1907 / 61 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 08 Mar 1907 18:00:01 GMT) scan diff

von Auslösungsgebühren an die Zweiggemelnde und von Einkauft— gebühren an die St. a,,, befreit sein sollen.

Diese Urkunde tritt am 16. Mar; 1907 in Kraft.

Berlin, den 15. Februar 1907. 6 Berlin, den 22. Februar 1907. Königliches Konsistorium (L. S.) der Provinz Brandenburg. Der . Abteilung Berlin. Königliche Polizeipräsident. Steinhausen. von Borries.

Vorstehende Urkunde bringen wir hierdurch zur öffentlichen Kenntnis. Zugleich ordnen wir zwecks Ausführung der Parochialregulierung, folgendes an:

1) Der Inbaber der zweiten Pfarrstelle an der Gethsemane⸗ Kirche, Pastor Hörnicke tritt mit dem 16. März 1907 als Erster Pfarrer zur Kirchengemeinde Gethsemane II (Nord) über. Die interimistische Verwaltung der zweiten Pfarrstelle übernimmt der Hilfsprediger

Kaeding. J

Die genannten Geistlichen werden auch die Anmeldung der in dem neuen Parochialbezirke wahlberechtigten Gemeinde glieder jur Wählerliste während der durch Kanzelabkündigung noch zu bestimmenden Tagesstunden in dem Predigtsaal Schön⸗ hauser Allee 104 bezw. in ihren Wohnungen entgegennebmen.

2) Die Zabl der zu wählenden Kirchenältesten beträgt 12, sodaß nach 5 28 Kirch. Gem. u. Synod. Ordng. 36 Gemeindevertreter zu wählen sind. .

3) Etwaige bei dem Pfarrer Hörnicke anjubringende Rekla⸗ mationen gegen die Wählerliste und ebenso etwaige ebenfalls bei dem

farrer Hörnide zu erhebende Einsprüche gegen die Wahl der eltesten und Gemeindevertreter sind von diesem dem Vorstande der Kreissynode Berlin⸗Stadt III gemäß §§ 36 und 40 Kirch. Gem. und Synod.⸗Ordng. zur Entscheidung vorzulegen, da es zur Zeit an einem Gemeindekirchenrat der Kirchengemeinde Gethsemane 11 Mord) fehlt.

4) Die ersten Erneuerungswahlen der kirchlichen Körperschaften der Kirchengemeinde Gethsemane II (Nord) haben im Herbst 1909 stattzufinden. Die mit dem Ablauf des Jahres 1909 ausscheidende Hälfte der gewählten Aeltesten und Gemeindevertreter ist gemäß § 43 Absatz 3 Kirch. Gem.! u. Synod. Ordng. rechtzeitig durch Auslosung zu bestimmen. .

5) Der Kirchengemeinde Gethsemane I e. wird als gottes⸗ dienstliche Stätte zunächst der seitens der Gethsemane Kirchengemeinde gemietete Predigtsaal Schönbauser Allee 104 hierselbst überwiesen, während fur die Errichtung einer Kirche für die Zweiggemeinde das seitens der Berliner Stadtsynode zu diesem Zwecke bereits eigentümlich erworbene, bierselbst Kugler und Wisbyerstraße belegene, im Grund⸗ buche des Königlichen Amtsgerichts Berlin⸗Wedding von den Nieder- schöõn hausener Fart len Band 27 Blatt Nr. 950 und Blatt Nr. 959 verjeichnete, 29 a 48 4m große Grundstück in Betracht kommt.

Eine sonstige Ausstattung erhält die Zweiggemeinde von ihren Stammgemeinden nicht. z

Im übrigen halten wir es für wünschenswert, daß sich der Gemeindekirchenrat der Gethsemang Kirchengemeinde im Einvernehmen mit dem Pfarrer Hörnicke der Armen. und Krankenpflege in der Kirchengemeinde Geihsemane II (Nord) bis zur Einführung ihrer eigenen Aeltesten in ibr Amt annimmt.

Berlin, den 5. März 190.

. Königliches Konsistorium der Provinz Brandenburg. Abteilung Berlin. Steinhausen.

ö

betreffend die Errichtung einer evangelischen Kirchengemeinde Gethsemane HI (Ost) zu Berlin.

Mit Genehmigung des Herrn Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten und des Evangelischen Oberkirchenrats sowie nach Anhörung der Beteiligten wird von den unterzeichneten Behörden hierdurch folgendes festgesetzt:

1

Die Evangelischen in demjenigen Gebiet von Berlin, welches umgrenzt wird:

a. im Westen: vom Schnittpunkte der Mittellinie der Treskow⸗ straße mit der Mittellinie der Franseckistraße an durch die erst⸗ genannte Mittellinie und deren nördliche Verlängerung bis jum Schnittpunkte dieser Verlängerung mit der Verlängerung der Mittellinie der Lychener Straße auf der Danzigerstraße und durch die Mittellinie der Lychener Straße bis zum Schnitt- punkte derselben mit der Ringbahn,

b. im Norden: von diesem Schnittpunkte an durch die südliche Grenze des Bahnkörpers der Ringbahn bis jum Schnittpunkte derselben mit der Parochialgrenze der evangelischen Immanuel Kirchengemeinde zu Berlin,

c. im Osten: von da ab durch die Parochialgrenze der Immanuel Kirchengemeinde bis zum Schnittpunkte derselben mit der Mittellinie der Franseckistraße,

d. im Süden: von diesem Schnittpunkte an durch die Mittellinie der Franseckistraße bis zu dem zu a genannten Ausgangspunkte,

werden aus der Gethsemane Kirchengemeinde ju Berlin ausgepfarrt und ju einer selbständigen Kirchengemeinde Eethsemane II (Ost) vereinigt.

