ee DOesterreich⸗ ungarn. JI.
üer . . =. * g
„Die Ergebnisse der Wahlen zum Reichsrat liegen jetzt aus sämtlichen Kronländern, mit Uusnahme von Galizien, vor. Danach sind 231 Abgeordnete gewählt worden und 168 Stichwahlen erforderlich. Laut Meldung des „W. T. B.“ verteilen sich die gewählten Abgeordneten nach ihrer Partei⸗ richtung, wie folgt? Deutsche Fortschrittspartei 7, Deutsche Volkspartei 5, Christlich⸗ Soziale 59, Sozialdemokraten 57, Katholisches Zentrum 28, Jungtschechen 4, Alttschechen 2, Tschechische Nationalsoziale 1, Tschechische Agrarier 6, Klerikale i 4, Deutsche Agrarier 9, Freialldeutsche 3, Ruthenen 6, Rumänen 2, Italiener 10, Slovenische Volkspartei 19, Liberale Slovenen 4, Kroaten 1, Parteilose 1, Freisinnige 1, Polnisch⸗ Klerikale 1 und Deutsch⸗Klerikale 1.
Großbritannien und Irland.
Das Ünkerhaus beschäftigte sich in der gestrigen Sitzung mit der Congofrage.
Nach dem Bericht des W. T. B.“ betonte der Staatssekretär des . Grey die Notwendigkeit einer Aenderung des Systems der Reglerung am Congo. Diese Aenderung würde in natürlichster Weise stattfinden durch den Uebergang der Congoreglerung an die belgische Regierung. Er glaube, der belgischen Regierung liege sehr daran, an die Frage mit dem Wunsche heranzutreten, eine be—⸗ friedigende Lösung herbeizuführen. „Wenn das belgische Parlament“, fuhr der Redner fort, so handeln wird, wie wir es gern handeln sehen würden, muß es dies ohne Einmischung von außen tun. Eg ist hervorgehoben worden, wie ernst die finanziellen Schwierigkeiten Belgiens möglicherweise sein würden. Wenn Belgien die Empfindung hat, daß die ihm gestellte Aufgabe eine Last ist, und den Wunsch hegt, an die Unterzeichner der Berliner Akte zu dem Zwecke heran⸗ zutreten, eine Unterstützung ausfindig zu machen, die ihm seine Auf⸗
abe weniger drückend macht, so werden wir sehr gern auf jeden Ce sdin hören, den Belgien machen will. Wenn die belgische Lösung der Frage sich als undurchführbar erweist, wird sie zu einer internationalen Frage. Wenn eine Aenderung in der Regierung des Congostaates stattfinden und der Staat in andere Hände übergehen soll, so ist dies nicht eine Verantwortlichkeit, welche die britische Regierung auf sich zu nehmen bereit ist. Wir sind bereit, die poli⸗ tische und diplomatische Verantwortlichkeit mit anderen Mächten zu teilen, wir streben aber nicht danach, unsere Lasten durch die Erwerbung weiteren Gebietes vermehrt zu sehen. Zum Schluß erklärte Grey: wenn die Mächte, die zu einer Konferenz nicht bereit waren, als sie das letzte Mal dazu eingeladen wurden, ihre Ansicht geändert hätten, würde die englische Regierung mit Vergnügen Einladungen zu einer Konferenz ergehen lassen und mit noch größerem Vergnügen eine seitens irgend einer anderen Macht ergehende Einladung zu einer Konferenz annehmen. England habe keine Pläne und Bestrebungen territorialen Charalters in Hinsicht auf den Congo und es würde an die Frage ohne irgendwelchen Hintergedanken herantreten. Falls andere Mächte da seien, die Rechte haben, die sie zu vertreten wünschen, oder Interessen, die sie zu bekunden begehren, so habe keiner von ihnen irgendetwas zu befürchten, soweit die englische Re⸗ gierung in Betracht komme. Er selbst würde vorziehen, weil dies der einfachen Rechtslage entspräche und auch die am wenigsten komplizierte Lösung der Frage wäre, daß die belgische Regierung tatkräftig den Congostaat übernimmt.
Im weiteren Verlaufe der Sitzung teilte der Unterstaats⸗ sekretär Churchill mit, daß die Verfassung der Oranje⸗ kolonie gleich nach den Pfingstfeiertagen veröffentlicht werden solle.
— Der Kriegsminister Haldane . gestern in London in einer liberalen Versammlung eine Rede gehalten, in der er laut Meldung des W. T. B.“ folgendes ausführte:
Die Regierung stelle nicht in Abrede, daß die Lage in Indien ihr groß. Sorge bereite. Die liberale Regierung und, wie er hoffe und glaube, auch jede andere Regierung an ihrer Stelle sei in dieß: Tagen bestrebt, gleiches Recht für alle in Indien aufrecht zu erhalten, sie könne dies aber nur ver⸗ wirklichen durch die Aufrechterhaltung der Ordnung und der Gesetze. Solle die Notwendigkeit eintreten, was er nicht glaube, so würde sich zeigen, daß der Arm der Krone in Indien noch ebenso stark, wenn nicht stärker, sei als vor 50 Jahren. Bezüglich der Ver⸗ hältnisse auf dem Kontinent stelle er mit Befriedigung fest, daß die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Großbritannien und Frankreich sowie zwischen Großbritannien und Rußland im Wachsen begriffen seien, und er vertraue darauf, daß auch die Zeit kommen werde, wo die Besserung der Be⸗ ziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland ebenso deutlich in die Erscheinung treten werde. Er glaube, daß diese Beziehungen ebenfalls gut seien, denn es bestände kein Gegensatz zwischen beiden Ländern außer dem rechtmäßigen Gegensatz der Handels⸗ konkurrenz. Es gebe eine Klasse von Journalisten, die es für angezeigt halte, jeden kleinen Zwischenfall, der sich ereignete, aufzubauschen, und es gebe viele nervöse Leute in Groß⸗ britannien und Deutschland, die glaubten, daß die beiden Völker über einander herfallen wollten. Dieselben Journalisten, die heute das Land gegen Deutschland aufhetzten, hätten seinerzeit Groß⸗ britannien zur Hetze gegen Frankreich während der Dreyfus-Affäre ge⸗ trieben. Er sei überzeugt, daß die Politik einer besseren Verständigung fortschreiten werde auf der soliden Grundlage des Verständnisses der wahren Natur der gegenseitigen Verhältnisse.
Rußland.
