Abg. Potthoff (fr. Vgg.): Die ng der Kommission ist doch sehr bedenklich. Ist es denn logisch, jemanden in Strafe ais abwesend ju nehmen, der pünktlich herkam, sich a . an mehreren namentlichen 1 teilnahm, dann bei einer fehlte und nachher nochmals teilnahm? Die Witzblätter haben sich berelts mit diesem Thema beschäftigt. Inkonsequent ist, den Abgeordneten als nicht anwesend zu zählen, wenn er bei einer namentlichen Abstimmung fehlt, und ihn zu zählen, wenn er beim Ramensaufruf fehlt. Es ist auch nicht zu verlangen, daß die Abgeordneten sich hier immer im Sitzungssaale aufhalten. Bas wäre direkt gefundbeiltgzwidrig. Es genügt, wenn die Abgeordneten sich in die Liste eintragen. Bei unwichtigen Sitzungen schadet es nicht, wenn fie nicht hier im Sagle sind. Trit eine Beschluß⸗ unfahigkeit ein, fo können die Fehlenden leicht für die eine Stunde später stattfindende Sitzung zusammen erufen werden. Ich bin gewiß kein , einer Bbstruklion. Sie ist nur ein außerordenllicher Notbehelf für den Notfall. Für diesen Notfall würde aber der Abzug nicht abschrecken. Es ist ein Unrecht, wenn die Mehrheit nicht nur das Recht hat, die Minderheit nieder zustimmen, sondern ihr auch noch eine Geldstrafe aufzuerlegen. Diese Strafe kommt schließlich auf eine Aenderung der Geschãfts⸗ ordnung beraus. Einen Antrag auf Aenderung des zwelten Absatzes möchte ich nicht stellen, da er aussichtslos ist. Vielleicht wird man zwischen der zweiten und dritten Lesung eine andere Fassung * Wir werden aber trotz des Schönheitsfehlers für die Vorlage
mmen.
Abg. von Richthofen (kon); Man hat darauf hingewiesen, daß es außerordentlich schwer sei . erfahren, wann eine namentliche Ab⸗ stimmung ftattfinden soll. Vielleicht wird ein; besondere Glocke für bie namentliche Absftimmung eingeführt, die in allen Räumen des
uses hörbar ist. Im übrigen stehe i auf dem Standpunkt; ntweder allen Abgeordneten Diäten oder keine. Dagegen verstößt §z 4 in Form der Regierungsvorlage und der Kommissionsfassung. Ein Teil des Hauses hat im ersten Monat ein Interesse, sich hier nicht einzutragen, denn dort drüben im Abgeordneten haufe erhalten 6 450 6 ser nur 100 M Ich werde gegen beide Absätze des trages stimmen.
Abg. Dr. Arendt (Rp): Nach ö 5 sind die preußischen Abgeord⸗ neten nich berechtigt, Diäten ju empfangen, wenn sie hier anwesend sind. Ich glaube, daß der Abg. Singer bis zur dritten Lesung sich seine Stellung uͤberlegen wird, denn sonst könnte das ganze Gesetz scheitern an dem Widerspruch der Rechten. Bei der ersten Lesung bekämpfte der Abg. Singer die Schuljungen / kontrollmaßregel aufs schãrfste. Heute y wir nicht ein Wort von ihm dagegen gehört, obwohl die
enderungen der Kontrolle, die die Kommission vorgeschlagen hat, rein grammatikalischer Art sind. Ich darf also hoffen, daß er schließlich doch auch diesen Paragraphen annehmen wird, Um eine Strafe handelt es sich bei diesem Abzug nicht. Der Abgeordnete muß die namentlichen Abstimmungen als seine wichtigste flicht betrachten und darf an einem Tage wo er diese flicht nicht erfüllt, eine Entschädigung nicht beanspruchen. 1 Wert der namentlichen Abstimmung wird durch diese Bestim⸗ mung nur erhöht. Gewisse Härten lassen sich ja nicht bestreiten, konnen aber auf anderem Wege ausgeglichen werden, Nameng⸗ aufrufe kommen so selten vor, daß man sie kaum zu berüclsichtigen braucht. Will aber der Abg. Potthoff diese Lücken ausfüllen, so würde ich nichts gegen einen solchen Antrag einzuwenden haben.
Abg' Graf von Lim burg⸗Stirum. S. kon. schwer ver⸗ ständlich) schlägt vor, entweder die Abwesenheit zu konstatieren bei der Abstimmung selbst oder durch Einführung bon Abstimmungskarten.
Abg. Dr. Pach n icke (fr. Ver.): Wir haben den Vorschlag, der eben gemacht worden ist, nicht so genau verstanden, daß wir darauf eingehen können. Jedenfalls sind die Bedenken gegen den Paragraphen nicht entkräftet worden. .
Abg. Sr. Spahn (Zentr.): Wer hier anwesend ist, muß sich auch in die Lsstten eintragen; wer das nicht tut, handelt gegen das rg, Ich glaube auch, daß, wenn die Vorlage Gesetz geworden ist, die Abgeordneten sich eintragen und die Anwesenheltsgel der beziehen werden. Wir brauchen den Abgeordneten wes . bei den Ab⸗ stimmungen und müssen an dem Prinzip festhalten, daß er bei jeder Abstimmung anwesend ist.
Referent Abg. Gröber wendet sich gegen den Vorschlag des Abg. Grafen Limburg. Wenn man Hie arten in eine Büchse bineinstecken könne, so sei nicht ausgeschlossen, daß sie ein anderer Abgeordneter hineinstecke. ö
Die SS 4 und 4a werden unverändert angenommen.
g 5 trifft Bestimmungen über die Doppel mandate. Gin Mitglied des Reichstags darf in seiner Eigenschaft als Mit⸗ lied einer anderen politischen Körperschaft, wenn beide Körper⸗ are gleichzeitig versammelt sind, nur für diejenigen Tage Vergütungen 6 für die ihm auf Grund dieses Gesetzes ein Abzug von der Entschädigung gemacht ist, oder Tagegeld nicht gewährt wird, auch darf es in dieser Ei enschaft während der Dauer der freien Fahrt auf den Eisenbahnen keine Eisen⸗ bahnfahrkosten annehmen. . . Abg. Dr. Spahn (Zentr) hat folgenden S Ha einzufügen beantragt: „Der Reichstag gilt im Sinne dieses ., nicht als ver⸗ sammelt, wenn er gemäß Art. 12 der Reichsverfassung vertagt ist.“
Der Referent betont, daß die Kommission nach langen Er⸗ wägungen trotz der Unklarheit der Bestimmungen die Vorlage an⸗ enommen hat. Man gehe dabei von der nsicht aus, daß der
lätenbezug in einem Einzellandtage gestattet sein soll, wenn der Reichstag vertagt ist.
