Dentscher Reichstag. 1165. Sitzung vom 4. März 1908, Nachmlttags 1 Uhr. ¶ Bericht von Wolfft Telegraphischem Bureau.)
Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Beratung des Entwurfs 83 Gesetzes, 1 die Fe st⸗ 1 des Reichs haushaltsetats für das Rechnungg⸗ jahr 1908, und zwar: „Etat für das Reichs amt des Innern“.
Abg. Kaempf (fr. Volksp.): Es ist nicht meine Absicht, mich über das ganze große Gebiet der Sozialpolitik zu verbreiten. Ich werde im Ge et l so kurz sprechen, daß mir schon Eesagt worden ist, man würde dies im Lande nicht verstehen. Es ist gesagt worden, wir befänden uns in einer großen Krisig oder näherten uns einer solchen. Andere malen die Lage weniger schwarz. Allerdings ist nicht zu leugnen, 24 wir nach einer Hochkonjunktur uns in einer gewissen ab⸗ k inie bewegen. 8 war aber schon im alten Aegypten o; auf fette folgen magere Jahre. Zu den anormalen Verhält- nissen gehört die Preispolitik der Kartelle und Syndikate und die Teuerung aller Lebensbedürfnisse. Zum ersten Male wird in unserer Wirtschaftspolitik die Probe auf das Exempel gemacht. Der Abg. Stresemann meinte mit Recht, daß der Export ver⸗
mehrt werden müsse. Er übersieht aber, daß uns durch die Zölle die Hände gebunden sind gegenüber den Verhältnissen auf dem
Weltmarkt. Von der Errichtung einer Außenhandelsstelle versprach sich der Abg. Stresemann einen großen Erfolg. Der deutsche , wünscht eine Reichshandelsstelle. Das Reichsamt des nnern hat schon Material gesammelt, es brauchte nur fruchtbar 6e; macht zu werden. Die Außenhandelsstelle den von Privaten ins Leben gerufen, ist etwas ganz anderes, sie will sich zum Teil an die Stelle der Handelskammern setzen, die den , ,, zur Hand gehen sollen ju Auskünften, Mitteilungen usw. iesen Uebergriff in die Tätigkeit der Handelskammern kann ich nicht billigen. Die Zentralisation der Auskünfte in einer Hand würde sehr be—⸗ denklich sein, die Auskunftserteilung muß dezentralisiert werden, weil die Verhältnisse in den oe, Bezirken verschieden . und weil die Auskünfte am besten mündlich erteilt werden. och bedenklicher ist es, daß die Außenhandelsstelle auch über die Marktlage und Preisbewegung im Auslande Auskunft geben soll. Der Hinweis auf Oesterreich ist nicht durchschlagend. Unsere Kauf⸗ leute in Deutschland sind andere Wege gewandelt, und zu ihrem Nutzen; sie wissen sich den Verhältnissen auch der entferntesten Länder anzupassen und dafür zu sorgen, daß die ganze Aufmachung der Waren den Wünschen des Auslandes entspricht. Ich habe das lebhafte Be⸗ denken, daß in diese bezügliche Tätigkeit unserer Kaufleute ein Keil hineingetrieben wird, daß ihre Tätigkeit bureauktatisiert wird. Ich freue mich, daß der Staats sekretär nicht ohne weiteres den Wünschen derjenigen Herren, die eine Außenhandelsstelle errichten wollen, nachgekommen ist; er hat vielmehr in einem Schreiben eine Reihe von Fragen auf⸗ eworfen, von denen ich glaube, daß deren Beantwortung nicht zur rrichtung jener Außenhandelestelle führen wird. Eine weitere An⸗ elegenheit, die ich behandeln möchte, betrifft die politische Lage. gj bedauere, daß der preußische Ministerpräsident sich durch . Erklärung im Abgeordnetenhaus in Widerspruch gesetzt hat iu einen Erklärungen im Reichstage, wonach auch den freisinnigen Ge⸗ danken Raum gewährt werden müsse. Wir müssen uns nun mit diesem Widerspruch abfinden. Ich weise wiederholt darauf hin, daß die Gewährung der Krankenhausunterstützung dem Wähler das Wahlrecht entzieht, auch wenn nicht er, sondern ein Angehöriger diese Unter⸗ tützung empfangen hat. Es sind seitens der Kommunen die ver⸗ chiedensften Versuche gemacht worden, diese schwere Schädigung des öchsten politischen Rechts aus der Welt zu schaffen. Auch der Reichs⸗ lanjler hat das Vorhandensein dieser Schäden anerkannt, ebenso Graf ,. Der leßtere dem wir alle die 2 Verehrung zollen ür die ungeheuere Arbeitatraft und Arbeitsleistungen, die er zum Besten des Deutschen Reiches aufgewendet hat, teilte mit, daß Er⸗ hebungen im Gange seien, um ju untersuchen, ob diese daͤrten be⸗ seitigt werden könnten. Darüber ist bald ein Jahr vergangen; es wäre von großem Interesse, zu erfahren, ob die Erhebungen beendet sind, und welches Ergebnis sie gehabt haben.
Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister von Bethmann Hollweg:
Meine Herren! Ich werde mir vorbehalten, auf die zuletzt von dem Herrn Vorredner besprochene Materie der Einwirkung der Ge⸗ währung von Armenunterstützung auf das Reichstagswahlrecht morgen oder übermorgen ju antworten; ich habe zu meinem Bedauern das Material, dessen ich zur Beantwortung bedarf, in Sonderheit eine Korrespondenj, die ich vor einigen Wochen mit dem Herrn preußischen Minister der Innern eingeleitet habe, gegenwärtig nicht zur Stelle.