II. ;

Die dritte Pfarrstelle der Gethsemane- Kirchengemeinde geht mit ihrem derzeitigen Inhaber als erste Pfarrstelle auf die neue Kirchen⸗ gemeinde über. In dieser Gemeinde wird außerdem noch eine zweite Pfarrstelle errichtet. ö.

II.

Für die neue Kirchengemeinde gelten bis auf weiteres die gegen—⸗

wärtigen Gebührenordnungen der Gethsemane⸗Kirchengemeinde. IV.

Die neue Kirchengemeinde hat solange, bis sie in den Besitz eines

ebrauchsfähigen Kirchhofs gelangt, das Recht der Mitbenutzung des

tchhofs der Gethsemane Kirchengemeinde zu Nordend bei Nieder⸗ Schönhausen dergestalt, daß

a. die Verwaltung dieses Kirchbofs allein der Stammgemein de verbleibt, welche auch alle Verwaltungs und Unterhaltungẽkosten allein zu tragen hat,

b. die Zweiggemeinde nur die Stolgebühren für die Begräbnisse ihrer Mitglieder auf diesem Kirchhofe sowie die Auslösungsge bühren im Falle der Beerdigung von Mitgliedern auf anderen Kirchhöfen beneht, während alle übrigen Gebühren der Stammgemeinde zufließen.

64.

Diese Urkunde tritt am 15. Mär 1907 in Kraft.

Berlin, den 15. Februar 1907.

(C . S.) Berlin, den 22. Februar 1907.

Königliches Konsistorium C- 8

der Prodinj Brandenburg. Der

Abteilung Berlin. Königliche Polijeipräsident. Stein hausen. von Borries.

Vorstehende Urkunde bringen wir hierdurch zur öffentlichen Kennmis. Zugleich ordnen wir zwecks Ausführung der Parochialregulierung folgendes an:

I) Der Inbaber der drüten Pfarrstelle an der Gethsemane⸗Kirche, Paftor Wittenberg tritt mit dem 16. März 1907 als Erfter Pfarrer zur Kirchengemeinde Gethsemane III (Ost) über. Die interimistische Verwaltung der jweiten Pfarrstelle übernimmt der Hilfaprediger Managelsdoꝛf.

2

Die genannten Geistlichen werden auch die Anmeldung der in

Wählerliste während der durch Kanzelabkündigung noch zu bestimmenden Tagesstunden in dem Predigtsaal Raumerstraße 17 bezw. in ihren Wohnungen entgegennehmen.

2) Die Zabl der zu wählenden Kirchenältesten beträgt 12, sodaß nach § 28 Kirch. Gem. u. Synod.⸗Ordng. 36 Gemeinde vertreter zu wählen sind.

3) Etwaige bei dem Pfarrer Wittenberg anzubringende Rekla⸗ mationen gegen die Wählerliste und ebenso etwaige ebenfalls bei dem Pfarrer Wittenberg zu erhebende Einsprüche gegen die Wabl der Aeltesten und Gemeindevertreter sind von diesem dem Vyoistande der Kreissynode Berlin⸗Stadt III gemäß §§ 36 und 40 Kirch. Gem.“ u. Synod. - Ordng. jur Entscheidung vorzulegen, da es zur Zeit an einem Gemeindekirchenrat der Kirchengemeinde Gethsemane III (Ost) fehlt.

4) Die ersten Erneuerungéwahlen der kirchlichen Körperschaften der Kiichengemeinde Gethsemane III (Ost) haben im Herbst 1909 stattzufinden. Die mit dem Ablauf des Jahres 1909 ausscheidende Hälfte der gewählten Aelteften und Gemeindevertreter ist gemäß § 43 Absatz 3 Kirch⸗Gem.« u. Synod. Ordng. rechtzeitig durch Auslosang ju bestimmen.

5) Der Kirchengemeinde Gethsemane III (Ost) wird als gottes dienstliche Stätte zunächst der seitens der Gethsemane⸗Kirchen⸗ gemeinde gemietete Predigtsaal Raumerstraße 17 hierselbst überwiesen, während für die Errichtung einer Kirche für die Zweiggemeinde das seitens der Berliner Stadtspnode zu diesem Zwecke bereits eigen tümlich erworbene, hierselbst an der Senefelderstraße belegene, im Grundbuche des Königlichen Amtsgerichts Berlin⸗Mitte von der Königstadt Band 117 Blatt Nr. 5364 verzeichnete, 750 4m große Grundstück in Betracht kommt.

Eine sonstige Ausstattung ethält die Zweiggemeinde von ihrer Stammgemeinde nicht.

Im übrigen balten wir es für wünschenswert, daß sich der Ge— meindekirchenrat der Gethsemane Kirchengemeinde im Einvernehmen mit dem Pfarrer Wittenberg der Armen und Krankenpflege in der Kirchengemeinde Gethsemare III (Ost) bis zur Einführung ihrer eigenen Aeltesten in ibr Amt annimmt.

Berlin, den 5. März 1907.

. Königliches Konsistorium der Provinz Brandenburg. Abteilung Berlin. .

Aichlamtliches.

Den tsches Reich.

Preußen. Berlin, 8. März.

Ihre Majestät die Kaiserin und Königin empfingen heute im Königlichen Schlosse zu Berlin im Anschluß an die Audienz bei Seiner Majestät dem Kaiser und König den abberufenen französischen Botschafter Bihourd in Abschieds⸗ audienz.

In der am 7. d. M. zunächst unter dem Vorsitz des Staats⸗ ministers, Staatssekretärs des Innern Dr. Grafen von Posadowsky⸗Wehner und später unter dem Vorsitz des Bayerischen Gesandten Grafen von Lerchenfeld abgehaltenen Plenaärsitzung des Bundesrats gedachte der Vorsitzende mit ehrenden Worten des verstorbenen Staatsministers, früheren Staatssekretärs des Innern Dr. von Boetticher.