Abg. Arendt (Ry): Wir haben schon in erster Lesung diese Bestimmung als Eingriff in die Landes verfassung beanstandet. Auf die Landtagsdiaͤten. Einfluß ju üben, kann nicht Sache des Reiches fein; dort soll man alles beim alten ö Es ist nur ju verhindern, daß Kumulation eintritt; zu diesem Zwecke muß der Abgeordnete verpflichtet werden, von den , , diäten in Abzug zu bringen, was ihm an Landtagsdiäten zugefallen ist. Lebte Windthorst noch, das Zentrum hätte nimmer einer solchen dem föderativen Gedanken durchaus feindlichen Bestimmung 6. Ge⸗ nehmigung gegeben. Man geht hier geradezu brutal über die in den Einzelstaaten bestehenden Vorschriften hinweg. Der Landtag fängt öfter ger g an und hört später auf als der Reichstag, so daß dlefe Bestimmung direkt zu einer Verminderung der Diäten führen kann. Das ist doch nicht die Art, wie man Reichstagsdiäten ein⸗ führt. Ich kann mir kein Bild dahon machen, wie in Preußen die Sache gehandbabt werden soll. Offenbar liegt ein Widerspruch mit der preußischen Verfassung vor; da sage ich: principiis obsta! Mein Antrag ging dahin, daß der Abzug der Landtags⸗ diäten von den Reichstags anwesenheitsgeldern erfolgen soll auf Grund einer von den Abgeordneten abjugebenden Erklärung; der Präsident hat dann nur nech Bestimmungen über die Form zu erlassen, in welcher die Erklärung vor sich gehen soll. Auf diesem Wege würde ermöglicht werden, daß wir die Einzelstaaten in ihrer Verfassung und Gesetzgebung unberührt lassen. Der wissentlich der Wahrheit zuwider⸗ handelnde Abgeordnete würde dem Strafrichter verfallen sein. Wollte man die Freunde dieser meiner Anregung einfach niederstimmen so wird das verhängnisvolle . haben. Ich kann die Verantwortung für ein Gesetz nicht übernehmen, in dem dieser §8 5 der Vorlage enthalten ist. Die ernsten Bedenken, die ich hier entwickelt habe, können Sie nicht unberücksichtigt lassen.
Abg. von Kardorff (Rp): Ich gehöre zu den prinzipiellen Gegnern des Gefetzes. Ich habe mich deshalb bis jetzt bei der Be— sprechung zurückgehalten, behalte mir aber vor, bei der dritten Lesung meine Bedenken gegen die gesamte Vorlage kundzugeben. Bezüglich diefes Paragraphen stehe ich allerdingö, was die , , anb langt, anz auf dem Standpunkt, den soeben mein Freund Vr. Otto Arendt . hat. . den Kompetenzen des Reichs, wie sie in Art. 4 der eichsberfassung aufgeführt sind, gehört ein Eingriff in die Gesetzgebung und Verfassung der Einzelstaaten nichl. Deshalb habe ich meine großen Bedenken, wenn
hier vom Reiche ein solcher Einbruch in die preußische Verfaffung gemacht wird. Fangen wir damit. an, ver lassen wir das Prinzip, das der Fürst Bigmarck so hoch gehalten bat, daß Deutschland ein foͤderativer Staat bleiben kann, durch einen Eingriff in die Verfaffung der Ginzelländer, so tun wir das aller⸗ meisie, den Bestand des Veutschen Reichs in seinen Grundfesten zu erschüttern. Hoffentlich wird bis zur dritten Lesung ein Ausweg zur Befeitigung dieser Bedenken gefunden. Ein großer Teil der Herren, dle dem Gesetz freundlich gegenüberstehen, würde gejwungen sein, Ei das Gefetz zu stimmen, wenn die gegenwärtige Fassung, die die ommifsion vorgeschlagen hat, beibehalten wird. Ich werde dafür 9 tragen, daß im preußischen Landtag die Frage nicht unberũhrt eibt.
Staatsminister, Staatssekretär des Innern, Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Ich muß dem Herrn Berichterstatter bestãtigen, daß seine Ausführungen über den Begriff der Versammlung des Reichs⸗ tags und der Vertagung im Sinne des 55 dieses Gesetzentwurft und im Sinne des Abänderungsantrags des Abg. Dr. Spahn zutreffen.
Der Herr Abg. Arendt hat versucht, mich für seinen Antrag zu b schon bei 1 festzulegen, indem er sagte, er hoffe, ich würde seinen Anträgen zu § 5 datselbe Entgegenkommen be⸗ zeigen, wie den Anträgen ju § 1 bezw. den Kommissions⸗ beschlässen, und er hat noch mit einer gewissen Absicht hinzugefügt, die Sonialdemokraten hätten dafür gestimmt, die Aenderung des 85 28 der Reichs verfassung abzulehnen, und er hoffte deshalb, daß auch den Anträgen der konservativen Partei zu § 5 Rechnung getragen würde. Ich stelle demgegenüber zunächst fest, daß ich mich nicht entgegenkommend zu der Kommissions vorlage aus⸗ gesprochen habe, welche die Aufhebung der Abänderung des § 28 beantragt. Ich habe vielmehr das Haus dringend gebeten, die vor- geschlagene Abänderung des 5 28 der Reichs verfassung anzunehmen.
