1908 / 276 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 23 Nov 1908 18:00:01 GMT) scan diff

sicher ist, daß der Herr Papa die Wechsel unter allen Umständen ein⸗ löst! In demselben Verhältnis befinden sich die Einzelstaaten gegen⸗ über dem Reiche. Wenn man also auf Sparsamkeit drängen will, so ist die erste Voraussetzung, in dieser Beziehung eine Grenze zu ziehen, die nicht überschritten werden kann. Wenn ich Reichstagsabgeordneter wäre, so würde mein erftes Bestreben dahin gehen, um eine sparsame Wirtschaft zu erzielen, die Position des Staatesekretärs des Reichs⸗ schatzamts unter allen Umständen zu stärken gegenüber den anderen Ressorts. (Sehr richtig! rechts) Man hat ja die Idee vertreten, ein kollegiales Reichsministerium zu schaffen eine Idee, die, glaube ich, nicht durchführbar ist, weil sie eine grundsätzliche Aenderung der Verfassung involvieren würde. Aber der Grundgedanke, die Position des Staatssekretärs des Reicheschatzamts gegenüber seinen Kollegen zu stärken, ist absolut richtig, und diesen Grundgedanken können Sie, wle ich glaube, nur durchführen, wenn Sie ihm ein Schutz mittel gegenüber allen anderen Ressorts geben, das nicht durchlöchert werden kann. (Zurufe links) Ich habe ja auch Erfahrungen mit anderen Ressorts, genau wie mein Herr Kollege vom Reicheschatzamt, und kann nur das sagen, daß in dem Kampf mit den anderen Ressorts, soweit es sich um die meritorische Würdigung der einzelnen Forderungen handelt, der Finanz⸗ minister sehr leicht unterliegt; denn die anderen, die dauernd in den ein⸗ zelnen Materien drinstehen und sie noch besser beherrschen als die Finanz= verwaltung, sind in dieser Beziehung der Finanzverwaltung vielfach überlegen. Aber die Position der Finanzverwaltung wird unemn⸗ nehmbar, wenn sie sagen kann: „So viel Geld ist da, und mehr nicht!“ (Heiterkeit) In dieser Situation ist jetzt der Staats sekretär des Reichsschatzamts niemals; alle Ausgaben werden einfach auf Matrikularbeiträge verwiesen, und damit ist ihm der feste Rückhalt gegenüber den anderen Verwaltungen genommen.

Nun, meine Herren, wie bescheiden sind die Ansprüche der Einzel⸗ staaten in dieser Beziehung geworden! Ich erinnerte schon an die clausula Frankenstein, die in wohlwollender Fürsorge für die Einzel⸗ staaten ihnen erhebliche Beträge überwies. Dann hat man den An⸗ trag gestellt, wenigstens 40 Millionen mehr Ueberweisungen als Matrikularbeiträge den Bundesstaaten juteil werden zu lassen. Dieser erste Versuch, den Minister Miquel machte, mißlang. Der jweite wollte nur noch Ueberweisungen und Matrikularbeiträge in die Balance bringen, ohne irgend ein Plus für die Einjelstaaten zu erreichen. Auch dieser Versuch fand nicht die Zustimmung des hohen

Hauseg. Dann sind wir dazu übergegangen, uns zur Zahlung von 49 5 Matrikularbeiträgen auf den Kopf der Bevölkerung zu verstehen; und jetzt sollen diese Matrkkularbeiträge

auf 80 pro Kopf erhöht werden. Ich mache keinen Hehl daraus, daß schon das im Bundesrate sehr schwer durchzusetzen gewesen ist, und daß mit Recht eine ganze Anzahl von Staaten sich gegen diese Erhöhung gewehrt haben. Um aber dem Reichstage nach Möglichkeit entgegenjukommen, haben die Einzelstaaten zugegeben, was irgend möglich ist, baben wir uns damit einverstanden erklärt, den Satz auf 80 3 zu erhöhen. Dabei eine Bindung auf nur 5 Jahre. Der Gedanke einer dauernden Bindung, wie das früher geplant war, ist aufgegeben worden. Wir erbitten Ihre Zustimmung nur dazu, daß auf eine in Aufgaben und Einnahmen übersehbare Zeit also jetzt auf 5 Jahre eine solche Bindung eintritt. Ez würde dann für die Bundesstaaten wenigstens das erreicht werden, daß sie mit festen übersehbaren Größen für eine bestimmte Zeit rechnen; es würde für die Finanzverwaltung des Reiches der Vorteil erreicht werden, den ich eben besprach; und Sie, meine Herren, würden nach 5 Jahren wiederum vollkommen in der Lage sein, zu beschließen, was Ihnen gutdünkt. Ich habe hier auch schon einmal darauf hingewiesen, daß die Stärke des Reichstags doch nicht in der Bewilligung der Einnahmen, sondern der Ausgaben liegt, und daß bier in die Rechte des Reichstags nach keiner Richtung hin eingegriffen wird. Ich glaube: wollen Sie wirklich zu einer sparsamen Wirtschaft kommen, so ist der Weg, wie wir ihn hier vorschlagen, der richlige. Er stellt ja eigent⸗ lich nur einen Versuch dar. Nach 5 Jahren sind die Herren voll⸗ kommen in der Lage, zu tun, was Sie für richtig halten. (Heiterkeit links.)

