1908 / 84 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 07 Apr 1908 18:00:01 GMT) scan diff

Dentscher Reichstag. 141. Sitzung vom 6. April 1908, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Das Haus setzt die zweite Beratung des Entwurfs eines Vereinsgesetzes fort.

Ueber den Beginn der Verhandlungen ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

S9 des Entwurfs zählt die Gründe einzeln auf, aus 6 die Beauftragten der Polizeibehörde befugt sind, unter Angabe des Grundes Versammlungen für aufgelöst zu erklären. Hierzu liegen Abänderungsanträge der Sozialdemokraten und Polen vor.

Ohne Debatte werden diese Anträge abgelehnt und 8 9 unverändert in der Kommissionsfassung angenommen.

§ 10 besagt:

Sobald eine Versammlung für aufgelöst erklärt ist, sind alle Anwesenden verpflichtet, sich sofort zu enffernen.“

Die Sozialdemokraten ö hinter dem Worte Versammlung“ einzufügen: durch die Beauftragten der Polizeibehoͤrde⸗, ferner wollen sie das Wort „sofort“ streichen. Den letzteren Antrag haben auch die Polen (Ubgg. Brandys und Genossen) eingebracht.

Abg. von Diiembowski (Pole) weist auf die Schwierigkelten hin, die sich daraus ergeben, daß die Versammelten sich bei einer Auf⸗ lösung der Versammlung „sofort“ entfernen sollen; man läuft oft Gefahr, in dem Gedränge sich zu beschädigen. Es ware am besten, das Wort sofort“ zu streichen. ;

Abg. Hilden brand (Soz.) befürwortet den Antrag seiner Partei, der Pol tzeischikane verhindern wolle. z 19 wird angenommen. §z 10a, von der Kommission neu eingefügt, lautet: „Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, dürfen nicht Mitglieder von politischen Vereinen sein und weder in Versammlungen solcher Vereine, sofern es sich nicht um Ver— anstaltungen zu geselligen Zwecken handelt, noch in öffentlichen politischen Versammlungen anwesend sein.“ g ö. Anträge der Polen gehen auf Streichung des 10a. Das Zentrum beantragt:

a. in SIloa. als Absatz? zu bestimmen:

„Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf Vereine und Versammlungen von Angehörigen eines bestimmten Berufes oder Standes, die sich ausschließlich mit Angelegenheiten dieses Be—⸗ rufes oder Standes befassen, auch dann nicht, wenn hierdurch eine Ein⸗ wirkung auf Gesetzgebung und Verwaltung bezweckt wird; ins—⸗ besondere nicht auf Versammlungen der in § 152 der Gewerbe⸗ ordnung genannten Personenkreise, wenn in denselben ausschließlich die dort bezeichneten Zwecke erörtert werden“;

b. statt das 18. Lebensjahr zu setzen das 16. Lebensjahr“.

Abg. Giesberts (3ntr. : Der S 10a war in der ursprüͤnglichen Regierung vorlage nicht enthalten, er trägt den Ausnahmecharakter des ganzen Gesetzes und bedeutet eine ganz erhebliche Verschlechterung. In der Generaldebatte im Plenum hat sich der Staatssekretär gegen jede Beschränkung des Rechtes der Jugendlichen ausgesprochen, jetzt aber hat die Sozialistenfurcht diesen Paragraphen diktiert. Man müffe verhüten, heißt es in dem Kommissionsbericht, daß jugendliche Elemente, bevor sie zum Militär eingezogen werden, moralisch infiziert und staats⸗ feindlichen Bestrebungen jugänglich werden. Wenn Sie glauben, daß

Sie den Sozialdemokraten auch nur ein Mitglied entziehen werden, so sind Sie gewaltig auf dem Holzwege. Propaganda wird in Sport⸗ und anderen Vereinen betrieben, die hier ausgenommen sind, in den Werkstätten und Fabriken, von Mund zu Mund, durch Flugblätter von Haus zu Haus. In den Versammlungen aber haben die jungen Leute Gelegenheit, sich über die Wahrheit und Richtigkeit solcher Behauptungen bet den bürgerlichen Parteien zu orientieren. Darum wird dieser Paragraph die bürgerlichen Parteien mehr schädigen als die Sozialdemokratie. Tie jungen Leute müssen in politische Ver⸗ sammlungen gehen, um sich mit der Zeit ein potitisches Urteil, eine Weltanschauung zu bilden, und dies muß in einem möglichst früh⸗ zeitigen Lebentalter geschehen. Man sagt, zur Beurteilung politischer Verhältnisse gehört eine gewisse Reife, das gebe ich vollständig zu. Um aber politische Dinge zu beurteilen, kommen die jungen Leute nicht in Versammlungen, auch lassen sich die Männer der politischen Bewegung nicht von der Jugend beeinflussen, sie haben aber ein Interesse daran, daß die Jugend ihre Ideen und ihre Politik kennen lernt. Wo haben sich denn bisber Mißstände heraus. gestellt? Daß man in Berlin einige Exjesse sozialdemokratischer Jugendlicher gehabt hat, beweist doch nichts für das ganze Land. Die se Bestimmung werd dazu führen, daß die heranwachsende Jugend erst dana in gesunde Weltanschauungen eingeführt wird, wenn sie schon sozialdemokratisch verderbt ist und kein Verständnis mehr für die Anschauungen der bürgerlichen Parteien besitzt. Ich er⸗ innere nur an die konsessionellen Arbeitervereine, die spstematisch darauf ausgeben müssen, die jungen Arbeiter möglichst frühzeitig in ihre Reihen zu ziehen, um sie nicht versumpfen und verderben zu lassen. Wie können die Liberalen einem solchen Paragraphen ihre Zustimmung geben, die doch ihre hoff nungsfreudige und ausreichende Jugend- bewegung haben. Wir werden genau darauf achtgeben, ob dieser §S 10a etwa nur gegen sozialdemokratische Versammlungen gehandhabt werden wird, oder auch in den Reihen der Liberalen zur Anwendung kommt. Sie binden sich eine Rute auf, deren Konsequenzen Sie heute noch gar nicht übersehen können. Hin— sichtlich der wirtschaftlichen Gründe steht für mich die gewerkschaftliche Bewegung an erster Stelle. Ich babe die Erfahrung gemacht, daß gerade die gewerkschaf lichen Organisationen einen außerordentlich erzieherischen Einfluß auf die jungen Leute ausüben. Bürfen jun ge Leute unter 18 Jahren Gewerkschaften nicht mehr angehören, so wird die ganze Gewerkschaftebewegung nicht mehr das sein, was sie bisher gewesen ist. Welche Schwierigkeiten werden schen jetzt auf Grund der Bestimmungen des preußischen Vereinggesetzes über die Nichtteilnahme der Lehrlinge den Gewerkschaften bereitet! Man sagt, die jungen Leute neigten mehr jum Radau, jum Hinauswerfen. Ich habe in Berlin sozialdemokratischen Gewerkschaftsversammlungen beigewohnt, ich habe auf Versammlungen christlicher Arbeiter ge⸗ sprochen, nie und nirgendwo ist mir das Hervortreten jugendlicher Elemente aufgefallen. Die Disziplin, die von den älteren Arbeitern ausgeht, wirkt vorzüglich auf sie. Wie sollen die Bestrebungen der Jugendvereine verwirklicht werden, wenn man ihnen solche Handschellen anlegt? Wie kann man das Politische so streng von allem anderen trennen, daß die Anwendung dieses Paragraphen den polizeilichen Organen nicht möglich wäre? So wirkt die Bestimmung im letzten Grunde gegen den Mittelstand. Nach alledem bitten wir um Streichung des ganjen Paragraphen, er ist nichts wert, er ist ein höljernes Schwert. Oder nehmen Sie wenigstens die Herab—= setzung auf das 16. Lebensjahr und unseren Absatz 2 an. Die Tendenz des 5 10a gegenüber den Jugendlichen ift das Prinzip der Bewahrung, man will sie mit einem Stachel jaun umgeben. Alle Ausnahmebestimmungen und , , gegen die Sozial demokraten haben sich in der Praxis in ihr Gegenteil verkehrt, auch dieses Kampfmittel gegen die Sozialdemokraten wird versagen. Solchen politischen Optimismus soll man doch aufgeben. Bie chriftlich= nationalen Arbeiter sind in erster Reihe darauf angewiesen, ihre Rekruten bei den Jugendlichen zu suchen. Wir lehnen grundfätz= lich jedes n,, gegen Volksminderheiten ab. In einem Reichttage, der das Zuchthausgesetz in den Orkus geschickt bat, wäre ein solcher Paragraph nicht möglich gewesen. Die Situation in diesem Hause liegt ja so, daß auch der gewandteste Redner die Mehrheit nicht überzeugen kann; sie hat entschieden. Der Abg. Hue sagte gestern, hätte die Sojialdemokratte nicht 36 Mandate verloren, so wäre das Gesetz nicht möglich gewesen. Ich behaupte, hätte das Zentrum 36 Mandate mehr gewonnen,

