1908 / 75 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 27 Mar 1908 18:00:01 GMT) scan diff

politischen Freunden heute wiederum außerordentlich wenig gefallen. Die verbündeten Regierungen denken jwar nicht an eine Aenderung, wie ürst Bülow eiklärt, was hat aber eine solche Erklärung für einen ert, wenn der oberste Beamte des Reichs dieses Wahlrecht als das⸗ jenige bejeichnet, was am allerwenigsten auf die Reife des Urteils, 36 Bildung und politische Erfahrung Rücksicht nimmt. Man muß d unwillkaärlich auf den Gedanken kommen, daß die verbündeten Regie⸗ rungen und der Reichskanzler dieses Wahlrecht ju bee n su würden, sobald sie nur glauben, daß dies ohne schwere Erschütterung des Staats ganzen möglich ist. Wir müssen daher kor auf der Hut sein und dafür sorsen, daß in den Reichstag wie in die Landtage nur wirkliche Freunde des allgemeinen, gleichen und direkten Wahl⸗ rechts lemmen. Gerade die Haltung in der n, . ist ein Prüfftein für einen Abgeordneten sowohl wie für einen Min sster, denn der Unterschied, den der Reichekanzler zwischen dem Reich und Preußen gemacht hat, kann uns nicht überzeugen. Vor allem hat er gar nicht versucht, einen Unterschied jwischen dem Bundes- staat Preußen und den anderen süddeutschen Bundeg⸗ staaten zu machen, die ihr Wahlrecht moderner gestaltet hahen. Der Kanzler stellte die Reform des Kommunglwahlrechtes als not- wendige Konsequenz der Reform des preußischen Wahlrechtes dar. Das stimmt keineswegs, hat man doch geduldet, daß das preußische und das deutsche Wahlrecht vier Jahrzehnte hindurch neben einander bestanden; da wird auch ein anderes Kommunalwahl recht neben dem preußischen Landtagswahlrecht bestehen können. Der Abg. Lat mann meinte, wir verfolgten mit unserer Wablrechts⸗ bewegung nur Parteipläne; nachdem der Kanzler uns dargelegt hat, wie schlechte Geschäfte wir mit dem Reichstagswahlrecht machen würden, brauchen wir uns gegen diesen Vorwurf des Abg., Lattmann nicht mehr zu verteidigen. Wir betreiben mit Rücksicht auf die Millionen entrechteter Wähler in Preußen ohne Rücksicht auf Partei- zwicke diese Wahlrechts bewegung. Der Abg. Lattmann wollte wohl mehr eine Stichwahlrede für Norden⸗Emden halten. Der Abg. Latt⸗ mann hat dem Abg. Naumann Schauspielerei vorgeworfen; er muß ein sebr schlechter Menschenkenner sein, wenn er Gemülsbewegungen, wenn er das Reden mit dem Herzen mit Schauspielerei verwechselt. Dem Abg. Lattmann ganz besonders steht es schlecht an, von Demagogie ju reden, ihm, der eben erst aus dem Wahlkreise Emden⸗Norden zurück⸗ ekebrt ift. Niemand ist dort demagogischer aufgetreten als er, sZuruf; i Unwahr!) Die Deutsch-⸗Sozialen haben in dem letzten Wahlkampf in Waldeck einen gemeinen Schwindel getrieben, das will ich Ihnen, Herr von Liebermann, wenn Sie darauf Wert legen, beweisen. (Große Unruhe rechts; Vizepräsident Ka e m pf rust den Abg. Raab wegen des Zwischenrufes Lüge“ zur Ordnung) Die „Kreuzzeitung. und die Poft“ haben sich über die G fig der agrarisch antisemitischen Agitation in Emden. Norden sehr abfällig ar sgesprochen. Wir empfehlen dem Hause die Annahme der Resolution Heckscher, die den Reichs⸗ kanzler ersucht, zu veranlassen, daß die verfassungsmäßige Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte des Beamten an sich niemals als ein Verhalten angesehen wird, durch das der Beamte sich der . die sein Beruf erfordert, unwürdig jeigt, daß Beamtenausschüsse in allen Verwaltungen eingesetzt, die wirischaftlichen Reichsbetriebe der Gewerbeinspektion unterstellt werden und die Dien arerhältnisse der auf Vertrag angestellten Personen mindestens denjenigen Bedingungen entsprechen, die durch die Gesetzgebung den privaten Unternehmungen vorgeschrieben sind. Es gibt nicht bloß die von dem Abg. Lattmann an⸗ eführten Beamtenkategorien, sondern noch viel mehr, und der Reichs⸗ u . würde dem Hause einen Dienst erweisen, wenn er eine Denk⸗ schrift über die Rechtsverhältnisse der Beamten ausarbeiten und dem Reichstage zugeben lassen wollte. Die Koalitionsfreiheit der Beamten muß geschützt werden; natürlich kann dabei für die dauernd mit ensionsrecht angestellten Beamten von einem Streikrecht nicht die ede sein, was von ihnen aber auch gar nicht verlangt wird. Aber im übrigen können wir nicht billigen, daß die Vereinsfreibeit der Beamten auf bestimmte Bezirke oder bestimmte Kategorien be⸗ schränkt wird. Wir fordern desgleichen volle Ver sammlungefreiheit für die Beamten, das volle Petitiongrecht und das volle Wahl⸗ recht, das Grundrecht aller Rechte, auch für die Beamten. Ich er⸗ innere hier nur nochmals an den Fall Schellenberg, der noch dazu nicht einmal einer der schlimmsten Beweise von Maß- regelungen gewesen ist. Eine sehr schlimme Aeußerung eines hohen preußischen Beamten ist kolportiert worden, es hieß, die Beamten würden sich wohl nicht erlauben, ihrem Unmut über das Ausbleiben der Besoldungeverbesserung Ausdruck zus geben, denn man habe ja die öffentliche Wahl. Das Dementi des Staatssekretãrg v. Bethmann Hollweg im preußischen Abgeordnetenhause genügt mir nicht; ich wünsche, daß auch hier ausdrücklich von seiten der Regierung erklärt wird, daß die Beamten bei der nächsten Wahl volle Wablfreiheit genießen werden. Wir verlangen ferner für die Beamten Meinungsfreiheit in Wort und Schrift und freien Verkehr mit den Abgeordneten eines arlamentgs. Zur Abstellung von Mißständen, obne daß dazu erst die effentlichkeit angerufen zu werden braucht, würden sich Beamten⸗ ausschüfse durchaus eignen; deshalb unterstützen wir auch diese Forderung der Beamten.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staats sekretär des Innern, Staatsminister von Bethmann Hollweg:

Meine Herren! Es war mir nicht möglich, die Aeußerungen des Herrn Vorredners über eine angebliche Bemerkung eines höheren preußischen Beamten in bezug auf das öffentliche Wahlrecht genau ju verstehen. Ich glaube, ihn dabin verstanden zu haben, ein höherer preußischer Beamter habe ausgesprochen: jum Glück bestebe ja in Preußen das öffentliche Wahlrecht mit dem Hintergedanken, man könne die Oeffentlichkeit des Wahlrechts mißbräuchlich benutzen gegen die Ausübung des Wahlrechts durch Beamte. Mir ist eine solche Aeußerung eines höheren preußischen Beamten bie her unbekannt ge⸗ blieben und ich halte sie so für unmöglich. (Sehr richtig! rechts. Wider spruch in der Mitte.)

Meine Herren, ich habe aber aus einem anderen Grunde dat Wort ergriffen. Es ist heute und vorgestern von verschiedenen Herren Rednern gefragt worden nach dem Stande der Arbeiten für eine Reform des Staatsangehörigkeltegesetzes. Meine Herren, der Herr Reichskanzler hat zu wiederholten Malen hier im Reichstag die Reformbedũrftigkeit des Staats angehoͤrigkeitegesetzes vom 1. Juni 1870 anerkannt und bedauert es lebhaft, daß es bisher unmöglich gewesen ist, dem Reichstag eine entsprechende Vorlage ju machen. Darüber dürfte kein Zweifel sein, daß jenes Gesetz denjenigen Wandlungen nicht mehr Rechnung trägt, die das Deutsche Reich seit dem Erlaß des Gesetzes durchgemacht hat, nicht der Autbreitung, die das Deutsch⸗= tum in überseeischem Handel und Verkehr gefunden hat, nicht der Er⸗ höhung des Wertes, den das Deutschtum im Aut lande genießt, nicht der Erkenntnis, daß wir alle die Deutschen, die draußen im Dienste des Vaterlandes Arbeit leisten, nicht fahren lassen dürfen und nicht fahren lassen wollen.

Die Arbeiten wegen der Reform des Staatgangebörigkeitsgesetzes sind leider im vergangenen Jahre auf einen toten Punkt geraten. Sie müssen, meine Herren, bedenken, daß eine ganze Reihe staatlich wichtiger Interesfen bei der Reform ju berücksichtigen bleibt. Ich kann aber, nachdem seit geraumer Zeit die Arbeiten wieder auf⸗ genommen find, die Hoffnung aussprechen, daß es nunmehr in kurzer Zeit gelingen wird, dem Reichstag eine Reformvorlage zu machen. (Bravo! links.) Die Richtlinien dieser Reformvorlage werden dahin gehen, vaß der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit erschwert und die Wiedererwerbung der deutschen Staatzangehörigkeit erleichtert wird. (Bravo rechts)

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er e , er die a e em en en im all⸗ , den Ansichten der . . des Hauses, ins⸗

besondere seine Bemerkungen über den Dreibund. In der auswärtigen

resse zeigte sich in der letzten Zeit eine gewisse Feindseligkeit gegen *, gedrungen an Acußerlichteiten und wird infolgedefsen cberflachlich

. Deutschland in bezug auf das Sandschakbahn⸗Projekt. ene

resse hätte die Pflicht gehabt, zu prüfen, ob hierdurch wirklich die

teressen Italiens und Englands verletzt werden. Für den internationalen Verkehr hat diese Sanrschakbahn nur eine minimale Bedeutung. glaube, die Aufregung war deshalb überflüssig, und es wird nicht schwer sein, einen Ausgleich zwischn den österreichischen und italien ichen Interessen auf dem Balkan berbeizuführen. Dem Antrag Albrecht wegen Erwerb und Verlust der Reichsangehörigkeit stimmen wir zu. Daß eine Deutsche, die im Auslande einen Ausländer heiratet, ihre Reichs⸗ angehörigkeit verliert, wollen wir gelten lassen, aber daß dies auch dann geschieht, wenn sie hier im Inland einen Ausländer heiratet halten wir für eine große Härte. In England ist es anders. Auch in der kleinen Schweiz ist dersucht worden, den Verlust der Staats- angebörigkeit zu verhindern. Es ist das auch mit Räcksicht auf die Kinder von größter Wichtigkeit. Die Arbeit der Zentralauskunftestelle verdient höchste Anerkennung. Daß der Abg. Naumann demagogisch ee, hat, kann ich nicht finden. Er ist ja eine eigene Persönlich⸗ eit und hat eine glänzende Rhetorik. Er spricht mit Eleganz und schweift mit dem größten Geistesreichtum über alle Realitäten des Lebens hinweg. Die Einführung des allgemelnen gleichen Wahlrechts hat jedenfalls auf die breiten Massen des Volkes im Süden be⸗ ruhigend und ausgleichend gewirkt. Der Reichskanzler hätte wenigftens die geheime Stimmabgabe in Preußen in Aussicht stellen können.

Die Diskussion wird geschlossen und das Gehalt des Reichskanzlers bewilligt.

Zur Geschäftsordnung bedauert der

Abg. Eriber ger (Zentr), daß es ihm durch den Schluß der Dis. kussion unmöglich geworden sei, den Antrag seiner Partei wegen des Koalitionsrechts der Beamten näher zu begründen.

Es folgen persönliche Bemerkungen der Abgg. Vonder⸗ scheer (Zentr. und Potthoff (freis. Vgg).

