1906 / 281 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 28 Nov 1906 18:00:01 GMT) scan diff

Gr oßhandelspreise von Getreide an deutschen und fremden Bõrsenplãtzen für die Woche vom 19. bis 24. November 1906 nebst entsprechenden Angaben für die Vorwoche. 1000 kg in Mark. (Preise für greifbare Ware, soweit nicht etwas anderes bemerkt.)

Woche Da⸗

19. 24. gegen

Novbr. Vor⸗

1206 woche Berlin.

Roggen, guter, gesunder, mindestens 712 g

Welzen, ö 8 7

Safer, ö ö Mann heim.

Roggen, Pfälzer, rus Ger. bulgarischer, mittel Kare fälzer, russischer, amerik., rumän., mittel Hafer, badischer, württembergischer, mittel Gerste badische, Pfälzer, mittel .. . 180,63

, .

Wien.

Roggen, Pester Boden. 119,74 Wetzen, 5 . 142, 67 fer, ungarischer JI... 13537 te, slopba liche. ... 145, 21 Mais, ungarischer ö 126 565 Bu dapest. Roggen, Mittelware .. 107, 85 . ö. . 124, 15

f 123,77 108,27 115,92

los, S5 118.16 16525

158,50 177,83 160,58

171,56 19310 176, 29

172,50 198, 10 176,25 180,63 132,50

119,B72 141,80 133,31 146,89 128,21

.

107,33 123,03 121,63 108,26

f. gutt = e, tter⸗ 5 . 115,90

Mais,

g3. 2b 111.5tz

93, 08

Roggen, 71 bis 72 kg das hl.. i . 111,87

en, Ulka, 75 bis 76 kg das hl Riga.

Roggen, 71 bis 72 Eg das hl.. ö

Paris. lieferbare Ware des laufenden Monats

120, 84 131,35

121,05 131,76

143, 84 187,73

145,14

R e 188,88

Weljen

Antwerpen. 121,28 130,01 129, 36 129,36 129, 36 133.40 133,40 146.57 140 55

ö 129, 36

121,28

w,, Wenen Fanfas Nr. II

Am ster dam.

ö 3

Aso etersburger

St. 1 . amerikanischer Winter⸗ amerikan. bunt

123,08

140,78 144,29 99,57 94, 60

Roggen Weizen Mais

134,38 129, 90

123,46 124, S2 135,92

134,38 129, 90

123, 85 124,21

La Plata Weijen englisches Getreide, er . 4 Liverpool.

London. Mittelpreis aus 196 Marktorten ö. d

149,56 136, 40 135, 95 140 16 155. 16 144.39 150, 56 129. 50 112,609, 105, 17 103 00

S6 535

gh, Ol

149,56 136,40 135,B7 0 140, 16 133,10 1453,45 150,50 129,60 112,09 108,95 103,47

96,77

92, 07

Weizen engl. 6 ( Nark Lane) J ... ( Gazette averages) Donau

Weijen

Australier Hafer, englischer, weißer

Gerste, Futter ; . .

s Odessa Mais amerikan., bunt l La Plata

113,58 121.76 150 37

6

114,13 121,87 119,96

70, 22

; Deiember .. Weizen, Lieferungsware

Maitz ö Dezember. Neu JYork. roter Winter ⸗Nr. 2 .... J Lieferungsware . ö. 1 Mais ö Dezember Buenos Aires.

Durchschnittsware .

126,76 156. 34 156. 7s

S7 11

126,74

127, 05)

131,00 87,7

124,73

Weijen 79,29.

Mai ) Angaben liegen nicht vor.

124,75 79. 29

BSemerkungen.

1 Imperial Quarter ist für die Weijennotij an der Londoner Pro⸗ duktenbörse 50 Pfund engl. gerechnet; für die aug den Umsäͤtzen an 196 Marktorten des ze reich, ermittelten Durchschnittspreise für einheimisches Getreide (Gazette averages) ist 1 Imperial Quarter Weizen 480, Hafer 312. Gerste 400 Pfund engl. angesetzt. 1 Bushel Weizen 60, 1 Busbel Maig 56 Pfund maol, 1 Pfund englisch 455,6 g; 1 Last Roggen 2100, Weizen 24600, Maig 2000 Eg.

Bei der Umrechnung der Preise in Reichswährung sind die aus den einjelnen Tagesangaben im , . ermittelten wöchentlichen Durchschnittswechselkurse an der Berkiner Börse zu Grunde gelegt, und jwar für Wien und Budapest die Kurse auf Wien, 3 London und Liverpool die Kurse auf London, für Chicago und

eu Jork die Kurse auf Neu Jork, für Odessa und Riga die Kurse auf St. Petersburg für Parig, Antwerpen und Amsterdam die Kurs⸗ auf diese Plätze. Hel tt in Buenos Aireg unter Berücksichtigung der Goldyrãmie. Berlin, den 28. November 1906. Kaiserliches Statistisches Amt.

van der Borght.

Deutscher Reichstag.

127. Sitzung vom 27. November 1906, Nachmittags 1 Uhr.

(Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Tagesordnung: Beratung der Denkschrift über die Aus— führung der seit dem Jahre 1875 erlassenen Anleihegesetze, erste Beratung der Uebersicht der Reichs-Ausgaben und Einn ahmen sowie der Einnahmen und Ausgaben des Schutz⸗ gebiets Kiagutschou für das Rechnungsjahr 1905 und Fort⸗ setzung der ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, be⸗ treffend gewerbliche Berufsvereine.

Nach Erledigung des ersten und zweiten Punktes der Tagesordnung und der Rede des Abg. Kopsch (fr. Volksp.) zu der Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben des Schutz⸗ gebietes Kiautschou, worüber in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, ergreift das Wort der

Staatssekretär des Reichsschatzamts Freiherr von Stengel:

Meine Herren! Die Auskunft, die der Herr Vorredner nach verschiedenen Richtungen in Ansehung dieser Vorlage erbeten hat, kann in erschöpfender Weise nur von seiten der Marineverwaltung gegeben werden, welche zu meinem Bedauern heute bei dieser ersten Beratung nicht vertreten ist. Wir haben uns bemüht, noch in aller Eile einen Vertreter der Marine— verwaltung hierher einzuladen; derselbe ist aber bis jetzt noch nicht erschienen. Es wird unter diesen Verhältnissen nichts weiter übrig bleiben, als daß ich der Marineverwaltung für die zweite Be— ratung die Mitteilung der Auskünfte vorbehalte, die der Herr Vor⸗ redner verlangt hat.