Der Reichsrat hat gestern den von der Duma aus⸗ gearbeiteten Gesetzentwurf, betreffend die Aufhebung der Feldgerichte und die Revision der von diesen ge⸗ fällten Urteile, abgelehnt. Der Justizminister wies, „W. T. B.“ zufolge, in längerer Rede nach, daß dieser Gesetz—⸗ entwurf, der von der Duma ohne Beobachtung der gesetzlichen Formalitäten ausgearbeitet worden sei, unannehmbar sei.
K Italien.
Bei der Beratung des Budgets des Aeußern in der gestrigen Sitzung der Beputiertenkammer hielt der Minister Tittoni eine Rede, in der er einleitend bemerkte, daß er sich nach seinen ausführlichen Darlegungen der auswärtigen Politik Italiens im Dezember vorigen Jahres, auf die er sich in allen Stücken beziehe, auf wenige Erklärungen, die nur neue Ereignisse und neue Kundgebungen betreffen, beschränken werde. Der Minister fuhr dann, „W. T. B.“ zufolge, fort:
Die Unterredung von Rapallo, der Besuch in Athen, die Zusammenkunft in Gaeta haben Kommentare veranlaßt, in denen wie gewöhnlich manche Personen ihrer beflügelten Phantasie freien Lauf gelassen haben. Diese Greignisse müssen aber natürlich erscheinen, wenn man sich meine Erklärungen vom vorigen Deiember vor Augen hält, deren Betätigung und Bekräftigung sie sind. Wenn diese Erklärungen kein Erstaunen hervorgerufen haben und in Italien und im Auslande mit Befriedigung und Sympathie aufgenommen worden sind, warum hätten die Tatsachen, die später meine Erklärungen be— kräftigt und bestätigt haben, Erstaunen erwecken oder einen anderen Eindruck als sie hervorrufen sollen? AllerdingsZs hat manch einer gesagt, daß ein Besuch oder eine Unterredung der anderen vermöge einer kunssvollen Aneinanderfügung gefolgt seien, durch die eine dle andere aufheben oder als Gegengift gegen sie dienen follte, und die dies sagten, nahmen daraus wi. zu den gewohnten Vorwürfen gegen die italienische Politik, die unsicher, schwankend, im Zicksack verfahre. Diese Auffassung jener Ereignisse ist offenkundig der Wahrheit ent⸗ gegen. Niemand hat je an derartiges gedacht; nie ist es mir in den Sinn gekommen, eine solche Polltik zu treiben. Zwischen
Rapallo, Athen und Gaeta, fuhr der Minister fort, besteht kein
Gegensatz oder Widerspruch, sondern Harmonie. Eß sind Namen und Daten, die keinen Mißklang untereinander ergeben, sondern sich er⸗ gänzen und eine würdevolle Friedenspolitik zusammenfassen, die von Italien im vollen Sonnenlicht, mit, großer Offenheit, mit 5. , mit großer Loyalität betrieben wird. Eg st keine ungewssse oder im Zickzack vorgehende Politik, sondern eine durchaus klare und bestimmte Politik, die ihrer selbst gewiß auf. gerader und breiter Bahn vorgeht und der bisher der Er- solg gelächelt hat trotz der düstern Vorhersagungen der Pro⸗ pheten internationaler Ratastrophen. Die erregten und nervösen Kommentare mancher ausländischer Blätter infolge der Zu— sammenkunft von Gaeta schienen einen Augenblick einem neuen An griffe Nahrung zu geben, den hier in der Kammer jene Politiker gegen mich hätten richten müssen, die mir bereitz eine angebliche Unvereinbarkeit zwischen unserem Bündnis mit Deutschland und unserer Freundschaft mit England entgegengehalten haben. Aber es kam zur rechten Zeit das autoritative und wirksame Wort det Fürsten don Bülow und es war so klar und offen, daß man wohl sagen kann, es habe für immer jede Befürchtung und jeden Zweifel be— seitigt. Es faßt zusammen, was sich schon aus meinen Unterredungen in Rapallo mit dem Fürsten Bülow und in Gaeta mit Sir Charlegß Hardinge ergeben hat, daß nämlich Deutschland und England ihre Beziehungen immer mehr zu bessern und in freundschaftlicher Weise jeden Interessen konflikt der zwischen ihnen entstehen könnte, zu lösen wünschen und daß Italien dem Bündniz mit dem einen wohl treu bleiben kann, ohne der Freundschaft für andere Eintrag zu tun, ohne bei einem oder dem andern Besorgnisse, Zweifel oder Argwohn zu er—⸗ wecken. Der Fürst Bülow war in Rapallo unser willkommener Gast. In ihm begrüßte die italienische Nation voll Freude den Ver⸗ treter einer verbündeten Macht, mit der sie so viele Bande einen. Voll Freude war die italienische Nation auch über die Begegnung des Königs von England mit dem n von Italien in Gaeta und wandte einen Gedanken der Sympathie der seit so vielen Jahren befreundeten britischen Nation zu und einen solchen der Dankbarkeit dem König Eduard, der, als er vor kurzem den Herzog der Abbruzzen in London empfing, heriliche Worte für Italien und den savoyischen Stamm gesprochen hat. Also, die alte Formel: unerschütterliche Treue zum Dreibund — aufrichtige Freundschaft für England und für Frankreich und herzliche Be⸗ ziehungen mit allen andern Mächten bleibt immer der Exponent unserer Politik, und die aufrichtige Art, in der diese Politik von Italien verfolgt wird, ist die einzig mögliche. tan hört jwar in Italien von Zeit zu Zeit manche dieser Politik feindliche Stimmen, aber eg sind vereinzelte Stimmen und die rühren von zwei Arten von Kritikern her; von einigen, die den Dreibund nicht wollen und daher zu den nichtigsten Vorwänden greifen, um ihn vor der öffentlichen Meinung in schlechtes Licht zu setzen, und von andern, von denen man nicht recht weiß, was sie wollen. Die Kritik der einen wie der andern zerschellt an zwei entscheidenden Tatsachen. Die erste ist die, daß alle anderen Mächte dieses System der Bündnisse, Freundschaften und Sonder⸗ abkommen betreiben, das keine italienische Erfindung ist, sondern die moderne charakteristische Phystognomie der internationalen Weltpolitik; die zweite ist die, daß unsere Politik von den verbündeten Staaten und von den befreundeten Staaten gewürdigt und gebilligt wird. Daher trübt die dissonterende Note einiger Kategorien unverantwort⸗ licher Personen in Italien und außerhalb nicht die Harmonie