1908 / 20 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 23 Jan 1908 18:00:01 GMT) scan diff

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k 15 So 2 . Die verkaufte Menge wird auf volle Doppelzentner und der Verkaufgwert auf volle

Noch: Hafer. 17,00 17,00 16,20 16,40 17, 00 17,00 1625 16, 40

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Kaiserliches Statistisches Amt. van der Borght.

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18.1. 21.1. 15. 1. 16.1. 165.1. 18.1. 18.1.

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Mark abgerundet mitgeteilt. Der Durchschnittspreis wird aus den unabge rundeten Zahlen berechnet. ten für Preise hat die Bedeutung, daß der betreffende Preis nicht vorgekommen ist, ein Punkt (.) in den letzten sechs Spalten, daß enisprechender Bericht fehlt.

Deutscher Reichstag. 86. Sitzung vom 22. Januar 1908, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Auf der n,, steht die Interpellation der Abgg. Albrecht und Genossen, betreffend die Einführung des Reichstagswahlrechts in den Bundesstaaten usw.

Präsident Graf zu Stolberg: Ich habe zunächst an den Vertreter der verbündeten Regierungen die Frage zu richten, ob und wann er die Interpellation beantworten will.

Reichskanzler Fürst von Bülow:

Ich habe folgendes zu erklären:

Zu l der Interpellation:

Ich lehne es ab, auf die Verhandlungen über die Ge— staltung des Landtagswahlrechts in Preußen einzugehen (Bravol rechts, da dieser Gegenstand eine zur Zuständigkeit der gesetz⸗ gebenden Organe Preußens gehörende innere Angelegenheit des preußischen Staates darstellt. (Sehr richtig! rechts.)

Zu 2 der Interpellation:

Auf Grund landesrechtlicher Befugnisse sind von der Berliner Poltzei diejenigen Maßregeln ergriffen worden, welche erforderlich waren, um Ausschreitungen auf der Straße abzuwehren. Insoweit Truppenteile in den Kasernen zusammengehalten worden sind, ist dies in Ausübung der militärischen Kommandogewalt geschehen, um jeder Anforderung zum Schutze der gesetzlichen Ordnung ohne Verzug genügen zu können. (Bravo! rechts) Ich muß hiernach die Beant⸗ wortung der Interpellation ablehnen.

Meine Herren, es ist hier gestern von neuem zu Zusammenstößen zwischen einer demonstrierenden Menge und der Polizei gekommen. Dabei mußte wleder von der Waffe Gebrauch gemacht werden. (Rufe von den Sozialdemokraten: Mußte? Lebhafte Zustimmung rechts.) Gegenüber diesen Vorgängen habe ich das Bedürfnis, von dieser Stelle aus, unabhängig von der vorliegenden Interpellation, als Reichskanzler ein Wort ernster Mahnung in das Land hinauszusenden. (Unruhe bei den Sozialdemokraten.)

Es ist nicht deutsche Art, die Politik auf die Straße zu tragen. (Lebhaftes Bravo! rechts) Die Parteien bedürfen nicht der Straßentumulte, um ihre Stimme vernehmen zu lassen. (Sehr richtig Die Straße gehört dem freien Veikehr. (Leb hafte Zarufe bei den Sozialdemokraten. Das Gesetz der öffent⸗ lichen Ordnung als das höhere Gesetz anzuerkennen und zu achten, ist jeder Bürger verpflichtet. Dem Gesetz Achtung zu verschaffen und, wenn es sein muß, zu erzwingen, ist wie die Befugnis, so auch die Pflicht der Behörden. Jeder Versuch, die öffentliche Ordnung zu stören, muß und wird zurückgewiesen werden. (Lebhaftes Bravo! rechts.) Wir werden nicht dulden, daß Agitatoren einen Anspruch auf die Herrschaft über die Straße erheben. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, daß Demonstrationen einer irregeleiteten Masse einer pflichtbewußten Regierung irgend etwas abtrotzen könnten. (Bravo! rechts. Uaruhe bei den Sozialdemokraten.) Das wird in Deutschland nie und nirgends der Fall sein Ich habe die Zuversicht, daß alle bürgerlichen Parteien einmütig sein werden in der Verurteilung und Zurückweisung dieses gefährlichen Unfugs. (Lebhafter Beifall)

Die sozialdemokratische Partei hat mit den Demonstrationen vom 12. Januar eine abschüssige Bahn beschritten. (Sehr richtig! rechts.) Ich warne Sie, diese Bahn weiter zu verfolgen. Und ich richte namentlich an die Arbeiterbevölkerung die ernste und aus einem wohl⸗ meinenden Herzen kommende Mahnung (Unruhe und Zwischenrufe

bei den Soz.) jawohl! einem Herzen, das es sehr viel besser mit den Arbeitern meint als Sie —, sich nicht vom Wege des Gesetzes und der Ordnung abdrängen zu lassen und nicht für Parteifanatiker und Hetzer die eigene Haut zu Markte zu tragen. (Lebhafter Beifall rechts, große Unruhe bei den Sozialdemokraten Die Verant.˖ wortung für die Folgen würde nicht die Regierung, würde nicht die Behörden treffen, sondern die Anstifter und die Verführer. (Stürmischer Beifall reckts; große Unruhe bei den Sozialdemokraten.)

Abg. Singer (Soz.): Ich beantrage die Besprechung der Inter⸗ ellation, die Besprechung einer Interpellation ist auch nach erfolgter blehnung der Beantwortung zulässig.

Reichskanzler Fürst Bülow und die sonstigen an dem Bundesratstisch anwesenden Bundesbevollmächtigten und Kom⸗ missare verlassen den Saal.

Der Antrag auf Besprechung bedarf einer ul fung von 50 Mitgliedern. Für den Antrag auf Besprechung stimmen die Sozialdemokraten, die Freisinnigen, die Polen und ein Teil des Zentrums; die Besprechung findet daher statt.

