In der am 4. d. M. unter dem Vorsitz des Staats⸗ ministers, Staatssekretärs des Innern Dr. Grafen von Posadowsky⸗Wehner abgehaltenen Plenarsitzung des Bundesrats wurde dem Entwurf eines Gesetzes über Maß⸗ nahmen gegen den Rückgang des Ertrags der Maischbottich⸗ steuer die Zustimmung erteilt. Ferner fanden Annahme der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die vorläufige Regelung des Reichshaushalts für die Monate April und Mai 19, und der Entwurf eines entsprechenden Gesetzes, betreffend die vor⸗ läufige Regelung des Haushalts der Schutzgebiete.
Laut Meldung des W. T. B.“ ist der ausreisende Ablösungstransport für S. M. S. „Condor“ mit dem RP. D. „Yorck“ vorgestern in Genua eingetroffen und hat an demselben Tage die Reise nach Neapel fortgesetzt. .
S. M. S. „Bremen“ ist am 2. März in Newport News
en. k S. „Panther“ ist am 2. März in Nassau auf New Providence (Bahama⸗Inseln) eingetroffen und geht über⸗ morgen von dort nach Great Inaqua (Bahama⸗Inseln) in See.
S. M. S. „Sperber“ ist am 2. März in Lüderitzbucht
ngetroffen. . geog. S. „Tiger“ ist vorgestern von Manila nach Futschau in See gegangen. ᷣ
S. M. S. „Luchs“ ist gestern von Nanking nach Tschin⸗ kiang (Yangtse) abgegangen.
S. M. Flußkbt. „Vaterland“ ist gestern von Hankau nach Tschangscha abgegangen.
Danzig, 5. März. Der 31. Provinziallandtag der Provinz Westpreußen ist heute von dem Königlichen Kommissar, Oberpräsidenten von Jagow mit folgender An⸗ sprache eröffnet worden: . K
Hochgeehrte Herren! Seiner Majestät treue westpreußische Untertanen haben stets an allen Ereignissen in unserm Grlauchten Herrscherhause regen und innigen Anteil genommen. Mit herzlicher
reude und allgemeinem Jubel ist von uns am 4. Juli des ver⸗ gangenen Jahres die Nachricht begrüßt worden, daß unserm Er— lauchten Kronprinjenpaare ein Sohn geboren sei. Unsere innigsten und treuesten Segenswünsche begleiten den jungen Hohenjollernprinzen, Höchstwelcher nach menschlicher Voraussicht dermaleinst berufen sein wird, die Krone Preußens und die eines Deutschen Kaisers zu tragen.
In der Sitzung vom 22. Februar v. J. haben Sie einstimmig beschlofssen, jur dauernden Erinnerung an die Silberhochzeit unsers Allerdurchlauchtigsten Herrscherpaares ein Blindenheim für die Pro⸗ vinz Westpreußen zu errichten und zur Benennung des Heims als Wilhelm II., Auguste Victoria Blindenheim“ die Allerhöchste Ge⸗ nehmigung zu erbitten. Ihre Majestäten der Kaiser und König und die Kaiserin und Königin haben die Genehmigung in huldreichster Form zu erteilen geruht. Der Bau des Blindenheims ist begonnen und gefördert worden. Ihrem vorjährigen bedeutungsvollen Beschluß, den Geschäftsbetrieb der Im mobiliarfeuersozietät der Provinz auf bewegliche Gegenstände auszudehnen, sind inzwischen die weiteren vorbereitenden Maßnahmen Ihrer Provinzialverwaltung gefolgt. Die Abänderungen und Ergänzungen des bisherigen Reglements haben die ministerielle Genehmigung erhalten. Die innere Neuorganisation der Sozietät und die erweiterte äußere Verwaltung derselben ist vor— bereitet. Sie den Ihnen vorliegen den Anträgen des Provinzial⸗
e Zustimmung erteilt haben werden, wird die neue Organisation und die erweiterte Tätigkeit der Sozietät mit dem L April d. J. in Wirksamkeit treten. Seitens der Königlichen Staatsregierung die Vornahme einer Ersatzwahl und die die Umwandlung : r in eine Stadtgemeinde v—on Ihnen erbeten. Die Fest⸗ stellung der Voranschläge des Provinzialhaus⸗ balts wird auch in diesem Jahre den Schwerpunkt Ihrer Beratungen bilden. Aus den Provinzialbaushalt betreffenden Vorlagen Ihres Prodinzialausschufses ersehen Sie, daß trotz einer Erböhung der Gehälter für verschiedene Beamtenklassen und einer Vermehrung der Ausgaben für gemeinnützige und wohltätige Zwecke dank der Sparsamkeit und Geschäftzkunde Ihrer Ver— waltung das Gleichgewicht des Provinzialhaushalts für das kommende noch ohne Erhöhung der Provinzialabgaben ermöglicht ñ innte. ie geschäftlichen Krisen, welche leider in den letzten Monaten jwei größere industrielle Unter nehmungen ens kommunales und privates Kapital in der Provinz in schaft gezogen haben, werden den Weiterbetrieb der beiden Anlagen lich nicht gefährden. Immer— bin kann die e Lage aller Erwerbsjweige in der Provinz Westpreußen für das verflossene Jahr rweise im allgemeinen als eine wohl befriedigende bezeichnet
Mit dem Wunsch und Beschlüsse auch en gereichen mögen,
Ihrer diesjährigen Tagung der Provinz zum erkläre ich im Allerböchsten Auftrage den 31. Westpreußischen Provin nal⸗= landtag für eröffnet.
Württemberg. Majestät der König Wilhelm II. ist gestern, ische Merkur“ meldet, zu einem drei⸗ bis Aufenthalt nach Kap Martin bei Mentone
Seine wie der „Schwäbische vierwöchigen abgereist.
