1908 / 239 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 09 Oct 1908 18:00:01 GMT) scan diff

verfassungsgesetzes, einer Strafprozeßordnung und eines zu

beiden 3 gehörenden w , sowie der Ueberweisung der Vorlage wegen des Erlasses von Bestim⸗ mungen über den Betrieb der Anlagen der Großindustrie und einiger anderer Vorlagen an die zuständigen Ia cf erklärte die Versammlung sich einverstanden. Demnächst wurde über die Besetzung von Ratsstellen beim Reichsgerichte, die Besetzung von Mitgliedstellen beim Reichsversicherungsamt, die . eines Mitgliedes des Beirats für Arbeiterstatistik, die Wahl eines Mitgliedes der Disziplinarkammer für elsaß⸗ lothringische Landesbeamte in Straßburg, über die Festsetzung des Ruhegehalts von Reichsbeamten und über verschiedene Ein⸗

gaben Beschluß gefaßt.

Das Königliche Staatsministerium trat heute zu einer Sitzung zusammen.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Niobe“ vorgestern in Amoy eingetroffen. .

S. M. S. „Eharlotte“ ist am 6. Oktober in Prince Ruperts-⸗Bay auf Dominica (Kleine Antillen) eingetroffen und geht übermorgen von dort nach Santiago de Cuba in See.

In der Ersten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ wird eine Zusammenstellung der Berichte von deutschen Fruchktmärkten für den Monat September 1908 veröffentlicht.

Oesterreich⸗ Ungarn.

Gestern sind die Delegationen in Budapest zusammen⸗ getreten und Nachmittags in der Ofener Hofburg durch den Kaiser und König feierlich empfangen worden. Der Prã⸗ fident der österreichischen Delegation Madenyski hob,, W. T. B. zufolge, in seiner Ansprache an den Kaiser hervor, daß die Delegation mit patriotischer Genugtuung den Aller⸗ höchsten Willensentschluß begrüße, die monarchischen Souveraͤnitätsrechte auf Bosnien und die Herzegowina auszudehnen. Sie erblicke darin die Bürgschaft dafür, daß die dreißigjährige, mit schweren Opfern in diesen Gebieten geleistete Kulturarbeit diese Länder einer gedeih⸗ lichen Entwicklung zuführen und dadurch auch zur Kräftigung der Monarchie beitragen werde. Der Praͤsident gedachte alsdann des von der ganzen Kulturwelt gefeierten Jubiläums der glor⸗ reichen Regierung des Monarchen und betonte die Notwendig⸗ keit der AUusgestaltung der Armee, um der Monarchie im System der Staatenbündnisse diejenige achtunggebietende Stellung zu sichern, auf der eine der wesentlichsten Bürg—= schaften des Friedens beruhe. Er schloß mit dem Ausdruck der Huldigung und heißer Segenswünsche für den Monarchen.

n e , auf die Rede Madeyskis, die mit braufenden Hochrufen aufgenommen wurde, sagte der Kaiser:

Die Versicherungen treuer Ergebenheit an meine Person, die Sie eben zum Ausdruck gebracht haben, erfüllen mich mit lebhafter Befriedigung und warmem Tanke. Der Zusammentritt der Dele⸗ gationen erfolgt diesmal gleichseitig mit einem Ereignisse, das die Sicherung des gegenwärtigen Besitzstandes der Monarchie bedeutet, indem dag Band, das Bosnien und die Herlegowina seit dreißig Jahren mit ihr verbindet, ju einem unauflöslichen geworden ist. Die rafflofen und erfolgreichen Bemühungen meiner Regierung haben in diesen Ländern einen so erfreulichen kulturellen Fortschritt gezeitigt, daß die Bevölkerung nunmehr mit Nutzen zur Mitwirkung an den Landesangelegenheiten herangejogen und die Schaffung von ihren Bedürfnissen entsprechenden berfassungsmäßigen Einrichtungen in Ängriff genommen werden kann. Dies ist jedoch nur möglich, wenn, entfprechend dem faktischen Zustande, eine klare und unmweideutige Rechtsstellung für beide Lander geschaffen wird. Nur so kann daselbst unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Stabilität

ewährleistet werden, die als ein europäisches Interesse anerkannt ist. ö die Zurückziehung meiner Truppen aus dem Sandschak Nopi⸗ bajar wird zugleich der unumstößliche Beweis erbracht, daß unsere Politik teine territorialen Erwerbungen über den jetzigen Besitz hinaus anstrebt. Es ist zu hoffen, daß dieser zugunsten der Türkei erfolgende Verzicht in Konstantinopel in freundschaftlicher Weise gewürdigt werden und unseren künftigen Beziehungen zustatten kommen wird. Die weltere Entwicklung im Ottomanischen Reiche nach dem durchgreifenden Umschwung, der daselbst vor sich gegangen ist, ver folgen wir mit den besten Wünschen für die Konjolidterung und Kräftigung dieses Staates sowie für die dauernde Befriedung jener Gebieie, die in den letzten Jahren von Unruhen heimgesucht waren. Die Mächte, durchweg von friedlichen Absichten erfüllt, bestreben sich, die Schwierigkeiten, von denen die allgemeine europäische Situation no nicht frei ist, im gegenseitigen Ginvernehmen zu mildern und ju beheben. Dank unseren Bündnissen mit Deutschland und Italien und unseren freundschaftlichen Beziehungen zu den übrigen Mächten vermag Desterreich, Ungarn heroorragend an der Aufrechterbaltung des Friedens mitjuwirken. Diese Aufgabe, die der Lage der Monarchie in Europa und ihren Traditicnen entspricht, kann sie nur dann wirksam er⸗ füllen, wenn sie mächtig und gerüstet ist. Vertrauend, daß Sie die Anforderungen meiner Wehrmacht zu Lande und zur See in diesem Geiste prüfen und von patriotischer Einsicht und Opferwilligkeit ge—⸗ leitet sein werden, heiße ich Sie herzlich willkommen.

Graf Theodor Zichy richtete als Präsident der unga⸗ rischen Delegation bei dem Empfang in der Hofburg an den König eine Ansprache, in der er bezuglich Bosniens sagte:

Indem Boßnien und der Herzegowina die verfassungs mäßige Autonomie gewährt wird, haben Eure Majestät aus Allerhöchstem Entschlufse mit Rücksicht auf die alten Bande, die Gurer Maßestät glorreiche Vorfahren auf, dem ungarischen Throne an diese Länder knüpften. Ihre Souveränität ausgedehnt. Wir fühlen und wissen, welche Verantwortung bei Feststellung der gemeinsamen Ausgaben unter den obwaltenden Umständen unfere Delegation trifft.