Abg. Fischer⸗Berlin (Sor) beginnt in sehr erregter Weise und unter fortdauerndem Lärm des Hausez, und während viele Mit⸗ glieder den Saal verlassen, zu sprechen, so daß seine ersten Sätze vollständig verloren gehen, und fährt dann fort: Die Kreuzjeitung“ meinte, wenn der Reichskanzler die Interpellation nicht beantworten wolle, so müsse er selbst in Person die Ver⸗ antwortung dafür übernehmen. Vielleicht haben wir also der Kreuzzeitung“ es zu verdanken, daß der Reichskanzler selber die Ab⸗ lehnung der Beantwortung motiviert hat. Von der formalen Berechtigung, Militär in den Kasernen in Bereitschaft zu halten, spricht unsere

Interpellation mit keinem Wort, wir haben vielmehr gefragt, ob der

Reichskanzler die y billigt. Es mag sein, daß bei den gestrigen Zusammenstößen n der Ansicht des Reichskanzlers die Waffe von der Polizei Hern g werden mußte, wir haben aber nicht eine Tatsache erfahren, die dieses Vorgehen rechtfertigt. Selbst das Berliner Tageblatt. dem man doch keine sozialdemolratischen An⸗ schauungen unterschieben kann, stellt fest, daß diese Dinge durch die Btutalität und Nervosität eines Polizeibeamten verschuldet sind. Im Hause der Metallarbeiter sind selbst Beamte, die ihr Hausrecht wahren wollten, verwundet worden. Am 25. Januar und 5. Februar 1906 waren es gerade die An⸗ hänger der Rechten, die die Politik auf die Straße trugen. Der Kaiser hat bloß einen Wunsch gehabt, er wollte mehr Volk sehen, und der Reichskanzler sitzt selbst im Glashaus, denn er hat unter freiem Himmel in der Nacht eine Versammlung abgehalten, also das Gesetz gebrochen. Ueber die Mahnung des Reichskanzlers aus wohl⸗ meinendem Herzen müssen die Arbeiter lachen, wenn Militär in Bereit- schaft gehalten wird, damit sie nicht für das Wahlrecht demonstrieren können. Das ist Heuchelei, auf den Leim kriechen sie nicht. (Präsident Graf zu Stolberg; Sie dürfen dem Reichskanzler nicht Heuchelei vorwerfen, ich rufe Sie zur Ordnung! Bei dem freisinnigen Antrag im Abgeordnetenhause erklärte der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident, daß das Reichstagswahl recht in Preußen dem Staatewohl nicht entsprechen würde. Der frei⸗ sinnige Antrag sprach nicht vom Reichstagswahlrecht, wenn aber Fürst Bülow, ein Diplomat, diesen Ausdruck gebrauchte, so hat er es mit Absicht getan, und da muß es befremden, daß der Ministerpräsizent des größten Bundesstaats erkläct, daß das Reichstagswahl recht dem Staate wobl nicht entspricht. Der Reichs kanzler hat die Verfassung des Reichs hochzuhalten und zu verteidigen. Die in der Verfassung untergelegten Grundsätze herabzusetzen, das dürfte doch wohl nicht eigentlich in den Aufgaben des Reichskanzlers liegen. Die Form seiner Erklarung muß alle diejenigen, die dem Reichstagtwahlrecht feindlich gesinnt sind, in ihrer Abneigung be⸗ stärken; sie fordert also geradezu alle Feinde dieses Rechts auf, sich mit noch größerer Offenheit als bisher zu ihrer Anschauung zu bekennen; sie, richtet sich in ihren Konsegquenzen gegen das Reichstagswahlrecht und gegen den Reichstag selbst. Sehr zur Zeit erinnert man sich jetzt der Rede des Grafen Mirbach im preußischen . der die verbündeten Fürsten aufforderte, unverzüglich einen neuen Reichstag mit einem neuen Wahlrecht einzuberufen und wie Alexander der Große den Gordischen Knoten zu durchhauen. In den ‚Hamburger Nachrichten hat man ganz ähnliche Staatsstreichtaten, ganz ähnliche Hochverratshandlungen empfohlen. Wäre Fürst Bismarck noch am Leben, er würde sich nicht einen Augenblick besinnen, das Wahlrecht zu ändern; freilich, ein heroischer Entschluß gehört dazu, den kühnen Streich der Aenderung des Wahlrechts jetzt zu wagen; aber unter dem gegenwärtigen Wahl⸗ recht muß das Deutsche Reich langsam zu Grunde gehen. Der frühere Kanjler Hohenlobe hat uns verraten, daß Fürst Bismarck in der Tat solche Absichten gehabt habe. Der Professor Delbrück hat das ausdrücklich bestätigt; nur um diese Aufgabe zu erfüllen, wäre Fürst Bismarck gern noch einmal ins Amt zurück- gekebrt; den provozierten Aufstand würde die Armee in wenigen Tagen niederschlagen und das erschreckte Bürger tum sich den herrschenden Gewalten sofort in die Arme werfen. Der lachende Erbe Hohenlohe, Fürst Bülow, hat es ja noch viel leichter; dem ist ja das Bürgertum schon aus Angst vor dem Zentrum in die Arme gefallen. Daß in früheren Stadien Fürst Bismarck ganz andere Ansichten von dem Reichstagswahl recht hatte, ist bekannt; er hat sich gegen den Zensus, für die geheime Wahl, gegen die indirekte und Klassenwahl mit den drastischsten Aussprüchen vernehmen lassen. Vor zwei Jahren enthüllte uns ja der Abg. Müller⸗Fulda, daß auch Miquel, um der Herrschaft des Zentrums zu entgehen, an die Abschaffung des allgemeinen Wablrechts dachte. Angesichts solcher Tatsachen be⸗ deutete die Erklärung Bülows im preußischen Abgeordnetenhause direkt ein Halalt für alle Wahlrechtsfeinde. Daß die National liberalen keine Freunde des allgemeinen Wablrechts sind, weiß man ja; der Abg. Menck bat es ja offen gesagt, sie seien alle Feinde des⸗ selben, aber keiner habe den Mut, es auszuasprechen. Lieber könnten sie sich mit einem Staatsstreich befreunden, als mit dem gleichen Wahlrecht für den Arbeiter, hieß es in einer Versammlung der nationalliberalen Jugendvereine. Bei allem dürfen wir doch wohl vom Reichskanzler verlangen, daß er die Gründe für seine Erklärung angibt. Was versteht er unter dem Staatswohl?? Es handelt sich doch um die rechtliche und wolitische leichberechtigung aller Staatsbürger. Nach welcher Richtung wixerspricht dem das Reichstagswahlrecht? Eine politisch rückständige und wirt- schaftlich überlebte Klasse, die preußische Junkerklasse, wird auf Kosten und aus den Taschen der Allgemeinheit unterhalten. Und jeden, der sie in diesem Privileg irgendwie bedrohte, haben sie verstanden, von den Ministersesseln herunterzubringen. Und dies verst'bt man unter dem Gemeinwohl“! Und das läßt sich der Block, dem doch auch Liberale, dem die Antragsteller für das allgemeine, direlte, geheime und gleiche Wahlrecht in Preußen angehören, gefallen! Und dabei haben die süddeutschen Staaten und Regierungen und Fürsten sich doch in den letzten Jahren zu dem allgemeinen Wahlrecht bekannt und entsprechende Ge⸗ setze gutgebeißen; und nun kommt der oberste Beamte des Reichs und kotrigiert vor aller Welt diese Füisten und Regierungen. Im pieußlschen Landtage sitzt eine ‚Volls“ Vertretung, die nach Bismarcks Worten dem elendsten, widersinnigsten Wahlsvstem ihre Entstehung verdankt, und dies Wahlspstem enispricht also nach des Fürsten Bülom Meinung dem preußischen Staatz wohl. 7 Mil—⸗ lionen Wäbler sind vorhanden, davon 6 Millionen in der dritten Klasse; 30 000 Wähler bilden die erste Klasse, jeder hat 200 mal so viel Wahlrecht, als einer in der dritten. In einer Masse von Wahl bezirken wählt in der ersten Klasse ein einielner Mann den dritten Teil aller Wahlmänner. Bekanntlich haben wir schon erlebt, daß die hohen Herrschaften, wenn sie keinen Besitz haben, mit ihren Portieis zusammen in der dritten Klasse wählen mußten, wie seinerzeit der Reichskanzler Graf Caprivi. Und gegenüber diesem Wahlrecht ist das Reichstagswablrecht ein solches, das sich mit dem Staats⸗ wohl nicht verträgt? Daraus kann man einen Schluß ziehen auf den Begriff, den der Kanzler von dem Staatswobhl hat. Man muß schon ein „sehr moderner Mensch“ und heimlich liberal

