heit zu züchten. Vas liegt in ihrem Programm, das liegt in ihrem System. Wag aber weniger verständlich ist, das ist der Eifer, mit dem Nichisozialdemokraten hinter allem her sind, um unsere Zu⸗ stände schwarz in schwarz zu malen. (Heiterkeit, Wenn ich mich gegen solchen Pessimiemus wende, so will ich natürlich nicht fauler Ruhe oder eitler Selbstgefälligkeit oder blindem Optimismus das Wort reden. Und ebensowenig soll das Recht und der Nutzen der äffemlichen Kritik bestritten werden, die zu allen Zeiten notwendig ist und die wir heute, das sage ich ganz offen, weniger als je entbehren können. Die Klagen dürfen aber nicht in einer Weise erhoben werden, die sie gegenüber der wirklichen Sachlage im Lichte phantastischer Uebertreibung erscheinen läßt, schen weil derartige Uebertreibung sich straft, indem sie auch gegen berechtigte Kritik ab⸗ stumpft. Die Kritik muß fruchtbar wirken können. Deshalb sollen wir auch Kleinigkeiten und Nebensäͤchliches nicht aufbauschen, nicht das Kind iait dem Bade ausschütten, nicht so übertreiben, wie dies alte deutsche Art oder Unart ist, nicht über Strohhalme stolpern.
Wie übertrieben manche Klagen sind, geht ja schon daraus hervor, deß, während es im Inlande heißt, wir kämen immer mehr herunter, wir würden von niemanden mehr gefürchtet noch respektiert, im Aus⸗ lende ebenso fälschlich behauptet wird, daß Deutschland durch seine steigende Machtentfaltung und sein tatsächliches Vorwärts kommen eine Bedrohung für andere Länder wäre. Es wäre wirklich nicht zu verwundern, wenn solcher Hyperkritik gegenüber den leitenden Personen schlleßlich zu Mute würde, wie dem Bauer in der Fabel, der mit seinem Söhnchen und seinem Esel zu Markte zieht. Erst reitet er selbst auf dem Esel, da sagen die Vorübergehenden: Der faule Kerl, er reitet und sein armer Junge muß laufen. Dann setzt er den Jungen auf den Esel, da heißt es: Der dumme Kerl, er setzt sich ker Sonne und dem Staub aus und seinen Bengel läßt er reiten. Dann setzen beide sich auf den Esel, da beklagt man das arme Tier unb will Vater und Sohn beim Tierschutzverein denunzieren, bis endlich, von so viel Kritik verwirrt, der Bauer den Esel auf die Schultern nimmt und selbst trägt, d. h. das Dümmste tut, was er überhaupt machen kann. (Heiterkeit. )
Ist denn irgend ein Vorteil für die deutsche Politik und die deutschen Interessen im Auslande davon zu erwarten, wenn z. B. ein freisinnigs Berliner Blatt in einem mir vorgelegten Artikel erklärt:
„Wo es sich um Schutz der Deutschen im Auslande handelt, würde man heute wahrscheinlich erst fragen: Was ist der
Mann, welcher Konfession gehört er an, welcher Partei zählt
er sich zu? Und wenn die Auskunft verdächtig erscheint, dann
läßt man ihn eben in der Patsche sitzen.“ Das ist eine leichtfertige Unterstellung. Natürlich fehlt auch in diesem Artikel nicht die schematische Berufung auf den Fürsten Bismarck. Wo sind denn die Tatsachen, die dieses unseren gesamten auswärtigen Dienst herabsetzende Urteil rechtfertigen könnten. (Bravo! rechts.) Es ist mir wohl bekannt, daß in einzelnen Fällen über mangelnden Schutz Deutscher im Auslande geklagt worden ist. Bei näherer Untersuchung, an der ich es niemals habe fehlen lassen, hat sich aber in der Regel berausgestellt, daß die Fälle falsch dargestellt waren, oder daß es sich um ehemalige Deutsche handelte, die ihre Staatsangehörigkeit längst aufgegeben hatten. (Hört, hört! in der Mitte.) Der Schutz des Reiches wird jedem Deutschen ohne Ansehen der Person, der Konfession (der der Parte gewährt. Selbst in zweifelhaften Fällen ist auch deutschen Sozial—⸗ demokraten nach Recht und Gesetz beigestanden worden.
In solchen wegwerfenden summarischen Urteilen kann ich eine sachliche Förderung unserer nationalen Interessen nicht erkennen (sehr richtig! rechts, sondern nur eine diese Interessen schädigende Tendenz. Wer sich im Auslande umgesehen hat, der weiß, daß wir draußen im allgemeinen über ein pflichttreues, seiner nationalen Auf⸗ gaben bewußtes Beamtenpersonal verfügen. Ich erwarte, daß sich unsere Beamten auch durch kränkende und ungerechte Angriffe, die sie über sich ergehen lassen müssen, nicht in der Freudigkeit ihrer Dienst⸗ erfüllung beirren lassen.
Wo findet sich aber anderswo eine so exzessive Kritik, wie bei uns? Wird nicht auch andertwo hier und da mit Wasser gekocht? Kommen nicht auch anderswo Unvollkommenheiten, Fehler und Mißstände vor? Sie werden aber nicht in derartig künstlicher Vergrößerung vor⸗ gefübrt, wie bei uns. Ich denke oft an das Wort von Treitschke, der Deutsche im Inlande möge für deutsche Vorgänge und Einrichtungen doch nur einen kleinen Teil des wohlwollenden Verständnisses zeigen, das der Deutsche ausländischen Institutionen und Zuständen so gern entgegenbringt. (Sehr wahr, sehr richtig) Glaubt denn im Ernst irgend jemand, daß es im Auslande so viel besser ausschaut wie bei uns? In einem großen englischen Blatt las ich vor einiger Zeit, dem unkritischen und selbstzufriedenen englischen Volke sei der deutsche Pessimismus einfach unverständlich. Nach englischer Auffassung hätte kein Volk mehr Grund optimistisch zu sein als das deutsche, und deshalb figuriere Deutschland in der englischen Presse zuglelch als nachahmenswertes Beispiel und als gefährlicher Gegner. Und jedenfalls: Haben nicht andere Reiche und Völker, und in unserer Zeit auswärtige und innere Schwierigkeiten zu über— winden gehabt, die härter waren alt uns bisher vom Schicksal auferlegten Proben? Ist England nicht mit dem Burenkrieg fertig geworden. Frankreich mit schweren inneren
21 die
Fragen und Krisen, Italien und Amerika mit erinsten kolonialen Problemen? Hofft Rußland sich nicht durch ein dichtes Gestrüpp von Schwierigkeiten seinen Weg zu bahnen? Wir haben keinen Anlaß zu
besonderer Wehleidigkeit.