O wäre es auch nicht möglich gewesen. Der Abg. Hue ist die ahnen der Freisinnigen gewandelt, er hat sie förmlich an⸗ gebettelt, aber er . sich in seinen 6 vom Frelsinn bitter etäuscht. Vor mehreren Jahren versuchte ein böser Mensch die . der natlonalliberalen Wahlkreise im Ruhrgebiet zu stören. er Aba Naumann unternahm eine Agitationstour. Dle ganze national liberale Presse schrie vor Wut auf, als sie das hörte. Damalg hat der Abg. Hue dem Kollegen Raumann den Weg geebnet, er hatte dabei von seinem sozial demokratischen Standpunkt sehr .. kalkuliert, aber die Genossen, die ihn warnten, dem Nationalsozialismus zuviel juzutrauen, haben heute recht behalten. Das Abstimmungzsergebnis vom Sonn⸗ abend hat gezeigt, wie schnell selbst die rückgratfestesten Liberalen umfallen, wenn man sie in die Gefahr bringt, den politischen Einfluß zu verlieren. (Präsident Graf zu Stolberg unterbricht den Redner mit dem Hinweis, daß man sich in der Spezialdiskussion befinde; er habe ihm schon einen sihr weiten Splelraum gelassen.) Die Liberalen werden genau so für den 10a stimmen wie die von der Rechten und werden uns die Möglichkeit nehmen, die jugendlichen Arbeiter in diejenige Bewegung bineinzuführen, die allein staats- erhaltend und national ist. Wen der Herr verderben will, den schlägt er mit Blindheit. ö Abg. Graf Carm er⸗Zieserwitz (bkons); Der Abg. Müller⸗ Meiningen hat schon die großen liberalen Bestimmungen des Gesetz⸗ entwurfs hervorgehoben; ich brauche also auf unser Entgegenkommen in diesen Punkten nicht weiter hinzuweisen. Andeiseits gibt es aber auch für uns Gebiete, auf denen wir nicht so weit entgegenkommen können; dazu gehört auch dieses Gebiet. Wir haben die Jugendlichen, soweit wir es verantworten zu können glauben, mit Rechten ausftatten wollen, wie sie in 5 10a fixiert werden; sie sollen wirt⸗ schaftlich in keiner Weise geniert werden. Aber in politischer Bejtehung dürfen wir eine gewisse Grenze nicht überschreiten lassen. Unser politisches Leben ist heute so kompliziert, daß der junge Mann heutzjutage lange Zeit gebraucht, sich darin zurechtzufinden. In der Kommission hat ein Mitglied der äußersten Linken mir zugestimmt. Die Politik ist Sache der gereiften Leute; die jungen, unreifen Burschen können dies nicht aus eigener Erfahrung begreifen, sie sind gedankenlose Mitläufer, darum werden sie ja gerade von der Sozialdemokratie eingefangen. Bei den letzten Wahl⸗ rechts demonstrationen waren biele solche ünrelfen jugendlichen Burschen. Wir haben zunächst die Unterzwanzigjährigen überhaupt autschließen wollen, das ist aber nicht gelungen, und das erfüllt uns mit großem Bedauern. Wir wollten sie vor dem Gift bewahren, das ihnen durch die Sozialdemokratie, gegen den Heeres, und Marinedienst eingeflößt wird; wir haben ja an den Leistungen der Mannbeimer Jugendlichen und an der Verurteilung des Rechtsanwalts Liebknecht geseben, wie groß die Gefahr ist, und wohin die Keise geht. Jetzt ist die Wirksamkeit des 5 102 beschränlt auf die Jugendlichen unter 13 Jahren. Es wird immer von Freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz gesprochen; ja, wäre es denn Gleichheit vor dem Gesetz, wenn ein junger Mensch in der Politik mitreden soll, der noch nicht einmal strafmündig ist, der in dieser Beziehung die Gleichheit vor dem Gesetz noch nicht hat? Das 18. Jahr ist also das aller⸗ mindeste, was gefordert werden muß. In den früheren deutschen Vereinsgesetzentwürfen, die der Reichstag vorgeschlagen hat, und die zum Teil in seinen Kommissionen zur Annahme gelangt sind, sind die Minderjährigen ausgeschlossen, gewesen, und auch das Zentrum hat damals, zuletzt 1896, dieser Vorschrift zugestimmt. Die Vorlage hat ja die Jugendlichen ganz freigeben wollen; aber

