Anregungen für unser gesamtes polltisches Leben gewinnen können. Denn in diesen Wirklichkeiten ist neben vieler Not der deutsche Idealismus nicht ju Grunde gegangen. (Sehr wahr) Wenn ich mich nicht täusche, so findet der politische Sinn der Nation in der Kiäftigung und Verfechtung der rein materiellen Interessen nicht mehr sein volles Genüge lsehr richtigh, sondern erfaßt wieder mehr und mehr nach außen hin die nationalen und im Innern die allgemeinen staatlichen — darf ich sagen: die staatlich kulturellen und die staatlich ethischen Interessen. Manche altüberkommenen politischen Programme erweisen sich dabei als zu eng. Man sucht und tastet — und das scheint mir der eigentliche Kern der jungen Bewegungen zu sein, die sich in fast allen Parteien vollziehen — man sucht und tastet nach neuen Programmen, wobei es sich nicht sowohl um extreme und radikale Verschärfungen alter programmatischer Forderungen handelt, als vielmehr darum, für die neuen Anschauungen, welche aus den gewandelten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen hervorgegangen sind, Raum zu schaffen.
Es mag paradox klingen, daß wir den Anstoß zu einem solchen Ausgleich der Anschauungen und damit jum Uebergang zu freieren politischen Empfindungen vor allem denjenigen Kreisen verdanken, die sich auf der Grundlage ihrer wirtschaftlichen Interessen zunächst ex⸗ klusid zu neuem Standesbewußtsein zusammengeschlossen haben. Aber auch hier bewährt sich die Macht des Wirklichen und des Realen Indem die deutsche Arbeiterschaft, indem der deutsche Bauernstand und neuerdings mehr und mehr der Mittelstand — ich darf mich hier, ohne Mißverständnisse hervorzurufen, dieses flüssigen Ausdrucks be⸗ dienen — ich sage, indem diese Stände geschlossen in unser Wirt⸗ schaftsleben eingetreten sind, haben sie unserem politischen Leben eine neue Färbung gegeben. Mag die Wirkung auch juerst eine materiell verflachende gewesen sein und manchen Ideal⸗ politiker zurückgestoßen haben, sie läuft im letzten Ergebnis doch auf eine Verjüngung hinaug. Nicht zum Abdanken nötigt sie die die alten Parteien, die sind uns auch in Zukunft unentbehrlich, aber sie fordert zu einer Revision der Programme, zu einer Revision, darf ich sagen, der politischen Gesinnung auf, zu einer Revision, die trotz aller Kämpfe uns am Ende auch der Versöhnung näher führen kann, weil sie auf die Hebung des Kulturniveaus des arbeitenden Kerns unserer Bevölkerung gerichtet ist (bravo! rechts und links), des Kerns, der in allen dreien von mir genannten Schichten die beste Grundlage unseres Volkslebens ist. Ich sage dies auch in bezug auf die Arbeiterschaft.
Sie, meine Herren von der äußersten Linken, die Sie Ihre Gefolgschaft nach dem Kommandowort eines starren und nach Ihren Wünschen unwandelbaren Parteidogmas dirigieren, erschweren ja diesen Projeß, von dem ich sprach, unendlich. (Lebhafte Zustimmung rechts und links.) Wenn die Zukunft einmal das Saldo Ihres Solls und Habens zlehen wird, dann wird sie Ihnen als schwere menschliche Schuld zur Last legen, daß Sie immer und überall den Klassengenossen gegen den Menschen ausspielen (erneuter lebhafter Beifall rechts und links), daß Sie im deutschen Arbeiter die Freude an staatlicher und gesell⸗ schaftlicher Mitarbeit zu ersticken suchen (sehr richtig! rechts und links), und damit auch den Trieb zu solcher Mitarbeit töten. (Erneute Zustimmung rechts und links.)
Meine Herren, der deutsche Arbeiter — auch eine große Anzahl derjenigen, die Ihnen folgen müssen — wird auf die Dauer trotz der Ideale Ihres Zukunftestaates diese Verkümmerung nicht ertragen. Ich sehe einen Beweis dafür in dem Anwachsen der Arbelterbewegung auf christlicher und nationaler Grundlage, die Ste (zu den Sozialdemokraten) ja freilich nicht mit Befriedigung verfolgen.
Der Herr Abg. Bebel hat neulich gewiß nicht aus Vorllebe für jene Bewegung die Behauptung aufgestellt — auf ihre Richtigkeit will ich sie nicht untersuchen — daß der zweite deutsche Arbeiterkongreß so radikale, ja radikalere Forderungen erhoben habe, als es jemals die Sozialdemokratle tun könne. Wie gesagt, meine Herren — ich gehe auf die Richtigkeit dieser Behauptung in diesem Augenblick nicht ein. Bildet sich — und ich vertraue darauf — in der deutschen Arbeiter⸗ schaft eine Bewegung heraus, die zu verantwortlicher Mitarbeit an der Gestaltung unseres staatlichen Lebens gewillt und entschlossen ist, dann wird in diesem Willen und Entschluß — das lehrt uns die ganze Geschichte — ein sicheres und starkes Korrektiv auch gegen die Uebertreibung, gegen die Ueberspannung einseitiger Forderungen liegen. (Sehr richtig! links.)
Meine Herren, die politischen Kräfte im deutschen Volke sind nicht erstorben, sondern sie wachsen in neuen Formen täglich heran. Es wird mein Bestreben sein, ihnen Rechnung zu tragen auf dem ganzen großen Arbeitsfelde, das vor uns liegt.
Ich gehe im gegenwärtigen Moment nicht auf die Gesetzentwürf e ein, die Ihnen bereits vorliegen. Ich bitte nur um die Erlaubnis, einige Miteilungen über den gegenwärtigen Stand der Hauptarbeiten meines Ressorts anzuschließen.
Der Herr Reichskanzler hat Ihnen vorgestern mitgeteilt, daß der Bundesrat über eine Novelle zur Gewerbeordnung berate, welche im wesentlichen bejweckt, die Berner Konvention über das Verbot der gewerblichen Frauennachtarbeit auszuführen, die elfstündige Arbeitszeit der Fabrikarbeiterinnen vorbehaltlich angemessener Uebergangsbestim⸗ mungen auf eine zehnstündige zurückzuführen und den Jugendlichen eine mindestens elfstündige Nachtruhe zu sichern. Des weiteren sollen die Werkmeister und Techniker in bezug auf den Arbeitsvertrag tun⸗ lichst den Handlungsgehilfen gleichgestellt werden. Endlich soll die jenige Grundlage, welche für die Bekämpfung von Gesundshelts gefahren — durch den Ihnen schon vorliegenden Gesetzentwurf — für die Zigarrenhaugarbeit vorgesehen ist, auch auf die Haus, und Heimarbeit in anderen gesundheitsgefährlichen Industrien er— streckt werden. Diese Novelle wird, wie ich hoffe, morgen in zweiter Lesung die Bundesratsausschüsse passieren, und ich hoffe, daß sie danach in ganz kurzer Frist dem Reichstage vorgelegt werden kann. Bis dahin darf ich mich des näheren Eingehens auf hren Inbalt enthalten.