In der Abstimmung wird zunächst der Antrag Hompesch wegen Schutzes des Wahlgeheimnisses angenommen; ebenso der Antrag Heinze, betreffend die vom Reiche den Gemeinden * liefernden Wahlurnen. Dagegen wird der Antrag der

ozi aldemokraten auf aeg des allgemeinen gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts für alle über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts nach Maßgabe der Verhältniswahl gegen die Stimmen der Sozial⸗ demokraten und einiger 5 (Potthoff, Naumann, Hermes u. a.) abgelehnt. Der Antrag nm,. auf Ge⸗ währung des Koalitionsrechts für die Reichsbeamten wird fin die Stimmen der Rechten angenommen. Ebenso der

ntrag Lattm ann, der den Beamten, Handwerkern und Arbeitern in Reichsbetrieben gestatten will, Ausschüsse aus ihren Reihen zu wählen, und der Antrag Behrens wegen Herausgabe einer Denkschrift über Art und Umfang der Einwanderung ausländischer Arbeiter für landwirt⸗

schaftliche und gewerbliche Unternehmungen. Abgelehnt wird ferner der Antrag der szialdemokraten, wonach Ausweisungen von Ausländern aus einem

deutschen Bundesstaate nur auf Grund eines richterlichen Urteils zulässig find, das auf Grund reichsgesetzlicher Vor⸗ schriften über die Zulässigkeit von Ausweisungen ergangen ist. Die Resolution Storz wegen Reform des Gesetzes über Erwerbung und Verlust der Bundes⸗ und Staatsangehörigkeit wird einstimmig angenommen, desgleichen die w m fe Beck-⸗Heidelberg, die sich auf denselben Gegenstand bezieht. Die Abstimmung über die Resolutien Brandys wegen einer Enquete zur Untersuchung der politischen Verhältnisse der polnischen Bevölkerung im Deutschen Reiche wird eine nament⸗ liche sein und morgen erfolgen. Die Resolution Heckscher wird, soweit sie sich auf die verfassungsmäßige Ausübung der staats⸗ bürgerlichen Rechte des Beamten und 2 die Dienstverhãltnisse der auf Vertrag angestellten Personen bezieht, angenommen, soweit sie sich auf die Einrichtung von Beamtenausschüssen und auf die Unterstellung der wirtschaftlichen Betriebe des Reichs unter die staatliche Gewerbeinspektion bezieht, abgelehnt. Damit ist die Beratung des Etats des Reichskanzlers erledigt. Beim Etat des Auswärtigen Am ts bemängelt der Abg. Dr. Osann (nl), daß für die Aufnahme in die diplo⸗ matische Karriere nicht allein Tüchtigkeit und Kenntnisse entscheidend iu sein schienen; es komme heutzutage nicht allein darauf an, daß ein Diplomat sich auf dem Parkett zu bewegen wisse, sondern daß er auch das Leben kenne. Auch in den bürgerlichen Kreisen fänden sich geeignete Kräfte. Allerdings spiele die Firanzfrage sehr mit, denn die Gehälter einschließlich der Repräsentationskoften genügten bei weitem nicht. Von anderen Ländern würden auch Buͤrgerliche als diplomatische Vertreter zu uns geschickt. Tüchtige Kräfte würden aber jetzt durch die absolute Aussichtslosigkeit ihres Gesuches von einem solchen abgeschreckt. Auch die Ausbildung unserer Diplomaten genüge nicht mehr, vor allem müßten sie auf dem Gebiete des industriellen und kaufmännischen Lebens bewandert sein, dies aber könnten sir nur in großen heimischen Betrieben, auf Handelshochschulen und bei Handelskammern lernen. Der Redner bittet ferner, bei Aus= schreibung öffentlicher Arbeiten im Auslande, diese auch in Deutsch= land bekanntzugeben, damit heimische Bewerber sich beteiligen können.

Staatssekretãr des Auswärtigen Amts, Wirklicher Geheimer Rat von Schoen:

Meine Herren! Der Herr Abg. Dr. Osann hat die Frage der Reform des diplomatischen Dienstes wieder berührt und mir damit nicht unwillkommene Gelegenheit gegeben, zu sagen, wie ich persönlich über diesen Punkt denke. Der Wunsch, daß etwas in der Diplomatie anders, etwas besser werde, ist ja bereits vor einem Jahre bier in diesem hohen Hause geäußert worden. Der Wunsch entspringt einem Interesse an auswärtigen Dingen, das an sich mit Dank ju begrüßen ist. Er enthält aber auch, wenn auch in sehr diskreter Form, eine Kritik an dem Bestehenden und scheint auf der Annahme zu be⸗ ruhen, daß bei der Auswahl des diplomatischen Peisonals einseitig und engherzig verfahren werde. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Nun glaube ich ja wohl annehmen zu dürfen, meine Herren, daß im allgemeinen die Meinung über unsere deutsche Diplomatie etwas wohlwollender geworden ist als noch vor einem Jahre, und ich nehme mit Dank Akt von den anerkennenden Worten, welche wiederholt in der letzten Zeit in diesem hohen Hause unseren Vertretern auf der Haager Friedenskonferenz zuteil geworden sind. Vielleicht, meine Herren, findet sich gelegentlich noch einer oder der andere unserer Diplomaten, der sich besser erweist als sein Ruf.

Wie dem aber auch sei, so glaube ich mit Ihnen einig zu sein, meine Herren, daß sich bei der Beurteilung von diplomatischen Personen und diplomatischen Dingen eine gewisse Vorsicht empfichst. In der Tat, die hauptsächlichste und wichtigste Tätigkeit des Diplomaten vollnieht sich auf einem Gebiet, welches nicht allen Blicken geöffnet werden kann. Nur derjenige, welcher vollen

Einblick in dieses vertrauliche Gebiet hat, wird in der Lage sein,

ein zutreffendes und erschöpfendes Urteil über die Leiftungen

und Fähigkeiten des einzelnen fassen zu können. Für Außenstehende ist dies schwierig, wenn nicht unmöglich. Ihr Urteil haftet not-

leicht schief, bei den besten Absichten unfreundlich, und es kann, wenn oͤffentlich vor dem Inland und Ausland ausgesprochen, leicht schãdlich

und verletzend wirken, um so verletzender, als es Leute trifft, die fich

nicht wehren können und wehren dürfen. .