Ich habe es schon gesagt, ich halte eine sachliche und positive, von wirklicher Sorge und Liebe für das Vaterland getragene Kritik Ich bin persönlich gegenüber Kritik nicht nervös, und das soll auch nicht sein, wer im Dasein
viel⸗ dem Müller, der nicht mehr schlafen konnte, als die Mühle aufhörte, zu daß sie zur Selbstprüfung zwingt und der Selbstgefälligkeit ein Ende macht, die
für sehr angebracht, und gerade in unserer Zeit.
ein das wie
Ich kann mir sogar vorstellen, ich würde Es würde mir gehen
öffentlichen Leben steht. ohne Kritik nicht recht leicht gar nicht aushalten. Die Kritik hat das Gute,
klappern. ( Heiterkeit.)
schwächt und diskreditiert das Land nach außen. Der Kredit, den ein Land in der Welt genießt, muß geschont werden. Diesen Kredit ohne Not zu erschüttern, schädigt nicht nur unser Ansehen, sondern tut auch unserm Volk unrecht.
Deutschland, meine Herren, braucht sich vor der Isolierung gar nicht so sehr zu fürchten. Wären wir wirklich isoliert — wir sind es nicht, aber nehmen wir den Fall — so brauchen wir deshalb auch noch nicht zu flennen wie ein einsames Kind im Walde. (Sehr wahr) Ein Volk von 60 Millionen mit einem Heer wie das deutsche Heer, ist niemals isoliert, solange es sich selbst treu bleibt, solange es sich nicht selbst aufgibt. Wir haben es gar nicht nötig, irgend jemandem nach—ↄ zulaufen, oder anderen gegenüber entgegenkommender zu sein als diese uns gegenüber. Das wäre nicht würdig, es wäre nicht einmal klug. (Lebhafte Zustimmung! rechts und in der Mitte.) Solange wir unser Schwert scharf halten, sind wir auch in der Lage, uns unseren Freunden nützlich und unseren Feinden unangenehm zu machen. Der Dreibund besteht, und unsere Beziehungen zu anderen Mächten werden auch weiter der Gegenstand unserer besonnenen und ruhigen Aufmerksamkeit bleiben.
Ich warne aber auch in dieser Richtung vor Nervosität. sind alle in Deutschland zu nervẽs geworden, rechts und links; oben und unten. (Zwischenruf.) Das sagte ich ja eben: unten und oben. Ge wiß ist es gut, alle Wetterzeichen am Horizont der auswärtigen Politik ju beobachten und namentlich jedes Wetterleuchten. Aber vor jedem Stirnrunzeln des Auslandes zu erbeben ist nicht die Art großer Völker, und wir wollen und sollen ein großes Volk sein. (Lebhaftes Bravoh Ein Volk darf nicht klein von sich denken. Es ist unsere Pflicht, durch eine friedliche und gerechte auswärtige Politik uns Vertrauen und Sympathien zu erwerben. Aber allen Haß und jeden Neid zu entwaffnen ist weder dem Einzelnen noch einem Volke möglich. Neid ist süßer als Mitleid. Wir kaben uns mehr wie funden, wo die Gefahr einer allgemeinen Gruppierung gegen uns näher lag als heute. In seiner unsterblichen Rede vom 6. Februar 1888 hat Fürst Bismarck dargelegt, daß das Bestehen von Koalitionen und eine daraus resultierende Kriegsgefahr während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der beinahe normale Zustand in Europa gewesen sei, und wie es auf seiten unserer auch damals viel geschmähten Diplomatie eines nicht geringen Srades von Geschicklichkeit und Umsicht bedurft hätte, um zu verhindern, daß Preußen im Widerspruch mit seinen Interessen und gegen die Ab⸗ sicht seiner Leiter in fremde Streitigkeiten verwickelt wurde. Fürst Bismarck hat nackgewlesen, wie oft nicht nur in den Tagen des Großen Kurfürsten und des großen Königs, sondern auch in jenen verhältnismäßig ruhigen Zeiten der heiligen Allianz und des Frank— furter Bundestags, in jenen Zeiten wo, um mit Heine zu reden, Deutschland sanft schnarchte in der Hut von 36 Monarchen, daß auch in jener stillen Zeit die Gefahr einer Isolierung für uns bestand. Ich brauche die Herren nicht daran zu erinnern, daß auch in jener großen und unvergeßlichen, von dem Herrn Abg. Bassermann mit Recht gerühmten Zeit, wo ein durch ein langes Leben, durch früh— zeitige schwere Erfahrungen, die ihn für das ganze Leben Maßhalten als höchste Weisheit gelehrt hatten, durch strenge Selbstzucht gereifter Monarch an der Spitze stand, wo einer der größten Staatsmänner aller Zeiten unsere Politik lenkte — auch damals lag die Gefahr von Koalitionen gegen Deutschland vor. Tiefe Verstimmungen haben damals zwischen uns und Rußland, zwischen uns und England stattgehabt. Als ich im Sommer 1884 als Geschäftsträger von Paris nach St. Petersburg geschickt wurde, und auf der Durchreise mich in Varzin meldete, sprach Fürst Bismarck mit Besorgnis von unseren Beziehungen zu Rußland, die seit dem Berliner Kongreß oder, richtiger, seit der Krieginsichtepisode von 1875 nicht mehr die alten waren. Er erwog, ob für uns die Unannehmlichket, zwischen Rußland und Oesterreich zu
Wir
einmal in Situationen be⸗
gewaltiger Aufschwung unserer Industrie,
schwierige Situationen kommen,
Verzagen.
optieren, größer sei, oder die Gefahr der Wiederkehr der Konstellation von 1757, das heißt eines gemeinsamen Vor—⸗ gehens der Russen und, Oesterreicher gegen uns. In der Zeit von 1873 bis 1889 haben sich unsere Beziehungen zu Rußland trotz aller Bemühungen des Fürsten Bismarck, der gerade auf dem Gebiete
stellenweise weitgehenden Entgegenkommen gegenüber Rußland, ich war damals an unserer Botschaft in St. Petersburg, ich weiß es genau, ständig verschärft und berschlechlert.
gereizten Charakter annahmen. Daß ein vom Fürsten Bismarck hältnis zu England anzubahnen, mißglückte, und nicht durch seine Schuld, hat eine englische Publikation der letzten Zeit auch weiteren Kreisen enthüllt.
1887 nicht näher lag als in den letzten Jahren.
den Karolinenstreit, an den Fall Schnäbele, an den Samoastreit, an die Pariser Demonstration gegen König Alfons von Spanien im
gespannt — zu erinnern, um klar zu machen, daß es auch in jener Zeit nicht an Greignissen feblte, die geeignet waren, ernste Besorgnisse zu erwecken und die öffentliche Meinung zu erregen.