Im übrigen möchte ich aber doch noch auf einen Punkt hin— weisen, den der Vorredner zu erwähnen unterlassen hat. Wenn Sie den Abschluß dieser Uebersicht über die Einnahmen und Ausgaben sich etwas näher ansehen, so werden Sie finden, daß ungeachtet jener Ueberschreitungen, die ja, wie ich zugebe, vorgekommen sind, im ganzen diese Uebersicht mit einem, wenn auch nur kleinen, Ueberschuß abschließt. Und insofern sollte ich denken, dürften auch die Ueberschreitungen, die die Vorlage immerhin aufweist, seitens dieses hohen Hauses eine mildere Beurteilung erfahren.

Abg. Duffner (entr.) weist darauf hin, daß die Beamten des Kaiserlichen Gouvernements in Kiautschou in Dollarwährung ihre Gehälter ausgejahlt bekommen und daß sie infolge der erheblichen Kursschwankungen trotz von Jahr zu Jahr steigender Gehalts. aufbesserungen schwer geschädigt werden. Es müsse doch der Ver⸗ waltung daran liegen, gute Beamte heranzuziehen und dort möglichst dauernd festzuhalten. . . .

Abg. Erzberger (3entr): Es ist freudig zu begrüßen, daß die Marineverwaltung in der Lage gewesen ist, die Uebersicht so schnell vorzulegen. Um so bedauerlicher ist es, wenn andere Zweige der Kolonialverwaltung uns mit ihrer Rechnungslegung so lange warten lassen. Ich glaube, es ist auch Pflicht des Reichstags, es mit der Prüfung dieser Uebersichten genauer zu nehmen wie bisher. Die nach= trägliche Einstellung von Beamten ist eine schwere Verletzung des Budgetrechts des Reichstags. In einer so kleinen Kolonie muß man doch doraussehen können, ob man mehr Beamte braucht oder nicht. Die Budgetkommission gibt sich alle Mühe, diese und jene Stelle aus dem Stat herguszustreichen, und hinterher stellt die Verwaltung die betreffenden Beamten doch ein. Auch in anderen Rolonial⸗ etats haben wir wiederholt diese Erfahrung gemacht. Es wäre wirklich an der Zeit, einmal den Anfang zu machen mit der Ueber⸗ weisung der kolonialen Rechnungsübersichten an die Budgetkommission. Die Mitglieder der Rechnungskommission sind im allgemeinen nicht Mitglieder der Budgetkommission. Sie kennen also nicht die Vorgänge in der Budgetkommission. Es wird jetzt den Mitgliedern der Budgetkommission auch leichter sein, jene Arbeit mit zu er— ledigen.

Staatssekretär des Reichsschatzamts Freiherr von Stengel:

Meine Herren! Es liegt mir völlig fern, dem letzteren Vor— schlage des Herrn Vorredners entgegentreten zu wollen. Er mag ja auch sehr zweckmäßig sein.

Ich wollte vielmehr etwas anderes hervorheben: die spätere Vorlage der Uebersichten der afrikanischen Schutzgebiete. Diese spätere Vorlage dürfen Sie, meine Herren, doch der Kolonial⸗ verwaltung gegenüber der Marineverwaltung nicht allzu sehr zur Last legen. Schon der Herr Vorredner hat, wenn ich mich recht entsinne, angedeutet, daß die tatsächlichen Verhältnisse, namentlich auch die geographischen, und die Organisationsverhältnisse, spezlell die Organisation des Rechnungswesens, in der Verwaltung von Kiautschou

ganz anders liegen als in den übrigen, speziell in den afrikanischen

Schutzgebieten. Der Marineverwaltung ist es nicht sonder— lich schwer, die Uebersicht über die Ausgaben und Ein— nahmen in jenem Schutzgebiet innerhalb einer vergleichsweise kurzen Frist vorzulegen; ganz anders liegt das bei den afrikanischen Schutz⸗ gebieten.

as sodann die Uebeischreitungen anlangt, die auch in

diesem Jahre (1905) leider wieder in ziemlichem Umfange hervor treten, so sind sie doch ohne etatsrechtliche Ermächtigung nicht erfolgt. Ich bitte namentlich zu berücksichtigen die Stelle im Dispositiv der Uebersicht auf Seite 10 unter Reservefonds“; dort heißt es:

Die über den Etat aufkommenden Einnahmen sowie die Er— sparnisse bei den fortdauernden und einmaligen Ausgaben fließen dem Reservefonds ju, aus welchem auch notwendige Mehrausgaben zu decken sind.

Darin liegt ohne Zweifel die etatsrechtliche Ermächtigung für die Verwaltung, an sich Mehrausgaben ju bestreiten, allerdings unter einer Voraussetzung: unter der Voraussetzung, daß sie notwendig sind. Ich trage meinerseits kein Bedenken, anzuerkennen, daß wenig- stens nach Auffassung der Reichsverwaltung die Ausgaben, die hier in Frage kommen, ohne Zweifel als notwendige zu erachten sind.

Abg. Freiherr von Richthofen-Damedorf (dkons. ): Es gibt übertragbare Fonds und Reservefonds, aber auf solche dürfen Ausgaben nicht übernommen werden, die gestrichen sind. Dazu bedürfte es besonderer Begründung. Bei der Frage, ob ein Teil der Rechnungen der Budgetkommission überwiesen werden soll, ist zu bedenken, daß diesmal die Budgetkommission ganz spät zu den Etatsarbeiten kommen wird. Es fragt sich also, ob gerade in dieser Session ein solcher Plan geeignet ist. Er kann ja allerdings erwogen werden. Die Aus⸗ führungen der Vorredner waren jwar von großem Interesse, aber sie bätten besser bei anderer Gelegenheit vorgebracht werden sollen; die meisten betrafen weniger die Vergangenheit als die Zukunft und daher sollte man sie lieber bei der Etatsberatung machen. Die Dinge in der Vergangenheit können wir nur erörtern, wenn sie uns vorher von maßgebender Stelle mitgeteilt sind. Ich muß mir vorbehalten, eventuell später darauf zurückjukommen.