Der Herr Reicht kanzler hat Ihnen des weiteren Mitteilung davon gemacht, daß der Gesetzentwurf für die Schaffung von Aibeitg- kammern fertig im Reichsamt des Innern vorliege. Ob es möglich sein wird, die mit diesem Entwurf parallel laufenden Entwürfe über die Ginrichtung von Vertretungen für die Handelgangestellten und für die Werkmeister und Techniker noch in diesem Winter zum Abschluß zu bringen, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, doch hoffe ich es.
Meine Herren, nach meinen vorigen allgemeinen Ausführungen brauche ich, glaube ich, nicht des näheren darzulegen, daß und!
warum mir gerade diese Gesetzentwürfe besonders am Herzen liegen. Ich habe mich bei der Ausarbeitung der Entwürfe lediglich von dem Bestreben leiten lassen, Formen für die Organisation zu finden, welche den Beteiligten eine wirklich praktische Mitarbeit gestatten. Im übrigen kann ich auf den Inhalt dieser Entwürfe nicht des näheren eingehen, solange der Bundesrat noch keine Gelegenhelt gehabt hat, dazu Stellung ju nehmen.
Meine Herren, die Privatangestellten haben bis in die letzten Wochen hinein über die Frage ihres Versicherungswesens beraten. Die zum Teil einander entgegengesetzten Vorschläge, welche aus ihren Relhen hervorgegangen sind, zeigen deutlich die große Schwierigkeit der Materie. Daß diese Schwierigkeiten bald überwunden werden müssen, ist mir nicht jweifelhaft. Die von mir angeordneten Vor⸗ arbeiten über die Art der Organisation und den technischen Aufbau, insbesondere über die Höhe der Beiträge und der zu gewährenden Renten sind im Reichgamt des Innern dem Abschluß nahe. In Ueberelnstimmung mit den Vorschlägen der Verbände von Privat— angestellten wird dabei mit Beiträgen von höchstens 10/0 des Arbeiteverdlenstes, halb zu Lasten des Arbeitgebers (höri! hörth halb zu Lasten des Arbeiters gerechnet, auch sollen die Privat- angestellten aus der reichsgesetzlichen Unfallversicherung nicht aus— geschaltet, vielmehr ihre weitergehenden Wünsche durch eine besondere Zuschußkasse berücksichtigt werden, in welcher auch die Berufs invalldität, die Abkürzung der Karenzzeit und anderes geregelt werden kann.
Meine Herren, das ist ein Plan, der zunächst die technische Möglichkeit der Durchführung dieses schwierigen Versicherungszweiges zeigen soll. Sobald die Vorarbeiten abgeschlossen sein werden, werde ich den Entwurf veröffentlichen lassen, damit die Beteiligten ganz unmittelbar Gelegenheit haben, die wirtschaftliche Durchführbarkeit, die wirtschaftlichen Folgen des aufgestellten technischen Planes ihrer- seits zu beurteilen. (Sehr gut! links.)
Ueber die Frage, ob und wie die Vorschristen über die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe weiter auszubauen sind, bin ich mit den Bundeßregierungen in Verbindung ge— treten. Persönlich vertrete ich dabei den Standpunkt, daß diejenigen nicht recht behalten haben, welche bei der grundsätz⸗ lichen Einführung der Sonntagtzruhe ganz unerträgliche Schwierig⸗ keiten für die erwerbenden Stände befürchteten. (Sehr richtig! in der Mitte und links.) Ich bin im Gegenteil der Ansicht, daß das Verständnis für den großen Segen der Sonntagsruhe sehr stark gewachsen ist (allseitige Zustimmung), und daß die Bevölkerung mehr und mehr bereit ist, auch in ihren persönlichen Gewohnheiten und Bequemlichkeiten dem Ruhebedürfnis der arbeiten den Klassen nachzugehen. (Allseitige Zustimmung.) So neige ich dazu, daß die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe, insonderheit in den großen Zentren, noch wird ausgedehnt werden können (sehr richtig! links), und daß es möglich sein wird, namentlich eine größere Uebereinstimmung in den Ausführungsbestimmungen der verschiedenen Bundesstaaten herbeizuführen. Ich unterschätz? dabei nicht die Schwierigkeiten, welche jeder Eingriff in erst kürzlich befestigte Ver, hältnisse notwendig mit sich bringen muß.
Die Vorarbeiten über die Revlsionsfähigkeit und Revisions—⸗ bedürftigkeit der auf Grund des 5 1054 der Gewerbeordnung zuge— lassenen Ausnahmen haben wegen der Fülle des Erhebung materials bisher noch nicht abgeschlossen werden können. Der Wunsch nach er⸗ weiterter und ausgedehnterer Sonntaghruhe in dieser Beziehung wird seine Grenze selbstverständlich an der Aktionsfähigkeit, der Industrie in dem Rahmen finden müssen, den der 5 1054 vorgezeichnet hat.
Die Vorarbeiten für das besonders schwierige Gebiet der Ein⸗ führung der Sonntags ruhe im Binnenschiffahrtsgewerbe sind noch nicht abgeschlossen; doch hoffe ich, daß sich auch hier ein befriedigendes Er⸗ gebnis erzielen lassen wird.
Meine Herren, das Ergebnis der Enquete über die Wirksamkeit der dem Handwerke gegebenen Organisationen wird, wie ich hoffe, im Januar oder Februar veröffentlicht werden können. Wenn auch diese Enquete der Natur der Sache nach sich nur auf einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum beziehen konnte, so glaube ich doch, daß die zum Teil sehr günstigen Ergebnisse über die Tätigkeit der Handwerkskammern an einjelnen Orten vielfache und reichliche Anregung für die gesamten Kreise des Handwerks bieten werden.