In dem Ausschuß für die auswärtigen Angelegenheiten der österreichischen Delegation, der gestern nachmittag usammengetreten ist, nahm der Minister des Auswärtigen Hahn von Aehrenthal das Wort u einem er if, in dessen Eingang er an die im Sommer d. J. in der Türkei ausgebrochene Bewegung zum Zweck der Wiedereinführung der Verfassung erinnerte, wodurch die Reformbestre⸗ bungen der ächte im ottomanischen Reich zu einem vorläufigen Abschluß gebracht worden seien. Der Minister führte dann, nach dem Bericht des ‚„W. T. B,.“ weiter aus:

In dieser , . konnte alsbald eine vollständige Ueberein⸗ stlmmung aller Mächte in zwei Richtungen konstatiert werden; Erstens, daß a fans alle welteren Reformpworschläge zurück ustellen seien, jweitengs, daß gegenüber der künftigen Entwicklung der Dinge in der Türkei die Haltung wohlwollenden Abwarteng einzunehmen sei. Man könnte in puncto Reformen von einer Ruhepause

sprechen. E muß beobachtet werden, wie sich die Wieder, e ,. der 3 ung im allgemeinen bewähren und auf die spezlellen Verhältnlsse der drel Wilojets zurückwirken wird. Bls dahin hielten wir es für jweckmäßig, unsere Reform offtitere ju beurlauben, und wir haben die Türkel biervon unter Be⸗ tonung des Umstandeg in Kenntnis gesetzt, daß diese Verfügung aus-

schließlich von denselben Gesinnungen eingegeben worden ist, die uns

im allgemeinen dazn bestimmt haben, uns den neuen Verhältnissen gegenüber sympathisch zu verhalten. Dieses unser Verhalten gründet . auf die mme Hoffnung, daß die neue Aera in der Türkei eine

erjängung und Kräftigung dieses Staatswesens herbeiführen wird. Sesterreich⸗Ungarn alt angrenzende und demnach in ihren Interessen am meisten berührte Macht wunscht dieses aufrichtig aus egolstischen Gründen. Eine Türkei mit einer besseren Verwaltung und stabileren Verhãlt⸗ niffen, als dies noch bor kurzem der Fall war, wäre für ung ein be⸗ quemerer Nachbar als die Türkei von gestern, wo ein jahrelanger Bürgerkrieg die Mächte zur Intervention genötigt hatte. Der bis— herige Verkauf der Umwälzung berechtigt zu einer zuversichtlichen Beurteilung. Die führenden Elemente der neuen politischen Aera bewessen eine anerkennengwerte Mäßigung und Klugheit. Diese wird dem verjüngten Reiche umsomehr zugute kommen, als auch die neue Türkei auf daß Wohlwollen und die freundschaftliche Unterstützung der Mächte angewiesen ist. Einer solchen wird sie sich auch unserer⸗ seits um so sicherer zu erfreuen haben, je mehr sie eine freundschaft⸗ liche Haltung ung gegenüber an den Tag legen und unseren berechtigten Interessen Rechnung tragen wird.

Wir befinden uns im Einvernehmen nicht nur mit unseren Verbündeten, Deutschland und Italien, sondern auch mit anderen Mächten, in erster Linie mit Rußland, mlt bem wir seit 1897 in fort- gesetzter enger Verbindung beiüglich der Bal kanangelegenbeiten standen und auch heute noch stehen. Bie in der öffentlichen Meinung Ruß, lands durch die Ankündigung unseres Schrittes in Konstantinopel behufs Anschlusses des bosnischen Eisenbahnnetzes an das türkische entstandene Erregung hat sich gelegt. Irrtümlicher weise war dort der Glaube verbreltet und dieser Glaube wurde von denjenigen Stellen, denen das Zusammengehen Oester, reich ⸗Angarns und Rußlands ein Dorn im Auge ist, genährt daß wir ung zum Erlangung eines verkehrspolitischen und allgemein wirt- schaftlichen Monopols in der westlichen Hälfte der Balkanhalbinsel bewerben und diesbezüglich von der Regierung des Sultan? Garantien verlangen. Daz ist uns nie im Traum eingefallen. Tatsächlich sind wir die fen Nachbarn dieser Länder. Wir werden dort von selbst den uns gebührenden Platz einnehmen. Eine Einschränkung der natürlichen Kon⸗ kurrenz durch ein Monopol herbeiführen zu wollen, wäre eine kurz- sichtige Politik. Wir haben daher erklärt, daß wir jeder neuen Eisenbahn⸗ linse in jenen Gebieten sympathisch gegenüberstehen, weil jede einen

orlschriti in der Pacifizlerung und Konsolidierung dieser wichtigen

ropinzen deg ottomanischen Reiches bedeuten wird. Wir sind der Meinung, daß die Frage neuer Elsenbahnen und neuer Anschlüsse an Unten der Nachbarländer eine Angelegenheit sei, die ausschließlich die Türkei und eben ihre Nachbarländer angeht. Die Tracierung der Sandschakbahn ist abgeschlofsen und bedarf nun der ÜUeber⸗ prüfung, damit der Finanzierung nahegetreten werden kann. Wir rechnen auf dag Entgegenkommen auch des neuen Regimes in Konstantinopel. Bezüglich dieses Eisenbahnbaues werden wir ihm unser volles Vertrauen zuwenden und sind überjeugt, daß die Durch⸗ führung der Bahn, welche gleichmäßig im Interesse Oesterreich⸗ ÜUngarng und der Türkei gelegen ist, nur eine Frage der Zeit sein kann. Auf ein gleiches freundschaftliches Uebereinkommen mit Monte negro rechnen wir bezüglich des Baues einer Anschlußlinie von Dal⸗ matten durch montenegrinisches Litorale in der Richtung auf die Tückei,