Von der Versammlung wurde den Ausschußanträgen, be— treffend den Zollverwaltungskostenetat für das Großherzogtum Luxemburg, und betreffend den Entwurf eines Gesetzes über die Besteuerung des Bieres in Elsaß⸗Lothringen, zugestimmt. Annahme fanden ferner die Ausschußanträge, betreffend Zulassung eines Lohn ⸗Veredelungsverkehrs mit ausländischen bearbeiteten Radkörpern, und be— treffend Zulassung eines Veredelungsverkehrs mit festen Quebrachoholzauszügen. Die Vorlage, betreffend den Vertrag zwischen dem Deutschen Reiche und den Niederlanden über die gegenseitige Anerkennung der Aktiengesellschaften und anderer kommerziellen usw. Gesellschaften, wurde den zuständigen Aus— schüssen überwiesen. Außerdem wurde über mehrere Eingaben Beschluß gefaßt. .

Heute hielten der Ausschuß des Bundesrats für Handel und Verkehr sowie die vereinigten Ausschüsse für Justizwesen und für Handel und Verkehr Sitzungen.

Das Königliche Staats ministerium trat unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Fürsten von Bülow heute zu einer Sitzung zusammen.

Mit dem am 6. März zu Naumburg verstorbenen Staats— minister Dr. Karl Heinrich von Boettich er ist ein hervor⸗ ragender Staatsmann der neueren deutschen Geschichte aus dem Leben geschieden. Geboren am 6. Januar 1833 in Stettin als Sohn des nachmaligen Chefpräsidenten der Oberrechnungs⸗

kammer, wuchs er in den Traditionen des preußischen Beamten⸗

tums auf, zu dessen Zierden er später gehören sollte. Nach kurzer Tätigkeit im Kommunaldienste, auf die er mit besonderer Befriedigung als eine Schule praktischer Arbeit zurückblickte, stieg er in rascher Folge 1872 zu den Aemtern des Land⸗ drosten von Hannover, 1876 des Regierungsvizepräsidenten in Schleswig und 1879 des Oberpräsidenten von Schleswig—⸗ Holstein 2. Früh in das parlamentarische Leben als Mit⸗ glied des preußsschen Abgeordnetenhauses und während kurzer Zeit auch als Mitglied des Reichstags eingetreten, wurde er aus der Stellung als Oberpräsident der Provinz Schleswig- Holstein, in welcher Eigenschaft er dem Fürsten Bismarck persönlich näher getreten war, am 12. September 1880 zum Staatssekretär des Innern und zum Staatsminister er⸗ nannt. Durch nahezu 17 Jahre hat er als Stellvertreter des Reichskanzlers tief gehenden Einfluß auf die Entwicklung der Gesetzgebung und der Verwaltung des Reichs geübt. Ein Jahr nach seinem Eintritt in den Reichsdienst erging die Allerhöchste Order vom 17. November 1881, die die Grundlinien der Sozialpolitik des Reichs zog und den Weg wies, auf dem

der soziale Friede im Sinne der Grundsätze des praktischen

Christentums angestrebt werden sollte. Das Krankenversiche⸗ rungsgesetz von 1883, das Unfallversicherungsgesetz von 1884 und das r von 1889, das als das eigenste Werk des heimgegangenen Staats mannes bezeichnet werden muß, sind die Grundpfeiler der großen Versicherungsgesetzgebung des Reichs geworden. Neue Ge—⸗ danken, deren Vorbildlichkeit sich im Laufe der seit dem Erlasse dieser Gesetze verflossenen Zeit mehr und mehr herausstellte,

dem neuen Parochialbenrte wahlberechtigten Gemeindeglierer zur und deren segensreiche Verwirklichung auch die ursprünglichen

Gegner dieser Gesetzgebung nicht mehr verkennen, sind damit in die Organisation des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens eingefügt. Boetticher ist der Träger dieser Gesetzgebung ge⸗ wesen in den langwierigen Vorverhandlungen, hat sie mit be⸗ wundernswerter Geschicklichkeit, mit fester Energie, mit einer nie ermüdenden Arbeitskraft durch alle Stadien bis zu ihrer Verabschiedung geführt. Er war hierbei von tiefem sozialen Empfinden geleitet, das in der Rede, mit der er das Invalidengesetz der Annahme des Reichstags empfahl, in den Worten ausklang: Liebet Eure Brüder! Neben der Schöpfung der Versicherungsgesetzgebung ging unter seiner r d , eine Umgestaltung der Gewerbeordnung einher, die den berechtigten Bedurfnissen der Lohnarbeiter nach an⸗ gemessener Regelung des Arbeitsverhältnisses Rechnung zu tragen suchte. Nicht minder Großes leistete er durch das Handwerkergesetz, welches den Bestrebungen des Mittelstandes nach gesetzlicher Förderung und Organisation entgegenkam; in gleicher Richtung bewegte sich sein Eintreten für das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Der Kreis der Aufgaben des Reichsamts des Innern wuchs unter ihm mit der Ausdehnung der Verwaltungstätigkeit des Reichs. Der Kaiser Wilhelm-Kanal, das Bindeglied zwischen den deutschen Meeren, wurde unter seiner Leitung erbaut, das Reichsversicherungeamt, die Physikalisch⸗Technische Reichs— anstalt und zahlreiche andere Organe wurden den Behörden des Reichs hinzugefügt.

Die Bände des Reichsgesetzblatts von 1880 bis 1897 verzeichnen die Fülle gesetzgeberischer Arbeiten, an denen er den hervorragendsten Anteil gehabt hat.

