1908 / 292 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 11 Dec 1908 18:00:01 GMT) scan diff

2 gesplelt. Die Ausführung des Kanzlers Über die alkanfrage enthielt den affus, daß die Bewegung, die den Umschwung in der Türkei herbeigeführt hat, Würde hatte. Es ist gewiß richtig, wenn Deutschland gegen das eintritt, was eine wirkliche Schwächung der Türkei bedeutet; unterstützt das Aut⸗ wärtige Amt ehrlich das neue Regime, so wird eg sicher die Zuftimmung der deutschen Volksvertretung dabei finden. Deutsch⸗ land ist dabei etwas zurück hinter den anderen Ländern, die, weil sie längst wirklich konstitutionelle Regierungsformen be⸗ en sich mehr der Sympathie der Jungtürken erfreuen als

utschland, dessen Regiment dort als Scheinkonstitutionalismus mit etwas despotischem Einschlag angesehen wird. Daß die Konferenz nicht einberufen werden jon wenn die Einberufung nicht von der Türkei und Oesterreich unterstützt wird, ergibt sig aus den Verhältnissen von selbst, sonst würde sie bloß eine Schau⸗ stellung der vorhandenen Verlegenheiten und Unstimmigkeiten sein. Deutschland kann nichts unterstüßen, was Oesterreich Verlegenheiten bereitet. Die Bundesgenossenschaft wird immer dann für einen Staat besonders wertvoll, wenn er sich in Schwierigkeiten befindet, wenn er selbst Fehler gemacht hat. Wir dürfen Oesterreich jetzt diplomatisch nicht allein lassen; deshalb darf und muß aber gerade ö werden, daß das Vorgehen Oesterreichs sehr große Bedenken gegen * hat, besonders das einseitige Vorgehen unter Vertragsbruch. esterreich durfte die anderen Balkanstaaten nicht in der Voistellung erziehen, daß Verträge dazu da sind, um gebrochen zu werden. Es ist ein überaus schmerzlicher Zustand, daß in Prag die persönliche Sicherheit aufgehoben gewesen ist durch den slawischen Fanatismus; wollen die Tschechen durch diese Art ihres Vorgehens den Beweis ihrer überlegenen Kultur vor Europa erbringen? Für Deutschland ist der türkische Boykott gegen Oesterreich auch unerwünscht, vor allem, wenn die Zeitungsnachricht wahr wäre, daß eine wertvolle Gabe des Deutschen Kaisers, die nach Jerusalem ge⸗ schickt war, unter dem Boykott zu Grunde gegangen sei. Der Reichs⸗ kanzler hat seine Freude darüber ausgesprochen, daß ihm von Oesler⸗ reich nichts über die Annexion von Bosnien gesagt worden ist. Das hört sich recht gut an, aber wenn ein Vertrag gesprengt ist, der in Berlin von Deutschland garantiert ist, dann hat die Freude, nicht eingeweiht zu sein, etwas Präjudizielles; denn es könnte den übrigen Beteiligten die Meinung beibringen, Deutschland sei nicht so sehr ärgerlich darüber, wenn der Vertrag, den es selbst garantiert hat, nicht gehalten werde. So hat es ja wohl der Reichskanzler nicht gemeint, aber die Art, wie er das vorgetragen hat, hatte doch einen Hei eschmack, der mich zwingt, diese Bemerkung entgegenzusetzen. Dem Reichskanzler wird nachgesagt, er sei groß darin, wo es gelte, aus der Not eine Tugend zu machen. Dies war auch der Fall, als er seiner Freude darüber Ausdruck gab, daß der englische Einfluß sich in der Tuärkei stärker bemeikbar mache. Wir werden uns dieser Freude doch nur unter dem sehr bestimmten Vorbehalt anschließen dürfen, daß diese Festsetzung des englischen Einflusses nicht eine Ver⸗ drängung des legitimen deutschen Einflusses in Konstantinopel be⸗ deutet. Der Reichskanzler hat sich seinerzeit auch über die Haltung von Italien in dem Sinne geäußert, daß man nicht einen roten Kopf bekommen dürfe, wenn die Ehefrau eine Gxtratour mit einem anderen riSkiere. Nach dem, was der frühere italienische Ministerpräsident Fortis neulich unter dem Bei⸗ fall der italienischen Kammer gesagt hat, scheint die Extra tour in Italien fortissimo getanzt zu werden. Der