angenommen.
Schluß Tn Uhr. Nächste Sitzung Miitwoch 1 Uhr. (Staatshaushaltsetat.)
Statistik und Volkswirtschaft.
Deutschlands Außenhandel mit Pferden im Januar 1906.
Noch dem Januarheft 1906 der ‚Monatlichen Nachweise über den auswärtigen Handel des deutschen Zollgebiets“ gestaltete sich der deutsche Außen handel mit Pferden im Januar 1906, wie folgt (zum Vergleiche seien die entsprechenden Zahlen für den gleichen Monat der beiden Vorjahre beigefügt):
Januar 1906 1905 1904
Einfubr 2196 968 936 Ausfuhr 122 52 51
Arbeitspferde, leichte: Stuten:
Hengste
Wallache: Einfuhr 5090 1163 2540 Ausfuhr 150 1066 137
Einfuhr 1686 1375 1860 Aus fuhr 48 21 41
. schwere: Stuten:
ö ! engste, allache: Ginfuhr 5748 3804 3664
. Ausfuhr 62 20 59 Ponies: Einfuhr 31 23 118 Zuchthengsie, sch Ausfuhr 392 697 568 uchthengste, schwere: Einfuhr 17 34 13 Ausfuhr — 1 5 ö leichte: Einfuhr 21 160 11 Aus fuhr 9 7 1 Sonstige Pferde (Reit⸗, Renn⸗, Luxuspferde): Einfuhr 261 404 330 Ausfuhr 130 241 185 Fohlen, die der Mutter folgen: Einfuhr 9 1 3 Ausfuhr 3 — —
Hiernach hat die Einfuhr von leichten und schweren Arbeitspferden nach Deutschland im Januar gegenüber jener im gleichen Monat der beiden Vorjahre bedeutend zugenommen. Da der Zoll für Pferde mit Ausnahme von Zuchtpferden im neuen Zolltarif erhöht ist, fand eine Voreinfuhr von Pferden der meisten Gattungen über den augenblick lichen Bedarf statt. An der Mehreinfuhr von leichten Arbeits—⸗ pferden sind sowohl Stuten, von denen namentlich Rußland mehr, fast das Zehnfache der vorjährigen Einfuhr lieferte, als auch Hengste und Wallache beteiligt. Die Ausfuhr beider Arten hat sich zwar gehoben, ist aber gering. Schwere Arbeltsstuten wurden ebenfalls mehr eingefübrt als im Vorjahre, aber weniger als 1904; a, hat dle Einfuhr schwerer Arbeitshengste und wallache aug Belgien, Dänemark, Großbritannten, Desterreich Ungarn gegen beide Vorjahre erheblich zugenommen. Die Gesamteinfuhr hob sich im Vergleich mit der des Vorjahres um 50 v. H. Ponies und andere kleine Pferde wurden mehr eingeführt als im Vorjahre, jedoch
eiherr von Durant beantragt, die Petitionen, insoweit sie eine Einschränkung und weniger grausame Ausführung der Vivi⸗
weniger als 1904. Die Ausfuhr von Schlachtpferden nach der
wurden nur halb so viel, leichte doppelt so viel eingeführt wie im Vorjahre. Zwei Drittel der letztren kamen aus Rußland. Die Ein— und Ausfuhr von Reit., Renn⸗ und Luxuspferden hat gegen die Vor—⸗ jahre abgenommen. Saugfohlen wurden mehr als sonst eingeführt.
Organisation der Handwerker in El saß-Lothringen.
