Stelle polnische Besitzer enteignet und die Möglichkeit offen bleibt, daß sie sich anderswo erneut ansiedeln, in Gegenden, die jetzt schon völlig deutsch sind. Wird eine solche Maßregel vorgeschlagen, so muß auch zum Ziele führen. Aus politischen Erwägungen at die Regierung geglaubt, andere Mittel, dem vorzubeugen, nicht anwenden ju können; war sie dieser Meinung, so blieb uns 8 nichts übrig, als das ganze Gebiet so zu beschränken, daß diese cfabr vermieden wurde. Peg ist dadurch geschehen, daß die gesamte äche auf ein bestimmtes 9. fixlert wurde. Nun aber kam das werste. Keiner unter uns kann sich lösen von dem Gefüh] der Anhänglichkeit an die Scholle; darum hat die Maßregel nicht bloß eine materielle, sondern eine tiefgehende ethische und moralische Bedeutung, und eine konservative Partel, die in der Richtung Konzessionen zu machen geneigt sein sollte, muß sich die Sache sehr überlegen. Wir wissen uns einig mit allen Volkskreisen, die hinter uns stehen; sie werden uns noch einmal für unseren Beschluß danken. Es gibt eben Verhältnisse, in denen die Gesetze schweigen; wir können in Verhältnisse kommen, wo wir nicht anders existieren können, als wenn wir die , de,. an denen wir sonst unverrückbar festhalten, den staatlichen Notwend greiten unterordnen müssen. Es steht über dem Privatrecht doch noch das öffentliche Recht der Existenz; Sie (ju den Polen) werden mir nicht vorreden, daß solche Verhältnisse nicht vorkommen; und solche Verhälinisse müffen sanlert werden, die Staatsinter⸗ essen müssen gewahrt bleiben. Meine politischen Freunde werden diese Verantwortung übernehmen und ziehen die Konsequenzen davon. Die Grundlage, auf der die Königliche Staatsregierung ihren Ent ⸗ eignungs gedanken aufgebaut hat, haben wir nicht anerkennen können, wir haben es durch unsere Formulierung klar ausgesprochen, daß die Stärkung des Deutschlums in bestimmten Grenzen der Enteignung erfolgen soll. (Unruhe bei den Polen.) Wollen Sie darüber entscheiden? Bisher war es der preußische Staat, die preußische Staatsregierung, die darüber entschleden hat; und wir haben das Vertrauen zu der Königlichen Staatsregierung, daß sie nicht weitergehen wird, als es die Notwendigkeit unbedingt verlangt. In diesen Grenzen glauben meine politischen Freunde es mit ihren Grundsätzen vereinigen zu können, für die Enteignung zu stimmen. Wir hoffen und glauben, und wir haben das Vertrauen guch zu der Königlichen Staatsregierung, daß sie von dieser scharfen Waffe nicht einen anderen Gebrauch machen wird als den, der ihr unter allen Umständen als notwendig erscheint. An die polnischen Herren möchte ich aber aus dieser Situation heraus auch ein Wort richten, nachdem Sie so vielfach die Güte hatten, sich an mich zu wenden. Meine Herren polnischen Lands⸗ leute, wir erwarten von Ihnen, daß Sie Ihr Grundeigentum, an dem Sie so hängen wie wir, freiwillig herausgeben. Wir verlangen von Ihnen nicht, daß Sie Ihre Nationalität, Ihre Sprache, Ihre religiöse Ueberzeugung preisgeben. Aber lernen Sie aus der Sache eins: daß Sie einem Staate gegenüberstehen, daß er das, was er, wenn auch auf dem Wege der Croberung, erworben und durch die deutsche Kultur zu seinem innern Eigentum gemacht hat, daß er das unter allen Umständen aufrecht erkalten wird. Söhnen Sie sich definitiv mit dem Gedanken auß, daß Sie vorbehaltlos Glieder und Bürger dieses Staates 13 Lassen Ste das Vergangene ein Traum sein. Solange Sie sich nicht entschloffen haben, vorbehaltlos auf den Boden dieses preußischen und deutschen Staates ju treten, wird ein e. auf diesem Gebiete nicht zu erzielen sein. Unsere deutschen andsleute aber wollen auch aus dieser Situation eins ent⸗ nehmen: das Vertrauen, das auch die konservative Partei entschlossen ist, bis zu den äußersten Konsequenzen zu gehen, solange und soweit die Interessen des Vaterlandes in Gefahr sind.
Präsident des Staatsministeriums, Reichskanzler Fürst von Bülow:
Meine Herren! Ueber die Materie, die uns heute beschäftigt, habe ich mich bei der ersten Lesung dieser Vorlage so eingehend aus⸗ gesprochen, daß ich mich heute darauf beschränken werde, die Stellung der Königlichen Staate regierung zu präzisieren gegenüber den Be⸗ schlüssen Ihrer Kommission und dem Antrage der Konser⸗ vativen, der Nationalliberalen und der freikonservativen Partei. Die Königliche Staatsregierung wird den von dem Herrn Bericht erstatter soeben befürworteten Vorschlägen und dem heute zur Beratung stehenden Antrag der Herren von Heydebrand, Dr. Friedberg und Freiherr von Zedlitz zustimmen. Was hiernach bewilligt werden soll, entspricht allerdings nicht den ursprünglichen Vorschlägen der Königlichen Staatsregierung. Die Einschränkungen, die vorgenommen werden sollen, sind nicht unerheblich und werden es uns vielleicht er⸗ schweren, das von uns erstrebte Ziel ganz zu erreichen. Die Vor⸗ schläge stellen das Mindestmaß der Mittel dar, mit denen die Königliche Staatsregierung glaubt, ihre Ansiedlungspolitik fortsetzen zu können.
Wenn die Königliche Staatsregierung trotzdem mit diesen eingeschränkten Befugnissen auskommen will, so trägt sie damit den Bedenken Rechnung, die ihr aus diesem hohen Hause entgegengetreten sind, Bedenken, die sie zwar nicht teilen, aber auch nicht gering achten konnte; denn diese Be⸗ denken wurden von Parteien erhoben, auf deren Unterstützung in der Ostmarkenfrage die Königliche Staatsregierung noch immer hat zählen können und auch in Zukunft zählen muß. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.)