Ich gehe noch weiter. Unsere Stellung würde heute eine ge⸗ sichertere und leichtere sein, als sie es in den 80 er Jahren war, wenn wir nicht inzwischen die überseeische Politik inauguriert hätten. (Sehr richtig) Nicht als ob ich geschmacklos genug wäre, mich mit dem Fürsten Bismarck zu vergleichen, sondern weil sich in Europa inzwischen die Dinge verschoben haben. Die Gefahr eines russischen Angriffs liegt nach menschlicher Berechnung heute weniger nahe, es ist weniger Neigung zu einem solchen vorhanden als in den Tagen des Generals Skobeleff oder der späteren Demonstrationen für Herrn Döroulsde. In Oesterreich⸗
bund geredet, aber er hatte im stillen vielleicht einflußreichere und klügere Gegner.
ein Fehler ist, und eine Klippe, für ein Volk wie für den Einzelnen, ausreichende Kenntnis der wirklichen das komplizierte tendenziöser, hysterischer Kritik einzugreifen in die Speichen des Rades der aus— lähmt die Aktion des Landes nach außen und
von uns. Aber ohne verwickelte, internationalen Beziehungen und der Weltlage, ohne genügenden Ueberblick über Schachbrett der auswärtigen Politik mit nervöser,
für jeden
wärtigen Politik,
es heute ist. Was heutigen Tages unsere Stellung kompliziert und erschwert,
das sind unsere überseeischen Bestrebungen und Interessen.
wir nicht in dieser Richtung engagiert, wenn wir . Beziehung
nicht verwundbar wären, würden wir auf dem Kontinem nicht allzuviel
leosigkeit.
der deutsch⸗russischen Beziehungen alle Hilfsquellen seinez fruchtbaren und erfindungsreichen politischen Genies entfaltete und trotz seinem dem Berge halte,
lichem Regiment und ö. 36 ö ; würde sein Finger viel zu tun haben.
Auch England gegenüber fehlte es in den letzten 20 Jabren des , ,. ; vorigen Jahrhunderts nicht an Verstimmungen, die zeitweise einen
anfangs der 80er Jahre unternommener Versuch, ein besseres Ver⸗ Und was Frankreich angeht, so ist es doch wohl die Frage,
ob die Gefahr eines Zusammenstoßes mit Frankreich im Jahre Ich brauche nur an
die Verstimmungen und Spannungen nach dem Berliner Kongreß, an
Jahre 1883 — ich war damals in Paris, die Situation war recht
Ungarn und Italien wurde damals öffentlich weniger gegen den Drei.
Vor allem war Deutschland selbst im Verhältnis zu seinen Freunden wie zu seinen Gegnern materiell weniger stark, als
Wären
zu fürchten haben. (Hört, hört, links) Dann wäre es auch leichter
als heute, zwischen uns und England Mißverständnisse und Friktionen u
vermeiden. Sie wissen aber alle, meine Herren, daß die Ströme nicht rückwärts reisen, daß ein fünfjigjähriger Mann sich nicht in einen vierzigjährigen zurückverwandeln kann. Sie wissen, durch welche elementaren Triebkräfte — rasche Zunahme unserer Bevölkerung, Unternehmungslust und Wagemut unserer Kaufleute, das Wachstum in Gewerbe und Handel der Nation — überseeische Interessen für uns entstanden und wir in die Weltpolitik hineingeführt worden sind.
Die Aufgabe unserer Generation ist es, gleichzeitig unsere euro. päische Stellung zu wahren, welche die Grundlage unserer Welt⸗ stellung ist, und unsere überseeischen Interessen so zu pflegen, eine be— sonnene und vernünftige, sich weise beschränkende Weltpolitik so zu fübren, daß die Sicherheit des deutschen Volks nicht gefährdet und die Zukunft der Nation nicht be— einträchtigt wird. Gewiß ist die Erfüllung dieser Aufgabe keine leichte, das weiß niemand besser als ich. Wir können in wir können uns auch mehreren Gegnern gegenüber befinden. Das ist aber noch kein Grund zum Daß Situationen denkbar sind, wo wir nur auf unsere
eigene Kraft angewiesen wären, ja meine Herren, darauf hat Fürst
Bismarck, darauf hat Graf Moltke mehr wie einmal hingewiesen. Ein starker Staat steht nur sicher auf sich selbst“, hat Graf Moltke vor diesem hohen Hause im Jahre 1888 gesagt. Ein großes Volk muß auf jede Lage gefaßt sein, und sein Geist muß ein solcher sein, daß es jeder Situation mutig und entschlossen entgegengehen kann. Der Herr Abg. Bassermann hat soeben an meine Rede vom 5. April erinnert.
Als ich damals zum letzten Mal vor diesem hohen Hause stand, sagte ich mit Bezug auf die Konferenz von Algeciras, welche nach mancherlei Fährlichkeiten, die sie dem Scheitern nahe gebracht hatten, zwei Tage später zum befriedigenden Abschluß gelangen sollte: Es war ein ziemlich schwieriger Berg“, so sagte ich un⸗ gefähr, „den wir ju ersteigen hatten. Manche Uebergänge waren nicht ohne Gefahr. Eine Zeit der Mühe und Unruhe liegt hinter uns. Ich glaube, daß wir jetzt mit mehr Ruhe int Weite blicken dürfen. Diese Hoffnung hat sich erfüllt. Die Situation in Europa und in der Welt ist eine friedlichere geworden. Gewiß ist noch hier und da Unruhe vorhanden. Diejenigen, die zur See gefahren sind, wissen, daß, wenn ein Sturm die Gewässer auf⸗ geregt hat, noch längere Zeit, auch nachdem sich die Oberfläche wieder geglättet hat, unter der Oberfläche die Unruhe fortbesteht und das Schiff ins Rollen und Schwanken bringt. Man nennt das die Dünung. In der politischen Welt zittert noch eine gewisse Erregung nach, die zur Vorsicht und Umsicht mahnt, aber keinen Anlaß ju Kleinmut gibt. —
Sorgen wir dafür, daß unsere Machtmittel zu Lande und zu Wasser für unsere Verteidigung ausreichen! Vergessen wir endlich über unseren inneren, politischen, konfessionellen und wirtschaftlichen Streitigkeiten nicht das Interesse, die Wohlfahrt und das Recht des Ganzen, und das deutsche Volk wird seine Stellung in der Welt zu behaupten wissen! (Lebbafter, wiederholter Beifall.)
. Graf Oriola (nl) beantragt die Besprechung der Interpellation. Auf die Frage des Vizepräsidenten Dr. Paasche erhebt sich zur Unterstützung dieses Antrags das ganze Haus.
Vizepräsident Dr. Paasche: Die Unterstützung reicht aus.