schon die Begründung des Entwurfs führt zablreiche Bedenken

dagegen ins Fels. Als einzigen sachlichen Grund für den gänzlichen Wegfall jener Beschränkung macht die Begründung geltend, daß die Vereine und Versammlungen nicht das einzige Mittel wären, die Jugendlichen mit gefährlichen Anschauungen zu erfüllen. Da muß man doch gerade entgegengesetzt schließen, daß nicht noch dieser einzige Damm auch eingerissen werden, sondern daß er im Gegenteil ausgebaut, gestärkt und tut werden muß. Es wird von den Eltern, Lehrern und eistein das Heil er⸗ wartet, aber ist das etwa ausreichend in einer Zeit, wo alle Autorität, auch die der Eltern, im Abnehmen und Schwinden be— griffen ist? Ebenso entziehen sich heute die Lehrlinge in der überg roßen Mehrzahl der Kontrolle des Meisters und Hausherrn. Das Verbot der Jugendlichen wollten wir ferner durch Strafen vor dem Schicksal einer lex imperfecta bewahren; das itt in § 11 bis zu einem gewissen Grade geschehen. Die technischen Einwände hier⸗ gegen erledigen sich schon dadurch, daß in Sachsen ähnliches Rechtens ist und sich durchaus als durchführbar erwiesen hat. Wir wollen die große Masse der Minderjährigen von der volitischen Wühlerei, von der Betätigung auf politischem Gebiet fern halten. Wir danken den übrigen Verbündeten von den Blodparteien, daß sic uns in diesem Punkte entgegengekommen und gefolgt sind; dieses Entgegenkommen allein hat uns ermöglicht, an dem Gesetz mitzuwirken. Ber Vertreter der Regierung bat ja bercits die Kommissionsbeschlüsse im ganzen als annehmbar empfohlen; wir hoffen, daß Sie mit uns auch in dem Beschluß des 10a einen Fortschritt sehen. J

Abg. Hildenbrand (Soz.): Besser als der Abg. Giesberts hätte ich den Antrag auf Streichung des 5 10a auch nicht begründen können. Auch bier spielt die noch immer nicht aufgeklärte Aeußerung des Kanzlers zu der christlichen Gewerkschaftsdeputation über die Urheber⸗ schaft des 57 mit hinein. Der Kollege Wiedeberg vom Zentrum, der der Deyutation angehörte, hat sich noch immer nicht geäußert; die schriftliche Erklärung des Abg. Behrens kann uns nicht genügen. Mit § 7 wurde ein Ausnahmegesetz gegen die Arbeiterschaft durch die Freisinnigen ermöglicht; bier bei 5 10a schafft man ein neues Aus⸗ nahmegesetz, das von der Regierung nicht gewünscht, sondern auf Wunsch der Konservativen diesen von den Freisinnigen präsentiert wird. Schon in den Beratungen des Bundesrats standen die Beschränkungen des 5 19a zur Debatt“ Die verbündeten Regierungen inklustve der preußischen und sächsischen waren einverstanden damit, auf diefes Be⸗ schränkunge mittel zu verzichten, weil diese Bestimmungen eine ganz ungehörige Belästigung der Versammlungen berbeiführen würden, und eine Kontrolle sehr schwer wäre. Es sind die Konservatlven ge⸗ wesen, die in der ersten Lesung für Personen unter 20 Jahren ein Verbot einführen wollten. Von konservativer Seite wird gar nicht berücksichtigt, daß zur Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte auch eine politische Erziebung notwendig ist, den Konservativen liegt daran, den Arbeitern diese Erziehung unmöglich zu machen, nicht ihren eigenen Söhnen. Von national liberaler Seite wollte man den Konservativen ent egenkommen, wenn auch die nationalliberale Organisation geschützt bliebe. Dleses Ent⸗ gegenkommen stärkte den Konservativen das Räckgrat, und so erschien denn der konservative Antrag. Nicht die Regierung, sondern der Block ist es gewesen, der überhaupt diesen 5 10a zu stande gebracht hat. Die Regierung hat mit keinem Wort bis heute es zur Bedingung gemacht, daß § 10a angenommen werde. Die Freisinnigen werden hier nachgeken, wie sie auch bei der r ,, ,. nachgegeben haben. Wer wollte bestreiten, daß in den evangelsschen Jünglingsvereinen Politik getrieben wird? Diese Organisationen sind sogar internattkonal; sie baben eine festgeschlossene Organisation mit dem Zweck, die Jugend nach dem nationalen Bylantinigmus zu erziehen Die Nationalliberalen haben sich eine ähnliche Organisgtion geschaffen durch die Organisatlon der Jung⸗ liberalen. s besteht also eine ganze Reihe von Organisationen zu dem Zweck, die Jugend antisonialdemokratisch zu erziehen. Dann baben wir aber auch ein gleiches Recht, und darum entstand eine Organisation der jugendlichen sozialdemokratischen Organisationen. Diese zu zerstören, hat sich nun der Block vereinigt. Was werden Sie wit diesem Paragraphen erreichen? Es muß, wie früher in Sachsen, gefragt werden, ob in der Versammlung Leute unter 18 Jahren anwesend sind. Mit dieser Bestimmung bat sich Sachsen bor der ganzen Welt lächerlich gemacht., 5 102 bedeutet fogar für Preußen einen gewaltigen Rückschritt. Ich frage die anderen Parteien, ob sie mit diesem Paragraphen die Zustände in Süddeutschland, beson⸗ ders in Württemberg, vergiften wollen. Täuschen wir uns nicht darüber, daß der Begriff der politischen Vereine und Versammlungen so flüssig ist, daß in der Praxiz jede Versammlung für eine polltische angesehen

ziehung und politischer Betätigung vorzuliegen.

werden wird, in der eine gewerkschaftliche Organisatlon auch über bessere Lohnbedlngungen usw. verhandeln wird. Man wird solche Versammlungen deshalb als polttische behandeln, weil sie eine Einwirkung auf die Reichsgesetznebung versuchen. . alle Gewerbeinspektoren berichten, daß die Gewerkschaften die

ugend in tüchtiger Weise erziehen, d. h. sie sittlich und wirtschaftlich leben; das beweist, wie segensreich die Vereingersiehung für die Jugend bis zu 18 Jabren ist. Das wollen Sie nun aus der Welt schaffen. Das Schicksal dieses Gesetzes hängt nicht von diesem Paragraphen ab; die Regierung braucht sich für diesen n. i nicht einzusetzen, denn sie hat ihn nicht vorgeschlagen.