Meine Herren, die Vorarbeiten für die Revision des Arbeiter⸗ versicherungswesens habe ich nach Möglichkeit zu fördern gesucht. Sie werden begreifen, daß es mir ein Bedürfnis war, zunächst zu dem
Stellung zu nehmen nud daß ich dabei bestrebt war und bestrebt sein werde, gerade in diesen Fragen die Fühlung mit dem praktischen Leben möglichst eng zu gestalten. Ich lege für die Reform Wert auf folgende Punkte: tunlichste Verein- heitlichung des Kreises derjenigen Personen, welche gegen Krankheit
und Invalidität zu versichern sind; Schaffung der Möglichkeit, daß die Behandlung durch dle Krankenkassen den Interessen der Berufs,
genossenschaften und der Versicherungsanstalten nicht vorgreift; Meine Herren, ich brauche kaum noch mitjuteilen, daß im Reichsamt
Schaffung eines einheitlichen, mit Arbeitgeber. und Arbeitnehmer. des Innern auch ein neues Weingesetz ausgearbeitet worden ist. Die Presse hat ja darüber ausführliche Mitteilungen gebracht. Ich nehme an, daß auch dieser Entwurf in ganz kurzer Frist der Oeffentlichkeit wird übergeben werden können. Dann wird die allgemeine Kritik
ju laufen, durch Irttum über die Instanz Rechte zu verlieren; auch an diesem Entwurf einsetzen können.
beisitzenden auszustattenden behördlichen Organs in der Lokalinstanz, vor dem der Arbeiter tunlichst in allen Versicherungsangelegenheiten Recht suchen und Recht finden kann (sehr gut! links), ohne Gefahr
(bravo! rechts), Entlastung der obersten Instan; Stärkung der Krankenkassenorzanisationen durch Verteilung des Risikos
Zentralisation der Kassen, sei es durch Zusammenfassung zu Zweck2— verelnigungen in Anlehnung an kommunale Verbände, Maß—
sicherungsämtern, von denen ich sprach, auf das zukünftige Verhältnis
der Ortekrankenkassen zu den Betiiebekassen, Innungekassen und freien
Hilfekassen, auf die Reorganisation der Ortskrankenkassenverwaltungen, auf die Frage der Halbierung der Beiträge und des Stimmrechts, auf die Arztfrage, so würde ich den Rahmen überschreiten, der einerseits durch die heutige Tagesordnung, andererseits durch den gegen
wärtigen Stand der Arbeiten gejogen ist. Aber schon aus der Aufführung dieser einzelnen Details, meine Herren, werden Sie selber sich noch einmal vergegenwärtigen, mit welchen Schwierigkeiten wir bei dieser Reform der Ver—⸗
sicherungsgesetzzebung zu tun haben, und ich bin der Ansicht, daß, wenn nicht auf allen Seiten der beste, auch in Opfern bereite Wille vorhanden ist, es nicht möglich sein wird, unsere Versicherungegesetz. gebung so einheitlich und so durchsichtig ju gestalten, daß der Zweck der Versicherungsgesetzgebung, dem Versicherten schnell und gerecht zu seinem Rechte zu verhelfen, erreicht werden kann. (Sehr richtig! rechts) Es würde melnem Wunsche entsprechen, diese Reform gleich⸗ zeitig mit der Einführung der Witwen, und Waisenversorgung ins Leben treten zu lassen.
Meine Herren, bevor ich die sonalpolitischen Materien ver- lasse, möchte ich noch mit kurzen Worten das Koalitiong⸗ recht berühren. In den letzten Monaten und Wochen ist in der Presse der Verwunderung darüber Ausdruck gegeben worden, daß weder der Herr Reichskanzler noch der preußische Herr Handels⸗ minister noch ich bei Worten, die mit Vertretern von Ar— beiter, oder Unternehmerorganisationen gewechselt wurden, Ver⸗ anlassung genommen hätten, vom Koalitionsrecht zu sprechen, das doch der Angelpunkt des gesamten Arbeiterrechts sei. Wo der Ton scharf gewählt wurde, da wurde behauptet, daß das Koalitions⸗ recht der Arbeiter in seinen heutigen Formen nahezu illusorisch sei. In dieser Behauptung liegt unwelfelhaft eine unendliche Ueber— treibung. (Sehr richtig! rechts) Unter dem bestehenden Recht haben sich die Arbeiter in Deutschland so straff koalieren können wie kaum in einem anderen Lande und haben die Organisationen, die geschaffen wurden, nicht nur große Erfolge in der Verbesserung der Lohnver— hältnisse erzielt, sondern sie haben auch von ihrem Streikrecht einen umfassenden Gebrauch gemacht und es verstanden, auch Streik⸗ unwillige unter den Strelkjwang zu beugen. (Hört! hört! rechts.) Wenn große Streikbewegungen mißglückt sind, so hat das nicht an den Fesseln gelegen, die um das Koalitiongrecht gelegt sind, sondern daran, daß die Streiks begonnen wurden ohne innere Berechtigung, oder weil die Kämpfenden von vornherein ihre Machtmittel überschätzt haben. Eine andere Frage ist es, ob der Sinn der unseren Be⸗ stimmungen über das Koalitionswesen, insonderheit also den 5§ 152 und 153 der Gewerbeordnung und einzelnen Bestimmungen des Straf⸗ gesetzbuchs ju Grunde liegt, in der Fassung der Gesetze und in unserer Rechtsprechung klar zum Ausdruck kommt. Ich will auf die Einiel⸗ heiten dieser rechtlich sehr intrlkaten Materie hier nicht eingehen. Ich erinnere aber an die Ausführungen, die der Herr Staatssekretär des Reichsjustizamts in dieser Beztehung am 20. April d. J. im Anschluß an eine Rede des Herrn Abg. Heine gemacht hat, wobei er ausdrücklich erklärte, daß die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete der Erpressung und des Koalitionsrechts in der letzten Zeit zu manchen Ergebnissen geführt habe, die in ihren Konsequenzen berechtigte Zweifel erwecken könnten, und daß die gesetzlichen Bestimmungen nach seiner Ansicht nicht so klar und fest abgegrenzt seien, wie es gerade diese Materle geboten erscheinen lasse. Er hat auf die Notwendigkeit hingewiesen, bei der Revision des Strafgesetzbuchs Wandel zu schaffen und schon damals in Aussicht gestellt, durch die Reichsanwaltschaft auf eine erneute Prüfung der in Betracht kommenden Fragen hinzuwirken. Das letztere ist in der Zwischenjeit geschehen, und wir werden zunächst den Erfolg abzuwarten haben. Aber ich stehe nicht an, zu erklären, daß, wenn auch danach ein Zustand bestehen bleiben sollte, in dem wider die Absichten und den Sinn des Gesetzes der Arbeiter, der von
dem ihm gewährten Koalitionstecht Gebrauch macht, einer
Bestrafung ausgesetzt bleibt, wir an eine Aenderung der Gesetzgebung werden gehen müssen. (Bravo! rechts.) Tun wir aber das, so werden wir in allen diesen Beziehungen uns unbefangen dem Begriffe der Koalisationsfreiheit gegenüber zu stellen haben, auch nach der Richtung hin, daß die Koalitionsfreiheit nicht zur Vertrage⸗ unfreiheit und zum Stillstand unseres gewerblichen Lebens führen darf (sehr wahr! rechts5 und daß, wenn das Recht dem einzelnen die Befugnis gibt, sich zu koalieren, mit wem er will, ihm auch die Frei= helt garantiert werden muß, sich nur dann zu koalleren, wenn er will und nur mit demjenigen, mit dem er will. (Sebr gut! rechts.) Ich gebe mich allerdings keiner Täuschung darüber hin, daß eine gesetzliche Regelung, die diesen beiden Richtungen gerecht werden will, mit außerordentlichen Schwierigkeiten verknüpft sein wird. Nachdem schon vor einiger Zeit Vertreter der beteiligten Kreise, ins- besondere des Handels, der Industrie, des Handwerks und der gericht⸗ lichen Praxis mit ihren Wünschen und Ansichten über die Revisien des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb gehört worden sind, ist im Anschluß an das Ergebnis dieser im Reichsamt des Innern ver—
anstalteten Enquete der Entwurf eines abgeänderten Wettbewerb⸗
Material, das ich im Reichsamt des Innern vorfand, auch persönlich gesetzes in kommissarischen Verhandlungen mit den beteiligten preußischen
und Reichsressorts aufgestellt worden. Ueber den Inhalt des Ent⸗
wurf ist Einverständnis erzielt worden, und dieser Entwurf geht
heute den sämtlichen Bundesregierungen zu, damit diese ihre Wünsche
und Urteile abgeben können. Es wird dieser Entwurf gleichzeitig
im „Reichsanzeiger“ veröffentlicht werden, damit die Beteiligten sich zu ihm äußern können. Der Entwurf enthält besonders Be⸗ stimmungen über Konkurswaren und über das Ausverkaufswesen.