Abg. von Vollmar (Soz): Die auswärtige Politik war bie ber im Reichstag stets tabu; jetzt ist mit einmal das Bedürfnis zur Besprechung so dringend geworden, daß die Herren nicht einmal den eeigneten Zeitpunkt bei der Etateberatung abwarten konnten. Uns n das recht sein, und uns verschlägt dabei auch der Gedanke nichts, daß offenbar die Interpellation den Reichskanzler weder unzor⸗ bereitet getroffen hat, noch ihm unangenehm gewesen ist. Der Abg. Bassermann will die geheiligten Traditionen seiner Partei, die aus— wärtigen Angelegenheiten als ausschließliche Domäne der weisen
Reichsleitung anzuschen, aufgeben und sich sogar aufs stärkste in diesem Hause mit der auswärtigen Politik beschäftigen. Der Abg. Basser⸗
mann sprach vor kurzem von der Politik Tschirschky und von Plan⸗ Man hat aber nicht erfahren, welche Meinung die Nationalliberalen selbst haben. Bassermann will nicht nur über England, sondern in Zukunft auch über Rußland reden, und sagte am Rhein: die Zeiten seien vorbei, wo er in dieser Richtung hinter wie denn der Abg. Bassermann seit Goslar unter die Schwarzseher ngen ist. Er sprach auch von persön⸗ te den Finger in die Wunde legen. Da
Ja, er sprach sogar davon, der Regierung, wie sie jetzt sei, keinen Pfennig mehr bewilligen zu wollen. Es hat allerdings sehr lange gedauert, bis Sie (ju den National- liberalen) aus Ihrem gesunden Siebenschläferschlaf erwacht sind. Mit
der frischen Fröhlichkeit, mit dem leichten Mut wie früher hat der Kanzler ja beute nicht gesprochen, es sind ibm noch viele Bedenken, die er früber nicht zugeben wollte, aufgetaucht, aber er kann sein gewohntes Naturell nicht verleugnen. Im Grunde steht eigentlich alles gut, man muß nur bescheiben sein, Anlaß zu irgend einer Be⸗ sorgnis ist nach Meinung des Kanzlers nicht vorhanden. Wir haben ja eine wesentlich andere Antwort von ihm nicht erwartet, Alle Dinge im rosigen oder, bureaukratisch gesprochen, im möglichst rosigen Licht zu sehen, ist ja von dem Kanzler bekannt, wie auch seine überdeckende glättende Darstellung über alles hinweghilft. Wir Soialdemokraten gebören jedenfalls nicht zu denen, die von der heutigen Rede des Reichskanzlers überzeugt worden wären. Wir meinen, daß wir in der Gesamtpolitik des Reichs und nicht zuletzt in unseren auswärtigen Beziehungen uns in einer Lage befinden, die kaum viel schlechter sein könnte, als sie gegenwärtig ist. Ich gehe dabei nicht einmal von dem Zustande aus, wie wir ihn uns denken, wo die Völker von der politischen und sozialen Behandlung sich bejreit haben und zu wahrer Kultur und Selbstherrschaft gelangt sind, sondern ich stelle mich einfach auf den Boden dessen, was die Reichsleitung unter den gegebenen Verhältnissen leisten tkönnte. Bei Beginn des Deutschen Reichs haben zweifellos seine kriegerischen Erfolge eine große Anziehungskraft ausgeübt auf eine große Anzahl anderer Länder. an hat uns e n gefürchtet. Das hat aber nicht lange gedauert. Auch Bismarck selbst hat noch erleben müssen, daß diese Stimmung sich sehr wesentlich ab- schwächte. Ich meine zunächst unsere russische Politik. Frankreich hat allerdings auch sein Bündnis mit Rußland schwer bezahlen müssen, denn bis et war es nur der Gebende. Das offiztelle Deutschland wußte aber seinerseits nichts Befferes zu tun, als mit Frankreich um die Wette vor dem Zarismus zu e, . Der Kanzler hat uns zu unserer Verwunderung wieder einen Vorwurf gemacht, indem er sagte, wir verlangten einerseits, Deutschland sollte sich nie in die Verhaältnisse fremder Länder hineinmischen, während wir anderseits immer wieder forderten, daß die deutsche Reichs— leitung sich in die inneren politischen Wirren Rußlands einmische. Dieser Vorwurf ist bereits vor 2 Jahren von mir und Bebel ent⸗ schieden zurückgewiesen worden. Wir haben niemals verlangt, daß die deutsche Reichsleitung sich in die innerpolitischen russischen An—
gelegenheiten zu Gunsten der Revolution einmengen sollte, wir
aben lediglich bekämpft, daß die deutsche Reichsleitung sich ö! die inneren Angelegenheiten Rußlands zu Gunsten des 4 tums einmischte. erinnere an den Königsberger Prozeß und an die Massenausweisungen. Deutschland hat die Ge— legenheit, die es während des japanischen Krieges hatte, dem russischen Vasallentum loszukommen, in keiner Weise benutzt.
Dann ist der Dreibund gekommen, jenes Gebilde, das jetzt zermürbt
und zerbröckelt nach allen Richtungen hin. Eine ideale Einrichtung war er nicht, aber als eine Art Versicherungsmittel hat er ge—
wirkt. Es hatte sich zwischen Deutschland und Frankreich ein er
trãglicher Zustand herausgebildet, der Gewähr versprach, weil man auf keiner von beiden Seiten die Verantwortung für einen Krieg übernehmen wollte. Dann ist aber in die deutsche Politik und Reichs⸗ seitung jene Unstetigkeit, jenes Hin und Her, jene Sprunghaftigkeit
gekommen, welche überall dabei sein wollte, welche alle ftemden Völker und Regierungen abgestoßen und in zunehmendem Maße allgemeine Mißstimmung und Unzufriedenbeit gegen Deutschland erregt hat. Wir haben oft die deutsche Reichsleitung wegen dieser Dinge ange. klagt, aber stets wurde von dort und von anderen Parteien geleugnet, daß Grund zur Unzufriedenheit vorhanden sei, wir wurden mit
in dem . Entents cordiale zwischen Frankreich und England trat sodann in die Er. Ich will nicht auf die Ausführungen von Jaurés über
Konferenz Die
bis dann die
Beschuldigungen überschüttet, Schleier zerriß.
Küstennest Algeciras den
scheinung., . . diese Vereinbarung eingehen, die erbauliche Binge zu Tage för— derten. Aber wenn jemand kein Recht hat, die deutsche Regierung jßt deswegen anzugreifen, so sind es die Nationalliberalen, aus deien Reihen an der Verschärfung des Verhaältnisses zwischen Deutschland und England seit Jahren mitgearbeitet worden jist. Gerade von dieser Seite ist ganz besonders schwer gesündigt worden.
zahlreichen Parteien dieses Hauses sehr wenige vernünftige
Menschen. liberalen worden,
England getrieben man dürfe Glauben Diese Nationalliberalen wollen, das Aus-
Versammlungen jene Hetze gegen in der auch das Argument auftrat, Ernst machen, bevor die Flotte fertig sei? die Engländer sitzen auf ihren Ohren? lichen Gepflogenheiten müssen sich die abgewöhnen, wenn sie das Recht haben land aus denselben Erwägungen anzugreifen. das Fazit der glorreichen auswärtigen Politik für uns, die das Reichs—
Rußland, weil eß im Bündnis mit Frankreich ist, mit. Deutschland in ein Bündnis treten? So eine keit! Haben wir nicht gleichzeitig mit Oesterreich und mit Rußland
nicht
ohne Bündnis nur irgend kommen kann?
den Syslem und dem Zarentum. Die famose
damals getreten sei.