sein, um den Mut zu haben, eine solche Meinung öffentlich zu ver treten. Ein moderner Mann“, ach du lieber Gott! Derselbe Mann, der die öffentliche Wabl im Reich noch nicht einmal für gesichert genug hielt, stellte sich im Abgeordnetenbause hin und erklärte, von einer geheimen Stimmabgabe in Preußen wolle er nichts wissen. Wir müssen uns den Vorwurf des Terrorismus von Ihnen (nach rechts) verbitten. Wir berufen uns für unseren Standpunkt auf das Urteil des künftigen Königs von Bavern, des Prinzen Ludwig von Bayern. Er sagte, es gaͤbe Leute genug, die ihre Untergebenen jwängen, anders zu wählen, als sie gern möchten, es gäbe auch Leute, die ihre Leute deswegen aus dem Dienste entlassen, man dürfe sich glücklich schätzen, im Reichs⸗ tage ein solches Wahlsystem zu besitzen. Wie ganz anders der moderne! Reichskanzler! Niemals hat ein Reichskanzler es gewagt, einen solchen Standpunkt im Abgeordnetenhause zu ver= treten wie er. Auf ihn trifft jenes Wort zu, das der frühere Reichskanzler Fürst Blamarck in seiner Wut als Grabschrift für Boetticher geprägt hat. Und nun die Haltung der Freisinnigen im Ab⸗ geordnetenhause! Für das Verhältnis des Abg. Fischbeck zum Reichs. kanzler könnte man die bekannte Anekdote anwenden: Der kleine Moses kommt zum Vater und sagt zu ihm: Tateleben, Tateleben, der Fürst hat mit mir gesprochen! „Was hat er denn gesagt?!“ „Geh' weg, dreckiger Judenbengel!‘ Schwächlicher hat sich keine Partei im Abgeordnetenhause gezeigt als der Freisinn, dabei wußte er schon am Tage vorher, was der Ministerpräsident erklären würde. Wenn das Zentrum überzeugt wäre, daß auch im preußischen Landtag das Reiche⸗ tagswahlrecht eingeführt werden müsse, dann hätte es auch die Pflicht, dafür eine öffentliche Agitation zu entfalten; aber davon merkt man nichts. Damit verlasse ich den ersten Teil meiner Aus- führungen. Der Reichskanzler hat sich auf den formalen Stand—⸗ punkt der böheren Kommandogewalt zurückgezogen, um eine Beant— wortung des zweiten Teils der Interpellation abzulehnen. Es fragt sich nur, wo war die öffentliche Ruhe und Sicherbeit am 10. und 12. Januar gefährdet? Die Frage ist: Hat ein Demonstrant sich nur die kleinste Unbill zu schulden kommen lassen? Wollen Sie mir gefälligst sagen, welch' anderes Mittel die Wahlentrechteten haben, um ibren Willen zu erkennen zu geben? Es handelt sich hier nicht um eine Partei frage, sondern um ein Interesse der ganzen arbeitenden Klassen. Ich berufe michgzauf den Abg. Naumann und das „Berliner Tageblatt“. Oh! links.. Sie (links) sind ja von dem Tageblatt so oft photographiert worden, wer nicht hübsch genug ist, schimpft auf den Photographen. Die Straße gehört auch den Arbeitern. Wo ist denn diese Ruhe und Ordnung am 10 Januar gestört worden? (Zuruf rechts. Selber, Herr Pauli, haben Sie wohl nichts gesehen.) Haben die Arbeiter weniger Rechte als die nationalen Handlungsgebilfen, die im vorigen Jahre patriotische Kund⸗ gebungen vor dem Kaiser organisiert baben? Wenn die Entrechteten nach den Versammlungen friedlich ohne Waffe durch die zogen, welche Veranlassung lag vor, die Truppen in den Kasernen zu konsignieren, es müßte denn sein, Bürgerblut zu vergießen? Solange ruhige Offiziere die Leitung hatten, kam es nicht zu Störungen. Hätte sich in der Wahlnacht dasselbe ereignet, bätte die Polizei mit dem Säbel dreingeschlagen, wem hätten Sie dann die Verantwortung zugeschoben? Nicht etwa der Polizei. Der Arbeiter ist genau so wie Sie ein Steuerzahler, er braucht sich nicht als Verbrecher bebandeln zu lassen. Als am 25. Januar 1907 die Polizei einschritt, hielt es der Berliner Polizeipräsident für notwendig, sich ju entschuldigen und eine entsprechende Anweisung an die Poligeiorgane zu erlassen. Uns gegenüber wurde anders verfahren. Der Chef der politischen Polizei hat vor den Unruhen gesagt, wenn es zu Ausschreitungen käme, so seien es nicht Sozialdemokraten, die sich daran beteiligten. Die Unruben sind den Arbeitern von der Polizei brutal aufgezwungen worden. Der Kaiser hat dem angemessenen taktvollen Benehmen der Polijei am 21. Januar 1906 seinen Dank ausgesprochen. Wir schließen uns diesem Danke an, denn die Polijei hat in der Haupt⸗ sache die Versammelten ruhig nach Hause gehen lassen. Wie war es aber bei der Demonstration am 12. Januar? Diesmal aber ist der Polizei für ihr energisches Vorgehen gedankt worden. An der Gertraudtenbrücke bestand, nach dem Zeugnis eines Augenzeugen im Berliner Tageblatt, nicht die Absicht, die Waffen zu ziehen. Erst als der Hauptmann Stephan erschien, änderte sich die Situation; einer wurde ins Wasser gedrängt, die Leute konnten nicht zurück, es ent⸗ stand ein Gedränge usw. Und da kommt der Minister des Innern und erklärt, die Sozialdemokraten wären an den Unruhen schuld gewesen! Bei den Demonstrationen ist nur der Vers der Marseillaise gesungen worden, der beginnt: Das freie Wahlrecht ist das Zeichen, unter dem wir siegen. Kein Mensch kann diesen Vers als das Lied des Auf— ruhrs bezeichnen. Aber das Singen dieses Liedes galt für ein solches Verbrechen, daß das Militär konsigniert werden mußte! Es sollen an der Gertraudtenbrücke zwei Schüss⸗ oder auch nur ein Schuß gefallen sein. Wenn die Polizei noch nicht weiß, von wem der Schuß gekommen ist, so kann man wohl fragen, wer an einem solchen Schuß ein Interesse hatte. Die Berliner politische Polizei wendet ja alle Mittel der Korruption an, es werden Urkunden gefälscht, falsche Passe ausgestellt, und der Minister von Puttkamer von ehemals hat es ausgesprochen, der preußische Staat könne nicht 24 Stunden ohne die ger er gel bestehen. Wenn man da glaubt, daß der Schuß von der Polizei selbst gekommen sei kann man ihr das nicht zutrauen? Für Sie heißt es natürlich; dies Kind, kein Engel ist so rein. In der Linienstraße marschierte an der Sitze ein Mann, der besonders eifrig im Singen war, aber auf seinem Rücken hatten dir Genossen eine 8 gejeichnet, um ibn als Achtgroschenjungen zu kennzeichnen, und einer der lautesten Schreier unter den Demonstranten, der Kriminalbeamte Kassube, der sich im 4. Berliner Wahlkreis ganz besonders als sozialdemokratischer Partei genosse hervorgetan hat, wurde an der Gertraudtenbrücke von der Polizei so traktiert, daß er in einer Droschke nach Hause gefahren werden mußte. In vielen anderen Städten haben diese Demon strationen in vollkommen friedlicher Weise stattgefunden. Die „Köl⸗ nische Volkszeitung“ schrieb, in Frankreich, Belgien, Holland, England, Spanien seien politische Straßendemonstrationen allen Parteien geftattet, vielleicht wäre das Risiko nicht so groß, dieses Beispiel nach⸗ zuahmen. Wir Sozialdemokraten nehmen dieses Risiko auf uns und werden auch in Zukunft solche Demonstrationen veranstalten.