der Absichten und des Vorgehens derjenigen, die die Verantwortung der Regierung haben. Binnen kurzem wird der, Freiherr von Lehren⸗ thal nach Italien kommen, um ju bekräftigen, welche Wichtigkeit er den Beziehungen zwischen Oesterreich Ungarn und Italien beilegt, die, es ist mir angenehm, dies festzustellen, immer innigere und herzlichere geworden und jetzt wirklich ausgezeichnet sind. Und auch die öffentliche Meinung der beiden Länder ist dahin ge⸗ kommen, immer mehr die Vortesle der Innigkeit und Herzlichkeit dieser Beziehungen zu würdigen. Keine gegnerische Stimme hat sich hier in der Kammer erhoben. Indessen hat der . Banzilai vor einigen Tagen, gelegentlich, einer Anfrage über Dinge der inneren Polit, um di freund schaftliche Bedeutung des Besuchs des Freiherrn von , herabzumindern, an eine vorbedachte Absicht bei demselben glauben machen wollen, die Hauptstadt Itallens und mit der Hauptstadt Italiens die Anerkennung der italienischen Einheit zu vermeiden. Warum sollte aber Baron von Aehrenthal daran denken, die Hauptstadt Italiens zu vermeiden, wenn hieran nicht ein 6österreichischer Erzherzog gedacht hat, der offiziell bei für uns frohen oder traurigen Umstaͤnden nach Rom kam, um an unseren Freuden und an unseren Leiden teilzunehmen? Warum sollte man die Absichten des Freiherrn von Aehrenthal, der auch offiziell in so warmen und so aufrichtigen Ausdrücken von Italien gesprochen hat, einer Untersuchung unterwerfen, weil er nach Racconigt kommen wird, während niemand daran dachte, dies dem Grafen Goluchowski gegenüber zu tun, weil er nach Monza und nach Venedig kam? Ich muß sodann meine große Ver— wunderung darüber ausdrücken, daß ich den Abgeordneten Barzilai nichtsdestoweniger die Frage der Anerkennung oder Nichtanerkennung Italiens mit der Hauptstadt Rom hieran knüpfen hörte. Voila des bien gros mots! Aber wie? Ist denn diese ausdrückliche Anerkennung seiteng Oesterreich⸗Ungarns nicht er— folgt? Ist sie nicht eine wesentliche Prämisse beim Bündnispertrag? Hat nicht Oesterreich⸗Ungarn einen Botschafter in Rom heim König von Italien? Wie kann man annehmen, daß feierliche offizielle Handlungen in sich begreifen? Und wäre nicht eine solche Annahme gleichermaßen gehässig und be⸗ leidigend sowohl für die sterreichisch: ungarische. Regierung, deren Gesinnung der Loyalität man in Zweffel liehen würde, als für die italienische Regierung, deren Gefühl der Würde man in Zweifel ziehen würde? Alles dies ist so widersinnig, daß es nicht der Mühe lohnt, sich dabei aufzuhalten. Nur eine Erwägung muß ich hinzufügen. Manche scheinen anzunehmen, daß das nationale Recht Italiens auf seine ewige Hauptstadt es nötig hätte, von Zeit zu Zeit durch fremde Dazwischenkunft anerkannt und wieder bekräftigt zu werden. Nunwohl, ich bin durchaus anderer Ansicht. Ich denke, daß man unrecht, daran getan hat, die, öffentliche Meinung daran zu gewöhnen, einen Unterschied zwischen Rom und den anderen Teilen Italiens zu sehen. Ich denke, daß, wenn Rom das ganze Italien ist, Rom in jeglichem Gliede Italiens gegenwärtig ist. Ich denke, daß das nationale Recht Italiens auf Rom, seine Hauptstadt, unverletzlich und unverjährbar ist, und ich denke, daß die Anwesenheit ausländischer Personen in noch so aus— gezeichneter Stellung in Rom diesem Recht nichtz hinzufügen kann, in derselben Weise, wie ihre Abwesenheit von Rom nichts davon fortnehmen kann. Uebrigens wird dieses Recht von niemand bestritten oder bedroht, und wenn es bestritten oder bedroht würde, so können wir mit Stolz versichern, daß ganz Italien sich eiheben würde, es zu verteidigen, und es zu verteidigen wissen würde.
Wenige Worte über die Reise des Königs von Italien nach Athen. Et war natürlich, daß der König von Italien den Besuch des Königs von Griechenland erwiderte; es war naturlich, daß, so wie der König von Griechenland in Rom, der König von Itallen in Athen freudige Aufnahme fand, deren Gedächtnis die, welche die Ehre hatten, ihn zu begleiten, bewahren werden; es war natürlich, daß zwischen dem griechlschen und dem italienischen Volke jene Sympathie wieder lebendig wurde, die an klasstsche Erinnerungen geknüpft ist und die sonderbare und gänzlich unbegründete und haltlose Ver. mutungen von möglichen ebiettzansprüchen Italiens auf der Insel Kreta oder auf der Balkanhalbinsel vorübergehend getrübt hatten. Aber dies will nicht bedeuten, daß die italienische Politik im Orient sich geändert habe. Die eminent friedliche italienische Politik gründet sich auf die Integrität des ottomanischen Reiches und auf das vollkommene GEinverständnis mit Hesterreich Ungarn und Rußland und mit allen anderen Signatarmächten des Berliner Vertrages. Die italienische Politik betrachtet die verschiedenen Balkanstagten mit gleicher Sympathie und wünscht ihren Fortschritt und ihre Wohlfahrt. Die italienische Politik hat mit großem Be⸗
Mentalreservationen
dauern gesehen, wie diese Staaten nicht genügend begriffen haben, daß ihre Interessen einen sichereren Schutz in der Sympathie des jlvill⸗ sierten Europas als in den Greuel taten der Banden finden wurden, die eine Schande und eine Beleidigung für die Menschheit bilden, und sie hat mit großem Bedauern den erneuten Zwist zwischen Griechenland und Rumänien gesehen sowie die Verschärfung der Beziehungen zwischen Bulgarien und Serbien und Bulgarien und Griechenland. Die italienische Politik hofft, daß die christlichen Nationen auf dem Balkan schließlich begreifen werden, daß sie nichts bei den bruder⸗ mörderischen Kämpfen zu gewinnen haben, und sie ist immer bereit, für die Eintracht und den Frieden ihre Tätigkeit zu entfalten. Diese Er⸗ klärungen werden gewiß den Abg. Barsilat befriedigen, der der ge⸗ meinsamen Ursprünge des italienischen und des rumänischen Volkes wohl eingedenk war.