Die Antipathien gegen Deutschland haben
Revolution zu behaupten. Daran ist nicht bloß
in ungeahntem Maße in Europa jugenommen.
sondern auch das Empfinden der Völker. Ben großen Anteil Deutschlands an den Errungenschaften der Kultur . kein Ver⸗
nünftiger in der ganzen Welt leugnen oder bejweifeln; wohl aber Bevölkerung um 900 000 Seelen erklärt, mit hervorgerufen. Diese
rufen die inneren Zustände Deutschlands bei allen anderen Nationen Erstaunen, Befremdung und Abneigung hervor. Auch viele von uns berkehren mit Ausländern; Engländer, ̃ kunden ihr Erstaunen darüber, einem eine Politik wie die jetzige dulden könne. kleine urreaktionäre Kaste herrscht, des Landes auf systemalisch organisiertem kesnnddet, kann unmöglich dem Auslande Eine solche Regierung, großen Einfluß haben, kann unmöglich Sicherheit für die Zukunft seten, weil unberechenbare Stimmungen vorhanden sind, dle von äinem einzigen abhängen. Das ist auch ein Hindernis der inneren politischen Entwicklung und kann zu Katastrophen führen. Es ift schon von napoleonischer Politik die Rede gewesen, und es wäre nicht I noßlich daß man für die Unzufriedenheit im Innern irgend einen luß nach außen sucht. Darum hat sich Deutschland alle Liebe und chtung nach außen hin verscherjt. Das ist keine Schwarzseherei. dine solche Regierung kann keinen festen internationalen Kredit ge⸗ innen. Das deutsche Volk hat alles Interesse, sich mehr um die öffentlichen Angelegenheiten zu kümmern, weil es sonst die Kosten für die taten anderer tragen müßte. Wir sollen uns auf unser Schwert ver— 39 und unsere Rüstung erhalten, aber gerade seitdem wir unsere Rüstung n haben, sind wir mehr und mehr vereinsamt. Wir mässen ö. mehr Freiheit im Innern erhalten, daß die Politik nicht mehr n PVersönlichen Launen abhängt, sondern ein Organ des Volks— nillens ist, damit wir mit den Nachbarländern in Friede und Freund⸗ heft leben können. Dann werden wir wieder das Vertrauen anderer en he gewinnen. Das ist vor allem das Bestreben der Sozial- in tratzg die man mit Torheit und Niedertracht unpatriotisch . Der Reichskanzler hat von Jaurès gesagt, daß eine Schwalbe ien Sommer mache, aber die ganze französtsche Sozialdemolratie i. binter Jaurss und seiner Friedenspolitik. Bei uns aber hat m, Jaurès nicht hereingelassen und nicht reden lassen. Gerade die e ldemotatie in . hat sich Verdienste um den Frieden zothen, sie gab mit den ersten Anz zur Entlassung Delcassés. ih Soꝛialdemokraten werden aufs äußerste bekämpfen, was den eden stören kann, der die Voraussetzung der sozialen und politischen . ist, und werden einen Krieg zu verhindern fuchen, deffen n. unberechenbgr ist und allen Völkern und der ganzen Kultur erbt glichen Schaden zufügen würde. Sten 26. Graf zu Lim burg-⸗Stirum Ckons.): Namens meiner nn; spreche ich dem Reiche kanzler Freude und Anerkennung aug, i s nach seiner Erkrankung die erste Gelegenheit ergreift zu den ö tungs vollen Ausführungen über die internationale 6. Ueber 86 prechen ist für uns ungemein schwierig, denn man übersieht unt 2 a r nicht; wir wissen weder, welche Verträge Deutschland . eren Staaten hat, noch kennen wir die Verträge anderer 5 n untereinander; aber wir können uns über die Situation ein 9 erlauben. Die Denkwürdigkeiten des Fürsten Hohenlohe nme rn wertvolle wichtige Tatsachen, aber sch mißbillige die e . Veröffentlichung im höchsten Grade, denn die Aufzeich- 22 enthalten Dinge, die dem Betreffenden gesggt waren im ichen 9 auf sein hobes Amt und seine Diskretion. Solche vertrau. . itteilungen gehören nicht dem einzelnen, sondern dem Staat, ürfen eigentlich nur mit dessen Genehmigung veröffent⸗ Aber an den einmal veröffentlichten Taisachen nicht vorübergehen. Seit dem Abgang Des . rck ist allerdings eine Veränderung nicht zum ö) eingetreten, und meine Freunde verschweigen nicht, h die jetzige Situation nicht für befriedigend er— llerdings ist dem Reichekanzler die Schuld daran nicht zu— en. Er übernahm die Situation, als fie schon viel schlechter
Eine Regierung, in der eine
Kriegs fuße
Vertrauen einflößen.