Der zͤsterreichische Ministerpräsident hat es seinerzeit bel den Wabl⸗

Straßen

ademonstrationen , . auf die friedlichen Demonstran Ciegen zu lassen. Die Massen wollen das Wahlrecht, 23. 6 nr die politische und soꝛiale Befreiung brauchen, es ist also ein

zintereffe far die Arbeiter. In sei iem Sils sterbrief nannte een fleichsanzler die deutsche Arbeiterschaft die intelligentefte der Welt. In Beflerreich haben die Regierung und der Kaiser das neue Wahl— echt gegeben, allerdings nicht aus gutem Herzen, wohl aber sahen die zserreichischen Staatsmãnner ein, daß niemand mehr Interesse an er Au rechterhaltung des österreichischen Staates und der Habs. kurgischen Monarchie hatte, und bewilligten deshalb das Wahlrecht, nell es der letzte Leim ist, der die Voͤlkerschaften Oesterreichs zu⸗ sammenhält. Die preußischen Arbeiter werden e sich auch auf die Dauer einfach nicht mehr gefallen lassen, daß sie vom gleichen Wabl⸗ ect auszeschlossen sind. Waz muß das Ausland von den innerpoli- nschen Zustanden bei uns halten, wenn die stärkste Partei des Landes mit friedlichen Demonftrationen durch die Straßen zieht, aber die Regierung das Militär konsigniert, gerade als ständen wir unmittel⸗ lar bor elnem Bürgerkriege! Die nationalen Parteien haben in den lehten Jahren geklagt, daß Deutschland isoliert und rings von Feinden umgeben sei. Veranlaßt das nicht zum Nachdenken? Sin Krieg ist nicht mehr möglich ohne die Soialtemokraten. Wie sollen zder die Arbelter freudig Gut und Blut für das Vaterland opfern, wenn man sie von allen politischen Rechten ausschließt? Es ist alfo ein Gebet der Klugheit und der Selbsterhaltung, die Forderungen der Arbeiter ju erfüllen. Die Arbeiter werden nicht ruhen, bis sie zu hren Rechten kommen.

Präsident Graf zu Stolberg Wernigerode: Unter der Unrube beim Begina Ihrer Rede babe ich nicht alles bören können, erfehe aber aus dem stenographischen Bericht, daß Sie gesagt haben: Wollen Sie die Verantwortung für alle die Polizeiinfamien übernehmen?“ 1 Ausdrucks Polizeiinfamien“ rufe ich Sie nachträglich ur Ordnung. . Abg. Kreth (okons.): Da es sich bei dieser Sache um eine einzel⸗ staatliche Angelegenheit handelt, lehnen wir es ah, uns an einer Vablrechtsdebatte zu beteiligen. Wenn ich mich überhaupt zu der Inte pellation äußere, so geschieht es lediglich aus dem Grunde, weil, wie wir richtig vermuten, die Interpellation nur eine Umrabmung dafür sein sollte, daß die Straßendemonstration so erbärmlich ins Vasser gefallen ist. Die Herren haben das Bedürfnis, hier zu erklären, daz sie doch auch noch auf dem Plane sind. Wenn man sich die Inter⸗ rellation ansah, so mußte man sich sagen, daß die Herren Interpessanten eigentlich gar nicht, wissen, welche. Gegenstände zu der Fefugnis des Reichskanzlers als solchen und in seiner Gigenschaft als Ministerpräsident staatsrechtlich gehören. Der Reichekaniler hat im preußischen Landtage genau so wenig amtssche Befugnisse wie im bayerischen, württembergischen und badischen Landtag, und Sie haben nicht das Recht, den preußischen Minister⸗ prästdenten oder einen einzelstaatlichen Minister zur Verantwortung ju jieben; das ift eine Konventspielerei. Der Leiter der sozial demolratischen Akademie der Wissenschaften, Dr. Maurenbrecher, bat auf dem letzten Preußentage ausgesprechen: Was wissen wir denn von Preußens Zustãnden? Ihre Interpellation bat gezeigt, daß Sie von peußischen Zuständen tatsächlich nicht die Tringste Ahnung haben. Damit ist für mich die erste Frage diefer Interpellation abgetan. Was die zweite Frage betrifft, so hat der Abg. Fischer selber ausgesprochen, er wüßte sehr wohl, daß das Recht befsebe, die Truppen zu konsignieren, er findet einen Anstoß nur darsn, daß von diesem Rechte Gebrauch gemacht worden ist. Nun meine ich, die Herren Jnterpellanten haben bei diesem Prozeß die Rollen falsch verteilt. Der Abg. Fischer hatte nicht das Recht sich das Barett des öffentlichen Anklägers zu vindizieren; als Angeklagte standen bier die Führer der Sozialdemokratie! Er sprach davon, daß die Demonstrationen in wahrhaft würdiger und höchst imposanter Veise vor sich gegangen seien. Sehr unwahr! Die sozialdemokratische pee sprach auch von spontanen Ausbrüchen der siedenden und cchenden Volksseele. Ich möchte einige Namen der Herren anführen, die nach dem Vor Tärts“ auf den Versammlungen diese Volksseele zum Sieden gebracht haben. Ich hoffe, damit auch den Beifall des Abg. Fischer, der eine antisemitische Anspilelung machte, zu erwerben. Es srrachen in Charlottenburg Genosse „Herzfeld, in Wilmersdorf Fenosse Hirsch“, an anderen Orten ‚Manaffe und Rofenfeld'“. Der dersterbene Abg. Sabor würde gefagt haben: das läßt tief kliken. Der Zusammenhang zwischen russischen Revolutionären