Nach den am 1. Januar 1906 vom Ministerium veranlaßten Erhebungen bestehen zur Zeit in Elsaß Lothringen, wie wir der Straßb. Korr.“ entnehmen, 1651 Handwerkervereinigungen mit S069 Mitgliedern, unter denen sich 7091 Handwerker befinden. Hier⸗ bei sind diejenigen Handwerker (223), die zugleich einer Innung und einem Gewerbeverein angehören, nur bei den Innungen gezählt. Auf die Bezirke verteilen sich die Körperschaften folgendermaßen: Im Oberelsaß bestehen 20 freie Innungen mit 831 Mltgliedern, 3 Zwangsinnungen mit 323 Mitgliedern und 24 Gewerbe⸗ und Hand⸗ werkervereine mit 1725 Mitgliedern, von denen 1373 Handwerker sind. Im Unterelsaß besteben 9 freie Innungen mit 438 Mitgliedern, 2 Zwangsinnungen mit 319 Mitgliedern und 37 Gewerbe und Hand⸗ werkervrreine mit 1897 Mitgliedern, unter denen sich 1794 Hand— werker befinden. In Lothringen bestehen 21 freie Innungen mit 741 Mitgliedern und 35 Gewerbe und Handwerkervereine mit 1795 Mitgliedern, von denen 1495 Handwerker sind.
Zur Arbeiterbewegung.
Die dem Verbande der Bäcker Deutschlands angebörenden Ber—⸗ liner Bäckergesellen (vgl. Nr. 64 d. Bl.) haben, der ‚Voss. Ztg. zufolge, gestein in einer Versammlung folgenden neuen For— derungen jugestimmt, die den Innungen sofort unterbreitet werden sollen: Kost und Logis darf dem Gesellen vom Meister in keiner Form als , gewährt werden. Wo bisher die Gesellen noch in Kost und Logis beim Arbeitgeber, muß als Ersatz ein wöchentlicher Lohnzuschlaß von 12 M zum bisherigen Lohn gezahlt werden. Der Mindestwochenlohn beträgt in Betrieben mit einem und zwei Gesellen 23 A, mit drei bis sieben Gesellen 25 (0, mit mehr als ee. Gesellen 27 4A Gesellen in verant⸗ wortlichen Stellungen erhalten entsprechend höhere Löhne. Gesetzlich zulässige Uiberstunden werden mit 60 4 bezahlt. Jede angefangene Stunde wird voll bezahlt. Die tägliche Arbeits— zeit darf bis zu 12 Stunden ausgedehnt werden. Es daif nur der paritätische Arbeitsnachweis benutzt werden usw. Die Beauftragten der Schlichtungskommission haben zwecks Kontrolle und Durchführung des Tarifs freien Zutritt zu den Bäckereien. Der Tarif tritt mit dem Tage der Unterschrift in Kraft und gilt bis 1. Mai 1908. — Auch die Schlosser Berlins sind nach demselben Blatte in eine Lohnbewegung eingetreten. Sie verlangen einen Mindeststundenlohn von 50 3 und drohen, falls die Meister nicht nachgeben, mit dem Ausstand.
In einer am Montag abgehaltenen Versammlung des Deutschen Arbeitgeberverbandes für das Baugewerbe in Cöln erklärte der Vorsitzende, daß am 1. Mai aus—⸗ gedehnte Arbeitseinstellungen zu erwarten seien, da die Ver— handlungen mit den Arbeitnehmern, obgleich höhere Akkordsätze sowie böhere Stundenlöhne zugesichert seien, zu keinem Ergebnis gesührt hätten. Die dringenden Arbeiten müßten bis zum 1. Mai beendet sein, damit die zu erwartende allgemeine Arbeitseinstellung erfolgen könne. Auf Grund der abgeschlossenen Verträge würden alsdann auch die Lieferungen aller Baumaterialien aufhören.
Die Lohnbewegung der Weserschiffer (vgl. Nr. 74 d. Bl.) hat, wie die „Köln. Ztg.“ meldet, eine entschiedene Verschärfung erfahren. Die Kahnführer und Schiffer der Mündener und Hamelner Gesellschaften sind ebenfalls in den Ausstand ge⸗ treten. Man befürchtet, daß die gesamte Weserfrachtschiffahrt ein⸗ gestellt werden wird.