Der Beiliner Vertrag hat der Monarchie gegenüber der Türkei zwei Spezsalintereffen, eigentlich Spenalsituationen, zuerkannt: Das Mandat der unbefnsstteten Verwaltung Bosniens und der n, , und das Recht, im Sandschak von Novibazar

arnisonen zu balten, gewisse administrative Sefugnisse aus zuüben und in jenem Gebiete militärische und kommerjielle Straßen ju besetzen. In dteißigjähriger, rastloser Arbeit ist unsere Verwaltung der ihr gestellten Aufgabe gerecht geworden und bat in diesem gefährlichen Wetterwinkel Ruhe und Ordnung erhalten, das kulturelle und wirt⸗ schaftliche Niveau der Bevölkerung gehoben und ein modern denkendes Geschlecht herangezogen. Nun ist der Moment gekommen, aus diesen Ergebnissen unserer administrativen Tätigkeit die Konsequenzen ju jiehen, die Einwohnerschaft an der Verwaltung teilnehmen ju lafsen und die Gewährung von entsprechenden, verfassungsmäßigen Cinrichtungen für die beiden Provinzen ins Auge ju fassen. Dlese würden für Bosnien und die Herzegowina einen Landtag vorsehen, der das Landesbudget zu bestimmen und die Ver— waltung des Landes zu kontrollieren hätte. Die mit bezug auf die staatsrechtlichen Verhaͤltnisse der beiden Provinzen berrschende und von außen genährte Verwirrung in den Köpfen müßte aber höchst bedenklich 8 lassen, eine solche Neuerung einjuführen, bevor wir jeden Zweifel an der vollen Souveränität über das okkupierte Gebiet besestigten. Wir haben uns daher entschlossen, in Konstantinovel zu erklären, . die Voraussetzungen der Konvention vom Jahre 1374, betreffend das Sandschak von Novibajaxr, nicht mehr in allen Stücken zu Recht bestehen, und wir uns veranlaßt sehen, diese zu kündigen. Wir haben mit dieser Kündigung zum Ausdruck gebracht, daß wir angesihts der neuen Verhältnifse in der Türkei gesonnen sind, unsere Garnisonz⸗ und sonstigen Rechte im Sandschak— gebiete fallen zu lassen, indem wir uns der r, , hingeben, daß das verjüngte ottomanische Reich die Sicherung von Ruhe und Ord- nung im Sandschak nunmehr aug eigener Kraft zu verbürgen imstande sei. Gleichjeitig aber hat uns die unerläßlich gewordene Einführung beifassungsmäßiger Einrichtungen in Bosnien in die Zwangslage ver setzt, die definltlve Klärung der Frage der Zugehörigkeit Bos niens und der Herzegowing in Angriff ju nehmen und das endgültige Aufgeben unserer aus Artikel 25 des Berliner Vertrages fließenden Rechte im Sandschak mit der formellen Annexlon der beiden Provinzen auszugleichen. ;

Indem wir dem Diktate eines durch die Greignisse der letzten Monate hervorgerufenen kategorischen Imperativs folgen, verlassen wir jedoch keineswegs den Boden des Berliner Vertragegz. In den letzten 19 Jahren sind wiederholte und einschneidendere Aenderungen an den Bestimmungen dieses Vertrages sowohl ausdrücklich als still⸗ schweigend vorgenommen worden. Der wesentliche Zweck des Artikels 25 dieses Veitrages war, kurz gesagt, der, stabile Zuftände in Boenien und der Herjegowina ju schaffen, und zwar mit Hilfe einer Macht, die stark genug ist, um jede Auf— lehnung im Kelme zu ersticken. Dits waren die Beweggründe, welche die englischen Staatsmänner Beacontfield und Salisbury lelteten, als sie in Berlin das Okkuxationsmandat für den fe , bean⸗ tragten. Durch dieses Mandat ist ein Endpunkt des österreichisch. ungarischen Verwaliungsrechts weder direkt noch indirekt bezeichnet und konnte auch logischerweise deshalb nicht bezeichnet werden, weil mit dem Mandate eben etwas Dauerbaftes geschaffen werden sollte. Die Otkupation war bloß das Mittel, auf die Verwaltung durch den olkupierenden Staat wurde das Hauptgewicht gelegt. Gewiß lag eine weise Mäßigung darin, daß wir die natür⸗ liche Ausgeftaltung dieses durch den Berliner Vertrag geschaffenen Verhältnisseg erst jetzt dreißig Jahre nach seinem Abschlusse und bloß unter dem Druck jwingender Umstände in die Hand ge⸗ nommen haben. Nunmehr ist es aber nachgerade unerläßlich geworden, endlich Klarhelt zu schaffen, um die positive kulturelle und wirtschaft⸗ liche Arbeit unter der Teilnahme der Bevölkerung fruchtbringend fort⸗ jusetzen. Es war aber auch dn, e. geboten, Klarheit zu schaffen in unserem Verhältnisse zur Türkei sowohl was die Okkupattonsländer als was den Sandschak betrifft. Clara pacta boni amiei! Die gemeinsamen Garnisonen im Sandschal hatten ihre Aufgabe erfüllt, und wir hatten der Türkei durch dreißig Jahre geholfen, ihre terri⸗ torlale Integrität in jenen Gegenden zu erhalten. Da wir aber, wie gesagt, nunmehr überjeugt sind, daß die Türkei diese Sorge allein zu tragen im Stande ist, mußte sich die Frage auf⸗ drängen, wag für einen anderen Zweck unsere Garni⸗ fonen am Lim sonst haben könnten? Höchstens den,

der Legende von unserem Vormarsche nach dem Aegäischen Meere immer wieder neue Nahrung zujuführen. Wenn aber jetzt die öster⸗ reichisch ungarischen Truppen den Sandschak endgültig verlassen, ist dieg eine Tatsache, die auch Klarheit darüber verbreitet, wie wenig egoistisch die Ziele unserer Orientpolitik sind. Sie führt den Balkanstaaten neuerdings drastisch vor Augen, daß die österreichisch⸗ungarische 3 über das hinaus, wag sie besitzt, keinen Territorialerwerh anstrebt.