und deren Schüren und den Bestrebungen, der Soznialcemokratie,

je bier auf die Straße gegangen ist, ist wohl, wenn man sich diefe Namen vergegenwärtigt nicht von der Hand zu weifen. Zuruf bei

den Sozialdemokraten: Kreih ist ja auch ein jädischer Name!) Diefe tente Zemutung muß ich in aller Bescheidenbeit ablehnen, Herr Singer. Nun hat zwar der Abg. Fischer fest estellt, daß die Zeitungs⸗ noti⸗ die ihn selbst bezichtigt, eine sehr unvorsichtige Aeußerung getan in baben, unrichtig sei, aber ju meinem Bedauern hat er nicht aus⸗ Firrochen, was er eigentlich gesagt hat. Ich babe es nicht hören önnen, und ich habe ihn wiederholt gebeten, etwas lan- samer zu fprechen; TMagte darauf, er lege keinen Wert darauf, ob ich börte, was er sagte. Ich glaube gebört zu haben, daß er sagte, wir werden uns Das Recht,

a der S ö j an der Straße zu demonstrieren, schon noch erzwingen, und wenn

än die Sozialdemokratie plötzlich mit einer geheim vorbereiteten Demon stration auf dem Plane erschiene, so wollte ich den Mann ren, der dann auf das Volk schießen lassen wollte. Also daraus ar schon ju entnebmen, daß eine im geheimen vorgenommene Demon t ation geplant war und jzur Ausführung gekommen ist; 2. Fischer bestreitet das nicht. Der Abg. Fischer sagte von den rigen Versammlungen, sie wären weiter nichts als Arbeitelosen⸗ r ammlungen gewesen; er scheint den Vorwärts“ nicht ganz auf⸗ ner am zu lesen, denn nach dem Bericht des Vorwärts wurde in den deiden Versammlungen in Moabit die Parole ausgegeben: ans Arbeitern das Wablrecht. nn das nicht. nmal gesagt, ndern einfach eine n auf dem Schlachtfelde, wie jede andere Machtfrage—

1 . .

der

Das . Ich habe schon am 7.

it die Gebt . h Also eine Arbeitslosenversammlung Ein verstorbener Führer der Sozialdemokratie hat der Sozialismus sei keine Frage der Theorie mehr, Machtfrage, die nur auf der Straße zu löfen

Ich ver

. in den Ausführungen des Abg. Fischer die Erklärung, daß Sie ct beabsichtigen, irgendwie »inmal eie Semonftratio? daju zu

FKiußen, auf die se Weise ein; Machtfrage zum Austrag zu bringen.

Der. V

r, Vorwärts, hat in dem ihm eigenen Jargon es so dargestellt, als

. vreußische Volksvertretung in Angst und Zittern sich binter fen den betreffenden Artikel) Der Vorwärts übersiebt dabei, daß ä bteußische Landtag nicht am Sonntag tagt. e stretio nen der Sozialdemokraten und den . n sg bil fen am Wabltage besteht doch großer rer bier Zunächst ein Unierschied der Gesinnung. Sie (zu e ialtemokrgien) wollten auf ungesetzliche Weise ein Recht e. ingen, was Sie auf gesetzlichem Weg:; nach at erlangen können; auf der Sete der

ein

acht,

8

Senn der

nnn der Massen die Rede ist, so kann man nur Naelten ihrer selbst und wissen nicht wie. Der Ünverftanb der . ist der Feind der bürgerlichen Gesellschast, aber lan e bwert des Geistes' ist in der Rüstkammer der Sozial. e luatie nicht zu finden. Wenn gänzlich Unbeteiligte daz; ker abbekommen haben, so Fedauere ich das lebbaft, aber 1 Lem aanschajt trifft dabei keine Schuld. Es sind im gangen eam rw un dangen vorgekommen, die ein Verbinden erforderten. Sie

n turch die Bank nicht schwer, ein Beweis, daß die Schutz

wo der Verkehr wabrscheinlich nicht

sagen:

kue mit der j * größten Vorsicht vorgegangen sind. Der Abg. Fischer * daß Spitzel Schüsse abzegeben baben; im Gegenfatz . ö „Vorwärts“ diese Schüsse als eine barmlose Detonation 56 net. Gestern ist auch ein Schuß auf einen reitenden . abgegeben worden, und nur durch Zufall ist er nicht . worden. Will man etwa behaupten, daß, der Kassube oder 3 1 diesen Schuß abgegeben bat? Ich möchte dapor warnen, n Schutz leute, die ihre Diensipflicht erfallen, einfach abschießen

und Pistelen der Schatz leute zurückgezogen häfle. (Der Redner

Zwischen den Ozationen der Al keit des preußischen Wahlrechts betont.