Ferner stelle ich fest, daß sich gegen diese Abänderung des 5 28 nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch — ich bitte, mich iu be⸗ richtigen, wenn ich etwas Falsches sage — in der Kommission und auch heute die ganze Linke einschließlich der Nationalliberalen sowie das Zentrum ausgesprochen und auch dagegen gestimmt hat. (Sehr richtig) Wenn der Herr Abg. Arendt es des halb heute so darzustellen sucht, als ob der 3 28 nur an der Opposition der Sozialdemokratie in der Kommission gescheitert ist, so hat er etwas behauptet, was tat sächlich unrichtig ist. (Sehr richtig h
Meine Herren, ferner muß ich dem Herrn Abg. von Staudy ausdrücklich bestätigen, daß er in der Kommission keinerlei Anträge gestellt hat. Aber er hat — und das ist ein Standpunkt, den ich durchaus achte — sich als ein grund⸗ sätzlicher Gegner der Diãtenvorlage ausgesprochen. Das ist ein politischer Standpunkt, für den ich Verständnis haben kann. Wenn man sich aber als grundsãͤtzlicher Gegner der Dlãtenvorlage ausspricht, so tut man das doch, weil man befürchtet, daß ein derartiges Gesetz schwerwiegende nachteilige politische Folgen haben könnte. Steht man aber auf diesem Standpunkt, dann darf man nicht in eventum Anträge befürworten und für Anträge stimmen, die eine wesentliche Abschwächung der Kautelen darstellen, die die Regierung unbedingt fordern muß. Ich habe unmittelbar nach der Sitzung den Nachweis über den Gang der Verhandlungen aufnehmen lassen und könnte dem Herrn Abg. von Staudy nachweisen, daß er für eine Reihe von Anträgen gestimmt und eine Reihe von An— trägen selbst befürwortet hat, die nach der Meinung der ver- bündeten Regierungen eine erhebliche Abschwächung der Vorlage darstellten und damit allerdings — wenn sie durchgegangen wären — wesentliche politische Gefahren herbeiführen könnten.
Meine Herren, ich komme nun auf die verfassungsmäßige Frage. Ich kann den Ausführungen des Herrn Abg. von Kardorff in keiner Be⸗ ziehung zustimmen. Es handelt sich bei dieser Vorlage nicht um eine Ausführung des Art. 4 der Reicheverfassung, welcher den Umfang der Kompetenzen des Reichs feststellt, eines Artikels, der nur einen pro⸗ missorischen Charakter hat und erst Fleisch und Blut, staatsrechtliche Geltung durch besondere Ausführungögesetze erhält, sondern es handelt sich hier um eine Abänderung des Art. 32 der Reicht⸗ verfassung, der feststellt, daß ein Reichstagsabgeordneter keine Entschädigung und keine Besoldung erhalten darf. Wenn nunmehr dieser Artikel der Reichsverfassung dahin abgeändert wird, daß nach Maßgabe des Gesetzes ein Reichstagsabge⸗ ordneter Entschädigung erhalten darf, so ist das eben eine Aenderung eines bestehenden und bereits in tatsächlicher Geltung befindlichen Ver⸗ fassungsartikels. Dieselbe hebt die Beschränkung der Gewährung einer Entschädigung auf und läßt eine Entschädigung nach Maßgabe des Ge⸗ setzez zu. Aendert man aber im Reich einen bestimmte materielle Vorschriften enthaltenden Artikel der Verfassung, dann hat man selbstverständlich auch das Recht, im Wege derselben Aenderung der Reichs verfassung anzuordnen, unter welchen Bedingungen man diese materielle Aenderung der Ver- fassung eintreten lassen will, und unter welchen Voraussetzungen im vorliegenden besonderen Falle in Zukunft die Abgeordneten eine Ent schädigung annehmen dürfen. (Sehr richtig! rechts) Diese allge— meinen für das ganze Reich gleichmäßigen Grundsätze können aber nur im Wege der Reichsgesetzgebung festgestellt und nicht der Landes- gesetzgebung üÜberlassen werden. Würde man den Antrag Arendt annehmen, so würde der Schwerpunkt der ganzen Maßtegel aus dem Reichstage in die Einzellandtage ver⸗ legt. (Sehr richtig) Damit würde noch der eigentümliche Zustand eintreten, daß die Reichstagsabgeordneten vom Reich für ihren Auf— wand ganz verschieden abgegolten werden, indem die Höhe der Ent⸗ schädigung in den einzelnen Landtagen eine ganz verschiedene ist, und infolgedessen die Abzüge, die vom Reichspauschquantum gemacht werden, auch vollkommen verschieden sein müßten. .
Außerdem ist der autgesprochene Zweck des Gesetzes, daß wir unter allen Umständen ein beschlußfähiges Haus haben wollen. Die verbündeten Regierungen müssen es deshalb ablehnen, hier solchen Be⸗ stimmungen zuzustimmen, die die Bestimmungen über die Beschluß ⸗ fähigkeit wesentlich abschwächen würden. Es ist ganz unjweifelhaft, daß, wenn der Antrag Arendt angenommen würde, gerade die Bestimmung des § b, die auch darauf hinwirken soll, die Doppel mandate zu beseitigen, den Fortbestand von Doppelmandaten außer⸗ ordentlich erleichtern würde. Die Doppel mandate sind aber ein offen⸗ barer Mißstand (sehr richtig), der auf die Verhandlungen dieses Hauses einen sehr nachteiligen Einfluß geübt hat. Trotzdem gestehe ich ohne welteres zu: es wird im politischen Interesse der Parteien notwendig sein, daß eine Anzahl Abgeordnete, das heißt solche, die eine führende Stelle innerhalb ihrer Parteien einnehmen, in beiden
Häusern vertreten ist. Das wird nicht nur für den preußischen Landtag und den Reichstag gelten, sondern auch auf die übrigen Landtage Deutsch⸗ lands Anwendung finden. (Zuruf) Ich glaube aber: so gut, wie es bisher möglich gewesen ist, daß auch die Inhaber von Doppel mandaten den Sitzungen dieses Hauses beigewohnt haben, und daß insbesondere die Inhaber von preußischin Mandaten hier im Reichstag er schienen sind und an den Abstimmungen teilgenommen haben, wird das auch in Zukunft der Fall sein. Die verbündeten Regierungen können sich indes nicht für Bestimmungen aussprechen, die dahin führen, die Gefahr der Beschlußunfähigkeit des Reichstags in Zukunft noch zu verstärken. Wenn sich die ver⸗ bündeten Regierungen bereit erklärt haben, nach sehr ernsten Er⸗ wägungen, in eine Abänderung der Bestimmungen des Art. 32 der Reichs verfassung einzuwilligen, so haben sie das nicht getan, um einen Zustand zu begünstigen, der dahin führt, daß eine Anzahl von
Abgeordneten im Hause meist nicht anwesend ist, sondern diese Reichs ⸗
entschädigung wird dafür gewährt, daß diese Abgeordneten sich auch selbst in die Lage bringen, hier ihr Mandat wahrzunehmen und den Kreis zu vertreten, zu dessen Vertretung sie von ihren Wählern hierher geschickt sind.