Die Grundsätze, nach welchen bei der Auswahl des diplo⸗ matischen Personals zu verfahren ist, sind diktiert von den Gr⸗ fordernissen des Dienstes. Zu diesen Erfordernissen gehört nun manches, was mitgebracht sein will, was nicht in der Karriere mt erworben werden kann. Es gehören dazu neben den allgemeinen und besonderen Kenntnissen vor allen Dingen umfassende Sprachkenntnisse und zwar eine sehr gründliche Beherrschung fremder Sprachen; die gewöhnlichen Kenntnisse eines Oberkellners genügen in dieser Be= ziebung nicht. (Heiterkeit) Es gehört ferner dazu, wie die Dinge nun einmal liegen, ein nicht unbeträchtliches Vermögen, es gehört dazu eine gewisse psychische und physische Anpassungsfähigkeit, eine kapitelfeste Gesundheit, welche es erlaubt, von nördlichen Regionen nach dem Aequator und umgekehrt ju wandern. (Heiterkeit) Es gehört dazu eine nicht ungünstige äußere Erscheinung (Heiterkeit), ein festes Auftreten und, meine Herren, ein großes Maß gesellschaftlichen Schliffes.

Nun weiß ich sehr wohl, meine Herren und der Heir Vor⸗ redner hat die Gũte gehabt, das selbst als seine Meinung zu äußern daß die Tätigkeit des Diplomaten sich heute nicht mehr allein auf dem glatten Parkett vollzieht; es gehören dazu heutzutage umfassende allgemeine und spezielle Kenninisse. Darum müssen auch die Anforde⸗ rungen gesteigert werden, und es muß bei der Prüfung der Anwärter und bei der Vorbereitungeszeit ein höherer Maßstab angelegt werden. Es haben Erwägungen über eine neue Prüfungsordnung und über die Frage stattgefunden, in welcher Weise den Anwärtern zum diplomatischen Dienst mehr Gelegenheit als bisher gegeben werden kann, sich fachlich und sachlich auszubilden. Diese Erwägungen stehen dem Abschsuß nahe, und ich hoffe, in kurzer Zeit das Resultat derselben bekannt machen zu können. Ich möchte mich deshalb noch nicht auf die Einzel- heiten der neuen Prüfungsordnung einlassen, Ihnen vielmehr nur kurz sagen, daß ich mir die Sache etwa, wie folgt, denke. Den jetzigen Zustand hat der Herr Abg. Dr. Osann uns soeben geschildert hn. ' LIch denke mir die Sache so, daß wir nach wie vor als Regel daran sesthalten, solche jungen Anwärter anzunehmen, welche die erfle jariftische Prüfung mit gutem Erfolg bestanden haben, was man in Preußen Referendare nennt. Anstatt von ihnen aber wie bisher zu fordern, daß sie eine juristische Praxis von zwei Jahren hinter sich haben, werden wir sie jetzt sofort nach bestandenem Referendarexamen annehmen und sie anstatt wie bis jetzt zwei Jahre vier Jahre in unserer Praxis be⸗ schäftigen. Es erscheint mir besser, daß die jungen Anwärter diese Vorbereitungsjeit bei uns im Auswärtigen Amt, bei auswärtigen Missionen und ich meine damit nicht nur diplomatische, sondern auch konsularische, und darauf lege ich sogar den Hauptwert ver⸗ bringen, sondern daß sie diese Zeit auch verbringen in einer Bank oder einem größeren Handelshause und an einer Handelshochschule, womöglich auch bei einer Handelskammer; kurz ich lege den größeren Wert darauf, daß die jungen Leute heutzutage mehr nach der wirt⸗ schaftlichen Seite sich ausbilden und praktischen Sinn gewinnen als nach der juristischen. Sanz entbehren werden wir die juristische Vorbildung nicht kõnnen, deshalb, weil im diplomatischen Dienst Rechtsfragen einen großen Teil der Beschäftigung bilden; auch deswegen nicht, weil es Posten gibt, auf denen die Diplomaten als Richter zu fungieren haben. .

Wer über die Gesamtheit der erforderlichen Eigenschaften zu ver⸗ fügen glaubt, kann sich zum Eintritt in den diplomatischen Dienst mit der Sicherheit melden, daß sein Gesuch rein sachlich geprüft wird. Es ist richtig, daß sich heutzutage noch viel mehr Bewerber aus den sogenannten obersten Ständen bei uns melden, als aus den bürger⸗ lichen Mittelklassen. Das ist sehr einfach darauf zurückzuführen, daß sich in diesen sogenannten oberen Schichten noch viel mehr Angehörige finden, die die vorhin eiwähnten Vorbedingungen (Vermögen, Sprach⸗ kenntnisse ꝛc.) erfüllen. Diese Verhältnisse zu ändern, liegt nicht in der Kraft meines Rissortßs. Was wir tun können, das ist die rein sachliche, vorurteilsfreie und woblwollende Prüfung der Gesuche, die bei uns eingehen; und daran, meine Herren, soll es nicht fehlen, soweit meine Amtsführung in Betracht kommt. Ich erkläre ausdrücklich, daß mir die Bevorzugung irgend eines Standes grundsätzlich fern liegt.

(Bravo! links.)