Der Herr Abg. Kaempf ist in ausführlichen und, wie mir schien, äußerst bemerkenswerten Erörterungen auf die geplante Außenhandel stelle zurückgekommen, die gestern der Herr Abg. Dr. Stresemann dem Wohlwollen der verbündeten Regierungen empfohlen hatte. Meine Herren, ich stehe diesen gesamten Plänen nicht wesentlich anders gegen⸗ über, als es mein Herr Amtsvorgänger, dessen Ausführungen gestern zitiert wurden, getan hat, aber wie er, muß auch ich, bevor ich zu dem Plane eine endgültige Stellung nehme, erwarten, daß die Beteiligten ein bestimmtes und festumrissenes Programm vorlegen (sehr richtig! linkt), daß sie Auskunft erteilen über die zu erwartenden Kosten — und mir hat es so geschienen, als ob in den bisherigen Angaben der Kostenbetrag unterschätzt worden sei — und endlich muß sicher⸗ gestellt werden, wie die Kosten aufgebracht werden sollen. Erst dann kann sich die Reichsverwaltung entscheiden, ob sie die beantragte amtliche Unterstützung gewähren kann. Und schließlich kommt eine Vorbedingung hinzu, auf die ich ein ganz besonderes Gewicht lege: Gine solche Außenhandelsstelle kann zweckmäßig nur funktionieren, wenn sie von der Mitwirkung und dem Vertrauen aller an unserem Außenhandel interessierten Kreise von Handel und Industrie ge⸗ tragen wird. Ohne diese Mitwirkung, ohne dieses Vertrauen würde man Gefahr laufen, eine Organisation ins Leben zu rufen, welche nicht die in erster Linie bezweckte Einheitlichkeit garantiert, sondern zu einer Zersplitterung führt. Ich habe im wesentlichen in diesem Sinne die Verbände, welche sich für die Errichtung der Außenhandelsstelle interessieren, vorläufig beschleden und muß mir mein abschließendes Urteil vorbehalten, bis die Antwort auf dieses Schreiben eingegangen sein wird, wofern die in dem Schreiben aufgestellten Vorbedingungen ihre Erfüllung in der Antwort finden werden.
Meine Herren, der Herr Abg. Dr. Stresemann hat gestern eine einzelne und spezielle Zollbeschwerde vorgetragen. Die Reichsver⸗ waltung ist von jeher und auch gegenwärtig bemüht — und, wie ich hinzufügen kann, bäufig mit Erfolg —, begründeten Beschwerden in Zollangelegenheiten Abhilfe zu schaffen, insonderheit auch Beschwerden, welche sich richten gegen die Anwendung vertragsmäßig ge⸗ bundener Tarifstellen. Eine Anzahl von Staaten haben uns bei dem Abschluß der Handelsverträge die Zusage erteilt, daß sie bindende Auskünfte über die Verzollung bestimmter Waren erteilen wollen mit der Wirkung, daß die der Auskunft zu Grunde liegende Verzollung zum Nachteil desjenigen, der um die Auskunft gebeten hat, binnen einer bestimmten Frist nicht erhöht werden darf. Dadurch sind die
Gxporteure vor Ueberraschungen gesichert. Nicht ganz so leicht liegt
gilfekassengesez zurücksiehen wolle. Diese Absicht besteht bei mir und
kommen fehlt. Aber auch in diesen Fällen vertritt die Reichs verwaltung den Standpunkt, daß es den Billigkeltsrücksichten ent ⸗ spricht, wenn unvermutete Erhöhungen von Zollsätzen — unvermutet gegenũber der bisherigen Zollprarig nicht eingeführt werden, daß die auf Grund der Aenderung ju erhebenden Gebũhren erst nach Ab- lauf einer angemessenen Frist in Wirksamkeit treten. Wenn in dem einzelnen vorgetragenen Fall die Bemũhungen der Reichs verwaltung ohne Erfolg geblleben sind, so kann auch ich dies nur bedauern.
Der Herr Abg. Schmidt (Berlin) hat gestern die Arbeitsverhält⸗ nisse in den Hütten und Waljwerken wiederum berührt, wie dies außer ihm im Laufe der diesjährigen Debatten bereits mehrere Redner getan haben. Da sich die Beschwerden im wesentlichen auf die Verhaͤltnisse in Preußen richten, habe ich mich zunächst mit dem preußischen Herrn Handelsminister in Verbindung gesetzt und ihn gebeten, die erforder⸗ lichen Untersuchungen einzuleiten, welche ein Urteil und eventuell ein Eingreifen der Reichsgesetzgebung ermöglichen. Diese Verhand⸗ lungen sind eingeleitet worden, und der preußische Herr Handelsminister hat eine Reihe von Bestimmungen entworfen, durch die er glaubt, daß Abhilfe geschaffen werden könne; Dieser Entwurf wird in den allernächsten Tagen mit Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitern besprochen werden. Sobald die Ergebnisse den verbündeten Regierungen, der Reichsverwaltung vor⸗ liegen, wird diese in der Lage sein, Stellung ju nehmen; und ich habe die Hoffnung, daß es auf diesem Wege glücken wird, in dieser, wie man wohl allseitig zugeben wird, nicht leichten Angelegenheit zu Fort⸗ schritten zu gelangen.
Meine Herren, bei der ersten Lesung des Etats habe ich in Aus⸗ sicht gestellt, daß die versicherungstechnischen Unterlagen für die Ein⸗ führung einer Pensioneversicherung der Privatangestellten baldmöglichst veröffentlicht werden würde. Zu meinem lebhaften Bedauern haben sich die Arbeiten in meinem Amt länger hingejogen, als ich es da⸗ mals erwartet habe. Es liegt dies an der großen versicherungs⸗ technischen Schwierigkeit, welche dem Problem zu Grunde liegt. So sehr ich darauf dränge, daß die Aibeiten jum Abschluß gebracht werden, so muß ich doch das Hauptgewicht darauf legen, daß die Unterlagen, welche demnächst der Oeffentlichkeit unter⸗ breitet werden sollen, einwandfrel sind. Ich hoffe, daß im Laufe des nächsten Monatg die betreffende Denkschrift der Oeffent⸗ lichkeit wird übergeben werden können.
Es wird sich an diese Publikation, wie ich annehme, eine weit⸗ gehende Kritik anknüpfen. Diese Kritik jerbitte ich. Je nach ihrem Ausfall werde ich ermessen, ob es fördersam und wünschenswert er⸗ scheint, eine weitere — wie soll ich sagen? — interparlamentarische Besprechung, wie sie gestern angeregt worden ist, zu veranstalten. Jedenfalls wird es und muß es mein Bestreben sein, auch in dieser ebenso dringlichen wie schwierigen Frage mich in engster Fühlung mit den zunächst Beteiligten zu halten.