Ich kann Sie also nur dringend bitten, dem Antrage Arendt nicht zuzustimmen.
Wenn der Herr Abg. Arendt sich davon kein Bild machen kann, wie sich diese Bestimmung in Preußen vollziehen werde, so wolle er mir gestatten, ihm einfach zu sagen: das wird sich so vollziehen, daß er sich in Preußen so viel an Tagegeldersaͤtzen abziehen lassen muß, wie ihm hier Abzüge im Reichstage nicht gemacht sind. ( uruf.) Ja, Herr Abg. Arendt, das ist eine sehr einfache Rechnung. Es wird ganz genau festgestellt, für wieviel Tage hier im Reichstage ein Abzug gemacht ist, weil der betreffende Abgeordnete nicht anwesend gewesen ist, und für diese Tage kann der Abgeordnete nachher im preußischen Landtage den Tagegeldersatz erheben. (Sehr richtig h Also diese Be⸗ rechnung ist eine ungemein einfache. Heiterkeit.)
Wenn schließlich der Herr Abg. von Kardorff erklärt hat, er würde die preußlsche Regierung darüber befragen, wie es hätte ge⸗ schehen können, daß so mit der Reichs verfassung umgesprungen wird (guruf rechts), — mit der preußischen Verfassung, so kann ich ihm versichern, daß diese Vorlage Gegenstand eingehender Erwägungen im preußischen Staatsministerium gewesen ist, und daß weder von der preußischen Regierung noch von irgend einer anderen Regierung gegen diese Bestimmung des § 5. das allergeringste verfassungs⸗ mäßige Bedenken erhoben worden ist. (Hört, hört h Die preußische Regierung wird deshalb, wenn sie darauf angesprochen wird, auch mit gutem Gewissen den Standpunkt vertreten können, den sie im Bundesrat eingenommen hat. (Lebhafter Beifall.)
Abg. Dr. Rintelen , ist mit dem Staats sekretär hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Seite der Frage in verschiedenen Punkten nicht cinverstanden. Das preußische Verfassungsrecht dürfe nicht ein- fach ignoriert werden, am wenigsten durch ein so ches Gelegenheits⸗ gesetz. Der Staats sekretär habe bezüglich der Kompetenz der Reichs⸗ geseßgebung eine sehr anfechtbare Theorie entwickelt; erst müßte unter allen Umständen die Verfaffung geändert werden. Der Redner wird gegen den 5 5 der Kommission stimmen.
Staatsminister, Staatssekretär des Innern Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Auf diese Verhandlung wird vielleicht einmal zurückgekommen werden. (Sehr richtig! rechts.) Ich muß deshalb erklären, daß die Ausführungen des Herrn Vor redners sich nicht mit meinen Ausführungen decken. Melnes Grachtens handelt es sich hier nicht um eine Kompetenjerweiterung, sondern um einen Artikel der Reichsverfassung, der über die Frage der Entschädigung der Abgeordneten schon sachlich verfügte. In einer Aenderung eines materiellen Verfassungsartikels liegt aber an sich keine Kompetenzerweiterung. Diese letzte von dem Herrn Abg. Pachnicke angeregte Frage liegt auf einem ganz anderen Gebiete. Handelte es sich um eine Kompetenzerweiterung, so könnte man aller⸗ dings die Forderung für berechtigt halten, daß zunächst Art. 4 der Reichsverfassung geändert werde, und daß, wenn man die Kom⸗ petenz formell erweiterte, man dann auch eine Bestimmung aufnimmt, in welcher sachlichen Richtung dem Reiche diese neue Aufgabe zu- gewiesen wird. Eine neue Aufgabe wird aber dem Reiche hier nicht zugewiesen, sondern eine bestehende sachliche Verfassungsbestimmung erhält nur eine abgeänderte Fassung.
Abg. Dr. Pachnicke (fr. Dag. Interessant war mir die Mitteilung des Staattsekretärs, daß keine einzige Regierung Bedenken cr den ö erhoben hat. Wenn also der Abg. von Kardorff den Vor⸗ toß im preußischen Landtage machte, so würde er damit keinen Erfolg haben und preußischer als die preußische Regierung sein. Seine Aus⸗ führungen find nicht durchschlagend. Art. 78 ermöglicht die Aenderung der Verfassung auf gesetzlichem Wege. Das Reich besitzt also die Kompetenz, felne eigene Kompetenz zu erweitern. Ob ez davon Ge— n, macht, ist eine andere Sache, das Necht dazu hat es aber. Die Ausführungen des Staatssekretärs in dieser Beziehung bedeuten für mich ein Zugeständnis von großer politischer Bedeutung. (Abg. Arendt: Sehr icht Dieselbe Auffassung haben auch hervor- ragende Rechtslehrer. Unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit verdient der Kommissionsantrag den Vorzug vor dem Antrag Arendt. Die Erklärung des Abgeordneten kann, ich will nicht sagen wissentlich kasche Angaben, aber unwissentliche, unbewußte Irrtümer zur Folge haben. Ünd welche mißlichen Aufgaben würden dem Rechnungshof erwachsen!