Meine Herren, die langandauernde hohe Anspannung unseres
Geldmarktes, welche schwer auf dem ganzen deutschen Erwerbs eben auf möglichst breite Schultern (bravo! rechte), sei es durch
lastet und welche insonderhelt die minderkapitalkräftigen Volksklassen
auf das empfindlichste berührt, wird von mir auf das tüefste beklagt. Die erhebliche Steigerung der Zinssätze, eine Folge des unerwarteten regeln zur Sicherung der Verwaltung der Ortekrankenkassen gegen politischen Mißbrauch. (Aha! bei den Sozidemokraten. Das sind alles Wünsche, die ich einstweilen für richtig ansehen möchte. Wollte ich auf die Details eingehen, auf die Regelung des Verhältaisses der Berufs⸗
genossenschaften und der Versicherungsanstalten zu den lokalen Ver. unseren einheimischen Veihältnissen abhängig ist, sondern sehr stark
wirtschaftlichen Aufschwungs, hat zwar mit dazu beigetragen, bei uns das Tempo und das Maß des Aufschwungs innerhalb gewisser Grenzen zu halten; aber sie bildet doch andererseits eine schwere Belastung unseret gesamten Erwerbslebens. Wenn sie auch nicht allein von
beeinflußt wird (Zuruf rechts: nur) — oder auch nur“; ich glaube aber, daß in diesem Falle beides ineinander greift —, wenn sie sehr stark beeinflußt wird durch die internationale Lage des Geldmarktes, so liegt doch der Reichsregierung die ernste Pflicht ob, auch gerade unsere einheimischen Geldmarktverhältnisse auf das genaueste zu prüfen. (Sehr richtig! rechts) Wir haben deshalb die Einleitung zu einer umfassenden Enquete über die einschlägigen Fragen des Geld⸗, Kredit, und Bankwesens bereits getroffen. (Bravo! rechts.) Der Umstand, daß dem Reichstage schon in seiner nächsten Tagung die wegen des Ablaufs des Notenprivilegiums der
in Deutschland ein lassen, ohne in die gut fundierten und in wirtschaftlicher Beziehung so segens reichen Einrichtungen unserer Sparkassen und unseres Ge⸗
Reichsbank zu machenden Vorlagen zugehen müssen, macht es er—⸗ wünscht, daß diese Untersuchung baldmöglichst in Angriff genommen nd baldmöglichst durchgeführt wird. Wir werden hierbei keinem der auf dem weiten und schwierigen Felde sich darbietenden Lösungen aus dem Wege gehen, und jeden Vorschlag, der ung aus den Kreisen der Sachverstän digen dargebracht wird, unbefangen prüfen und würdigen.
ch erkenne die Vorzüge unseres gegenwärtigen Banksystems durchaus lan und bin welt davon entfernt, die für die Gesundhaltung des deutschen Wirtschaftslebens hochbedeutsamen Leistungen unserer Zentral⸗ notenbank auch nur in einem Punkte zu schmälern; das kann aber nicht hindern, sorgsam zu erwägen, wie der Geldumlauf der gewachsenen Be⸗
völkerung und den gewachsenen Bedürfnissen entsprechend zu regeln ist,
und wie die Reichsbank in noch höherem Maße als bisher gegenüber unvorhergesehenen Fällen zu stützen sein möchte. (Sehr wahr! rechts) Wat angesichts der akuten Kalamität hat geschehen können, ist geschehen. Die Reichsbank ist unausgesetzt bemüht, nach Kräften Gold aus dem Ausland heranzuziehen, im inneren Verkehr auf die Er— sparung des Metallgeldumlaufs hinzuwirken und durch Re— diekontierung von Schatzanweisungen einer Herabsetzung der Bankrate die Wege zu ebnen. Während die Reichsbankverwaltung die Aus— hreitung des Abrechnungsverkehrs neuerdings durch Einrichtung eines Hypothekenabrechnungsverkehrs gefördert hat, sind wir gleichzeitig bemüht, auf andere Weise den weiteren Ausbau unseres Scheck⸗ und Ab⸗ rechnungsverkehrs im Interesse der Ersrparung von baren Umlaufsmitteln
in erleichtern. Der Entwurf eines Scheckgesetzes liegt der Beschluß⸗ sfassung des Bundesrats vor, und ich darf annehmen, daß er in kurjer
Fiist dem Reichstage vorgelegt werden kann. Meine Herren, ich bilde mir nicht ein, daß dieses Scheckgesetz mit
einem Male einen großen Scheckverkehr in Deutschland herbeiführen
wird (sehr richtig! rechts und links), davon ist gar keine Rede. Aber
dieses Scheckgesetz bietet doch immerhin eine sichere Grundlage, um
das in weiten Bevölkerungskreisen hervorgetretene Bedürfnis nach
einer Ausdehnung des Scheck- und Ueberweisungsverkehis zu be⸗ friedigen (sehr richtig! rechts), und ein mehreres können wir, glaube ich, im gegenwärtigen Moment nicht tun.