Im gegenwärtigen Moment möchte ich es nicht als zweckmäßig ansehen, auf die Einzelheiten der Organisation, wie wir sie uns denken, hier einzugehen. Der gesamte Plan kann nur einheitlich mit seinen ver⸗ sicherungstechnischen Unterlagen beurteilt werden. Sehr richtig! rechts.) Ich bin deshalb erst in der Lage, eingehender jur Sache ju sprechen, wenn die Denkschrift veröffentlicht sein wird. Ich glaube, mich für berechtigt halten zu dürfen, auch an die Herren hier im hohen Hause die Bltte zu richten, mit der weiteren Grörterung dieser Angelegenheit zu warten, bis in einer einheitlichen und übersichtlichen Denkschrift die Pläne der Reichs verwaltung, die versicherungstechnischen Grundlagen mitgeteilt sein werden. (Beifall rechts.)
Ich bin gestern gefragt worden, ob es richtig sei, daß ich das
bei den verbündeten Reglerungen nicht. Wir sind vielmehr der An⸗ sicht, daß es dringend notwendig ist, den Mißständen, welche sich auf diesem Gebiete ergeben haben, gesetzgeberisch entgegenzutreten in der Form derjenigen Vorschläge, welche Ihnen in dem Entwurf gemacht worden sind, und welche sich im wesentlichen auf derselben Grundlage bewegen, welche seiner Zeit von ihrer Kommission festgelegt worden ist. Das eine muß ich vorbehalten: wir stehen, wie bekannt, vor einer Revision unserer Arbeiterversicherungsgesetzgebung. Dabei wird ju prüfen sein, wie das in F 76 des Krankenversicherungagesetzes festgestellte Privileg der eingeschriebenen Hilfakassen in die Reform der Arbeiter- versicherungsgesetzgebung eingereiht werden kann.
Einige der Herren Redner haben gestern auch die Resolution auf 633 der Drucksachen gestreift, die Resolution des Zentrums, welche sich auf eine Zusammenstellung über den Stand der Knappschafts⸗ vereine, über die Höhe und Leistungen an Krankengeld, die Zahl der pensionsberechtigten Invaliden usw. benieht. Wiewohl ich annehmen muß, daß diese Resolution von seiten der Herren Antragsteller noch ausführlicher begründet werden wird, als es bisher geschehen ist, darf ich doch, da die Materie selbst gestern angeschnitten worden ist, einige Mitteilungen dazu machen. Soweit ich es übersehen kann, liegt das in Nr. 1 bis 3 der Resolution geforderte Material, für Preußen wenigsteng, in der jährlich veröffentlichten Knappschaftsstatistik vor (sehr richtig! rechts); insbesondere liegt auch eine zahlenmäßige Nach⸗ weisung über das durchschnittliche Invaliditätsalter bei den 10 größeren Knappschaftsvereinen in Preußen vor. Der Herr Abg. Gothein hat bei der ersten Lesung des Etats auf den bedauerlichen, jum Teil erschreckenden Rückgang des Invallditätgalters an eimjelnen Orten aufmerksam gemacht und hat bel der jweiten Lesung des Etats die Forderung in Aussicht gestellt, daß Ermittlungen über die Gründe dieses Rückgangs angestellt und das Ergebnis dem Reichstage mitgeteilt werden möchte.
Die Verhandlungen hier im Reichgtage haben mir Veranlassung gegeben, mich zunächst mit dem preußlschen Herrn Handelsminister in Verbindung zu setzen, und dieser hat durch einen Erlaß vom 5. Ja⸗ nuar d. J. die Oberbergämter angewiesen, die erforderlichen Ermltt⸗ lungen anzustellen. Der Herr Reichskanzler hat, nachdem er hiervon Kenntnis erhalten hat, auch an andere Bundesstaaten, welche an dieser Frage unmittelbar interessiert sind, ein ähnliches Ersuchen gerichtet. Ez wird bei diesen Ermittlungen versucht werden, den Ursachen soweit als irgend tunlich auf den Grund jzu gehen. Die Herren werden mir aber selber zugeben, daß es sich auch hier nicht um völlig durchsichtige Momente handelt, daß eine Reihe der verschledensten Umstaͤnde zu⸗ sammenwirkt oder zusammenwirken kann auf die Höhe des Invaliditäts- alters. Der preußische Herr Handelsminister hat Fürsorge getroffen, daß bei der Enquete Knappschaftzärzte und Knappschaftsälteste zu⸗ gejogen werden, um in möglichst einwandfreier Weise die Ursachen dieser so beklagenswerten Erscheinung zu erforschen.
validitãtsalters in Preußen sich nicht gleichmäßig auf alle Dberberg⸗ amtsbezirke erstreckt, daß wir einzelne haben, wo ein Rückgang über⸗ haupt nicht zu konstatieren ist, andere aber, wie ich wiederhole, wa ein nicht unbeträchtlicher Rückgang zu konstatieren ift, der so weit geht, daß in den letzten 20 Jahren bei ber Gesamtheit der Knapp⸗ schaftgvereine Preußens das Invaliditätsalter von 49 auf 44,B7 Jahre jurückgegangen ist. (Hört! hört! rechts, in der Mitte und links.) Auch ich sage hört! hört!“ dazu, und auch ich habe ihnen augge⸗ führt, wie dringend es mir am Herzen liegt, daß die Ursachen dieses Rückgangs festgestellt werden, damit wir die Uebelstände tunlichst be⸗ kämpfen können. (Bravo) .
Ich möchte ju dieser Materie schließlich noch mitteilen, daß in voraussichtlich kürzerer Zeit weitere Kreise sich einen Ueberblick werden verschaffen können über die Gesamtleistungen der preußischen Knapp⸗ schafte vereine. Den Herren wird bekannt sein, daß am 5. Januar d. J. im preußischen Landtage ein Antrag des Abg. Brust angenommen ist, der die Regierung auffordert, Erhebungen darüber anzuftellen, wie nach der Durchführung der Novelle zum allgemeinen Berggesetz von 1906, betreffend die Knappschaftsvereine, in diesen Beiträge und Leistungen gegenüber den früheren im einzelnen sich gestaltet haben, und zwar in den Krankenkassen und in den Pensionskassen. Der preußische Herr Handelsminister hat die Aufftellung dieser Zusammen⸗ stellung zugesagt; sobald sie vorliegen wird, werden wir einen Ueber⸗ blick über die Leistungen der preußischen Knappschaftsvereine gewinnen können, der unzweifelhaft zur Klärung dieser ganzen Frage wesentlich beitragen wird.