wa 2 ; mar als beim Abgang des Fürsten Bismarck, und seitdem er am
aus
Ist nicht in nationalliberalen Blättern, in nationakf— ben vorgelegt erhalten, dann heißt es immer: nicht Sie, gefähr · erst ( ĩ So haben wir denn ] ich, oberhaupt selbst geleitet haben soll. Ein vollständiger Zusammen. bruch der deutschen Politik! Niemand wird bestreiten konnen, daß das Kapital an gloire von 1870 hier in unglaublicher Weise ver⸗ schlcudert worden ist, daß wir jetzt schlechter dastehen als am Anfang. In den letzten Wochen las man, die Erneuerung des alten Drel⸗ laiserbundes sei in Aussicht. Die offiziöse Presse hat das geleugnet, aber sich dabei die Sache sehr leicht gemacht. Weshalb soll denn . Schuld, so haben wir doch eins, was uns stark und kräftig erhält, das Kleinig. keit! Hab Kraft des deutsch . im Bündnis gestanden? Und ist Italien in Wirklichkeit noch unser ; , Bundesgenosse ? Ist es nicht Frankreich so nahe gekommen, wie ces e ö ; ann? Hinzu kommt noch die Wesensverwandtschaft zwischen dem jetzigen in Deutschland herrschen⸗ n. und . usammen kunft in Björkö ist offiziös dahin erläutert worden, dass; Folge zeigen werde, in welch' inniges Verhältnis Deutschland ju Rußland amals ge t. An der Spitze der russischen Politik steht dazu ein würdiger Schüler des alten Ignatiew, der für den großen Pump in immer neuen Auflagen mit Erfolg wirkt, für den Pump, der dem Zarentum ermöglichen soll, sich gegenüber der andrängenden
Franjosen, Italiener be⸗ i wie sich ein solches Kulturvolk in solchen Zustande staatlicher Zurückgebliebenheit befinden und
die mit der größten Partei . * ; standen. as die „Enthüllungen“ in den Denkwürdigket 8 Fürst in der persönliches Regiment und Absolutismus ; a en r
uder ist, merkt man wenigstens die Hand eines erfahrenen Steuer⸗
Man kann ein hochkultiviertes Landgut in Hurrastimmung aber nur in zehn oder
ringen. Damit lassen si Der Dreibund war eher
mmannes. in einigen Jahren herunterwirtschaften mehr Jahren wieder in die Höhe b die auswärtigen Beziehungen vergleichen. wertvoller und stärker als heute. Nebenbei hatten wir die Rückwer⸗ sicherung, daß Rußland uns nicht angriff. Die ganze geschickte Politi Bismarcks ging darauf hinaus, Beutschland vor dem aggressiven Frank. reich zu sichern. Damals wie heute war Frankreich nicht des halb friedlich, weil es den Frieden à tout prix will, sondern weil es die Situation zur Revanche nicht für geeignet hält. Kein französischer Staatsmann hat den Verzicht auf Elsaß Lothringen ausgesprochen; das Weiteste, wohin sie gehen, ist das Versprechen, augenblicklich Frieden zu halten. Also die Politik Bismarcks war darin großartig, kaß er Frankreich
in diesen Tendenzen isoliert hatte und es ihm sehr erschwerte eine St tuation zu finden, wo es aggressiv werden konnte. Ferner hatten wir freundliche Beziehungen mit England, und weder in Deutschland noch in Frankreich war der Gedanke aufgetaucht, daß Deutschland' je zu den Feinden Englands gehören könnte. Wie hat sich die Situation ge— ändert! Wir haben den Dreibund, und von dem heißt es jetzt: er ist zwar besser als nichts, aber er bedeutet auch nicht sehr viel. Dagegen ist die Rüäckversicherung mit Raßland mutwillig preisgegeben, und Rußland hat sich mit Frankreich auf eine Allianz eingelaffen. Ferner hat England, durch unvorsichtige Reden und Aeußerungen, die in. Deutschland gefallen sind, hellhörig geworden, den Gedanken nicht mehr von sich weisen können, daß Deutschland einmal sein
eind sein könnte, und hat seine Politik danach eingerichtet. Ich würde es für so frivol und falsch von Deutschland
wie möglich halten, eine feindselige Politik gegen England einzu— iger. ; ( e Flotte
Ter Kanzler meinte heute, welcher vernünftige Mensch hätte je den Bau der deutschen Flotte als gegen England gerichtet bezeichnet? Wenn alle, die das taten, unvernünftig sind, dann gibt es in
Denn könnten wir auch, was wir nicht lönnen, unfere so verstärken, daß wir mit England zu konkurrieren ver— möchten, so wäre es frivol, einen Krieg anzufangen, denn die Interessen, die uns von den Engländern trennen, sind nicht fo groß, um einen Krieg deswegen zu rechtfertigen. Wenn wir es
mit auswärtigen Dingen zu tun haben, empfinden wir nie eine reine
Freude. handelspolitische Verträge ᷣ r wir müssen nachgeben, wir müssen Konzessionen machen, um uns den guten Willen der Ameri⸗ kaner zu erhalten. Wir lesen, daß unser Botschafter sehr gute Be— ziehungen jum Praͤsidenten Roosepelt hat, daß er nit ibm spazieren reitet, aber davon ist gar keine Rede, daß diese guten Beziehungen in materiellen Vorteilen für äußern, und deshalb können wir, das wiederhole die ganze Situation nicht als befriedigend ansehen. Wenn man mir daraus den Vorwurf machen wollte, ich triebe auch Schwarzseherei, so kann ich das nicht ändern. Man kann eben an den Tatsachen und Dingen, wie man sie sieht und wie sie find, nicht vorbeigehen. Aber darum sehe ich noch nicht schwarz in die Zukunft, denn wenn auch die auswärtige Situation und unsere auswärtigen Beziehungen nicht so gut sind, wie sie waren, sondern erheblich schlechter geworden sind, und zwar nicht ganz ohne Deutschlands
Wenn wir z. B. mit Amerika
uns
ist unsere Armee und unsere Flotte und der Patriotismus und die raft de Wenn wir daran festhalten, so dürfen wir hoffen und sicher sein, daß unsere Gegner auch ferner sich hüten werden, uns anzugreifen, und daß wir in Frieden an der Erfüllung unserer Aufgaben arbeiten können. Ich hoffe, es wird gelingen, unsere auswärtigen Beziehungen, gestützt auf unsere Armee und Flotte, befriedigend zu gestalten.