Es wird des weiteren geprüft werden, ob sich auch Postüberweisungsverkehr wird einrichten
nossenschaftswesens hinüberzugreifen. Meine Herren, ich habe die Hoffnung, daß die internationale
Geldkrisis den Höhepunkt erreicht, vielleicht überschritten hat, um so
mehr vertraue ich darauf, daß es gelingen wird, die Schwierigkeiten
der derzeitigen Verhältnisse zu überwinden und die baldige Rückkehr in normaleren Verhältnissen unseres Geldmarktes ju beschleunigen.
Meine Herren, ich bitte um Verzeihung, wenn ich vielleicht mehr auf Einzelheiten eingegan gen bin, als es sich bei der ersten Lesung des Etats gejiemt. Ich habe es lediglich getan, um Ihnen den Ernst meines Willens ju dokumentieren, auf dem weiten Gebiete meines Ressorts Arbeit zu leistin. (Bravo! rechts und links.) Ich bitte Sie, unterstützen Sie mich dabel. Nur der unvoreingenommene Wille, die Wirklichkeit zu nehmen, wie sie ist, mit dem Guten und Schlimmen, das in ihr ruht, nur der Wille, an ihrer Vervollkommnung unausgesetzt und freudig zu arbeiten, wird uns in den Stand sẽtzen, die Schwierig—⸗ keiten, die vor uns liegen, zu überwinden. (Bravo! rechts.) Das deutsche Volk hat die Kraft dazu (sehr richtig! rechts); es erwartet von uns, daß wir sie betätigen. (Lebhaftes Bravo rechts und links.)
Abg. von Payer (d. Volksp.): Wir sind in der auswärtigen Politik im Reichstag lange Jahre hindurch mehr als zurückhaltend gewesen.
Ich freue mich, daß uns jetzt vom Auswärtigen Amt mehr Mit-⸗ teilung darüber gemacht wird. Es sind ja auch nicht immer Geheim- nisse. Wir haben erfahren, daß 1904 wegen der Zusammenkunft des Kaisers mit dem Praäͤsidenten der Französischen Republik in Italien keine Kriegsgefahr bestanden hat. Das hat damals auch von uns kein Mensch gegl aubt, und die Auseinandersetzungen der Presse in den letzten Monaten werden bei niemand nachtiäglich eine Be—⸗
sürchtung hervorgerufen haben. Dagegen ist bei der Marokko⸗A ffäre die Sache nicht ganz im reinen gewesen. Das bestärkt mich in der
Affassung, daß auch von der deutschen Diplomatie damals große
Fehler gemacht sind. Sonst wäre undenkbar, daß der Friede, ohne daß die beiden Nationen etwas erfuhren, um ein Haar allein durch die Kunst der Diplomaten in das Gegenteil
verkebrt wäre. Wir freuen uns über die Erfolge des Kaiserbesuchs in England. Unter der bisherigen Spannung haben die Völker mindestens ebenso schwer gelitten wie die Monarchen und die Diplo⸗ maten, und nun hat sich herausgestellt, daß die ganze Spannung nur lauf einem Mißverständ is beruhte. Die Völker müssen die Pflege der
steundschaftlichen Beziehungen untereinander in Zukunft selber in die Hand nehmen und sich selbst vor folgenschweren Mißverständnissen n Bejüglich der sittlichen Verfehlungen schließen wir uns den Aus—⸗ führungen des Abg. Basseimann an. Mir ist nur noch nicht verständ⸗ lich, welcher modus procedendi eigentlich gegenüber dem Grafen Lynar eingeschlagen ist. Nachdem offiziell von einem Untergebenen gegen diesen Strafanzeige gemacht war, war es nach unserem Laien Lefühl nicht anders denkbar, als daß in aller Form Rechtens über den Missetäter zu Gericht gesessen würde. Man hat ihn aber einfach auf Kosten der deutschen Bevölkerung zur Pensionierung begnadigt. Die
öffentlichen Verhan lungen darüber baben den Unteirhaltungs. und Be⸗
sehrungsstoff nicht nur auf der Biecbank, sondern bis in die Familien lreise unerwünscht bereichert. Schuld dalan sind zum großen Teil auch die Zitungen, die sich nicht die Reserve auferlegt haben, die
fie schon ihren unmündigen Lesern schuldig waren. Die Ver—
handlungen haben unwiderlealich die Unzulänglichkeit unseres Straf⸗ projeßderfabrens bewiesen. Nicht nur die Personen haben versagt, sondern auch die gesetzlichen Enrichtungen. Das seltsam schwankende Verhalten der Staatsanwoaltschaft im Prozeß Moltke⸗Harden hat nicht nur dem Rechtsempfinden des Volkes eine schwere Wunde geschlagen, sondern auch den Glauben an die Ordnungsmäßigkeit unserer Rechtssätze zerstört. Die Frage, ob Kamarilla oder nicht, ist nur eine Spielerei mit Worten. In der Tat sind jahrelang in der Umgebung des Kaisers einflußreiche Personen gewesen, die als minderwertig zu betrachten sind, und es hat verblüffend lange gedauert, bis das zu den Ohren des Monarchen gekommen ist. Es waͤre unerträglich, annebmen zu müssen, daß die Fortdauer eines Ilchen normwidrigen Zustandes etwas Unabänderliches wäre, für dessen eseitigung man nur auf einen zufälligen Umstand rechnen kann. ch kinn nicht unterlassen, auch der Verdlenste unseres Landsmannes, des Grafen Jeppelin zu gedenken. Ob wir in Süddeutschland frei⸗ heitlicher leben als im Norden, lasse ich dahingestellt, aber auf dem Gebiete der Luftschiffahrt hat den neuesten und höchsten Flug die süddeutsche Inielligen; getan. — Unsere wichtigste Aufgabe ist die Erschließung neuer Einnahmequellen. Einig sind wir im Reichetag darin, daß wir uns nicht wieder wie 1966 selber auf die Steuersagd begeben. Dle Jagdbeute des letzten Kesseltreibens kann uns keinen Mut zur Wiederholung machen. Auf Wehrsteuer und Weinsteuer gehe ich nicht ein und erinnere nur daran, daß die Interessensen des deutschen Weinbaues sofort bei der ersten Gelegen— beit den feierlichsten und Fförmlicsten Protest gegen elne Wein⸗ steuer eingelegt haben. Im übrigen besteht mehr Klarheit über das,. was wir nicht wollen, als Über das, was wir
wollen. Zu dem ersteren gehört das Kind, daß der Schatzsekretär unter Schmerzen zu gebären im Begriff ist, das Branntwein⸗ monopol. Ich hoffe deshalb, daß es uns nicht präsentiert wird. An eine Reichseinkommensteuer ist vorläufig nicht zu denken. Es wäre auch bedenklich, die Ginkommensteuer nicht nur von den Einzelstaaten und Kommunen, sondern nun auch noch vom Reiche fordern zu lassen. Auch die Banderolesteuer auf Zigarren scheint beseitigt. Ich fürchte, es wird in den nächsten Wochen im Reichsschatzamt ziemlich viel Makulatur geben. Auch gegen eine Reichsvermögenssteuer gibt es Gründe, aber wir befinden uns in solcher Zwangslage, daß wir über manches hinwegkommen müssen. Mit der indirekten Steuerschraube im Reich kann es nicht mehr so weiter gehen. Käme es deswegen zu einer Auflösung, so würden allerdings weder die feierlichen Versicherungen der Regierung, noch die schönsten Programme der Parteien auf die Dauer stichhalten. Wir befinden uns an einem Wendepunkt. Eine falsche Zoll⸗ und Wirtschaftspolitik hat uns eine große indirekte Last durch die Ver⸗ teuerung aller Verbrauchsgegenstände auferlegt. Anderseits