Mecklenburg⸗Schwerin.
eine Königliche Hoheit der Großherzog Friedrich Franz IV. hat gestern die sechs Landräte des Landes zu sich aufs Schloß entboten und an sie in Gegen⸗ wart des Staatsministeriums nach einer Meldung des „W. T. B.“ folgende Ansprache gerichtet:
Als ich im Jahre 1901 die Regierung meines Landes übernahm, hatte ich mir vorgenommen, in der Verfassungsfrage so lange keine Schritte zu tun, bis ich ein Urteil über die bestehenden Ver. hältnisse gewonnen hätte. Mehr und mehr bin ich der Üeberzeugung geworden, daß die jetzige Berfassung des Landes den berechtigten An forderungen der neueren Zeit nicht mehr genügt und daß es das Wohl meines Volkes erfordert, auf eine zeitgemäße Umgestaltung derselben hinzuwirken und somit das von meinem hochseligen Hertn Großvater, dem Großherzog Friedrich Franz 11. begonnene, aber nicht zu Ende gebrachte Werk fortzuführen. Ich habe deshalb schon vor längerer
Zeit mein Staatsministerium beauftragt, ein Gutachten über die
Frage der Reformbedürftigkeit der bestehenden Ständeverfassung vor— zulegen. Dasselbe ist mir im vorigen Sommer überreicht worden. Nach eingehender Prüfung dieses Gutachtens bin ich in * Ansicht; bestärkt worden, daß es an der Zelt ißt, nä fä 'r (lun asg rkg din Gen mit den Ständen wieder n h 6 361 habe . 3 zunächst des Einverständnisses er vniglichen Hoheit des rt oß ogs von Mecklenburg Streitz 1 ; 8 1 . m Sta- ; 3 . ; ; 1 einem Staate ministerium befohlen, die erforderlichen Vorlagen zu
82
rbeite e für einen im nächsten ir ei f bearbeiten und. ie ur einen im nächsten Jahre von mir einzuberufenden außerordentlichen Landtag fertig zu stell —ͤ ;
2 d e,, g sertig zu stellen.
9 c ur e ne ? q ̃ f . 8 Derren Landrãte, heute zu mir berufen,
33 ö ten von dieser meiner Entschließung Kenntnis ju geben. Dabei gedenke ich dankbar des langen, gesegneten Zu⸗
marokfkanischen S einen
Mais bis zum 1. Juli 13907 suspendieren will, erörtert.
erstatter Thiery bekämpfte den Antrag,
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sammenwirkens von Landesherrn und Ständen zum Besten des Landes. Auch verkenne ich nicht, daß für alle, die in überkommener Tradition mit den ständischen Verhältnifsen eng verwachsen sind, der Uebergang in den neuen Verfassungszustand nicht ohne Opfer und Entsagung geschehen kann. Da es sich aber um das Wohl des ganzen Landes handelt, hege ich das Vertrauen, daß Sie ebenso wie ich dazu bereit sein werden, solche Opfer auf sich zu nehmen, und gebe mich der Hoffnung hin, daß Sie demnächst, wenn meine Vor⸗ schläge den Ständen zur Beratung vorgelegt sind, mir diese Unter⸗ stützung gewähren werden. Möge diese meine, Ihnen kundgegebene Enischiießung unter Gottes gnädiger Hilfe meinem geliebten Lande zum Segen gereichen. Mecklenburg⸗Strelitz.
Seine Königliche Hoheit der Großherzog Adolf Friedrich hat gestern den Landrat zu sich bescheiden lassen und ihm, „W. T. B.“ zufolge, mitgeteilt, daß er beschlossen habe, im Anschluß an die von Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzog von Mecklenburg-Schwerin in Aussicht gestellte Verfassungsvorlage dem Landtage eine Vorlage zur Aenderung der Verfassung für Mecklen⸗ burg-⸗Strelitz zugehen zu lassen.
Oesterreich⸗ Ungarn.
In der gestrigen Konferenz der ungarischen Un⸗ abhängig keitspartei erklärte, W. T. B.“ zufolge, der 1 Kossuth bezüglich der Ausgleichsver⸗
andlungen, die Partei könne durchaus ruhig sein, die Regierung werde ihren Standpunkt behaupten.
Großbritannien und Irland.
Im Unterhause brachte der Kriegsminister Haldane gestern das Gesetz zur Durchführung des Planes ein, den er hinsichtlich der Errichtung einer Territorialarmee, die die bisher bestehende MilizL, Jeomanry und Freiwilligen⸗ truppen in sich aufnehmen soll, am 25. Februar dargelegt hat.
Das Gesetz sieht, nach dem Bericht des, W. T. B.“, Grafschafts⸗ Vereinigungen vor, zu deren Obliegenheiten die Bildung und Verwaltung der Territorialtruppen innerhalb ihrer Grafschaften gehören sollen. Die Vereinigungen sollen unter der Leitung des Armeerats handeln, der für die Kontrolle und die Ausbildung der Truppe verantwortlich wäre. Das Gesetz enthält ver⸗ schiedene Bestimmungen bezüglich der Bedingungen der An werbung, Ausbildung und Mobilisierung und gibt auch Voll— macht zur Errichtung der sogenannten Spezialkontingente. Der Minister führte aus, die Organisation einer wirklich starken zweiten Verteidigungslinie sei der denkbar beste Schutz gegen die auf Ein führung einer Zwangsaushebung gerichtete Bewegung. Die Regierung würde an den Grundzügen des Planes festhalten, sei aber bereit, in eine Erwägung der Abänderung von Einzelheiten einzutreten.
Frankreich.
Der König von England ist gestern, W. T. B.“ zu⸗ folge, in Paris eingetroffen. .
— Die Deputiertenkammer hat gestern einen Gesetz— entwurf, betreffend Registrierung der Konstitution der taatsbank, angenommen und dann Gesetzentwurf, der die Zölle auf ausländischen
Nach dem Bericht des W. T. B.“ bekämpften die Deputierten Auriol und Castilhard den Entwurf, da er den landwirtschaft⸗ lichen Interessen des Südens schädlich sei, während ibn Vigne und Chion Ducollet berürworteten, indem sie der Meinung Ausdruck gaben, daß wegen der Unzulänglichkeit der Futtervorräte ausländischer Mais jur Ernährung der Herden erforderlich sei. Der Deputierte Empereur, der den Antrag eingebracht hatte, vertrat seiner—⸗ seits die Sache der Landwirte, die außerordentlich unter dem Mangel an Futtermitteln und infolge der Maul, und Klauenseuche des Viehs ju leiden hätten. Der Minister für Ackerbau Ruau bemerkte, die Verwaltung habe jede mögliche Erleichterung bei der Anwendung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Maul⸗ und Klauenseuche gerade wegen der schwierigen Lage der Landwirte gewährt. Der Bericht⸗ weil er Anlaß zu Spe⸗ kulationen geben könnte. Der Ackerbauminister Ruau forderte die Kammer gleichfalls auf, den Antrag zu verwerfen, und führte aus, die großen in Syndikaten zusammengeschlossenen Landwirte würden allein aus dieser Maßnahme Nutzen ziehen, sie würden unbegrenzte Mengen Mais kaufen.
Die Kammer lehnte mit 463 gegen 67 Stimmen ab, in die Beratung der einzelnen Artikel einzutreten, worauf die Sitzung geschlossen wurde.
Türkei.
