1907 / 65 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 13 Mar 1907 18:00:01 GMT) scan diff

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kreise diesen Geschäften heranzleh will. Arbelterkteise zu s , , en

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Alle diese Einzelhelten können aber Verjögerung der en erklären. Das retardierende Moment, welches in der Anregung des Dr. Adickes liegt, man müsse zuvor noch die englische e srphehe studieren, kann nicht dahin führen, daß noch länger an dem überlebten Schematismus in der Strafprozeßordnung festgehalten wird, dieser Schematismus kann schen vorher deren werden. Ein solcher Schematismus liegt auch in der Gerichts⸗ verfaffung vor. Kollegialgerichte brauchen wir ef ß. aber das größere Kollegialgericht braucht deswegen noch nicht besser zu sein als das kleinere. Worauf es ankommt, ist eine tüchtige und schnelle Rechtspflege. Mit der Größe der Gerichte darf man nicht über ein beftimmtes Maß hinausgehen, wenn man dem einzelnen Richter nicht das Gefühl der Verantwortlichkeit nehmen will. Die Strafprozeß ordnung ist besonders reformbedürftig; . muß in modernem Sinne, wie es uns zugesichert worden ist, ausgestaltet werden.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieber ding:

Meine Herren! Es wäre nicht richtig, wollte ich leugnen, daß seit dem Tage, als das Reichejustizamt von neuem die Vorarbeiten für die Strafprozeßreform wieder in die Hand nahm, bis zu den ersten Ergebnissen dieser Vorarbeiten längere Zeit verflossen ist, als das hohe Haus erwarten durfte. Ich darf hinzufügen, längere Zeit, als wir im Reichsjustijamt selbst angenommen haben. (Hört! Hörth

Meine Herren, wir im Reichsjustizamt sind mit der Straf⸗ projeßordnung seit langer Zeit so eng verbunden, daß sich daraus für uns von selbst das Verlangen ergibt, möglichst bald zu einem Abschluß dieser schon allzulange sich hinziehenden Reform ju kommen. Aber auf der anderen Seite wäre es auch nicht richtig, anzunehmen, daß bei der Verzögerung, die in den Vorarbeiten leider eingetreten ist, Erwägungen oder Umstände maßgebend mitgewirkt hätten, die nicht in der Sache begründet wären, daß, wie man vielleicht aus den Worten des ersten Herrn Inter⸗ pellanten annehmen könnte, finanzielle Bedenken entscheidend ins Ge—⸗ wicht gefallen wären, oder daß bei irgend einer Bundesregierung oder bei irgend einer Instanz einer der hohen Regierungen das Bestreben obwaltete, die ganze Reform auf Nimmerwiedersehen zu verschieben. Meine Herren, das ist nicht der Fall und ich werde mir erlauben, über die Phasen während der letzten Entwicklung der Reformfrage Ihnen einige nähere Mitteilungen zu machen, die Sie erkennen lassen, worin die Verzögerungen beruhten, und die Sie vielleicht auch be—⸗ stimmen werden, ein milderes Urteil denjenigen Instanzen gegenüber zu fällen, die bei den Vorarbeiten solange zu einem weiteren Fort—⸗ schritt noch nicht hatten gelangen können.

Was den Herrn Reichskanzler beöifft, meine Herren, so hat er jetzt, nachdem die Königlich preußische Regierung mit ihren ersten grundsätzlichen Entschließungen über die Reform zum Ziele gekommen ist, den bestimmten Willen ausgesprochen, daß die Reform mit allen Mitteln von seiten der Reichsverwaltung fortgeführt werden solle, und er hat mir den ausdrücklichen Auftrag gegeben, diese seine Stellung hier im Reichstage zum Ausdruck zu bringen.

Nun, meine Herren, erinnern Sie sich und die beiden Herren Interpellanten haben ja auch den Umstand schon berührt —, daß wir nach Wiederaufnahme der Reform zunächst eine Kommission berufen hatten, die den Auftrag erhielt, alle wichtigeren, hier in Betracht kommenden Fragen zu prüfen. Diese Arbeiten der Kommission haben zwei Jahre in Anspruch genommen und diese beiden Jahre, meine Herren, müssen Sie billigerweise von dem Schuldkonto der Re⸗ gierungen doch abschreiben; denn daß vor dem Abschluß dieser Arbeiten die Regierungen ihrerseits zu den wichtigsten Problemen nicht Stellung nehmen konnten, liegt auf der Hand. Als die Kommission mit ihren Beschlüssen fertig war, haben wir nicht versäumt, sofort die Ver— handlungen und ihre Resultate in vollem Umfange der Oeffentlichkeit zugänglich zu machen.

Die Vorschläge der Kommission haben nun in der Oeffentlichkeit eine Beurteilung gefunden, die an sich wohl geeignet war, den Fort⸗ gang der Reformbemühungen zu verzögern. Die Vorschläge der Kommission, die von den beiden Herren Interpellanten hier, wenigsteng im großen und ganzen, lobend anerkannt wurden, nach meiner Ansicht mit vollem Rechte, sind in der Oeffentlichkeit anfänglich so vielen Anfeindungen begegnet, daß die Regierungen stutzig werden konnten und jedenfalls zunächst die Frage prüfen mußten, ob denn die Kritik die an die Kommissionsvorschläge gelegt wurde, in der Tat berechtigt sei? Aber es wurden darüber hinaus und in Verbindung damit auch Forderungen gestellt, alsbald schon in den ersten Monaten, nachdem die Verhandlungen der Kommission veröffentlicht worden waren, Forderungen auf eine Ausgestaltung des Strafprozesses, die den Regierungen die Frage nahe legen konnte, ob angesichts solcher Strömungen im Volke über⸗ haupt die Zeit gekommen sei, an die Strasprozeßreform ernstlich heranzutreten. Denn, meine Herren, wenn wir eine Reform haben werden, werden wir sie nur haben auf einem Wege vorsichtigen Maß⸗ haltens, wie ihn die Strafprozeßkommission gegangen ist, nicht aber auf dem Wege stürmischer Gedanken, die eine Umgestaltung unseres Prozesses bedingen, wie sie, glaube ich, die Mehrheit dieses Hauses niemals bewilligen wird.