sind in den letzten Jahrzehnten so viele große Vermögen angesammelt worden und hat sich der Wohlstand des Mittelstandes so gehoben, daß wir diese beiden Gesichtspunkte nicht unberücksichtigt lassen können. Man könnte die Sanierung der Reichsfinanzen denen überlassen, die den Karren in den Sumpf gesührt haben. Wir wollen aber um der Sache willen das nicht tun. Wir wollen auch, daß die Interessen der Beamten zu ihrem Rechte kommen, daß die Witwen⸗ und Waisenversiche⸗ rung durchgeführt wird? daß mit der Schuldentilgung Ernst gemacht wird. Der einzig richtige Weg, eine Sanierung herbeizuführen, ist die Ein⸗ führung direkter Reichssteuern nehen den indlrekten Steuern. Der Abg. Bebel erklärte neulich, daß die Erbschaftssteuer nun und nimmer als eine indirekte Steuer anzusehen sei. Der Ausweg liegt einfach darin, ö zu bewilligen, auf der einen Seite als direkte, auf der anderen als ndirekte Steuer. Die innere Politik bewegt sich in der Frage des Blockg. Der Abg. Bebel hat gegen den Block nur den einen Ausfall gemacht, daß er die Wähler des Blocks als dumm bejeichnete. Das betrachte ich als ein mildes Urteil beim Abg. Bebel. Der Reichs kanzler hat am Sonnabend die Aufgaben des Blocks geschildert. Gehörte ich zur rechten Hälfte des Blocks, so würde ich mich sogar mit Begeisterung über diese Schilderung äußern. Vom Standpunkt der linken Seite enthielt seine Rede die größten Ungzleichheiten für die Parteien. Der Reichskanzler proklamierte, daß die Wirtschaftépolitik auch unter dem Block unverändert weiter⸗ gehen solle. Was können da die Herren auf der Rechten weiter ver⸗ langen als den Fortbestand des ae gen Zustandes! Sie können ja zufrieden sein, es kostet Ihnen keine Mühe, da mitzumachen, es kostet Ihnen kein Opfer, liberalen Forderungen zuzustimmen, die mit und ohne Block in der nächsten Zeit kommen werden, die einmal auf dem Marsch sind und kommen müssen. Die rechte Hälfte des Blocks vertritt also die Satten. Die linke Hälfte des Blocks dagegen vertritt nicht die Satten, sondern die politisch Hungrigen und die wirtschaftlich knapp Gehaltenen. Diesen Kreisen bietet die Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes nichts, es ist für sie ein fortlaufendes Opfer. Die Entwicklung der Linken verweist uns auf den Kampf. Es ist auffallend, daß der Reichskanzler Uhland zum Schutzheiligen des Blocks gemacht hat, Ich zweifle sehr, ob dieser sich für den Block gerade begeistert hätte. Was der Reichskanzler uns vorgeführt hat, konnte auch ohne den Block gelöst werden. Wir wollen gern mitmachen, aber unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß wir entschädigt werden dadurch, daß über das hinaus, was uns an liberalen Forderungen nicht vorenthalten werden kann, uns Konzessionen in der politischen Richtung gemacht werden, die wir zu vertreten uns jur Aufgabe gestellt haben. Wie sieht es nun damit aus? Im Februar, als der Kanzler sprach, schien es fast, als ob ein großer Zug in unsere Politik kommen sollte, als ob die Regierung dem Volke Vertrauen schenken wollte. Mir will es schon manchmal scheinen, als ob diese gute Zeit im Ver⸗ schwinden begriffen ist. Ist es denn wirklich dem preußi— schen Regiment unmöglich, zu dem Volke Vertrauen zu fassen und dementsprechend die Politik einzurichten? Das Mißtrauen beginnt auch bei uns seine Fittiche auszubreiten. Die Ausgaben im Heereg— wesen mußten steigen durch die erhöhten Ausgaben für die Natural⸗ verpflegung, wir sind daran unschuldig. Es wäre aber geboten gewesen, wenn wenigstens auf anderem Gebiete die Heeresverwaltung den guten Willen zu Ersparnissen gezeigt hätte. — Die Notwendigkeit der Reform des Strafrechts und Strasprozesses könnte nicht beredter geschildert werden, als es von dem Reichskanzler geschehen ist. Wann soll denn der eigentliche Entwurf kommen? Wenn der Block so lange gesund bleibt, dann ist der Kanzler manche Sorge. für die Zukunft los. Die Vorlage wegen Reform des Zivilprozesses soll schon in diesen Jahre kommen, obwohl über die Notwendigkeit dieser Vorlage keine Uebereinstimmung herrscht, obwohl der deutsche Anwaltsstand fast einstimmig mit aller Energie sich gegen die Einführung dieser Reform ausgesprochen hat. Warum kommt diese Reform? Weil sie dem preußischen Staat Hunderte, vielleicht Tausende von Richtern erspart! Was das Börsengesetz betrifft, so möchte ich die Frage aufwerfen: ist es denn die Aufgabe des Liberalismus, speziell dafür zu sorgen, daß grobe Verstöße gegen Treu und Glauben beseitigt werden, oder ist das nicht eine allgemeine sittliche Pflicht? Bei dem Vereinsgesetz wird jeder froh sein, der ungeschlagen aus dieser Reform hervorgeht. Ist dieser Entwurf überhaupt, solange er mit dem § 7 belastet ist, annehmbar? So, wie der Entwurf vor liegt, ist er keine Abschlagszahlung auf liberale Forderungen. In diesem Zusammenhang muß ich von der Enteignungsvorlage sprechen. Ganz unbekümmert um die traurigen Erfahrungen im Kulturkampf und beim Sozialistengesetz will man dies Werk noch krönen durch eine Vorlage, welche die politische Hilf⸗ und Ratlosigkeit zeigt. Die Vertreter der liberalen Parteien im Abgeordnetenhaus haben ja bereits ihre Zistimmung zu dieser. Vorlage abgelehnt. Wir Linksliberalen können uns also, so wichtig auch uns die rubige Entwicklung und fruchtbare Arbeit im Deutschen Reich sind, bei dem, was sich der Reichskanzler unter der mittleren Linie zu denken scheint, nicht beruhigen; es muß uns mehr geboten werden. Das Wichtigste, was in Frage stebt, wird sich ja in Preußen abspielen; dort ist die Bahn 4 t frei für ein neues Wahlrecht. Die einzig gerechte und rationelle Löfung dieser Frage erscheint uns — darüber haben wir nie einen Zweifel gelassen — das Wahlrecht, das jetzt von Karlsruhe bis Wien herrscht; das kann auch der preußische Sigat annehmen. Ich kann ja verstehen, wenn über diese speziell preußische Frage der Kanzler sich zuerst in Preußen aussprechen will. Auf die Form lege ich nicht den geringsten Wert, aber darauf lege ich den allergrößten Wert, daß wir hier oder an einer anderen Stelle bald Klarheit darüber erhalten, wohin die Reise gehen soll. Wir haben dem Kanzler auf seine Pro— grammrede nicht minder ehrlich mitgeteilt, was die demokratische Partei uͤber den Block und seine Zukunft denkt. Wir müssen wissen, wie wir mit einander daran sind, wir haben es an der nötigen Offenheit nicht fehlen lassen; wenn es der Herr Reichskanzler mit dem Block gut meint, dann muß er ihn erheblich weiter nach links stellen als bisher.