Die Pforte hat gestern, laut Meldung des „W. T B.“, in einer Note an den Freiherrn von MarschallUl als Doyen des diplomatischen Korps die Annahme der von den Mächten wegen Verbesserung der Zollverhältnisse für die drei— prozentige Zollerhöhung gestellten Bedingungen erklaͤrt. Sie bittet gleichzeitig um endgültige Zustimmung der
Mächte zur Zollerhöhung.
Amerika. Der Präsident Rogsevelt hat gestein, „W. T. B.“ zu⸗ folge, die Aldrichsche Vorlage, betreffend die Geldumlaufs⸗
mittel, unterzeichnet.
— Vor der Vertagung des Kongresses der Vereinigten Staaten von Amerika hat der Abg. Randall eine Rede gegen die jetzige Tarifpolitik gehalten und dabei seine am 12. Fe⸗ bruar im Repräsentantenhause eingebrachte Resolution erörtert,
in der der Praͤsident Roosevelt ersucht wird, dem Hause mitzuteilen,
welche Abmachungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland bezüglich des Zolltarifs getroffen
worden seien. Wie die „Associated Preß“ berichtet, verlas
Randall ein Schreiben des Staatssekretärs Root, worin dieser
erklärt, daß seit dem Abschluß des modus vivendikeine Ab—⸗ machungen mit Deutschland getroffen seien. Nach dem jetzigen Stand der Dinge würde der deutsche Maxihemaltarif gegen die amerikanische Einfuhr am 30. Juni d. J. in Kraft treten, wenn nicht in der Zwischenzeit etwas ge— schehe, um das zu verhindern.
Koloniales. Aus Windhuk in Deut sch⸗Südwestafrika wird W. T. B.“
ohe ͤ f uufolge berichtet, daß der Wachtmeister Wilbelm Kie ne, geboren am mit diesem Vorgehen dersichert und nunmehr
25. Mai 1880 zu Schleswig, früher im Regiment Königsjäger zu Pferde Nr. 1 am 27. Februar im Feldlazarett an der Lãderitzbucht
an Herischwäche bei Nierenentzündung gestorben ist.
Parlamentarische Nachrichten.
Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichstags und der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des wn es der Abgeordneten befindet sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
— Der Reichstag setzte in seiner heutigen (10) Sitzung, welcher der Staatssekretär des Innern Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner, der Staatssekretär des Reichs⸗ schaamts Freiherr von Stengel und der stellvertretende Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts Dern⸗ burg beiwohnten, die erste Beratung des Reichshaushalts⸗ etats für 1907 fort.
Abg. Dr. Paasche (ul.): Es ist keine angenehme Situation, am achten Tage der Generaldiskussion noch das Wort zu ergreifen. Ich hätte auch gern auf das Wort verzichtet, wenn mich meine 6 nicht beauftragt hätte, auf die Rede des Abg. Freiherrn von Hertling einiges zu erwidern. Wir können nur bedauern, daß der Abg. von Hertling, der in seiner ruhigen vornehmen Weise gestern die Stellung des Zentrums zu wichtigen politischen Fragen dargelegt hat, nicht schon früher im Namen des Zentrums , . hat, dann würde der Eindruck seiner Rede ein ganz anderer gewesen und dag Zentrum viel besser aus diesen Debatten hervorgegangen sein. Vieles von dem, was er gesagt bat, können meine politischen Freunde unteischreiben. Andererseits sind seine Voraussetzungen vielfach derartig gewesen, daß wir doch nicht umhin können, dagegen unsere Stellung ju wahren. Der Abg. von Hert⸗ ling ist ja ö der gewesen, der gegen die Stichwahlparole des Zentrums, gegen die Wahl von Sozialdemokraten eingetreten ist. Er ist dafür von der Zentrumspresse mit Hohn und Spott überschüttet worden. Wie wenig ist damals seine Stimme gehört worden, wie wenig auch die Stimme des bayerischen Episkopats. Das Zentrum bat mit der Sozialdemokratie damals gegen die sogenannten nationalen Parteien, speziell gegen den Liberaligmus, Front gemacht. Der Abg. von Hertling hat die letzte Reichstagsauflösung verglichen mit der von 1878. Auch damals wäre nach den Worten des Fuͤrsten Bismarck es eine große ausschlaggebende Partei (die Nationalliberalen) gewesen, die ihre Macht mißbraucht hätte, sodaß sich der Fürst Bismarck, um ihre Machtstellung zu untergraben, zur Auflösung entschlossen habe. Der Abg. von Hertling sagte, von Bennigsen habe damals selbft in die Regierung eintreten und einige Mitglieder der Nationalliberalen hineinziehen wollen, und daran sei der Plan gescheitert. Wenn damit gemeint sein soll, daß die Nationalliberalen damals nach einer Machtstellung gesucht und eine Nebenregierung angestrebt hätten, so muß ich daran erinnern, daß von Bennigsen niemals danach estrebt hat, in ein hohes Staatsamt, am wenigsten in ein Hl ier einzutreten, daß es vielmehr der Fürst Bismarck gewesen ist, der ihn gedrängt hat, und daß von Bennigsen seinen Widerspru nur dadurch hat aufrecht erhalten können, daß er sagte, i wünsche nicht, daß ich allein in ein stockkonservatives Mintsterium hineinkomme, sondern daß auch einige meiner Fraktionsgenossen mit hineinkommen. Daran scheiterte die ganze Kombination, nicht etwa, weil die Nationalliberalen in eine Machtstellung hätten eindringen wollen. Der Abg. von Hertling meinte gestern, das Zentrum sei immer in einer pretären Lage gewesen, es sei eine Minderheitspartei gewesen. In dieser prekären Lage habe es immer Rücksicht nehmen müssen auf andere Parteien und immer nur etwas erreichen können, indem es die mittlere Linie innehielt, und es habe auch der Regierung gegen über seinen Willen nicht durchsetzen können. Das klingt so un⸗ schuldig, als hätte das Zentcum niemals eine Machtstellung, eine ausschlaggebende Stellung besessen. Von anderer Seite ist das Gegen⸗ teil bebauptet worden. Ich liebe es nicht, Zeitungsausschnitte bor zubringen; aber an eins möchte ich erinnern, was der frühere Kollege Dr. Bachem einmal triumphierend in Elberfeld gesagt hat, er sagte damals: Wir haben ein Anseben und eine Machtstellung, wie sie selten oder niemals eine Partei gehabt hat, und wle wird das erft in weiteren 25 Jahren sein. Das zeigt, daß das Zentrum sich seiner Machtstellung vollauf bewußt war, daß es eine ausschlaggebende oder, wie man sagt, regierende Partei ge⸗ wesen ist. Es ist auch Tatsache, daß es mit den Sozialdemokraten zusammen der Regierung ihren Willen aufzudrängen versucht hat. Der Abg. von