Nun, meine Herren, wir haben im Reichsjustizamt uns durch diese kritischen Beanstandungen nicht abhalten lassen, die Sache weiter zu betreiben. Wir haben noch in demselben Jahre 1905, in welchem die Beschlüsse der Kommission bekannt gemacht wurden, Vertrauensmänner aus den Justiwerwaltungen derjenigen Bundesstaaten hierher ein⸗ geladen, welche bei der Ausarbeitung von Juftijgesetzen hauptsächlich beteiligt zu sein pflegen. Wir haben uns bei dieser Gelegenheit zu unserer Genugtuung überzeugen können, daß auf Grund der klärenden Kommission verhandlungen im großen und ganzen die Anschauungen sich so weit genähert hatten, daß wir mit einiger Sicherheit zu den weiteren Vor⸗ arbeiten übergehen konnten. Das Reichtjustizamt hat sich darauf an die preußische Regierung gewendet und ihr diejenigen Gedanken vorgelegt, von denen wir nach den vertraulichen Vorbesprechungen annahmen, daß sie maßgebend sein könnten für die weiteren Beschlüsse. Nun erhob sich im Schoße der Königlich preußischen Regierung sofort ein Bedenken, das auch bereits bei den vertraulichen Ministerialkonferenjen der Bundesstaaten jum Ausdruck kam, aber damals junächst nicht ver⸗ folgt wurde, das aber von großer praktischer Bedeutung werden mußte, wenn es in der Tat berechtigt war.

Meine Herren, die Kommission hatte vorgeschlagen, die Schöffen gerichte verfassung durch alle Gerichte durchzuführen, und bei den Ver⸗ tretern der Reglerungen war, wenn ich von den Schwurgerichten ab⸗ sehe, die Geneigtheit vorhanden, diesem Vorschlage Folge zu geben, aber vorbehaltlich der Frage: wird es in der wõl kerung auch genügend Latlenmaterlal, geben, um alle Gericht, aus reichend mit Laienrichtern ju besetzen? Dlese Frage Lrachlete

die preußische Justtzverwaltung nicht nur von so großer praktischer Bedeutung, sondern hielt sie auch für so zweifelhaft, daß man be⸗ schloß, darüber im ganzen Staatsgebiet nähere Erhebungen anzustellen. Der preußische Herr Justlzminister hat demzufolge die Oberlandes⸗ gerichte veranlaßt, zuverlässige Ermittlungen anzustellen darüber, ob es möglich sei, die Gerichte zu besetzen in dem Umfange, wie es die Beschlüsse der Kommission zur Folge haben würden. Die Erhebungen, meine Herren, erforderten naturgemäß eine gewisse Zeit, die Sie bei

Ihrer Beurteilung der amtlichen Dispositionen doch beachten müssen.

Die Erhebungen sind verneinend ausgefallen. Aus den Berichten der Oberlandesgerichtspräsidenten ergab sich ganz zweifellos und der preußische Herr Justizminister ist der Auffassung beigetreten —, daß zu einer Besetzung der Gerichte mit Schöffen in dem Umfange, wie es die Strafprozeßkommission vorgesehen hatte, wohl in einigen, immerhin großen Teilen des preußischen Staatsgebiets das Material vorhanden sei, aber in anderen Gebieten nicht vorhanden sei, und daß man des⸗ halb in diesen Gebieten an die Durchführung der Schöffengerichts⸗ verfassung in vollem Umfange nicht denken könne. (Oh! oh! bei den Sozialdemokraten.) Damit trat, meine Herren, an die preußische Regierung die Frage heran: will man überhaupt den Gedanken der Schöffengerichtsverfassung festhalten? will man ihn vielleicht nur teilweise durchführen? oder welchen Weg soll man nun einschlagen?

Als diese Frage noch schwebte, trat nun aber die Bewegung ein, von der auch die beiden Herren Interpellanten gesprochen haben: die Veröffentlichungen, die der Herr Oberbürgermeister Adickes über die künftige Eestaltung des deutschen Projesses mit interefsanten Hin⸗ weisen auf die englischen Erfahrungen veranstaltete. Von diesen Veröffentlichungen konnte man damals sagen: sie waren ein juristisches Ereignis, denn selten hat eine Veröffentlichung, selten haben neue legislatorische Vorschläge in der Weise weite Kreise zu neuen Gedanken und Wünschen angeregt wie diese. Daß die Vorschläge des Herrn Oberbürgermeisters Adickes in ihren letzten Zielen mit einer deutschen Gerichtsverfassung, wie wir sie uns denken, nicht vereinbar sind, das hat wenigstens der eine der Herren Inter- pellanten hier schon bemerkt. Das ist auch die Anschauung der Reichsverwaltung und ich für meine Person stimme darin überein mit dem preußischen Herrn Justizminister, der sich ja darüber schon im Hause der Abgeordneten ausgesprochen bat; ich jweifle auch nicht, daß die übrigen Bundesregierungen im wesentlichen derselben Auffassung sein werden.

Aber auf der anderen Seite, meine Herren, enthalten die Reden und die Schriften des Herrn Adickes doch so viele geistvolle An⸗ regungen, die weiter erwogen werden mußten, daß es ganz verständlich ist, wenn darüber auch wieder eine gewisse Zeit hinwegging. Sie brachten vor allem die Anregung, die ebenfalls von den Herren Inter⸗ pellanten berührt worden ist, ob nicht im Laufe der Zeit in unserer Rechtspflege ein Richterapparat sich entwickelt habe, der die Gerichte so schwerfällig mache, daß die Bevölkerung und die Rechtsprechung in gleicher Weise darunter leiden, und daraus erwuchs die Frage, ob man nicht eine Vereinfachung in der Besetzung der Gerichte eintreten lassen könnte.