Dann kam Herr Dr. Paasche wieder auf den Gedanken der Ver⸗ mögenssteuer. Nun, wenn dle Einzelstaaten sich so gegen den Ge⸗ danken einer Reichs vermögenssteuer oder Reichs einkommensteuer sträuben, so tun sie es wahrlich nicht aus Eigensinn, sondern nur in dem Be⸗ wußtsein, daß ihre eigenen dringenden Kulturaufgaben Schaden leiden müssen, wenn ihnen diese Quellen entzogen oder wesentlich verkümmert werden. Ich erwähnte schon eben die Finanzlage, wie sie sich in diesem und noch ungünstiger voraussichtlich im nächsten Jahre in Preußen gestalten wird. Aber lassen Sie mich einmal kurz einen Blick etwas welter jurück auf die Gestaltung in den letzten 10 Jahren werfen! Die eigentlichen Staats verwaltungsaut gaben also nicht die Aus- gaben der Betriebaverwaltungen, namentlich der Elsenbahnen sondern nur die eigentlichen Verwaltungs ausgaben sind in Preußen in der 10 jährigen Periode von 1898 bis 1908 von 447 auf 687 Millionen gewachsen, also um 240 Millionen in dieser 10 jährigen Periode, jährlich um 24 Millionen Mark. Sie haben sich also in dieser 10 jährigen Periode um mehr als 50 0/0 erböht. Ist nun irgendwie anzunehmen, daß dieser Steigerung der Ausgaben ein Halt geboten werden kann? Ist irgendwie anzunehmen, daß nicht auch künftig auch an die Staaten weltgehende und berechtigte An= forderungen werden gestellt werden? Das ist absolut nicht anzunehmen; denn erfreullcherweise ist auf allen Gebieten wirltschaftlichen und kulturellen Lebens eine lebhafte Entwicklung vorhanden, und diese Ent⸗ wicklung führt immer zu steigenden Anforderungen an den Staat. Können wir diesen Anforderungen nicht mehr entsprechen, so würden gerade die kulturellen Güter, auf deren Förderung Sie doch auch von allen Seiten den größten Wert legen, den schwersten Schaden leiden. Unter diesen Steigerungen der Staatsausgaben spielt die größte Rolle die Steigerung der Ausgaben des Kultusministeriums, namentlich des Elementarunterrichtß. Die Ausgaben des Kultusministeriums sind von 130 auf 195 Millionen in dieser Periode gestiegen, haben sich also um 50 erhöht, darunter ingbesondere das Glementarunterrichtswesen von 80 auf 120 Millionen also eine Steigerung um 40 Millionen, gleich 5 oso. Nun wissen Sie alle, meine Herren, wie gerade auf diesem kulturellen Gebiete, insbesondete auf dem des Elementarunterrichts⸗ wesens, uns noch die größten Aufgaben bevorstehen, wie wir bemüht sind, durch enorme Mittel für Präparandenanstalten und Seminare dem Schullehrermangel abjuhelfen, wie wir jetzt mit sehr großem Auf⸗ wand die Gebälter der Lehrer aufbessern, wie wir bestrebt sein müssen, die Zabl der überfüllten Schulklassen herabzusetzen, wie die Reform des Mädchenschulbildungswesens erhebliche Mehranforderungrn stellt.

Das ist nur eine geringe Anzahl von allen den Gebieten, auf denen weitere Aufgaben den Einzelstaaten bevorstehen.

Ich würde Sle ermüden, wenn ich diese Parallelen durch alle Ver⸗ waltungen fortführen wollte. Aber eins möchte ich erwähnen: beispiels⸗ weise das Handelsministerium. Im Handels ministerium haben sich die Auf⸗ wendungen von 8, 9 Millionen auf 17,9 Millionen gesteigert, in dieser Periode also um 1000,‚9. Auch hier wiederum Bedürfnisse der allgemeinen Bildung, der Kultur, namentlich steigende Aufwendungen für den Fortbildungsschulunterricht, fteigende Aufwendungen für die ganze technische Ausbildung der Jugend unserer Nation, Aufgaben, die, glaube ich, voll Ihrem Sinne entsprechen. Ebenso sind die Aufwendungen auf dem Gebiete der Landwirtschaft um nicht weniger als 800 / in dieser Zeit erhöht worden; ich brauche nur an all die Bedürfnisse zu erinnern, die auf diesem Gebiete liegen: an die Flußregulierungen, an die Seß⸗ haftmachung der Arbeiter, an die Durchführung der Kolonisation, die Forderungen der Landeskultur auf allen Gebieten, um klar zu machen, wie große Aufgaben hier noch bevorstehen. Es kann nicht ausbleiben, daß, wenn wir den Enzelstaaten das Gebiet der direkten Steuern wesentlich beschneiden, diese Aufgaben der verschiedensten Kulturarten den schwersten Schaden leiden müfsen. Und das kann doch nicht die Absicht sein, zwar die Lasten des Reichs zu vermindern, aber darum die Lasten der Einzelstaaten zu erhöhen. Gesundung des Gesamtorganismus, des Reichs, wenn die einzelnen Glieder, die Bundesstaaten, um so stärker von der Krankheit befallen werden.

Meine Herren, Herr Geheime Rat Witting, soviel ich weiß, ein Parseigenosse des Herrn Dr. Paasche, hat vor einiger Zeit in Hamburg einen sehr interessanten Vortrag über diese Sache gehalten und sich, was die Deckungsfrage betrifft, mit großem Nachdruck gegen direkte Reichssteuern und für die erweiterte Nachlaßsteuer ausgesprochen.

Nicht recht erklärlich sei die programmatische liberale Schwãrmerei für direkte Reichssteuern. Träger aller Kultur, aller Wohlfahrts⸗ aufgaben sind doch die Einzelstaaten, nicht das nur Machtziele ver—⸗ folgende Reich; diese ihre Aufgaben erfüllen die Einzelstaaten mit Hilfe der direkten Steuern. Mit Recht fordert der Liberalismus intensibere Kultur für den Einzelnen; denn Deutschland, dessen Hauptreichtum seine Menschen sind, kann groß nur bleiben, wenn es intensivste Personenkultur treibt und jeden seiner Bürger vorwärts bringt. Müssen und werden nicht aber diese Kultur und Wohl⸗ fahrtsaufgaben leiden, wenn das Reich die Hand auf die direrten Steuern legt? Und wo bleibt bei diesen unitarischen Steuer⸗ bestrebungen das föderalistische Sonderdasein der Staaten, die unsern Ruf und unsere Größe ausmachen?

Auch Professor Laband hat in seinem vorzüglichen Essay über direkte Steuern sich ganz in ähnlichem Sinne ausgesprochen, daß, wenn den Einzelstaaten die direkten Steuern genommen oder wesentlich be⸗ schnitten werden, die notwendige Folge eine Verkümmerung der großen kulturellen Aufgaben, denen sie zu dienen verpflichtet seien, sein wird.

Meine Herren, über die lechnische Unmöglichkeit, eine Reicht ver⸗ mögenssteuer neben den Steuern der Einzelstaaten zu erheben, habe ich mich hier wiederholt ausgelassen; ich glaube, ich wärde Sie er⸗ müden, wenn ich das noch einmal tun wollte. Eine Reichssteuer neben den Landesstenern muß zu fortwährenden Friktionen führen; entweder müßten also die Reichzsteuern auf die vollkommen ungleich⸗ artigen Landessteuern aufgepfropft oder die Landessteuern beseitigt und eine Reichssteuer eingeführt werden, und damit würde der Selb⸗ ständigkeit der Einjelstaaten in finanzieller Beziehung der schwerste Eintrag geschehen. (Sehr richtig! rechts.)