Hertling hat sich verletzt gefühlt, daß der Reichs kanzler von einem Bündnis imwischen schwarz und rot gesprochen hat; dazu seien die Gegensätze zwischen beiden Parteien viel zu groß. Das haben wir auch niemals bestritten, aber die Machtstellung des Zentrums beruht ja nicht auf ausgesprochenen Wünschen, sondern darauf, daß die Partei Bundesgenossen oder Hilfstruppen zur Ver⸗ fügung hatte, wenn es galt, der Regierung Schwierigkeiten zu machen und seinen Willen durchzusetzen. Dann hat der Abg v. Hertling weiter gesagt, die nationalliberale Fraktion hätte den Anspruch eihoben, daß ihr Vorlagen bereits vorher vorgelegt würden, und die Fraktion hätte dafür gesorgt, daß Vorlagen nicht zur Verhandlung gekommen wären. Das sind Behauptungen, die der Fürst Bismarck aufgestellt hat, für die er aber den Beweis wohl schwerlich hätte erbringen können, daß die Fraktion als solche diesen Anspruch erhoben hähste. Daß einjelne unserer Mitglieder den Wunsch geäußert baben, Vorlagen bereits vorher zu sehen, und daß Vertreter der verbündeten Regierungen mit ei zelnen hervorragenden Politikern Vorlagen vor ihrem Einbringen bereits diskutiert haben, das wird man ohne weiteres zugeben müssen. Aber so steht die Sache heute nicht. Wer im parlamentarischen Kampf steht, der weiß, wie solche Dinge gemacht werden. Wenn Vertreter der verbündeten Regierungen nicht mit dem einen oder anderen Vertreter großer Parteien Rücksprache und Fühlung nähmen, so könnte der Fall elntreten, daß Vorlagen schließlich keine Mehrheit fänden, und dle Ablehnung müßte die Regierung in der öffentlichen Meinung schwächen. Wenn also damals hervorragende Mitglieder der Partei den Wunsch ausgesprochen haben, mit der Regierung Rücksprache zu nehmen, so wird man nicht daraus schließen können, daß damals die nationalliberale Partei ganz besondere Machtgelüste gehabt hätte und daß sie besonders in der Lage gewesen wäre, der Regierung ihren Willen aufzudrär gen.
(Schluß des Blattes)
— Das Haus der Abgeordneten überwies in der heutigen (26.) Sitzung, welcher der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. von Studt und der Finanzminister Freiherr von Rheinbaben beiwohnten, zunächst die Rech⸗ nungen der Kasse der Oberrechnungs kammer für das Etatsjahr 1905 ohne Debatte der Rechnungs⸗ kommission. .
Dann folgte die Interpellation der Abgg. Winckler (kons.) und Genossen: .
„I) Gedenkt die Staatsregierung bei den evangelischen Landeg⸗ kirchen der Monarchie unter Zusicherung erhöhter Staats zuschüsse eine vermittelnde Tätigkeit nach der Richtung eintreten zu lassen, daß durch weiteren Ausbau der Pfarrbesoldungsgesetze von 1898 und durch eine alle Landes kirchen umfassende Neuregelung des Ruhegehaltswesens den Geistlichen eine den Anforderungen der Zeit entsprechende Verbesserung ihrer nirtschaftlichen Lage gewährleistet werde?
2) Gedenkt die Staatsteglerung dahin zu wirken, daß diese Reform noch vor den nächsten ordentlichen Tagungen der obeisten kirchlichen Vertretungen ihre kirchen und landesgesetzliche Erledigung findet, und daß, wenn dies nicht tunlich, geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um eine vorläufige Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse zu sichern?“
Auf die Frage des Präsidenten von Kröcher erklärte der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von Studt sich bereit, die Interpellation namens der Staatzregierung sofort zu beantworten.
Abg. Winckler: Der Gegenstand, in dessen Beratung wir jetzt eintreten, hat uns wiederholt, zuletzt im März vorigen Jahres, kei dem Titel des Kultusetats beschäftigt, der die Leislungen des
Staats auf Grund des Pfarrbesoldungsgesetzes betrifft. Die selerlichere Form der Interpellation haben wir jetzt gewählt, um dieser Angelegenheit eine erhöhte Bedeutung betzulegen. Bei den unzureichenden Besoldungsv erhältnissen und insbesondere bei der ungenügenden Regelung des Ruhegehalts mache sich ein bedenklicher Kandidaten mangel bemerkbar. Diesem Uebelstande müsse abgeholfen werden. Das könne aber nur geschehen durch weiteren Ausbau des farrbesoldungsgesetzes von 1898 und durch eine alle Landeskirchen um= Pr. Neuregelung des Ruhegehaltswesens, die den Geistlichen eine den Anforderungen der Zeit entsprechende Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage gewährleistet. Eile sei hier aber notwendig. Diese Reform müsse noch vor den nächsten ordentlichen Tagungen der obersten kirch⸗ lichen Vertretungen ihre kirchen. und landesgesetzliche Erledigung snden. Sei dies nicht tunlich, so müßten geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um eine vorläufige Befriedigung der dringendsten Bedürfnisse zu sichern. Unser Pfarrerstand müsse sich dauernd aus denjenigen Elementen rekrutieren, die Gewähr dafür bieten, daß er auch in Zukunft, wie bisher, ein Segen für unser Vaterland bleibe. Die gleichzeitige allgemeine Reform des Pensionswesens sei sowohl um ihrer selbst willen, als auch um des Zusammenhanges mit den Besoldungsverhältnissen willen ,,, Es könne nicht mehr in den einzelnen Landeskirchen verschieden nach Sechzigstel oder Achtzigstel . gerechnet werden. Nachdem die Altergjulage⸗ lassen ein gemeinsameg Band. um alle preußischen Landeskirchen ge schlossen hatten, sei die einheitliche Regelung der Pensionsverhältnisse die notwendige Konsequenz. Wenn bei einer Neuregelung des Pensions.˖ wesens entweder für alle Geistlichen oder wenigflens für diejenigen, welche dem Gesetz von 1898 unterstehen, die Beilrageleistung fortfalle, werde die Alterszulagekasse befreit von den Lesstungen, die ihr ketzt obliegen, und die volle Ausführung des Gesetzes von 1898 in Uebereinstimmung mit dem § 4 desselben ermöglicht. Allerdings be—⸗ ständen Bedenken bei einigen Landeskirchen in den neueren Provinzen, weil durch eine Ein beitlichkeit die Selbständigkeit dieser Kirchen be⸗ einträchtigt werden könnte. Man könne aber eine solche Vereinheitlichung erstreben, ohne in die Selbständigkeit der verschiedenen Landeskirchen einzugreifen. Hierauf nahm der Minister der geistlichen 2c. Angelegen⸗ heiten Dr. von Studt das Wort.