Das Zurückziehen unserer Truppen aus dem Sandschak schafft endlich die wünschenswerte Klarheit in den Verhältnissen Oesterreich⸗ Ungarnz zu den anderen Mächten. Die der Monarchie übertragene Spez ialkommission, Wache zu stehen in Gegenden, wo nationale und religiöse Gegensätze eine gewitterschwangere Atmosphäre schaffen, war keine leichte und keine angenehme. Wir sind ihr jedoch gerecht geworden, weil wir sie mit äußerster Diskretion aufgefaßt und durchgeführt haben. Trotzdem hat diese der Monarchle eingeräumte besondere Situation uns viel Neid und Miß⸗ trauen eingetragen, denen wir uns künftighin nicht mehr aussetzen wollten. Wir haben das ungeklärte staatsrechtliche Verhältnis der beiden Provinzen zur Türkei und unsere Sonderstellung im Sandschak durch dreißig Jahre wie zwei Gewichte an unserer orientalischen Politik mitgeschleppt. Nun wollen wir nach deren Entfernung dem ottomanischen Reiche gegenüber in die gleiche Linie wie die anderen Mächte einrücken, im Vereine mit diesen die Entwicklung der Türkei wohlwollend und freundschaftlich beobachten und uns an dem allmählichen Erstarken des neuen Regimes erfreuen. Wir werden mit einem Worte in unserer Orientpolitik weiterhin den europäischen Standpunkt einnehmen und jur Erhaltung des Einvernehmens zwischen den Mächten mit allen Kräften beizutragen suchen. Falls dieses aber wider Erwarten auf die Dauer nicht ernelt werden könnte, würde es uns nunmehr möglich sein, uns, wenn auch not— gedrungen, auf unseren spezifisch österreichisch⸗ ungarischen Stand⸗ punkt zurückzujiehen. Wir hegen die Zuversicht, daß unseren Entschließungen in der Türkei der von ung, beabsichtigte Sinn beigelegt werden wird, daß wir die Ursachen möglicher Reibungen rechtzeitig beseitigen, und daß die Kabinette die zwingenden Umstände, die unser Vorgehen bestimmt haben, ebenso wenig verkennen werden wie die weise Mäßigung, von der sich unser Monarch hat leiten lassen, als er seine braven Truppen aus den Gegenden zurückberief, in denen

e auf Grund eines guten Rechtes eine für die Erhaltung der Ruhe m Orient so wichtige und erfolgreiche Rolle gesplelt haben. Die Monarchie, die seit Jahren anerkanntermaßen als einer der Grundpfeiler der europäischen Friedenspolitik gilt, hat Anspruch darauf, daß die von ihr ergriffene Inttiative keine Mißdeutung erfahre. Mit der Annexion und mit der Räumung des Sandschaks verfolgen wir lediglich jwei sehr naheliegende Ziele, nämlich Schutz unserer Inter⸗ essen und Abwendung der Gefahr, in die türkischen Angelegenheiten hineingejogen und von unserer Politik freundlichen Wohlwollens und der Beobachtung striktester Nichtintervention abgedrängt ju werden.

ch kann mit Befriedigung konstatieren, daß unsere Be. ziehungen zu allen Mächten die besten sind. Indem wir sest zu unseren Verbündeten, Deutschland und Italien, stehen, tragen wir unentwegt zur Erhaltung des so notwendigen Friedenz und des Gleichgewichts in Europa bei. Was insbesondere unser Verhältnis zu Italien, betrifft, so setze ich, von meinem italienischen Kollegen loyal unterstützt, mit Erfolg meine Bemühungen fort, die Intimität unserer Beziehungen zu pflegen, die sich erfreulicherweise stets wärmer gestalten. Ich batte auch in diesem Jahre Gelegenheit, mich mit dem Minister Tittoni freundschaftlich ausjusprechen, wobei wir in der Lage waren, festzustellen, daß wir mit Genugtuung auf daz bereits Erreichte zurück blicken und daraus Ermutigung schöpfen können, bei unserer Methode vertrauensvollen Zusammengehens zu beharren. Dag bereits bestehende Einvernehmen mit Italien ist in bezug auf den Balkan in ähnlicher Weise aus zestaltet worden, wie das Einvernehmen mit Rußland, sodaß man wohl von einer gleichen Auffasfsung der drei Mächte über die dortige Lage zu sprechen berechtigt ist. Gleichzeitig unterhalten wir freundschaftliche Beziehungen zu den andern Maͤchten. Ich habe bereits hervorgehoben, daß wir die im Vereine mit Rußland selt mehreren Jahren glücklich inaugurierte Politik fortsetzen, in bejug auf Fragen des . Orients eine übereinftimmende Weise des Vor⸗— gehens einzuhalten. Wir sind mit Rußland insbesondere auch darüber einig, daß wir das lebhafteste Interesse daran haben, das europälsche Konzert zu erhalten und zu befestigen. Auch mit En gland und Frankreich unterhalten wir die freundschaftlichsten Be⸗ ziehungen und sind aufrichtig bestrebt, mit beiden Mächten im möglichsten Einvernehmen vorzugehen. Die Behandlung der marokkanischen nn, n, ,, ü kann als Prüfstein für di friedlichen Gesinnungen der Kabinette betrachtet werden. Die Mächte dürften demnächst zu einer vollständigen Einigung bezüglich der An— erkennung des neuen Sultans gelangen und durch Regelung der mit dem Regierungswechsel in Marokko zusammenhängenden Fragen die Grundlage für stabile Verhältnifsse im scherifischen Reiche schaffen. Aich hier erblicken wir unsere vornehmste Aufgabe darin, allenfalls noch auftauchende Differenzen, die jedoch keineswegt erbeblich sein dürften, auszugleichen und so das Konzert der Signatar—⸗ mächte der Algecirasakte ungestört zu erhalten. Vor wenigen Tagen erfolgte die Unabhängigkeitserklärung Bulgariens; sie war bekanntlich unmittelbar veranlaßt durch den vielbesprochenen diplo, matischen Zwischenfall in Konstantinopel. Man kann nicht anders sagen, als daß diefe Modifikation tatsächlich der Stellung entspricht, die sich Bulgarien, unterstützt von dem Wohlwollen aller Großmächte, selt langem ju verschaffen gewußt hat. Die Monarchle hat diese aufsteigende Entwicklung Bulgariens immer mit vmpathiichem Interesse verfolgt und ihm zahlreiche Beweise des ohlwollens gegeben. Ich bin bereits mit einigen Kabinetten in Fühlung getreten bejüglich der Anerkennung des neuen Zustandes und der Wiederherstellung normaler freundschafilicher Beziehungen jwischin Bulgarien und der Türkel, was mir im Intertsse der Erhaltung des Friedens auf dem Balkan, ein Interesse, das ich immer im Auge habe, dringend erwünscht erscheint.