ie Liberalen nehmen ihn nur an, weil ihn die i , wollen, darum auch der feierliche Dank des konservativen Redners. Es ist die Pflicht eines modernen Staats, seinen jungen Staatsbürgern eine gute pelitische Erziehung zu geben; das ist eine Forderung nicht der Sozialdemokratie, sondern Grundsatz der Demokratie. Diese Aufgabe de; Staats wird his jetzt in sehr mangelhafter Weise erfüllt. Die Söhne der wohlhabenden Klasse, die höbere Schulen besuchen können, sind etwas besser daran als die Söhne der Arbeiter. In die württembergische Volks⸗ schule wollten wir auch die Volkskunde aufnehmen; die Demokraten traten urs bei, wir blieben aber leider in der Minderheit. Un⸗ widersprochen blieb, daß die Schweiz bereits einen solchen Unterricht besitzt. Geschieht dies aber bei uns nicht, so muß man die Jugend wenigstens dann politisch erziehen, wenn fle die Schule verlassen hat und selbständig im wittschaftlichen Leben steht. Der Abg. Müller⸗ Meiningen hat das Beste geleistet, was hier überhaupt . werden konnte; wollte ich in seinem Stile reden, so würde ich von einer bodenlosen Infamie“ sprechen. Er hat in einer badischen Zeitung gesagt: Wir wollen ung unsere. Versammlungen durch Sprengkolonnen jugendlicher Burschen nicht sprengen lassen. Das ist der Reichsverbandsstil! Der freisinnige Jugendverein Eugen Richter wird heute nachmittag zugleich mit seinem zweijährigen Stiftungsfest seine Begräbnisfeier begehen können, denn mit der Annahme des § 10a sind die Jugendvereine überhaupt zu Grabe getragen. (Zuruf des Abg. Heckscher) Wenn Sie, Herr Höckscher, auch der Blockjüngling sind, so jung sind Sie doch nigt mehr, daß Sie noch zum Jugendverein gehören. Das Ziel des 5 19a ist so klar, daß sich einige Kommissionsmitalieder gar nicht geniert haben, es offen auszusprechen, sie sagten, die Sozial⸗ demokratie müsse ihre Grundsätze erst ändern, dann könne man von einer solchen Bestimmung absehen. Hier wird die Arbeiterklasse auf konservativen Wunsch unter nationalliberaler Führung durch liberale Unterstützung politisch mundtot gemacht.

Abg. Dr. Everling (ul.): Allerdings sind Regierung und Mehr⸗ heitsparteien im Anfang der Verhandlungen schwankend gewesen, aber nach und nach ist die Erkenntnis zum Durchbruch gekommen, daß eine politische Betätigung jugendlicher Personen nicht angebracht ist. Besonders von gewerblicher Seite wurde für diese Anschauung eingetreten, insbesondere durch eine Petition des geschäftsführenden Ausschusses des Deutschen Handwerks. und Gewerbekammertages in Hannover. Wir waren von jeher der Meinung, daß es sich hier eigentlich nicht um die n nn f politischer Prinzpien handelt, sondern um die Erörterung praktisch pädagogischer Gesichtspunkte. Wir glauben, daß sich über den 5 102, der gewissermaßen eine Oase in diesem hochpolitischen Gesetz bildet, eine Verständigung der ver⸗ ständigen Leute erzielen lassen muß. Leider hat das Zentrum seit 1896 seine Stellung vollständig geändert; während es damals noch dafür stimmte, daß Minderjährige nicht politischen Vereinen angehören dürfen, bat es zu meinem Eistaunen jetzt den Antrag gestellt, den ganzen § 10a zu streichen, eventuell das Lebensalter auf 16 Jahre herabzusetzen. Es scheint mir hier eine Verwechslung zwischen politischer Er— Die politische Erziehung wollen wir selbstverstaͤndlich der deutschen Jugend auch bis zum 18. Jahre nicht rauben, ohne allerdings der politischen Erziehungsweisheit des Abg. Hildenbrand zu folgen. Die Haupt bedenken gegen 5 10a richten sich gegen die Schwierigkeit der Hand⸗ habung. Es wurde auf Sachsen hingewiesen und die dortige Handhakung lächerlich gemacht, sie beruht aber auf gesetzlicher Be⸗ stimmung, wonach zu Beginn einer Versammlung gefragt werden muß, ob Minderjährige unter 21 Jahren anwesend sind. Davon steht abe in diesem Gesetz kein Wort. Für Sachsen wird also gerade das beseitigt, was hier lächerlich gefunden wurde. Man sollte die Schwierigkeit der Handhabung nicht so sehr betonen, da nachher das generelle Verbot ein für allemal besteht. Man befürchtet auch eine Beeinträchtigung der positiven Förderung der Jugend gerade im Alter von der Schulentlassung bis zum Eintritt in das Militär. Aber nach § 3 sind die Bestimmungen des § 10a für Versammlungen von Gesellen, Fabrikarbeitern usw. nicht maßgebend. Die Jünglingsvereine sind keine politischen Vereine; auch wenn sie politische Angelegenheiten erörtern, werden sie nicht darin gehindert werden, nur die polinsche Betätigung ist ihnen genommen. Man sagte, die nationalliberalen Jugendvereine seien ein Beweis, daß auch in der nationalliberalen Fraktion die Jugendlichen zu politischen Zwecken herbeigezogen würden. Die nationalliberale! Jugendvereine haben ein Höchstalter von 40 Jahren. Die Betätigung nationalliberaler Ideale hält den Menschen so jugendfrisch, daß man mit 40 Jahren noch zur Jugend gerechnet werden kann. Wir verzichten darauf, daß Leute unter 18 Jahren sich bei uns politisch betätigen, wir wünschen aber, daß sie sich in der Stille auf die Politik vorbereiten. Möchte der Ruf des Abg. Giesberts, wir wollen keine Bewahrungs—⸗ politik, überall beim Zentrum durchdringen und beachtet werden, z. B. auch bei den studentischen Korporationen auf den Universitäten. Mit dem F 10a bringen wir kein Ausnahmegesetz, es ist gleiches Recht für alle bis zum 18. Jahre. Ich freue mich schon auf die Tage, wo ich in das Königreich Sachsen gehe und dort in meinem Wahlkreise die frei⸗ bitlichen Bestimmungen Lieses Gesetzes angewendet sehe; dann werden Ihre Anhänger (zu den Soz) die Köpfe schütteln und sagen: was haben wir nur gegen das Gesetz gehabt, wir sind ja jetzt so glänzend gestellt. Hier handelt es sich vielleicht um eine der größten und wichtigsten vädagogischen Aufgabe, die dem deutschen Volk überbaupt gestellt sind. Hier muß sich die Partei der ver⸗ ständigen Leute zusammenfinden. Ich reiche eine treue Blockhand der Rechten dafür, daß sie Verständnis für den Entwurf gezeigt hat, und eine Bleckhand des Dankes auch der Linken. Wir bandeln zum Wohle des Vaterlandes und unserer geliebten deutschen Jagend.