Meine Herren, der Herr Abg. Giesberts und vor ihm bel anderen Gelegenheiten auch andere der Herren sind auf die Frage der Arbeits⸗ kammern zurückgekommen. Sie wollen mir gestatten, in wenigen Worten hier die Grundsãäͤtze klarzulegen, welche mich bei der Auf⸗ stellung des Arbeits kammergesetzentwurfs geleitet haben. Wir haben es hierbei mit einer hochaktuellen Frage u tun. Der Arbeits kammer⸗ gesetzentwurf ist eines der vielen Eisen, die wir im Feuer haben (Lachen bei den Sozialdemokraten), und ich glaube, unsere sozlal⸗ politischen Geschäfte zu fördern, wenn ich mich meinerseits zunächst an die greifbaren und praktischen Aufgaben des Reichstags halte. (Sehr richtig! rechts) Ich glaube, wir kommen damit am ehesten zum Ziel, namentlich wenn wir Rücsicht nehmen auf die große Anzahl der uns bereits vorliegenden Gesetzentwürfe, eine Anzahl, die selbst im Vergleich ju der Anzahl der uns jetzt beschäftigenden Resolutionen keine geringe ist. (Heiterkeit. ) Ich muß bei meinen Ausführungen über die Arbeitekammern not⸗ gedrungen meinen persönlichen Standpunkt in den Vordergruud stellen, da, wie den Herren bekannt, die Bundesregierung und der Bundesrat bisher zu dem Entwurf noch nicht Stellung haben nehmen können.
Ich mache bei dieser Gelegenheit eine Zwischenbemerkung. Noch heute morgen habe ich in einem in Berlin erscheinenden Blatte die Bemerkung gefunden, die oldenburgische Regierung sei anscheinend verstimmt, weil ihr der Gesetzentwurf über die Arbeits kammern spaäter zugegangen sei als den Regierungen Preußens und anderer größerer Staaten, und es ist daran die Bemerkung geknüpft, daß diese Vor⸗ gänge noch nicht ausreichend aufgeklärt seien. Es handelt sich hier um einen Vorgang, der meines Erachtens klar sein müßte. Der Großherzoglich oldenburglsche Herr Bundesratg⸗ bevollmächtigte hat vor einigen Tagen die Güte gehabt, hier ausdrücklich zu erklären, daß die Großherzoglich olden⸗ burgische Regierung in keiner Weise verstimmt sei und auch keinerlei Grunde jur Verstimmung habe und haben könne. (Zurufe von den Sozialdemokraten.) Die Großherzoglich oldenburgische Regierung hat dasselbe dem Herrn Reichskanzler wiederholt und ausdrücklich erklärt. Daß ein Grund zu irgend welchen Verstimmungen nicht vorliegen kann, daß alles, um einmal den populären Ausdruck zu gebrauchen, in Ordnung ist, in bester Ordnung ist, dürfte auch aus der offtziösen Notij der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ hervorgehen, welche ich am 28. Februar habe veröffentlichen lassen. Es ist darin erklärt:
daß der im Einvernehmen mit der Königlich preußischen Regierung im Reiche amt des Innern ausgearbeitete Gesetzentwurf über Arbeits. kammern unter dem 1. Februar d. J. im Bundesrat eingebracht und gleichzeitig allen verbündeten Regierungen jugegangen ist. Keiner der Bundegregierungen ist der Entwurf früher als zu diesem Zeitpunkte mitgeteilt worden. . Meine Herren, ich erkläre dies ausdrücklich, weil eine Legendenbildung auf diesem dellkaten Gebiete etwas sehr Gefährliches ist (sehr richtig! rechts), und weil in diesem Falle, wie auch sonst, irgend ein Anlaß zu derartigen Verstimmungen nicht vorliegt und nicht vorgelegen hat. Ich hoffe, daß mit dieser meiner Erklärung die Angelegenheit nach dieser Richtung hin endgültig zum Abschluß gebracht sein wird. (Sehr gut! rechte.)
Meine Herren, ich komme nunmehr zu den Arbeitskammern selbft. Durch die Veröffentlichung des Entwurfg habe ich unmittelbar dokumentiert, daß es mir dringend daran liegt, die Stimmen der Oeffentlichkeit zu diesem zweifellos nicht leicht zu erledigenden Gegenstand ju erhalten. Die Kritik hat sich ja auch ziemlich reichlich darüber hergemacht. Von einer Seite, von Ihrer Seite, meine Herren der sozialdemokratischen Fraktion, ist der Entwurf von vornherein in Grund und Boden getreten (Zu⸗ rufe von den Soz.; sehr richtig! rechts als ein Produkt des Scharfmachertums (Zurufe von den Soz.: Nicht nur von ungh — ich komme auch noch auf die andere Kritik! —, als ein Produkt des Scharfmachertums, altz ein Entwurf, der vom Zentralverband deutscher Industrieller diktiert sei, — und damit hängt ja wohl auch jusammen, daß sowohl? neulich der Herr Abg. Molkenbuhr, als auch
dieser Arbeitgeberorganisation beschäftigt haben und dabel der Reichts⸗ regierung, der Reichs verwaltung den Vorwurf gemacht haben, sie stände nun einmal wieder gänzlich unter der Patronage dieser Arbeitgeber organisation. (Lebhaftes Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten — Lachen rechts und bei den Nationalliberalen.) Meine Herren, wenn Sie noch so oft sehr richtig rufen — diese Vorwürfe treffen mich nlcht und lassen mich gänzlich kalt. (Bravo! rechtl.) Meine Herren, ich suche meine Direktiven nicht einseitig etwa in Ihren Reden oder in Ihren Schriften und ebensowenig in den Aeußerungen, in den Wünschen von Arbeitgeberorganisatlonen; ich versuche mich auf beiden Seiten zu unterrichten (sehr gut! rechts und links) und versuche danach dasjenige ju tun, was ich im Dienste der Allgemeinheit für das Richtige halte. (ZTebhaftes Bravo rechts und links) Wenn ich das tue, wenn ich das anstrebe, so leiste ich das,
es in denjenigen Fällen, wo es an entsprechenden internationalen Ab-
Einstweilen will ich nur bemerken, daß der Rückgang des In
was überhaupt ein Mensch leisten kann. (Sehr richtig) Wenn Sie,
gestern der Herr Abg. Schmidt außerordentlich ausführlich sich mit
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meine Herren (iu den Sozialdemokraten), die Sie ung den Vorwurf einseitiger Interessenvertretung machen, die Sie es als Ihren Ruhm ansehen, die einzigen Vertreter des Arbeiterstandes zu sein (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), wenn Sle auch einmal etwas bon Ihrer Einseitigkeit lafsen wollten (sehr gut! rechte), um die Dinge so Ju beurteilen, wie sie sich im Zusammenhang des menschlichen und ge⸗ sellschaftlichen Daseins darftellen (Zuruf rechtz: Können sie gar nicht h . wir weiterkommen. (Sehr gut! sehr richtig! rechts und
Meine Herren, der Kern der gesamten Arbeitskammerfrage scheint mir darin zu liegen, ob man die Arbeitekammern fachlich oder territorial organisieren will, und, wenn man belde Organisationen anstrebt, welches die primäre Organisation sein soll. Die Antwort auf diese Frage wird sich meines Dafürhaltens am zutreffendsten finden, wenn man die Funktionen ũberfieht, welche den Arbeitskammern übertragen werden sollen und übertragen werden können nach ihrem ganzen Begriff.