86 , . ; . andlungsgehilfen landelte eg sich um eine Ovation für den leitenden Siaaismann in ̃ rah so gestõrt ist. Abg. . Verse zitiert hat, worin auch von dem

Bebel ruft: Elender Schurke!

kann. Sollte etwa der Reichslanzler die Zusicherung geb daß die konsignierten Truppen unter keinen Umstäͤnden ! . greifen? Diese Zusicherung haben Sie (zu den Sozialdemokraten) webl selbst nicht erwartet, denn Kaß die Demenstratton so ausgefallen wäre, wie es geschehen ist, wenn doch der unruhige Gedanke vorgeherrscht hätte, daß die Truppen vielleicht eingrelfen könnten, wird auch der größte Prophet der Sonaldemokrätie nicht voraus sagen. Lassalle warf in seiner bekannten Verteidigungsrede den Bourgeois vor, sie hätten die Arbeiter allein gelaffen; er fragte: wo war die Jatelligen; Berlins? Wo waren Sie alle, meine Herren? Dieselbe Frage richte ich an Sie (Cu den Sonaldemokratenj. Wo waren die Führer der Sozialdemokratie? Vor nicht zu langer Zeit bat, ein Partelgewaltiger, von Jubel umrauscht, gesagt: im Außen- blick der Gefabr steben wir alle in erster Reihe! Diefen Ehrenplatz bat man augenscheinlich den Unbeteiligten eingerãumt; man fah sehh plele die nicht da waren. Im Augenblick der Gefahr ist Beistesgegenwart unschätzbar, darum Riehen viele die Körperabwesen. beit vor. Nach dem berühmten Beispiel von Marc Anton haben auch die Führer der Sonialdemokratie, natürssch außerhalb diese; Hauses gehandelt. (Zuruf deg Atkg. Stadthagen) Ich kabe schon einmal gegenüber dem Abg. Stadthagen ausgeführt, daß ich Beschimpfungen von jener Seite als bohe Auszeichnun j be— trachte. Dag ist eine Ermiehungsfrage. (Abg. Stadthagen: 23 Sie den Mut, die Wahrheit zu ah ) Der Abg. Stadthagen bat eben gesagt, ich hätte nicht den Mut, die Wahrheit zu fagen, und es kam mir auch vor, als wenn er so etwas wie Glender“ sagte. Nun, über deutsches Empfinden will ich mit ibm nicht rechten. Abg. Stadthagen: Sie sind ja gar kein Deutscher) Der Abg. Cite g nimmt mich gar als Stammesgenossen in Anspruch. Dle preußischen Junker haben bie her immer in , Eine Ausnahme muß ich den Sezialdemokraten zugeben, den Abg. Ledebour. An der einfamen Pappel hielt dieser moderne tribunus plebis auf der Schulter eines Henossen eine Ansprache, in der er auf die historische Bedeutung des Augenblicks hinwies, vielleicht hatte er die Frost abgeschritten, und er schleß mit dem Rufe: Die Sozialdemokratie boch! Ich kann mir lebhaft denken, wie der Ahg. Ledebour die Sache weiter inszeniert bat. Die heutige Demonffratian ist nach der grenzen lofen Blamage der früheren mit den anderthalb Dutzend berwundeter Köpfe nichts weiter als ein Rächzugsgesecht. Wo hklieben denn die Führer, die sonst an den Parteltagen usw. an erfster Stelle stehen, an solchen 5 Tagen erster Ordnung? Diese Frage wird man Ihnen vielleicht bald vorlegen. Tie Poft' herichtet nach einer Mitteilung eines Dresdener Blattes, daf die Sozialdemokratie für die Demonstrationen am Sonntag als Parole 2 habe, Frauen und Kinder mitzubringen. Ich erwarte von den sozialdemokratischen Führern im Hause. daß fie mit voller Entschiedenheit erklären, daß ö das aufs schärfste verurteilen. Darüber ist kaum ein Zweifel, wenn die Sozialdemokraten nach dem Muster von Italien versuchen sollten, Frauen und Kinder als 83 gegen die Pelizei ju gebrauchen, so wird die Entrüstung des deutschen Volkes ihre Partei fortfegen. (Es entstebt ein lang⸗ andauernder außergewoöhnlicher Tumult. Der Abg. Bebel stürmt beftig auf den Rezner zu, und es fallen heftige Rufe aus den Reiben der Sozialdemokraten, wie Lüge! Schurke! Lump! Verleumder! Der Abg. f 1e Der Abg. Stadthagen schreit: Gemeiner Lümmel Sie, Lump! Der Vijepräsident Kaempf versucht unter fortgesetztem Läuten der Glocke zu sprechen, kann sich aber nicht berständ lich macken. Durch den Lärm bört man immer wieder dle Rufe; Runter von der Tribüne! Rautz! Der Abg. Stadthagen ruft: , vom Stamme Kreth!) Der Redner fährt fort: Eine Kritik meiner Person von irgend welchem Gelichter ist mir gan; gleichgũltig. Ich selbst denke an solche Ruchlosigkeit nicht. Ich zie he wich nicht hinter die Polijei zurück, ich proponiere aber dem Abg. Stadthagen ein Rencontre mit mir und verpflichte mich, keine Polijeispigel mitzubringen. Mit allen solchen Straßendemonstrationen werden Sie Preußen nicht über den Haufen rennen.

Abg. Graf om pe sch Zentr.): Ich kann mich zu der Interxellation sebr nüchtern äußern. Mesne polifischen Freunde hasten in ÜUeber— einftimmung mit ihren früheren Erklärungen an der Auffaffung fest, daß in einem Stagtswesen, in dem das Grundrecht der allgemeinen Schulpflicht, der allgemeinen Wehrpflicht und der allgemeinen Steuer⸗ pflicht zur Durchführung gelangt ist, es als Widerspruch erscheint,

wenn einzelne Teile der Bevölkerung durch das Wahlsystem von einer wirksamen verfassungsmäßigen Vertretung ihrer Rechte und Interessen ausgeschlossen sind. Dieser Widerspruch wird um so TVeinlicher empfunden, je länger er aufrecht erhalten wird, da er nach unferer Ueberjeugung dem Staatswobl nicht entspricht, fondern es emmt. Wir stehen auf dem Boden des allgemeinen direkten geheimen Wabl— rechts und erachten dessen Ausdehnung auf den größten deutschen Bundesstaat Preußen als eine notwendige Ferderung.