(Schluß des Blattes.)
Dem Reichstage ist der Vertrag zwischen dem Fiskus des Schu gebiet Togo und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung Lenz u. Co. zu Berlin, betreffend den Betrieb der Landungsbrücke, der Küstenbahn und der Inlandsbahn bis zum 31. März 1908, vorgelegt worden.
Statiftik und Volkswirtschast.
Invalidenverficherung und Tuberkulose.
Die deutsche Invalidenversicherung hat sich immer mehr nach der Seite hin entwickelt, daß sie sich nicht darauf beschränkt, eine Rente im Falle der eingetretenen Erwerbsunfählgkeit zu gewähren, sondern sie faßt ihre Aufgabe neuerdings immer mehr prophylaktisch auf. Sie ist bestrebt, durch geeignete Maßnahmen die Folgen der Tuberkulose für Familie und Staat nach Möglichkeit zu dermindern. So hat das Invalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1899 den Trägern der Versicherung im Falle der Erkrankung eines Versicherten, wenn zu befürchten ist, daß die Krankheit Invalidität im Gefolge haben wird, das Recht jur Uebernahme des Heilverfahrens verliehen. Von diesem Recht machen die Versicherungsanstalten und zugelassenen Kassenein richtungen erfreulicherweise in recht erheblichem Umfang Gebrauch. Die Kranken werden in Krankenhäusern, in Sanatorien für Lungenkranke, in Luftkurorten, in Genefungsheimen, in Rekon— k in Bädern oder auch in Privatpflege unter— gebracht.
Die neueste Veröffentlichung des Reichsversicherungsamts über die Erfolge der Heilbehandlung, die das Jahr 1905 betrifft, läßt erkennen, in welchem Maße die Tuberkulose unter dem arbeitenden Volk ver⸗ breitet ist. Andererseits jedoch zeigt auch diese Veroffentlichung, welche außerordentlichen Erfolge die Invalidenversicherung in der Be—= kämpfung dieser gefährlichen Krankheit aufjuweisen hat. Die Ueber— nahme der ständigen Heilbehandlung von Versicherten durch die Ver— sicherungsanstalt hat auch im Jahre 1905 eine weitere Steigerung erfahren. Im Gegensatz jum Anteils verhältnis bei Männern sind wiederum erheblich mehr nichttuberkulöse als tuberkulsse Frauen an der Heilbehandlung beteiligt. Ihre Zahl beträgt mehr als jwei Drittel der Zahl der behandelten nichttuberkulösen Männer, während die Zahl der tuberkulösen Frauen sich nahezu auf die Hälfte der Zahl der tuberkulösen Männer beläͤuft. Seit dem Jahre 1897 ist die Zahl der behandelten tuberkulössen Männer auf mehr als das Siebenfache, diejenige der tuberkulösen Frauen auf mehr als das Zehnfache, die Zahl der behandelten nichttuberkulssen Männer auf das Dreifache, die der nichttubeikulösen Frauen auf mehr als das Fünffache gestiegen.
Nicht weniger als 47,56 oo sind wegen Lungentubertulose, 52, 44 o/ wegen anderer Krankheiten behandelt worden, davon unter den Lungen tuberkulösen g9, 21 o/o, unter den sonstigen Kranken 75,45 0,0 ständig und O79 0 0 bezw. 24 55 0 nicht ständig. Der außerordentlich hohe Prozentsatz der behandelten Tuberkulssen läßt sich aus der überaus starken Belastung der Versicherungsanstalten mit tuberkulösen Invalidenrentnern erklären. Das Reichsversicherungsamt hat für die Jahre 1895 — 99 eine umfassende Statistik der Invaltditäts⸗ ursachen ausgearbeitet, aus der hervorgeht, daß die Tuberkulose als Invaliditätsursache bei Männern die dritte, bei Frauen die jweite Stelle einnimmt. Von allen männlichen Arbeitern, die in Berghau und Hüttenwesen, Industrie und Bauwesen beschäftigt sind und bis zum Alter von 35 Jahren invalid werden, leiden mehr als die Hälfte an Tuberkulose, von den im Alter von 20 bis 24 Jahren indalid werdenden sogar annähernd zwei Drittel. Gleich ungünstig ist das Verhältnis bei weiblichen Rentenempfängern der gleichen Be— rufeklassen im Alter von 20 bis 24 Jahren, während in dem Alter von 25 bis 29 Jahren bei nahezu der Hälfte (47 00) und in dem Alter von 30 bis 34 Jahren noch bei 370,0 aller tubaliden Frauen dieser Berufsklassen die Invalidität auf Lungentuberkulose zurückzuführen ist. Wenn auch die Arbeiter der Land- und Forstwirtschaft infolge dieser Krankheit seltener invalid werden, so entfallen doch immer noch mehr als 37 Tuberkulöse auf 100 männliche Rentenempfänger der ländlichen Berufe im Alter von 20 –- 24 Jahren. Für die Versicherten in Handel und Verkehr stellt ich bei invaliden Männern im Alter von 20 - 39 Jahren das Ver—⸗ hältnis so, daß mehr als die Hälfte aller Invaliditätsfälle auf Tungen— tuberkulose zurückzuführen ist, während mindestens der vierte Teil aller 20 bis 30 Jahre alten invaliden Frauen aug häuslichen Dienften tuberkulös ist. ü
Die Heilbehandlung Tuberkulöser hat sich in der Hauptsache in den zahlreichen Heilstaͤtten für Lungenkranke volljogen, welche die Grundsätze der hygienisch diätetischen Behandlung — ausgiebiger Genuß frischer Luft, reichliche Ernährung, regelrechte Hautpflege, ge⸗ sundheitliche Erziehung — befolgen. Andere Krankhelken als Tuber= kulose eignen sich mehr für eine Behandlung in Krankenbäufern. Die Deilbehandlung von nichttuberkulssen Versicherten in Bädern hat im Jahre 1965 auch erheblich jugenommen, ebenfo die Heilbehandlung der tuberkulösen Kranken in Genesungz, und Rekonvaleszentenanstalten.