Nun kommen wir zur Haager Konferenz! Die englische Inltiative zur Erörterung der Begrenzung der Rüstungen auf der Haager Konferenz ist für jetzt nichts als eine Reproduktion der russischen Initiative vom Jahre 1888, und zwar die generelle Be⸗ hauptung von der Opportunität einer solchen Begrenzung. Aber wenn die russische Initiative keine Besorgnisse erweckt hat und ruhig betrachtet worden ist, warum sollte heute der englische Vorschlag zu Befürchtungen Anlaß geben, als ob aus ihm, ent= gegen seinen friedlichen Absichten, ein gefährlicher Konflikt jwischen den Mächten entspringen sollte? Im Jahre 1893 hatte die russische Initiative keine Folge, weil es nicht gelang, eine praktische Formel der Verwirklichung zu finden, die von allen angenommen werden könnte. Nunwohl, die Frage stellt sich heute unter den näm⸗ lichen Bedingungen dar und die englische Regierung verhehlt sich dieses nicht. Die englische Regierung schließt in vollkommenster Weise aus, daß ihr Vorschlag aug irgend welchem Grunde Anlaß zu Reibungen zwischen den Mächten geben könnte. Sie hat noch keine konkrete, der Konferenz vorzuschlagende Formel aufgestellt. Aber diejenige, die sie vorschlagen wird, welche sie auch sein möge, wird, wenn sie nicht von allen Großmächten als praktisch annehmbar erachtet wird, keine Folge haben und die Frage wird vertagt werden, ohne daß sie Konflikte, Reibungen oder Ver⸗ stimmungen hervorrufen müßte. Dies ist der Standpunkt der eng⸗ lischen Regierung und es gibt niemand, der denselben nicht besonnen und verständig finden müßte. Es haben also diejenigen, die von einer Italien in Verlegenheit bringenden Lage gesprochen haben, bewiesen, daß sie von der Haager Konferenz eine durchaus phantastische Auffassung haben. Ist es aber möglich, eine praktische Formel ausfindig zu machen, welche die Begienzung der Rüstungen sichert, ohne die Interessen irgend eines Staats zu verletzen, sodaß alle dieser Formel ihre Zustimmung geben können? Deutschland und Oesterreich⸗Ungarn haben erklärt, dies nicht für möglich zu halten, und sie werden daher nicht an der Erörterung teilnehmen, um keine Verpflichtungen auf sich zu nehmen und vollkommenste Aktionsfreiheit zu bewahren. Dieser Standpunkt wurde in autoritativster Weise vom Fürsten Bülow in seiner letzten Rede im Reichstage beleuchtet, in der er darlegte, wie die Ueberzeugung, daß es heute nicht möglich sei, eine Formel der Begrenzungen der Rüstungen zu finden, der alle zustimmen können, durchaus nicht sagen will, daß Deutschland und den anderen Staaten, die seine Anschauung teilen, die Sache des Friedens weniger teuer sei. Und nachdem wir zu diesem Stand punkt gelangt sind, ist es angezeigt, zu bemerken, wie sehr die letzten Eiklärungen des Fürsten Bülow und Sir Henry Campbell. Banner— mans den Gegensatz gemildert haben, der zwischen dem deutschen und dem englischen Standpunkt zu bestehen schlen. Der Fürst Bülow hat sich in seiner Rede im Reichstag, obschon er erklärte, daß die deutschen Abgeordneten an der Erörterung nicht teilnehmen würden, beeilt, hinzuzufügen, daß, wenn aus dieser Erörterung ein konkreter, ernst⸗ hafter, praktischer, möglicher Vorschlag ersprieße, die deutsche Re⸗ gierung sich vorbehalte, gewissenhaft zu prüfen, ob dieser in wirksamer Weise den allgemeinen Interessen des Friedens und den besonderen Interessen des Deutschen Reiches entspräche. Sir Henty Campbell⸗ Bannerman hat in seiner Rede auf dem Bankett des Liberalen Verbandes in Manchester, nachdem er gesagt hatte, daß er den offenen und freundschaftlichen, vom Fürsten Bülow an⸗ i renn Ton würdige, anerkannt, daß es wahrscheinlich au ei einer Teilnahme Beutschlands an der Erörterung unmögli gewesen wäre, eine Formel zu finden, die alle hätten annehmen können aber daß er von seiner Initiative mehr al unmittelbare Folgen, sich gute Folgen für die Zukunst verspreche. Die beiden Reden haben nun den deutschen Kanzler und den englischen Premier einander um vieles nähergebracht. Vielleicht hat sogar Sir Henry Campbell⸗Banner⸗ man das letzte Wort in der Frage gesprochen, da ich wirklich glaube, daß alle übereinstimmen, daß diese eines jener schwierigen Probleme darstellt, deren Lösung der Zukunft vorbehalten ist. Auch das, was ich der Kammer bei einem anderen Anlaß zu sagen hatte, weicht nicht wesentlich von diesem ab. Im Mat und Junt 1906 hat Sir Edward Grey im Unterhause und Lord Fitzmauriee im Hause der Lords in beredter Weise dem Streben nach einer Begrenzung der Rüstungen Ausdruck verliehen, die hart auf den Budgets aller Staaten lasten, aber sie haben keinerlei konkrete Vorschläge zur Verwirklichung dieses Strebens angekündigt. Ich habe hierzu meine beifällige Zu— stimmung augsgesprochen und erklärt, daß wir an der Haager Konferenz mit den nämlichen Gefühlen leilnehmen würden. Ich habe aber nicht unterlassen, klare und ausdrückliche Vorbehalte bezüglich der Möglichkeit zu machen, eine praktische, von allen annehmhare Formel zu finden, und ich halte heute die Zustimmung zu den höchstedlen Absichten aufrecht, die die hochherzige Initiative Englands bestimmt haben, und ich halte die Vorbehalte, betreffend die Möglichkeit aufrecht, diese Initiative unmittelbar in die Tat umzusetzen. In diesen Punkten stimme ich vollkommen mit den Vorbehalten überein, die von Deutschland und Oesterreich Ungarn gemacht worden sind. Zwischen dem Standpunkte des Fürsten Bülow und des Barons Aehrenthal und dem meinen besteht keine wesentliche Differenz. Ein Unterschied besteht nur in dem ein zuschlagenden Verfahren. Sie ziehen es vor, nicht an der Erörterung teilzunehmen und die Ergebnisse absuwarten, um sie mit vollkommener Freiheit zu prüfen und zu würdigen. Ich glaube, daß Italien an der Beratung teilnebmen kann, indem es sich gleichwohl die nämliche Freiheit der Prüfung und Würdigung hinsichtlich der Ergebnisse der Beratung vorbehält. Muß man aus dieser leichten Differenz der Methode schließen, daß die Verbindung zwischen den Staaten des Dreibundes weniger fest und das Einverständnis zwischen ihnen weniger vollkommen sei? Aber auch nicht im Traume! Bei dem Ideen— austausch, der zwischen dem Fürsten Bülow, dem Freiherrn von Aehrenthal und mir stattgehabt hat, haben sie, nachdem die Wesens— gleichheit unserer Anschauungsweise festgestellt war, anerkannt, daß
talen hinsichtlich der Beratung recht wohl das Verfahren, das ihm am besten dünke, einschlagen könne. Wer also hierüber sich in Spitz findigkeiten ergehen wollte, um auf Zwiespältigkeiten zu schließen, der sst gewarnt, daß er ein vergebliches Werk unternimmt. .