Auch diese Frage befand sich noch in der Erörterung, als dann der Kongreß der bekannten internationalen kriminalistischen Vereinigung im September vorigen Jahres zu Frankfurt jusammentrat. Meine Herren, die internationale kriminalistische Vereinigung ist eine Gesell⸗ schaft von hoch angesehenen juristischen Praktikern und Gelehrten, welche insbesondere auch die Verbesserung unseres Strafprozesses sich zur Aufgabe gestellt hat. Aus den Reihen der kriminalistischen Ver⸗ einigung waren den Vorschlägen der Strafprozeßkommission ganz be⸗ sonders heftige Gegner erwachsen. Veröffentlichungen der internationalen kriminalistischen Vereinigung gingen darauf hinaus, das ganze Gebäude, das die Strafprozeßkommission, die im Reichsjustizamt getagt hatte, auf⸗ geführt hatte, bis in den Grund zu erschüttern. Wir konnten also, als wir hörten, daß die deutsche Gruppe der internationalen krimi—⸗ nalistischen Vereinigung in Frankfurt demnächst zusammentreten werde, wohl gespannt darauf sein, was nun denn in dieser sachkundigen und illustren Versammlung für Vorschläge jur Reform des Strafprozesses hervortreten würden, und es kann in der Tat doch niemandem, der

sich damals mit der Reform des Strasprozesses zu beschäftigen hatte,

ein Vorwurf daraus gemacht werden, daß er abwarten wollte, welche und gegen die Urteile der Strafkammern bei den schwersten Straftaten.

Stellung der Frankfurter Kongreß zu der Frage einnehmen würde. Meine Herren, da muß ich nun sagen, bei aller Hochachtung vor der internationalen kriminalistischen Vereinigung und ihren Bestrebungen: ihr Kongreß und seine Beschlüsse waren für uns eine Enttäuschung. Sie endeten mit einer Negation. Sie stellten fest, daß wir zur Zeit noch nicht in der Lage selen, zu beurteilen, wie der deutsche Strasprozeß richtig organisiert werden könne. Sie führten zu der Meinang, daß es zunäͤchst der Einsetzung einiger Kommissionen bedürfe, die die Aufgabe hätten, hier

bei uns in Deutschland näher zu prüfen, wie denn der gegenwärtige

Prozeß gehandhabt werde, was für Ergebnisse er in der Praxis auf⸗ weise in den verschiedenen Landesteilen, was für Folgen sich daraus für die gesetzgeberische Umgestaltung der Prozeßordnung ergeben würden. Sie führten ferner zu dem Beschluß, eine besondere Kommission nieder⸗ zusetzen, die England bereisen, dort durch die Inaugenscheinnahme der Einrichtungen in ihrer praktischen Funktionierung in Anlehnung an die Gedanken von Adickes feststellen sollte, was denn in der Tat sich wohl eigne, aus dem englischen Prezeß übernommen zu werden in den deutschen Projeß. Nun, meine Herren, eine Verwaltung, die etwa von der Ab⸗ sicht sich hätte leiten lassen, die Fortführung der Verhandlungen über den Strafprojeß dilatorisch zu behandeln, hätte keinen besseren Grund für ihr Verhalten finden können als den Hinweis auf jene Verhand⸗ lungen in Frankfurt am Main. Unserer preußischen Regierung hätte man es kaum verargen können, wenn sie damals gesagt hätte: nun wollen wir erst abwarten, was die internationale, kriminalistische Vereinigung auf Grund ihrer Erhebungen für Beschlüsse fassen wird. Das aber ist in Preußen nicht geschehen, sondern da hat man sich auf den Standpunkt gestellt, daß wir nicht zu warten brauchen, bis auf die in Frankfurt gewollte Art und Weise ermittelt sein würde, wie die geltende Prozeßordnung in unserem Vaterlande funktioniert, wie die Verhältnisse angeblich in England liegen und was daraus für ung sich zur Nachahmung eignen könnte. Die preußlsche Regierung hal sich trotzdkem, daß die Beschluüsse der inter nationalen kriminalistischen Vereinigung vom September vorigen Jahres noch nicht jur Durchführung gekommen sind, ihrer seit,! äber die Grundlage schlüssig gemacht, die sie für das neue Proießberfahren als geelgnet betrachtet, Diese in letzter Zelt von der preußlschen Regierung gefaßten Beschlüsse beiiehen fich ju

nächst auf die Gerichtsverfassung, aber sie treffen damit doch den wichtigsten und auch schwierigsten Tell der ganzen großen Reformausgihe Sie sind naturgemäß nicht maßgebend für die übrigen Bundes regierungen; denn diese haben das Recht, auch ihre Meinung in Bundesrat geltend zu machen, die Beschlüsse der preußischen R gierung sind für den Bundesrat nicht entscheidend und sollen eg nicht sein. Unsere Aufgabe im Reiche aber wird es sein, über die preufi⸗ schen Beschlüsse mit den Bundesregierungen in Verbindung zu treten und vermöge dessen zu einem gemeinsamen Reformplan zu gelangen Weil aber doch diesen Beschlüfsen vermöge der Stellung der preußi. schen Regierung ein besonderes Gewicht beiwohnt, so möchte ih unter dem Vorbehalt, den ich vorhin ausgesprochen habe, auch Ihnen von dem Inhalt Kenntnis geben, um Sie ju überzeugen, daß eg in der Tat nicht nur bei der Reichsverwaltung, sondern auch bei den einzelnen Regierungen, insbesondere bei der preußischen Reglerung die bestimmte Absicht ist, die Reformarbeit ernsthaft zu betreiben. Na