Staatsminister, Staatssekretär des Innern Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Ich muß wiederholt diesen juristischen Ausführungen widersprechen, da sie sich auf Grund des Reichsrechts nicht recht⸗ fertigen lassen. Artikel 4 stellt den Umfang der Gesetzgebung fest, welche unter Eingriff in die Gesetzgebung der Einzelstaaten vom Reiche erlassen werden kann. Artikel 4 der Reichsverfassung ist ein rein promissorischer Artikel formellen Rechts, der seine Ausführung erst erhält durch Einzelgesetze, wie sie in zahlreichen Fällen bereits vom Reiche erlassen worden sind. Man kann sagen: Artikel 4 der Reichsverfassung hat in der überwiegenden Zahl der Fälle seine Aus⸗ führung bereits durch Spezialgesetze erhalten, welche die Gesetzgebung der Einzelstaaten abändern oder aufheben. Artikel 32 ist da⸗ gegen ein materieller Verfassungsartikel, der zunächst der Ausführung gar nicht bedarf, da er sofort positives Recht schaffte: ein Abgeordneter darf keine Entschädigung und keine Besoldung beziehen.“
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
3 113.
(Schluß aus der Ersten Beilage)
Hier handelt es sich also nicht um die Ausführung eines zunächst formellen Verfassungtartikels im Sinne des Artikels 4, sondern um Abänderung einer jetzt schon in Kraft bestehenden sachlichen und ihre gesetzliche Wirkung äußernden Verfassungebestimmung, und so gut, meine Herren, wie wir durch zahlreiche andere Bestimmungen der Ver⸗
fass ung vor 35 Jahren in die staats rechtlichen Verhältnisse der Einzelstaaten
eingegriffen haben, können wir auch jetzt durch eine sachliche Ab⸗ änderung des Art. 32 selbstverständlich Reichsrecht schaffen, das zwingend ist gegenüber dem Landesrecht. Steht man auf dem Stand⸗ punkt der Herren, die hier Verfassungsbedenken vorgebracht haben, dann müßten die Herren korrekterweise eigentlich beantragen, daß zu⸗ nächst eine Aenderung der Verfassung dahingehend erlassen wird, daß zu den Kompetenzen des Art. 4, zu den Kompetenzen der Reichs⸗ gesetzgebung auch diejenige gehört, daß der Art. 32 im Wege der Reichsgesetzgebung abgeändert werden kann. (Heiterkeit und Sehr richtig Meine Herren, man müßte also erst eine Ergänzung der Verfassung zu Artikel 4 beschließen, durch die festgestellt wird, daß man die Verfassungsbestimmung des Artikels 32 materiell abändern kann — ich glaube, das ist ein Vorgang, den man uns aus der Gesetzgebung keines Staats nachweisen könnte. Wenn wir aber den Artikel 32 der Verfassung abzuändern schon jetzt befugt sind, dann sind wir selbstveiständlich auch befugt, hierbei im Wege der Reichs gesetzgebung die Bedingungen festzusetzen, unter denen der Artikel abgeändert wird, und diese in einem Reichsausführungsgesetz fest⸗ zulegen, und so, wie zahlreiche andere Artikel der Reichsverfassung in die einzelstaatliche Gesetzgebung eingreifen, können wir auch diesem Artikel eine staatsrechtliche Fassung geben, die das einzelstaatliche Recht abändert. Hier steht meines Erachtens die Reichsgesetzgebung auf einem unanfechtbaren Boden. (Sehr richtig! in der Mitte und links.)
Abg. Dr. Paasche (al): Meine Freunde werden dem Kommissions⸗ antrag ihre Zustimmung geben. Wir haben, um der Rechten die Zu—⸗ flimmung zu erleichtern, nicht, weil wir die Verfassungsbedenken teilen, einem Kompromiß zugestimmt. Es kann einfach festgestellt werden: fo viel Tage ist der Abgeordnete anwesend gewesen, und so viel Tage hat er das Recht, bei einer anderen Korporation die Diäten zu be⸗ ziehen. Die verfaffungsrechtlichen Bedenken haben wir von Anfang an nicht JZeteilt, und nach den Ausführungen des Staatssekretärs ist es klar, daß hier ein Eingriff in die preußische Verfassung oder in die anderer Cinzeistaaten nicht gegeben ist. Die Rechte, die vielleicht ohnehin nur zum geringen Teil für das Gesetz gestimmt hätte, erklärt nun, sie würde jetzt nicht für das Gesetz stimmen. Ich glaube nicht, daß man im Lande ihre feinen Deduktionen verstehen, sondern sagen wird, die echte will nicht, daß intelligente Leute in den Reichstag einziehen, denen die Mittel fehlen. Ich hoffe, daß eine Wirkung dieses e,. sein wird, daß die Doppelmandate zum großen Teil aufhören werden.
Abg. von Stau dv (kons ): Dem Staatssekretär erwidere ich: Ich habe allerdings in der Kommission Anträge gestellt zu einzelnen Para⸗ 1 aber nicht um die Reglerungsvorlage abjuschwächen. In schaͤrfster
eife muß ich die Unterstellung des Abg. Paasche zurückweisen. Unsere Spposition gegen das Gefetz rührt daher, daß wir fürchten, daß die Sualität der Reichstagsmiiglieder sich vermindern werde, und wir nehmen an, daß auch aug den Kreisen, die der Abg. Paasche vertritt, nächstens ein weniger hervorragender Mann gewählt wird. Auf Ver⸗ faffungsfragen will ich nicht näher eingehen. In S§z 5 wird ja der Verzicht auf die preußischen usw. Dläten erzwungen; es handelt sich alfo nicht um einen freiwilligen Verzicht, sondern um einen Einbruch in die preußische Verfassung. Man häüite sich jedenfalls zunächst mit den Einzelstaaten ins Benehmen setzen müssen. Wir werden zum Teil eventuell für den Antrag Arendt stimmen.