Staatssekretär des Reichsschatzamts Freiherr von Stengel:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat in seinen Ausführungen einen

Punkt berührt, über den auch ich mir bei sich darbietender Gelegenbeit

einige Worte an das hohe Haus zu richten erlauben wollte. Ich hin

dem Herrn Vorredner dankbar, daß er mir schon heute Gelegenheit

gibt, dies zu tun. Es handelt sich nämlich um den Zeitpunkt der

Einbringung der Etatsvorlage für das Jahr 1907. Es ist zu meinem

großen Bedauern nicht möglich gewesen, die Etatsarbeiten innerhalb

der Reichsberwaltung und auch im Bundesrate so zu fördern, daß wir

etwa in der Lage wären, die Etatsvorlage vor dem 10—12. Dezember

d. J. an den Reichstag zu bringen. Diese Verzögerung, die auch ich lebhaft

bedaure, hat ihren Hauptgrund in dem Umstande, daß es gerade in diesem

Jahre ungemein schwierig gewesen ist, die Einnahmen, und zwar die

Haupteinnahmequellen des Reiches, annähernd richtig und zuverlãssig

zu veranschlagen. Ich sehe hier ab von den kleineren Einnahme⸗

quellen, die erst in der letzten Session in dankenswerter Weise durch

die Mehrheit dieses hohen Hauses bewilligt worden sind; ich will nur

daran erinnern, daß der neue Zolltarif, die Hauptquelle der Einnahmen

des Reiches, erst mit dem 1. März d. J. in Wirksamkeit getreten ist.

Es bedarf einer monatelangen Beobachtung der Entwicklung der Ein

nahmen aus dem neuen Zolltarif, um wenigstens annähernd bemessen

zu können, welche Einnahmen wir nun im Jahre 1907 aus dem

neuen Zolltarif mit einiger Sicherheit werden zu erwarten haben.

Diese Schwierigleit in der Bemessung der Einnahmen bat nach der

Natur der Sache ihre Rückwirkung geäußert auch auf die Ver—

anschlagung, die Bemessung der Ausgaben. Ich werde gar nicht nötig haben, hier des näheren ausgeinanderzusetzen, daß es doch auch für die

verbündeten Regierungen eine schwere Verantwortung wäre, den

Fehlbetrag, für den sie aufkommen müssen mit ihren Matrz= kularbeiträgen, leichthin und ohne die genaueste Prüfung der zu erwartenden Einnahmen festzustellen. Nun ist ja nicht heute hier, aber in der Presse schon mehrfach die Besorgnis laut geworden, daß, wenn der Etat erst etwa um den 10. 12. Dezember an den Reichstag gelange, es nicht möglich sein werde, denselben von seiten des Reichstags noch rechtzeitig zur Verabschiedung zu bringen. Da möchte ich mir doch erlauben, meine Herren, Sie an einen Vor— gang zu erinnern. Vor vier Jahren wurde der Reichshaushaltsetat nicht etwa schon am 10. oder 12. Dezember dem Reichstage vorgelegt, sondern erst vier Wochen später, am 9. Januar, und trotzdem ist es dem Reichstage gelungen, ihn noch am 24. März des betreffenden Jahres in dritter Lesung zu verabschieden. Die Verkündigung des Etattz— gesetzes selbst ist damals erfolgt unter dem 27. März des Jahrek 1905. Das läßt wohl die Hoffnung als berechtigt erscheinen, daß es, wenn auch die Etatseinbringung diesmal erst am 10. oder 12. Dezember erfolgen wird, dem hohen Hause doch gelingen werde, noch rechtzeitig vor Ostern den Etat fertigzustellen. Es ist ja richtig, ein Hindernis könnte vielleicht darin erblickt werden, daß Ostern in diesem Jahre außergewöhnlich früh fällt. Aber ich bemerke, der letzte Freitag vor der Osterwoche wird auch im Jahre 1907 nicht später fallen als auf den 22. März. Wenn nun im Jahre 1903 in dem von mir vorhin angeführten Fall der Reichstag in der Lage war, den Etat bis zum 24. März in dritter Lesung zu erledigen, so darf wohl angenommen werden, daß es in diesem Jahre, wo die Einbringung des Etats immerhin noch vier Wochen früher erfolgt, doch möglich sein wird, ihn bis zum 22. März 1907 zu erledigen. Indessen sind das interne Angelegenheiten dieses hohen Hauses. Ich wollte nur meinerseits auch über diese Zeit⸗ punkte hier referieren, um in meinen Darlegungen ganz vollständig gewesen zu sein.

Abg. Basserm ann (nl): Bei dem vom Staatssekretär an= geführten Fall lagen besondere Gründe vor und es war daneben keine Vorlage von besonderer Wichtigkeit zu beraten. Ich sehe keinen Grund ein, warum nicht ein Notgesetz gerechtfertigt sein sollte, da die erste Lesung des Etats erst nach Neujahr statt⸗ finden kann. Was die vom Abg. Erzberger angeregte Frage anlangt, eiren Teil der Rechnungen der Budgetkommission ju überweisen, so halte ich es nicht für zulässig, die Uebung des Hauses zu durchbrechen und eine Vorlage beraut zugreifen und anstatt an die Rechnungekommission an die Budgetkommisston zu verweisen. Es würde gewiß im Interesse der Abkürzung der Behandlung dieser Rechnungen liegen, wenn die Herren, die in der Budgetkommission mit der Prüfung des Etats beschäftigt sind, auch diese Rechnungen prüften, aber die Frage müßte prinzipiell vom Reichstag gelöst werden. Der Abg. Kopsch bat die kurze und mangelhafte Begründung der Uebersicht bereits kritisiert. Wenn die verbündeten Regierungen nicht in der Lage sind, hier in der ersten Lesung schon Aufklärung geben zu können, so bitte ich, den Gegenstand von der Tagesordnung abzusetzen. ; . .