Meine Herren, auch ich habe Verständnis für die politischen Grund⸗ sätze, die einer weitgehenden Enteignung entgegengehalten werden können, und die soeben in beredter Weise der Herr Abg. von Heydebrand dargelegt hat. Der Entschluß, die Enteignung zu fordern, ist auch mir schwer geworden. Eachen bei den Polen. Ich mache daraus kein Hehl. Ich habe mich dazu erst entschlossen, nach⸗ dem ich alle anderen Wege sorgsam geprüft und als ungangbar erkannt hatte. Für diesen Entschluß trage ich vor diesem hohen Hause und vor dem Lande die Verantwortung. (Beifall rechts und bei den Nationalliberalen.) Meine Herren, ich habe mich bemüht, bei der Behandlung dieser Vor- lage allen Chauvinismus auszuschalten. (Lärm bei den Polen.) Ich habe mich bemüht, alles zu vermeiden, was die politischen Leiden⸗ schaften erregen könnte, und ich glaube, daß die große Mehrheit dieses hohen Hauses mit mir finden wird, daß diese Haltung die richtige und dem Ernst der Situation entsprechende ist.
Als innerhalb der Parteien, auf deren Unterstützung die Königliche Staatsregierung bei der Einbringung dieser Vorlage rechnete, mancherlei Einwände laut wurden, ist von seiten der Königlichen Staatsregierung alles vermieden worden, was nach einem Druck auf die Entschließungen der Mitglieder dieses hohen Hauses hätte aussehen können. Die Königliche Staatsregierung hat nicht mit dem naheliegenden Mittel operiert, die Verantwortung für die Folgen einer Ablehnung dem Parlamente zuzuschieben. Die König⸗ liche Staatsregierung war überzeugt, daß, wer eine kon⸗ sequente Fortsetzung unserer Ostmarkenpolitik will, durch das Schwergewicht der sachlichen Gründe dahin geführt werden mußte, die Notwendigkeit der Anwendung der Enteignung durch die Ansiedelungskommission anzuerkennen.
Diese Hoffnung hat uns nicht getäuscht; Ihre Kommission hat der Anwendung der Enteignung durch die Ansiedelungskommission unter bestimmten Voraussetzungen zugestimmt. Der Antrag der konser⸗
vativen, natlonalliberalen und freilonservativen Partei nieht der Anwendung der Enteignung durch die Ansiedelungskommission allerdings feste und ziemlich enge Grenzen durch Festsetzung einer be⸗ stimmten Landfläche. In der geringeren Bemessung der Geldmittel für die Ansiedelungskommission liegt eine weitere und erhebliche Abschwächung
der durch die Regierungsvorlage für die Ansiedelungskommission er⸗
betenen Vollmachten. Immerhin wird der Ansiedelungskommission hinsichtlich der
Außwahl der zu erwerbenden Güter die notwendige Frei⸗ heit gewährleistet. Ich hoffe, meine Herren, daß das dazu bei⸗ tragen wird, daß die Ansiedelungskommission die scharfe Waffe der Enteignung in ruhiger, besonnener Weise und mit jeder Schonung (Lärm bel den Polen) anwenden wird, die mit dem ernsten Kampf um den Boden in der Ostmark verträglich ist.
Meine Herren, unter diesen Umständen empfehle ich diesem hohen Hause die Annahme der Kommissionsbeschlüsse und des Antrages der konservativen, nationalliberalen und freikonservativen Fraktion.
Ich halte mich aber für veipflichtet, bei diesem Anlaß denjenigen Par⸗ teien, die diesen Antrag unterstützt haben, den Dank der Königlichen Staatsregterung auszusprechen (Lärm und Zurufe im Zentrum und bei den Polen) für die Einmütigkeit, mit der Sie unter Zurückstellung gewichtiger Bedenken sich bereit erklärt haben, freie Bahn zu schaffen für die Fortsetzung unserer Ansiedlungspolitik, einer Politik,
durch die allein unser Staatswesen bleiben kann, was es ist und
immer bleiben muß, nämlich ein nationaler Staat. (Bravo )
Das bisherige Ergebnis unserer Verhandlungen läßt mich hoffen, daß die Mehrheit dieses hohen Hauses die Königliche Staats⸗ regierung niemals im Stiche lassen wird, wenn es gilt, das Deutschtum zu verteidigen und den Widerstand zu überwinden, der der unlöslichen Verbindung unserer Ostmark mit unserem Reich noch immer entgegengesetzt wird. (Lebhaftes Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen. Zischen bei den Polen und im Zentrum. Wiederholtes Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen. Erneutes starkes Zischen im Zentrum und bei den Polen. Stürmisches Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)
Abg. Keruth (fr. Volkep.): Die Stellung meiner politischen