Abg. Brejski (Pole) Der 5 10a in der zweiten Lesung der Kommission war eine wahre Schwergeburt; er wurde in letzter Stunde eingebracht und unter e, e,, lee, der überrumpelten Gegner durchgebracht. Daß gerade Parteien ihn unterstützen, die sich stets gegen die Eihöhung des Schutzalters für die weibliche Jugend gef it haben, ist schon unerhört; daß aber die Liberalen dafür eintreten, ist geradeju unglaublich. Gegen die hier geplanten Beschränkungen hat sich nicht nur der Bundesrat, sondern auch eine n berühmter Autoritäten, allen voran der freisinnige Abgeordnete

unckel in einer glänzenden Reichstagsrede aufs hn g aus gesprochen. Daß die Entscheidung über den Charakter der Versamm⸗ lungen, über die Natur des angekündigten. Vortragis und in Konsequenz davon über die Berechtigung oder Nichtberechtigung eines jungen Mannes zur Teilnahme den untersten Polizeibeamten, den 3 leuten überlassen sein soll, ist geradezu verhängnisvoll. Wir beantragen daher prinzipiell die Streichung des 5 10a. Für die Jugendlichen wird es nach diesem Paragraphen nicht einmal möglich sein, sich in öffentlichen Versammlungen über die Tragweite dleses Gesetzes und gerade auch des 5 10a auszusprechen.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Mn 84.

(Schluß aus der- Ersten Beilage.)

Abg. Dr. Mug dan Gr. Volksp.): Daß meine politischen Freunde sind, ist schon hervor 102 gibt ja auch der Polizei event. Handhahen zum Einschreiten, die wir nicht wünschen önnen. Es wird also sehr viel von der korrekten Handhabung des ,

ür

den 5 10a, weil sie ihn nicht losgelöst vom y,. sonderg als n. Was die Abgg.

Giesberts und Brejski sowie Hildenbrand geltend gemacht haben, kann uns in dieser Stellungnahme nur bestärken. Sie haben durch ihre Uebertreibung ihrem Standpunkt geschadet. Für uns können wir geltend machen, daß der 5 von Vollmar im bayerischen Landta

nicht gern auf das Kompromiß eingegangen gehoben worden. Der Wortlaut des 8

abhängen. Die übergroße Mehrzahl meiner Freunde stimmt aber einen integrierenden Teil des Ganzen betrachte

das 18. Lebensjahr als eine Mindestforderung bejeichnet hat. J

es denn wahr, daß politische Bildung für die Jugend nur in Ver- sammlungen und Vereinen erworben werden kann, und ist es nicht Tatsache, daß Versammlungen ernster Politiker oft von jugendlichen, unreifen Bürschchen gestört werden? (Bie weiteren Ausführungen des Redner bleiben unverständlich, da das Glockenzeichen ertönt, der bis dahin nur schwach besetzte Saal sich fast bis auf den letzten Platz zu füllen beginnt, und große Unruhe eintritt Wir lh en,

einen en wir hier nach und stimmen für den 5 10a; die einem Jahre als e ,. erwiesen haben, und alles wird sich dieses freiheitlichen

das Gesetz im . bedeutet für den Liberalismus Gewinn, darum ge

heutigen Uebertreibungen werden sich schon in

esetzes freuen.

Es geht ein Antrag auf ö der Diskussion ein, üller⸗Meiningen und

enossen. Der Antrag wird von den Sozialdemokraten mit Rufen der Entrüstung aufgenommen; er findet genügende

irn. von den Abgg. Hieber,

Unterstüttzung.

Abg. Singer (Soꝛ, zur Geschäftsordnung); Ich hatte bis vor wenigen Augenblicken Anlaß, anzunehmen, daß nicht Schluß der Dis. kussion beantragt werden würde, und zwar auf Grund von Mitteilungen Ich lege Wert darauf, daß fest⸗ gestellt wird, wer jetzt für den Schluß stimmt und beantrage deshalb

von Mitgliedern der Majorität. namentliche Abstimmung über den Schlußantrag.

Abg. Mugdan lfr. Volksp.): Ich möchte zur Geschästsordnung ch ich nicht geglaubt habe, noch zum Worte zu kommen; ich war schon im Begriff, hinauszugehen, als mir der Prä⸗

konstatieren, daß au sident daz Wort erteilte.

Abg. Singer (Soz.): Ich bin dem Vorredner für diese Fest⸗ stellung auftichtig dankbae, denn sie vermehrt die Wucht meiner

Anklage.

Der Antrag auf Schluß der Diskussion gelangt mit 199 4 Mitglieder enthalten

Abg. Dr. Frank⸗Mannheim (So)) stellt zur Geschäftsordnung feff, daß es ihm durch den , der Debatte unmöglich gemacht annheimer Jugendorganisationen

urückjuwessen, obwohl nur er allein noch auf der Rednerliste ge⸗

egen 157 Stimmen zur Annahme. 6 der Abstimmung.

worden sel, die Angriffe auf die anden habe.

Das Amendement Trimborn, an Stelle des 18. das 16. Lebensjahr zu setzen, wird gegen Zentrum, Polen und

Sozialdemokraten abgelehnt.

Ueber das Amendement Trimborn, betreffend Hinzu⸗ fügung eines zweiten Absatzes, wird namentlich abgestimmt;

die Ablehnung erfolgt mit 199 gegen 162 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung. .

Vizepräsident Kaempf bringt darauf den 5 102 in der Fassung der Kommission zur Abstimmung. Fuͤr den 102 erheben sich die Rechte, die Nationalliberalen und die Frei⸗ sinnigen. w

Abg. Singer (Soz.) konstatiert zur Geschäftgordnung, daß schon vor mehreren Tagen ein Antrag auf namentliche Abstimmung über den § 10a eingebracht und auch vom Präsidium zur Kenntnis des Hauses gebracht worden ist; es müsse also ein Versehen des Bureaus vorliegen, und er bitte, nach dem Antrage zu verfahren.