Abg. Müller⸗Sagan (fr. Vollsp.): Verfassungsbedenken sind für mich gegenüber dem Antrage Arendt nicht entscheidend; ich gebe zu, daß dieser Antrag, was die Zweckmäßigkeit betrifft, sehr viel Be⸗ stechendes für mich batte. Nach den Ausführungen des Staate⸗ sekretärs werde ich aber nunmehr gegen den Antrag Arendt und für die Kommissionsfassung stimmen. .
Abg. Dr. Spa hn Gentr) verteidigt seinen Antrag, der durch seinen Ausdruck solange der Reichstag bersammelt ist, schon klar zum Ausdruck bringe, daß er sich auf Fahrkarten nicht beziehe. Der Abg. Arendt sei noch zu jung, um beurteilen zu können, was der Abg. Windthorst über eine solche Verfassungsänderung denken würde. 16 Anregung des Abg. Rintelen ist seinerzeit eine Bestimmung beantragt worden, die sich genau mit der heute von mir beantragten deckte. Seine Verfassungebedenken kann ich nicht teilen. Mit Recht hat sich der Präͤsident in seinem und seiner Nachfolger Namen gegen die übermäßige Arbeitsbelastung und Verantwortung verwahrt, die ihm durch die Kontrolle auferlegt wird, wenn man nach dem Antrag Arendt verführe. Ich bitte Sie, an dem Beschluß der Kommission festzuhalten.
Abg. Dr. Arendt (R. P) verwahrt sich dem Staatssekretär gegen⸗ über eg, daß er eine tatsächlich unrichtige Behauptung aufgestellt habe. Es sei recht, bezeichnend, daß die Sozial⸗ demokraten fich an dieser Debatte nicht beteiligt hätten, während der Abg. Dr. Pachnicke nicht ganz so vorsichtig gewesen sei und schon die Quittung aaf diesen 8 5 gegeben babe, Man würde später bei Ge⸗ legenheit immer wieder auf diese Verfassungsänderung zurückkommen. Der in würde des preußischen Landtags nicht würdig sein, es wäre Uufgabe der preußischen Regierung gewesen, dafür zu sorgen, daß eine folche Bestimmung nicht ins Gesetäz käme. Mit Rẽcksicht auf die entsprechende Bemerkung des Präsidenten habe er die Deklaration der Abgeordneten einführen wollen. Um diese brauche sich der Präsident nicht zu kümmern, da sie, als von Abgeordneten her⸗ rührend, ohne welteres als zuverlässig anzuerkennen sei. Dem Abg. Spahn könne er sagen, daß er leider nicht mehr so ganz jung sei, er habe 5 Jahre lang mit Windthorst zusammen im Parlament gesessen. Wenn, wie der Abg. Dr. Paasche gemeint habe, den Konservativen im Lande nachgesagt würde, sie seien gegen die Diätenborlage ge— wesen, weil fie keine befähigten Leute ins Parlament hätten haben wollen, fo fürchte er sich vor einem solchen Vorwurf nicht, Er brauche nur die Reden der Abgg. Singer und Traeger mit in die Volksversammlung zu nehmen, das würde genügen.
Staatsminister, Staatssekrelär des Innern Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Ich bin dem Herrn Abg. Dr. Arendt sehr dankbar dafür, daß er sein Stenogramm verlesen hat. Meine Aeußerungen haben sich nicht gegen das gerichtet, was er in der Kommission ge⸗ sagt hat, sondern gegen das, was er eben verlesen hat, und da erklärt er — das war der Sinn seiner Worte — man wäre den Wünschen der Sozialdemokraten und der Freisinnigen in bezug auf die Be— seitigung der Aenderung des Art. 28 nachgekommen. Er hat nicht
Berlin, Montag, den 14. Mai
festgestellt, daß in der Kommission — das war hier doch seine Sache — und auch heute hier im Plenum sich die Herren Nationalliberalen und das Zentrum ebenfalls für diese Beseitigung ausgesprochen haben.
Im übrigen, meine Herren, habe ich in der Kommission und auch heute die Aufrechterhaltung der Aenderung des 5 28 vertreten. In welchem Maße ich das tue, das muß der Herr Abgeordnete mir über⸗ lassen und meiner Verantwortung gegenüber den verbündeten Re⸗ gierungen.
Schließlich hat Herr Dr. Arendt gesagt: wenn dies Gesetz mit Art. 5 in dieser Form durchgzinge, so hinge es ab von diesem Gesetz und von den Verhaͤltnissen im Reichstag' welche Diäten die preußischen Abgeordneten empfingen, und das wäre nicht würdig. Wenn man aber dem Antrage des Herrn Abg. Arendt nachginge, hinge es von den preußischen Verhältnissen ab, in welcher Höhe und in welchem Umfange die Abgeordneten des Reichs Diäten empfangen. (Sehr richtig! — Sehr richtig! rechts) — Gewiß! — Und ich bin der Ansicht, und auf der bestehe ich allerdings, meine Herren, daß das Reich als der Gesamtverband der Einzelstaaten den Einzelstaaten unter allen Umständen vorzugehen hat. (Bravo!)
Abg. Bruhn (d. Rfy): Wir sind gegen den Antrag Arendt und gegen den Antrag Spahn. Wir Norddeutschen sollten uns doch vor Bestimmungen hüten, die nach Partikularismus aussehen, den wir den Süddeutschen so gern vorwerfen. Der Abg. von Staudn sollte doch nicht die Qualität eines Abgeordneten mit dem Geldbeutel in so enge Verbindung bringen. Ich glaube im Gegenteil, daß die Qualität der Abgeordneten zunehmen wird.
Abg. Dr. Paasche (ul.): Der Abg. von Staudy hat sich lebhaft dagegen verwahrt, daß ich seinen Freunden unqualifizier bare Vorwürfe gemacht bätte; sie wollten keine mittellosen Leute im Reichetag haben. Ich verlange nicht, daß der Abg. von Staudy meinen Reden mit Aufmeirk⸗ samkeit folgt, aber ich stelle ihm mein Stenogramm unkorrigiert zur Verfügung, woraus er entnehmen kann, daß ich gesagt habe: Meine Freunde legen Gewicht darauf, mit den Herren der konservativen Partei zusammen das Gesetz zu verabschieden. Wir bedauern, daß sie jetzt dagegen stimmen werden. . habe hinzugefügt, daß man draußen im Lande verfassunge rechtliche Bedenken nicht verstehen würde, fondern leicht zu der Änsicht kommen könnte, daß die Konservativen keine mittellosen Leute mehr haben wollten.