Abg. Kop sch (fr. Volkep.): Diesem Antrage schl ieße ich mich an und gebe dem lebhaften Bedauern Ausdruck, daß Lon der Marineverwaltung nicht dafür Sorge getragen ist, daß ein Vertreter heute hier zur Stelle war. So wie die Mitglieder des Reichstags die Tagesordnung lesen, sollte dies doch wohl auch seitens der Marine— verwaltung geschehen. In der Abwesenbeit eines Vertreters liegt keine Rüdsichtnahme gegenüber dem Reichstag und dem Volk. Was beute hier gesprochen wird, geht binaus in das Volk. Die Leser der Zeitungen üben an unseren Ausführungen Kritik, aber sie sind nicht in der Lage, auch die Aeußerungen der Regierung hören zu können. Es ist kaum Aussicht vorhanden, daß diese noch innerhalb acht Tagen gegeben werden. .

Abg. Singer (Soz.): Dem Antrag auf Absetzung des Gegen⸗ standes von der Tagesordnung schließen sich auch meine Freunde an. Ich halte es ebenfalls für eine Vernachlässigung des Reichstags, daß die Marineverwaltung nicht für einen Vertreter gesorgt hat. Als einzige Entschuldigung könnte es gelten, daß die Verwaltung darauf vertraut hat, daß, wie bisher, die Uebersicht ohne Debatte der Rechnungekommission überwiesen werden würde. Es ist daher wünschenswert, daß die Sache noch einmal auf die Tagetordnung kommt. Auf Einzelbeiten gebe ich daher nicht ein, trotzdem die Vorlage zu sehr großen Bedenken Anlaß gibt. Ich er

innere nur daran, daß die Ablehnung von Beamtenstellen von der Re⸗

gierung ignoriert worden ist und daß diese Stellen doch bezablt sind, und zwar aus dem Reservefonds. Das ist doch ein höchst bedenkliches Ver— fahren. Dem Abg. Bassermann gebe ich hinsichtlich der Notwendigkeit einer prinzipiellen Regelung der Frage recht. Es ließe sich vielleicht ein Ausweg finden durch eine Art Personalunion, eine gewisse Fühlung zwischen den Mitgliedern der Rechnungt⸗ und Budgetkommission. Die späte Vorlegung des Etats war uns ja schon bekannt, es ist aber merk⸗ würdig, daß die Mitglieder des Reichstags die das Reich außerordentlich interessierenden Tassachen, auch die Kenntnis über vorzulegende Ge— setzentwürfe, meist aus den Zeitungen entnehmen, die von den ver— schiedenen Reichsämtern bedient werden oder mit ihnen in Verbindung stehen. Ich kann nicht anerkennen, . die Gründe, die der Staats— sekretär für die späte Vorlegung beigebracht hat, durchschlagend sind. Wenn er sich auf den Vorgang von vor 4 Jahren bezog, so ist dieser gerade damals von allen Seiten sehr beklagt worden und ich müßte mich sebr irren, wenn nicht derselbe Staatssekretär damals zugegeben hat, daß es sich um eine durch besondere Verhältnisse begründete Ausnahme bandelte, die selbstveiständlich nicht zur Regel werden dürfte. Die verjögerte Vorlegung des Etats ist nichts als eine Einschränkung des Rechts des Reichstags, an dem Etat eine eingebende Kritik zu üben und ihn so zu prüfen, wie es notwendig ist. Schon spukt der Gedanke einer Kontingentierung der Etateberatung mit Rücksicht auf die knappe Zeit, die bis Dstern zur Verfügung

ö

stehbt, herum. Auch das läuft auf eine Beeinträchtigung des Reichs⸗ tags und des Volkes hinaus. So charakterssteit sich diese an— scheinend finanzielle Maßregel als eine politische, als die Absicht, den Reichstag in seiner Bedeutung noch mehr herabzudrücken. Ich glaube nicht, daß für das Haus irgend ein Grund vorliegt, auf e. , . einer gründlichen und eingehenden Beratung zu erzichten.

Staatssekretär des Reichsschatzamts Freiherr von S tengel:

Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Vorredners geben mir noch Veranlassung zu einer ganz kurzen Erwiderung. Ich möchte, meine Herren, doch dagegen Verwahrung einlegen, daß etwa der Reichsleitung oder den verbündeten Regierungen der Gedanke nahe gelegen hätte, durch eine spätere Einbringung der Etatsvorlage die konsti⸗ tutionellen Rechte des Reichstags irgendwie zu beschränken. Das lag uns vollständig fern, sondern wir bringen in diesem Jahre den Etat für das Jahr 1907 nur um deswillen eine Woche, vielleicht 2 Wochen später ein, als das sonst üblich war, weil wir uns in der Tat in diesem Jahre in einer Notlage befinden, an der wir nichts zu ändern vermögen. Ich kaun Ihnen aber die eine Zusage erteilen, daß, wenigstens was mich anlangt, dahin getrachtet werden wird, daß der Fall, der in diesem Jahre vorliegt, in der Tat auch nur ein Aus— nahmefall bleibt und daß wir uns angelegen sein lassen werden, mit allen Mitteln dahin zu trachten, daß, sobald wieder normale Ver— hältnisse eingetreten sind, also vom Jahre 1907 an, der Reichsbaus— haltsetat wieder um dieselbe Zeit diesem hohen Hause vorgelegt werden wird, wie es bie her regelmäßig der Fall war.

Abg. Erzberg er Gentr.): Die Einführung der neuen Steuern und alles, was damit in Verbindung steht, hat gerade dem Reichsschatzamt eine große Arbeitslaft verursacht. Ich erblicke auch keine Beein— trächtigung des Reichstags in der späteren Vorlegung. Wenn wir mit der Etatsberatung am 30. März nicht fertig sind, so ist es Sache der Regierung, mit einem Notgesetz an den Reichs tag heranzutreten. Mein Antrag hat im allgemeinen eine sympathische Aufnahme gefunden, er ging übrigens dahin, nicht diese einzelne Uebersicht der Rechnungs— kommission zu entziehen, sondern überhaupt gewisse, besonders schwierige Materien der Budgetkommission zu überweisen. Mit einer prin— zipiellen Regelung dieser Frage bin ich selbstverständlich einverstanden 9d auch dem Antrag auf Äbsetzung von der Tagesordnung stimme ich zu.