Abg. Zimmermann (d. Rfp.): Der Vertreter des Reichs- kanzlers hat heute Ausführungen über sein Programm gemacht, die hier im Hause um so ernstere Beachtung verdienen, als sie außerhalb des Hauses auf lebhafte Zust mmung rechnen dürfen. Auch ich halte einstweilen eine prinzipielle Trennung der Sozialpolitik vom Reichsamt des Innern für bedenklich. Wir ver⸗ nehmen, daß die Sozialpolitik nicht stille stehen soll; mit Recht wurde gesagt: Es hieße veralten, wollte man stille steben. Eine andere Auffassung wie beim Grafen Posadowsky wird ja Platz greifen. Bei dem letzteren nahmen die sozialpolitichen Gedanken einen oft so hohen Flug, daß die Verhältnisse der Praxis draußen verschwanden; das wird jetzt andeis werden. Mit Freuden begrüße ich besonders, daß hier das Konkurs, und Ausverkaufewesen durch eine Novelle zum Weitbewerbsgesetz geregelt werden soll. enn uns auf allen Seiten der ernste Wille zur soztalpolitischen Arbeit bekundet worden ist, so werden wir 3 t gern dabei mitwirken. Eigen⸗ tümlich ist ja gewesen, als Fürst Bülow am Sonnabend als Prae-
ceptor Germaniae auch einzelnen Parteien ihre Marschroute vor⸗ schrieb. Mit Genugtuung erfüllte mich die Versicherung, daß an der bewährten Wirtschaftspolitik festgehalten werden sollte; wenn der Abg. von Payer meint, die gegenwärtige Teuerung sei ein Ergebnis
der Zollpolitik, so ist das ein grober Irrtum. Auf dem Boden dieser
Politik sind wir zu den heutigen besseren Zuständen gelangt. Wenn der Abg. von Payer welter meinte, auf der Rechten des Blocks säßen die Satten und auf der Linken die Hungrigen, so gehöre ich, trotzdem ich auf der rechten Seite sitze, auch zu den politisch Hungrigen; die Erlangung weiterer politischer Rechte und Freiheiten wird von mir stets gestützt und gefördert werden. Der Kanzler führte nun als liberales Zugeständnis auch die Aenderung der Börsengesetzgehung an. Ich möchte da scharf unterscheiden zwischen politisch freiheitlichen Gebieten, woju das Vereinsgesetz gehört, und Fragen, die hinüberführen in das Wirtschaftsleben, wozu das Börsen⸗ gesetz gehört. Die Wünsche der Linken gehen da viel weiter, als auf die Beseitigung offenbarer Schäden, und da mitzugehen habe ich Bedenken. Es ist nicht richtig, daß der Mangel an Treu und Glauben durch den Differenzeinwand geschaffen ist; dieser Mangel herrschte schon vorher, er liegt an denen, die sich von andern zur Beteiligung an Börsenspekulationen verleiten lassen. Verwerflich ist insbesondere, unerfahrene kapitalschwache Personen zu Spekulationen, zum Börsenspiel zu verleiten; so liest man selbst in früheren amtlichen Kundgebungen. Hier wird eine große Vorsicht der Vorlage gegenüber am Platze sein. Der Schutz des Schwachen ge⸗ hört zu den sittlichen Pflichten auch des Staates und der Gesetz⸗ gebung. Die „Steuerjagd“ nicht mitzumachen, wäre ein gar zu be⸗ quemer Standpunkt. Die Ausgaben für unsere Sicherung nach außen müssen bewilligt und die Deckung dafür muß gefunden werden. Diese Ausgaben sind im letzten Grunde nicht unproduktive, sondern pro⸗ duktive. Bezüglich der neuen Steuern wird allerdings ein sehr ernstes Wort mit den verbündeten Regierungen gesprochen werden müssen. Wenn Sie direkte Steuern nicht haben wollen, so ist diese Ihre Erklärung nicht neu, wir hörten Sie schon im sächsischen Landtag. Wenn Freiherr von Rheinbaben aber sofort in aller Schärfe eine Absage an eine Reihe von Steuerprojekten richtet, die vielleicht doch zu einer Ver— ständigungsbrücke führen könnten, so ist es doch sehr wenig erfreulich, wenn in einer so wichtigen Frage so wenig Entgegenkommen gezeigt wird. Die Fahrkartensteuer will man reformieren; ich kenne nur eine praktische Reform: sie aufzuheben Man hört davon, daß die vierte Klasse herangezogen und die Zuschläge gleichmäßig für alle vier Klassen berechnet werden sollen; damit würde auch schon ihr soziales Mäntelchen fallen. Die direkte Reichseinkommensteuer oder Vermögenssteuer wird kommen, bald oder in fernerer Zu⸗ kunft. Die Zigarrenbanderolesteuer ist auch ein bedenklicher Vor⸗ schlag, denn es würde natürlich bei der Besteuerung nicht bei den teuersten Sorten bleiben und dann eine große Industrie aufs schwerste betroffen werden. Die Erbschaftssteuer schwebt auf der Grenze zwischen indirekten und direkten Steuern. Die Dividendensteuer würde nach der Analogie der Tabalsteuer eine Heranziehung des Großkapitals ermöglichen, und das ist für jetzt die Hauptsache. Die Wehrsteuer hat Freiherr von Rheinbaben so schroff abgelehnt, daß er sogar den Beifall des Abg. Bebel fand. 1880 hat der Bundesrat doch selbst eine Wehrsteuer vorgeschlagen; heute werden die fadenscheinigsten Gründe dagegen hervorgesucht. Bei der Last, welche die Dienstleistung beim Heer oder bei der Marine dem Be⸗ troffenen auferlegt, ist die Wehrsteuer lediglich ein gerechter Ausgleich für diejenigen, die diese Last nicht zu tragen brauchen; das hat auch Fürst Bismarck anerkannt. 