Nahezu zehn Jahre hindurch war er der treue, hingebungs⸗ volle, auf die Gedanken des großen Kanzlers mit , . und tiefem Verständnis eingehende erste Helfer des leitenden Staats— mannes, der wiederholt bekannte, daß er ohne den Entschlafenen die innere Reichspolitik nicht hätte durchführen können. Seit 1888 war Boetticher auch Vizepräsident des preußischen Staatsministe⸗ riums, nachdem er vorher eine Reihe von Jahren das preußische Handelsministerium mitverwaltet hatte. Einer solchen viel⸗ seitigen, nach allen Richtungen des staatlichen Lebens sich ver⸗ zweigenden Tätigkeit konnte nur die Vereinigung so ungewöhn— licher Gaben, wie Boetticher sie besaß, gerecht werden. Die rascheste Auffassung, ein scharfer kgis * Verstand, ein angeborenes Gefühl für das Mögliche in der Politik, das volle Vertrauen in die Zukunft des deutschen Volkes, daneben eine glänzende Beredsamkeit, die schlagfertig war, ohne je zu verletzen, ein echter Humor im Sinne seines Lieblingsdichters Reuter und eine gewinnende persönliche Liebenswürdigkeit ver⸗ einigten sich in ihm, um ihn zu den Erfolgen und Leistungen seines Lebens zu befähigen. Unvergessen wird die Art sein, wie er in seiner langen Laufbahn als Staatssekretär des Innern und Stellvertreter des Reichskanzlers die Geschäfte des Bundesrats leitete, die ihm das Vertrauen aller, die Freundschaft von zahl⸗ reichen Vertretern der verbündeten Regierungen eintrug. ih in der parlamentarischen Tätigkeit sowohl im Plenum wie in den Kommissionen genoß er nahezu bei allen Parteien hohes Ansehen. Wer ihm persönlich nahegestanden, weiß, daß die Angriffe, die nach dem Rückttitte des Fürsten Bismarck gegen ihn erhoben sind, vor der Geschichte nicht werden bestehen können. In tiefer Dankbarkeit, in immer bis in die letzten Jahre betonter Bewunderung hing er dem Fürsten Bismarck an, und oft hat er es ausgesprochen, daß aus seinem Munde und aus seiner Feder nie ein Wort fließen würde, welches geeignet sein könnte, dem deutschen Volke das Andenken an seinen großen Staatsmann auch nur im geringsten zu trüben.

Nachdem ihm am 1. Juli 1897 die erbetene Entlassung aus dem Amte als Staatssekretär des Innern und Stell⸗ vertreter des Reichskanzlers unter der Zusicherung der Wieder— verwendung im Staatsdienst in Gnaden erteilt war, wurde er am 6. November 1897 zum Oberpräsidenten der Provinz Sachsen ernannt, ein Amt, das er vom 1. Januar 1898 bis zum 1. Juni 1906 bekleidete. Die Dankbarkeit und Ver⸗ ehrung, die ihm bei seinem Scheiden aus dieser Stellung von der ganzen Provinz bezeugt wurde, waren die Frucht der Hingabe und der erfolgreichen Tätig⸗ keit, die er, wle 6 im weiten Rahmen der Reichs⸗ politik, nunmehr in dem begrenzteren Umfange für die ihm anvertraute Provinz entfaltet hatte. Die vielen Freundschaften, die er sich in der Provinz Sachsen erworben, veranlaßten ihn, seinen Wohnsitz in der ihm zuständigen Kurie des Domkapitels in Naumburg zu wählen, dem er schon seit 1883 als Kapitular und in weiterer Folge als Senior und Domdechant angehörte. In voller Rüstigkeit ist er aus dem Staatsdienste geschieden, aber die Hoffnung, daß es ihm vergönnt sein würde, nach so langer auf⸗ opfernder und segensreicher Tätigkeit einen schönen, von der Liebe und Verehrung weitester Kreise erhellten Lebensabend zu genießen, hat sich nicht erfüllt. Den bis ins Greisenalter kräftigen und aufrechten Mann, dem noch lange Jahre des Lebens bevor⸗ zustehen schienen, hat unerwartet der Tod hinweggerafft.

In allen seinen Stellungen hat er sich, ein treuer und erprobter Diener seiner Kaiserlichen und Königlichen Herren, der Allerhöchsten Huld und Gnade zu erfreuen gehabt. Dem Hohen Orden vom Schwarzen Adler, der ihm im Früh⸗ jahre 1890 verliehen wurde, folgte 1897 die Verleihung des Wilhelmsordens. Bei der Eröffnung des Kaiser Wilhelm⸗Kanals verlieh ihm Seine Majestät der Kaiser und König Allerhöchst⸗ seine Porträtbüste in Marmor. Der Königliche Dienst wie das Vaterland haben mit dem Hingange Boettichers einen schweren Verlust erlitten. Ihn zierten die Tugenden des alt⸗ preußischen Beamtentums, freundlich erhellt durch sein warmes Herz und seinen humanen Sinn. In der Oeffentlichkeit weniger hervorgetreten, aber um so üefer in seinen Nach⸗ wirkungen ist das Verhältnis, das er zu den ihm unter— stellten Beamten gehabt hat. Wohl keiner, der unter ihm ge⸗ arbeitet, wird ihm nicht die wärmste persönliche Dankbarkeit, die innigste Verehrung entgegengebracht haben. Mit Sach⸗ kunde und weitem Blick trat er für die Hebung auch der unteren und mittleren Beamten ein. Er ist der Begründer des preußischen Beamtenvereins in n,. und Miturheber der Begründung des Verbandes deutscher Beamtenvereine, dessen Ehrenvorsitzender er bis zu seinem Hinscheiden geblieben ist. Seine Lebensführung ruhte auf einem tiefen 6 Empfinden; er war ein gläubiger und überzeugter evangelischer Christ. Trotz der aufreibenden, vom frühen Morgen bis in den Abend währenden amtlichen Arbeit verstand er es, das glücklichste und harmonischste Familienleben zu führen, aus dem er immer wieder die Kraft zu neuer Tätigkeit schõpfte⸗ Die schweren Schicksalsschläge, die ihn auch hierin trafen, indem seine beiden ältesten Söhne durch einen jähen Tod in blühender Jugend hinweggerafft wurden, überwand er in hin⸗ gebungsvoller Pflichttreue an sein Amt und in , Beugen unter den Willen Gottes. So blieben bis in sein

hohes Alter seine Lebenskraft und sein Lebensmut ungebrochen. Bie auf wenige seiner Zeitgenossen, paßte auf ihn das Doethesche Wort: Höchstes Glück der Erdenkinder ist nur die

Personlichkeit.