Abg. Schwarze Lippstadt (Zentr.) mißt einen Teil der Schuld an der etwaigen zu späten Verabschiedung des Etats dem Umstande bei, daß man sich hinsichtlich der Reden keine genügende Beschränkung auferlegt. Der preußische Etat, der viel komplizierter und umfang? reicher sei, werde stets rechtzeitig fertiggestellt.

Abg. Got hein (frJ. Vgg.) meint demgegenüber, daß in der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses baäufig mit der Hetz⸗ , gearbeitet werde und die Mitglieder nicht genügend zu Worle ãmen.

Der Antrag Bassermann auf Absetzung des Gegenstandes wird einstimmig angenommen.

Hierauf setzt das Haus die Generaldiskussisn der Vorlage, betreffend gewerbliche Berufsvereine, fort.

Abg. Traeger (frs. Volksp.): Es ist keine dankbare Aufgabe, bier am vierten Tage dieser Debatte ein vollständig abgemäbtes Feld abzugrasen, aber bei dieser wichtigen Vorlage, deren allgemeines Inter— esse durch die langen Debatten hinreichend variiert ist, muß, glaube ich, jeder einzelne seine Meinung sagen. Deshalb bitte ich um Ihre Nachsicht; um Ihre Aufmerksamkeit zu bitten, scheint mir vergeblich. Ob einer hier für das Gescetz gesprochen hat, babe ich bei aller Aufmerksamkeit nicht vernehmen konnen; sollte es einer getan haben, so stimme ich ibm nicht bei. In dieser Aera der Zitate paßt für die Vorlage das Schillersche Zitat: Spät kommt ihr, doch ihr kommt. Graf Posadoweky meint, es sei ein langer Weg gewesen, aber er war gar nicht lang, er war schon lange geebnet durch die beim B G. B. einstimmig beschlossene Resolution. Aber ich verkenne nicht, dem Grafen Posadoweky stehen, wie seinem Vorfahren, dem Grafen Isolani, verschiedene andere Milderungsgründe zur Seite. Die Sozialreform wurde mit einem gewissen fröblichen Wagemut begonnen. Aber sehr bald verwandelte sich diese Stimmung in Zaghaftigkeit. Man traute sich nicht mehr vorwärts, es schien sogar eine Zeitlang ein Stillstand eingetreten zu sein. Ob Räckschritte nicht bloß ver' sucht, sondern bereits unternommen sind, überlasse ich Ihrem Urteil. Graf Posadowsky mußte allerdings verschiedenen Stimmungen Rechnung tragen, Konzessionen machen, kurz und gut, er war stets in Gefahr, zu straucheln oder gar ju fallen. Wenn man aber den sozialvolitischen Pelj waschen will. muß man nicht ängstlich sein, ihn auch naß zu machen. Sehr viele Regierungshäute verwandeln sich in Gänsehäute, wenn es sich um die Sozialpolitik handelt. Graf Posadowsky meinte, die Vorlage sei die Grundlage für ein Arbelter⸗ recht oder ein Ver insrecht. Diese Grundlage ist jedenfalls außer⸗ ordentlich schwankend. Von den Rechten, die mit uns ge— boren sind, ist in dieser Vorlage außerordentlich wenig enthalten. Ich möchte das Gebäude sehen und seine Haltbarkeit, das auf dieser sebr schmalen und schwankenden Grundlage aufgebaut werden soll. Mit dieser Grundlage würde die Regierung die Meisterprüfung im Gesetzesbaubandwerk nicht machen. Wenn wir Prüfungskom mifsion wären,. so wären die verbündeten Regierungen bereits mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Ich war sehr begierig auf die Rede des Kollegen Trimborn. Ich schätzte ihn als meinen sozialpolitischen Lehrer und als einen sozialpolitischen Leuchtturm, auch geradezu als einen Thermometer für den Stand der Sozialpolitik, aber er hat sich außer⸗ ordentlich vorsichtig ausgedrückt und die Chancen der Vorlage abge⸗ wogen. Was hat er denn gesagt? Ich habe aus seinen wenigen Worten er ist sonst viel wortreicher ein entschiedenes Nein herausgehört. Der Abg. Bassermann hat auch das Wort geäußert, er würde als Rechts. anwalt einer Gewerkschaft nicht anraten können, sich eintragen zu lassen. Der Politiker hat hier den Rechtsanwalt instruiert. Ich habe aus dem Abg. Bassermann auch ein entschiedenes Nein heraus gebört. Was die anderen vorbrachten, waren meist dieselben Gründe, nur nach Temperament oder Fraktionsstellung etwas schroffer oder milder. Nur eins kann ich als Resultat der bisherigen Debatten annehmen, daß nämlich die Vorlage einer Kommission überwiesen wird. Alle wollen sich Mühe geben, in der Kommission die Vorlage brauchbar zu machen. Graf Posadowely fagte: Ich gebe euch hier, was ich geben konnte. Aus dem elegischen Ton, der seine Rede durchzitterte, habe ich entnommen, daß, wenn es nach seinem