Der Minister wies sodann die von den Abgg. Romuss und Grunialti erhobenen Vorwürfe zurück, daß er sich im Widerspruch mit 9, selbst befinde, und fügte hinzu:
Wenn ein Widerspruch vorhanden ist, liegt er in der Sache selbst; er geht aus den Schwierigkeiten hervor, die J der daß verwickelte Problem zu lösen sucht; er geht aug dem Miß verhältnisse zwischen der Eröße der Friedensbestrebungen und der geringen Wirksamkeit der Mittel zu ihrer Ausführung hervor. Be— sände ich mich im Widerspruch mit mir selbst, so wäre das gleiche bet dem Präsidenten Roosevelt der Fall in seiner Botschaft an den Kongreß, in seiner Ansprache an die von Herrn Carnegie veranstaltete Friedensversammlung und in seiner Rede bei Eröffnung der Aut⸗ stellung in Jamestown. Es würde bei allen, wage ich ju sagen, der Fall sein, die sich mit diesem Gegenstande mit dem aufrichtigen Wunsche, wie es der meine ist, befaßt haben, hohe Bestrebungen, J. und ernste praktische Schwierigkeiten mit einander zu ver— einbaren.
Zum Schluß sprach der Minister Tittoni die Ueber. zeugung aus, daß das Pilb der staliensschen Politik, wie
ch jedem entgegenstellen,
er es im Dezember gezeichnet und heute ergänzt habe, einer Nation wie Italien würdig sei. Er erwähnte fodann bie schön zum Teil beratenen oder noch zu beraten⸗ ben Vorlagen, betreffend die Neuordnung der Laufbahn im auswärtigen Dienste, betreffend die Abänderun des i rn n . in dem Sinne, die Auswanderer giant zu schützen und künstliche Ermutigung zur Ruswanderung aus⸗ uschalten, die Reformvorlage fuͤr die Kolonie Benadir und ö Somaliabkommen mit England, und schloß mit der Auf⸗ y, , an die Kammer, seinem Programm ihre Zustim mung , ;
; Nach Tittoni sprachen verschiedene Abgeordnete. Sodann nahm der Minister nochmals das Wort und erklärte, die Be⸗ ziehungen zwischen Italien und der Türkei seien vortrefflich und in Konstantinopel habe man die Hindernisse beseitigt, die in Kyrengika und Tripolitanien gegen das Vorgehen Ftaliens entstanden . dies sei ein wahrhafter Freundschaftsbeweis von seiten der Pforte gewesen.
Amerika.
Die gesetzgebende Versammlung des Staates New York hat eine Bill, betreffend die gemeinnützigen Einrichtungen (Utilitiesbilh, die von dem Gouverneur
ughes befürwortet war, gestern einstimmig angenommen.
Die Bill sieht, der Associated Preß“ zufolge, zwei Kom misstonen vor: die eine für die Stadt New York, die andere für den Staat New Jork, mit der Befugnis, die Passagler⸗ und Frachtsätze zu regu⸗ lieren und einen angemessenen Bienst zu erzwingen. Die Ver— schmeljungen von Korporationen im öffentlichen Verkehrsdien st sind verboten, außer, wenn die Kommissionen dazu ihre Zustimm ung ge⸗ eben haben, denen die Bill alle Eisenbahnen, die Schlafwagen gesell⸗ egen die Gas, und Elektrtzitätsgesellschaften ꝛ. im Staate New Vork unterstellt.
Parlamentarische Nachrichten.
Der Schlußbericht über die gestrige Sitzung des Hauses der Abgeordneten befindet sich in der Ersten Beilage.
Statistik und Volkswirtschaft.
Ein, und Ausfuhr einiger wichtiger Waren in der Zeit vom 1. bis 10. Mai l1(907.
Einfuhr Ausfuhr im Spezialhande l
d. . 100 Kg
105 186 11 7987 5272
h9 490
13 306
32 701 3815853
Warengattung
7 831 1411 1620 2660 254 313 917 990 2 665 023 3207 469 2 267 508 6 848 151 459 51 266 415 36 519 130 742 75 786 32 473 1070.
. ö. gebrochen, geschwungen usw. . anf, ] ;
Jute und Jutewerg ..
Merinowolle im Schweiß ...
Kreuzzuchtwolle im Schweiß . ..
Eisenerje D
Steinkohlen.
Braunkohlen ..
Erdöl, gereinigt.
Chilesalpeter
Roheisen .
Kupfer .. JJ
Berlin, den 15. Mai 190.
Kaiserliches Statistischeg Amt. . Dr. Zacher. Gin und Ausfuhr von Zucker vom 1. bis 15. Mai 1907. ö oi ih
m Spezial⸗ handel
dz rein
Ausfuhr im Spez ial⸗ handel
Gattung det Zuckers
Verbrauchszucker raffinierter und dem rafsi⸗ nierten gleichgestellter Zucker) (76a / j 194 445 Rohrzucker ( 76 a) an
161 270
2388 7756
3982
3 852 820 1083 294 118 805
118 136
e . Raffinade (176) .. rotzucker ( 76g) , (I76 h)
andis (176i)
u ; Gesamtgewicht Menge deg darin enthaltenen Zuckers.
Berlin, den 15. Mai 190. Kaiserliches Statistisches Amt.
J. V. Dr. Zacher.
Zur Arbeiterbewegung.