Aber ferner, meine Herren, was Herr Dr. Paasche vielleicht bei seinen Anregungen nicht in dem Maße berücksichtigt hat, ist, daß der Druck der direkten Staatssteuern noch gar nicht allein ent⸗ scheidend ist, sondern daß viel stärker der Druck ist, den die Kommunalsteuern ausüben. (Sehr richtig! rechts). Meine Herren, man kann nicht die direkten Steuern, wie den Turmbau zu Babel, für Reich und Einzelstaaten aufführen, sonst brechen die Fundamente dieses ganzen Baues zusammen. In dieser Beziehung existiert ja leider keine umfassende Statistik der Kommunalverschuldung bei uns. Aber, meine Herren, es ist doch sehr interessant, wenigstens die Verschuldung der Städte kennen zu lernen. Stadt Berlin haben sich in den Städten der Monarchie Preußen die Finanibedürfnisse von 187 Millionen im Jahre 1895 auf 378 Millionen im Jahre 1905 erhöht (hört, hört! rechts), also in den jehn Jahren verdoppelt. Und während wir das Glück hatten, in dem Jahie 1895 noch 467 Städte zu haben, die nicht mehr als 100 Einkommensteuerzuschläge erboben, sank die Zahl dieser Städte im Jahre 1905 auf 272; und während wir im Jahre 1895 noch 383 Städte hatten, die 100 bis 150 Zuschläge erhoben, sank die Zahl auf 362. Dagegen in welcher Weise ist die Zahl der Städte gestiegen, die mehr als 150, ja mehr als 200 υaς Kommuralsteuer⸗ zuschläge erheben? 1895 hatten wir 192 Staädte, die 150 bis 200 060 Einkommensteuerzuschläge erhoben, und diese Zabl stieg im Jahre 1906 auf 354. Und während 1895 nur 100 Städte vorhanden waren, die

mehr als 200 0/0 Zuschläge jur Einkommensteuer einzogen, stieg diese.

Zahl im Jahre 1905 auf 189, hat sich also in diesem zehnjährigen Zeitraum fast verdoppelt.

Noch bedenklicher, meine Herren, als die Steigerung der Zuschläge zu der Staats einkommensteuer ist die Steigerung der Zuschläge zu den Realsteuern. An Gemeinderealsteuern ich will nur wenige Daten anführen, um Sie nicht zu ermüden, wurde im Jahre 1895 in nur 44 Städten ein Zaschlag von mehr als 200 ½υ erhoben, und diese Ziffer stieg im Jahre 1805 auf 221. (Hört, hört! rechts.) Also während im Jahre 18985 44 Städte den exorbitant bohen Zu— schlag von über 200 0,½ zu den Realsteuern hatten, ist diese Ziffer auf 221 gestiegen, hat sich also in den zehn Jahren verfünffacht! (Hört, hört! rechts) Eine sehr ernste Erscheinung, meine Herren, die auch, wie ich meine, die größte Vorsicht gebieter, wenn es sich darum han⸗ delt, die Steuern nun auch für dag Reich anzuspaunnen!

Und, meine Herren, wenn Sie sich überlegen: für welche Zwecke ist denn diese enorme Belastunß der Städte von ihnen aufgenommen worden? so muß man unzweifelhaft zu dem Resultat kommen, daß diese Aufwendungen der Städte ganz über⸗ wiegend den minderbemittelten Klassen zugute gekommen sind. Die Städte haben ja eine glänzende Tätigkeit in den letzten Jahren und Jahrzehnten entfaltet, sie haben auf dem Gebiete des Armenwesent, namentlich des Volksschulwesens, durch sanitäre Einrichtungen aller Art, Wasserleitung, Kanalisation u. dgl. außerordentliche Verbesse⸗

Das bedeutet nicht eine F arbeitenden Klassen gab, als eine

Abgesehen von der

völkerung zugute kommen. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Nun hörtz auf) Dessen kann man sich nur freuen. Aber um so mehr muß man auch Halt machen vor einer Entwicklung, die die Gemeinden ver. hindern würde, in der bisherigen Weise für das Wohl ihrer minder. bemittelten Krelse zu sorgen. Meine Herren, ich hoffe, wir werden unz mit dem Herrn Dr. Paasche in der Kommission über diesen Punkt noch verständigen; denn darin stimme ich auch ihm ganz bei, daß diese Re-

sprechend zu den großen Lasten herangezogen werden, aber ich meine, nicht nur Besitz und Vermögen allein, sondern es ist un— vermeidlich, auch die Genußmittel in dem Maße tributär zu machen, wie das in der Vorlage vorgeseben ist.

In dieser Beziehung ist namentlich seitens des Herrn Abg. Geyer Sturm gegen die Vorlage gelaufen worden. Ich will auf die Frage der Belastung mit indirekten Steuern hier nicht näher eingehen. Ez ist von verschiedenen Rednern umweifelhaft dargetan worden, daß die steuerlichs‘ Belastung mit indirekten Steuern bei uns auch im Falle der Verabschledung der Vorlage noch eine viel geringere ist als in anderen großen Kulturstaaten. Aber worauf hinzu. weisen ich mich für verpflichtet halte, das ist, daß die Schilderung, die der Herr Abg. Geyer von der Situation der jutreffende nicht angesehen

werden kann, und ich balte es für wichtig, diese Behauptungen, die er aufgestellt hat, nicht unwidersprochen ins Land hinausgehen zu lassen. Er stellte es so dar, als ob die Lebenslage der Arbester so ungünstig sei, daß sie nicht die gerlngste Mehrbelastung für die Zwede des Reichs ertragen könnten. Meine Herren, demgegenüber möchte ich nur feststellen, daß sich die Zahl der kleineren Zensiten, also der Zensiten zwischen 800 und 30600 M in Preußen in der allererftenlichsten Weise entwickelt hat. Wir hatten im Jahre 1395 insgesamt eine Bevölkerung von rund 8 Millionen oder 265 9ͤυ der Bevölkerung, die in diese Kategorie der Einkommeasteuerpflichtigen hineingehörten, und die se Zahl hat sich im Jahre 1907 auf 14 Millionen erhöht. (Hört! hört! „echte.) Von 1895 bis 1907 ist also ein Personenkteis von nicht weniger alz 7 Millionen in Lohn, und Gehaltgverhältnisse hineingekommen, die die Heranziehung zur Steuer möglich machen. (Zuruf von den Sozal⸗ demokraten: Sie sind hineingezogen worden! Nein, verzeihen Sie, Herr Südekum, diese Maßtegel lag später! Sie hat naturgemäß auch mitgewirkt, aber sie lag später. Die Hauptsache ist und das ist ja eine sehr erfreuliche Entwicklung (sehr richlig! rechts), die die Herren nicht bestreiten follten —, daß immer wieder aus den handarbeitenden Kreisen Leute sich so in ihren Verbältnissen verbessern, daß sie in den Kreis der steuerpflichtigen Bevölkerung eintreten. Daz ist eine höchst gesunde und erfreuliche Entwicklung, die auch Sie nur begrüßen können. Ich führe es aber an als Beweis gegen die Behauptung des Herrn Abg. Geyer, daß die Lage dieser Kreise so ungünstig sei, wie er es geschildert bat.