der Justiz aut, und ich fürchte, dann wird das dicke Ende bald nachkemmen. Der Abg. Heine hat gestern nach dieser Richtung sehr schlagende Bei⸗ spiele dafür beigebracht, wie auf fozialpolitischem Gebiete Verwaltungs⸗ praxis und Judikatur das Gegenteil von erzte herischer Wirkung ausüben. Ich kann es also den Gewerkvereinen nicht verdenken, wenn sie be⸗ denklich werden und erklären: Auf den Leim kriechen wir nicht“, denn sie würden an diesem Leim kleben bleiben, zumal ja das Gesetz ein grundlegendes“ sein soll. Das Gesetz enthält eine Menge Fußangeln und Fallstricke. Ich nehme nicht an daß die Regierung sie absichtlich gelegt hat, daft bin ich Optimist, ich halte jede Re⸗ gierung für gut, bis mir das Gegenteil bewiefen ist. Dieses Gesetz einfach der Judikatur zu überlaffen, wäre höchst bedenklich; sie würde den Berufsvereinen alsbald alle möglichen Verlegenheiten und Hem⸗ mungen auf Grund dieser Fußangeln und Fallstricke bereiten. In Uebereinstimmung mit dem Kollegen Bassermann würde daher auch ich keinem Hen fern un zur Eintragung raten. Die Begrenzung der Vereine in § 1 ist viel zu eng. Man hat bisher immer geglaubt, es würde sich um ein allgemeines Recht für alle Berufe handeln, die sich korporativ zusammentun und die Berufsinteressen wahren und ihren Mitgliedern Unterstützungen angedeihen lassen wollen; es wurde dabei auch an die Geistlichen und an die Lehrer gedacht. Noch 1890 hat der Abg. Hitze gegen eine solche einseitige Beschränkung auf die Arbeiter Front gemacht und erklärt, es solle sich auch um Vereine der Arbeit— geber, der Bauern usw. handeln. Jetzt beschränkt die Vor⸗ lage die Wirkung auf Titel VII der Gewerbeordnung, der von den gewerblichen Arbeitern handelt. Dle Handlungsge hilfen z. B fallen nicht darunter, was einen großen Mangel der Vorlage und einen großen Irrtum der verbündeten Regierungen bedeutet. Ueber die Landarbeiter teile ich völlig die Mein ang derjenigen, die ihren Ausschluß scharf getadelt und angegriffen haken. Die Eisen.˖ bahnarbeiter sollen ebenfalls ausgeschloffen fein und man stätzt sich dabei auf das Reichsgerichts erkenninis, welches die gesamte Eisenbahn⸗ arbeiterschaft, auch die Werkstättenarbeiter, als nicht unter die Gewerbeordnung fallend erklärt hat. In dem ganzen Gesetze ist das Wort Unmittelbar“ das gefäbrlichste; es sollen nur folche gewerb— lichen Interefsen erörtert und betaͤtigt werden, die mit dem Be— rufe. unmittelbar“ zusammenhängen. Damit kann den Gewerk schaften alles und jedes verwehrt und unterbunden werden. Wie will man das logisch rechtfertigen? Die gewerblichen Inter⸗ essen lassen sich keineswegs in dieser Weife günstig scheiden und auseinanderhalten. Findet sich nun unter den spezialsierten Zwecken im Statut des Vereins irgend einer, der anscheinend gegen §51 und das „unmittelbar“ verstößt, so schwebt das Damoklesschwert der Entziebung der Rechtsfähigkeit über ihm. S1 spricht auch von „verwandten! Berufen. Verwandte Berufe sind doch z B. alle, welche beim Bau eines Hauses in Tätigkeit kommen, und die könnten sich also zusammentun. Werden Polizei und Gerichte dies Auffaffung teilen? Ich glaube nicht. Die Vorteile, die dem rechtsfähigen Verein zufallen, sind sehr überschätzt worden. Schon der Abg. Bassermann hat gegenüber dem Abg. Trimborn darauf hingewiesen, daß bejüglich 152 der Gewerbeordnung alles beim alten bleibt. Die Motibe äußern sich befonderz ruhmredig über die Erweiterung des Vereinsgesetzes, Über die Befreiung der sozialpolitischen Vereine von den Fesseln des Landesvereinsrechte. Nach der Begründung würden sich die Vereine auch mit keinerlei Wahlen beschãftigen können. Es muß Klarheit geschaffen werden, wie weit die Befugnisse der Polizei nach diesem Gesetz reichen sollen. Die Rechte der Frauen hinsichtlich des Vereing. und Versammlungs⸗ rechts sind auf zu enge und schmale Gebiete diefes Entwurfs beschränkt worden. Das ist sehr zu bedauern. Was den 5 15 betrifft, fo wird dadurch das Koalitionsrecht der Arbeiter nicht etwa erweitert und geschützt, sondern in hohem Grade gefährdet. Sie find dadurch dem Belieben einer mehr oder weniger ängstlichen Behörde preisgegeben, die vorläufig in den Fällen des Äbs. 1 die ses Paragraphen und' in den Fällen des § 43 Abf. 1 B. G. B. diejenigen Maßnahmen treffen könnte, die zur Abwendung der Gefährdung der öffentlichen Inter essen geboten erscheinen. Aeußerst bedenklich sind auch die Be⸗ stimmungen bezüglich der ordentlichen und außerordentlichen Beiträge und bezüglich des Klagerechts gegenüber diesen Beiträgen. Diese Be⸗ stimmungen sind nicht geeignet, die Vereine dauernd lebensfähig zu erhalten. Das Gesetz gleicht einem schwankenden Schiffe auf sturm— bewegtem Meere.

Staatsminister, Staatssekretär des Innern Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Der Herr Abgeordnete hat am Schluß seiner Rede das Bild als nicht zutreffend beurteilt, in welchem ich erklärte, man solle

diesen Gesetzentwurf nicht im Hafen scheitern lassen. Wenn der Herr Abgeordnete während der letzten Jahre meines Glückes Schiff mit mir beßiegen und die Verbandlungen mit mir erlebt hätte, die notwendig waren, um diesen Gesetzentwurf so weit zu bringen, einen Gesetz⸗ entwurf, der nach meiner Arsicht den berechtigten Forderungen der Arbeiter entspricht und auch den Wünschen des Hauses genügen könnte, so würde er das Bild vielleicht zutreffender gefunden haben.