Der Herr Vorredner hat es auch als wünschentwert deielchnet.

daß bei der Ausbildung der konsularischen Beamten mehr Gewicht als bisber auf die wirtschaftliche Seite gelegt werde. Ich freue mich, sagen ju könren, daß ich in dieser Richtung vollständig mit dem Herm Vorredner übereinstimme, und daß das Erforderliche bereits angeordnet ist. Wir gedenken, unsere angehenden Konsuln fernerhin vielmehr nach der praktischen und kaufmännischen Seite auszubilden, und zwar in der Weise, daß wir sie bei ihrem Durchgang durch das Auswärtige Amt mehr in der Handelsabteilung beschäftigen als in den anderen, dadurch, daß wir darauf achten, daß sie längere Zeit eine Handelk⸗ hochschule, eine Handelsakademie besuchen und den Grfolg dieses Besuches nachweisen, dadurch, daß wir darauf bedacht find, daß sie, wenn es irgend möglich ist, praktisch in das kaufmännische Leben einen Blick werfen und in einem größeren Kaufmannshause oder in einer Bank oder auch in einer Handelskammer tätig sind. Auf diese Weise glauben wir, daß marchen Klagen Abhilfe geschaffen wird. Nur müssen wir uns dessen bewußt sein, daß die Wirkung dieser Aenderung sich nicht von heute auf morgen geltend machen kann, und allzu große Hoffnungen darf man auf einen Umschwung insofern, glaube ich, auch nicht setzen, als vielfach im Publikum noch irrtümliche Anschauungen über die Fähigkeiten und Aufgaben unserer Konsuln herrschen. Der Konsul ist im Auslande der Berater und der Helfer der Deutschen, die draußen wohnen, und des Handels standes, der mit dem Auslande seine Verbindungen knüpft; er kann aber nicht sein, wie das sehr häufig irrtümlich gedacht wird, der Agent oder Vertreter des Handels standes. Das liegt auf ber Hand.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königli

M 75.

(Schluß aus der Ersten Beilage)

Es ist auch nicht nötig, daß er sich ju dieser Aufgabe durchzuringen sacht, die er tatsächlich nicht durchführen kann; denn dazu ist der deutsche Kaufmann selbst da, und der deutsche Kaufmann bat sich seinen Weg gebahnt durch die weite Welt und hat überall den deutschen Namen zur Ehre und jum Ruhm gebracht. Und wie ihm das in der Vergangenheit gelungen ist und in der Gegenwart ge— lingt, so wird es ihm auch, dessen bin ich sicher, in Zukunft gelingen. (Beifall.)

Abg. Eriberger (Zentr.): Auf die Notwendigkelt einer Reform

der Vorbildung der Diplomaten habe ich schon im vorigen Jahre hin.

gewiesen. Velleicht legt uns der Staatssekretär eine Denkschrift äber diese Verhältnisse vor. Auch das Mißverhältnis zwischen bürgerlichen und adligen Diplomaten ist bekannt. Der junge Diplomat muß bei der Auswahl seiner Eltern sehr vorsichtig sein. Jedenfalls ist mir aber der Geburtsadel noch lieber als der Cinsluß der Plutolratie auf die auswärtige Politik. Daz Auswärtige Amt sollte dafür sorgen, daß die größeren Konsulate von Schreibwerk mehr entlastet werden. Vielleicht könnte die ganze Org nisation geändert werden; wie das zu geschehen hat, muß ich der Verwaltung überlassen. Daß der Reichskanzler engere Fühlung mit der Auslandsprefse nehme, kann ich auch nur mit dem Abg. Bassermann wünschen; eine gewisse Vorsicht wäre aber doch am Platze. Meine Ausführungen richten sich nicht gegen den jetzigen Staatssekretär. So hatte z. B. ein englisches Blatt von einer Unterredung des Deutschen Kaisers mit einem englischen Staatsmann berichtet. Das wurde effiziõs abzuleugnen gesucht, ob- wohl die Richtigkeit der Mitteilung bewiesen war. Solche Ab—⸗ leugnungeversuche müssen Mißtrauen gegen uns heivorrufen. Schließsich möchte ich den Staatssekretär bitten, bei der Ver—= staatlichung der Gotthardbahn die deutschen Interessen nach Küiäften wahr zunehmen.

Abg. Ahl horn (fr. Volksp) schließt sich den Ausführungen des Abg. Osann über die beffere Vorbildung unseres Diplomatenkorpz in wirtschaftlicher und handelepolitischer Bejiehung an. Unsere Vertretung in Marokko sei gewiß eine außerordentlich gute; bei der vielversprechenden Eniwicklung des deutschen Handels in Marokko sei es aber sehr zu wünschen, daß ihm ein ausreichender Schutz durch unsere Vertretung gewährt werde. Unter den Unruhen in Casablanca habe der deutsche Handel schwer zu leiden e. es stehe die Existenz vieler Kaufleute in Marokko auf dem Spiel; wer entschädigt sie für die großen Verlufte? Die Deutschen befürchten, daß ihnen der volle Schaden niemals ersetzt werden kön ne, die deutschen Unternehmer müssen selbst sehen, wie sie zu ihrem Gelde kommen, sie genießen nicht denselben Schutz wie die Franzosen. Treu und Glauben in Marolko seien im Schwinden, und es habe sich der Deutschen eine w Mutlosigkeit bemãchtigt. Die Franzosen seien, wie es scheine, darauf aus, den deutschen Handel aus Marolko zu verdrängen. Der deutsche Kaufmann müsse immer mutloser werden, wenn er nicht den Schutz des Deutschen Reiches hinter sich habe.

Abg. Ledebour (Soz.) trägt die Beschwerde eines 2 Grnst Kullcck in Brasilien vor, der auf Grund falscher Ausfagen des Polizeikommisfars erst verurteilt und dann im Schwur⸗ erichts verfahren freigesprochen war, aber keine Entschädigung er—⸗

ten hatte. Der Redner fragt, ob es endlich gelungen sei, genaue Aus= kunft über die Sache ju ermijteln, und ob die Gesandtschaft in Rio de Janeiro sich zu Gunsten des Deutschen verwenden wolle. Der chinesischen Gesandtschaft solle dem Vernehmen nach der auf gelber Seide geschriebene Gheverttag des chinesischen Kaisers jum Ankauf 1 worden sein, die Gesandtschaft aber den Kauf abgelehnt haben, weil der Vertrag bei der „Beruhigunggaktion“ gestohlen 3 sei. Es liege im deutschen Interesse, hierüber eine Eiklärung zu geben

Abg. Dr. Görcke⸗ Brandenburg (ul.) beschwert sich über einen eh in dem ein Deutscher, der in Frankreich 8 Jahre gelebt hatte, ei seiner Rückkehr nach Frankreich von einer Volkemenge als Spion bedroht und um seine Stellung gekommen war, eine Entschädigung wegen dieses entstandenen Schadens nicht habe erreichen können. Der deutschen Diplomatie hätte es jedenfalls gelingen müssen, wenigstens aus Billigkeitsgründen noch eine Entschädigung gegenüber Frankreich durchzusetzen.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Wirklicher Ge⸗ heimer Rat von Schoen:

Meine Herren, in Anbetracht der vorgerückten Stunde glaube ich in Ihrem Sinn zu handeln, wenn ich mich möglichst kurz fasse.