Freunde wird durch den bisherigen Gang der Verhandlungen nicht geändert. Man hat von verschledenen Seiten darauf hingewiesen, daß es patriotische Pflicht sei, dieser Gesetzes vorlage zuzustimmen, und man hat uns imputiert, daß wir eine Stärkung dis Deutschtums in den Ostmarken nicht wünschten. Dieser Vorwurf ist absolut unbegründet. Ich versichere namens der Freisinnigen der Ostmarken, daß wir uns alle als Deutsche fühlen und die Stärkung des Deutschtums ebenso sehnlich wünschen wie die Herren auf der Rechten. Wir haben dies dadurch bewiesen, daß wir dort ausharren, trotzdem die Verhältnisse immer unerquicklicher geworden sind. Das beste Mittel zur Stärkung des Deutschtums sehen wir in einer Verbesserung des Volkeschulwesengs. Es kann nicht besser werden, wenn die Schulen so überfüllt sind, wie es jetzt der Fall ist. Auch müssen die deutschen Beamten sich taktvoll verhalten, denn nur durch eine volkstümliche Politik werden wir dahin kommen, daß man auch im Auslande mit Stolz sagen kann: Ich bin ein Preuße. Mit Gewaltmaßregeln werden wir niemals Erfolg haben. Die Vorlage widerspricht dem Art. IX der Verfassung, da die Enteignung nur für das wirtschaftliche Gebiet, für Gisenbahnen ꝛc. gedacht war, nicht auch für das politische, sie widerspricht auch dem Art. I, wonach alle Preußen vor dem Gesetz gleich sein sollen, sie widerspricht zuletzt dem Gesetz über das Recht der Freizügigkeit. Welch ein Widerspruch liegt aͤuch darin, daß das Gesetz einmal als ein drakonisches gedacht ist, aber ann, seine milde Hand⸗ habung verheißen wird! Ich habe selbst 30 Jahre lang im Osten die Polenbewegung verfolgt, und mir ist nichts aufgefallen von Losreißungsbestrebungen. Sind denn die Deutschen im Osten so schwache Geschöpfe, daß sie sich im Hand⸗ umdrehen polonisieren lassen? Ich würde mich nicht poloni⸗ sieren lassen. Haben die 40 Millionen Preußen wirklich Ver⸗ anlassung, die 4 Millionen Polen zu fürchten? Allerdings dürfen die . nicht vergessen, daß 9 politisch Bürger unseres Staates nd und als in ihre Pflichten zu erfüllen haben; dafür müssen sie aber auch gleiche Rechte haben. Wenn Sie Polen an einer Stelle enteignen, so ist die erste Folge, daß sie sich anderswo ansiedeln. Es ist erklärlich, daß die Polen durch die Politik der letzten 20 Jahre gegen uns aufgebracht sind. Jeder Stoß ruft einen Gegenstoß hervor, und die Abwehr der Polen wird nun noch energischer werden. Ich mache nicht jeden Polen dafür ver⸗ antwortlich, was in diesem oder jenem polnischen Blatt steht, wie ich nicht als Deutscher die Verantwortung für alles über nehme, was in deutschen Zeitungen steht. Durch diese Ausnahme gesetzgebung wird der Kampf aber nur verschärft werden. Und wird dieses Gesetz das letzte dieser Augnahmegesetzgebung sein? Ich glaube das nicht. Die Begrenzung der Enteignung auf 70 000 ha ist ganz willkürlich gewählt. Durch diesen Antrag wird die Regierung geradezu aufgefordert, mit der Enteignung auf jeden Fall vorzugehen, bis die 70 900 ha erreicht sind. Und wenn das Geld nicht reicht, werden weitere Mittel gefordert werden. Die Polen werden ge⸗ zwungen, sich in anderen Provinzen anzusiedeln, das schlimmste ist, daß durch die Vorlage der Friede nicht bergestellt, sondern das Gegen⸗ teil erreicht wird. Wir wollen solche Zustände nicht herbeiführen, sondern mit unseren polnischen Mitbürgern in Frieden leben und ihnen ihre Rechte nicht verkümmern; darum lehnen wir die Vorlage ab.
Abg. Vier eck (fr. kons.): Namens meiner Freunde erkläre ich, daß wir den Gesetzentwurf in der Kommissionsfassung und mit dem neuen Kompromißantrag annehmen. Wir sind auch mit Zurück⸗ haltung an den Gesetzentwurf herangetreten, der einen schweren Ein⸗ griff in das Privatrecht macht, und waren von vornherein bestrebt, die n, der Enteignung ernstlich zu prüfen und zu be—⸗ schränken. ir haben uns gefragt, ob die polnische Gefahr noch sortbesteht. Die versöhnliche Art in der Broschüre des Herrn von Turno und der Reden hier im Hause hat auf uns Eindruck gemacht, und wenn diese Stimmung die n w. Bevölkerung beherrschte, würden wir uns ju einer Aenderung der Polenpolitik entschließen; aber in dem polnischen Mittelstande herrscht ein Radikalismus, der durch die Presse gepflegt wird und sich zu einer Macht entfaltet hat. Durch die Straz⸗ und Sokol⸗Vereine wird im Ernstfall eine Macht dargestellt, die eine Gefahr für uns bedeutet. Dazu ist die Ver⸗ bindung der Polen mit dem Ausland immer stärker geworden, das Aut land wird zum Kampf gegen uns aufgerufen, und es bestehen auch finanzielle Wechselbeziehungen. Daher wird die polnische radikale Be⸗ völkerung im Ernstfall im Sinne vaterländischen Geistes für Preußen versagen und vielmehr eine Gefahr bedeuten. Darum ist nicht zuzu⸗ lassen, daß diese 9 durch eine stärkere Massierung des Polentums noch ausgedehnt wird in den deutschen Grenzgebieten. Der Staat muß gegen diese Gefahr gesichert werden und diese Polenpolitik fort- setzen neben anderen Maßnahmen der Reichsregierung. Augenblicklich beberrscht der Kampf tatsächlich die Bodenpolitik, und obwohl wir schon 300 Millionen aufgewendet haben, sind zwar heivorragende kulturelle Exgebnisse erreicht worden, aber noch keine großen Erfolge gegen die Polen, weil die Ankäufe aus Hern fe Hand gering waren und durch die Praktiken der polnischen Parzellierungsbanken durchkreust werden. Dadurch ist das VDeutschtum zurückgedrängt worden, und wir können diesem Vorgehen gegenüber nicht zurück. Wollten wir mit unserer Polenpolitik Halt machen, so würde die deutsche Bevölkerung bald zu einer numerisch und wirtschaftlich schwachen herabgedrückt werden. Auf dem Gütermarkt hat sich eine
starke Preistreiberei gezeigt. Die Praxiꝛf der Ansiedlungt.