Der Ausgangspunkt bei der Frage der Bildung von Arbeits- kammern ist ja wohl der gewesen, daß man dem Arbeiterstand ale solchem eine gesetzlich sanktionierte Vertretung schaffen will, welche ihn in den Stand setzt, seine speniellen ständischen Intereffen in der- selben Weise zur Geltung zu bringen, wie es anderen Berufsftänden in den bereits bestehenden Organisationen, beispielzwelse den Land⸗ wirtschaftskammern, den Aerztekammern, den Apothekerkammern, den Handelskammern usw, schon jetzt ermöglicht ist. Dabei wird die Sphäre der vom Arbeiterstand zu vertretenden Interessen so weit gegriffen, wie sich überhaupt ein Interesse des Arbeiterstandes als solchen konstruieren läßt Erfaßt werden sollen nicht nur die Verhältnisse des Arbeiters zum Arbeitgeber — nicht des Einjelnen, sondern in der Gesamtheit — nicht nur diese Verhältnisse in allen Beziehungen, selen sie öffentlich recht⸗ licher, seien sie privatrechtliche Natur, in allen Beziehungen, welche sich aus dem Arbeite vertrage ergeben, sondern darüber hinaus die Gesamtheit der Interessen des Arbelterstandes als solchen, wo er mit anderen, mit staatlichen, mit kommunalen, mit wirtschaftlichen Interessen und Interessenkeeisen in Berührung kommt. So sollen die Arbeitskammern — so denkt man sich die Sache — tätig werden nicht nur auf dem Gebiete der Lohnbewegungen, der Tarifverträge, sondern sie sollen ihre Wirksamkeit auch bei allen den. jenigen Wohlfahrtzeinrichtungen äußern, die, seien sie nun von Kommunen, selen sie vom Staate in die Hand genommen, im be⸗ sonderen Maße dag Interesse des Arbeiterstandes betreffen, so das Wohnungewesen in den einzelnen. Kommunen, die Gestaltung der Verkehrsverhältnisse, die Ausgestaltung des Sparkassenwesens, Volks⸗ bibliotheken, Volksbäder usw. Kurz, man denkt sich die Sache so, daß die Arbeitekammer das Sprachrohr sein soll, durch das die Arbeiterschaft ihre Wünsche, auf welchem speniellen oder allgemeinen Arbeitergebiete sie nun liegen mögen, zur Geltung bringen kann. .
Meine Herren, ich glaube kaum, daß man eine einheit ⸗ liche Organisation finden kann, welche in gleichmäßiger Weise der Gesamtheit dieser Funktionen gerecht werden kann. Eat⸗ weder werden die beruflichen Interessen des Arbeiterstandes zu sebr betont und die örtlichen Interessen — ich meine den Interessen kreis gegenüber der Kommune, gegenüber dem kommunalen Leben — be⸗ nachteiligt, oder es ist das Umgekehrte der Fall. Ich habe mich nun bel der Aufstellung des Entwurfs auf den Standpunkt gestellt, daß es zweckmäßig sei, die berufliche Organisation als die primäre hinzu⸗ stellen, und es war ganz natürlich, daß mannigfache Kritiken, welche an dem Entwurf angesetzt haben, nun gesagt haben: ja, aber wo bleiben die örtlichen Interessen? wo bleibt der Zusammenhang der Arbeitskammer mit der Kommune, mit der Behörde des Ortes, an dem die Arbeitskammer eingerichtet worden ist? Ich bin sicher, meine Herren, haͤtte ich mich auf den umgekehrten Standpunkt gestellt, hätte ich territoriale Organisationen vorgeschlagen, so wäre mir der Einwurf gemacht worden: ja, können denn aber diese territorialen Organisationen den beruflichen Interessenkreis so wahrnehmen, wie es erwünscht ist? Sehr richtig! Und diese Kritik wäte auch eine ganz berechtigte ge—⸗ wesen. Man kann nicht beide Seiten der Sache in gleichem Maße durch eine Organisation erfassen.