Vijzepräsident Kaempf: Mir ist davon nichts bekannt. Ich frage, ob nach dem Antrag Singer verfahren werden soll.

Die Abgg. Dietrich (J.-kons) und Hieber (ul.) bestätigen, daß das von dem Abg. Singer Vorgebrachte den Tatsachen entspricht.

Es wird hierauf die Abstimmung nochmals, und zwar namentlich, vorgenommen. S 10a gelangt in der Kom⸗ missionsfassung mit 200 gegen 161 Stimmen zur Annahme; 1 Mitglied enthält sich der Abstimmung.

11 der Vorlage enthält die , Mit Geldstrafen bis 600 S6 oder mit Haft sollte bestraft werden, wer als Vorstand oder als Vorstandsmitglied den Vorschriften über die Einreichung von Satzungen und Verzeichnissen zuwiderhandelt, wer eine Versammlung oder einen Aufzug ohne die vorgeschriebene Anzeige oder Ge⸗ nehmigung veranstaltet, und wer unbefugt in einer Versamm⸗ lung oder in einem Aufzuge bewaffnet erscheint oder sich nach ausgesprochener Auflösung einer Versammlung nicht sofort entfernt. Die Kommission hat das Strafmaximum ermäßigt und eine genauere 6 eintreten lassen. Es wird mit Geldstrafe bis zu 1506 S6 bedroht, wer den Vorschriften über Einreichung von Satzungen und Verzeich⸗ nissen zuwiderhandelt, wer eine Versammlung oder Anzeige oder Bekanntmachung veranstaltet oder leitet, wer als Ver⸗ sammlungsveranstalter oder eiter dem Beauftragten der Polizei⸗ behörde die Einräumung eines angemessenen Platzes verweigert, wer sich nach Auflösung einer Versammlung nicht sofort ent⸗ fernt, wer als Vorsland oder Vorstandsmitglied entgegen z 16a Personen unter 18 Jahren in dem Verein duldet und wer entgegen demselben 8 10a in einer Versammlung an⸗ wesend ist. Für die vorstehenden Delikte ist nur Geldstrafe, nicht Haftstrafe angedroht (nur im Falle des Unvermögens tritt Haft an die Stelle der Geldstrafe).

n einem neuen 8 11a wird Geldstrafe bis zu 300 4 oder Haft angedroht demjenigen, der eine Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug ohne die vorgeschriebene Anzeige oder Genehmigung veranstaltet oder leitet, der unbefugt in einer Versammlung oder in einem Aufzuge bewaffnet er⸗ scheint, und der entgegen dem 5 7 eine öffentliche Ver⸗ sammlung veranstaltet, leitet oder in ihr als Redner auftritt.

Die Sozialdemokraten beantragen, die 88 11 und 114 zu steichen, die Abgg. Brandys und Genossen (Polen) wollen die auf 8 104 bezüglichen Strafandrohungen streichen,

Abg. r rechtlichen Vorschriften in bejug auf die Perbindung und Verabredung ländlicher Arbeiter und Dienstboten aufgehoben wissen.

; . zählt die landesrechtlichen Vorschriften auf, die durch as

religiöse Vereine, Versammlungen, Prozessionen, Wallfahrten, Bittgänge, geistliche Orden und Kongregationen, Vorschriften in bezu Krieg, Belagerungszustand und Aufruhr, Vorschriften betreffs der Verabredung ländlicher Arbeiter und Dien siboten und zum Schutze der Feier der Sonn⸗ und Festtage).

Ferner beantragen sie folgenden neuen § 17:

Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger. 190686.

Hinter 112 wollen die Sozialdemokraten folgende Be⸗ stimmung einfügen: ; Beamte, . und Abgeordnete der Polizeibehörde, die

Personen, welche an Versammlungen oder Vereinen teilgenommen oder die Räume dafür hergegeben haben, aus diesem Grunde gewerb⸗ liche Konzessionen, z. B. die Schankerlaubnis, die Ausdehnung der Polizeistunde, die Erlaubnis zur Abhaltung von Lustbarkeiten oder aͤhnliches vorenthalten, beschränken oder entziehen, oder ihren Arbeitgebern oder anderen Personen, von denen sie tatsächlich oder rechtlich abhängig sind, Mitteilung davon machen, oder ihnen sonstige Nachtesle irgendwelcher Art zufügen, desgleichen Personen, die zu solchen Handlungen Beibilfe leisten, werden mit Geldstrafe bls 1 . bestraft, fofern nicht die Strafe des 5 339 Str. G. B. verwirkt ist.“

Abg. Fer vers (gentr) bekämpft die Kommissionsbeschlüsse. Die Herabmlnderung der Strafe werde mit Unrecht als eine große Tat der Kommission geprlesen. Auch die ermäßigten Strafmaxima selen noch ungeheuer; in Oesterreich betrage das Maximum nur 230 Gulden. Das Verfehlteste sei die verschärfte Strafandrohung, die die Kom⸗ mission wegen Verletzung des 8 7 beschlessen habe. Auf die Stellung elnes Abänderungsantrages habe seine Parte verzichtet, nachdem alle ihre Anträge meder . worden seien.

Abg. Sach se (Soz) stellt fest, daß der Abg. von Mugdan auf seine Frage wegen der korrekten Banpkabung des 5 10a bon der Regierung keine Antwort erhalten hat. Daraus könne man schlleßen, daß die Strafenparagraphen wie 57 von den Behörden auf das rigoroseste gegen die Gewerkschaften angewendet werden würden; man würde also seine Partei aufs schärfste mit diesen Strafen bedenken. Diesen Strafenparagraphen werden in Zukunft sogar außergewöhnliche Leichenbegängnisse unterliegen. In den 5F§5 11 und 11a werden teil⸗ weise Härtere Strafen angedroht, als sie schon heute bestehen, und die Fassung der neuen Strafvorschriften fordert die Polizei geradezu zu der rigorosen Handhabung heraus. Viel notwendiger seien Strafbestimmungen gegen die Polizelwillkür, die den Gastwirten und Saalbesitzern gegenüber durch Saalabtreiberel, Beschränkung der Polizeistunde und sonstige Zufügung wirtschaftlicher Nachteile geübt werde. Die Sache werde schon am 1. Mal akut werden, wenn das Gesetz nach dem Antrage Junck am 1. Mai in Kraft trete; dann werde seine Partei mit Polizeistrafmandaten überschwemmt werden. Solche niederträchtigen, schikanösen Poltzeiübergrlffe müßten unter Strafe gestellt werden.