lommission ist bureaukratisch und, muß umgewandelt werden, hie Kommission muß in Verbindung mit Männern aus der eingeborenen Bevölkerung gebracht werden, die nicht nur bei der Fest. keen, der Ankaufspreise, sondern auch bei der Bemirischaflung der Güter mitsprechen. Dann werden wir eine populäre Ansiedlungt— kommission haben, während sie bisher der Bevölkerung fremd gegenüber⸗ steht. Wir haben in, der Kommission mit dazu beigetragen, daß 75 Millionen Mark für die Regulierung von Bauerngütern fest gelegt werden, weil die angesessene Bevölkerung festgehalten werden muß, ehe man einge neue heranholt. Wir freuen uns der Erfolge, die die Genossenschaftsbank und die Mittelstandskasse erzielt hat, und wollen sie in den Stand setzen, in weiterem Maße ihre Ziele zu verfolgen. Wir legen ferner Wert darauf, daß auch die Arbelter⸗ ansiedlung gepflegt wird; dadurch läßt sich die Zahl der Ansiedler mit geringen Kosten vermehren, während die Ansiedlung von Bauern schwieriger ist. Wir billigen auch, daß die Ansiedlungskommisston freie Hand bekommt zum Ankauf von Restgütern. Die Ansiedlunge⸗ politik soll nicht die Polen germanisieren, sondern nur ein Glesch. gewicht zwischen der deutschen und polnischen Bevölkerung her⸗ stellen. Die Abneigung der polnischen Besitzer, Land für vdeutsche Zwecke, herzugeben, wird durch die polnische Presse geschürt; wir müssen deshalb die Wege ebnen, damit wieder ein freies Angebot auf dem Gütermarkt hergestellt wird. Die Enteignung müssen wir auf das Notwendige beschränken, und es ist endlich ein Maß gefunden dag gebilligt werden kann. Der neue Vorschlag nieht sich zurück auf die äußerste Notwehr und setzt voraug, daß anders eine Rettung des Deutschtums nicht möglich ist. Wir akzeptieren diese Ein⸗ schränkung, die der Gefahr entgegentreten kann, daß aus bisher deutschen Bezirken die Deutschen verdrängt werden. Von einer Ausdehnung der Enteignung über diese Grenze hinaus ist keine Rede. Wir haben uns ferner bemüht, Milderungen in das Gesetz ju bringen, und von der Regierung die Zusicherung erhalten, daß der alte Fa—= milienbesitz nach Möglichkeit geschont werden soll. Viese Zusage ist ausreichend, weil sie im Kommissionsbericht niedergelegt ist. Wenn die Enteignung auf die Abwehr der Verdrängung von schwachen deut- schen hill fr n en beschränkt wird, so ist sie mit der preußischen Verfassung in Ginklang zu bringen. Bei der Prüfung an der Hand des neuen Antrags sind wir zu der Ansicht gekommen, daß die dauernde Erhaltung der preußischen Staatshoheit dieses Vorgehen bedingt, und daß es nicht in Widerspruch mit der Reichsverfassung oder mit dem Geist des Freizügigkeitsgesetzes steht. Wir verkennen nicht das Schwere, das in der Enteignung liegt; aber wir sehen die
Staatsnotwendigkeit ein, ein scharfes Schwert der Regierung in die
Hand zu geben, wofür wir die Verantwortung tragen können. Da⸗ mit die Grundlagen des Staats nicht verrückt werden können, wollen wir die Staatshoheit in jenen Landesteilen aufrecht er— halten. Die Wirkungen des Gesetzes können wir nicht prophezeien, aber wir erwarten von der Regierung vertrauensvoll, daß sie diese Waffe nur im Falle der Not gebrauchen wird, und daß sie auch die Milde, die die Komm gen wünscht, anwenden wird. Die Enteignung wird sich namentlich auf den größeren Grund⸗ besitz beschränken. Ich möchte aber auch, daß wir treue polnische Arbeiter seßhaft machen; dadurch werden wir die Härten der Polen politik mildern. Unsere Polenpolitik ist durch die polnischen Heiß⸗ sporne hervorgerufen worden. Wir haben keinerlei Feindschaft gegen die polnische Bevölkerung, wir erkennen ihren wirtschaftlichen Auf⸗ schwung an, können aber nicht m . weil es sich um das Staats- wohl handelt. Wenn die Polen ihren Widerstand aufgeben und die preußische Staatsangehörigkeit anerkennen, werden wir dauernd im Frieden mit ihnen leben können. Nach dem Ergebnis der Verhandlungen hoffe ich, daß die Regierung und die Parteien, die sich für eine nationale Politik verantwortlich füblen, zu einer Verständigung kommen werden.
Abg. Graf Praschma (Zentr.): Ich bin mir wohl bewußt, da meine Worte heute noch weniger als sonst gehört werden. Ich wi die Ansiedlungspolitik nicht im einzelnen kritisieren, sondern nur den allgemeinen politischen Standpunkt meiner Freunde darlegen. Meine Ausführungen kommen aus einem treuen preußischen Herzen. Man hat uns vorgeworfen, wir betrachteten die Polenvorlage vom kon⸗ fessionellen Standpunkt. Die Religion tritt dabei aber für uns zurück, uns bangt für unser preußisches Volt, uns bangt für das preußische Königtum, weil durch derartige Grundsätze die Monarchie nicht gewinnen kann. In der chauvinistischen Presse hat man die Enteignung mit dem Staatswohl begründet. Ich habe mich in tiefster Seele geschämt, daß das auch in Blättern geschieht, die sich konservativ nennen, daß sie ohne weiteres be⸗ reit sind, die angestammte Scholle auszuliefern. elcher Sturm der Entrüstung würde entstehen, wenn unsere baltischen Stammesgenossen in Rußland oder die deutschen Großgrundbesitzer in Ungarn enteignet werden sollten? Erfteut bin ich nur darüber, daß man den Charakter des Ausnahmegesetzes in das Gesetz hineinschreiben will; es ist mir aber unbegreiflich, wie Herr von Heydebrand sich heute in Gegensatz zum Sinne der Kommissionsverhandlungen gestellt hat, noch dazu in einer Zeit, wo man mit Recht über das Fortschreiten der Sozialdemokratie klagt. Bebel hat es offen ausgesprochen, 9. diese Vorlage seinem Programm entspreche. Die Ge⸗— fahren, die wir durch die Annahme des Gesetzes herauf⸗ beschwören, sind viel größer als die angebliche nationale Ge⸗ fahr. Diese Vorlage ist die Proklamierung der Staatsimpotenz. Zu welchem äußersten Mittel wollen Sie aber noch greifen, wenn auch dieses äußerste Mittel der Enteignung versagt? Dann bleibt
nur noch die Konfiskation und die Expatrlierung. Aber .