Run glauben die Anhänger des Terrltorialsystems die Frage lösen zu können, wenn sie Territorialkammern schaffen mit Fachabteilungen, dann sollen die Territorialkammern diesen örtlichen Interessenkreisen dienen und die fachlichen Unterabteilungen den beruflichen Interessen kreisen. Ich glaube, die Anhänger dieses Systems übersehen die praktischen und prinzipiellen Schwlerigkeiten, welche darin liegen. Zunächst fragt es sich, wie soll denn das Territorium abgegrenzt werden,
in dem eine einheitliche örtliche Arbeitskammer begründet wird, unter
Zusammenfassung des gesamten Kreises der Arbeiter, welche überhaupt in die Drganisation der Arbeitskammern eingezogen werden sollen. Meine Herren, eine kurze Zwischenbemerkung! Ich will etwas nachholen, was ich im Eingang übersehen habe. Ich spreche selbst⸗ derständl ch von den paritätischen Arbeitzkammern. Ich gehe auf die Frage, ob Arbeitskammern oder Arbeiterkammern zu errichten sind, nicht ein, nachdem die Mehrheit des Reichttags und mit ihr die Reichs⸗ verwaltung seinerzelt sich für das Prinzip bon Arbeitskammern, von paritätischen Kammern, ausgesprochen hat. Wenn ich aber im wesent⸗ lichen immer von Arbeitern in der Arbeits kammer spreche, so ist das natürlich nach den Zwecken und Aufgaben der Arbeits kammern. Aber ich habe dabei immer im Auge, daß bei den paritãtischen er,, auch die Arbeitgebervertreter gleichmäßig beteiligt sein Nun frage ich, wie sollen die territorialen Arbeits kammern örtlich abgegrenzt weiden? Man denkt daran, oͤrtliche Arbeits kammern ein- lurichten für große Industriezentren, für große Kommunalverbände. Ich könnte mir sehr wohl eine territoriale Arbeitskammer denken, beispielcweise für Gssen, für Cöln, für Frankfurt a. M. für Nürnberg, für Groß ⸗Berlin oder was Sie sonst nehmen wollen. Wie soll es aber in den industriearmen Gegenden und mit den kleinen Kommunen werden? Wir können ja nicht für jede einzelne Kommune im Deutschen Reiche eine Arbeitskammer einrichten. Wir würden also die kleinen Gemelnden, namentlich in den industriearmen Gegenden, bentrksweise lusamwaenfassen müsen. Nehmen Sie an, für preußische Verhãltnisse, einen preußischen Kreig, mehrere preußische Kreise, einen Regierunga⸗ benrk, eine Provinz, kurz einen zusammengefaßten mehr oder minder gtoßen Verwaltungsbenirk. Wie soll aber eine solche territoriale Arbeitekammer noch die zrtlichen Interessen befriedigen können? Die ortlichen Interessen sind an die kommanale Einteilung gebunden. Dort spielen sich die örtlichen Interessen ab. Wie aber eine
arbeltekammer die ¶ Interessen der kommunalen So ial politik, will ich einmal sagen, in den einzelnen Landstädten wahr- nehmen soll, weiß ich nicht; denn die Verbältnisse in den einzelnen Ortschaften sind viel zu verschleden. Die Vorbedingungen für ihre soiiale Kommunalpolltik sind viel zu verschiedenartig, al daß eine einzelne Arbeitskammer, welche für einen größeren Bezirk gebildet ist, allen diesen Verhältnifsen in den einzelnen Ortschaften gerecht werden könnte. Und dann weiter, durch welche inneren Bande soll eine solche territoriale Arbeitskammer zusammengehalten werden? Es fehlt bei einer solchen an jeder Gemeinschnft beruflicher Interessen und an jeder Gemeinschaft der örtlichen Interessen. Es bleibt nichts weiter übrig für die Arbeiter als die Qualität, daß sie Arbeiter sind, und ebenso auf der umgekehrten Seite die Qualität bei den Arbeitgebern, daß sie Arbeitgeber sind. Aber ein gemeinsames Band, welches die Leute zusammenhielte, ein Band, welches die Maschine aktionsfähig machte, das gibt es nicht. Ich befürchte, daß, wenn wir solche Territorialarbeltekammern gründeten, der Gegensatz, der nun einmal zwischen Arbeitern und Arbeitgebern besteht und be⸗ stehen wird, so lange die Welt existiert, vertieft wird, anstatt Üüber= brückt zu werden — ich sage nicht: ausgefüllt zu werden; die Kluft wird bestehen bleiben, aber es soll eine Brücke darüber gelegt werden, . Erfordernis würden Territorialarbeits kammern nicht ent⸗ prechen. .
Nun bedenken Sie aber, meine Herren, daß die Arbeitskammern in den großen Industriezentren, von denen ich zuerst sprach, doch nur die Minderzahl sein werden, und wenn für die große Zahl der Fälle im übrigen Kammern für einen größeren Verwaltungsbezirk errichtet werden sollten, ich glaube, dann werden Sie sich selber sagen: diese Konstruktion ist nicht praktisch.
Und wie steht es mit den fachlichen Unterabteilungen, sofern die Anhänger des Territorialspstems solche im Auge haben? Auch hier, meine Herren, wiederholt sich derselbe Gegensatz. In großen Kom⸗ munen würden solche Fachabteilungen möglicherweise zu bilden sein; aber in den anderen Kammern, in den Kammern für das industrie= arme, platte Land, wie sollen da Fachabteilungen gegründet werden? Für welche Gewerbe? Wie schwach werden diese Fachabteilungen vertreten sein, wie werden da überall Kooptionswahlen stati finden müssen, um überhaupt eine Fachabteilung zustande zu bringen, soll nicht die Gesamtzahl der Vertreter in. der Territorialkammer eine ganz unglaublich große werden? Und wie sollen denn diese einzelnen Fachabteilungen, fär Textilindustrie, will ich einmal sagen, oder für Eisenindustrie, die wir in der Zahl von hunderten, von tausenden im Deutschen Reiche haben würden, — wie sollen die herangezogen werden können von dem Reichstag, von der Gesetzgebung, von der Reichs verwaltung, wenn es sich darum handelt, Fragen, welche dieses Fach besonders interessieren, neu zu regeln oder anders zu regeln, als es bisher geschehen?