Abg. Spahn Gentr.): Der Abg. Bassetmann hat dem Kanzler, der iederhergestellt an seinen Platz zurückgekehrt ist, und uns durch die Interpellation Gelegenheit gegeben, sich über die auswärtige Ppelitik auszusprechen. Ueberrascht hat mich, daß der Abg. von Vollmar bebauptet. die Sozialdemokratie sei allein es gewesen, welche für den Reichstag das Recht, in auswäctigen Angelegenheiten mitzu— sprechen, reklamiert habe. Es sind Vorgänger aus unserer Partei ge—
. al J . wesen, welche dieses? in? ü ional⸗ ö . esen, welche dieses Recht in Anspruch nahmen, während die National
liberalen es waren, die sich früher stets dagegen sträubten. Der Neid des Auslandes und die Verwicklung mit ihm sind durch den verschäͤrften wirtschaftlichen Konkurrenzkampf, dessen Ver— schärfung sich schon aus der alljährlichen Vermehrung der deutschen
wirtschaftliche Entwicklung hat auch England stutzig gemacht; aber mit Unrecht, es hat keine Veranlassung, sich n , , ö Unsere Flotte bleibt England gegenüber immer eine Flotte zwesten Ranges und zum Angriffe auf England nicht stark genug. Es ist richtig, wir steben isoliert. Dadurch, daß Rußland im japanischen Kriege niedergedrückt ist, hat sich erst die Verschiebung im europäischen Gleichgewicht ergeben und ist unsere Isolierung ent—
Hobenlohe betrifft, so haben wir solche Enthüllungen auch früher schon gehabt; außerdem sollten wir dankbar sein für jede Auf— klärung, jede Klarheit, die uns auf diese Weise geboten wird. Der Abg. Bassermann hat die Auswahl der Persönlichkeiten im diplo— matischen Korps kritisiert; den Beweis für seine Bebauptung in dieser Richtung ist er schuldig geblieben. Der Redner verbreitet sich dann über unser Verhältnis zu Amerika und zu Rußland. Den Rückver— sicherungsvertrag mit Rußland hat Graf Caprivi nicht erneuert. Rußland hat vor und nach seinem Bündnis mit Frankreich erklärt, daß die Spitze dieses Bündnisses nicht gegen Deutschland gerichtet sei. Frankreich brauchte Rußland, um einen Stützpunkt gegenüber der eng lischen Flotte zu haben; die deutsche Flotte war damals so minderwertig, daß sie gar nicht in Betracht kam. Man soll aus der Politik die Persönlichkeiten ausscheiden; die großen Allianzen werden Lurch wirtschaftliche Verhältnisse bestimmt. und entschieden. Die Kriege gefahr, die von England her angeblich droht, ist nicht vorhanden; England bluter noch an den Wunden aus dem Burenkriege. Zu den Ursachen der Verstimmung in England gehört auch das Krüger— Telegramm, aber seit dieses erging, ist nichts geschehen, was dem englischen Unmut neue Nahrung geben könnte. Italien hat eine gewisse Aversion gegen die Deutschen, die aber nicht in politischen Rücksichten wurzelt, sondern beruht auf dem Vorgehen des deutschen Kaufmannes in Italien selbst. (Die weiteren Ausführungen des Redners gehen zum Teil in der Unruhe des sehr stark besetzten Hauses verloren) Eins ist nicht zu bestreiten; das deutsche Volk hat ein großes Jsteresse, auch auf die deutsche Politik Einfluß zu gewinnen. Schon 1873 hat der Abg. Jürg gefragt, was es eigentlich mit dem Ausschuß des Bundesrats für auswärtige Angelegenheiten auf sich hätte. Fürst Bismarck hat die Forderung solches Einflusses damals schroff zurückgewiesen. In der Tätigkeit dieses Ausschusses würde ein moderierendes, beruhigendes Element gegenüber sprunghaften, im— pulsiven Maßnahmen liegen. So hat auch die baperische Regierung, die in diesem Ausschuß den Vorsitz führen soll, diese Institution an— gesehen. Auch der Abg. Bassermann hat sich ja erst vor wenigen Tagen über die Schattenseiten des persönlichen Regiments öffentlich ge— äußert. Ihm müßte diese Forderung a pal h ift sein. Der Reichts⸗ igg müßte in die Lage gebracht werden, zu den politischen Aktionen Stellung zu nehmen. Dazu müßte ihm mehr als bisher das Material zur Verfügung gestellt werden.
Abg. Wiemer (fr. Volksp.): Es ist erfreulich, daß der Inter⸗ pellant einzelne Vorgänge auf dem Gebiete der auswärtigen Politik kritisiert bat; die Kritik hätte aber noch schärfer sein können, wenn sie der Volkestimmung entsprechen sollte. Oder sollte die Aktion nur dazu dienen, die Aufmerksamkeit abjulenken von den Fehlern, die die nationalliberale Partei auf dem Gebiet der inneren Politik ge— macht hat? Ein Artikel der „National, Zeitung‘ stützt diese Vermutung, der unter Hinweis auf Die Unterstützung der preußischen Schulvorlage und des Zolltarifs davon sricht, niemand würde es der Partei verdenken, wenn sie sich nunmehr aus der Schußlinie der Regierungsschutztruxve zurückiöge. Wir unserseits würden uns freuen, wenn Sie (zu den Nationalliberalen) bereit wären, mit uns Schulter an Schulter die Aufgabe zu vertreten, die wir im Interesse des gesamten Liberalismus, im Interesse des Vaterlandes, bertreten. Die Mißstimmung im Volke über die auswärtige Politik ist viel größer, als es in den bisherigen Reden zum Ausdruck gekommen ist, und ich wünsche, daß nicht bloß die Volks⸗
bertretung, sondern auch das Volk draußen ein größeres Interesse an der auswärtigen Politik nimmt. Die e gift er, Tn, ie,. Hohenlohe spornen dazu an, sie werfen auf bemerkentzwerte Vorgänge in der auswärtigen Politik erst das richtige Schlaglicht. Wenn der Anregung, uns mehr Material über die auswärtige Politik zu unterbreiten, gefolgt wärde, könnten unsere Verhandlungen fruchtbarer sein. In anderen Staaten erhalten die Parlamente mehr Material über die auswärtige Politik. In Schmollers Jahrbuch wird der Vorschlag gemacht, die Regierung zu verpflichten, dem Parla⸗ ment amtliches Material über die auswärtige Politit vorzulegen. Mindestens könnte doch der Budgetkommission mehr vorgelegt werden, denn unnötige Geheimniekrämerei ist hier vom Uebel. Der elegische Ton, der die Rede des Reichskanzlers durchzog, zeigt, daß auch er selbst nicht frei von Besorgnissen ist. Er selbff sprach von der Isolierung und Einkreisung. Deutschlands als einer Gefahr. Seine Ausführung über den Dreibund zerstreut nicht die Besorgnisse, daß der Dreibund heute nicht mehr den Wert besitzt wie früher. Er wird wohl abermals erneuert werden, aber seine iaktische Bedeutung ist heute anders als früher. Der Graf Goluchowski, der „brillante Sekundant“, hat nach Algeciras sein Amt nicht mehr lange geführt; ob post k hoc lasse ich dahingestellt. Allerdings har der österreichische Ministerpräsident von Beck den Dreibund die' vor— nehmste Bürgschaft des europätschen Friedens genannt, aber es ist nicht zu verkennen, daß eine Neigung der italienischen Politik nach der West⸗ seite hervorgetreten ist, die wir aufmerksam verfolgen müssen. Auch wir freuen uns der Besserung in unseren Beziehungen zu Eng— land und, unterschätzen nicht die Bedeutung der Besuche, die von deut⸗ scher Seite, von den Bürgermeistern