Sehr wichtig, meine Herren, ist: das Einkommen dieser Zensiten unter 3000 FS betrug im Jahre 1893 rund 3 Milliarden und ist im Jahre 1907 auf 63 Milliarden gestiegen (hört, hört! rechts), doch in der Tat eine Steigerung von 3 auf 6 Milliarden, ein Zeichen der aufsteigenden Lebenshaltung auch der unteren Klassen.

Und wenn Sie die Statistik der Unfallberufegenossenschaften zur Hand nehmen, so ergibt sich, daß der Durchschnittelohn im Jahre 1893 651 6 betrug, im Jahre 1808 894 S6, sodaß er sich also um rund 3790 in dieser Periode gesteigert hat. Meine Herren, diese Er⸗ mittlungen darf ich umsomehr für richtig halten, als auch der der sozialdemokratischen Partei angehörende Herr Calwer in seinen Ver⸗ öffentlichungen zu ungefähr demselben Resultat gekommen ist. Er bat auch eine Steigerung des Lohns in den letzten zehn Jahren um 380 angenommen gegenüber einer Steigerung der Kosten der Lebenshaltung von 25 0ͤ, sodaß noch ein erhebliches Plus auf seiten der Arbeiter verbleibt.

Auf die Steigerung der Sparkasseneinlagen will ich hier nicht eingehen. Aber wie in allen Dingen, so, meine ich, ist die Selbst⸗ elaschätzung von größtem Werte. Gewöhnlich schätzt man sich nicht zu hoch ein, aber manchmal zu niedrig, und nun wollen wir mal sehen, wie die Sojialdemokratie selber die Leistungsfähigkeit des deutschen Arbeiters eingeschätzt hat. Die Einnahmen der gewerkschast⸗ lichen Zentralperbände sozialdemokratischer Richtung betrugen im Jahre 1893 2246 000 1½, im Jahre 1904 20 Millionen (hört! hört! rechte), im Jahre 1906 41 Millionen und im Jahre 1907 51 Millionen. (Hört! hört! rechts.) Die sonialdemokratischen Gewerkschaften nehmen also von ihren Mitgliedern im Jahre sage und schreibe 51 Millionen. Damit ist aber die Leistung für die Sozialdemokratie noch nicht er⸗ schöpft, denn nun kommen die Zahlungen zur sojaldemokratischen Parteikasse dazu, dle vom August 1907 bis jum 30. Juli 19068 S852 000 S betragen haben, und endlich die Einnahmen der örtlichen Organisationen. Auf dem Närnberzer Parteitage lagen Veroffent⸗ lichungen aus 277 Wahlkceisen vor, wonach der Wochenbeitrag meist 30 * betrug; das macht 15 S6 im Jabre.

Also, meine Herren, zunächst 51 Millionen, macht bei 1865000 Mitgliedern 27 auf den Kopf an die Gewerkschaften, dann diese 15 4 an die sonaldemokralischen Organisationen, macht jusammen 42 S6 im Jahre auf den Kopf des Arbeiters. (Hört! hört! rechts.) Meine Herren, wir wollen an indirekten Steuern erheben 100 Millionen mehr aus der Brausteuer, 100 Millionen mehr aus dem Branntwein, etwa 77 Millionen aus dem Tabak, macht zusammen 277 Millionen. Dividieren Sie das durch eine Bevölkerungsziffer von 62 Millionen, so macht es 45 M auf den Kopf der Bevölkerung. Wenn Sle es für zulässig erachten, meine Herren, von Ihren Arkeitern 42 M pro Kopf jährlich zu erheben, dann können Sie es nicht für ungerecht halten, wenn jum Wohl des Reichs ein Mehr von 45 (6 auf den Kopf erhoben werden sollen. (Sehr richtig! rechts. Unruhe und leb- hafte Zurufe bei den Sozialdemokraten.)

Meine Herren, die Erhaltung des Friedens durch die Jahrzehnte, der Schutz unserer nationalen Arbeit in Landwirtschaft und Industrie ist doch wesentlich auch den Arbeiterkreisen jugute gekommen, und wenn wir nicht diesen Schutz unserer nationalen Arbeit vorgenommen

hätten, so hätte ich einmal sehen mögen, wo diese bohen Lohnsätze hergekommen wären, deren sich die Arbeiter zu unser aller Freude gegenwartig erfreuen. Ist aber das Wohl der Arbeiter wesentlich ge⸗ stiegen unter dem Schutz des Deutschen Reichs, so ist es nur eine blllige Forderung, daß sie von den Genußmitteln auch ihrerselts einen Beitrag zahlen, um des Reichs Entwicklung für die Zukunst zu der bürgen. (Lebhafter Beifall rechts. Unruhe bei den Sonal⸗

rungen erzielt, die gerade den minderbemittelten Kreisen der Be⸗

demok raten.)

form nicht möglich ist, ohne daß auch Besitz und Vermögen ent. .