Drei⸗ bund ist im Laufe der Jahre durch die , . die einzelne Mitglieder desselben einseitig geschlossen haben, bis zu einem ewissen Grade ausgehöhlt worden. Der Abg. Bassermann ging er! zu weit, wenn er meinte, das Fazit des Dreibundes sei das, daß es als Machtmittel für die deutsche Politik der Vergangenheit angehöre. Es haben sich immerhin die Gruppterungen völlig ver⸗ ändert. Die Konstellatlon des Dreibundes hat eine wesentliche Ver⸗ schiebung erhalten; der italienische Minister sprach seine Freude darüber aus, daß der Dreibund bestehe, aber er betonte das alte reundschaftsverhältnis zu England, die erneuerte Freundschaft zu rankreich und die neue Freundschaft zu Rußland. Das bedeutet ür Deutschland eine gewisse Vereinzelung. Ich will kein anderes Wort wählen, und Deutschland hat allen Grund, zu erwägen, ob es sich nicht selbst auch etwas anders orientieren kann. Die Balkan⸗ wirren werden es vielleicht erleichtern, eine solche andere Drientierung vorzunehmen, die auch nur den ie, n, f, erwünscht sein könnte. Es fragt sich, nach welcher Richtung diese Drientierung erfolgen soll. England ist kein Objekt für die Annäherung Deutschlands. Was Lord Roberts über die Schaffung einer engllschen Landmacht gesagt hat, ist deshalb, weil die konservativen Peers seinen Antrag angenommen haben, wenn man ihm auch keine übertriebene Bedeutung beizulegen braucht, von besonderer Wichtigkeit. Jedenfalls ist eine Erleichterung der Spannung jwischen Deutschland und England einer liberalen Regierung gegenüber viel leichter als einer konservativen, die natur⸗ emäß nach dem Grundgedanken des Konservativismus Rüstungs⸗« teigerungen mehr zuneigen muß. Ich bedaure, daß der Reichekanzler nicht in der Lage gewesen ist, auf die Frage meines verehrten Freundes Wiemer in dieser Beniehung zu antworten. Er hat viel⸗ leicht die Güte, sich in der Kommission darüber auszusprechen, namentlich über die Frage, ob es richtig ist, daß nach der Zusammenkunft von Cronberg, bei welcher der englische Souverän durch einen Unter⸗ staatssekretär begleitet war, während das von deutscher Seite nicht der Fall war, vielleicht eben wegen dieses Punktes der englische Minsster Lloyd⸗George, der ein besonderes Entgegenkommen in der Verminderung der Spannung jwischen Deutschland und England gejeigt hat, sich nach Berlin begeben habe, um hierüber zu ver handeln, daß er aber hier kein Entgegenkommen gefunden habe. Die Rede, die der Kaiser bald darauf in Straßburg gehalten hat, wird als eine Ablehnung jener Bemühungen des englischen Ministers aus- gele t. Eine Aufklärung hierüber wäre sehr erwünscht. Was unser Verhältnis ju Frankreich betrifft, so hat der Reichskanzler eine Be⸗ merkung des Abg. Bassermann unterstrichen, daß die Balkanfrage Gelegenheit geben werde, mit Frankreich Hand in Hand zu gehen, und der Reichskanzler bat selnerseits betont, daß manche Be—⸗ rübrungspunkte jwischen Deutschland und Frankreich auf diesem Gebiete vorhanden seien. Die Spannung jwischen Deutschland und Frankreich ist jedenfalls sehr viel geringer, als es früher der Fall war; sie waͤre noch viel geringer, wenn die Entwicklung nicht künstlich unterbrochen wäre durch die Sache von Marokko. Wir brauchen mit rankreich keinen besonderen Staats⸗ vertrag zu schließen. s genügt eine natürliche Annäherung. Der wb Bassermann führte die Vercinelung Deutschlandg auf das wir sha ff Emporsteigen Deutschlands zurück. Das ist nur eine halbe Wahrheit und gilt höchstens für Lie een Staaten. Man muß aber auch anerkennen, daß auch Deutschland ju diesem nickt unerwünschten Verhältnis einiges beigetragen bat. Deutschland hat in seiner ganzen auswärtigen Methode etwag * andere Länder nicht Anjtehendes gehabt, etwas Lärmendes, etwa