Zur bevorstehenden Aussperrung im Berliner Baugewerbe erfährt die Post“, daß am Mittwoch nach Pfingsten die Bauarbeiter⸗ organisationen in Berlin Kontrollversammlungen in den einzelnen Benirken abhalten werden, um fesszustellen, in welchem Umfange, die Austsperrung erfolgt ist. Penjenigen Arbeitern, die weiter beschäftigt. werden, werden Ürbeilsberechtig ur gs“ karten autgestellt. Sie haben von ihrem Verdienft 10 5, an die Verbandgkasse abzuführen. An die unverheirateten Arbeiter sowie an diejenigen, die in Berlin arbeiten und autzwärts wohnen, pyird von den Verbandtvorständen die Mahnung gerichtet, u Pfingsten Berlin zu verlassen. — Die Vorstände der vereinigten Bäcker ⸗ innungen und die Bezirksverelne der Bäcker Berlins und der Vororte haben, wie die „Voss. Itg. berichtet, an den Ober- bürgermesster Kirschner am Mittwoch eine Beschwerde eingereicht,
in der Einspruch gegen den Schiedsspruch des Gewerbegerichts erhoben wird (pgl. Nr. 1165 . Bl.). Dieser könne keinen Wert haben, weil er auf Aussagen von Vertretern einer Vereinigung gefallen ist, deren Mitgliederzahl 25 nicht übersteige und die nicht mehr als 50 Gefellen beschäftigen. Die Mitglieder dieser Vereinigung hätten außerdem unter Hintansetzung ihrer Innungsinteressen gehandelt. Gegen das Vorgehen des Magistratsrats von Schulz e Widerspruch zu erheben, weil dieser von diesen Tatsachen Kenntnis haben mußte und weil unter dessen Leitung ein solcher die Interessen des Bäcker— gewerbes verletzender Schiedtspruch gefällt wurde Die Meister erklären zum Schluß, daß sie, wie die Deputgtlon seinerzeit dem Oberbürgermesster schon mitgeteilt haite, auf dem Boden der vorjährigen Verhandlungen stehen bleiben. — Weiter meldet dasselbe Blatt zur Bewegung im Berliner Bäckergewerbe, daß eine am Dientztag abgehaltene, zahlreich besuchte Versammlung des Bundes der Bäcker= (Konditor⸗) Gesellen Deut schlands die Erklärung abgab, sich an einem Streik nicht zu beteiligen, der event. von den Bäckerei- arbeitern in Siene gesetzt werden solle. Sie hielten auch ferner an dem Standpunkt fest, daß ein Streik und Boykott ohne Berechtigung in die Wege geleitet werde. Die Bundes- mitglieder seien mit den im Voriahre vereinbarten Lohnsatzen und den Verhältnissen im Bäckergewerbe zufrieden und hielten deshalb treu zur Meisterschaft.
An 1400 Verlader deg Hafens von Rouen sind, wie. W. T. B.“ meldet, wegen verweigerter Lohnerhöhung in den Außstand getreten.
Kunst und Wissenschaft.
Zur Erhaltung des plattdeutschen Sprachstammes verbreitet ein Ausschuß, dem Max Dreyer. Georg Engel, Rochus Von Lilteneron, Thomas Mann, Marx Möller, Wilhelm Raabe, Professer Dr. Reifferscheid, Spielhagen, Sudermann und Ernst von Wildenbruch angehören, einen Aufruf, in dem es heißt: „Die Statistik hat vor kurzem eine herbe Gewißheit verbreitet: Die plattdeutsche Sprache, das gemütvolle Idiom ort Reuters, das frische, kräftige, hilderreiche Niederdeutsch, liegt im Verscheiden. Schon hat sich der Dialekt in immer engere Kreise zurückgezogen, bald wird er gänzlich verschwunden und vergessen sein. In dieser Not der Stunde hat die Königliche Universitãts bibliothek zu Greifswald ein „Niederdeutsches Archsy' gegründet, in dem alie Denkmäler der plattdeutschen Mundart, die ältere Literatur sowohl wie die neueste, kurz alles, was se von niederdeutscher Kunst, von niederdeutschem Sein und Wesen Zeugnis ablegte, zusammengefaßt werden soll, damit auf diese Art das Ge— dächtnis des einstmals so blühenden Sprachstammes für die Forschung und die Späteren erhalten bleibe. Alle, denen dag „behagliche ÜUr— deutsch', wie es Goethe nannte, jemals an Herz und Gemüt gerührt hat, werden aufgefordert, das Niederdeutsche Archiv zu Greifswald für seine umfangreichen Erwerbungen durch eine Geldspende auszurüsten und somit ein geistiges Denkmal türmen zu helfen, wie es das Vater⸗ land in dieser Besonderheit noch nicht besitzi. Beiträge sind unter der Adresse Niederdeutsches Archiv an die Dresdner Bank Depostten⸗ kasse E, Berlin W 50, Kurfürstendamm 238, zu richten.
Literatur.