der Auffafsung der preußischen Regierung sollen die Gerichte sich in Zukunft in folgender Weise aufbauen. Zuständig für die eber. tretungen, also für die kleinsten Delikte, sollen sein die Amtsrichter ohne Zuziehung von Schöffen, im Sinne von Anregungen, dle an. von der Strafprozeßkommission gegeben sind. Zuständig für Ver, gehen und leichtere Verbrechen sollen sein Schöffengerichte in der Einrichtung, wie wir sie jetzt haben, ein Richter mit zwei Schöffen, aber mit einer erweiterten Kompetenz nach oben hin. Wenn, im Sinne der Be schlüsse der preußischen Regierung, den Schöffengerichten die Aburteilunj der Uebertretungen genommen sein wird, weil diese kleinen Sachen einen solchen Prozeßapparat nicht rechtfertigen, wird in den Schöffen, gerichten Zeit und Kraft geschaffen sein, um auch schwerere Dellkte an die alten Schöffengerichte zu verweisen. Es soll deshalb ein Tell der Straftaten, die zur Zeit bei den Strafkammern abgeurteilt werden, übergehen auf die Schöffengerichte nach der Tendenz des Ge, setzes vom 5. Juni 1905, der sogenannten lex Hagemann, daz ja auch schon die Kompetenz der Schöffengerichte erweitert hat. Für die schweren Delikte soll zuständig sein eine Strafkammer, aber in der gemischten Besetzung von Richtern und Schöffen. Damst wird von der preußischen Regierung anerkannt, daß die Schöffen= gerichtsverfassung durchgeführt werden muß. Im Näheren hat man sich über die Besetzung mit Richtern und Schöffen, über die Zahl der einen und der anderen, noch nicht schlüssig gemacht. Soll man die Zahl von 5. Rich tern nehmen, soll man die Zahl von 7 Richtern wählen, wie die Strafprozeßkommission vorgeschlagen hat, soll man die Zahl heruntersetzen, soll man etwa einen Richter und zwei Schöffen auch in dileser Strafkammerinstanz nehmen, wie soll man hier regulieren? Die preußische Regierung ist bis jetzt nur zu der Ansicht gekommen, daß der Vorschlag der Strafprozeßkommission, eine Besetzung von 3 Richtern und 4 Schöffen zu wählen, zu welt geht, daß eine solche Besetzung eine zu umständliche sein würde, daß man in diesem Punkte auf die Vorschläge der Straf prozeßkommission nicht eingehen könne.

Endlich, melne Herren, soll die Aburtellung der schwersten Ver= brechen, wie bisher, bei den Schwurgerichten verbleiben. Ich habe schon in einer vorigen Session die Ehre gehabt, dem Reichstag mit zuteilen, daß in diesem Punkte angesichts der Auffassung der Königlich preußischen und Königlich bayerischen Regierung eine Abänderung der bestehenden Zuständigkeit voraussichtlich nicht vorgeschlagen werden würde. Die preußische Regierung hat nunmehr formell in diesen Sinne Stellung genommen.

Das ist die eine Seite der Frage: die Bildung der ersten Instanz. Was die zweite Instanz betrifft, meine Herren, so soll e natürlich bezüglich der Schwurgerichte bei dem bisherigen Verfahren verbleiben. Gegenüber den Urteilen der Schwurgerichte ist die Revision, aber nicht die Berufung zulässig. Dahingegen soll bei sämt⸗ lichen übrigen Gerichten das Prinzip der Berufung durchgeführt werden. Darin tritt also die preußische Regierung den Vorschlägen bei, die in der Strafprozeßkommission gemacht worden sind. Die Be⸗ rufung würde darnach gegeben sein gegen die Urteile des Amtt— richters in Uebertretungssachen, gegen die Urteile ich will bier die bisherige Bezeichnung beibehalten, sie muß ja später geänden werden der Schöffengerichte bei Vergehen und leichteren Verbrechen

Diese Berufungsinstanzen, meine Herren, sollen gebildet werden in der untersten Instanz, bei den Strafkammern oder bei den Schöffen gerichten; das ist noch u erwägen; im übrigen aber, soweit es sich also um die Berufung gegen die Urteile der Schöffengerichte und gegen diejenigen der Strafkammern handelt, bei den Landgerichten. Damit wird der Satz, der früher so oft im Schoße der verbündeten Re— gierungen diskutiert wurde, ob die Berufungtgerichte bei den Land= gerichten oder bei den Oberlandesgerichten errichtet werden sollen, im ersteren Sinne erledigt. dem Vorschlage entschlossen: die Berufung soll sich abspielen bei den Landgerichten. Dies aber mit einer Maßgabe; einmal soll es nicht ausgeschlossen sein, daß dort, wo kleinere Verhältnisse obwalten, eine Berufungskammer auch für mehrere Landgerichte eingerichtet werden kann, so daß die an einem Landgerichte eingesetzte Berufungskammer auch für solche Urteile zuständig sein würde, die von den Straf⸗ kammern anderer Landgerichte gefällt werden, und weiten melne Herren, soll dort, wo räumliche, persönliche oder sonstige Verwaltungsrücksichten dies nahe legen, äußerlich die Berufungskammern auch anzuschließen an die Oberlander⸗ gerichte, ohne daß sie als Instanz in deren Rahmen aufgeben; sie werden nicht Berufungesenate, sie bleiben Berufungskammern. Dag ist für die Verhältnisse solcher Staaten gedacht, die nicht so grobe Oberlandesgerichte eingerichtet haben wie Preußen, wo deshalb die Oberlandesgerichte den einzelnen Landgerichten näher stehen, als das in Preußen der Fall ist. .

Meine Herren, das sind Grundzüge, die wir jetzt mit den übrigen Bundesregierungen zu erörtern haben werden. Nach der Zelt die in⸗ zwischen verflossen ist, seitdem die Protokolle der Strafprojeßkommisston veröffentlicht wurden, glaube ich, wird es für die übrigen hohen R= gierungen außer Preußen nicht schwer fallen, ju den Beschlüssen, di wir ihnen! unterbreiten, Stellung zu nehmen, und nachdem diet geschehen ist, muß für uns im Reichsjustijamt sich die Aufgabe er geben, auf diesem Unterbau den neuen Prozeß aufzubauen.