Nach dieser mit lebhaftem Beifall aufgenommenen Rede erklärte der Berichterstatter Graf Bacgu ehem, die in dem Exposs ausgeführten zwingenden Gründe für die Annexion Bosniens und der Herzegowina hätten die Wirkung, den Um—⸗ trieben der def r ,, Elemente den Boden zu entziehen, welche die formelle Souveränität des Sultans zum Anlaß nähmen, die Beständigkeit der Okkupation in Zweifel zu ziehen.

Der gestern den Delegationen unterbreitete Voranschsag der gemeinsamen Ausgaben und Einnahmen füt 1909 weist, W. T. B.“ zufolge, ein Gesamterfordernis von 106 840 998 Kronen auf. Hiervon entfallen auf das Ministerium des Aeußern 13 666 584 Kronen (400 0357 Kronen mehr als im Vorjahre). Das ordentliche Erfordernis für das Heer beträgt 312478415 Kronen (14 046762 Kronen mehr als im Vorjahre), das außerordentliche Erfordernis 12 366 730 Kronen (1 bi M Kronen weniger als im Vorjahre); das Gesamterfordernis des Heeres beträgt demnach 324 85 145 Kronen (13 034 763 Kronen mehr als im Vorjahre). Für die Kriegsmarine beträgt das ordentliche Erfordernis 58 987 310 Kronen (5 4854 200 Kronen mehr als im Vorjahre), das außerordentliche Erfordernis 1450550 Kronen (73 660 Kronen mehr als im Vorjahre), mithin das Gesamterfordernis 63 4357 860 Kronen (6 437 869 Kronen mehr als im Vorjahre). Der Okkupationskredit betrãgt 8 047 059 Kronen (239 60 Kronen mehr als im Vorjahre Der reine Ueberschuß der Zollgefälle ist n, n, auf 151 338 520 Kronen. Von dem Gesamtnettoerfordernis ent⸗ fallen nach Abzug des Zolluͤberschusses 162 478 948 Kronen auf Oesterreich und 93 002571 Kronen auf Ungarn. .

Das Armeeverordnungsblatt veröffentlicht ein Ka iser⸗ liches Befehlsschreiben, in dem angeordnet wird, daß die

Rekruten aus Bosnien und der Herzegowina ven nun an den im Dienstreglement für das österreichisch⸗ungarische Heer vorgeschriebenen Eid zu leisten und die bosnisch-herzego— winischen Truppen wie die sonstigen militärischen Organisationen dieser Länder fortan die Bezeichnung Kaiserlich und Königlich zu führen haben.

Frankreich.

Gestern vormittag hatte der Minister des Aeußern Pichon mit dem russischen Minister Iswolski eine Unterredung, in der, nach einer Meldung der „Agence Havas“, die Fragen erörtert wurden, die Gegenstand einer internationalen Kon⸗ ferenz über die Orientangelegenheiten bilden könnten. Eine Entscheidung wird erst nach der demnächstigen Zusammen⸗ kunft Islowskis mit dem englischen Ministerpräsidenten Asquith und dem Minister des Aeußern Grey getroffen werden.

Darauf empfing der Minister Pichon den spanischen Botschafter Del Muni und konferierte mit ihm über die Marokko betreffende französisch-spanische Note. Am Sonnabend wird Pichon in einer Unterredung mit dem spanischen Minister des Aeußern Allendesalgzar die Um⸗ risse dieser Note endgültig festsetzen. Der Agence Havas“ zufolge besteht zwischen beiden Mächten vollkommene Ueber—⸗ einstimmung.

Der Ministerpräsident Cl smenceau hat gestern im De⸗ partement Var eine Rede gehalten, in der er, W. T. B.“ zufolg ausführte:

le Miltärgewalt Frankreichs habe einzig und allein das Ziel, dem Lande ing schwierigen Zeiten einen wirksamen Schutz zu gewähren. Die Notwendigkeit eines solchen zeige sich augenfällig in einer Stunde, die offenbare, eine wie schwache Garantie internationale Verträge gegen die Wiederkehr unvermuteter Angriffe bilden. Völker und Re⸗ ierungen wichen juweilen einem auf die Spitze getriebenen . der trotz des allgemeinen Wunsches nach Wahrung des Friedens die Welt nur allju häufig vor blutige Konflikte ju stellen scheine Frankreich werde daber in den gegenwärtigen Gefahren aus allen Kräften daju beitragen, mit Hilfe seiner Verbündeten und Freunde so viele einander widerstrebende Interessen zu vereinigen, und werde fortfahren, dem für seine freiheitlichen Einrichtungen kämpfenden Volke energische Sympathie zu bekunden.

Italien.

Einer Meldung der „Agenzia Stefani“ zufolge machte der türkische Botschafter dem Minister des Aeußern Tittoni Mit— teilung davon, daß seine Regierung gegen die Un abhängig—⸗ keitserklärung Bulgariens Einspruch erhebe und die Signatarmächte des Berliner Vertrages auffordere, eine Kon⸗ ferenz einzuberufen, um den die türkischen Interessen garan— tierenden Verträgen Achtung zu verschaffen.

Türkei.

Der gestern unter dem Vorsitz des Großwesirs abgehaltene Ministerrat galt der Abfassung einer Note zur Beantwortung der vom österreichischen Botschafter überreichten Note, betreffend die Angliederung Bosniens. .

Der Großwesir hat, dem „K. K. Telegraphen⸗Korrespon⸗ denzbureau“ zufolge an alle Wilajets telegraphiert, daß die Pforte alle nötigen Maßregeln gegen die ungesetzmäßige Pro⸗ klamierung Bulgariens zum Königreich ergriffen habe. Die Bevölkerung brauche sich nicht zu beunruhigen; die Behörden möchten eine Erregung verhindern.

Nach Meldungen des W. T. B. hat das kretische Sxekutivkomitee dem augenblicklich die Regentschaft führenden Kronprinzen Konstantin von Griechenland von dem Anschluß Kretas an Griechenland Mitteilung gemacht, ebenso dem König Georg, der zur Zeit in Kopenhagen weilt und von dem Komitee gebeten wurde, seine Souveränität auf die Insel auszudehnen. Die kretische Regierung hat vor dem Metropo⸗ liten Kretas den Treueid für den König Georg abgelegt.

Serbien.