. Franjösische Einflüsse auf die Staats, und Rechtsentwicklung Preußens im 15. Jahrhundert. Von Ernst von Meier. Erster Band. Prolegomena. Leipzig, Verlag von Duncker und Humblot. 1907. 242 S. H, 40 S — Per Ver⸗ fasser des vorliegenden Buchs ist bereits im Jahre 1881 mit der Schrift „Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg“ hervorgetreten. Die spätere Entwicklung zu berühren bat er sich damals versagt, doch schon im Vorwort angedeutet, welche Bedeutung französische Rechtsordnungen auch im weiteren Verkauf des 19. Jahrhunderts auf dem Wege über die preußische Rheinprovinz für die preußische Gesamtmonarchie gewonnen hätten. Die Augt⸗— führung dieses Gedankens bildet den Inhalt des mit dem vorliegen den Band eröffneten, auf drei Bände im ganzen berechneten Werkes. In diesem einleitenden Band werden zunächst die politischen Ideen des 17. und 18. Jahrhunderts dargestellt: das Naturrecht, die Gewalten. teilung und die Lehre von Adam Smith; daran schließt sich eine Be⸗ trachtung darüber an, wie welt diese Ideen schon dor der französischen Revolution in England und in den Vereinigten Staaten von Amerika verwirklicht worden seien. Mit dem zweiten Abschnitt setzt die eigent⸗ liche Ausführung des Themas ein, in folgenden Kapiteln: die franzö— sische Revolution (Volkssouveränität und Gewaltenteilung in den drei Verfassungen von 1791, 1793 und 1795, sowie die Umgestaltung der sonalen Verhältnisse, der Napoleonismus (die Grundlagen, hesonders das Wahlrecht, die Organisation im einzelnen — Senat, Gesetzgebender Körper, Tribunal, Ministerium, Staatsrat usw. — und die Aufrechterhaltung der sozialen Umgestaltung) und endlich das Königreich Westsalen un ae liber art fe e' tn e , übe der französischen Revolution in der deutschen Literatur. Was dag Naturrecht betrifft, so wird im Anschluß an Gierkes Forschungen kur; angedeutet, daß die Reformation das im Mittelalter porherrschende theokratische System zunächst nicht vernichtet, sondern im Gegenteil, gestützt auf den paulinischen Satz, wonach die Obrigkeit von Gott ist, von der alten Kirche auf den protestantischen Staat übertragen babe. Die berühmte Schrift des Hugo Grotius vom Jahre 1625, der als der Begründer des Naturrechts gilt, führt den Titel De jure belli et Pacis“ und handelt vom Völkerrecht, ebenso wie seine frühere Schrift „De mari libero“; allerdings baut er seine Lehre auf natur rechtlichen Anschauungen auf, aber diese waren nicht neu, sie sind schon in der Stgatslehre des Thomas von Aquino (etwa 1250) zu finden. Seine Bedeutung beruht in der Verwertung, die er dem Naturrecht gab. Auf seinen Bahnen wandelten Samuel Pufendorf, der zuerst in Deutschland den theokratischen Gedanken bekämpft hat, und Ghristian Wolf. Auch Friedrich der Große war ein Anhänger des Natur⸗ rechts, was des näheren ausgeführt wird. Die Schriften Fichtes und Kants waren nur die letzten Ausläufer des Naturrechts; beide Philosophen waren von Rousseau beeinflußt. Fichte schrieb 1793 die „Beiträge
zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution“ und 1796 das Naturrecht. Kants einschlägige Schriften Die Lehre von der Gewalten.
fallen in die Jahre 1793 bis 1797. teilung, die sich unabhängig vom Naturrecht entwickelte, gebt auf Locke
zurück, aber erst Montegquleu, in seinem Werk von 1749, Esprit des
lois, hat ihr einen klassischen Ausdruck gegeben. Das Bild, das Montesquieu hier von der englischen Verfassung entwarf, entsprach allerdings nicht der Wirklichkeit. Verfassung sowohl zu den Zeiten der Tudorg,
der Staatstätigkeit in eine oberste, alles überragende Gewalt. Lehre ernsthaft eingelassen. Auch gegenüber der Lebre ibres Lands.
manns Adam Smith, des Apostelt des wirtschaftlichen Individualtemus. dessen grundlegendes Werk 1775 ju erscheinen begann, baben sich dre
Engländer sehr vorsichtig und abwartend verhalten. Die ganze Blüfe der heutigen englischen Industrie ist noch unter dem Schutzsjoll berbesgefübrt, t Vier bat auch die Luftschiffabrt idr Augstellungs beim,
erst in den 20er Jahren hat sich die Idee der wirtschafflichen Freibest der
Gemüter bemächtigt; erst 1849 sind die Reste der Navplgationgakte
(von 1651) aufgehoben, erst in den 49er Jahren nd die boben Ein gangszölle gefallen, weil erst damals England im Schutz der nationalen Arbeit so erstarkt war, daß es nun bei der Handel sfreidelt seinen Vor⸗ teil fand. Der Abfall der amerikanischen Kolonien don England hatte seinen Grund in der brutalen Anwendung des englischen Merkantilsystemg, gegen das sich Adam Smith kebrte. In den Be⸗ trachtungen über die französische Revolution wird nachgewiesen, daß nicht der Genfer Rousseau, der Gegner der Repräsenfatipverfassung und der Teilung der Gewalten, sondern Sispes der Theoretiker der Revolution gewesen sei. Die Heflaratlon der Menschen und Bürger
rechte, darin folgt der Verfasser der Ansicht Jellineks, war kein
Originalwerk der französischen Revolution, sondern bloß eine Nach ahmung deg amerikanischen Vorbildes. Die drei Revolutions. ver fassungen dagegen sind vollig originale Schöpfungen,
Das feste Grundprinzip englischer . wie während der Commonwealth, wie zur Zeit der Parlamentzherrschaft ist immer die wa Einheit der Staatsgewalt gewesen, die Verschmeljung aller Zweige und Nicht
einmal in der englischen Theorie hat man sich auf Montesguleus
die hohen
sowohl
gan; und gar französische Produkte, Verfassungen, wie sie bisher noch niemals zustande gebracht waren. Auf den Kopf, auf den Gedanken hatte man sich gestellt, um nach ihm die Wirklichkeit zu gestalten, als ob man, nur mit der Kenntniz des Polar⸗ sterns ausgerüstet, ohne Kompaß, Karten und Steuerruder si auf die hohe See begeben hätte.“ Da direkte allgemeine Wahlrecht wurde erst in der zweiten Verfassung von 1783 gewährt. Die von Napoleon, dem Bändiger und Beerdiger, aber zugleich Vollstrecker der Revolution, geschaffen. Orggnisation wird eingehend dargestellt. In dem AÄbschnitt über die Aufnahme der Revolutson in der deutschen Literatur wird besonders auf die Schriften Joachim Heinrich Campes und Wielands zurückgegriffen. Das Buch ist reich an interessanten Beobachtungen und setzt manches in ein neues Licht.