(Schluß in der Zwelten Beilage.)

Die preußische Regierung hat sich u

gestattet sein,

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

meine Herren, ist von uns aber schon porbereitet. Wir sind in der Zwischenzeit nicht müßig gewesen und das ganze prozessuale System, wie wir es ung denken abgesehen natürlich von den Modifikationen, die aus den früher uns noch nicht bekannt gewesenen Beschlüssen der preußi— schen Regierung sich ergeben —, ist so weit vorbereitet, daß wir in nicht zu langer Zeit mit dieser, gleichwohl noch recht schwierigen Albeit fertig zu werden hoffen. Es handelt sich immerhin, meine herren, um einen Koder von 400 bis 500 Paragraphen. Es ersordert Zit, einen solchen herzustellen und unter den Justizverwaltungen zu perelnbaren, namentlich wenn es sich um so diffinle Fragen handelt, wie sie vielfach beim Strafprozeß in Betracht kommen. Aber ich glaube doch, daß wir im Reichsjustizamt in nicht zu langer Zeit mit dieser Aufgabe fertig werden können, um unsere Arbeit dann der Beurteilung der Bundesregierungen und des Bundesrats zu unter⸗

breiten. In jedem Falle, meine Herren, werden Sie aus diesen Mit—

tellungen über die Arbeiten, die in der Reichsverwaltung geführt worden sind und geführt werden, und über die Entschließungen, die im Schoße der preußischen Regierung nunmehr gefallen sind, wie ich hoffe, die neberzeugung gewinnen, daß es mit der Reformarbeit in allen FKreisen der Regierung ernst ist und daß alles daran gesetzt werden soll, um die Reform zu beschleunigen. Ich habe schon erwähnt, daß der Herr Reichskanzler willens ist, seinerseits, soweit seine Kräfte reichen, seine Ideen durchzuführen, und Sie können überzeugt sein, daß auch beim Reichsjustizamt der feste Wille besteht, die Sache in ledet Weise zu fördern. (Bravo

Auf Antrag des Abg. Basserm ann (ul.) findet eine Besprechung der Interpellation statt.

Abg. Dr. Giese (dkons.): Wir haben mit großer Freude vernommen, daß gerade die Frage der Einführung der Berufung und die Zuziehung des Laienelemenks zu den Strafkammern ihrer Löͤsung entgegengehen. Meine politischen Freunde halten die Einführung der Berufung für dringend notwendig und für ganz unabwendbar, feinem im Militär⸗ strasprozeß die Berufung eingeführt worden ist. Ob die Straf⸗ lammern bestehen bleiben, oder ob andere Gerichte an ihre Stelle lreten, ist dabei zunächst gleichgültig. Auch in der Frage der erweiterten Zuziehung des Laienelements haben wir er⸗ sreuliche Zusicherungen erhalten. Wir treten mit unserer Ueber—⸗ zeugung dafür ein, daß an die Stelle der Strafkammern Schöffengerichte lrelen. Mit den letzteren haben viele deutsche Staaten bis 1879 sehr ute Erfahrungen gemacht, z. B. das Königreich Sachsen. Sehr een wird es freilich sein, für die einzelnen Instanzgerichte die nich tige Mischung des berufsrichterlichen und des Laienelements unden. Wir wünschen nicht, daß es zu einer Ueberspannung des hienelements dabei kommen soll würde ein Uebermaß von Schöffen gesordert, so wäre ja die nötige Anzahl qualifizierter Personen, wie wir von Preußen bereits hören, überhaupt nicht ju gewinnen. Die Schwurgerichte durch große ESchbffengerichte zu ersetzen, ist auch nicht die Meinung meiner Freunde; jedenfalls aber sollte an dieser Frage die große Reform selbst nicht scheitern. Die übrigen Fragen werden ja in den Kommissionen, die ohnehin eingesetzt werden müssen, zu erörtern sein; wir sind durchaus dabei zur Mit- wirkung bereit. Wir hoffen, daß die neuen Maßnahmen ein ge— rechtes, gutes Strafverfahren verbürgen und das Vertrauen des Volkes in die deutschen Gerichte und in die deutschen Richter zu kraͤftigen und zu befestigen geeignet sein werden.

Abg. Stadthagen (Soz.): Seit über einem Dutzend Jahre werden für dlese Reform aus dem Reichstage Anträge gestellt, auch von den Sozialdemokraten. Woran liegt es, daß das Vertrauen zu der Rechtsprechung im Volke beinahe gleich Null ist? Das hat man sich schon vor Jahren gefragt und waren die schon vor Jahren in diesem Sinne vorgelegten Anträge des Zentrums und anderer Parteien angenommen worden, so ständen wir heute nicht vor einer so großen Deplacierung der Rechtspflege, wie sie in Deutschland ein⸗ etreten ist. Die ungeheure Arbeit der großen preußischen Kommission 7 zwar viel Papier verbraucht, aber nichts Großes geleistet; so jiemlich fan lich Juristen und Nichtjuristen haben diese Arbeit für nicht tauglich erklärt. Denn es handelt sich nicht bloß darum, ob Berufung eingelegt werden soll oder nicht, sondern es handelt sich um eine gerechte Ürtellsfällung und Rechtspflege. Heute hören wir, daß Preußen nicht bloß kein Geld, sondern auch keine Kräfte hat, um enügende Schöffen zu bestellen, ein Beweis für die jammerhafte