Der Heir Abg. Erzberger hat es als einen Mißstand bezeichnet, daß bei unseren Behörden draußen und er bat selbst einen Blick in eine Behörde getan unendlich viele Schreibereien vorkommen, die, wie er sich ausgedrückt hat, jum großen Teil unnötig zu sein schienen. Ich teile diese Aufsassung aus vollem Herjen. Meine Herren, Sie haben keine Ahnung, mit welchen Kleinigkeiten wir be⸗ schäftigt werden, sogar der Staatssekretãär. Aber, meine Herren, es ist nicht unsere Schuld, sondern meist die Schuld derjenigen, die sich an uns wenden. Auch im Auswärtigen Amt wird das als ein großer Mißsftand betrachtet, und ebenso bei den auswärtigen Missionen. Ich habe eine ziemlich lange Erfahrung hinter mir, ich war 560 Jahre im Auslande, ich habe immer Eifer und Liebe zur Sache gehabt; aber oft habe ich wirklich einen Seufjer darüber nicht unterdrücken können, mit welchen Lappalien man sich beschäftigen mußte. Ich will nicht sprechen von dem Sekundaner, der die Diplomaten um fremde Briefmarken bittet das kommt nämlich auch ziemlich häufig vor (Heiterkeit), auch nicht von der Witwe, die schreibt, sie hätte vor so und so viel Jahren einen Verwandten gehabt, dessen Namens sie sich nicht erinnere, und daß man den aus⸗ sindig machen solle (Heiterkeit), oder von jemandem, der glaubt, einen Onkel gehabt ju haben, der vor so und so viel Jahren nach Amerika oder sonstwohin ausgewandert ist und natürlich Millionen binterlassen haben soll; und wenn man ihm schreibt: das ist ein Irrtum, der Mann hat gar keine Millionen hinterlassen dann glaubt er es nicht und kommt immer wieder mit neuen Schreiben. Wir haben im Auswärtigen Amt ganze Stöße von solchen Sachen, ebenso ist es bei den auswärtigen Missionen. Wir würden es mit Freuden begrüßen, wenn wir einen Weg hätten, der uns aus dem Labvrinth heraus hülfe. Wir baben uns darüber schon häufig die Köpfe zer⸗ brochen, bisher aber noch nicht des Rätsels Lösung gefunden. Aber ich nehme gern die angebotene Hilfe an, und wenn der Herr Abg. Grzberger die Hand dazu bieten will, dann können wir vielleicht hinaue⸗

finden. Heiterkeit.)

Zweite Beilage

Berlin, Freitag, den 27. März

Der Herr Abgeordnete Erjberger hat weiter einige Ungeschicklich⸗ keiten, die in der Presse vorgekommen sein sollen, zur Sprache gebracht. Was in einem japanischen Blatt gestanden hat, dessen Name mir nicht geläufig ist, dafür sind wir nicht verantwortlich, Herr Abgeordneter Erzberger.

Was die Erjählung betrifft, daß in dem Budapesty Hirlap' eine offizielle Aeußerung nicht Aufnahme gefunden habe, und daß diese trotzdem durch das offiniöse Wolffsche Bureau verbreitet worden wäre, so kann ich folgendes daju sagen. Die Sache liegt, wie der Herr Abgeordnete sehr richtig gesagt hat, vor meiner Amtszeit; aber ich kann folgendes sagen: es ist ung von beachtenswerter Seite ein österreichisch · ungarischer Journalist sehr warm empfohlen worden. Er hatte den Wunsch, vom Auswärtigen Amt einiges über das ju er⸗ fahren, was wir über Ungarn und die Beziehungen zu Ungarn denken. Wir haben dem Mann mit Rücksicht darauf, daß er uns von sehr hoher Seite empfohlen war, einige Auskunft gegeben und haben ge⸗ glaubt, daß sie in dem Blatte, als dessen Vertreter er sich bei uns eingeführt hatte, erscheinen würden. Diese kleine Aufzeichnung ist aber nicht in dem Budapesty Hürlap“ erschienen, sondern in einem anderen ungarischen Blatte. Wenn nun der Lapsus vorgekommen ist in dem Wolffschen Bureau, daß die zwei Namen von dem „Hirlap‘ und dem anderen ungarischen Blatte verwechselt. worden sind, so sind wir dafür nicht verantwortlich; denn das Wolffsche Telegraphenbureau ist keineg⸗ wegs eine offijiöse Anstalt, sondern eine private Anstalt, die sich ihre Nachrichten auf ihrem eigenen Wege beschafft und ohne unsere Kontrolle weitergibt. Daß sie ihre Zeilen auch uns zuweilen öffnet, das erkennen wir dankbar an.