1896 haben die gesamten deutschen Krieger⸗ vereine eine Wehrsteuer verlangt. Die gedienten Soldaten sind also durchaus für eine solche Steuer zu haben gewesen. 25 Millionen würden bei etwa 2 Millionen leicht aufgebracht werden können. Die Krüppel soll man natürlich ausschließen; auch andere Erleichterungen mögen vorgesehen werden. Aber ich verstehe nicht, wie in einer solchen steuerlichen Notlage ein Finanzminister diesem Projekt mit solcher Schärfe entgegentreten konnte. Wenn die Wehrsteuer eine verkappte Reichseinkommen⸗ oder Vermögensteuer wäre, so wäre das in meinen Augen ein Vorteil. Bei seinem sozialpolitischen Programm kam der Minister von Bethmann auch auf die Heimarbeit zu sprechen. Dieses Gebiet muß in Angriff genommen, aber auch da wird mit großer Vorsicht vorgegangen werden müßsen; denn es wäre ganz verkehrt, zu schablonisieren, die Heimarbeit im saäͤchsischen Erzgebirge mit der großstädtischen auf eine Stufe zu stellen. Unerklärlich und tief bedauerlich bleibt für mich, daß das Reich im Zeitalter der Sozialreform immer noch seine Zuschläge für große Lieferungen, z. B. des Reichs postamtes, an große, reiche, zum Teil jüdische Firmen, statt an selbständige Handwerker erteilt. Die Ausländerfrage bedarf größerer Aufmerksamkeit, da der Zuwachs aus dem Auslande namenklich auf unseren Handelshochschulen und technischen Hochschulen immer mehr zunimmt. An der Leipziger Handelshochschule waren im letzten Jahre 312 Hörer aus dem Deutschen Reiche und 479 aus dem Auelande, dapon 310 Russen. Än einer Diplomprüfung nahmen 22 aus dem Deutschen Reiche und 51 Ausländer teil, darunter 28 Russen. Wir züchten uns also auf unseren Hochschulen unsere Konkurrenten. Der russische Zustrom bringt piele Elemente ju uns, die nicht zu den Zierden der Hochschulen gehören und die, wo sie sich nieder⸗ fassen, in kurzer Zeit einen recht üblen Geruch durch ihr ganzes Leben verbreiten. Die Russen haben sich auch in unsere Angelegen⸗ heiten eingemischt und bei den Wahlen sozialdemokratische Schlepper⸗ dienste geleistet. Sie verbreiten revolutionäre Druckschriften und geben felbst zu Taten über, wie das Waffenlager in der Pankstraße zeigt. Mit den schärfsten Maßnahmen müssen wir uns don diefer Plage befreien. Der Reichskanzler hat mal energisch die Impertinenz der russischen ‚Veischwörer und Schnorrer“ abge⸗ wehrt. Ich hoffe, daß man jetzt nicht etwa Abstinenz demgegenüber übt, denn es bandelt sich um einen Mißbrauch des Gastrechts. Die Grenzen müssen gegen alle Russen gesperrt werden, die nicht mit dem Nachweise positiwer Absichten zu uns kommen. Ueber den Etat freue ich mich insofern als er für unsere deutschen Schulen im Auslande erhöhte Mittel vorsieht; das Gefühl der Gemeinsamkeit zwischen den Deutschen da draußen und in der Heimat muß erhalten werden. Ein wahrer Fluch war es, wie beim Moltke⸗Harden, Proseß durch die Presse die bedenklichsten Dinge hinausgetragen, wurden, wie eine Lektüre dadurch ge⸗ schaffen wurde, die sittlich nur verwirrend wirken kann. Ander⸗ seits freue ich mich der bestimmten Erklärung des Kriegs⸗ ministers, daß mit eisernem Besen Auskehr gehalten werden soll. Nach der rechtlichen Selte war der Prozeß eigentümlich. Jetzt ist die Stagtzanwaltschaft mit einem Male sehr eifrig. Hat sie juerst etwa zu Hause gesessen, weil sie nicht ganz sicher war, wie ein eventuelles Vorgehen an gewisser Stelle aufgefaßt würde? Wenn sie erst jetzt den Eifer entwickelt, so sind das Wldersprüche, die das Vertrauen des Volkes in die Rechtspflege nicht stärken können. Die ganze Sache kann man aber nicht loslösen von bestimmten Erscheinungen in unserer gesamten Literatur und Kultur. Ich zitiere hier einen Mann, der von verschiedenen Seiten ju den Klassikern gerechnet wird: „Zu Berlin im alten Schlosse sehen wir in Stein gewetzt, wie ein Weib mit einem Rosse sodomitisch sich ergötzt, und man sagt, daß diese Dame die erlauchte Mutter war unsers Fürstenstamms. Der Same schlug fürwahr nicht aus der Art: das Brutale in der Rede, das Gelächter ein Gewieb'r, Stallgedanke und das öde Fressen, jeder Zoll ein Tier. Das hat Heinrich Heine ge⸗ dichtet und damit unser Hohenjollernhaus schmählich beleidigt. Und jetzt sind Bestrebungen im Gange, diesem Mann ein Denkmal zu errichten, und zwar unter jenen Davidsbündlern, die so gern sich den Strahlen der höfischen Sonne aussetzen und ihre Füße unter den kaiserlichen Frübstückstisch stecken. Was in diesem niedertächtigen Machwerk geleistet ist, ist das Vorspiel gewesen; aus jener Zeit ist kommen und gewachsen diese Schlammfluat, die allmäblich unsere 6 durchseucht hat. Wir müssen 3 sein und, wie gegen Polen und Tschechen, auch hier unseres Rassegefühls uns bewußt werden. Dafür scheint leider an manchen Siellen kein Verständnis u sein. i kommt die Zest, wo der nationale Gedanke in 66. Konfequenzen durchgeführt wird. Dann kommt es nicht darauf
an, daß wir Blockpolitik treiben, sondern aus dem Block eine voll
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