Abg. Kir sch (Zentr) kann die von seinem Parteifreunde Fervers ge= hegte Hoffnung nicht teilen, daß diese Strafbestimmungen wenig oder gar nicht zur Anwendung kommen würden. Namentlich die Strafbeslimmung bezgl. S 10a würde zu Mißverständnissen und Vexation führen. Wie wolle man z. B. feststellen, ob der Jugendliche 18 Jahre alt sei oder nicht? Ganz besonders bedenklich sei aber die Androhung der Strafe bei Uebertretung des 57; hier sei der Mißdeutung Tür und Tor ge⸗ öffnet. Man sollte die et n, lieber ablehnen.

Abg. Brejgti (Pole) bekämpft ebenfalls diese Bestimmungen, die in der Praxig zu ungeahnten Härten sühren würden. Der un⸗ würdige, infame Mißbrauch der Polizeigewalt, die sich sogar bis zur Verleitung zu Spltzeldiensten gegenüber Wirten erstrecke, müßte unter Strafe gestellt werden, ebenso die schamlosen Polizeischikanen, welche die Arbeiter um Lohn und Brot bringen.

Nach Ablehnung sämtlicher Amendements werden die 11 und 11a unverändert in der Fassung der Kommission angenommen. § 12, der bestimmt, daß die Vorschriften dieses Gesetzes keine Anwendung finden sollen auf die durch das Gesetz oder die zuständigen Behörden angeordneten Versammlungen, hat die Kommission unverändert gelassen. Abg. Trimborn (Zentr. befürwortet einen Antrag, wonach das Gesetz auch auf Versammlungen der mit öffentlichen Rechts aufgaben be⸗ trauten Personen keine Anwendung finden solle, sofern sie sich auf die Erörterung ihrer Amtsangelegenheiten beschränken. Abg. Heine (Soz.) befürwortet folgende Fassung des § 12: Auch auf die durch das Gesetz oder durch die zuständigen Be⸗ hörden angeordneten Versammlungen, auf die Vorberatungen von Mitgliedern dieser Versammlungen, auf die Zusammenkünfte und

gaben übertragen sind, z. B. Vorstände und Delegierten von Krankenkassen, eingeschriebenen Hilfskassen, Knappschaftskassen, Ge⸗ werbegerichtsbeisitzern u. a, auch wenn dritte 5 hinzugezogen werden, finden die Bestimmungen der 55 3— 10 keine Anwendung.“ § 12 wird unverändert angenommen, desgleichen ohne Debatte die 88 13 und 14. . ; 5 15 führt die reichsgesetzlichen Bestimmungen über Ver⸗ eine und Versammlungen auf, die mit Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes aufgehoben werden sollen. Abg. Heine (Soz. vertritt den Antrag, auch die Bestimmungen des Reichspreßgesetzes und des elsaß ⸗lothringischen Preßgesetzes bezüglich des Plakatwesens aufzuheben. Ferner befürwortet er die Auf⸗ hebung von Nummer 1 des 5 366 St. G. B., soweit dadurch die Ab⸗ haltung von Versammlungen aller Art verhindert oder eingeschränkt wird (Sonntagsruhe). Es komme jetzt vor, daß die Polizeibehörden Versammlungen, die am Sonnabend stattfinden und über Mitternacht hinaus dauern, als Versammlungen am Sonntag vor Beendigung des Hauptgottesdienstes erklärt hätten; eine Reichstagsmehrheit, die ein freiheitliches Verins. und Versammlungsrecht machen wolle, müsse unter allen Umständen eine solche schikanöse polizeiliche Nadelstich⸗

politik aus der Welt schaffen. Dr. von Trjeinski (Pole) will im § 15 auch die landes

Vorberatungen anderer Personen, denen öffentlich rechtliche Auf⸗

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Abg. Herold (Zentr.) spricht sich gegen den polnischen Antrag in bezug auf das h mr der n. Arbeiter und Dienst⸗ boten aus. Nach seiner Auffassung sei selbst die Kommisstensfaffung noch viel zu allgemein gehalten. Ver Redner verweist auf die Neso⸗ lution des Zentrums, die verbündeten Regierungen um eine Vorlage zu ersuchen, die auch den landwirtschaftlichen Arbeitern unter Wahrung der besonderen Bedürfnisse der Landwirtschaft die Freiheit Ver einigung jum Zwecke der Erreichung besserer Arbeitsbedingüngen ge-

hrleistet.

Abg. Köhler (wirtsch. Vgg.): Die hier in Rede stehenden Bestimmungen greifen in das hessische Versammlungsrecht ein, das nach der hessischen Gesetzgebung nicht der reichsgesetzlichen . ohne weiteres unterliegen kann. Wir werden, wenn das Reichsvereinggesetz angenommen werden sollte, diese Frage der Ent⸗= scheidung der Gerichte zu überlassen haben.

Abg. Brey (Soz ): Die eben erwähnte Resolution des Zentrumt gleicht auf ein Haar dem Lichtenbergischen Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlt. Den Ansprüchen der ländlichen Arbeiter und Dienstboten lann nur r Aufhebung aller Koalitionsverbote für die ländliche Arbeiterschaft entsprochen werden; sonst ist ja doch von dem einheitlichen deutschen Vereins. und Versammlungä—= recht keine Rede. Das Unrecht gegen die Landarbeiter muß auf⸗ hören. Dem Zustande, daß unsere Landarbeiter mit Löhnen unter 300 6 bis höchstens 500 M auskommen sollen, muß ein Ende ge⸗ macht werden.

Staats sekretär des Innern, Staats minister Dr. von Beth⸗ mann Hollweg:

Meine Herren! Der Herr Abg. Köhler hat der Ansicht Ausdruck gegeben, daß die Kompetenz des Reiches sich nur auf die Ordnung des Vereintzrechtz, nicht aber auf die Regelung des Versammlungsrechts bezöge. Ich muß dieser Ansicht widersprechen. Das Gegenteil wird erwiesen durch die Entstehungeageschichte des Art. 4 der Reichsver⸗ fassung. Die gesamte Staatsrechtslehre bat sich der Ansicht ange—⸗ schlossen, daß nicht nur das Vereinsrecht, sondern auch das -Ver— sammlungsrecht vom Reich zu regeln sei, und der Reichstag selber hat bei den wiederholten Versuchen, das Vereins, und Versammlunge⸗ recht ju regeln, gleichfalls der Ansicht Ausdruck gegeben, daß auch die Ordnung des Versammlungsrechts seiner Zuständigkeit angehört.