Der Antrag Arendt wird gegen die Stimmen eines Teils der Konservativen, der Reichspartei und gegen die Stimme des Abg. Rintelen abgelehnt. ;
Z 5 wird nach den Kommissionsbeschlüssen gegen die Stimmen des Gros der Deutsch⸗Kfonservativen an ge nom men. S Ha fast einstimmig. . .
sz 6 lautet nach den Kommissionsb 1
„Ein Verzicht auf die Aufwandsentschädigung ist unzulässig. Der Anspruch auf Aufwandsentschädigung ist nicht übertragbar.“ (Ter letzte Satz ist Zusatz der Kommisston.)
Der Referent bemerkt, daß die Pfändung der Entschädigung mit diesem Zusatz ausgeschlossen werden soll, da nach den bekannt ge. wordenen Erfahrungen, 1. B. in een, die Pfändung, zu recht unliebsamen Vorgängen geführt habe.
s 6 wird angenommen, ebenso ohne Debatte 85 7 bis 9.
8 bestimmt, da 3. das laufende Jahr, d. h. während der
eit bis zum 39. November 1996, bei der Vertagung oder
chließung des Reichstags den Mitgliedern eine 2 ädigung von 2300 Se gewährt wird. Zu der von der Kommission vor⸗ geschlagenen Resolution erklärt der
Abg. Bebel (Soz.), daß seine Freunde ihre Zustimmung dazu nicht geben können. Es fei bedenklich, die Tätigkeit des Reich'tags derart einzuschränken, daß Sonnabend und Montag in der Regel die Sitzungen ausfallen sollen. Das Gesetz sei gemacht worden, um die Beratungen des Reichstags nach Möglichkeit abzukürzen, vielleicht auch die Tätigkeit der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokraten seien eine Dppofitionspartei, die Veränderungen im Staatsleben herbeiführen wolle, sie brauche die Möglichkeit der Beschwerde und Zeit zur Be⸗ gründung ihrer Forderungen noch weit mehr als diejenigen, welche mit der Regierung einverstanden seien oder gar nichts Selbstãndiges zu sagen hätten. Deshalb hätte sie keine Ursache, solchen Ein⸗ schraͤnkungen zuzustimmen. .
Abg. Dr. Arendt (Ry): Die Sozialdemokraten hahen in der Kommisfion die Resolution unterschrieben; ihre Bedenken müssen ihnen eist jetzt gekommen sein. Bei den Erörterungen in der Kommission ist nicht nur von allen Parteien, sondern auch von der Regierung eingebend erwogen worden, daß die Beschränkung der Sitzungstage eine Förderung der parlanientarischen Arbeiten bedeuten würde, Die Art, wie wir in letzter Zeit gearbeitet haben, ist für unsere Tätigkeit wirklich nicht förderlich, es wäre eine außerordentliche Förderung, wenn es gelänge, nach der Resolution zu verfahren.
Abg. Bebel(Soz) : Gewiß hätte manche Verhandlung würdiger nach außen gewirkt, wenn sie abgelürit worden wäre. Das gilt besonders von der Diätenfrage. Wir haben jedenfalls nicht zur Bereicherung der Debatte beigetragen. Allerdings hat einer unserer Kollegen in der Kommission den Antrag unterzeichnet; so etwas geschieht sehr häufig, es bindet die Fraktion nicht.
Die Resolution wird darauf gegen die Stimmen der Sozialdemokraten angenommen. .
Schluß gegen 6. Uhr. Nächste Sitzung Montag 14 Uhr. (Vorlage wegen Aenderung einiger Vorschriften des Reichs⸗ stempelgesetzes; Vogelschutzgesetz; Mantelgesetz,
Prenßischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 65. Sitzung vom 12. Mai 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Ueber den Beginn der Sitzung ist in der vorgestrigen
Nummer d. Bl. berichtet worden.
Nach der Begründung der Interpellation der Abgg. Kindler (fr. Volksp.), Broemel (fr. Vgg. und Genossen, betreffend die Ausweisung russischer, Staats⸗ angehörigen, durch den Abg. Traeger fr. Volksp.) erklärt der
Minister des Innern Dr. von Bethman n-Hollweg:
In Beantwortung der Interpellation gestatte ich mir folgendes auszuführen und bitte gleichzeitig um die Erlaubnis, mich streng an die Interpellation ju halten und insonderheit auf den kurjen
19006.
historischen Exkurs des Herrn Vorredners über unser allgemeines Ver⸗ hältnis zu Rußland nicht einzugehen.
Im Verfolg der russischen Wirren sind in den Landespolizei⸗ bezirk Berlin, abgesehen von den Passanten, etwa 10000 Russen zu⸗ gezogen. Die Mehrzahl von ihnen gehört den niederen und unver⸗ mögenden Volksschichten an; zu dem größten Prozentsatz sind sie, wie bereits der Herr Vorredner erwähnt hat, Israeliten. Ich betone dies nicht aus irgend welchen konfessionellen Rücksichten, sondern weil ich glaube, daß derjenige, der seine Augen verschlösse vor der Rolle, welche die Juden aktiv oder passiv in der russischen Revolution spielen, zu den Blinden gehört. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Der Beweggrund zu der Auswanderung wird einesteils in den Ver— folgungen zu suchen sein, denen die Fremdlinge in ihrer Heimat aus⸗ gesetzt waren, zum andern Teile dürfte die Beteiligung an revolutionären Umtrieben mit bestimmend gewesen sein. (Sehr wahr! rechts.)