chulung, die Preußen seinen Angehörigen zuteil werden läßt. Die Berufung wird von allen Seiten , es soll dabei aber nicht zum Nachteil des Angeklagten das Recht der Berufung ebenfalls dem Staate gegeben werden, wie etz allerdings die Kommission will; der Ruf nach Be⸗ rufung gründet sich ja auf die schlechten Urteile zu Ungunsten der Beklagten. Ja, die Kommisston will auch noch dem Staatsanwalt die Anschluß, berufung zugestehen in solchen Fällen, wo die Berufungsfrist längst abgelaufen ist! Ein solches Rechtsmittel der Berufung wäre eine enorme Verschlechterung der bestehenden Rechtspflege und ein Unikum in der Rechtspflege überhaupt. Wenn man reformieren will, muß man doch den Gründen des entstandenen Miß⸗ trauens gegen die Gerichte nachforschen. Eine gute Instanz ist mir lieber als jwei schlechte. Eine Justizkommisston, welche Arbeiter, Handwerker und Bauern, die gesamte erwerbstätige Bevölkerung aus— geschaltet hat, kann gar nicht ein Verfahren haben schaffen wollen, daz die Grundlage der Justiz, die Gerechtigkeit, garantiert. Ich hätte nicht angenommen, daß auf diese Kommissionsvorschläͤge wieder ,, , . werden soll; ich hätte geglaubt, der Staatssekretär würde sie für , erklären. Die einzige wirkliche Garantie, die wir heute haben, daß der Richter gejwungen ist, wenigsteng die vorgeladenen Zeugen zu hören, soll beseitigt werden! Da ist doch der bestehende Zustand der bessere. Heute steht der An- geklagte abfolut schutzlos da, schon dem gewissenhaften Richter gegen⸗ über! Wir haben einen Prozeß gehabt, in dem der Angeklagte, weil er schon in der Voruntersuchung in unerhörter Weise gemartert und Hreinig worden war, von den Geschworenen freigesprochen wurde! In zahllosen Fällen steht es so, daß die langen Prozesse n der Hauptverhandlung gar nicht nötig wären, das Hauptverfahren abgelehnt worden wäre, wenn nur die Voruntersuchung etwas weniger ahrläfssig betrieben würde. Volle Ggrantie für das Ermittlunqs, ür das Vorverfahren ist unsere erste n, Und nun die Staatzanwaltschafti Wie kommt es, daß die Regierung nicht Richtern, sondern abhängigen Verwaltungsbeamten das Änklagemonopol gibt? Die Staatzanwastschaft gehört zu den schlechten Einrichtungen des Auslandes, sie entspricht dem Napoleonischen System. Der Staats; anwalt erhebt Anklage, je nachdem etz ihm paßt, je nachdem es sich um einen Unternehmer oder Arbeiter, Hochgestellten oder Niederen handelt. Ich erinnere an die verschiedene Behandlung der Arbeiter und Unternehmer in der Frage der Grpressung. Die Richter sollen in

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Diese Arbeit,

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Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger. Mn 65.

Berlin, Mittwoch, den 13. März

solchen Dingen die Entscheidung treffen, sie müssen dann aber auch unabhängig sein, politisch und religiös. Wir hatten uns hier darüber beschwert, daß in Frankfurt ein Mann über die gesetzlich zulässige Frist in Haft behalten wurde, ehe er seinem ordentlichen Richter vorgeführt wurde. Ein Landgerichtsrat hat in einer Broschüre dargelegt, daß er, seitdem er gegen dieses Verfahren der Frankfurter Polizei remonstrierte, drangsaliert wurde. Die Richter müssen aber auch ökonomisch besser gestellt werden, wenn sie unabhaͤngig dastehen sollen; sie müssen nicht überlastet werden. Wie kann ein Richter objektiv entscheiden, wenn er, wie es vorgekommen ist, 55 Sachen an einem Tage erledigen soll! Aus dem Märchen der Unabhängig⸗ keit der deutschen ichter muß eine Tatsache gemacht werden; es darf durch Versetzung von einer Kammer in die andere usw. die Unabhängigkeit der Richter nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden. Wir hören jetzt schon Unkenrufe der Scharfmacher⸗ presse auf Disziplinarverfahren gegen Mitglieder des Zentrums, weil sie dem Zentrum angehören, wie, es, seinerzeit den fortschrittlichen Richtern passiert ist. Ihnen (um Zentrum) habe ich schon seinerzeit zugerufen, Sie könnten auch einmal Amboß werden. Straffammern und Schöffengerichte sind heute ein Hohn auf die Un— mittelbarkeit und Mündlichkeit des Verfahrens. Der beste Vor— sitzende ist abhängig von den Registrierungen der Polizei, die durchaus minderwertig sind. Es sollten Phonographen aufgestellt werden, wie auch in manchen Regierungskabinetts, um festzustellen, was wirklich vorgegangen und gesagt ist; dann würde man auch das Klatschen der Schläge hören, die auf manchen Polizeibureaus gegeben werden. Wie notwendig die Berufung ist, zeigt der Prozeß der Stiftsoberin Heußler. Wenn einem Wirklichen Geheimen Rat aus dem Reichsjustizamt dasselbe passiert wäre wie jener Stiftgoberin, wir hätten binnen drei Tagen das ganze Gesetz;, aber die Justig rührt sich nicht, solange sie Hammer ist. Interessant wäre eine Statistit über die Untersuchungshaft, die Länge der Untersuchungs— haft und über die Fälle der ungerechtfertigten Untersuchungs haft. Tausende und aber Tausende sind in Deutschland Tage, Wochen, Monate, selbst Jahre unschuldig in Untersuchungshaft gewesen. Es kn Tatsachen' vorliegen, die den Verdacht des Fluchtversuchs recht⸗ ertigen. Ach, Namen sind Schall und Rauch, solche ‚Tatsachen ! können sehr leicht konstruiert werden. In die Strafrechtspflege sollte das sojiale Moment hineingetragen und den Ursachen der Verbrechen nachgegangen werden. Der bekannte Hauptmann von Köpenick war ja doch auch ein Opfer der Verhältnifsse. Der Staat muß die Gesell—⸗ schaft so reformieren, daß solche Verbrecher nicht existieren können. Die bisherigen Mißerfolge der Reform der Strafrechtspflege lassen erkennen, daß die Rechtspflege auch in Zukunft als ein Kampfmittel gegen die politische Ueberzeugung mißbraucht werden wird. Da kann von einem Vertrauen zur 3 Rechtspflege nicht die Rede sein.