Eine andere Preßangelegenheit bat Herr Erjberger zur Sprache

gebracht: ein englisches Batt, der Manchester Daily Disyatch! , hatte

ein angebliches Gespräch, welches Seine Mejestät mit einem Staata— mann in Higheliffe gehabt haben soll, gebracht. Das Blatt hat nachher, als diese Nachricht von zuständiger Seite bestritten wurde, auf der Richtigkeit seiner Angaben bestanden und hinzugefügt, daß es Gelegenheit gehabt hätte, die Aufjeichnung der Unterredung der Kaiserlichen Botschaft in London vorzulegen. Die Kaiserliche Bot⸗ schaft hätte Randbemerkungen gemacht und bestäͤtigt, daß diese Unter⸗ redung stattgefunden hatte. Hier liegt ein Irrtum vor. Diese Unterredung hat nicht stattgefunden, wohl aber ist das richtig, daß das, was die Zeitung geschrieben hatte, der Botschaft vorgelegt wurde, und daß Randbemerkungen gemacht wurden, und diese Rand bemerkungen haben eben das, was in der Zeitung stand, widerlegt. (Heiterkeit. Abg. Erzberger: Es ist auch be- stritten worden, daß es der Botschaft vorlag) Nein, das muß ich bestätigen: es ist richtig, daß es der Bot— schaft vorgelegt wurde, und die Botschaft hat einige Bemerkungen gemacht, aber ausdrüdlich gesagt, daß die Unterredung nicht statt -; gefunden haben könne, und ebenso, daß diese Aufjeichnungen nicht Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser vorgelegen haben.

Was die Interessen der Aktionäre der Gotthardbahn betrifft, so ist es bekannt, daß Verhandlungen in der Schwein im Gange sind wischen der betreffenden Gesellschaft und der schweizerischen Bundeg— regierung. Ob diese Verhandlungen ju einem diplomatischen Ein⸗ greifen Veranlassung geben können, läßt sich heute noch nicht ersehen. Sollte das der Fall sein, so werden wir natürlich nicht versãumen, mit Nachdruck für die Interessen unserer deutschen Aktionäre ein— zutreten.

Der Herr Abg. Ahlhorn hat von den Vertretern Deutschlands im Ausland gesprochen und dem ja so häufig berührten Gedanken wieder Ausdruck gegeben, daß es ihnen nicht leicht falle, die deutschen Interessen draußen mit gehörigem Nachdruck zu schützen. Nun, meine Herren, meine Erfahrungen, die, wie ich eben die Ehre gehabt habe, ju sagen, auf 30 Jahre zurückgehen und auf viele Orte im Ausland, widersprechen dieser allgemeinen Behauptung. Ich habe im Gegen⸗ teil im Ausland immer und bei allen Regierungen, wo ich beglaubigt gewesen bin, gefunden, daß dort die deutschen Vertreter, die diplo= matischen und die konsularischen, den Ruf genießen, unerträgliche Leute zu sein, weil sie ewig und ewig und mit größtem Nachdruck für die Interessen ihrer Landsleute eintreten. Also ich glaube, daß die Anschauung, daß unsere diplomatischen und konsularischen Ver⸗ treter nicht genügend ihre Pflicht tun, doch sehr cum grano salis aufzunehmen ist.

Was irsbesondere die einzelnen Fragen betrifft, die Herr Ahlhorn berũhrt hat, die Hafenbauten in Tanger, in Larrasch, so glaube ich, Sie nicht lange mit diesen Details aufhalten ju sollen und Sie auf das Weißbuch zu verweisen, was, wie ich hoffe, in zwei, höchstens drei Wochen Ibnen zugehen wird. Ich möchte noch auf die Bemerkung des Herrn Abg. Ablborn erwidern, daß ein englischer Kaufmann in Marokko ge= äußert hätte, seine Lande leute seien durch ihre Vertreter weit besser geschützt als die unsrigen. Unsere Nachrichten besagen genau dat Gegenteil; die Engländer klagen in Marokko darüber, daß unsere sämtlichen Vertreter für unsere Landsleute dort in Marokko mit viel mehr Nachdruck und Etfolg eintreten als die englischen es tun. Ich stelle anheim, jwischen diesen beiden widersprechenden Nachrichten eine Mittellinie zu fieben. (Heiterkeit) Herr Ahlhorn hat auch der Meinung Ausdruck gegeben, daß einige deutsche Handels häuser in Marokko von den Ereignissen, die sich jetzt schon seit einer langen Reihe von Monaten abspielen, so mitgenommen seien, daß sie vor dem Ruin ständen. Ich bedauere, auch dieser Nachricht widersprechen ju müssen; die Quelle, aus welcher Herr Ahlhorn geschöpff hat, scheint etwas grau oder schwarz zu sein. Wirklich, so schlimm können die Sachen nicht sein. Ich habe noch heute eine Nachricht be⸗ kommen, welche sagt, daß der deutsche Handel in Casablanca, also demjenigen Ort, welcher am meisten in Mitleidenschaft gejogen ist, sich seit dem 1. August v. J. bis 31. Januar d. J. in den Monaten also, in welchen in der intensiwsten Weise die kriegerischen Ereignisse vor sich gegangen sind, sich bedeutend gehoben hat, und zwar um ein volles Drittel. Ich kann diese Angaben, die, wie ich sage, mir eben erst zugegangen sind, noch nicht nachprüfen, aber

ch Preußischen Staatsanzeiger.

1908.

so ganz zu verachten sind sie wohl nicht. Dann ist ein Punkt nicht aus den Augen zu verlieren. Man sagt, der deutsche Handel sei in den letzten Jahren sehr zurückgegangen infolge des französischen Ein⸗ dringens. . Es ist richtig, der deutsche Handel hat in frũheren Jahren eine höhere Ziffer erreicht, sowohl was die Ginfuhr als was die Ausfuhr betrifft; es ist aber nicht aus dem Auge zu verlieren, daß in Marolko die Kaufkraft wie andert wo sehr abhängig ist von dem Ausfall der Ernte. In den Jahren 1904, 1905 und 1906 hat Marolko im allgemeinen eine schlechte Ernte gehabt, und es ist ganz natürlich, daß infolgedessen die Einfuhr vom Augtz= lande sich verringert hat, weil man in Marokko selbft nicht in der Lage war, die Waren zu bezahlen. Dann kommt folgender Umstand hirzu: wenn in Maroklo die Ernte schlecht ausfällt, dann werden die Lücken von Algier, Tunis und sonstigen Mittelmeergebieten gedeckt. Es handelt sich namentlich um Mehl und Grießeinfuhr; die kommt zum größten Teil aus französischen Gebieten. Es ist ganz natürlich, daß, wenn eine gute Ernte eintritt, diese französische Einfuhr so gut wie hinwegfällt, und daß sich dann die Zahlen wieder zu Gunsten des anderen Handels verschieben.