Abg. Dr. von Dziem bowski⸗ Pom ian (pole): Man empfiehlt uns jetzt Sparsamkeif, und dabei hai man in den letzten . en men mit den Ausgaben geradezu verschwenderisch gewirtschaftet und sieht auch jetzt eine große. Menge neuer Ausgaben vor! Und nicht dauernd, sondern nur für 5 Jahre sollen die Finanjen des Reiches geordnet werden! In den Jahren 1904 bis 1909 find die Ausgaben um 620 Millionen jährlich gestiegen; bis 1915 wird die Steigerung entsprechend etwa eine Milliarde betragen, also mit 500 Millionen nur zur Hälfte zu decken sein. Vouvier bat den wieisen Grundsatz aufgestellt, daß es kein Land in der Welt gibt, so reich, daß es ein starkes Heer, eine starke Flott? und einen starken Arbeiterschutz bezahlen könne. Gehen die Dinge so welter wie bisher, so müssen wir entweder ju einer Einschränkung der Aus⸗ aben für Heer und Flotte kommen, oder das Reich geht wirt⸗ chaftlich zu Grunde. Ein Staatsmann darf nicht nur auf 5 Jahre, er muß auf 10 und 20 Jahre voraussehen können. Auch der Reichs kanzler pries uns das Allheilmittel der Sparsamkeit an. Hat er die Motive der Vorlage gelesen? Dann müßte er überzeugt worden sein, daß die Sparsamkeit an sich keineswegs geeignet ist, die Finanzen des Reiches wirksgm zu sanieren. So sehr wir ung also dieses Geistes der Sparsamkeit freuen, der in die Verwaltung kommen soll, fo ist es doch damit allein nicht getan. Der Reichskanzler will auch die Vorlage von großen nationalen Gesichtspunkten aus be trachtet wissen; jetzt müßte man für“ den Bau des Veiches die Hrpotheken und die Baurechnung bezahlen? Begen diese Baurechnung kann das Volk die berechtigt? Einrede er. heben, daß der Bau nicht so vollendet worden sst, wie es geschehen sollte; die Rãume für das Volk sind klein und dumpf geraten, sie find nicht wohnlich, das Volk fühlt sich darin nicht wohl. Wir haben kein Vertrauen zu einer Regierung, welche die Forderung eines ge⸗ rechten Wahlrechtes ablehnt als nicht im Interesse des Staates liegende zu einer. Regierung, welche die naälionalen und Fonlalen Unterschiede verschärft, stait sie aufzuheben, zu einer Regierung, die nach dem Grundsatz verfährt Etat Cest moi, die das freie Wort nicht genügend g: währleistet, die gesetzliche Maß⸗ regeln durchfetzt, durch die einem Teil der Reichsan ehörigen das Recht genommen wird, sich zu versammeln und ihre einung aus⸗

jusprechen, die durchsetzt, daß Reichsangehörigen der Bau auf dem eigznen Grund ünd Boden verboten wird. Aug allen diesen Sründen lehnen wir die Zustimmung zu den Vorlagen

ab. Wir treiben aber niemals eine unfruchtbare DOpposition; sollte der Reich: tag also Kommissions beratung beschließen, 7 6 wir dort gern mitarbeiten.

ierauf wird um 33, Uhr die Fortsetzung der Beratung

auf Montag 1 Uhr vertagt.

Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

9. Sitzung vom 21. November 1968, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Das Haus setzt die Besprechung der Interpellation des Zentrums, betreffend das Gruben ungiuck auf der Zeche Radbod bei Hamm, fort.

Minister für Handel und Gewerbe Delbrück:

Meine Herren! Ich habe gestern den Herrn Abg. Leinert auf⸗ gefordert, mir diejenigen Zeugen namhaft zu machen, die bereit sein würden, seine hier aufgestellten Behauptungen vor dem Richter eidlich zu erhärten. Der Herr Abg. Leinert hat mir darauf in seinem Schluß⸗ wort, wenn ich ihn richtig verstanden habe, erwidert, er sei bereit, die Zeugen zu benennen, wenn ich eire Garantie dafür übernãhme, daß sie nicht auf die sogenannte schwarze Liste kämen. Meine Herren, der Herr Abg. Leineit wird sehr wohl wissen, daß ich eine derartige Garantie nicht übernehmen kann, weil es völlig außer meiner Macht liegen würde, die Beteiligten dazu anzuhalten, diesem meinem Ver— sprechen zu entsprechen. (Sehr richtig) Ich bin aber bereit, diejenigen Bergleute, die mir der Herr Abg. Leinert unter Angabe der in ihr Wissen gestellten Behauptungen namhaft machen wird, soweit sie es wünschen, auf den fiskalischen Werken im Ruhrrevier anzulegen (Braro!) und will auch Vorsorge treffen, daß ihnen dann aus Anlaß ihrer wie auch immer lautenden Aussagen in der schwebenden Untersuchung nickt gekündigt wird. (Lebhafter Beifall) Meine Herren, ich hoffe, Sie werden daraus entnehmen, wie ernst es mir mit Ermittlung der Wahrheit in dieser schweren Angelegenheit ist. (ELebhaftes Bravo)

Dann, meine Herren, möchte ich noch einige kurze Bemerkungen im Anschluß an meine gestrigen Ausführungen machen. Ich habe bei der Durchsicht der Presse heute morgen und auch bei den Aus füh⸗ tungen eines Teils der Herren Redner, die gestern nach mir ge⸗ sptochen baben, den Eindruck gehabt, als wenn es mir nicht gelungen wäre, den Gedankengang des zweiten Teils meiner Ausführungen Ihnen in der mir wünschenswerten Klarheit vorzuführen, und ich habe namentlich den Eindruck, daß der letzte Teil des zwelten Teils meiner Ausführungen über die im Interesse einer Beteiligung der Arbeiter beim Arbeiterschutz zu ergreifenden Maßnahmen auch wohl bei der keit weil ig herischenden Unruhe im Hause hier und auf den Tribünen nicht vollßtändig verstanden sind. Ich bitte, mir zu gestatter, mit wenigen Sätzen das zu rekapitulieren, was ich gestern Ihnen auseinanderzusetzen die Alsicht gehabt babe. Ich glaube, Sie hierum umsomehr bitten zu dürfen, als das Steno gramm meiner Rede ja wohl vor morgen schwerlich in die Deffent⸗ keit kommt und ich Wert darauf legen muß, daß über das, was ich gestern ausgeführt habe, keine Mißverstandnifse aufkommen. Der n meiner gestrigen Ausführungen, meine Herren, war der olgende.

Ich babe die Frage aufgeworfen: warum siad wir nicht in der ige die Unglücksfälle in den Bergwerken ich verstehe darunter die Na senunglũcks falle ebenso sehr wie die Unfälle einzelner ju be⸗ schtãnken, trotz der Tätigkeit der Bergbehörden, trotz des Bestrebens

Zechen verwaltungen, sobiel Unfallverhütunggeinrihtungen wie möglich ju treffen, trotãz des Intereffeg, das Zechenderwaltungen und Bergleute an einer gewissenhaften Beobachtung der Uafallverhütungs⸗ vorschriften haben? Ich habe darauf ausgeführt, daß es außerordent⸗ lich schwer ist, mit Rücicht auf die besonderen Giger tümlichteiten der Bergwerlebetriebe, diese dauernd und erfolgreich zu kontrollieren, und

öh habe ausgeführt, daß ein Heer, von Revierbeamten und Einfahrern niemals in die Lage kommen wird, übersichtlich und klar unterrichtet sein über das, was an jedem einjelnen Tage sich n einem Bergwerk und an seinen einzelnen Betriebspunkten eignet. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Ich habe daraus die Folgerung gejogen, daß jede Einrichtung, die . ausgebt, die Kontrolle der Gruben zu basteren auf veriodische wee . durch Polizeibeamte, uns niemals zum Ziele führen wird, un 3 habe daraus die Konsequenz gejogen, daß Arbeiterkontrolleure, von un verlangt werden, wie sie in anderen Ländern sich