Meine Herren, alle diese Bedenken haben mich zu der Erwãgung geführt, ob es nicht richtig sei, die Angelegenheit umgekehrt anzufassen und als die primäre Organisation die berufliche Organisation ins Auge zu fassen. Wir haben, wenn wir das tun, den Vorteil, daß wir Kammern tatsächlich so bilden können, daß die sämtlichen in Frage kommenden Arbeiter des Deutschen Reiches von irgend einer der zu bildenden Kammern ergriffen werden, daß wir in diesen Kammern eine sachgemäße Vertretung der beruflichen Interessen des betreffenden Arbeitermweiges tatsächlich haben, eine Vertretung, die, well sie in sich einheitlich und innerlich gefestigt ist, eine sehr viel größere Macht hinter sich hat als die verzettelten fachlichen Unter⸗ abteilungen von Territorialkammern. Und meinen Sie nicht auch, meine Herren, daß, wenn ich fachliche Arbeitskammern ins Auge ge⸗ faßt habe, ich doch der praktischen Eatwicklung der Dinge gefolgt bin, wie sie sich in Deutschland und überall einmal gestaltet hat? Die großen Arbeiterorganisationen haben ihren Ursprung unjweifelhaft im fachlichen Gedanken gehabt (sehr richtig h, in der fachlichen Berufs gemeinschaft. Auf dieser fachlichen Berufsgemeinschaft beruht ihre Stärke, auch in der weiteren Ausbildung. Sollen wir da bei den Arbeitskammern einen anderen Weg gehen als diesen Weg, den uns die praktische Entwicklung tatsächlich worgejeichnet hat? Ich glaube, das würde falsch sein. Das eine muß ich ja zugeben, die örtlichen Interessen — ich glaube, der Herr Abgeordnete Naumann war es, der gestern oder vorgestern diesen Gesichtspunkt hervorhob — dle örtlichen Interessen, auf die man doch so großen Wert legen sollte, kommen dabei etwas zu kurz. Das gebe ich ganz offen ju: diejenige Fühlung des Arbeiter⸗ standes mit dem Arbeitgeberstand, mit den Verwaltungsbehörden, die er⸗ wũnscht wäre, um manche Mißverständnisse zu beseitigen, wird in erster Linie hierbei nicht so gepflegt, wie es auch mein Wunsch wäre; aber ich bitte zu bedenken, daß gerade in den Orten, wo die Industrie am stärksten vertreten ist, tatsächlich wahrscheinlich der Sitz einer, eventuell zweier beruflicher Kammern sein wird, und daß jedenfalls an diesen Orten die Kammern sehr wohl in der Lage sind, auch wenn sie beruflich organisiert sind, die Interessen der Arbeiterschaft gegenüber den Kom nunalbehörden zu wahren; denn wir haben ja doch im allgemeinen die Entwicklung derartig, daß sich die einzelnen Industrien auch distriktswelse zusammengefunden haben, daß sich an einzelnen Orten de gg die Eisenindustrie, die Textilindustrie usw. konglomeriert
n.
Dann wird man in der Zukunft vielleicht welter er— wägen können — ez ist das ein Plan, der in dem Entwurf noch nicht angedeutet ist, sondern lediglich bei mir entstanden ist —, ob, wenn die beruflichen Arbeitskammern gut funktionieren, aus ihnen örtliche Ausschüsse werden gebildet werden können. Dann würden die ortlichen Ausschüsse die Unterorganlsationen sein, also umgekehrt wie bei dem von mir kritisierten Projekt der Bildung von Territorial⸗ kammern mit fachlichen Unterabteilungen. Das würde immerhin den Vorteil haben, daß man nicht in jedem Ort einen solchen Drtgausschuß der fachlichen Kammern zu gründen brauchte, sondern nur an den Orten, wo ein tatsächliches Bedürfnis dafür vorhanden ist. Wir würden aber gleichzeitig die fachliche Arbeite kammerorgantsation für das ganze Reich haben. Wir würden also ein durchlõchertes System nur bezüglich der örtlichen Ausschüsse haben, nicht bezüglich der fach⸗ lichen Kammern, während die umgekehrte und nach meiner Ansicht . ö. schlechtere Gestaltung bei dem Prinzip der Territorialität
n Meine Herren, das sind im wesentlichen die Gründe ge— wesen, welche mich bewogen haben, fachliche Atbeltskammern vorzuschlagen. Ich glaube, daß, wenn eine Verständigung über diesen Punkt ernielt ist, eine Einigung über die weiteren Fragen sehr viel
anch mar für einen preußischen Kreis gebildete Territorial⸗
leichter sein wird. Allerdings hat sich die Kritik gerade an diese
weiteren Fragen angeklammert und hat, weil dem einen oder anderen dies oder jenes nicht gefiel, das ganze Projekt verdammt, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Da ist man zu weit gegangen.
Der Entwurf schlägt vor, daß sich die fachlichen Arbeitekammern an die Berufsgenossenschaften anlehnen sollen, und da habe ich wohl gelesen, wenn der Gedanke überhaupt auftauche, so solle man die Finger davon lassen; die Berufsgenossenschaften seien so unpopuläre DOrganisationen bei den Arbeitern (sehr richtig! bei dea Sozial- demokraten), daß, wenn man an sie die neuen Organisationen anlehne, unter allen Umständen ein lebenzunfähiges Kind zur Welt komme. Meine Herren, auch darin geht man meiner Ueber⸗ zeugung nch kiel ju weit. Mit der Anlehnung an die Berufsgenossenschaften ist folgendes gemeint: wenn wir fachliche Organisationen haben wollen, so müssen wir die vorhandenen Gewerbe in Deutschland fachlich gegeneinander abgrenzen, und liegt es da nicht nahe, daß man die bestehende Abgrenzung in den gewerblichen Berne genossenschaften zu benutzen versucht, sie als einen Rahmen auffaßt, an den sich die neue Organisation anlehnen kann, und jwar sowohl nach ihrer Scheidung der Gewerbe in fachlicher Beziehung als auch nach ihren örtlichen Trennungen und Teilungen in den Sektionen? Ich denke mir diese Anlehnung aber durchaus nicht in sklavischer Weise. Ich habe in dem Entwurf vorgesehen, daß uber die Errichtung der Arbeitskammern der Bundesrat zu beschließen hat. Auch das ist natürlich bemängelt worden, und es ist gesagt worden, es müsse alles im Gesetz bestimmt werden, man könne dem Bundesrat nicht solche Machtvollkommenheiten übertragen. Meine Herren, so können wir nicht verfahren; wollen wir die Sach: praktisch einrichten und die tat- sächlichen und örtlichen Verhältnisse berũcksichtigen, so kann das nur geschehen, wenn einer Behörde, als die ich hier den Bundesrat be—⸗ zeichnet habe, eine gewisse Freiheit gestattet wird, um den wirklichen Bedürfnissen nachjukommen. Ich will nur beispielsweise einmal sagen — es mag falsch sein, was mir vorschwebt: ich würde glauben, daß für die Musikinstrumentenindustrie zwei Arbeitakammern genügten, eine in Leipzig und eine in Stuttgart, vielleicht auch eine dritte in Berlin oder noch eine vierte; ich bitte mich darauf nicht festunageln, sondern ich will das nur so hinwerfen. Für andere Gewerbe werden sehr viel mehr Arbeitekammern erforderlich sein. Die verschiedenen Ge⸗ werbdjweige haben sich ja vielfach landschaftlich gleichmäßig entwickelt, wir
liche, eine süddeutsche Textilindustrie usw:; da werden sich unter Ueber⸗ schreitung der Grenzen der. Bundesstaaten oder unter Einhaltung der Grenzen der Bundesstaaten eine ganz große Zabl von Möglichkeiten ergeben, die vom Bundesrat nachher dem praktischen Bedürfnis ent⸗ sprechend geregelt werden sollen.