Für das letzte Berichtsjahr sind auch besondere Ermittelungen bejüglich der Heilbehandlung geschlechtskranker Arbeiter angestellt worden. Es hat sich ergeben, daß insgesamt 449 Personen en, 473, 1993: 50s, 1902: 333, 1961: 1435, und jwar 411 Männer (1904: 434, 1903: 378, 1902: 244, 1901: 445 und 38 Frauen Sog: 39, 18963: 150, 1562: 85, 1961: 3 wegen Geschtechts= krankheiten in Heilbehandlung genommen sind. Jeschlechtè kranke
Männer entfallen überwiegend auf die Versicherungsanstalt Berlin, die eine eigene Heilstätte für Geschlechtskranke errichtet und darin 361 Männer 1864: 388, 1903: 322, 1902: 204) behandelt hat.
In Trinkerheilanstalten haben 1905 insgesamt 35 Männer und 2 Frauen gegen 33 Männer im Jahre 1904, 23 im Jahre 1903 und nur 8 im Jahre 1802 Aufnahme gefunden.
Auch die bei den Krankenkassen beliebten Tageserholungsstätten werden neuerdings von den Vorständen verschiedener Lan desbersicherungs. anstalten und Kasseneinrichtungen der Invalidenversicherung mit Kranken belegt. Insbesondere suchen Tuberkulöse, die aus irgend einem Grunde keine Aufnahme in Heilstätten finden, in den Erholungs⸗ stätten Hilfe. ⸗
Was den Kostenaufwand betrifft, so stellte sich dieser für das Jahr 1905 für insgesamt 56 420 Personen (19094: 49 491 auf 14448 005 Æ 12 735 981 AÆ). In den letzten 5 Jahren betrug der Kostenaufwand für zusammen 215 163 Perfonen nicht weniger als rund 85 Millionen Mark.
Vergleicht man diese Nebenleistungen der Invalidenbersicherungs= anstalten mit den Ausgaben der Krankenkassen, so stellen sich die Leistungen der Krankenkassen, die sich aus Lerjtekosten, aus Auf— wendungen für Arzneien usw., für Wöchnerinnen, Krankenbaus⸗ und Rekonvalegientenpflege, aus Krankengeld für Mitglieder und Angehörige sowie aus Sterbegeldern zusammensetzen, naturgemäß weit höher. Dagegen hat sich das Verhältnis der nur als Nebenleiftungen neben der Renten⸗ gewährung anzusehenden Aufwendungen der Berufsgenossenschaften und der Versicherungkanstalten für Heilbehandlungszwecke im Taufe der Jahre dergestalt erheblich verschoben, daß sest dem Jahre 1901 die Heilbehandlungekosten der Träger der Invalidenversicherung diejenigen der Berufsgenossenschaften usw. für diesen Zweck von Jahr zu Jahr mehr übertreffen. q
Zur Arbeiterbewegung.
In 12 Bezirksversammlungen der Arbeitgeber des Berliner Tapezierergewerbes wurde, wie die ‚Voff. Itg. berichtet, über den bisherigen Umfang der Aussperrung und des Ausstands Bericht erstattet. Danach befinden sich im AUusstand und in der Aus— sperrung 1460 Gehilfen in 430 Betrieben. Bewilligt haben vier Betriebe mit 38 Gehilfen. Nach den Feststellungen der Streikleitung des Tapeiiererverbandes befinden sich dagegen im Ausstand 412 Ge— hilfen, von der Aussperrung sind betroffen 470 Gehilfen in ju— sammen 9g3 Betrieben. Bewilligt haben 42 Arbeitgeber mit 460 Be—⸗ schäftigten. — Zur Aussperrung der Berliner Herrenmaß— schnelder nahm, nach demselben Blatte, am Sonntag eine fehr jahl⸗ reich besuchte Versammlung der Gehilfen Stellung. Vor Durch— führung des Beschlusses der Arbeitgeber ist es, wie bekannt, zu Arbeitsniederlegungen in einer ganzen Reihe von Betrieben ge— kommen. Diese umfaßten am Sonnabend 66 Werkstätten mit 1700 Maßschneidern. Die Behauptung der Arbeitgeber, daß der einge⸗ reichte Tarif Lohnerhöhungen von 40 = 50 und in einzelnen Fällen bis zu 116. 9. enthalte, sei, wie ausgeführt wurde, zurückzuweisen, er beruhe auf unrichtigen Zusammenstellungen und sei dazu angetan, das große Publikum über die Höhe der Mehrforderungen irrezuführen; diese be⸗ wegten sich in Wirklichkeit zwischen 5 und 20 v. H. Ange— nommen wurde ein Beschluß, in dem es heißt: „In Be— trieben, in denen am Sonnabend mit einer teilweifen Aussperrung begonnen ist, oder in Betrieben, deren Inhaber dem Arbeitgeber⸗ derband angehören, haben alle Maßschneider die Arbeit niederzulegen. Bevor dieser Schritt getan wird, ist die Verwaltung davon in Kenntnis zu setzen. Bei Arbeitgebern, die nicht organisiert sind, darf die Arbeit nicht niedergelegt werden. Die gegen diese zu unter nehmenden Schritte bleiben einer späteren Versammlung vorbehalten.“ — Die Steinmetzen Berlins und der Umgegend nahmen, wie ebenfalls die ‚Voss. Ztg.“ mitteilt, am Sonntag in zablreich besuchter Versammlung die zwischen der Steinmetzinnung und dem Gesellenausschuß getroffenen Vereinbarungen an, in denen eine Sstündige Arbeitszeit auf Werkplätzen bewilligt worden ist, Schluß der Arbeitszeit 5ę Uhr Abends und ein Mindeststundenlohn von 85 4 für alle, auch den unter 20 Jahre alten Gehilfen zugestanden worden ist. Der Tarif gilt ein Jahr, vom 1. März 1907 bis zum 28. Fe—⸗ bruar 1908.
In Aachen legten, der Köln. Ztg.“ zufolge, nachdem die Mit glieder des Arbeitgeberschutzerbandes des Maler und Anstreicher⸗ gewerhes die organisierten Gehilfen entlassen haben, gestern auf Beschluß der Aachener Filiale der Freien Vereinigung deutscher Maler und Anstreicher sämtliche bei den dortigen Meistern noch beschäftigten organisierten Gehilfen die Arbeit nieder.