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finden, die ähnlich wie Polizeibeamte, nur veriodisch und in gewissen Zwischenräumen, die Grube befahren, ebensowenig wie unsere Pol ei- beamten in der Lage sein werden, dag von unt allen gewünschte Jlel ju erreichen. Ich habe dann gesagt, ich kann mir aus diesem Grunde don den Arbeiterkontrolleuren, so wie sie jetzt hon unz verlangt werden, keine erfolgyerheißende Tätigkeit versprechen und kann sie infolgedessen, abgesehen von den wiederholt hier besprochenen grundsãzlichen Be⸗ denken, nicht empfehlen. Aber ich habe mich nicht auf die Negative beschränkt, wie das heute fast in samtlichen Parlamentsberichten von gestern iu lesen ist, sondern ich babe darauf aufmerksam gemacht, daß die Einrichtung auf den fizkallschen Scuben an der Saar uns nach meiner Ueberjeugung ein Vorbild für eine eventuelle gesetz liche Regelung dieser Angelegenheit gebe. Ich habe an der Hand meiner Erfahrungen, die dort und im Ruhrrevier gemacht worden sind, darauf hingewiesen, daß diese Ginrichtung funktioniert, und daß gerade diese Einrichtung die Mißstände beseitigen würde, die jeder periodlschen polizeilichen Revision, von wem sie auch auzgehen möge, anhaften. Ich habe darauf hingewiesen, daß ich mir die zu ergrelsenden Maß⸗ nahmen so dächte, daß man die Arbelterausschüse nach dem fiskallschen Vorbilde dahin ausbaut, daß etwa jede Steigerabteilung in geheimer, direkter Wahl, wie sie ja jetzt schon für die Ausschüss- besteht, aus ihrer Mitte ein Mitglied des Ausschusses schickt, und daß dann ferner diese Mitglieder des Ausschusses das Recht haben sollen, die Baue ihrer Steigerabtellung zu bestinmten Terminen, et wa an einem Ta e in jedem Monat, den sie zu bestimmen haben wärden, in Gegenwart eines Beamten zu befahren, daß diese Vertrauensleute die Ergebnisse ihrer Befahrung in ein Befahrungsbuch einzutragen hätten, das der Werksverwaltung und eventuell der Revlerpoltzei zugänglich zu machen sein wärde. Es ist daz nach meiner Auffassung eine wirksame re Be⸗ teiligung der Arbeiter an der Bekämpfung der Unglückzfälle, als sie je das Jastitut der Arbelterkontrolleure bleten kann, wall die be— treffenden Vertrauensleute verantwortlich sind fär einen bestim mten, ihnen genau bekannten, von ihnen täglich gesehenen Teil der Geube. (Sehr richtig! rechts und bei den Natlonalliberalen Ich habe die Ueberzeugung, daß diese Einrichtung, die außerdem den Vertrauens— mann der Arbeiter in steler Fühlung mit der Weresleitaag hält, tat- sächlich zu erfolgrei hem und ersprießlichem Arbeiten führen wird.

Daz, meine Herren, habe ich zur Vermeidung von Mißvderständ⸗ nissen hier noch einmal ausdrücklich feststellen wollen. (Brabo! rechts)

Inzwischen ist ein Initiativantrag der Abgg. Krause⸗ Waldenburg, Freiherr von Zedlitz und Neu kirch (frkons) u. Gen. eingegangen, wonach noch in dieser Session eine Novelle zum Berggeseß eingebracht werden soll, um die Verantwortlichkeit der Bekriebsbeamten schärfer abzugrenzen und die Verantwortlichkeit der Werksbesitzer und . Ver⸗ treter zu regeln, sowie den Arheiterausschüssen die Befugnis zu geben, die Grubenbaue zu befahren und bei der Kontrolle mitzuwirken.

Abg. Korfant vy (Pole) erklärt, angesichts des tiesbetrübenden Unglücks habe das gestrige Gezänk der Parte en einen traurigen Eindruck auf ihn gemacht. (Präsident von Kröcher weist den Ausdruck Gezänk als unangemessen zurück) Seine Fraktion lege Wert darauf, daß vor allem die berelts bestehenden Vorschriften zur Sicherheit des Bergwerks⸗ betriebes korrekt durchgeführt würden. Arbeiterentlassungen kãmen auch auf den fiskalischen Gruben wegen Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie por; das sei unklug, denn es biete nur weiteren Stoff zur Agitation. (Der Redner wird vom Präsidenten ersucht, nicht zu weit vom Thema abzuschweifen; er verwahrt sich dagegen, der Präsident erwidert: Ich werde Sie so lange schon reden lassen, als es an? gängig ist.. Zum Schluß führt der Redner aus, wie trotz der salbungs vollen Worte, die Abg. Dr. Friedberg über die soꝛiale Für⸗ sorge gebraucht habe, es gerade die Nationalliberalen seien, die am meisten die Ausgaben für Sicherheitsvorrichtungen als drückend

hinstellten.

Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vgg): Das Gericht wird zu ent— scheiden haben, ob bei dem Grubenunglück Verfehlungen vorliegen, einstweilen steht Behauptung gegen Behauptung. Bestimmte Be— schuldigungen erheben, wie es Abg. Leinert gestern getan hat, kann der nicht, der noch einen Sinn für Sbjektidität besitzt. Der heutige, Vorwärts“ z. B. nennt es freche Heuchelei“, wenn die Bergverwaltung ein Bedauern ausspreche. Gbenfo wird gesagt, ß an dem Berggewinn das Blut der Arbeiter klebe. Der