Hierauf wird Vertagung beschlossen.

Präsident Graf zu Stolberg: Am gestrigen Tage sind im preußischen Abgeordnelenhau e bei Beratung des Eisenbahnetats von einem Redner Aeußerungen getan worden, welche geeignet sind, die Mitglieder des Reichstags zu verletzen. Ich gebe meinem Bedauern hierüber Ausdruck und weise diese Aeußerungen hiermit von dieser Stelle gebührend zurück.

Schluß 5a Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. (Zusatzübereinkommen zu dem internationalen Vertrage über den Eisenbahnfrachtverkehr; Fortsetzung der eben abgebrochenen Besprechung; Interpellation, betreffend die Verhaͤltnisse der Privatbeamten; Interpellation wegen Wahlbeeinflussungen.)

Preußzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 32. Sitzung vom 12. März 1907, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Das Haus left die zweite Beratung des Staats⸗ haushaltsetats für das Rechnungsjahr 1907 im Etat der Eisenbahnverwaltung bei den dauernden Aus⸗ gaben fort. Zur Unterhaltung und Ergänzung der Inventarien sowie zur Beschaffung von Bekriebsmaterialien sind 160 435 000 vor⸗ esehen, d. s. 18 592 000 S6 mehr als im Vorjahre, zur Unter⸗ altung, Erneuerung und Ergänzung der baulichen Anlagen 238 063 000 M, d. ö 30 338 (000 MSV mehr, zur Unterhaltung, Erneuerung und Ergänzung der Betriebsmittel und der maschinellen Anlagen 207 hal 00 , d. s. 80 725 900 M mehr; im Extraordinarium ist ferner ein Fonds von 50 Millionen zur Vermehrung der Betriebsmittel für die bereits bestehenden Staatsbahnen vorgesehen. Ueber den ersten Teil der Verhandlungen hierüber ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Minister der öffentlichen Arbeiten Breitenbach:

Meine Herren! Der Herr Abg. Wagner richtet die Frage an mich, ob mit der Beschaffung von Peißdampfmaschlnen fortgefahren werden soll. Das wird beabsichtigt. Wir haben im Jahre 1906 430 Heißdampfmaschinen eingestellt und für 1907 sind 465 vorgesehen. Dieser Typ bewährt sich und wird hoffentlich noch große Erfolge bringen. Die Doppelbesetzung der Maschinen erfolgt, sowelt sie sich irgendwie wirtschaftlich rechtfertigen läßt.

Dann ist Herr Abg. Hilbck noch einmal auf die Wagenbeschaffung eingegangen und hat sich bezogen auf die Ziffern im Ordinarium und im Extraordinarlum. Ich habe mir bereits im Eingang der Etats— verhandlung auszuführen erlaubt, daß nicht weniger als 250 Millionen Mark für Beschaffung von Betriebsmitteln verwendet werden sollen, und daß aus diesen Mitteln nicht weniger als 28 000 Güterwagen beschafft werden werden. Der Güterwagenbestand wird zunehmen von 324 618 am 1. April 1906, auf 347 014 am 1. April 1907 und auf 370 366 am 1. April 1908; das sind Zunahmen von 6,9 0/0 und 6,7 0 / in Summa 13,609. Das Ladegewicht wird aber erheblich mehr zu⸗ nehmen, um 8, 40jo und um 8,2 oo, das sind jusammen 16,6 o/o. Wenn man auch keine Garantie übernehmen kann, daß diese Mehr— beschaffung von Wagen dem Wagenmangel endgültig abbelfen wird, da wir nicht wissen, wie der Verkehr junchmen wird, so darf man doch hoffen, daß mit diesen Beschaffungen dem Wagenmangel im wesentlichen abgeholfen wird. Ueberdies findet die Beschaffung ihre Grenze in der Leistungsfähigkeit der Fabriken; wir müssen uns unbe— dingt vor einer Ueberspannung der Großindustrie büten.

Die Wünsche, den Wagenpark gleichmäßig auf die großen Ver- sandrevlere zu vertellen, sind durchaus berechtigt, aber wenn sie die

K

1907.

Wagengestellungsziffern des letzten Jahres verfolgen in den einzelnen Monaten, so werden Sie finden, daß die Verwaltung mit Erfolg be⸗ müht gewesen ist, tunlichst einen Ausgleich für die großen Bersand⸗ reviere herbeizuführen. Wenn dies nicht immer gelungen ist, so liegt es daran, daß der Ablauf der Wagen aus den Zuführungsgebieten zu den Versandrevleren nicht immer gleichmäßig sich vollzieht, ohne daß der Verwaltung eine Einwirkung hierauf zusteht.

Herr Abg. Macco hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Plüschbejüge in unseren Wagenabteilen 1. und 2. Klasse sanitär höchst bedenklich seien, und hat wörtlich ausgesprochen, sie steckten voller Unrat. Meine Herren, ich glaube, das geht zu weit. Die Verwaltung ist seit Jahren bestrebt, die Reinigung der Wagen so durchzuführen, daß sich die Wagenabteile in einem Zustande befinden, der dem Reisenden zum mindesten keine Schädigung an Gesundheit und Leben bringt. Wir haben auf den großen Stationen jetzt Entstaubungs⸗ anlagen aufgestellt, die bekanntlich ausgezeichnet wirken und Voll—⸗ kommenes leisten. Wir werden dieser Frage dauernd im Sinne der Ausführungen des Herrn Abg. Macco unsere Aufmerksamkelt zuwenden.

Dann ist darauf hingewiesen, daß es den Reisenden nicht immer möglich ist, die Notbremse zu ziehen. Denjenigen, die sich einer be—⸗ sonderen körperlichen Länge erfreuen, gelingt es vielleicht, anderen weniger. Diese Frage ist erneut einer Prüfung unterworfen, die noch nicht abgeschlossen ist.