Aba; Bassermann (ul): Der Abg. Fischer nabm Bezug auf die Stellung der nationalliberalen Partei zum Reichztagswahlrecht. Ich stelle fest, daß unsere Partei an diesem Wahlrecht sesthält nach wie vor entspeechend den fräheren Erklärungen des Abg. v. Bennigsen. Wir unserseits rütteln an diesem Grundpfeiler des Reichs nicht. Wenn der Abg. Menck sich gegen daz Reichztagswablrecht aus- gesprochen bat, so ist er danach aus der Landtagsfraktion ausgeschie den und gehört unserer Partei nicht mehr an. Was die Üeber— tragung des Reichstags wahlrechts auf Preußen betrifft, so lehnen wir es ab, hier über die Ausgestaltung des preußlschen Wahlrechts zu debattieren und den preußischen gesetzhebenden Faktoren Vorschriften zu machen, wie sie das Landtagewablrecht zu gestalten baben. ist eine . Landessache und keine l Februar 1906 namens der Partei aus Anlaß eines anderen Astrageg erklärt, daß es nicht Sache des Reichstags

sein kann, sich in die Einzelheiten eines Landtagswahlrechts zu mischen.

Damals hat auch der Aba. Büsing diese Auffassung bestätigt. Damit halten wir den Standpunkt der Partei fest, den bereits 1895 der Abg. v. Marquardsen erklärte bei dem Antrag Pachnicke, wegen der Einführung von Volkevertretangen in den Bundesstaaten, Taß wir es ablebnen müssen, uns in diese Fragen der Einjelstanten zu mischen. Wir sind der Auffassung, daß alle Bundesftaaten, als sie den Bund schlossen zum Schutz! des Bandesgebiets und der in demselben geltenden Rechte und zur Wohlfahrt des deutschen Volkes, übereinstimmend der Meinung waten, daß gewisse wesentliche Faktoren der einjelstaatlichen Betätigung der einzelstaatlichen Gesetz- gebung vorbehalten bleiben sollen. Dazu gehören Bestimmungen der Verfassung und des Landtagswahl rechts. Unsere Stellung zum preußischen Landtagswablrecht ist am 10. Januar durch den Abg. Krause dargelegt worden. Er hat die Reformbedurftig⸗ Wir, die Reichstagsfraktion, haben weder die Kompetenz noch den Willen, unferen Freunden im Abgeordneten hause in ihren pflichtmäßigen Entschließungen drein⸗ zureden. Gin preußischer Delegiertentag unserer Partei wird in diesem Jabre über diese Fragen beraten. Der Abg. Fischer hat auf die Wablrechtsreformen in Bavern, Württemberg und Baden kingewiesen. Als diese Reformen im Werke waren, wurden in Preußen Stimmen laut, die Einspruch erhoben gegen diese Radikali⸗ sierung der süddeutschen Verfassungen, und da hat die süddeutsche Presse geschrieben, daß sie siF diese Einmischung Preußens sehr berbitte. Man kann nicht den Spieß umdrehen und fagen: bei dir, Preußen, ist das etwas anderes. Was den Süddeutschen recht ist, muß Preußen billig sein. An diesen wesentlichen Pfellern der einzelstaatlichen Rechte werden wir nicht rütteln. Ueber die Straßen dem onstrattonen hat sich die sozialdemokratische Leip- ziger Volks zeitung am 13. Januar deutlich ausgesprochen. Sie sagt, was sich jetzt in Preußen vollniehe, sei ein Musterbeispiel, wie Revolutionen entstehen, daß sie aber bei der sonialdemokratischen Diejiplin und Schulung wesentlich anders verlaufen. Sie bat richtig erkannt, zu welchen Gefahren solche Massendemonstrafionen führen können, daß sie auch zu revolutionären Bewegungen führen können. Aber troß der sozialdemokratischen Schulung befinden sich bei solchen Aufläufen nicht nur die sozlaldemokratischen Wähler, sondern auch der Janhagel der Großstädte. Alg man später in der bürgerlichen Presse diesen Artikel feinnageln wollte, sagte man,

Reichs ache.