J. Leinert sagte, die Goldgrube von Radbod sei in Ine Totengrube verwandelt worden; sie war aber keineswegs eine Gold⸗ grube und wird jetzt viele Zuschüsse erfordern. Die Schuldfrage können wir hier nicht entscheiden, aber wir müssen im Interesse der Sicherheit des Betriebes und der Erhaltung wiitschafflichet Berte gesesliche Schranken errichten. Das Geseg von 1965 ift fehr weit binter seinem Ziele zurückgeblieben; es hat z. B. den fanitären Arbeitstag nicht gebracht. Die Reickagesetzgebung hat ja in dieser Richtung schon vorgearbeitei. Zunächst berlangen wir eine Be— teiligung der Arbeiter an der Werkskontrolle. Die Kontrolle nur an einem Tage im Monat, wie der Herr Minister sie vorgeschlagen hat, gut allerdings nicht. Ich wünsche aber auch nicht, daß diese Ertrauensleute der Arbeiter etwa der Bestätigun durch das Oberbergamt bedürfen. Es müssen vielmehr? Vertrauens leute sein, die in freier direkter Wahl nur von den Arbeitern felbst ewäblt werden. Vie Arbeiter seben die Mißstände in den Gruben effer, als die Revierbeamten, weil sie die Schäden am (igenen Leibe verspüren. Diese Vertrauensleute sollen nicht anordnen, aber Anregungen und Vorschläge machen. Man lege ein Stück der großen Verantwortung auf die Arbeiter selbst, dann kann man sich gegen Vorwürfe damit verteidigen, daß alles geschehen sei, was gesch hen konnte. Nach dem Gesetz von 1305 kann ja guch der Arbeiteraus schuß bereits Anstände zur Käenntnis des Werksbesitzers bringen. Die Ge setzs in Bavern, England, Frankreich baben beachtenswerte vorbildliche Bestimmungen über die Grubenkontrolle. Wichrig ist gerade ein besseres Verbältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern; an der Ruhr und noch mehr an der Saar herrscht ein Kriegszustand zwischen ihnen. Dabei ist ein sicherer Betrieb der Grube nicht möglich; überall hört man jetzt den Ruf nach Stetigkeit, auch im Bergbau brauchen wir stetige Verhältnisse. Statt Kontraktbruchs und schwarzer Listen müssen beide Teile Entgegenkommen und Verhandlunggwilligkeit zeigen. Das Ausland hat uns in dan kengwerter Weise fein Pöst—˖ gefübl geieigt. Was uns vassiert ist, kann auch dem! Ausland Fassieren; wir bedürfen deshalb einer internationalen Sozialpoistit. Dem wird am besten vorgearbeitet, wenn jedes Land junächst feine er, . verbessert. Mögen dazu auch die heutigen Debatten itragen.

Abg. Leinert (Soz): Ich habe das Wort nur erhalten, um auf die Erklärungen des Handelsministers antworten zu können. Ich hoffe, daß der Handelsminister seiner Zusage, die von mir zu Te' nennenden Zeugen auf den fiskalischen Gruben anzustellen und ihnen nicht zu kündigen, auch noch weiter die Zusicherung hinzufügen wird, daß sie dort zu denselben Lohnbedingungen ahgestellt und auch nicht geschurigelt werden. Ich erkläre dann, daß ich dem Herrn Handels minister die beugen noch während der heutigen Sitzung nennen werde; ich habe bereits gestern telegraphisch die nötigen Schritte daju eingelestet. Damit glaube ich die unerhörten Angriffe auf meine Person, daß ich beweiglose Behauptungen aufgestesft hãtte, entkräftet zu haben, und nehme an, daß diese mit dem Ausdruck bes Bedauerng jurückgenommen werden. Ich zweifle nicht an der Ehren baftigkeit der anderen Herren, bitte aber auch, daß die Ehrenhaftig⸗˖

berechnet worden.

Abg. Bru st (Zentr.): Die Beantwortung der Interpellation dur

den Minister hat meine Freunde vorbehaltlich weiterer e e vorläufig befriedigt. Der Minister hat ung versprochen, nach W n der ganzen Untersuchung ung umfassende Mitteilungen zu machen u etwaige Schul dige mit fester Hand anzugreifen. Nach den bisherigen Feststellungen ist es eine Schlagwetter⸗ und Kohlenstauberplofion ge⸗ wesen. Nach den Bestimmungen im Oberbergamtabenirf Dortmnd sind die Grubenverwaltungen zur Kontroll. ber Schlagwetter ver⸗ pflichtet, den abziehenden Wetterstrom vierteljãhrlich auf seinen Gasgehalt analysieren zu lassen und das Ergebnis in ein Wetterbuch einzutragen. Eine Bestimmung darüber, wer diese Analyse, die doch theoretische Fachkenntnisst und praktische Er⸗ fahrungen erfordert, auszuführen hat, besteht nicht. Ein Teil der Zechen läßt die Analpse im Laboratorlum in Bochum vornehmen, ein großer Teil der Zechen soll sie aber durch eigene Angeftellte ausüben, lassen. Gin biertelsährliche Analyfe ist etwaz wenig, namentlich für die tiefen Schachtanlagen, in denen erfahrungsmãßig mehr Wetter vorhanden sind. Dann scheint mir die eigene Analhse durch die Zechen selbst ein Mißstand zu sein, der große Gefahr bedeutet, zumal wenn die Analyje von Beamten gemacht wird, die nur einige Zeit in der Bergschule in der Ausführung der Analyse ausgebildet sind. Und selbst wenn gelernte Chemiker die Analyse auf den Werken selbst ausführen, so ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß die Analyse, um Schwierigkeiten mit der Bergbehörde zu, vermeiden, nicht mit der erforderlichen Objektivität und Unparteilichkeit ausgeführt wird, so daß die Bergbehörde über die wirklichen Wetterverbaͤltnisse getäuscht werden kann. Es besteben im Ruhrrevier außer in Bochum noch einige Untersuchungs⸗ anstalten, die sich mit der Untersuchung van Grubenwettern befassen, und deren Leiter von den Handelskammern und Gerichten bereidet und angestellt werden. Wir freuen uns, daß der Minifter entgegen der Hal⸗ tung der Regierung im Jahre 1995 bel Beratung der Bergge etz novelle wenigstens ein gewisses Entgegenkommen in Aussicht gestellt hat, indem die Vertrauensmänner der Arbeiter bei der Grubenkontrolle hinzu= gezogen werden sollen. In bezug auf die bestimmten Behauptungen, die der Abg. Leinert aufgestellt hat, bin ich der Meinung, daß er ine. Sewährsmänner auch ohne die gemachte Jusiche rung? des Ministers hätte nennen müffen, damit die Wahrheit ang Licht kommt. Würden die Arbeiter nicht auf den fiskalischen Gruben angestellt, so hätten eben die Arbeiterorganifationen die ficht, für sie einzutreten. Im Elsaß hat cin Gemwerkschaftgsekretär auf, die Mütterlung eimnes Bergmannz hin der Bergbehörde Anzeige gemacht, daß das Förderseil an einer Einfahrt an 104 Stellen Brucke zeige. Anstatt daß man dankbar für diesen Hinweis war, hat man zunächst verlangt, daß der betreffende Bergmann seine Angabe der Behörde versönlich gegenüber wieherhole. Das tat dieser, und es wurde dann festgestellt, daß das Seil nicht bloß an 104, sondern an 207 Stellen gerissen war. Zum Schluß wendet sich der Redner noch einmal gegen die Tattik der Genossen des Abg. Leinert, die nur Beunruhigung ins Land trage; hoffentlich werde aber dafür die eingehende Besprechung hier im Landtage zur Beruhigung der Arbeiter beitragen.