Zum Ausstand der Bergarbeiter im mitteldeutschen Braunkehlenrevier (vgl. Nr. 74 d. Bl.) berichtet W. T. B.“ aus Weißenfels, daß die Verhandlungen einiger Werkleltungen mit den Ausständigen auch heute noch zu keinem Ergebnis geführt haben; bis jetzt nehmen an dem Lohnkampfe nur die organisierten Arbeiter teil. Die Werkbesitzer treten morgen zu einer Beratung in Leipzig zusammen. Der Geschäftegang der Braunkohlenindustrie beginnt unter dem Aus— stand zu leiden. Im Weißenfelser Revier ist die Zahl der Streikenden bis heute morgen auf 1200 angewachsen. In einigen Orten kamen Ausschreitungen der Streikenden vor; am Werke Groitzschen sind die Fensterscheiben eingeworfen worden. Nach amtlicher Angabe sind im Braunkohlenrevier Weißenfels bei 33 Gruben 2200 Bergarbeiter beschäftigt; im Revier Zeitz⸗ Meuselwitz 5000. Die Braunkohlenreviere bei Halle sind völlig ruhig. Von den 85060 Bergarbeitern, die nach Ausweis der amtlichen Statistik im ganzen mittel deutschen Braunkohlengebiet beschäftigt sind, streiken bis jetzt 2700.
In einer gestern in Breslau abgehaltenen, zahlreich besuchten Versammlung der Droschkenkutscher wurde, wie W. T. B.“ meldet, für den nächsten Sonntag der allgemeine Ausstand beschlossen, um dadurch gegen die neue schärfere Polizeiverordnung zu protestieren.
In Leipzig haben, wie die „pz. Ztg.“ berichtet, sowohl dle Schuhmachergesellen wie die Schneidergesellen eine Lohn—⸗ tarifbewegung eingeleitet.
Die französischen Bergleute nehmen, wie dem W. T. B.“ aus Lens telegraphiert wird, die Arbeit in größerer Zahl wieder auf. Man glaubt, daß sich bei der Abstimmung eine große Mehrheit gegen Fortsetzung des Ausstands aussprechen wird. (Vgl. Nr. 74 d. Bl.)
Aus Indianapolis wird dem ‚W. T. B. berichtet, daß die aus Besitzern von bituminöse Kohle liefernden Berg⸗ werken und Bergarbeitern bestehende Kommission zur Ver—⸗ einbarung einer Lohnskala nach einwöchiger Beratung beschloß, der Konferenz von Bergwerksbesitzern und Bergarbeitern ihren Bericht dahin zu erstatten, daß eine Einigung nicht erzielt sei. (Vgl. Nr. 74 d. BI.)
Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.
Der II. Kongreß der Deutschen Röntgen -⸗Gesellschaft findet am 1. und 2. April d. J. im Langenbeckhause in Berlin statt. Die große Zahl der angemeldeten Vorträge und Demonstratlonen macht es nötig, die Zeit für Vorträge auf 15 Minuten, für De— monstrationen auf 10 Minuten und für die Diskussion auf 5 Minuten zu beschränken. Die endgültige Tagesordnung sowie die Mitglieds⸗ karten oder Teilnehmerkarten (19 4A) können am Sonntag, den 1. April, Vormittags von 10— 2 Uhr, im Bureau des Herrn Melzer (Langenbeckhaus, Ziegelstraße 1011) und am Montag, den 2. April, von 8 Uhr Vormlttags ab im Kongreßbureau (im Langenbeckhause) in Empfang genommen werden.
Aegypten. Der internationale Gesundheitsrat in Konstantinopel hat für Herkünfte von Alexandrien eine ärztliche Untersuchung verfügt, die im ersten türkischen Hafen mit einem Sanitäts-⸗ arzt zu erfolgen hat.
Sandel und Gewerbe.
(Aus den im Reichsamt des Innern zusammengestellten „Nachrichten für Handel und .
Drahtlose Telegraphie auf amerikanischen Eisenbahnen.
Auf Anfrage eines ,, . über den gegenwärtigen Stand der Versuche mit drabtloser Telegraphie auf Schnellzügen hat der General Manager der Alton Railway Co. n,. daß die Ge⸗ sellschaft keine weiteren Versuche mit drahtloser Telegraphie gemacht
Schwei; und Belgien hat stark nachgelassen. Schwere Zuchthengste
habe, weil die Kosten der Vermittlungsstation so groß waren, daß die