Laut Meldung des, W. T. B.“ geht S. M. S. „Sperber“ heute von Lüderitzbucht nach Saldanhabucht (Kapstadt) in See. S. M. S. „Fürst Bismarck“, mit dem Chef des

greuzergeschwaders an Bord, ist gestern in Hongkong einge⸗

en. S. M. S.

z. „Tiger“ ist gestern in Amoy eingetroffen und geht heute nach

utschau in See.

In der Ersten Beilage fur heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ wird eine y . der Berichte von . für den Monat Februar 1907 veröffentlicht.

Pots dam, 8. März. Ihre Kaiserlichen und König⸗ lichen Hoheiten der Kronprinz und die Kron⸗ prinzessin sind, „W. T. B.“ zufolge, gestern von Sankt Moritz hier wieder eingetroffen.

Braunschweig.

Der Regentschaftsrat teilte dem Landtag den letzten Bundesratsbeschluß mit und wiederholte, wie das W. T. B.“ meldet, seinen Antrag vom 15. Oktober v. J., der Landtag wolle sich damit einverstanden erklären, daß nunmehr die Wahl eines Regenten nach Maßgabe des Regent— schaftsgesetzes von 1879 in die Wege geleitet werde.

Großbritannien und Irland.

Im Unterhause standen gestern zunächst pellatio nen zur Verhandlung.

Auf eine Anfrage Ellis“, ob bei dem jüngsten Besuche des Emirs von Afghanistan in Indien politische Besprechungen stattgefunden hätten, erwiderte der Staats selretär für Indien Morley, nach dem Bericht des W. T. B.“: es hätten keine politischen oder militärischen Besprechungen stattgefunden, es seien weder von der einen noch von der anderen Seite Vorschläge politischen Charakters gemacht, und keinerlei Aendernng der Bejiehungen, wie sie zwischen Großbritannien und Afghanistan auf Grund des Vertrages von 18905 bestehen, sei angeregt worden. Der Staatssekretär des Aeußern Grey erklärte sodann in einer schriftlichen Antwort auf die Frage, ob auf der Haager Konferenz nicht ein Verbot der ferneren Verwen—⸗ dung von Unterseebooten anzuregen sei, es wäre kaum anzu⸗ nebmen, daß die Mächte sich in die Besprechung eines solchen Vor⸗ schlags einlassen würden.

Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde einstimmig die Regierungsforderung angenommen, nach welcher der Effektiv⸗ . an Marinemannschaften auf 128000 Mann fest gesetzt wird. .

Im Laufe der Beratung wurden viele Fragen der Marinepolitik und Verwaltung erörtert. Die Politik der Admiralität wurde im allgemeinen auf beiden Seiten des Hauses gebilligt; einige Radikale wünschten sedoch eine weitere , , der Ausgaben für die Marine. Der Zivil. Lord der Admiralität Lambert machte darauf aufmerksam, daß in dem Marineetat die Forderung von 10 000 Pfund Sterling enthalten sei zum Abschluß der Vorarbeiten für die Er⸗ richtung der Flottenbasis Rosyth.

Frankreich.

In der Delegation der Gruppen der Linken ist gestern beschlossen worden, in der Deputiertenkammer eine von Delcasss beantragte Tagesordnung einzubringen, in der die Regierung aufgeforderk wird, das Gesetz über den wöchentlichen Ruhetag in sehr liberaler Weise anzuwenden und etwaige Abänderungen, die sich als notwendig erweisen sollten, vorzuschlagen. Der Arbeitsminister Viviani er⸗ llärte,, W. T. B.“ zufolge, dem Obmann der Delegation der Linken Sarrien, nachdem er mit dem Ministerpräsidenten Rücksprache genommen hatte, daß er diese Tagesordnung ab⸗ lehnen müsse, da die Regierung keinerlei Abänderungen eines stets von ihr verteidigten Gesetzes vorschlagen könne, und daß er deshalb im Namen des gesamten Kabinetts die Ver⸗ trauensfrage stellen werde. Die Erklärung rief große Be⸗ wegung hervor.

Inter⸗

Rußland.

Gestern ist in Moskau die Universitätskasse von sechs bewaffneten Personen in Studentenuniform beraubt worden. Das „W. T. B.“ berichtet folgende Einzelheiten über die Beraubung: .

Sechs bewaffnete junge Leute in Studentenuniform drangen zestern in die Kanzlei der Universität ein. Zwei begaben sich in den Vassenraum, zwei andere standen in der Kasse und einer an der zum Korridor führenden Tür r. einer mischte sich unter daz Publikum. Hierauf ertönte der Ruf: „Hände hoch!‘ Die Beamten gehorchten sofort, die Räuber begaben sich darauf an die Kasse, in der fich etwa 3d 0090 Rubel befanden, und entleerten diese. Einer von den Räubern, die sich auf dem Korridor aufhielten, schoß auf einen Polizeikommissar, der auf ihn zukam, und tötete ihn mit drei Schüssen. Die Räuber machten sich die entstandene Verwirrung zunutze und entflohen durch die Universttätshöfe, wo die Studenten und Studentinnen dem Be—⸗ i der Räuber Hände hoch!“ bereitwillig gehorchten, bis diese im

reien waren.