Ich wollte eigentlich das Wort zur Sache nicht mehr ergreifen, weil es sich um so viele Einzelheiten bei diesem Gesetz⸗ entwurf handelt, Einzelheiten, die meines Erachtens von den einzelnen Rednern nicht in das richtige Licht gestellt sind, daß ich es für geeigneter hielte, dieselben, im Schoße der Kommission gründlicher zu erörtern. Nach dem Gange der Erörterung halte ich es aber doch für nützlich, um nicht ein falsches Bild über die Absichten dieses Entwurfs und seine wirkliche Bedeutung in das Land dringen zu lassen, jetzt schon auf einige Punkte einzugehen, die von den Herren Vorrednern meines Erachtens nicht in zutreffender Weise zur Darstellung gelangt sind. Meine Herren, man kann über das Maß der Kautelen, die dieser Gesetzentwurf verlangt, gewiß verschiedener Ansicht sein, aber ich muß es doch als eine ungerechte Beurteilung desselben bezeichnen, wenn man sagt, es fände sich in diesem Gesetzesentwurf ein Uebermaß klein⸗ licher polizeilicher Kontrollen.

Der Gesetzentwurf verlangt zweierlei: erstens Schutz der Minoritäten und zweitens Ermöglichung einer Kontrolle, daß die Zulassungsbedingungen, d. h. bestimmter Mitgliederkreis, Verfolgung keiner allgemein politischen Zwecke, innegehalten werden. Auffallend besonders ist der

Widerstand gegen die Kautelen zum Schutz der Minderheiten; wer den

Verein gegen Willkür der Staatebehörden schützen will, wer das

guten Herzen gegangen wäre, er uns mehr gegeben hätte. Er machte mir etwa den Eindruck eines gefeffelten Prometheus, an dem Adler und Geier herumhacken. Die Gewerkschaften baben durch ihre Vertreter einmütig erklärt, daß sie mit diesem Entwurf nicht besser fahren würden. Graf Pofadomsky will nun den Entwurf betrachtet baben als Novelle zum B. G. B. „Herrlich, twas dunkel zwar, aber es klingt recht wunderbar! Es handelt sich hier doch darum, die rechtlichen Verhältnisse der freien Hewerkschaften den tatlächlichen Verhältniffen entsprechen? zu ordnen. Es ist doch das schöne Vorrecht der Gesetzgebung, tatfächliche Verhält- Risse zu rechtlichen Normen zu bringen, ihnen den Weg zur weiteren Fortbildung und Entwicklung zu ebnen. Um das zu erfüllen, müßten die freien Gewerkschaften zum Ausgangspunkt genommen werden. Novelle zum B. GB., das könnte vielleicht eine Entschuldigung dafür ein, daß nicht überall den Wäünschen der freien Gewerkschaften ent sprochen worden sel. Aber nichts davon. Wir im Reichstag waren offenbar im Rechte, als wir die Materie in das B. GB. hinein— juarbeiten verlangten. Ohne das Gesetz und entgegen dem Gefetz baben sich inzwischen die Gewerkschaften zu hoher Blüte entfaltet; ie sind nicht etwa Kampforganisationen um jeden Preis, sondern sie rüsten wie die Regierung zum Kriege, um den Frieden zu erhalten. Mit diesem Gesetz liefern wir diefe Entwicklung der Verwaltung und

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einzelne Mitelied gegen Willkür der unteren Organe schützen will, muß sich doch auch gerechterweise auf den Boden siellen, daß das einzelne Mitglied auch gegen Willkür des Vereinsvorstandet und des Vereins geschützt werden muß. Gewiß, Freiheit des Vereins, aber auch Wahrung der individuellen Freiheit der einzelnen Mitglieder innerhalb des Vereins. Zudem stellen alle Maßregeln dieser Art sich nur als Normativbestimmungen dar, die es dem einzelnen Mitglied ermög⸗ lichen, sich selbst zu schützen, keine Polizei oder Staatsbehörde greift dabei ein oder wirkt dabei mit. Mithin können diese Be— stimmungen mit Recht als Bestimmungen polizeilicher Natur nicht bezeichnet werden. Im einzelnen sind im Interesse des Schutzes der Minderheit in dem Entwurfe gefordert I Einsicht des Mit gliederverzeichnisses. Das ist notwendig; wenn die Mit— !Clieder und die Behörden nicht wüßten, wer Mitglied des Vereins ist, würden solche Vereine unter Umständen den Charakter eines Geheimbundes tragen. (Heiterkeit links.) Gewiß, meine Herren, die Behörde muß wissen können, wer Mitglied

des Vereins ist, und ebenso müssen dies die Mitglieder selbst wissen. Schon im Strafgesetzbuch ist der Abschluß von geheimen Vereinen verboten. Wenn Sie aber verhindern wollten, daß jedes Mitglied erfahren kann, wer Mitglied des Vereins ist, so würde er in der Tat den Charakter eines Geheimbundes tragen. Dann ist ferner verlangt das Recht auch auf Abschrift des Mitgliederverzeichnisses. Ich habe bereits vorgestern daran erinnert, daß man bei dieser Bestimmung vorzugkweise an Vereine von Arbeitgebern gedacht hat. Richtig ist es und die Möglichkeit liegt vor, daß ein Mitglied im Auftrag eines Arbeitgebers, der seinerseits die Namen der Mitglieder ermitteln will, sich ein Verzeichnis derselben durch ein Mitglied ver⸗ schafft, aber gegen Angeberei, gegen Spionage, gibt es überhaupt kein gesetzliches Mittel, und wenn ein Arbeitgeber wissen will, wer von seinen Arbeitern zu einem bestimmten Verein gehört, wird er auch ohne gesetzliche Bestimmungen das leicht erfahren können. Dann ist vorgeschlagen die Notwendigkeit der Einberufung der Mit- gliederversammlung statt des Ausschusses. Ich möchte darauf hinweisen, daß as schon eine wesentliche Ab— schwächung der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesktzbuches ist, denn nach §5 37 des Bürgerlichen Gesetzbuches kann in allen Vereinen schon die Einberufung der Generalpersammlung ver⸗ langt werden, wenn sie von dem zehnten Teil der Mitglieder gefordert wird, während hier die Forderung aufgestellt ist, daß die Genctalver—⸗ sammlung nur zusammenberufen werden muß, wenn der vierte Teil der Mitglieder einen dahin gehenden Antrag stellt. Weiter ist verlangt eine Abschrift der jährlichen Uebersicht, die gemäß § 13 für jedes ab⸗ gelaufene Geschäftsiahr über die Zahl und die Berufsstellung der Vereinsmitglieder, die Einnahmen und Ausgaben des Vereins getrennt nach ihren Zwecken, sowie über den Bestand des Vereinsvermögens aufzustellen ist. Hier muß aber die Abschrift von dem Mitglied bezahlt werden, in England bei den Trade Unions muß die Abschrift kostenlos erfolgen. Wie oft ist uns die englische Gesetzgebung als Muster vorgehalten worden. Ich werde nachher nachwelsen, daß die englische Gesetzgebung in vielen Punkten viel weiter geht wie der Entwurf. Es ist verlangt, jedes Mitglied zu leder Zeit austreten kann nur noch für ein Vierteljahr die Beiträge zu zahlen hat. Auch nach der französischen Gesetzgebung steht den Mitgliedern das gleiche Recht zu, allerdings lautet die Bestimmung des französischen Gesetzentwurfes, daß ein aus⸗ tretendes Mitglied noch die Beiträge für das laufende Jahr zu leisten hat. Es ist das Recht auf Einsicht in das Protokoll buch gefordert. Das entspricht genau dem § 47 des Genossenschaftsgesetzes, dort aber ist die Einsichtnahme auch der Staatsbehsrde gestattet, das ist in diesem angeblichen Polizeigesetz nicht der Fall. Dann sollen die Mitglieder nur für die ordentlichen Beiträge haften. Ich muß hierbei noch einmal auf die Rechtslage des eins und der Mitglieder eingeben. Gegenwärtig kann der Verein überhaupt nicht klagen. Nach dem englischen Trade Union Gesetz ist überhaupt nichts klagbar! Der Verein selbst kann nach dem Gesetzentwurf auf seine Unterstützungen nicht belangt werden. Seine sonstigen Leistungen werden auch im Wege der Klage nicht erzwungen werden können, nach der Natur der Sache dagegen hat der Verein jetzt das Recht, seine ordentlichen Beiträge: im Wege der Klage einzuziehen.