das sind keine christlichen, das sind macchiavellistische Gründ—⸗ sätze, und im Zweifelsfalle muß die Politik zurücktreten. Die christliche Auffassung ist unwandelbar, auf ihr ist Staat und Monarchie aufgebaut. Der absolute König von Preußen hat vor dem Windmüller von Sanssouei Halt gemacht; dieses Ruhmesblatt der preußischen Geschichte werden wir jetzt ausstreichen müssen. Das Ansiedlungsgesetz, das 1886 als ein Gesetz des Friedens proklamiert wurde, ist zu einem Gesetz des Unfriedens geworden, wie wir das damals schon voraussagten. Sie sprechen von Bismarckscher Politik. Denken Sie daran, daß auch Bismarck die Kirchengesetze zurückzog, als er einsah, daß er damit nicht durchdrang. Die konserbative Partei hat ihm damals selbst ein energisches Halt zugerufen. Für! den Begriff konseivativ, christlich konservativ gibt es kein enges Partelprogramm, auch wir nehmen für uns den christlichkonservativen Standpunkt in Anspruch, nicht Sie (nach rechts) treiben konservative Politik, sondern wir. Was Sie proklamiert haben, kommt auf den Satz hinaus: der Zweck heiligt die Mittel, den Sie sonst aufs äußerste bekämpfen. Sogar daß moderne Kriegsrecht schützt das Eigentum. Die Konseguenzen sind nicht auszudenken, das öffentliche Wohl ist immer als Vorwand ge⸗ nommen worden, wenn es galt, Throne zu stürzen. Falsus vates sim! Möge ich ein falscher Seher sein! Es kann wohl der Tag kommen, wo eine andere Regierung hier sitzt, die mehr von dem Ver⸗ trauen des Hauses abhängig ist. Vielleicht sind es dann von Ihnen (nach rechtsJ nur wenige, die aber dann einsehen, daß man über das Eigentum des einzelnen nicht hinweggehen kann, daß man die an⸗ gestammte Scholle achten muß. Möge ich ein falscher Seher sein!
(Schluß in der Zweiten Beilage)
3Zweite Beilage
zeum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger. Mr 14.
Berlin, Freitag, den 7. Januar
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Justizminister Dr. Beseler:
Meine Herren! Von den Herren Rednern, welche heute das Port genommen haben, ist die rechtliche Frage der gegenwärtigen Vorlage am eingehendsten behandelt worden von dem Herrn Abg. Der Herr Abgeordnete hat während der Kommissiong⸗ herhandlungen schon gelegentlich geäußert, es sei der Gedanke, der früher ausgesprochen worden, wohl richtig, daß die Frage, ob eine Enteignung im Interesse des öffentlichen Wohles geboten sei, weniger tine juristische als eine politisch ⸗ wirtschaftliche sei. geordnete hat bei seinen heutigen Ausführungen die Frage, ob das öffentliche Wohl im vorliegenden Falle entscheidend sein könne, auch nur deshalb erwogen, weil er darlegen wollte, daß bei der Beratung des geltenden Enteignungsgesetzes Uebereinstimmung darüber geherrscht habe, daß die Enteignung nur gegeben werden solle zu wirtschaftlichen Diese Auffassung ist nicht zutreffend. mtung des Enteignungsgesetzez der Meinung gewesen, daß keine Uebereinstimmung über den ganzen Umfang von Enteignungsmöglichkeiten sondern daß das im einzelnen entschieden werden müsse, und es ist namentlich schon damals bei der Erwähnung der Fälle, in denen die Enteignung sehr wohl in Betracht kommen könnte, hervorgehoben
Der Herr Ab⸗
Bei der Be—⸗ im Gegenteil
unter anderm: die Ausführung aller direkt oder indirekt der Landes⸗
verteidigung dienenden Anlagen, als Festungswerke oder Unterkunfts⸗
räume sowie Uebungsplätze, sodann Vorkehrungen zu notwendigen
sanitäts⸗ und sicherheitspolijeilichen Zwecken; ferner Fälle öffent⸗
lichen Notstandes namentlich bei Feuer und Wassersgefahr, Erd⸗
beben und Erdrutschen, im Kriege und in anderer dringender Not.
Das ist doch jedenfalls etwas anderes als rein wirtschaftliche Zwecke. Ich verstehe nicht, weshalb die Herren darüber erstaunt sind, daß ich diese Anführungen mache. Ich tue es, um darzulegen, daß die Ausführung des Herrn Abg. Keruth, es sei früher Uebereinstimmung darüber gewesen, daß vur wirtschaftliche Zwecke zur Enteignung führen dürften, nicht zutreffend ist.
Es ist richtig, daß die Entscheidung der gegenwärtigen Rechts—⸗ frage auf Grund des Art. 9 der Verfassung zu treffen ist, und daß die Voraussetzung bestehen müsse, daß das öffentliche Wohl die Maß— nahmen, welche die Regierung vorgeschlagen hat, fordert. Diese Frage wird das hohe Haus zu entscheiden haben. Weshalb die Königliche Staatgregierung einen solchen Notstand, will ich es nennen, anerkennt, nd deshalb zu der Vorlage geschritten ist, hat der Herr Minister⸗ prasident früher und auch heute dargelegt.
Wenn ich aber von der Voraussetzung ausgehe, daß ein öffent- liche Wohl im Sinne des Art. 9 hier in Frage steht, so ist die Rechtsfrage sehr einfach; denn für den Fall trifft das Gesetz die Entscheidung, die in der Vorlage der Regierung zum Aus⸗ falls das öffentliche es erfordert, ist die Berechtigung dazu gegeben, zwangsweise Eigen⸗ tum zu nehmen mit der Maßgabe, daß volle Entschädigung ju leisten sei. Der vorliegende Entwurf bringt diesen Gedanken zum Ausdruck, er will bestimmen, daß die Enteignung gegeben sein soll, und daß volle Entschädigung gegeben werde. des Gesetzes ist jedenfalls kein Einwand zu machen. den der Abg. Keruth dagegen erhoben hat, liegt auch auf anderem Gebiete, Er führte aus, daß der Sinn des Gesetzes gegen andere Verfafsungsbestimmungen und gegen die Bestimmungen des Freizügig⸗ leitẽgesetzes sei.
Was nun die Verfassungsbestimmungen anlangt, so kann — so weit ich es ũbersehe, und wie auch wohl der Herr Abgeordnete angenommen hat — eben nur Art. 4 der preußischen Verfassung in Frage kommen. lleber diesen Art. 4 hat schon seit langer Zeit eine gründliche wissen⸗ schaftliche Untersuchung stattgefunden, und es herrscht in der Wissen⸗ shaft kein Streit darüber, daß Art. 4 nicht sagen will, daß man Gesetze nur so erlassen dürfe, daß sie jeden treffen müßten und gleich⸗ wählg treffen müßten. Das ist einfach unmöglich. Er besagt nach der übereinstimmenden Auslegung der Rechtsgelehrten — und ich glaube, daß alle juristischen Auslegungen dieser gefolgt sind — bestehenden Standesrechte nicht mehr bestehen sollen, md daß die Gesetze, die erlassen würden, gegen jeden, gegen den sie Anwendung finden, gleichmäßig angewendet werden müßten. der kurie Sinn der auch sehr kurzen Bestimmung unserer Verfassung.