Italien.

Der Deputiertenkammer machte gestern der Präsident Marcora Mitteilung von dem Ableben des Ministers Gallo und widmete ihm, „W. T. B.“ zufolge, einen warmen Nach⸗ ruf. Der Ministerpräsident Giolitti ien sich im Namen der Regierung den Worten des Präsidenten Marcorg an. Das Haͤus vertagte sich zum Zeichen der Trauer bis nächsten

ienstag.

Portugal. Der König von Sachsen ist gestern feierlich von Bord des Dampfers „Cap Ortegal“ abgeholt und, ‚W. T. B.“ sufolge, in prunkvollem Zuge vom König, dem Kron⸗ prinzen und dem Herzog von Oporto durch die Stadt nach dem Königlichen Palais geleitet worden.

Serbien.

Aus Anlaß des 25. Jahrestages der P:roklamierung Serbiens zum Königreiche beschloß die Skupschting, gestern leine Sitzung abzuhalten. Am Nachmittag wurde,, W. T. B.“ iufolge, die alljährlich an dem Tage stattfindende Jahres⸗

versammlung der Akademie der Wissenschaften abgehalten, der der König Peter mit dem Kronprinzen und die Mit⸗ glieder der Regierung beiwohnten.

Amerika.

Wie die „Associated Preß“ erfährt, werden die Be⸗ mühungen der Vereinigten Staaten und Mexikos zur Beseitigung der Unruhen, die alle fünf Repu⸗ bliken von Zentralamerika in einen Krieg hineinzutreiben drohen, sich darauf beschränken, die Staaten zu bewegen, daß sie sich einem Schiedsspruch unterwerfen. An eine Inter⸗ vention ist nicht gedacht worden.

Koloniales.

Aus Windhuk in Deutsch-Südwestafrika wird, „W. T. B.“ zufolge, berichtet:

An Krankheiten sind gestorben: Reiter Johannes Never—⸗ mann, geboren am 25. 11. 1884 zu Laupin, früher im Dragoner⸗ regiment Nr. 17, am 1. März im Lajarett ju Keetmanshoop an Herzschwäche nach Typhus, Gefreiter Hermann Thieme, geboren am 29. 9. 1882 zu Hohnstedt, früher im Gardetrainbataillon, am 3. März im Lazarett zu Karibib an Lungenbluten nach Typhus und Reiter Emil Bähtz, geboren am 9. 9. 1884 zu Zitschen, früher im Husaren⸗ regiment Nr. 16, am 4. März in Namutoni an Malaria und Lungen⸗ entzündung.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichstags und der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des gen es , befinden sich in der Ersten und Zweiten

eilage.

Auf der Tagesordnung der heutigen (13.) Sitzung des Reichstags, welcher der Staatssekretär des Reicheschatzamts Freiherr von Stengel und der stellvertretende Direktor der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts Dernburg bei⸗ wohnten, stand die zweite Lesung der Nachtragsetats zum Reichshaushalt und zum Haushalt der Schutzgebiete für 1906. Der erste Nachtragsetat fordert bekanntlich 29 220 000 als Zuschuß zu den Ausgaben infolge Verstärkung der Schutztruppen zur Niederwerfung des Eingeborenenaufstandes in Deutsch Südwestafrika und zur ,. von Ver⸗ stärkungen der Schutztruppe. Hierzu liegt ein Antrag des Zentrums (Abg. Graf Hompesch u. Gen.) vor, statt der ge⸗ forderten Summe nur 20 Millionen zu bewilligen.

Ohne Debatte wurde die höhere Summe gegen die Stimmen des Zentrums, der Polen und der Sozial⸗ demokraten bewilligt. Ebenso wurde die erste Rate von 8 900000 6 für den Bau der Eisenbahn Kubub— Keetmanshoopx ohne Diskussion von derselben Mehrheit genehmigt und der Gesetzentwurf, betreffend die Gewährung eines Darlehns an das südwestafrikanische Schutzgebiet, in zweiter Beratung unverändert im einzelnen angenommen.

Es folgte die erste Beratung der Uebersicht der Reichs⸗ einnahmen und -ausgaben für das Rechnungs— jahr 1905.

Die Uebersicht wurde nach kungen des Abg. Hug Gentr.) der ͤ überwiesen, desgleichen ohne Debatte die allgemeine Rechnung über den Reichshaushalt für 1902, die Uebersicht der Einnghmen und Ausgaben des ostafrikanischen und des südwestafrikanischen Schutz⸗ gebiets für 1901, der afrikanischen Schutzgebiete, des Schutzgebiets Neu⸗Guinea, der Verwaltung der Karolinen,

alau und Marianen sowie des Schutzgebiets Samoa ür 1903 und die Uebersichten der Einnahmen und Aus⸗ gaben des Schutzgebiets Kiautsch ou für 1904 und 1905.