Darauf wird ein Schlußantrag angenommen; die Inter⸗ pellation ist damit erledigt.

Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfs zur Abänderung des Gesetz es, betreffend die Gewährung von Wohnungsgeldzuschüssen an die unmittelbaren Staatsbeamten, vom 12. Mai 1973.

Abg. d an Hennigs⸗Techlin (kons. : Wir begrũßen diese Vorlage mit großer Freude, da sie auch eine Erhöhung des vensionsfähigen Durchschnittẽsatzes des Wohnungggeldzuschusses bringt. Die Erhöhung des Wohnungsgeldzuschusses beträgt für die höheren und

mittleren. Beamten 56 oo, fur ie unteren I33 60; die Erböhung des Vensions fähigen Durchschnittssatzes beträgt für die böheren und mittleren Beamten 72 oso, für die

unteren 138 0,0. Eine sehr wichtige, organisatorische Aenderung liegt in der anderen Einteilung der Ortsklassen. Wir hängen darin allerdings von der Reichs geseßgebung ab und können felbst darin nichts ändern. Die Einteilung beruht nicht mehr auf den Servis. klassen im Reich und berücksichtigt nicht mehr die gesamten Teurungsverbältnisse, sondern sie ist lediglich auf Grund der Wohnungsmiete nach den einzelnen durchschnittlichen Zimmerpreisen . 6Go sorgfältig und mühsam diese statistische

Arbeit gewesen ist, so bar sie doch nicht an allen Stellen das Richtige getroffen. Die Kommission wird allerdings nicht die müb— selige Arbeit der Einteilung noch einmal machen können, aber wir werden uns doch bemühen mässen, einige Unzerechtigkeiten zu beseitigen, indem wir diese oder jene Orte in eine höhere Klasse einsetzen. Für die Besoldungs ordnung hat das große Konfequenztn. Bel der Besoldungsordnung ist uns gefagt worden, daß die Beamten ja durch den Wohnungègeldjuschuß noch weitere Vorteile haben werden, und nun finden wir, daß verschiedene Orte in eine niedrigere Klaffe berab— gesetzt worden sind. Wir müssen alle diese Dinge sehr sorgfãltig nachprũfen. Daß die Regierung sich auf die Berechnung der Woh⸗ nungsmieten beschränkt hat, ist allerdings richtig, denn wenn schon darin Ungerecht gkeiten liegen, wie groß wären diese erst geworden, wenn noch die übrigen Lebensperhältnisse nach den verschiedenen Markt. prelsen zu Grunde gelegt worden wären? Wir meinen also, daß die Grundlage dieser Vorlage richtig ist, und wir können nur in einzelnen Stellen die Vorschläge nachprüfen.

Abg. Dr. Fönig ⸗Crefeld (Zentr.) : Die Erhöhung des Wohnungs⸗ geldzuschusses ist durchaus erfreulich. Manche Orte sind in eine niedrigere Klasse versetzt worden; das hat nicht nur Erregung unter den Beamten hervorgerufen, sondern auch die davon betroffenen Städte weßren sich jest dagegen. Leider nimmt die Vorlage ferner keine Rücksicht auf den Familienstand der Beamten, man hätte wohl zwischen verheirateten und underbeirgteten Beamten unterscheiden können. Dlefer Unter. schied batte 17 072 Beamte betroffen; wenn man diese um 200 durchschnittlich im Wobnungsgeldzuschuß berabgesetzt hatte, hätte man 3 Millionen erspart, mit deren Hilfe man die Herabsetzung der Städte in niedrigere Klassen bälte vermeiden können' Der Wohnungsgeldzuschuß ist ursprünglich dazu bestimmt, den Beamten in Orten mit besonderen Teuerungsverbältnissen einen Ausgleich zu schaffen; deshalb hätten die gesamten Teuerung verhältnisse zu Grunde gelegt werden müssen und nicht nur der Zimmerpreis der Wohnungen. Ez ist wohl möglich, die Teuerung verhältniffe in den einzelnen Orten, wenn auch nicht auf Heller und Pfennig, so zu be—= rechnen, daß sie eine geeignete Grundlage für die Einteilung bieten. Die Oberprässdenten und Regierungsvraäͤsidenten hätten sehr wohl eine moßzebende Stimme dabei abgeben können, da fie die einzelnen Verhältnisse gut kennen. Ich kann mir nicht denken, daß diese Beamten damit einverstanden gewesen wären, daß z. B. di Stadt Cöln in eine niedrigere Klasse verfetzt worden ist. Gerade für das Rheinland ist der Durchschnittspreis Ves Zimmers nicht maßgebend, denn es kommt dort in Betracht, daß die Defen nicht vom Saus⸗ eigentümer geliefert, sondern von den Mietern mitgebracht werden. Die Kommissien wird Mittel und Wege finden müffen, den Mängeln der Vorlage abzuhelfen, um den Sturm der Städte gegen diese Vor⸗ lage, deren Grundlage an sich eine gute ist, zu beschwichtigen. Ich beantrage, die Vorlage der verstärkten Budgetkommifsisn* zu über—= weisen.

Abg. Dr. Schroeder · Cassel (ul): Ich kann mit meinen Freunden nicht anerkennen, daß in dieser Materie Preußen sich dem Vorgange des Reichs anschließen müsse. Das bestebende preußische Gesetz be⸗ stimmt allerdings, daß Preußen dem Reiche folgen solle, aber wir können dieses Gesetz jederzeit abändern und ein eigenes preußisches Gesetz schaffen. Wir müssen diese Frage jetzt prüfen, da die Vorlage durchaus anfechtbar ist. Die Win , ef hat man nicht getrennt für die höheren, mittleren und unteren Beamten berechnet, sondern man hat für jeden Ott einen durchschnittlichen Zimmerpreis für alle Woh- nungen berechnet und diesen der Klasseneintellung zu Grunde gelegt. Die Begrũndung der Vorlage sagt offen, eine andere Berechnung batte zu Unzu⸗ Häglichkeiten geführt. Das ist eine durchaus unzureichende Begrundung.

keit meiner Person nicht weiter in Frage gestellt wird.

Auch die Stadt Cassel ist in eine niedrigere Klasse versetzt worden;

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