Der Herr Abgeordnete ist auf eine Frage eingegangen, die im letzten Jahre die Oeffentlichkeit stark beschäftigt hat, und die Sicher heit des Lebens der Reisenden in den Zügen betrifft. Es sind in der Tat einige sehr bedauerliche Vorgänge zu verzeichnen gewesen, die Aufsehen erregten. Sie haben die Verwaltung zu einer sehr ein—⸗ gehenden Prüfung veranlaßt, und es ist festgestellt worden, daß die größte Sicherung der Reisenden dann vorhanden ist, wenn der Wagen eine Grundrißanordnung hat, bei der eine Ueber— wachung des Wagens möglich ist. Aus diesem Grunde bietet der Durchgangswagen, der sogenannte D⸗Wagen, eine besondere Sicherheit. Es ist aber auch erwogen worden, die Abteilwagen anders zu konstruieren, und es werden im Laufe dieses und der nächsten Jahre Versuche ausgeführt, die es jedem Reisenden ermöglichen, von der Zweckmäßigkeit der Einrichtungen sich zu überjeugen. Die Abteile sollen unter einander in Verbindung gebracht werden. Aber eins ist bei diesen Einrichtungen nicht zu bergessen, daß sie zwar eine größere Sicherung für den Reisenden bringen, aber auch gewisse Unbequemlich⸗ keiten. Es wird eine gewisse Unruhe in den Zug gebracht, der sich aus Abteilwagen zusammensetzt, die heute nicht vorhanden ist. Das Schließen der Wagentüren mittels Luftdrucks oder auf anderem mechanischen Wege ist nach Anschauung der Sachverständigen⸗ kommission, die ich eingesetzt hatte, höchst bedenklich. Derartige mechanische Einrichtungen in fahrenden Zügen, die einem starken Rütteln ausgesetzt sind, können sehr leicht versagen, und dann würde das Gegenteil von dem herbeigeführt, was erstrebt werden soll; die innere Erregung der Reisenden würde sich iln sehr unerwünschter Weise steigern. Die Reisenden werden nervöß, wenn sie wissen, daß sie unter Umständen gar nicht aus dem Koupee herauskommen. Der Weg, den die Ver⸗ waltung gehen will, durch den Grundriß der Wagen die größtmög⸗ lichste Sicherheit zu bieten, wird der richtige sein. Wenn wir gleich⸗ jeitig in unseren schnellfahrenden Zügen, den demnächst zuschlag⸗ pflichtigen Zügen, durchgängig D⸗Wagen eingestellt haben werden, wie in Aussicht gestellt wurde, werden wir das getan haben, was zweck⸗ mäßig ist.

Abg. von Riepenhausen ((kons): Es ist ja zu hoffen, daß nach den getroffenen Vorkehrungen dem Wagenmangel abgeholfen sein wird. Ich bitte den Minister, von den neuen Wagen einen erheblichen Projentsatz den Bahnen zuzuwenden, die nicht dem großen Durch⸗ gange verkéebr dienen. Auf diesen kleineren Nebenstrecken bestehen Klagen über die Qualität des Wagenparks; es werden Wagen, die auf den größeren Linien nicht mehr laufen können, an diese kleinen Babnen Überwiesen, Wagen, die eigentlich in die Reparaturwerkstätte

ebören. Diese Klage betrifft auch die von Privatgesellschaften ge⸗ tellten Speise⸗ und Schlafwagen. Auf der Sibirischen Bahn bin ich 14 Tage und 14 Nächte von Wladiwostok nach Berlin gefahren, und ich kann konstatieren, daß man auf dieser Babn viel sicherer als bei uns und mit viel mehr Bequemlichkeit fährt. Das ist allerdings erklärlich, da dort nur mit 35 Kilometer Schnelligkeit gefabren wird. Besonders lernen könnten wir von dieser Bahn be⸗ züglich der Beleuchtungseinrichtungen. Da hat man auch transportable elektrische Lampen. Auch bei uns sollte man in diesem Punkte aus dem Stadium der Versuche heraustreten. Der Bahnbof Stralsund bedarf dringend des Umbaues. Ich hoffe, daß auch hier bald ein⸗ gegriffen wird; es mangelt namentlich an genügender Ueberdachung. Eine weitere Anregung möchte ich noch in der Richtung geben, daß der russische Verkehr von Dirschau aus nach dem Westen nicht allein über Berlin, sondern auch über Stettin und Stralsund geleitet wird. Mit meiner Kritik habe ich keine Direktion besonders treffen wollen, am wenigsten den Eisenbahnpräsidenten von Stettin; ich freue mich im Gegenteil, daß der Herr Minister so viele unserer Verkehrswünsche

realisiert hat.

Abg. Wallenborn (Zentr.) regt nochmals einen größeren Schutz der die Eisenbahnzüge begleltenden Postwagen an, damlt nicht bei Un= glücksfällen die Postbeamten allein die Schwere des ganzen Unglücks ju tragen hätten.

Abg. Dr. von Böttinger (nl) regt mit besonderer Bejugnabme auf die Elberfelder Bahnbofsverhältnisse eine zweckmäßigere Anlegung der Wartesäle und Bahnhofseinrichtungen an.

Minister der öffentlichen Arbeiten Breitenbach:

Meine Herren! Der Herr Abg. von Riepenbausen bat darüber Beschwerde geführt, daß auf den Nebenbahnen Betriebsmittel laufen, die den Ansprüchen des Verkebrs nicht genügen. Er bat berdor—⸗ gehoben, daß ein Teil der Betriebsmittel von den Hauptbabnen auf die Nebenbahnen abgeschoben wird. Wenn die Wagen so beschaffen sind, wie der Herr Abgeordnete sie kennzeichnete, müssen sie jurück⸗ gezogen werden; sie müssen entweder in die Werkstätten geben, um ausgebessert zu werden, oder sie müssen überbaupt augrangtert werden. Dleser Frage wird besondere Aufmerksamkeit zugewandt werden.

Der Herr Abgeordnete bat dann den Zustand unserer Schlaf— wagen bemängelt. Dag hat mich in Erstaunen gesetzt. Für den