und Journalisten, in England gemacht sind, weil sie Kundgebungen des Volksempfindens sind. Ünser Vorwärts kommen auf wirtschaftlichem Gebiet kann für England kein Anlaß zu politischen Feindseligkeiten sein; denn sonst müßte ja Eng- land auch mit anderen Konkurrenten auf dem Weltmarkt, vor allen Dingen Amerika, in Feindschaft leben. Das Anwachsen der eng— lischen Seemacht kann anderseits für uns kein Grund zur Beunruhigung sein. Nur Phantasten können die Forderung aufstellen, daß wir, die wir die stärtste Landarmee haben, auch die stärkste Seemacht haben müssen, um England auf dem Weltmeer die Spitze zu bieten. Was dagegen zum Schutze unseres Handels erforderlich ist, wollen wir gern bewilligen, in den Grenzen, die uns durch die Leistungsfähigkeit der Steuerzahler gezogen sind. Was Frankreich anbetrifft, fo müffen wir abwarten, welche Stellung die neue französische Regierung ein— nimmt. Clemenceau hat gegen Deutschland allerdings eine gewisse Abneigung zu erkennen gegeben, aber anderseits ist gerade er es ge— wesen, der die Delcassésche Politik verurteilt hat, die er halsbrecherisch nannte. Wir teilen die Hoffnung des Reichskanzlers, daß die Zahl der Franzosen, die mit Deuischland in Frieden zu bleiben wünschen, noch immer zunebmen wird. Das deutsche Volk hat nicht Sehnsucht nach kriegerischen Großtaten, sondern will den Frieden. Sehr leicht können die einseitigen wirtschaftlichen Tendenzen, die bei uns sich geltend machen, jenseits des Ozeans eine Mißtimmung erzeugen, die auch in den politischen Beziehungen ihre Rückwirkung hat. Mit dem Grafen Limburg-Stirum stimme ich datin überein, daß der Fürst Bülow in den meisten Fragen, der auswärtigen Politik eine geschickte Hand gejeigt hat. Es fragt sich nur, ob sich nicht beim Reichskanzler unerwünschte Einflüsse geltend machen. Der Staatzsekretär von Tschirschky ist hier nicht anwesend; er scheint weniger Gewicht auf die Anwesenheit im Reichstage zu legen, als auf die Teilnahme an höfischen Festlichkeiten. Wir hätten gern etwas von ihm über Italien gehört. Schon seine Ernennung zum Staatssekretär hat Erstaunen erregt. s gibt jetzt Staats⸗ männer, die höheren Wert darauf legen, biegsame Diener eines höheren Willens als verantwortliche Ratgeber der Krone zu. sein. Ein autokratisches Regiment ist heute nicht mehr möglich, ein persönliches Regiment ist unheilvoll in der inneren wie auswärtigen Politik. An das Krüger ⸗Telegramm bat der Abg. Spahn schon erinnert. Es hat aber auch nicht an anderen Depeschen gefehlt, ich erinnere an Swinemünde und an das Tele— gramm an den Grafen Goluchowski. Die Steuerzahler haben schließlich die Kosten dafür zu tragen. Ich erinnere weiter an die Ordengverleihung an Ausländer, z. B. an die Verleihung des Ordens Eour le mérite an den General Stössel. Sogar die „Kölnische Volkszeitung“ hat die Mißslimmung im Volke über die jetzigen Zu— stände gekennzeichnet. Daß der Reichskanzler auf die Einfluͤsse der Kamarilla nicht eingegangen ist, verstehe ich. Wir verlangen, daß die Minister nicht nur bescheidene, gefügige Handlanger sind, sondern selbständige Ratgeber der Krone, und daß sie, wenn sie mit der Ge— samtpolitik nicht einverstanden sind, daraus auch die Konsequenzen ziehen und ihren Abschied nehmen. Das mag vielleicht ein bequemes Mittel sein, im Amte zu bleiben, es ent— spricht aber nicht dem konstitutionellen Staatsgedanken. Wir brauchen eine Stärkung der Stellung des Parlaments, wir müssen auch Einfluß auf die auswärtigen Angelegenheiten zu gewinnen trachten. In der Herstellung verfassungsmäßiger Einrichtungen sind viele Staaten unendlich viel weiter als wir im Deutschen Reiche. Das Zusammengeben von Kaiser, Reichstag und Reichskanzler muß auf Grund voller Gleich— berechtigung geschehen; der Deutsche Reichstag und der Deutsche Kaiser sind an einem Tage geboren worden“. Der Kanzler erinnerte an die Fabel von Vater, Sohn und Esel; ich weiß nicht recht, wie diese Rollenverteilung auf die Leiter der auswärtigen Politik Anwendung finden soll. An dem Jena von 1806 war auch der Mangel an Selbständigkeit, der Autoritätsglaube schuld; erst die Erweckung des bürgerlichen Selbstbewußtseins hat uns aus Jena herausgeführt. Wir wünschen auch im Innern des Deutschen Reichs freiheitliche Politik. Wir fordern die Beseitigung von Mißstaͤnden, die zu Mißerfolgen Veranlassung gegeben haben. Gerade auf dem auswärtigen Gebiet vermissen wir das rechte Augenmaß für Menschen und Dinge, gerade auch in der überseeischen Politik vermissen wir das. Daß unser überseeisches Engagement die Stellung Deutschlands nicht erleichtert, haben wir immer behauptet; heute gibt es auch der Kanzler zu. Wir brauchen Klarheit und Entschiedenheit, mit Umsicht gepaart, in der Politik; eine unstete Irrlichterpolitik gehört in den Sumpf!
Abg. von Tiedemann (Rp.) verliest namens seiner Fraktion folgende Erklärung: Wir sind dem Herrn Interpellanten dafür dankbar, daß er dem Herrn Reichskanzler Gelegenheit gegeben hat, den vielfach in der Nation vorhandenen Beunruhigungen, denen wir eine gewisse Berechtigung nicht absprechen können, duich seine lichtvollen Darlegungen entgegenzutreten. Wir freuen uns, den Herrn Reichskanzler in alter Frische wieder in unserer Mitte zu sehen, und hegen zu ihm das Vertrauen, daß er es auch in Zukunft in Festhaltung der bewährten Traditionen Bismarckscher Politik als seine Aufgabe betrachten wird, den Ansprüchen des deutschen Volkes auf Gleichberechtigung mit den anderen Weltmächten Geltung zu verschaffen. Mit dem Herrn Reichskanzler boffn wir, daß sich der Dreibund auch fernerhin als ein Bollwerk für die Bewahrung des Friedens erweisen wird, daß das im deutschen sowohl wie im russischen Interesse liegende freundschaftliche Verhaͤlt. nis zu Rußland aufrecht erhalten bleibt, und daß es durch Pflege guter. Beziehungen ju den übrigen Mächten, auch den außer— europäischen, der deutschen Politik gelingt, ihren historischen Beruf als Friedensbewahrerin trotz aller mißtrauischen An— fechtungen nach wie vor zu erfüllen. Wir sprechen die Er— wartung aus, daß der Herr Reichskanzler die beute von ihm dargelegten Grundsätze einer stetigen, maßvollen und kon— sequenten Politik ohne Beeinflussung duich augenblickliche Stimmungen und Improvisationen, welcher Art sie auch seien, zur Durchführung bringen wird, und sind gewillt, ihn hierbei nachdrüͤck⸗ lichst zu unterstützen.
Reichskanzler Fürst von Bülow:
Meine Herren! Der Herr Abg. Wiemer hat die Abwesenheit des Herrn Staatssekretärs des Aeußern moniert. Ich habe selbst erst gestern nachmittag erfahren, daß die Inteipellation des Heren Abg. Bassermann schon heute auf die Tagesordnung gesetzt werden
würde. Es ist dem Herrn Staatssekretär des Aeußern beim besten