Die Frage, wie sich die Staatsregierung gegenüber diesem quali- tativ und quantitativ außergewöhnlichen Andrang von Fremden zu verhalten habe, war zu entscheiden, wie dies stets geschehen ist, einer⸗ seits nach den allgemeinen Geboten der Gastlichkeit gegen fremde Flüchtlinge, andererseits nach den Interessen des eigenen Staats. Daß im Kollisionsfalle allein die eigenen Staatsinteressen den Aus⸗ schlag zu geben haben, kann irgend einem Zweifel nicht unterliegen. (Sehr richtig! rechts) Nun ist die Königliche Staatsregierung in voller Einmütigkeit der Ansicht, daß der Zuzug so großer Massen in ihrer Existenz nicht gesicherter, zum Teil unlegiti⸗ mierter oder in die revolutionären Umtriebe des Nachbarreichs irgendwie verwickelter fremder Elemente weder ökonomisch noch politisch zu dulden sei (lebhafte Zustimmung rechts); sie kann in diesen Massen einen irgendwie wünschenswerten Bevölke⸗ rungezuwachs nicht erblicken (sehr wahr! rechts), sieht es vielmehr für ihre verantwortungsvolle Pflicht an, darüber zu wachen, daß Schwierig⸗ keiten, welche in den beiden von mir gekennzeichneten Richtungen in⸗ sonderheit in einer Millionenstadt wie Berlin schon ohnehin andauernd ihre Aufmerksamkeit erheischen, nicht noch verschärft werden durch eine starke Beimischung wirtschaftlich oder politisch unsicherer fremder Elemente. (Sehr richtig! und Bravo! rechts.)
Nun ist behauptet worden — und in gewissem Sinne hat auch der Herr Vorredner diese Ansicht vertreten — daß unter dieser An⸗ schauung die Interessen von Handel und Gewerbe leiden würden. Es ist mir wohl bekannt, daß gerade in diesem Jahre auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens, der Landwirtschaft und Industrie, ein außer- gewöhnlicher und beklagenswerter Arbeitermangel herrscht, aber nicht nur in Berlin, sondern leider im ganzen Lande. Ich kann es mir nicht vorstellen, daß gegenüber diesem allgemein empfundenen Uebel⸗ stande die Berliner Industrie durch die Abschiebung dieser Fremdlinge in irgend einer nennenswerten Weise geschädigt werden könnte, noch kann ich mir es vorstellen, daß die Vertreter der Berliner gewerb⸗ lichen Kreise den Anspruch erheben möchten, es sollten um präsum⸗ tiver geringfügiger Schädigungen willen wichtige staatliche Interessen in den Hintergrund treten. Von diesem allgemeinen Gesichts- punkte aus, der, wie ich hoffe, die Zustimmung der Mehrheit dieses Hauses finden wird, habe ich angeordnet, daß Personen ohne gesicherte wirtschaftliche Existenn;, ohne Legitimation oder politisch Verdächtige unmittelbar ausgewiesen werden. Des weiteren soll, wie der Herr Vorredner mitgeteilt hat, denjenigen Personen, bei denen diese Voraussetzungen gleichfalls vorliegen, aber noch nicht in so dringlicher Schärfe hervorgetreten sind, deren dauerndes Verweilen bei uns aus den erwähnten staatlichen Interessen gleichwohl nicht an⸗ gängig ist, mitgeteilt werden, daß sie auf die dauernde Erlaubnis zum Verweilen hierselbst nicht rechnen könnten und sich deshalb nach einem anderweiten Aufenthaltsort umsehen möchten, damit nicht später von der härteren Maßregel der Ausweisung Gebrauch zu machen sei. Eine bestimmte Frist ist nur einer kleinen Anzahl von Personen in diesen Fällen genannt worden, in der großen Mehrjahl der Fälle wird eine Frist überhaupt nicht gestellt. Diese Anordnung verdient nach meinem Dafürhalten nicht den Vorwurf besonderer Härte und auch nicht die etwas ironisierende Kritik, die ihr der Herr Abg. Munackel hat zu teil werden lassen. (Zuruf: Traeger! Heiterkeit) — Ja, meine Herren, es passieren leider lapsus auch in anderen Dingen, auf die ich nachher noch zurückkommen werde. (Sehr richtig h
Ich bin also nicht der Ansicht, daß diese Maßregel eine un⸗ verdient harte sei; viel härter wäre es doch unzweifelhaft, wenn man diese Elemente hier erst Wurzel schlagen und dann plötzlich der Aus- weisung verfallen ließe, während sie gegenwärtig von vornherein über die Sachlage orientiert werden mit dem Rate, sich einen anderen Aufenthaltsort zu suchen. Hierbei will ihnen das jädische Hilfe—⸗ komitee, wie mir Vertreter desselben in dankenswerter Weise zugesagt haben, mit Rat und Tat zur Seite stehen, und ich habe Anordnung getroffen, daß diese Hilfsaktionen durch die erforderlichen polizeilichen Mitteilungen unterstützt werden. Ich brauche schließlich nicht hervor⸗ zuheben, daß von allen Maßnahmen verschont bleiben sollen diejenigen, bei denen keiner der von mir auseinandergesetzten objektiven oder subjektiven Gründe ihrem längeren Verweilen im Wege stehen.
Dies sind die von mir getroffenen Anordnungen, und ich begreife nicht, wie der Herr Abg. Traeger zum Schluß noch hat sagen können, daß Anordnungen der Ausweisungen — und er wird auch die Fälle ge— meint haben, die ich eben besprochen habe — Treu und Glauben oder gar unseren Abmachungen mit Rußland widersprãchen. Der Herr Staatssekretär des Innern hat im Reichstage ausdrücklich ausgeführt, daß die Ausweisungsbefugnis fremder Personen für uns weder durch Reichegesetze noch durch Landesgesetze, noch durch Staatsverträge be⸗ schränkt ist; und er hat insonderheit die Bestimmungen des deutsch⸗ russischen Handelsvertrages vorgelesen, aus denen sich ergibt, daß ein
Widerspruch gegen diese Bestimmungen in den Ausweisungen nicht zu
finden ist. Er hat dabei besonderes Gewicht auf denjenigen Absatz des russischen Handelsvertrages gelegt, den der Herr Abg. Traeger nicht vor⸗
gelesen hat (hört, hört h, sondern den er als einen für diese Angelegen=