In der ersten Beratung der Rechnung über den Haus— halt der afrikanischen Schutzgebiete für 1896/97 be⸗ merkte der r

Abg. Erzberger 8e Es ist ein unbaltbarer Zustand, daß 10 Jahre vergangen sind, ehe man uns die Rechnung für 1886 97 über den Haushalt der aftikanischen Schutzgebiete vorlegt. Der Rechnungshof bat eine umfassende Denlschrist herausgegeben, indem er für diese Verspätung mildernde Umstände ins Feld zu führen sucht. Ich gebe zu, daß man nicht für jede Position Belege beibringen kann. Es ergibt sich aber auch aus der Denkschrift, daß überhaupt eine ungenügende Buchführung festjustellen war. Alle Parteien werden mit mir darin übereinstimmen, daß es mit dieser Art der Rechnungskontrolle in den Kolonien nicht so weitergehen kann. Der Abg. Müller⸗Sagan hat im vorigen Jahre . daß, wenn es so weiter gehe, es ju einem moralischen Döbacle in den Kolonien kommen a Es sind Gelder ausgegeben worden, ohne ju fragen, ob sie für den betreffenden Zweck bestimmt waren. Wir müssen berlangen, daß bei einem Etat, wo es sich um Millionen handelt, die eamten der Kolonien sich an die Positionen halten. Ich hoffe, daß die Rechnungskommission, der wohl. diese Sache überwiesen werden wird, sich eingehend damit beschäf⸗ tigt und ung einen eingehenden Bericht erstattet. Eine fernere Frage ist, ob der Reichszuschuß als ein vorbebaltloses Geschenk an die Kolonien anzusehen ist, oder ob Ersparnifse bei den Ausgaben zurückgebucht werden müssen, sodaß im nächsten Jahre ein ge—⸗ ringerer Zuschuß notwendig ist. Auch über die Frage des Ver= wendungsjweckʒ des Reservefonds muß größere Klarheit verbreitet werden. Jedenfalls hat die Denkschrist des Rechnungshofes gezeigt, daß es mit der jetzigen Art der Rechnungslegung absolut so nicht weitergehen kann. . müssen unter allen Umständen eine Be—⸗ schleunigung der Rechnungslegung verlangen. Ich behalte mir vor, in der zweiken Lefung, wenn der Bericht der Rechnungskommission vorliegt, auf die Sache zurückzukommen. w

eheimer Oberfinanzrat Dr. Conze: Wir teilen den Wunsch des Abg. Erzberger, daß die Rechnungskegung der Kolonien schneller in Fluß kommen möchte. Wenn in diesem Jahre zunächst nur die Rechnung von 1896597 vorgelegt werden konnte, so besteht durchaus begründele Hoffnung, daß noch in dieser Session die Rechnung von 1897,98, ja vielleicht die von 1898/99 vorgelegt werden wird. Ein⸗ gebende Verhandlungen mit den Kommissaren des Rechnungs hofes lassen hoffen, daß die Rechnungen künftig erheblich früher vor⸗ gelegt werden werden. Nach einem Schreihen des Rechnungshofes sst bereits in der Rechnungslegung ein gründlicher Wandel eingetreten, und der Rechnungshof wird seinerselts alles tun, was in seinen Kräften steht, um zur Beschleunigung der Rechnungslegung beinutragen.

Die Rechnung wurde der Rechnungskommission über— wiesen. Desgleichen die Rechnungen der Kasse der Preußi⸗ schen Oberrechnungskammer Figlich des Teils, der die Reichsverwaltung für 1903 und 1904 betrifft.

Der Gesetzentwurf, betreffend die Kontrolle des Reichshaushalts, des Landeshaushalts von Elsaßt⸗ Lothringen und des Haushalts der Schutz gebiete für das Rechnungsjahr 1906, wurde in erster Lesung ohne Debatte erledigt und in zweiter Lesung unverändert angenommen.

2 2

einigen kurzen Bemer⸗ Rechnungskommission

Damit war die Tagesordnung erschöpft.

(Schluß 2 Uhr. ächste Sitzung Sonnabend 11 Uhr. Interpellationen Albrecht und Ablaß, betreffend die Einführung von Schiffahrtsabgaben; Interpellation Trimborn, be⸗ treffend die Rechtsfähigkeit der Berufsyereine; Interpellationen der Abgg. Graf Hompesch und Bassermann, betreffend die Reform der Strafprozeßordnung.)

Das Haus der Abgeordneten setzte in der heutigen (29.) Sitzung, welcher der Minister der öffentlichen Arbesten Breitenbach beiwohnte, die zweite Beratung des Staats⸗ haushaltsetats für das Rechnungsjahr 1907 im Etat der Eisenbahnverwaltung fort und verhandelte zunächst über die Reform des Personen⸗ und Gepäcktarifs.

Nach der am 1. Mai einzuführenden Reform sollen die

Preise der einfachen Fahrkarten für 1 Personenkilometer bei Personenzügen betragen? in der J. Klasse 7 3, in der II. Klasse 45 8, in der II. Klasse 3 5, in der IV. Klasse 2 3. Die bisherige Rückfahrtkarte fällt fort. Die Schnellzugszuschläge sollen betragen: bei Fahrten bis zu 75 km O50 (S6 in der J. und II. Klasse, 0 2.5 S in der III. Klasse, bis 1350 km 1 S in der J. und II. Klasse, Oö50 S6 in der III. Klasse, über 150 km 2 66 in der J. und II. Klasse, 1 S in der III. Klasse.

Der Gepäcktarif soll unter Fortfall des bisherigen Freigepäcks nach 15 Entfernungszonen, anfangend mit der „Nahzone“ von 1— 25 km und der 1. Zone mit 238 —– 50 km, dann in den übrigen 13 Zonen steigend um je 50 km bis 500 km und von da an steigend um je 1090 Rm bis zur letzten Zone über 800 km, und nach dem Gewicht, anfangend mit 1—25 kg und steigend um je 25 kg bis 200 kg, abgestuft werden und anfangen mit 0,20 (6 in der Nahzone für 1 bis 265 kg und steigen bis zu 40 M in der Zone über 800 km für I7I6 - 200 kg. Das 200 kg übersteigende Gewicht soll doppelt berechnet werden.

Nach der Vereinbarung dieses Gepäcktarifs mit den übrigen deutschen Staaten ist nachträglich eine weitere Ver⸗ einbarung getroffen, der zufolge der Tarif für die bisherige Freigepäcksgrenze bis 25 kg ermäßigt worden ist und, nach k abgestuft, betragen soll: bis zu 50 km O, 20 M, bis

km O50 66 und darüber hinaus 1 S, und nach der ferner eine Zwischenstufe für das Gewicht von 26— 35 kg eingeschoben werden soll.