In Belgrad haben gestern vor dem Ministerium des Aeußern Kundgebungen stattgefunden, weil der Protest gegen die Annexion Bosniens für zu schwach befunden wird. Gegen Abend zogen, wie das „K. K. Telegraphen⸗Kor⸗ respondenzbureau“ meldet, größere Gruppen von Manifestanten unter Hochrufen auf den König, den Kronprinzen und die Armee und unter Abzugsrufen gegen Oesterreich-Ungarn durch die Stadt. Vor dem Königlichen Palais sammelte sich eine große Volksmenge, die das Erscheinen des Königs verlangte. Der König und der Kronprinz erschienen auf dem Balkon und wurden lebhaft begrüßt. Der König hielt folgende Ansprache:

Brüder! Ich bin tief ergriffen von den Ovationen, die mir bereitet worden sind. Seid überzeugt, daß ich mit der Regierung , voll erfüllen werde. Jetzt bitte ich, ruhig auseinander zu gehen.

Die Menge brach in langanhaltende Ziviorufe aus. Nachdem der König sich zurückgezogen hatte, zerstreuten sich die Manifestanten ruhig.

Bulgarien.

Nach einer Meldung des „K. K. Telegraphen⸗Korrespondenz⸗ buraus“ ist die Zahlung der vorgestern fälligen, an die Dette r ne zu entrichtenden Septemberrate des Tributs ür Ostrumelien auf Verfügung des Finanzministeriums sistiert worden.

Montenegro.

Ein fürstlicher Ukas verfügt die Einberufung der in schtina zu einer außerordentlichen Session für nächsten

ontag.

Vorgestern hat in Cetinje eine große Protestversamm⸗ lung gegen die Angliederung Bosniens und der Herzegowina stattgefunden, in der, dem „K. K. Telegraphen⸗ Korrespondenzbureau“ zufolge, eine Resolution angenommen wurde, welche die Regierung auffordert, Beleidigungen zu ver⸗ gessen und sich mit Serbien zur Verteidigung der Inter⸗ essen des Serbentums zu verbinden. Nach der Verfamm⸗ lung veranstaltete die Menge vor dem Palais des Fürsten und vor der russischen Gesandtschaft Sympathiekundgebungen.

Amerika.

Die chilenischen Kammern sind, einer Meldung des T. B.“ zufolge, für den 14. Oktober einberufen worden.

sgoloniales.

Die vor elnigen Monaten gemeldete ,, ,, , in den jentrakostafrikankfchen Landschaften Turn und

Ira ku ist, wie W. T. B. berichlet, nach soeben an amtlicher Stelle

n Berlin eingetroffenen Nachrichten ohne weitere Störungen jum

Abschluß gelangt. Die Ruhe ist überall wiederhergestellt. Der De⸗ monstrationgzug des Hauptmanns Chartsius durch Turu ist bis auf wenige Schüsse elner Patrouille vollftändig friedlich verlaufen. Die Anstifter der Bewegung sind sämtlich verhaftet, der Akide Mausa ist zum Tode verurtellt. Der genannte Truppenführer ist nach ine ge zurückgekehrt, wo die Expeditlon aufgelöst wurde. Eine Abteilung Aekarl unter Oberleutnant von Trotha wird noch kurje Zeit in den beruhigten Landschaften verbleiben. Es ist dann beabsichtigt, da⸗ selbst einen ständigen Militärposten einzurichten.

Etatistik und Volkswirtschaft.

Der Anteil der deutschen Bevölkerung am Besuch der deutschen Universitäten.

Der neueste Band der preußtschen Universitätzzstatistik (Heft 204 der e . Statistik-) bringt über die Beteiligung der deutschen Bevölkerung am Besuch der deutschen Universitäten unter anderen folgende Zahlenreihen und Ausführungen:

Es entfielen auf je 10 000 männliche Einwohner Studierende

L in Preußen: 1892/93 189595 1899/1900 1905106 1) Provinz Ostpreußen. . 8,24 8,13 9, 18 9, 86 2 Westpreußen . 796 6, 92 7, 10 7.38 3) Stadtkreis Berlin... 19,94 2045 20,95 22566 4 Probinz Brandenburg.. 222 8,68 10,46 5) w w 9.58 9.23 9,28 6,74 7,31 8,38 8, 45 9,21 9, Sd KR 1000 10,98 11,90 Schleswig · Holstein 6.94 6,87 8, 30 Hannover . 1037 11,64 13,55 Westfalen 9363 9, S2 11,51 Hessen. Nassau .. 13,1 1451 16, 05s RNeinland 8.956 9.97 12,56 14 Hohenzollern 1023 14,B38 11,01 in Preußen zusammen 9, 65 10,47 12. 04

II. in den übrigen deutsch en Staaten:

11,82 12,43 14,43 ? 11,19 11,00 12,40 3) Württemberg 11, 84 12,34 12, 62 4 Baden 13582. 13,75 15, 853 ; 14,93 15,69 18,84 ö. 13,13 12,72 15,98 7) Sachsen Weimar... 13,85 14,66 14,573 8) Mecklenburg⸗Strelitzz . . 11 1175 15,9 10,59 9) Adenburg ; 8, 43 11,47 10,38 10 Braunschweig 11,58 13, 37 13,76 11) Sachsen⸗Meiningen ... 8.13. 951 10, 15 12) Sachsen⸗ Altenburg.. 1071 9 64 11,73 13) Sachsen Coburg⸗Gotha. 10,51 10,55 10,66 14 Anhalt 10,54 13,92 12,91 15) Schwarzb.⸗Sondershausen 10,27 8,63 11, 34 16) Schwarjburg ⸗Rudolstadt. 883 9.76 10,58 17) Waldeck ; 9,31 15,03 11412 18) Reuß älterer Linie.. 7,92 9.53 8, 71 19 Reuß jüngerer Linie.. 8,43 7, 56 9.22 20) Schaumburg Zipper... 6,77 9, 32 12, 03 21) Lippe ; 468 7, 19 11,73 3 Lübeck 12,66 13. 18 16,18 23) Bremen ? 11,74 13, 05 14,12 24) Hamburg 8,66 8,78 9, 36 25) Elsaß⸗Lothringen.. 8, 17 9, 49 11,04 in den übrigen deutschen Staaten zusammen .. 11,43 11,98 13,67, im Deutschen Reich 10,55 10,34 11, 05 12.67.