Des weiteren hat der Herr Abgeordnete verwiesen auf den 51 iz Freijügigkeitsgesetzes. Der besagt, daß jeder Inländer freie Be⸗ degung haben soll im Staate, und es ist in diesem Gesetze auch chentlich nichts weiter geregelt — es sollte auch nichts weiter geregelt beiden — als dieser Grundgedanke. lulin jusammenfassen: das Freizügigkeitegesez verbietet nur, daß In⸗ lnder wegen irgendwelcher persönlicher Eigenschaften landesgesetzlich h dem Eiwerbe von Grundstücken beschränkt werden. Das ist der knen Inhalt.
Das vorliegende Gesetz bestimmt aber nur, daß dem Staate nter gewissen Voraussetzungen das Recht zustehen soll, Grundstücke nn Eigentümer zu entziehen, und diese Entztehungsbefugnis ist icht anderes, als was schon bisher nach den Bestimmungen des kuteinungegesetzes möglich war. So gut wie danach ist es auch uch dem neuen Gesetze möglich und widerspricht nicht der Bestim—- ung des Freizũgigkeltsgesetze.
ch habe dann noch darauf hinzuweisen, daß der Art. 4 der Ver⸗ urch das gegenwärtige Gesetz nicht beeinträchtigt wird, weil eine Augnahme gegen keinen preußlschen Staalsbürger gemacht nnd, sondern jeder Preuße, der von dem Gesetz berührt wird, ist nach en Bestimmungen gleichmäßig zu behandeln. un könnte ich meine Ausführungen schließen; denn die Rechts— sowelt sie bisher behandelt worden sind, und soweit, wie ich
druck gebracht wird.
Asso gegen die Form Der Einwand,
Den Sinn kann man wohl
. sie überhaupt in Betracht kommen, sind damit wohl erörtert worden.
Ich möchte aber noch auf eins hinweisen, wa heute auch in anderer Verbindung gestreift worden ist. Es hieß, das vorliegende Gesetz wäre eine Maßnahme der Regierung, die in ihrer Art ganz einzig dastände, in anderen Ländern unbekannt und etwas ganz Neues, Unfaßbaregt wäre. Herr Abg. Dr. Friedberg hat schon bei der eisten Beratung hier im Plenum darauf hingewiesen, daß in England ein Gesetz bestehe, welches mit der gegenwärtigen Vorlage sehr viel Verwandtschaft habe. (Sehr richtig! bei den National⸗ liberalen Es ist dies ein sehr eingehendes Gesetz und es bezweckt die Stärkung des kleinen Landbesitzes. Es geht sehr weit in seinen Bestimmungen und vornehmlich ist von Interesse für uns die Vor⸗ schrift, das diejenigen, welchen das Recht verliehen wird, Grundstücke zu erwerben jzur Schaffung kleiner Landstellen, auch die Befugnis haben sollen, dies durch Enteignung zu bewerkstelligen. Es ist das eine Vorschrift, die ganz klar in der englischen small holdings Atte gegeben ist, und in dem Gesetze befindet sich vielfach der Hinweis darauf, daß eine zwangsweise Enteignung statthaft sein solle. (Sehr richtig: bei den Nationalliberalen.) ö
Meine Herren, nun weiß ich nicht, weshalb dann unser Gesetz von dem Standpunkte aus, daß auch bei uns zu Lande Ansiedlungen geschaffen werden sollen, etwas so ganz anderes wäre, als was andere Staaten schon gemacht haben; denn das Gesetz in England gilt bereits, hat Rechtekraft, ist nicht erst, wie bei der ersten Beratung bemerkt wurde, in der Vorbereitung. Ich erwähne dies nur, weil immer darauf hingewiesen wird, hier in Preußen geschehe etwas, was sonst in der Welt unerhört sei.
Das ist dasjenige, was ich zu sagen hätte, um den Standpunkt der Regierung vom rechtlichen Gesichtspunkte aus darzulegen, und ich kann mich nicht davon überzeugen, daß, was der Herr Abg. Keruth erklärt hat, diesen Standpunkt als einen unrichtigen hinstellen könnte.
Es ist von dem Herrn Abgeordneten auch noch jum Schluß darauf hingewiesen worden, Geist und Sinn der Gesetze spreche gegen die Maßnahme. Aber der Herr Abgeordnete kann doch, wenn er den Geist und Sinn der Gesetze darauf anwenden will, auch nur auf die Art. 9 und 4 der Verfassung verweisen. Das sind ja gerade die Bestim⸗ mungen, welche maßgebend sein sollen. Dort aber ist, wie ich glaube ausgeführt zu haben, deutlich gesagt, daß der Geist der Verfassung nicht nur der ist, das Eigentum zu schützen, sondern auch, daß da, wo höhere Interessen obwalten, das Eigentum zurücktreten muß; und det⸗ halb ist der Geist der Verfassung ebensowohl für die Regierungs⸗ vorlage wie für ihre Gegner. (Bravo! bei den Nationalliberalen und rechts.)