Der Abg. Köhler hat gesagt, er würde, wenn dieser Entwurf Gesetz würde, den Vorschriften über das Versammlungsrecht nicht Folge leisten und erwarte das Erkenntnis der Gerichte. Schon nach dem, was ich eben ausführte, fürchte ich, daß er' bei den Gerichten nicht diejenige Entscheidung finden wird, die er erhofft. ;

Aber selbst wenn es richtig wäre, daß die Kompetenz des Reiches sich nicht auf das Versammlungsrecht erstreckte, so müßte der Herr Abg. Köhler immer doch abwarten, wie sich denn der Bundesrat zu dem jetzt vorgelegten Entwurs und dem hoffentlich demnächst zur Verabschiedung kommenden Gesetz stellen wird. Nur wenn im Bundes rat 14 Stimmen gegen den Entwurf abgegeben werden würden lsehr richtig ), würde die Kompetenzerweiterung, die in diesem Gesetze nach seiner Ansicht liegt, abgelehnt sein. (Sehr richtig! rechtz und bei den Nationalliberalen.) Aber, wie gesagt, eine Kompetenjerweiterung kommt überhaupt nicht in Frage, sondern die Kompetenz des Reiches erstreckt sich schon heute auf die Regelung des Versammlungsrechts. (Bravol bel den Nationalliberalen.)

Die 15 und 16 werden unverändert in der Kommissions⸗ fassung angenommen.

Abgelehnt wird auch der Antrag Albrecht und Gen., hinter 8 15 einen Paragraphen einzuschieben, wonach 8 365 St.⸗G-⸗B. den Zusatz erhalten soll: „Die Polizeistunde findet keine Anwendung auf Versammlungen und Zusammenkünfte von Vereinen und die ihnen nach diesem Gesetz gleichstehenden Zusammenkünfte.“

Abg. Emmel (So.) empfiehlt den eben mitgeteilten von den Sozial demokraten beantragten neuen § 17 betreffend die Fortdauer von landesrechtlichen Vereins. und Versammlunggvorschriften, die das Vereinsrecht in geringererm Umfange als der Entwurf ein⸗ schränken. Im Laufe seiner Ausführungen bemerkt der Redner, daß der Abg. de Wendel gegen seinen Willen als Miteinbringer der Resolution Grégoire aufgeführt ist, die für Elsaß Lothringen ein be— sonderes Gesetz zur Sicherung des Mitgebrauchs der französischen Sprache im französischen Sprachgebiet fordert. (Der Präsident fordert den Redner auf, bei dem beantragten neuen F 17 zu bleiben) Die Resolution hängt damit zusammen, ich kann also auf diese Aus— führungen nicht verzichten. (Präsident: Die Resolution ist erledigt ) Ich überlasse das Verfahren des Abg. v. Grögotre dem Urteil aller anständigen Polttiker. (Der Präsident ruft den Redner ur Ordnung. Abg. Brejskyr Warum? Präsident: Das ist meine Sache. Heiterkelt. Abg. Eickhoff ruft dem Redner etwas zu.) Ich spreche so lange, wie ich will; ich lasse mich nicht schulmeistern.

Abg. Zehnter (Zentr.)) erklärt die Zustimmung des Zentrums zu dem neuen 5 175. ;

Abg. Ulrich (Soz.) weist zur Unterstützung des Antrages auf den Wietbadener nationalllberalen Parteitag hin, der im letzten Oktober ausdrücklich beschlossen habe, daß die weitergehenden einzel- staatlichen Verein und Versammlungsrechte keine Ein⸗ schränkung erfahren sollten. Dort habe nicht nur Dr.

ereinsgesetz unberührt bleiben sollen (kirchliche und

auf Bereine und Versammlungen bei Kriegsgefahr,

Die Sozialdemokraten wollen den § 16 streichen.

So welt landegrechtliche Bestimmungen gelten, die das Recht zur Vereinigung und Versammlung in, geringerem Maße ein⸗“ schränken als dieses Gesetz, blelben sie in Kraft und können nur durch ein besonderes Reichsgesetz wieder aufgehoben werden.“

Der Präsident Graf zu Stolberg schlägt anknüpfend

an Ausführungen des Abg. von Trzeingki vor, die 85 165 und 16 gemeinsam zu diskutieren.

Das Haus ist damit einverstanden. Abg. von Trzeinski (Pole) tritt darauf auch noch für die Be⸗=

seitigung der landesrechtlichen Vorschriften über kirchliche und religiöse

von § 112 die letzte Strafandrohung beseitigen und die übrigen dem milderen 8 11 anschließen.

Vereine und Versammlungen, Projessionen, Orden und Kongre⸗ gationen ein.

daß die von dem Abg. ; j zufreffend sei. Der Abg. de Wendel habe ihm ausdrücklich sein Ein= verständnis mit der Resolution erklärt und ihm unmittelbar nach seiner Rede gratuliert.

in dem großen Lärm des H Dr. Paasche wiederholt als nicht persönlich bezeichnet. Der Redner beruft sich schließlich auf den Abg. Vonderscheer, dem der Abg. de Wendel diese Mitteilungen gemacht habe.

Osann, sondern der Nationalliberale Dr. Haas, der Präsident der hessischen Zweiten Kammer, dieselbe Auffassung vertreten. Auch die hessische Regierung selbst sei, wie eine Aeußerung des Ministergz Ewald bewiesen habe, der Auffassung, daß das neue Reichsvereing. gesetz das bestebende hessische Recht schwer benachteilige.

Damit schließt die Diskussion. Abg. Grögoire (b. k. F.) stellt in persönlicher Bemerkung fest, Emmel gegebene Darstellung vollständig un⸗

Abg. Em mel (Soz): Die Ausführungen des Redners gehen auses unter, die der Vijepräsident

Abg. Vonderscheer (3entc.) : Unmlttelbar nach seiner Rede hat

sich der Abg. de Wendel mir voistellen lassen und mir zu meiner Rede gratuliert.

Abg. Grö6goire (b. F. F): Daß der Abg. de Wendel mir nach

meiner Rede solott gratuliert hat, wiederhole ich und berufe mich als Zeugen auf den Abz. Wommelsdorff.

Abg. Wom mels dor ff (ul.): Ich kann nur durchaus bestätigen,

daß der Abg. de Wendel dem Abg. Grégoire gratuliert hat.

Der Antrag der Sozialdemokraten auf Einführung eines

neuen § 17 wird abgelehnt.

1 r r , m = . n. r 5

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