Der Herr Abg. Ahlhorn hat weiter noch zu Sprache gebracht. daß der Handel insbesondere in Casablanca sehr gelitten habe durch die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben, daß die franzoͤsischen Truppen alle Leichterschiffe mit Beschlag belegt hatten. Das ist auch nicht ganz zutreffend; mit Beschlag belegt hatten die französischen Kommandeure die Leichterschiffe nicht, sondern sie hatten regelmäßige Verträge mit den Besitzern abgeschlossen. Doch daz ist ja nicht der wesentliche Punkt. Tatsache ist, daß die Handelsleute in Ver- legenheit geraten sind, weil nicht genügend Leichter da waren, um die Waren aus. und einzuladen, da eben die Leichterschiffe durch die französischen Truppen und Materialtraneporte in Anspruch genommen waren. Wir haben sofort, nachdem wir davon Nach- richt erhalten haben, die nötigen Schritte getan, um diesen Uebel- ständen abzubelfen. Wir haben die Uebelstände bei den franzõsischen Behörden in Paris und bei den französischen Bebörden in Marokko zur Sprache gebracht. Es hat allerdings etwas lange gedauert, bis Remedur eingetreten ist; aber sie ist eingetreten oder wenigstens so sicher zugesagt, daß nicht mehr daran gejweifelt werden kann, daß sie nun eintritt. Die französische Regierung hat uns mitgeteilt, daß eine entsprechende Anzahl von Leichterschiffen in Toulon bereitlãge die inzwischen vielleicht schon nach Casablanca gebracht worden ist daß ferner Leichterschiffe in Casablanca selbst gebaut würden, daß ferner der franjösische Kommandant angewiesen sei, die Dampfbarkasse des Hafens zur Verfügung zu stellen. Kurz, es ist, glaube ich, alles geschehen, was unter diesen Umständen geschehen konnte. Nur möchte ich noch erwähnen, daß die Klagen nicht allein von deutschen Kauf⸗ leuten ausgegangen sind, sondern auch von anderen; sie haben alle gleichmäßig unter diesen Uebelstãnden gelitten. Aber, wie gesagt, wir haben Grund, anzunehmen, daß die Uebelstände jetzt beseitigt sind oder wenigstens unmittelbar vor der Beseitigung stehen.

Der Herr Abg. Ledebour hat den Fall eines Deutschen, Kullack, zur Sprache gebracht, dem es in Brasilien schlecht gegangen ist. Der Mann hat, wie Herr Ledebour richtig angegeben hat, eine sehr unvorsichtige Handlung begangen, wenn sie nicht noch etwas schwerer einzuschätzen ist. Er hatte sich beschwert gefühlt dadurch. daß eine Eisenbahngesellschaft ein Gleis über ein ihm gehöriges Ge— lände gelegt hatte und mit der Auszahlung der Entschädigungssumme etwas im Rückstande war. Uebrigens war der Rückstand nicht sehr bedeutend; es hat sich da nut um 16 Monate gehandelt. Nach diesen 13 Monaten hat Herr Kullack die Geduld verloren und hat diese Eisenbahnanlage mit Dynamit in die Luft gesprengt. (Große Heiter ; keit) Er hat den Mut gehaßt, das vorher sowohl der Eisenbahn⸗ gesellschaft wie dem zuständigen Polijeikommissar zu melden. Der Polijeikommissar hat natürlich keine Zeit versäumt und ihn sofort am Kragen genommen. Herr Kullack ist dann ing Gefängnis gesetzt worden, was in Brasilien kein Vergnügen sein soll. Er ist aber regelmäßig vor Gericht gestellt worden und in erster Instar; wie das Herr Ledebour ganz richtig dargestellt hat freigesprochen worden, nachdem er schon vorher, wie ich noch bemerken will, auf Verwendung des zuständigen deutschen Konsuls provisorisch in Freiheit gesetzt worden war. Er ist also vom Gericht erster Instanz freigesprochen worden; aber

die Staatsanwaltschaft hat Revision oder Appell eingelegt, und die Angelegenheit schwebt jetzt noch in zweiter Instanz. Wir müssen also abwarten, wie die Sache weiter ver⸗

läuft, und sehen, ob wir Anlaß haben, diplomatisch in irgend einer Weise noch einzutreten. Da möchte ich aber doch nicht ver— säumen, ju bemerken, daß von dem Vertrauenemann, welcher hier die Angelegenheit des Herrn Kullack zur Sprache gebracht hat, ausdrücklich und wiederholt erwähnt worden ist, daß unsere dortige Vertretung, sowohl die konsularische wie die diplomatische, keinerlei Schuld an irgend einer Versäumnis träfe; im Gegenteil, der Mann war sehr dankbar für die Unterstützung, welche ihm zuteil geworden ist. Ob das Verhalten des Polijeikommissars gänzlich einwandfrei gewesen ist, können wir heute auch noch nicht beurteilen. Das wird noch bei der Verhandlung vor der jweiten Gerichtsinstanz zur Sprache kommen, und ich nehme an wir haben keinen Grund, das Gegenteil ju glauben daß die Rechtepflege in Brasilien so ge⸗ ordnet ist, daß Herr Kullack, wenn er wirklich unschuldig ist, oder wenn sein Vergehen sehr gering ist, wieder freigesprochen wird, oder mit einer geringen Strafe davonkommt, und daß der Polizei⸗ kommissar, falls er wirklich gegen Pflicht und Diensteid gehandelt baben sollte, auch bestraft werden wird.

Der Herr Abg. Ledebour hat noch eine etwas mysteriöse Sache zur Sprache gebracht. (Heiterkeit) Es ist uns in der Tat vor einigen Wochen von einem Manne, dessen Name mir nicht erinnerlich ist, gesagt worden, er sei im Besitze eines chinesischen Schriftst?ckes, er wüßte nicht, was eg sei, und er bäte uns, es der chinesischen Gesandt.