er sei nur eine historisch zkonomische Betrachtung. Sozialdemokratie ist sich also der 1. * Gabin demonstrationen vollständig klar. Auf dem fozialdemokratischen een ute im Deiember 1904 stellte der Abg. Bernstein einen ntrag wegen der Straßendemonstrationen. Der Antrag fand bei der Partei lebhafte Kritik. Der Abg. Zubeil führte aus Straßhen⸗ demonstrationen organisiert man nicht, ebensowenig Revolutionen; gehen wir auf die Straße, so werden wir niedergeknüppelt und nieder' geschossen. Ein anderer Redner sagte, wenn wir auf die Straße gehen, verletzen wir das preußische Gesetz und müffen darauf gefaßt sein, daß wir die Polijei jum Eingreifen jwingen, das bedeutet aber Straßenkampf, Straßenkampf bedeutet Revolution, diese ist aber Blödsinn, solange wir nicht in der Lage find, zu siegen. Die beiden Redner sehen also ganz genau, wie die Dinge sich entwickeln, und haben offenbar auch gefühlt, daß man solche 3 auf der Straße nicht mehr in der Hand hat, daß die Führer, selbst wenn sie dabei sind sie waren ja nicht einmal dabei nicht mehr die Macht haben, sondern daß sich die Dinge von selbst vollziehen. Auf dem Parteitag von 1907 nahm die Sozialdemokratie ne andere Stellung ein, der Referent Arons forderte zu Demonstratts en auf und erinnerte an frühere Kämpfe, wobei Blut floß, aber nicht vergebens. Heute geht man auf die Straße, trotzhem man diese Gefahr deutlich siebt. Da kann man mit Recht sagen: wenn bei solchen Auflaufen der Massen n, . erfolgt 9 tragen die Verantwortung diejenigen, die sie herbeigeführt haben. estern ereigneten sich nach den neuen sozlal⸗ demokratischen Versammlungen die drastischen Szenen auf der Straße, bei denen eine Reihe von Verwundungen erfolgt ist. Verantwortlich für solche Szenen sind diejenigen, die in den Versammlungen durch das fortgesetzte Predigen des Klafsenhasses und durch ihre maßlosen Uebertreibungen die Leute in die Siedehitze bringen, in der dann solche Szenen erfolgen. (Rufe; Die Polizei ist dran schuld) Selbst wenn die Polizei verantwortlich ist, konnen Sie sich darüber wundern? Wir wissen ja ganz genau, daß die Polizeibeamten nicht mehr aus den Kleidern kommen, und wenn dann der einzelne Beamte einmal zu weit geht, so ist er eher zu entschuldigen als die Veranftalter der Bemonsträttonen. Wir bedauern, wenn Unschuldige bei solchen Zusammenstößen Ver⸗ wundungen erleiden. Wir bedauern das viel mehr, als die soꝛial⸗ demokratische Presse es bedauert, wenn bei russischen terroristischen Anschlägen eine Menge Personen ju Grunde geht. Wir finden schon in mancher rechtsstehenden Zeitung Ausführungen, daß die Aus⸗ sichten für das Zrstandekommen des Vereing. und Versammlungsrechts sich durch diese Vorgänge erheblich verschlechtert haben. Es werden auch dadurch die Aus sichten für , Wahlrechts reform nicht derbessert. So ist auch der größte Feind der Sozialpolitik die Soꝛtialdemokratie. Am meisten werden Reformen gesichert, wenn die Arbeiterschaft kaisertreu und königstreu ist und auf dem Boten der heutigen Staatsordnung ihre Forderungen vertritt. Das wird die Arbeiter weiter führen, als wenn sie guf die Straße gehen. Bei dem Verhalten der Polizei ist zu i, n,. ob es sich um planmäßig organisierte Demonstrationen gehandelt hat oder nicht. Unmitte bar nach den Versammlungen setzten sich die Züge Schlag 12 Uhr in Bewegung und durchzogen die Hauptverkehrsadern. Durch die von dem Polizeipräͤsidenten v. Borries im Lokal Anzeiger gegeben? Darstellung ist bestätigt worden, daß aus den kleinen Sammelbecken der 600 Zahlstellen die großen Demonstrationgzüge sich ergoffen. Wenn in dieser Weise die Drganisation, der Demonstration plan- mäßig stattgefunden hat und schließlich ein gemein samer großer Zug in das Stadtinnere gehen sollte, und wenn beinahe die Gewißheit vorlag, daß es dabel zu Unruben, Zufammenstößzen, Kämpfen kommen mußte, hätte da die Polizei nicht unverantwortlich gebandelt, wenn sie nicht plenmäßig ihrerseits alles vorbereitet bätte, um das zu verhindern? Das ist geschehen; das Eindringen ist perbindert worden, das war eine richtige Maßregel, gleichviel ob es sich um 12 900 oder 40 000 gehandelt hat. Die planmäßige Be⸗ treibung aller Maßregeln Ar Aufrechterbaltung der Ordnung und Sicherheit war als eine selbstverständlich: Pflicht aller Bebörden nur zu billigen. Auch die Konsignierung von Militär kann dazu ge⸗ bören; eine Maßregel, die ein Eingreifen sofort ermöglicht, wenn die Polijeigewalt nicht ausreicht, ist doch gerade das Humanste, was man sich denken kann; nach dem alten Satz: „Die Furcht hütet den Wald wird dadurch der Ausbruch der Unruhe verhindert oder im Keime erstickt. Alle diese Maßregeln finden unfere Billigung. Wir sind mit dem Verhalten der Staatsbebörde sehr zuftieden und wünschen nur, daß auch in Zukunft mit aller Energie in Deutschland bie Ordnung aufrecht erhalten wird. Ag. Traeger (fr. Volksp.): Man bat sich bemüht, zwischen uns ie nach dem größeren oder geringeren Grade der Entschiedenbeit Unterschiede zu konstruieren. Alle diese Versuche sind verfehlt. Ich babe im preußischen Abgeordnetenbause unseren Wablrechts antrag begründet; der Abg. Fischbeck hat mir nachher zugestimmt und nicht erklärt, daß er etwas Erfreuliches an der Erklaͤrung des Minister⸗ präsidenten gefunden habe; er bat gesagt, wenn man nach Er— freulichem suchte, konnte es höchstens der Unterschied zwischen dem Ministerpräsidenten und dem konservativen Redner sein; ebenso bat mein Kollege Wiemer die vollkommenste Mißbilligung dieser Er— klärung ausgesprochen. Wir bleiben alle nach wie vor obne jede Rücksicht auf unserem Standpunkt stehen. Wir halten dieses Reichswablrecht nicht bloß mit Bismarck theoretisch und praktisch für ein gerechtes Prinzip, sondern auch angesichis der Unvoll— kommenheit aller menschlichen Dinge für das Vollkommenste; wir sind mit dem ehrwürdigen Kalser don Oesterreich der Meinung, daß seine Einführung unvermeidbar und unaufschiebbar ist. Es ge— bört eine ungeheure Willenskraft dazu, die Mängel des preußischen Wahlspstems nicht zu sehen. Es ist oktroviert worden, näachtem

man mit dem vorher unserem

lumo : ig dazu kommt eine längst vꝛraltete und unzeitgemäß gewordene Wablkreiseinteilung, die jeder Beschreibung spottet. Sechs Millionäre haben im vreußischen

Landtag jeder so viel Wablrecht wie sechs Mill onen Wähler dritter

Klasse. Absolut seitdem Preußen

Ver hãltnisse

Reiches

die des

unerträglich sind

ö geworden, ein Bestandteil

geworden ist.

Das Reich macht die Gesetze; die Einjelstaaten fübren sie aus; wie

Landtag gehören,

viele Reden müssen wir bier nicht anbören, die in den preußischen g weil sie sich gegen die Handbabung der Gesetze richten! In den legten Jabren hat das Reichstagswahlrecht seinen Triumphzug duich Säͤddeutschland gemacht, die Mainlinie, die ich noch vor zwei Jahren fürchtete, ist nicht mehr. Muß es nicht den außerpreußischen deutschen Staaten auch erlaubt fein, zu fordern, daß in Preußen ein vernunftgemaäßes gerechtes Wablrecht eingeführt wind, wo wir doch alle . B. eine Verfassung für Mecklenburg fordert baben? Der Zuständigkeitseinwand ist doch meist ein erlegenheitseinwand. Wir haben desbalb schon oft diefe An— träge gestellt, aber ohne Erfolg. Der scheinbare Erfolg der Nobelle vor jwei Jahren ist eher eine Verschlimmerunz als eine Verbesserung des bestebenden Zustandes gewesen. Diesmal batten wir mit etwas mehr Zuversicht erwartet, daß etwas Besseres beraut— kommen würde. Der Kanzler und der preußische Ministerpräsident sind doch nicht zwei verschiedene Personen; man konnte nicht glauben, daß er hüben und drüben andere Ansichten haben würde, und bier batte er sich immer als moderner Staatsmann vorgestellt. So hoffnungsfreudig waren wir freilich nicht, zu er, er werde sagen: Mit Vergnügen! Morgen schon! ber auch hinter den geringsten Srwartungen blieb die Gr— llätrung weit zurück. Er ist sonst ein Muster don Bered— samkeit, er verstebt außerordentlich verbeißungẽ volle Perspektiven zu konstruieren; von alledem war keine Rede, nicht ein einiges versöhnendes. Zitat. Da mußten wir uns sagen: Das ift etwas wenig. Es bat allerlei Interpretationskän tler gebr. aber auch sie täten gut, ihre Hoffnungen ju begraben. te haben herumgedoktert, um noch etwas Wobiwollendes, Tröst. liches zu entdecken, aber auch die eifrigsten unter ibnen baben sich