Die starke Zunahme des Zudranges zu den Universitäten in der Zeit von 1892 33 bis 190566 zeigt sich hiernach an der Be⸗ völkerung gemessen bei 12 preußischen Provinzen und bei 20 andern deutschen Staaten. In Westpreußen und Pommern tritt eine Abnahme hervor, desgleichen in Mecklenburg ⸗Strelitz, Sachsen⸗ Coburg · Gotha, Schwar burg · Sonder hausen, Bremen und Hamburg. Der Durchschnitt ist für Preußen um 243 und für die übrigen Staaten um 1,67 gestiegen. Für das Deutsche Reich hat die Be⸗ teiligung der Bevölkerung am Universitätsstudium von 10,55 auf 12,67 für je 10 000 männliche Bewohner von 1892/93 bis 1905106 zugenommen.

Sieht man von der politischen Einteilung ab und faßt man die einjelnen deutschen Gebiete in drei größere Zonen zusammen, die in gewisser Weise auch dem besonderen Charakter der Bevölkerung nach Stammegart und Lebensweise entsprechen, so ändern sich die oben mit⸗ geteilten Verhältniszahlen folgendermaßen:

Es entfielen auf je 10 005 männliche Einwohner

1892/93 1895j96 1899. 1900 1905106 in der J. Zone:

1) Provinz Ostpreußen .... 8, 8, 13 2) ö 6,92 6,74 8, 45 5 1 9,58 6) beide Mecklenburg 12, 95 7) Provinz Schleswig Holstein und Lübeck 388 7,27 8) Hamburg ĩ 8. 66 9) Provinz Brandenburg und Berlin 2,12 12053 zu sammen .. 9, 18

in der II. Zone:

1) Provinz Hannover und beide

Lippe 10 03 2) Oldenburg d 8, 43 3) Bremen 11,74 4) Provinz Sachsen,

schweig, Anhalt 5) Königreich Sachsen . ... 6) 8 thuringische Staaten... 7 6 Hessen⸗Nassau und

aldeck s) Provinz Westfalen .... 9) ö 22 zusammen ..

in der IIL Zone:

3 . Württemberg u. Hohenzollern 61

5) Bayern zusammen .. 12.30 im Deutschen Reich. . . 10,55

Diese Ergebnisse sind im ganzen wie im einjelnen recht bemerkeng⸗ wert. Geht man vom Jahre 1892,93 aus, so zeigt sich in der Mitte und im Westen und in noch weit höherem Grade im Süden eine stärkere Beteiligung der 5 am Universitätsstudium als im Nordosten. Es enffielen damalg auf 10 90090 männliche Bewohner im Nordofsten 9, 44, in der Mitte und im Westen 10,26 und im Süden 12, 30 Studierende. Drel Jahre darauf machte sich in allen drei Zonen im Vergleich mit der Zunabme der Bevölkerung eine geringe Abnahme bemerkbar, die im Süden am stärksten und im mittleren und westlichen Deutschland am geringsten hervortritt. Big jur Wende des Jahr⸗ hunderts erhöhen sich dann wieder die entsprechenden Anteilsziffern.

und jwar ziemlich gleichmäßig für alle drei Zonen. Diese Bewegun nach oben setzt sich auch n den folgenden Jahren bis zum *

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1906/06 fort, aber wiederum stärker in den südlichen und mit

bejw. westlichen Gebietsteilen als in den c hne Hen n s bis 1906/06 hat sich der Anteil der Bevölkerung am Universitãts⸗ studium auf 10 9099 männliche Bewohner berechnet im mittleren und westlichen Deutschland um 237 bis auf 1255, im füdlichen um 195 bis auf 1425 und im nordöstlichen um 146 bis auf 0 85 ge⸗ hoben. Die Verhältniszahlen für den eigentlichen Nordosten ohne ,, Brandenburgs mit Berlin würden noch erheblich geringer

n. Faßt man die Zahlen ins Auge, die sich für die ein Staaten und Provinzen im letzten der hier berücsichtigten I jahre ergeben. 3 entsenden unter den Landesteilen der 6 stl ichen Zone die beiden Mecklenburg im Verhältnis jzur Einwohnerzahl die meisten Studierenden auf die Universitãten. Erst auf Mecklenburg folgt Brandenburg und Berlin mit 1489 Studierenden auf je eine Million männlicher Einwohner, während Berlin für sich allein genommen. nit 2266 Studierenden auf 1 Million männlicher Einwohner dem gär en übrigen Reich beträchtlich voranstehen würde. Die wenigsten Studie= renden kommen aug den Provinzen Westpreußen (738), Posen (835) und Schlegwig / Holstein mit Lübeck 880), Von den Gebieten des westlichen und mittleren Deutschland zeigt Hessen⸗Naffau mit Waldeck (1591) die stärkste Beteiligung, die zweltstärkste die freie Hansestadt Bremen (1412. Die übrigen Länder und Länderver— bindungen halten sich dem Durchschnitt der zweiten Zone (1263) nahe; nur Oldenburg steht ihm erheblicher nach. In der füdlichen Zone nimmt Hessen eine Sonderstellung ein, indem es mit 1884 Studierenden auf 1 Million männliche Bewohner sämtliche Gebiete nicht nur des Südens, sondern aller drei Zonen ein gut Teil hinter sich läßt. Der nächstfolgende Staat Baden (1583) weist zwar 309 weniger, aber damit ungefähr immer noch ebensoviel Studierende auf, wie die beiden am stärkften beteiligten Länder der ersten und zweiten 53 Auch Bayern mit 1443 Studierenden überschreitet noch den ohen Durchschnitt der dritten südlichen Zone (1425). Wärttem— berg mit Hohenzollern (1257) und EGlsaß Lothringen (1164) erreichen ihn zwar nicht mehr, übertreffen aber immer noch den Burchschnitt der ersten Zone und bleiben nicht weit hinter dem der zweiten jurück.

Zur Arbeiterbewegung.