Meine Herren, eine andere sehr lebhafte Kritik hat sich an die Vorschläge, die ich über die Wahlen gemacht habe, angeknũpft. Es ist bekanntlich vorgeschlagen, daß die Hälfte der Arbeitervertreter von den Arbeiterausschüssen gewählt werden sollen, die andere von den Beisitzern bei den Berufsgenossenschaften. Wenn ich dabei die Arbeiterausschüsse zunächst ins Auge gefaßt habe, so ist es mir klar daß die Organisation schließlich nur wirksam werden könnte, wenn die Arbeiterausschüsse weiter ausgedehnt Kürden, als es gegenwärtig der Fall ist. Meine Herren, ich will heute nicht auf die Frage der obligatorischen Arbeiterausschüsse und auf die Ausdehnung der Bestimmungen der Gewerbeordnung in dieser Benehung ein⸗ gehen. Ich bin überzeugt, die Weiterbildung der Arbeiterausschũsse wird eine ganz natürliche Entwicklung der Dinge sein. Sie kann gefördert werden durch die Gesetzgebung, aber auch ohne solche Förderung wird sie sich vollniehen. Es besteht vielfach ein dringender Wunsch nach Einführung obligatorischer Arbeiterausschüsse. Die Herren aus dem Zentrum haben schon bei der ersten Etatsberatung angekündigt, daß sie einen entsprechenden Antrag einbringen würden. In gewissen Kreisen erfreuen sich also die Arbeiteraugschũsse einer gewissen Popularität und eines gewissen Vertrauens, und wenn der Entwurf nun die Arbeiterausschüsse als Wahlksrper hinstellt, so scheint mir das von vornherein ein nicht gar so unbener Gedanke zu sein. Ob die Beisitzer bei den Berufsgenossenschaften richtig gewählt sind, das will ich dahingestellt sein lassen. Ich will Ihnen aber ganz offen erklären: ich fasse die Wahlen bei diesen Gelegenheiten und bei
und nicht als einen Selbftzweck; worauf es mir bei der Bildung von Arbeitskammern ankommt, wird das sein, daß wir von seiten der Arbeiter diejenigen Vertreter hineinbekommen, die von dem Ver⸗ trauen ihrer Mandanten getragen sind, und daß sie diejenige Intelligenz, diejenige Energie, diejenige Ueberzeugungstreue mitbringen, die notwendig ist, um die Geschäfte zu fördern. (Sehr richtig !) Man hat mir den Vorwurf gemacht: die Wahlen und die ganze Konstruktion sei so eingerichtet, als wolle ich den Arbeits kammern solche Vertreter der Arbeiter zuführen, die ju allem ja und Amen sagten. In keiner Weise, meine Herren! Wenn solche Vertreter gewählt würden, die von vornherein zu allem ja und Amen sagen, dann wird aug der ganzen Einrichtung nichts Brauchbares; sondern wir müssen Männer und Frauen haben — sowohl von seiten der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer — welche überjeugungetreu sind, welche nicht ju allem ja und Amen sagen, aber auch nicht solche, welche von vornherein mit der Absicht hinkommen, zu allem nein zu sagen. (Eebhaftes Sehr richtig!“ — Zuruf bei den Sozialdemokraten: Warum sagen Sie uns das gerade?) — Ich sage das nicht Ihnen; ich sage das aller Welt. (Heiterkeit Insofern, meine Herren, hat die Form der Wahl — ich spreche ganz persönlich, weil die Bundes regierungen noch keine Stellung eingenommen haben — eine unter⸗ geordnete Bedeutung. Ich werde bereit sein, jeden Vorschlag, der mir entgegengebracht wird, mit voller Unbefangenheit daraufhin zu prüfen, ob er die Erreichung des Zieles sichert. Und wenn mir Vor⸗ schläge gemacht werden, die nicht etwa davon ausgehen — es gibt auch solche Menschen, die in den Wahlen selber, in der Vornahme der Wahl die Hauptsache sehen — wenn mir Vorschläge gemacht werden, welche nicht von diesem Standpunkt ausgehen, sondern lediglich bestrebt sind, gute Vertreter zu schaffen, so werde ich, wenn sie mir jweckmäßig er scheinen, ihnen zustimmen. Meine Herren, ein paar Worte noch über die Kostenfrage. Es ist kritisiert worden, daß der Gesetzentwurf die Uebertragung der Kosten auf die Berufggenossenschaften vorsieht. Meine Herren, das ist eine heikle Frage, das gebe ich Ihnen offen zu. Mir hat es selber nicht recht gepaßt, daß für eine Organisation in der Arbeitgeber und Arbeiter zu gleichen Rechten vertreten sind, die Kosten allein von der Arbeitgeber seite getragen werden. Das kann eine derartige Organisation von
vornherein schädigen (1bgeordneter Eriberger: Sehr richtig), und
haben j. B. eine schlesische Textilindustrie, eine sächsische, eine west⸗ .
anderen Gelegenheiten immer nur als Mittel zu einem Zweck auf