Die Damenschneider von Elberfeld und Barmen sind, wie W. T. B.“ meldet, in eine Lohnbewegung eingetreten; sie haben ihren Firmen bereits einen Tarifvertrag vorgelegt. — In Barmen sind auch die Holzarbeiter in eine Lohnbewegung eingetreten. In einer stark besuchten Versammlung der drei Verbände: Hirsch⸗Dunckerscher Gewerkverein, christlicher Holzarbeiterverband und deutscher Holjarbeiterverband, wurden folgende Forderungen auf— gestellt: Neunstündige Arbeitszeit bei gleichem Lohn; die Mittagspause soll 1.5 Stunden betragen; dle ersten zwet Ueberstunden (Abends von 6 bis 8 Uhr) sollen mit 25 0½, weitere Ueberstunden, Sonn und Feier⸗ tagsarbeit mit 50 0/9 Zuschlag vergütet werden; auswärtige Montage soll mit mindestens 250 S6 für den Tag vergütet werden. Fahrgeld soll für Billette dritter Klasse bewilligt und die Fahrzeit als Ueberstunden berechnet werden; Montage innerhalb der Stadt unterliegt der freien Vereinbarung. Die Forderungen wurden den Arbeitgebern mit dem Er suchen überreicht, spätestens bis zum 9. März zu antworten. 8. die Forderungen abgelehnt werden, soll der Ausstand erklärt werden.
In Posen sind, wie die „Köln. Ztg.“ erfährt, die Arbeiter der chemischen Fabrik, Aktiengesellschaft, vorm. Milch u. Co., in den Ausstand getreten. Nachdem die Direktion Ende Januar fteiwillig die Löhne erhöht hatte, haben die Arbeiter durch den polnischen Verband neue Forderungen gestellt, die abgelehnt wurden. Die Direktion sucht Ersatz für die Ausständigen.
In Moskau ist, wie dem . W. T. B.“ gemeldet wird, ein Aus⸗ stand der Schriftsetzer ausgebrochen. In den größeren Druckereien sind die Streikenden ier abgelohnt worden.
In Madrid versuchten dreihundert ausständige Maurer Arbeitswillige zur Einstellung der Arbelt zu zwingen. Als Gendarm en dazu kamen, erfolgte ein Zusammenstoß, in dessen Verlauf, . W. T. B. zufolge, ein Ausstaͤndiger durch Schüsse getötet und mehrere andere verwundet wurden.
Den Nachrichten des W. T. B.“ aus Bilbao zufolge soll die Streiklage in den Bergwerksgebieten sich juspitzen. Die Be⸗ hörden haben Vorsichtsmaßregeln getroffen und Gendarmerietruppen zusammengezogen.
Kunst und Wissenschaft.
v. A. Der Schultesche Kunstsalon bringt in seiner neu eröffneten Ausstellung mehrere umfassende Sammlungen von Werken solcher Künstler, die bisher nur hier und da mit einer oder der anderen Arbeit vor die Oeffentlichkeit traten. So verschieden diese Maler untereinander sind, so haben sie doch einen gemeinsamen Grund⸗ zug: sie sind keine unmittelbar schöpferischen Naturen, die Neues sehen und zum Ausdruck bringen, sondern Künstler, die das, was andere ge— staltet haben, weiterzuführen und auszubauen wissen, es in geschmack— voller Welse verwertend; sie sind nicht Söhne, sondern Enkel der Natur. Da sie sich aber um eine gute Technik bemühen und ehrlich arbeiten, gehören sie jweifellog zu den kulturfördernden Kräften, die auf dem, was genialere Naturen schufen, fußen und es einem größeren Kreis zu vermitteln wissen. Aesthetizismus und gedankliche Richtung überwiegen, ursprüngliches, kräftiges Gefühl fehlt, an seine Stelle tritt das Nachempfinden.
Die originellste und stärkste Begabung unter ihnen ist der Amerikaner Fred. Carl Frieseke, der in seinen Arbeiten doch ein ganz Persönliches zum Ausdruck zu bringen weiß und bei aller fast raffinierten Farben kombination den er und klarsten Blick
fũr die Natur hat. Er gibt Frauenakte bon
Sein Stoffgebiet ist ein ganz beschränkles. Frauenbildnisse in sein abgestimmten Interieurgz, ü zarter Beseeltheit der Form und warmer Schönbeit. Seine Farben haben alle den zarten, goldigen, blassen Gobelinton; Unendlich weich, fein und reich find die Uebergänge, ist die Fülle seiner Töne. Die Bilder wirken in ihrer Farbenharmonie wie Musik, mit leichter Hand weiß er sie auf einen Ton zu stimmen. Hier gibt er eine Stimmung in Gelb, wie in dem Bild der Dame mit Tulpe, dort eine in Rot, wobei so verschiedene Töne wie dag gelbliche Rot der Kresse und das jarte Rofa der Korallen zueinander gestimmt werden, dort wieder dominiert Grün un bier Rosa — immer aber find alle Farben mit der größten Diskretion behandelt, nie stört ein greller oder auch nur starker Ton. Daß sie trotzdem nicht weichlich oder in dieser Fülle eintönig oder ermüdend wirken, liegt daran, daß Frieseke ein , e. Zeichner ist und durch die Art seiner Beobachtung und Wiedergabe immer interessieren wird. Es liegt ein vollendeter Schönheitesinn in der Art, wie er einen Körper modelliert, wie er das weiche Spiel der Muskeln, den zarten Schatten zeigt und allen feinen, leisen Linien folgt. Auch drei kleine Landschaftsstudien bat er ausgestellt, in denen man gleichfalls ein Auge spürt, das mst besonderer Liebe auf den Dingen ruht und ihnen viel Schönes ab= zusehen weiß.
Ein zweiter Maler, bei dem in erster Linie Geschmack und Farbenkultur zu erwähnen sind, ist der Münchener Maler Wolff Zamzow. Aber er ist nicht so einheitlich und klar bestimmt wie Frieseke, sondern das Bächlein seiner Kunst bat aus mancherlei Quellen Zufluß erhalten. Zunächst bat er sich der ganz erstaunlich verbreiteten Mode, die Menschen, die dargestellt werden, in Biedermeler⸗ kostüme zu stecken, nicht entziehen können. Ez liegt doch ein gewisses Versagen in solchem Maskieren. Wird eine Frühlingswiese wirklich inniger und poetischer, wenn eine Dame in bauschigem, geblümtem Kleid darin herumspaziert und Kinder in langen plumpen Höschen und kurzen Kitteln, wie sie zu Runges Zeit getragen wurden, darauf Blumen pflücken? Die Ueberzeugung, daß es so sei, ist jedenfalls sehr verbreitet, es ist ein Flüchten ins Zeitlose, ins Märchenland. Da wirken auch Einflüsse von Worpswede mit und von Hengeler, ja, selbst von Ludwig von Hofmann, und in der weichen, geschmackrollen, etwas pastos aufgetragenen Farbe ist der Anklang an Bill, der auf Müncken ungemein stark gewirkt hat, unverkennbar. Worauf es hier jedoch ankommt, ist, daß diese verschiedenen Einflüsse mit großem Geschmack verarbeitet sind, daß Wolff⸗Zamzow genügend Begabung besitzt, um sich nicht ju verlieren, sondern in all diese fremden Zutaten noch den Einschlag eigener Persönlichkeit zu geben weiß. Dadurch wird der Mangel an Originalität weniger empfindlich, und es bleibt noch viel, an dem man sich zu freuen vermag.