Von den Abgg. Aronsohn lfrs. Volksp.) und Genossen wird beantragt:

die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, 1) bei der in Aus- sicht genommenen Personentarifreform auf eine Verbilligung des gesamten Reiseverkehrs bedacht zu sein, außerdem 2) darauf hinzuwirken, daß die im Reich eingeführte Fahrkarten⸗ steuer wieder aufgehoben wird.“

Die Abgg. Bachmann (ul.) und Genossen beantragen:

die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, mit Rücksicht auf die Verteuerung des Personenverkehrs durch die Einführung der Reichs fahrkartensteuer und die dadurch hervorgerufene Verschiebung in der Benutzung der einzelnen Wagenklassen auf einen angemessenen Ausgleich durch Ermäßigung der Eisenbahnpersonentarife Bedacht zu nehmen.“

Abg. Schmedding (Zentr): Ich brauche nicht zu ver⸗ sichern, daß der dem Antrage Aronsohn zu Grunde liegende Gedanke an und für sich meinen politischen Freunden sympathisch ist. Wir gönnen jedem Reisenden, daß er zur Hälfte des Preises im nächsten Sommer nach der Schweiz oder der Ostsee fährt. Die Sache hat aber doch auch ihre Kehrseite. Das Abgeordnetenhaus hat sich im letzten Jahre dafür ausgesprochen, daß eine Reform der Personentarife an den Einnahmen der Eisenbahnverwaltung mög⸗ lichst wenig ändern solle. Sodann steht fest, daß eine Er⸗ mäßigung der Tarife und damit eine Verminderung der Ein⸗ nabmen durch eine Erhöhung der Steuern ausgeglichen werden müßte. Im allgemeinen kann man annehmen, daß der Staats⸗ bürger lieber höhere Fahrpreise als höhere Steuern zahlen würde. Zudem steigen die Ausgaben auf allen Gebieten, vor allen Dingen in der Eisenbahnverwaltung selbst. Dazu kommen das bevor⸗ stehende Lehrerbesoldungsgesetz und das neue Schulunterhaltungsgesetz; ferner sind alle Parteien darüber einig, daß eine allgemeine Erhöhun der Beamtengehälter eintreten muß. Vielleicht wendet man ein, 3. der Personentarife eine Vermehrung des Verkehrs und damit eine Erböhung der Einnahmen der Eisenbahnverwaltung zur Folge haben wird. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß auch eine Vermehrung der Betriebsmittel eintreten würde, die die Einnahmen ver⸗ mindern wurden. Außerdem hat der Personenberkehr auch seine Grenzen. Der Antrag ist für uns also in seinem ersten Teile nicht annehmbar. Auch der jweite Teil ist bedenklich. Es ist wohl nicht anzunehmen, daß der Reichstag die Fabrkartensteuer wieder aufheben wird, nach⸗ dem sie erst im vorigen Jabre eingeführt worden ist.

(Schluß des Blattes.)

eine Verbilligun

Statistik und Volkswirtschaft.

Alkoholismus als Ursache von Verbrechen.

Nach der Statistik der Straf- und Gefangenanstalten des Groß⸗ herzogtums Hessen für das Jahr vom 1. April 1903 bis 31. März 1904 (Darmstadt, Jonghaussche Hofbuchhandlung) kommen, bei Berück- sichtigung der Zu und Abgänge für diese Zeitperiode, 1197 männliche und 164 weibliche, jusammen 1361 Gefangene in Betracht. Von diesen hatten 106 männliche und 4 weibliche, zusammen 119 Gefangene, also 9o/o das Verbrechen, das die Ursache ihrer Unterbringung in Gefangenen⸗ anstalten war, in der Trunkenheit begangen. Gewohnheitstrinker waren unter den Gefangenen 81 männliche und 3 weibliche, zusammen 8, also reichlich 60 /. Von den in der Trunkenheit ausgeführten 110 Verbrechen führten 57 zur Internierung in der Zellenstrafanstalt, 5 zur Unterbringung im Landeszuchthaus, 43 zur Einlieferung in die Gefängniganstalten zu Darmstadt und Mainz. Von den 84 Ge⸗ wohnheitstrinkern befanden sich 29 in der Zellenstrafanstalt, 9 im Landes zuchthaus und 46 in den Gefängnissen.

Zur Arbeiterbewegung.

Der fast neun Wochen dauernde Kampf in der Berliner Holz⸗ industrie dürfte voraussichtlich in allernächster Zeit durch friedliche Verständigung der Parteien sein Ende finden. as Einigungsamt des Berliner Gewerbegerichts hat, wie die Voss. Ztg. berichtet, beiden r . seine Vermittlung angeboten mit dem Erfolg, daß sich

rbeitgeber und Arbeitnehmer zu Cinigungsberhandlungen unter dem Vorsitz des Magistratzrats von Schulz bereit erklärten. Die Ver⸗ handlungen werden voraussichtlich schon Anfang nächster Woche be—⸗ ginnen. In einer Versammlung der ausgesperrten Holzarbeiter, die gestern stattfand, wurde erklärt, die Arbeitnehmer würden auch bei den Einigungeverhandlungen nur dann zustimmeng wenn sie eine Ver kürjung der Arbestszeit bringen. Die Einigungsverhand- lungen der Berliner Kraftdroschkenführer mit den Unternehmern werden, wie dasselbe Blatt erfährt, bereits morgen vor dem Einigungsamt des Gewerbegerichts stattfinden. Die Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden durch je drei Sprecher bei den Verhandlungen vertreten sein. Es ist begründete Hoffnung vor⸗ handen, daß die Verhandlungen zu einer Einigung führen werden.