Abg. Lusensky (n.): Durch das vorliegende Gesetz soll vor allem verhütet werden, daß unsichere Elemente der Bevölkerung im Osten in kritischen Fällen das Uebergewicht gewinnen können. Nie hat jemand daran gedacht, die Polen etwa austreiben zu wollen. Unser großartiges Ansiedlungswerk hat sich im großen und ganzen bewährt. In letzter Zeit sind allerdings diesem Werk dadurch große Schwierigkeiten entgegengetreten, daß die Ansiedlungs⸗ tommission aus polnischen Händen Grund und Boden nicht mehr käuflich erhielt. Es muß daher ein Ausweg gefunden werden. Aug Gründen des öffentlichen Wohles kann das Eigentum gegen volle Entschädigung beschränkt werden. Der Begriff des oͤffentlichen Wohles ist so umfassend, daß darunter nicht allein wirtschaftliche Verhältnisse zu verstehen sind, sondern auch z. B. nationale Gesichts⸗ punkte. Hätte der Gesetzgeber sie n, wollen, so hätte er es ausdrücklich angegeben. Man sagt, das Enteignungsgesetz von 1874 spreche ausdrücklich von der Voraussetzung wirtschaftlicher Gründe, aber das Enteignungsgesetz kann die Verfassung nicht einschränken. Es ist damals eingehend uber die Sache verhandelt worden, meine Freunde stellten Anträge, die Fälle der Enteignung eingehend zu spezifitzieren, aber dagegen wurde geltend gemacht, daß sich in Zukunft neue Fälle der Notwendigkeit einer Enteignung ergeben könnten, an die man noch gar nicht denken könnte. Allerdings ist von nationalen Gründen nicht die Rede gewesen, weil man gar nicht daran dachte. Hier jwingen uns aber gerade nationale Gründe. Rechtlich ist also gegen das Gesetz nichts zu sagen, es ver⸗ stößt weder gegen die Verfassung, noch gegen das Freizügigkeits« ir, Man fragt, welche Konsequenzen könne das haben? Man önnte auch Bergwerke usw. enteignen, und das führe zum sozialisti⸗ schen Zukunftsstaat. Aber ich meine, eine spätere Zeit wird gar nicht Rücksicht darauf nehmen, was wir heute beschließen, und wenn die Sozialdemokratie zur Herrschaft käme würde es ihr ganz gleichgültig sein, ob wir heute die Enteignung gegen die Polen zugelafsen oder nicht zugelassen haben. Der Kompromißantrag beschränkt die Enteignungsmöglichkeit auf das äußerste Maß, er stellt fest, daß es sich nur um ein Notrecht handelt, daß anders das gefährdete Deutschtum nicht gesichert werden kann, und daß die Enteignung nur angewendet werden darf zur Stär—⸗ kung und Abrundung deutscher Niederlassungen, und eine fernere Be⸗ schränkung ist diejenige auf 70 000 ha. Wir wollen also die Ent- eignung nur zulassen, soweit es für den Zweck erforderlich ist. Es ist auf den Müller von Sanssouci hingewiesen worden; dieser Vergleich entbehrt des tertium comparationis. In jedem Falle sollte von dem Müller etwas erreicht werden, wozu er nach dem Gesetz gar nicht verpflichtet war. In dem vorliegenden Falle handelt es sich aber um das öffentliche Wohl, um das allgemeine Interesse, um die Staatzgralson, die gerade der große Friedrich besonders hochgehalten hat. Man kann also hier aus der Geschichte des Müllers von Sanssouei keine Schlußfolge⸗ rungen ziehen. Wag die Wirkung des Gesetzes betrifft, fo hoffen wir, daß sie die bestehenden Schwierigkeiten für die Ansledlun ge⸗ kommission beseitigen wird, und daß es wieder möglich sein wird, polnische Güter anzukaufen. Diese werden jetzt wieder von Polen frei⸗ willig angeboten werden, weil sie sich sonst der Gefahr der Ent⸗ eignung aussetzen. In meinem Wahlkreise siebt eine ganje Reihe von polnischen Besitzern mit Freuden der Möglichkeit entgegen, ihre Güter zu verkaufen. Jedenfalls wird die Vorlage eine Be⸗ ruhigung auf dem Gütermarkte herbeiführen. Dann wird es auch der Ansledlungskommission ziemlich gleichgültig sein können, ob mal ein Gut aus deutscher Hand in polnische übergeht; sie kann es ab⸗ warten, weil sie andere zur Verfügung haben wird. Mit billigeren Mitteln wird der Bedarf an Gütern erworben werden können. So werden wir die Forderungen des Deutschtums erfüllen.
Abg. Wol ff⸗Lissa 39 Vgg.): Wir können das Gute, was die Ansiedlungskommission geschaffen hat, anerkennen, aber es t elne falsche Auslegung, wenn mgn die Enteignung aus innerpolttischen Gründen versicht. Zwar zieht man sich dahinter zurück, daß es fich um nationale Fragen handelt, aber in Wahrheit sind es inner⸗ politische Dinge, die mit Fragen der Politik gegenüber dem Auslande nichts ju tun haben. Die Regierung dedujiert: hier liegt ein
1908.
Votstand vor, also enteignen wir. Wo liegt denn der Notstand? Da, we, die Weisheit der Regierung aufhört. Nach dem Gesetz liegt Notstand vor, wo eine Gefahr für Leib oder Leben des Menschen vorhanden ist. Die konserpvatibe Partei ist nur „mit schwerem Herzen! an die Sache herangegangen. Was ist das Herz? Der Prophet Jeremias sagt: Das Herz ist ein trotzig und verzagt Ding. Sie (zur Rechten) werden sagen, Ihe Serj sei ein trotzig Ding, aber ich sage Ihnen: Ihr Herz ist ein berzagt
Ding. Es handelt sich hier um die Grundrechte, die ein Palladium
des einzelnen sein sollten. Herr von Heydebrand sagt, die Vorlage liege an den Grenzen des Rechts. Wenn Sie auch meinen, daß sie nicht über die Grenze hinausgeht, so sollten Sie doch an der Grenze Halt machen, um dag Eigentum zu schützen. Wir können und werden nicht mit der Majorität gehen. Wenn wir die Verfassung nicht wahren, kommen wir zu unhaltbaren Zuständen. Ich lasse mir lieber den Vorwurf der Prinzipienreiterei gefallen als den Vorwurf der i m fte Wir halten zähe an den Prinzipien der Ver⸗ assung fest, sonst gibt es überhaupt keinen Halt mehr. In dieser Beziehung sind nicht Sie Gur Rechten), sondern wir die Konservativen.
ir müssen um so mehr an den Grundlagen der Verfaffung feff— halten, weil wir nicht wissen können, wie die Majoritäten wechseln. Das Grundrecht der Verfafsung muß der ruhende Pol in der Er⸗ scheinungen Flucht sein.