Aus London wird der, Köln. Ztg.“ gemeldet: Die Korresponden des Reuterschen Bureaus“ behauptet, daß augenblicklich Hoff nung . Beilegung des Baumwollweberstreites in Lancashire vor— handen sei. Herr Churchill, der Präsident des Handelsamts, hat die Führer der beiden Parteien aufgefordert, ihn bei einem Be— suche ju treffen, den er demnächst Manchester abstatte. Einer der Vorschläge geht dahin, das Brooklands. Abkommen, das den Streit veranlaßt hat, wieder durch die gleitende Lohnskala zu ersetzen. Das Brooklands, Abkommen, dem Unternehmer und Arbeiter zuge⸗ stimmt hatten, schreibt für den Betrag, um den Löhne steigen oder sinken dürfen, gewisse Grenjen vor und bestimmt ferner eine Zeit- grenze nach jeder eingetretenen Aenderung, während der keine weitere Aenderung getroffen werden darf. Dieses Abkommen hat sich für die Arbeiter als ungünstig erwiesen, und Nachfragen bei Arbeitgebern und Arbeitern haben gezeigt, daß beide Teile geneigt sind, der gleitenden Lohnskala wiederum den Vorzug zu geben. Wird sie angenommen, so würde damit der Ausstand sofort aufhören und die Angestellten könnten zu den alten Bedingungen die Arbeit wieder auf⸗ nehmen, bis die Lohnskala in Kraft getreten ist, während die Unter nehmer, die ihren Ueberschuß an Vorräten loswerden wollten, dazu nahezu drei Wochen Zeit gehabt haben. Die Bergwerke und Eisen⸗ bahnen leiden unterdessen gewaltig unter dem Ausschlaß. Von den Webern werden täglich etwa tausens arbeitslos.

In Neapel haben, demselben Blatte jufolge, die Metall- arbeiter den allgemeinen Ausstand erklärt.

Kunst und Wissenschaft.

Der Ursprung des Schieß pulver s. Man stößt häufig auf die Annahme, daß das Schießpulver ju Kriegsjwecken zuerst 1164 von dem chinesischen Feldherrn Weisching eingeführt und 1232 von den Chinesen gegen die mongolischen Belagerer der Stadt Pienking oder Kaifungfu angewandt worden sei. Solche Ueherlieferungen sind, wie Professor Dr. Edm. von Lippmann in einem Aufsatz Chemisches bei Marco Polo‘ in der „Zeitschrist für angewandte Chemie“ ausführt, mit Vorsicht aufjunehmen, schon weil der ein⸗ schlägige. Fachausdruck Pao“ nach chinesischen Quellen ur⸗ Vrünglich nicht Feuerwaffen! bezeichnet, sondern „Maschinen jum Stein schleudern', die allerdings durch die Reibung ihrer Holiteile einen Lärm, gewaltig wie Donner, hervorbrachten . Des weiteren berichteten jene Quellen, daß man zu Beginn der Juen Dynastie Kriegs. Paos kommen ließ und deren Feuer zum ersten Male bei der Belagerung von Tsai. Tschau benutzte, doch habe sich die Kunst, sie anzufertigen, nicht erhalten und ihr Gebrauch sei daher auch spaͤter selten geblieben, sodaß man sie noch bei der Eroberung Cochinchinag 403) donnernde Paos von über natürlicher Kraft: nannte. Der Schriftfteller Niusun sowie das Buch WVerieichnis der Jahrhunderte. versichern, zur Zeit der mongolischen Dynaftie hätten einige Leute solche Paos auch gelegentlich der Be—⸗ lagerung von Slang · Jang hergestellt, und die Gestalt dieser Paos war die nämliche wie noch jetzt, nämlich die von Röhren aus Eisen oder Kupfer, deren Inneres mit einem Pulver und runden Steinchen efüllt und deren Oeffnung verschlossen war, die an einer Seite eine Zündung besaßen und mittels Feuers abgeschossen wurden“. Aber auch diese Erjählungen sind keineswegs ohne weiteres wörtlich zu nehmen, denn sie stammen zum Teil aus sehr späten, ja erst im 18. Jahrhundert gedruckten Werken und bringen offenbar An= gaben durcheinander, die ganz verschiedene Zeitalter betreffen. Be- züglich der Belagerung der sehr wichtigen gem Slang. YJang (l2b8s 73) meldet aber Polo ausdrücklich, sein Vater und sein Oheim hätten für Kublal, Khan ganz neuartige Wurfmaschinen für Steine von drei Zentner Gewicht erbaut, welche die endliche Uebergabe der Stadt herbeifübrten. Auch die „Kriegs Paos aus estasienꝰ scheinen nur zündende Geschosse geschleuxert zu haben, denn die chinesischen Annalen führen ausdrücklich an, daß Hulaga⸗Khan im Jahre 1253 von dort nach Turkestan und China tausend Leute kommen ließ, geübt in der Bedienung der Maschinen zum Schleudern von Steinen, Wurfgeschossen und brennender Naphtha, und daß man sich 1273 durch Belegen der Dächer mit Hels ftrohmatten, auf die Ton gestrichen war, gegen die Feuer⸗ pfeile und Feuerpaos der Mongolen schützte. . 50 Jahre nach Polo bedienten sich die chinesischen Schiffe noch aug. n, . brennender Naphtha gegen indische und arabische Seeraͤuber. Diesen negativen Nachrichten stehen aber auch einige merkwürdige vositive gegenüber. Als J. B. Kublai Khan 1287 wider seinen rebellischen Vetter zu Felde zog, bewirkten, wie die chinesischen Reichsannalen erzählen, zehn Soldaten die Entscheidung: sie schlichen sich Nachts in das Lager Nayaus, unerschrocken und entschlossen Feuer- waffen (pao ho phao) tragend, deren Detonationen die Feinde in so furchtbaren Schrecken setzten, daß sie sofort nach allen Seiten auseinander- liefen! Diese Angaben beweisen, daß betreff; der Urgeschichte des Schießpul vers noch vieles aufzuklären ist. Sicher bleibt aber jeden“ falls, daß Polo das Schießpulver weder kennt noch nennt und daß dessen Gebrauch, insoweit man ihn überhaupt annehmen darf, zu seiner Zeit noch sehr neu, in China nicht verbreitet, und vermutlich Zunft⸗ geheimnis war.

Literatur.

Von der in Breslau mongtlich jweimal erscheinenden Zeitschrift für allgemelne Rechtskunde Gesetz und Recht“, die dem Fach⸗ mann wie dem , Staatsbürger überhaupt ein anschaulicheg Bild deutscher Rechtgentwicklung in der Gegenwart bietet (Preis vierteljährlich 2 0), liegt jetzt das erste Heft ern zehnten Jahrgang

vor, dessen vielseitiger Inhalt zeigt, wie die Schriftleitung und ibre Mit-⸗ arbeiter es verstehen, den Ber fn fn ff, des praktischen Wirtschaftslebeng

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