— Das Herzogtum Schlegwig in seiner ethnographischen und nationalen Entwicklung. Von August Sach. III. Abteilung. Halle a. S. Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses. 1967. lo S. 8 M — Per Verfaffer, der sich durch seine Schilderungen des deutschen Lebeng in der Vergangenheit einen Namen gemacht hat, hat in diesem abschließenden dritten Teil der Geschichte des Herzog⸗ tums Schleswig dessen eigenartige Entwicklung in nationaler und sprachlicher Hinsicht vom Mittelalter an bis in die neueste Zeit verfolgt. Der Inhalt gliedert sich im einzelnen in folgende Kapitel: ie Jüten, und die Sachsen in der Landschaft zwischen Schlei und Eider“, „Die Herrschaft des niederdeutschen und der Uebergang zum Hochdeutschen in den Regierungskanzleien, die nationale Entwicklung der Städte (Eckernförde, Schlegwig, Flensburg, Apenrade, Hadergleben, Tondern), die Sprache der Dinggerichte und der Kirche, die Stellung der Fürstlichen Regierung zum Hochdeutschen und dessen Bedeutung für dag Volkstum, die Sprache der Schule und ihr Verhältnis zur Volkssprache, die dänischen Sprachreskripte und ihre Folgen, die, nationale und sprachliche Entwicklung seit 864. Ein Rückblick und Ausblick beschließt das Ganze. Die niederdeutsche Sprache wird als die eigentliche Trägerin des deutschen Volkstum im Herzogtum Schleswig bezeichnet. Sie war die Sprache der Hansa und ihrer Behörden und drängte das Lateinische Schritt für Schritt zurück, um bald als öffentliche diplo— mgtische Sprache dessen Platz einzunehmen. Das Hochdeutsche fand erst lange nach der Reformation in Schleswig Eingang. Noch um 1620-530 galt selbst in den lateinischen Schulen neben dem Lateinischen nicht Hochdeutsch, sondern Niederdeutsch als Unterrichts sprache. Erst um das Jahr ItKzs) erscheint die niederdeutsche Periode im Herjogtum Schleswig als völlig abgeschlosen. Im Dreißigsährigen Kriege war das Haupt der schlesischen Dichterschule, Martin Dpitz, nach Schleswig gekommen, und sein Zeitgenosse Paul Fleming, der an der Expedition nach Persien teilnahm, war am Hofe des Herzogs Friedrichs III. ein gern gesehener Gast. Johann Rist, einer der fruchtbarsten geist⸗ lichen Liederdichter seiner Zeit, gehört in denselben Dichterkreis. Auch der Satiriker Joachim Rachel aus Wesselburen, ein gelebrter Schul= mann, der spätere Rektor der Schleswiger Domschule, ist bier zu nennen; er ist aus jener Zeit vielleicht der letzte, der in jüngerem Alter noch der niederdeutschen Muse huldigte. In der allgemeinen Schulordnung vom Jahre 1814 wurde das Hochdeutsche als Schul« sprache festgesetzt. Aber der Verfasser betont an vielen Stellen feines Buches, daß sich das Hochdeutsche die werbende Kraft, die das Nieder— deutsche in jahrhundertelangem Kampf gegen das Jütische bewährt hat, erst erringen muß.
Ausftellungswesen.
Die Eröffnung der Deutschen Armee, Marine und Kolonialausstellung.
A. F. Pünktlich um 10 Uhr Vormittags wurde am Mittwoch auf dem gleichen Gelände, das vor einem Jahre die Deutsche Land⸗ wirtschaftsausstellung beherbergte, eine Ausstellung eröffnet, deren zeit- gemäßer Zweck das Bekanntwerden weitester Volkekreise mit dem Militär⸗, Marine und Kolonialwesen der Gegenwart ist. Als Protektor des Unternehmens erschien Seine Kaiserliche und
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Herren sich auf dem weiten Vorplatz in tunlichster Nähe der Vor⸗ gänge zwanglos gruppiert hatten, hielt der Ehrenvorsitzende des Arbeitsausschusses, Generalmajor von Poser und Groß⸗Nädlißz eine Ansprache an die Fürstlichen Gäste, dem Gedanken Ausdruck gebend, die Ausstellung solle beweisen, daß Armee, Marine und Kolonial- verwaltung mit nichten unproduktiv seien, vielmehr Millionen von Arbeitern Erwerb schaffen. Der Redner schloß mit einem Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König und bat den hohen Protektor, die Ausstellung zu eröffnen. Seine Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz kam dieser Bitte nach, und erlaubte sodann Backhaus
V der Aus⸗
warmes für das Geli der Ausstellung gezeigt einem besonderen 1 Kaiserliche und Königlt — 7 den Herzog Joha öff nungsakt beendet, Estrade Brieftauben stammend, s ba boffentlich in ig St erfolgten Eröffnung der Ausstellm König nach Wiesbaden überdracht hab
ö 8 . 8 21 ö ne au die Festversammlung Platz genommen
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Kaum waren diese unden, als es aufß on 2000 Brieftauben aus Berliner
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geflügelten Boten in azurblauen Hi neue in den Lüften rauschte, diesmal Taubenschlägen, die obne Zögern ihren Aug Heimat nabmen. 13 1 19 78 be, n . schloß sich alsbald ern Mr * — — * 2 — * = n R beginnend bet der Haupthalle, die mit dem Heerwesen in gerer Beziehung steht . ö formierung, Kaserneneinrichtung, Tra Dieser Teil der Aukstel
ellung J faltet, w
ihrer t durch die Ausstellung an, im wesentlichen alles enthält, was
Bewaffnung, Uni⸗ Veryrodiantierung ꝛc. als bereits programmäßig ent⸗ as von einigen nicht gan ju sagen Das gilt im besonderen von den Marine schauspielen
deren Vollendung noch weit im erfreute der bereits dollkommen fertige
ige * w 1 2 Hier verweilten die
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Punkten schinen halle, mehr Zuftand Kolonialballe schaften besonders lange bei den acht Dioramen des Maler Dell grede, die Bilder aus allen deutschen Kolenten, J. B. den Haupt. gipfel des Kilimandscharo den Kamerunberg eire Landschaft au Togo und eine ebensolche aus Südwestafrika darstellen. Auch die Marine allergrößten Teil fertig. und es scheint daß man hier schon die neuenen Erfindungen auf dem Gebiei der Motorluftschiffabrt wird studieren können. Das benachbarte kinematographische Theater, dem der nächste Besuch zugedacht war hielt einstweilen noch seine Pforten derschlofsen; aber gegen 14 Uhr, — nachdem die Kaiserlichen Prinzen mit ibren Gemablinnen die Augstellung bereits verlassen — ist bier Seiner Hobeit dem Herzog Johann Albrecht nebst Gemablin eine Vorstellung gegeben worden, die einen Mekord in der Entwicklung der Kinematographie bejeichner, nämlich die kinematograpbische Vorfübrung der nur 3 Stunden früber stattgehabten Eröffnungefeierlichkeiten! Gemeinschaftlich begaben sick Derrschaften noch nach dem wefstlichen Teil der Geländes, in dem Wildafrikar zu Hause ist: eine für die Ausstellungezeit angeworbene und unter in Betracht kommer den T vpen treffl ich ausgewählte Ge sellschaft don Afrikanern eben- Araber und Suahell, alt Neger verschiedener Stämme
boben Herr-
halle, welcher der nächste Besuch galt, ist zum