Abg. Hobrecht (ul.): Mit den ganzen Bedenken gegen diese Gesetzgebung haben wir uns eigentlich schon bei dem Ansiedlungẽgesetz von 1886 beschäftigt, und meine Freunde sind damals zu dem Resultat gekommen, die Bedenken fallen zu lassen. Der spätere Erzbischof von Stableweki, der sich damals an der Debatte beteiligte, hat ein politisches Testament hinterlassen, in welchem er in scharfer Weise das Problem zusammenfaßt. Er sagt darin u. a.“ Ich bin immer der Ueberzeugung gewesen, daß innerhalb der Zugehörigkeit zum Staate und der sich daraus ergebenden Konsequenzen Raum sein mu für das nationale Leben.. Ich stimme ihm darin bei, aber es fehlt an einer allgemeinen Definition, was unter nationalem Leben zu ver—= stehen ist. Ein nationales Leben, dessen Ideale darin bestehen, die Zugehörigkeit zum Staate zu lösen, hat nicht Raum innerha jener Konsequenzen. Gerade aus dieser Ueberzeugung sind wir über die anderen Bedenken hinweggekommen. Das Ideal der Loslösung wird aber durch die polnische Presse und durch die Versammlungen bewiesen, ebenso dadurch, daß niemals einer, der es vertreten hat, desavouiert worden ist. Chauvinisten gibt es auch bei uns, aber wir desavouieren sie. (Widerspruch bei den Polen.) Wollen Sie (zu den Polen) desavouieren, so. können Sie nach⸗= her eine rückhaltlose Erklärung abgeben; wir werden uns alle freuen. Darin liegt eine Gefahr, der man vorbeugen muß, nicht nur ein großer Schade, insofern durch den nationalen Kampf der Aufschwung der Ostprovinzen gehemmt wird, sondern eine direkte Friedensgefahr. Das ist das Tragische, daß die polnische Agitation auch von außen her geschürt wird. Wenn einer von den Polen bei uns jum Frieden spricht, wird er desavouiert und don der ganzen polnischen Presse,. zurückgewiesen. Diese Agitation ist so groß, daß die Preußische Regierung ihre ganze Aufmerksamkeit darauf lenken muß, denn sie erhält das ablehnende feindliche Verhältnis der Polen gegen die Deutschen, mit denen sie zusammenwohnen. Das lebhafte Temperament der Polen unterliegt immer dieser Agitation, die ihnen das Bild eines glück lichen Zustandes ausmalt, zu dem sie doch endlich einmal gelangen werden, wenn sie das verwünschte preußische Joch los sein werden: der Wiederherstellung des polnischen Reiches. Sie wissen ganz gut, daß das nur zu erreichen ist in einem Kriege, der für Preußen un glücklich ist. Wir leben im Frieden und hoffen es auf noch lange. Aber keine Nation Europas versäumt es, sich bereit zu halten. Bie Möglichkeit eines Krieges ist nicht ausgeschlossen, und dann wird es nicht an polnischer Agitation feblen, die ihrer Gewohnheit nach zufriedene und ruhige Masse sofort zu inflammieren, und darin liegt eine ernste, wirkliche Gefahr für unsere polnischen wie für unsere deutschen Mitbürger. Dieser Gefahr vorzubeugen, ist die Regierung verpflichtet, und darum darf sie alle Waffen, alle Rechte der Notwehr in Anspruch nehmen. Darin finde ich die Legitimation, über alle anderen Bedenken hinwegzugehen. Wie die lokale äußere Zugehörigkeit unserer Polen mit den aus—= ländischen, den russischen usw. ein Hauptmotiv der Agitation ist, um in der Masse die Vorstellung wach zu halten, daß sie doch mal wieder zusammenkommen können, so wird, wenn die Ansiedlungs⸗ politik gerade in den Grenzgebieten einen deutschen Keil trennend dazwischen schiebt, die Kraft der Agitation in erheblichem Maße ge= schwächt. Es muß psychologisch auf die Massen wirken. Versetzen Sle die polnische Bevölkerung weiter westlich, so würde ihr immer lebhafter jum Bewußtsein kommen, daß es Wahnsinn und ein Unglück wäre, wenn sie versuchte, den Zusammenhang mit dem preußischen Staate iu zerstören. Das ist die Voraussetzung, in der diese Gesetzgebung erlassen ist. Deswegen halte ich für richtig, abgesehen von anderen Bedenken, gegen die Anwendung des Enteignungs esetzes die Tätigkeit der Ansiedlungskommission auf, wenige große Sebiete zu beschränken, und zwar auf Grenzgebiete, um dieses Jlel. zu erreichen, das wir längst erreicht hätten, wenn wir längs der Grenze eine Kette von Festungen hergestellt hätten. Wer haͤtte uns hindern wollen, wenn wir aus politischen Gründen Leuten das Eigentum genommen und einen weiten Rayon um diese Festungen gezogen hätten? Wir glauben, ein besseres Mittel gewählt zu haben, und zu meiner Freude beabsichtigt die Regierung, nicht mehr o ierstreut mit Ansiedlungen vorzugehen, sondern kompakte große Massen an die Grenje ju setzen. Darin liegt eine gewisse Beschrän= kung, wie in dem Kompromißantrag, der hinweist auf ein Ende, und das bedauere ich nicht; denn wir stellen nicht in Abrede, daß es ein Ausnahme und Kampfgesetz ift, das die Bürgschaft eines Abschlusses in sich haben muß. Darum handelt auch die konserpative Partei richtiger, als wenn sie jetzt plötzlich die ganze Ansiedlungspolitik über den Haufen werfen und die Verantwortung für die Konsequenzen übernebmen wollte. Zwar fürchten nun manche Deutsche in den andern Landesteilen, die Regierung könne jetzt ihre Fürsorge auf einen verhältnismäßig kleinen Teil der Ostprovinjen beschränken, aber das ganze . werk ist doch nur ein Segment, ein Teil der Ostmarkenpolitit, und die i ng muß in vielen anderen Gebieten mehr als bisher diese Teile fördern, im Unterrichtswesen, Verkehrswesen, in der Ent- lastung der Gemeinden usw. Und wenn diese Fürsorge den polnischen Ginwohnern ebenso zugute kommt wie den deutschen, soll es mich herzlich freuen. Nichts liegt uns allen ferner, als unsere polnischen Mitbürger ohne Not kranken zu wollen. Wir denken nicht daran, Ihnen Kju den Polen) irgend ein Unrecht zujufügen, wir wollen Sie rn. nicht in dem nationalen Leben, das Raum hat in der ugebörigkeit zu unserem Staaten, beschränken. Unser Ziel ist nicht,
te zu vertreiben und Sie zu germanisieren; das ist noch nie ge— schehen. (Lachen bei den Polen.) Ich bedaure Ihr Gelächter, denn ich spreche nicht feindlich a Sie. Unser Ziel ist, Sie ju auf⸗ richtiger Mitarbeit an den Aufgaben des preußischen Staats zu ge— winnen. Das wird schwer sein und sehr lange dauern; aber 5 glaube, daß unsere Maßnahmen zum Frieden beitragen werden. Frei⸗ lich ist das nur möglich, und darin wollen wir die Regierung unter- ĩö— , sie energisch das Treiben der gewissenlosen Agitation ekaͤmpft.
Darauf wird die Debatte geschlossen.