Uebersehen wird dabei, daß auch ohne besondere Bestimmungen schon jetzt nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch jedes Mitglied die Feststellungsklage hat. Wenn wir die Feststellungsklage er⸗ setzt haben durch die Anfechtungsklage jedes einzelnen Mitgliedes, so kommt diese Bestimmung meines Erachtens ebensosehr dem ein jelnen Mitglied wie dem Verein zugute; denn die Klage, die das einzelne Mitglied anstrengt, gilt in ihrem Enderfolg eventuell, wenn es sich um die Anfechtung gesetzwidriger oder satzungswidriger Beschlüsse handelt, für sämtliche Mitglieder; sie kommt sämtlichen Mitgliedern zugute. Würden wir diese Bestimmung nicht haben, so müßte jedes einzelne Mitglied für sich die Klage anstrengen, und es würde eine Häufung der Prozesse entstehen können, die unter Umständen für den Vorstand höchst nachteilig sein könnte.

Dann, meine Herren, gehe ich zur Gestaltung der lichen Kontrolle über. Da ist gefordert Einreichung des Mit—⸗ gliederverzeichnisses und Mitteilung und Veröffentlichung der Jahresübeisichten. Eine Aufsichtsbehörde zur Wahrnehmung einer allgemeinen oder besonderen Aufsicht über den Verein ist über haupt nicht vorgesehen. Keine einzige Beschlußfassung oder Ver— waltungsmaßregel der Vereinsorgane im Rahmen der gesetzlichen oder statutarischen Befugnisse bedarf einer behördlichen Genehmigung oder unterliegt auch nur einem Einspruchsrecht der Behörden. Keine Bestimmung insbesondere gibt einer Behörde das Recht, irgendwie auf die Verwahrung, Verwaltung oder Anlegung der Bestände ein— zuwirken. Nirgends ist, wie z. B. bei den Versicherungsträgern der Arbeiterversicherung, ein Recht der Behörde vorgesehen, von den Büchern, Verhandlungen und Rechnungen des Vereins auch nur Ein— sicht zu nehmen. Selbst ein satzungswidriges Verhalten des Vereint gibt der Behörde nicht ohne weiteres ein Recht zum Einschreiten. Ein solches Recht ist, ven den im Gemeininteresse nötigen Fällen des § 15 abgeseben, erst dann gegeben, wenn der Verein satzungswidrige Zwecke verfolgt oder ein Verhalten einschlägt, wodurch das der Staats⸗ bebörde noch verbliebene Einspruchsrecht verletzt wird. Eg ist selbst⸗— verständlich, daß der Verein nicht hinterher Zwecke verfolgen kann, die, wenn sie bei Nachsuchung der Eintragung schon bekannt gewesen wären, mit Recht die Eintragung verhindert haben würden. Die Maßnahmen aber, die die Verwaltungsbehörden dieserhalb gegen einen Verein ergreifen, unterliegen, soweit sie nicht endgültig werden können, der richterlichen Nachprüfung im Verwaltungsstreit— verfahren. Zuruf von den Sozialdemokraten) Das ergibt sich ganz einfach daraus es steht aber auch im Gesetz 15 Schlußsatz des Entwurfs und § 44 des Bärgerlichen Gesetzbuchs —, daß schon in Preußen gegen polizeiliche Verfügungen das Verwaltunge⸗ streitverfahren zulässig ist. Also in bezug auf Verfügungen der Polijeibehörden, überhaupt der Behörden, unterliegen die eingetragenen Berufsvereine ganz demselben Rechtsverfahren wie irgend eine Privat— person, wie irgend eine Korporation, gegen die eine amtliche Ver⸗ fügung erlassen worden ist. Das können Sie aber nicht verlangen, daß die eingetragenen Beruftvereine nun auf diesem Gebiet, auf dem Gebiet des Verfahrens, privilegiert werden gegenüber allen anderen Vereinen, gegenüber allen anderen Korpcrationen, gegenüber sämtlichen privaten Interessenten.

Gestern ist das Reichsgericht sehr

daß

und

Ver⸗

staat⸗

hart angegriffen worden,

meines Wissens mit großem Unrecht. Ich glaube, Sie werden