Sehr wenig unmittelbar ist auch Edmund Steppeg, und bet ihm tritt es vielleicht am klarsten zutage, wie sehr er seine Empfindungen aus zweiter Hand erhält. Er hat eine Reihe von Landschaften ausgestellt, Symphonien in Grün und Blau, etwas bart in Farbe und Umrissen, aber kräftig in der Zeichnung, besonderz der Bäume und des welligen Bodens. Aber er will mit den Bildern nicht etwa einen Natureindruck, den er empfangen hat, wiedergeben; sie sind ihm nur Mittel, eine musikalische Stimmung auszudrücken. Eine heitere Wiesenlandschaft mit licht und klar zum Himmel aufsteigenden Wolken nennt er An Moiart“, eine andere An Haydn“, eine Abendstimmung mit auf— steigender Dämmerung betitelt er Adagio“. Auch hat man vor den Arbeiten nirgends den Eindruck eines starken, persönlichen Erlebens, sie berühren nicht mit unmittelbarer Wahrheit. Schließlich ist noch Woldemar Graf von Reichenbach mit einer Sammlung vertreten. Bei ihm überwiegt das gedankliche Element. Er malt den Schuldbelasteten, der im Schlaf eine Stunde des Vergessens findet, Christus im Gebet, den der Engel stärkt, den Gestorbenen, dem, ehe er zum Hadeg fährt, der Trank des Vergessens gereicht wird. In Auffassung und Dar stellung wirkt er ziemlich akademisch, die Farben erscheinen hart, ist metallisch. Zu seinen besten Arbeiten gehören das auch im Ton wärmere Bild „Faun und Silen', und ein kleines Frauenporträt, das sich durch seine ehrliche liebevolle Charakteristik auszeichnet.
Ferner haben noch ausgestellt Martin Brandenburg, der, da er rein phantastisch bleibt, nicht sehr günstig wirkt, Alice Plehn, die weiche neblige Bilder aus London und Paris und ein paar kraft— volle Blumenstücke gesandt hat, John Terris, von dem seine durch⸗ sichtigen, kräftigen Aquarelle zu sehen sind, Dreydorf, dessen sommerliche, sonnige Studien frisch und wahr wirken, Max Burg⸗ meier, der etwas harte, stilisierte und steif aufgebaute schaften gibt
Land⸗
Ueber die Gebirne von Theodor Momm sen, R. W Bunsen und Ad. Menzel veröffentlicht der Berliner Pathologe D. von Han semann Untersuchungen in der Bibl. med. Abt. A Anat. Aus allen bisher angestellten Beobachtungen hat sich ergeben, daß die ze, di ie Fassungsweite des Schädels innerhalb der en auf die besondere Tätigkeit des Gehirnes einen
Es gibt bervorragend begabte Menschen
bte mit großem Kopf. Auch das Gehirn—
ufluß auf die Fähigkeiten des Gehirns, so⸗ große Unterschiede handelt; das Gehirn. ich abhängig von dem jeweiligen Grad der Durchfeuchtung. nders liegt die Beziehung der Zahl, der Torm und Anordnung der Hirnwindungen zu der Gehirnfähigkeit. Derjenige wird die größte Gehirntätigkeit entfalten, der die größte Gehirnoberfläche besitzt, vorausgeseßt, daß diese Größe nicht durch krankbafte Vorgänge bedingt ist. Cine Vergrößerung der Rinde wird aber viel weniger durch eine allgemeine Vergrößerung des ganzen Gehirns erreicht, als vielmehr durch eine stärkere Sliederung, wodurch die Oberfläche des Gehirns um das Mittel von etwa 2000 Geviertzentimetern sehr erheblich schwanken kann. Genaue Messungen führen aber leider wieder nicht zu einem bestimmten Ergebnis, da es unmöglich ist, die Flächen bis in die Tiefe der Furchen hinein u messen. Die starke Gliederung der Gehirnoberfläche aber gibt immerhin allein noch keine Gewähr, daß die Betreffenden besonders begabt sind, wie verschiedene Beispiele lehrten. Dazu ist ganz vorzugsweise eine besonders starke Ausbildung der sogenannten Gedankenverbindungsstellen im Gehirn notwendig.
Jedenfalls jeigen die untersuchten Gehirne so bedeutender Männer wie Mommsen, Bunsen und Menzel wieder einmal, daß be⸗ sonders hochbegabte Menschen eine Gehirnform besitzen, zie nicht wesentlich über das hinausgeht, was wir auch bei anderen minder begabten Menschen antreffen. Dabei kommt einem der Gedanke, waz im einzelnen Falle als Genie zu bezeichnen ist. Goethe sagt: Genie ist Fleiß. Aber es hat geniale Menschen gegeben, die nicht fleißig waren, wenn sie auch dann nicht imstande waren, ihr Genie so recht durchzusetzen; Genies, die des Fleißes entbehren, bleiben in den maeisten ö, verborgen. Von Hansemann will als Genie bezeichnen den Menschen, der die besondere Fähigkeit sein eigen nennt, von ihm angestellte Beobachtungen in richtiger Weise zu verbinden und daraus Schlüsse zu ziehen, die von gewöhnlich beanlagten Menschen deswegen nicht gezogen werden, weil ibnen die Zusammengehörigkeit der Beobachtungen nicht auffällt. Zweitens äußert sich nach von Hansemann die Arbelt des Genies darmn, daß jwar auf der Grundlage des Bestehenden, aber doch weit darüber hinaus etwas ganz Neues geschaffen wird, dem eine unmittelbare Be—= obachtungsgrundlage fehlt, die gewissermaßen aus dem „Nichts“ heraus das Neue schafft.
gewicht
Theater und Musik.
Im Königlichen Opernhause geht morgen, Mittwoch, die eingktige Operette „Die Verlobung bei der Laterne“ von J. Sffen⸗ bach in Verbindung mit dem Ballett Coppelia', Musik von 8 Delibes, in Szene. Fräulein Dell Era tanzt die Swanllda; in der Operette sind die Damen Dietrich, Lieban. Globig, Rothauser sowie Herr Lieban beschäftigt. Dirigent ist Dr. Besl.