nommistisches. Dieses An ⸗die⸗große⸗Glocke hängen hat schon im Prilvatverkehr etwas Unangenehmeß. Dann haben wir noch kein esicherteß und organister es konstitutionelles Regime. Das bildet f die Sympathien anderer Länder einen ganz wichtigen Faktor. Dag ist ganz natürlich, denn die Sicherung der Beziehung jwischen anderen Staaten ist um so größer, je größe die organischen Garantien egen eine Zickjackpolitik sind. Wer keinen Hausschlüssel besitzt, 6 ein gemsndert⸗g Vertrauen bei den übrigen Männern, mit denen er verkehrt. Ebenso geht es einem großen Staat, der noch nicht zur vollen Selbständigkeit gekommen ist, der noch nicht in die Reihe der wirklich konstitutionellen Länder elngetreten ist. Der Reichskanzler schloß feine Ausführungen mit dem Satz, er wolle seine Politit machen in Uebereinstimmung mit diesem Hause; war das Wendung, oder war es Grundsatz? Gr sagte früher, 4 er die Geschäfte nicht weiter fübren würde, wenn er nicht das Vertrauen einer Mehrbeit habe. In Erinnerung an dieses konftttutionelle Verhalten möchte ich hoffen, daß fene Wendung eine grundsätzliche Bedeutung gehabt hat, und ob⸗ wohl eg nur gebaucht war, doch die Betonung der Wünsche enthält, die in den letzten Wochen hier ausgesprochen worden sind. Eg ift

bedauerlich, daß der Reichskanzler sich hierzu nicht geäußert hat, er würde dadurch der Stabilisterung des Vertrauens in der Bevölkerung die wertvollsten Dienste geleistet haben. Eine Reglerung und ein Minister werden in dem ganzen Verhalten duich das ausgesprochene Vertrauen des Parlaments . das hat sich noch gestern bet dem Staatssekretär von Bethmann Hollweg gezeigt, der mit seiner Erklärung dem Parlament und seiner Regierung einen“ wichtigen Dien 6m hat, indem er Loyalstät in der Ausführung des n. empfiehlt. Der Beifall, den seine Worte gefunden haben, hat ein Vertrauensvotum ersetzt. Ebenso wohltuend hat uns berührt, die Selbständigkeit dieses Ressorts wahrjunehmen. Der Staatgsekretär von Bethmann Hollweg hat erklärt, daß gegen Gewerkschaftsversammlungen nur insoweit Stellung ge⸗ nommen werden soll, als sie die Kulissen nationalistischer Be strehungen bilden. Die volle Verwirklichung dieser Auffassung ist nur möglich auf Grund der im 5 12 zugelassenen Ausnahmen. Da ist bestimmt, daß die n oder die Landeszentralbehörde Ausnahmen zulassen darf; ali der polnischen Sprache, sofern sie zu rein gewerkschaftlichen Schrüten benutzt werden soll, ist eine solche Anweisung der preußischen Zentralbehörde noch nicht erfolgt. Im Gegenteil hat der Reglerungspraͤsident von Arnsberg angeordnet, jede Versammlung zu verbieten, wenn überhaupt polnisch gesprochen wird. Es muß auch deutschen Gewerkschaften möglich gemacht werden, Polen für ihre Zwecke zu gewinnen, und aus diesem Grunde werden auch die Deutschen nicht vollständig auf die Benutzung der polnischen Sprache verzichten können. Der Redner spricht zum Schlusse den Wansch aus, daß Reglerung und Reichstag ihre Aufmerksamkeit der wirtschaftlichen Notlage zuwenden möchten, in der sich das Volk augenblicklich befinde.

Reichskanzler Fürst von Bülow:

Der Herr Abg. Haußmann hat ebenso wie andere der Herren Vorredner die Frage einer internationalen Einschränkung der Rüstungen zur See berührt. Es ist in der Debatte gefragt worden, warum wir gegenüber solchen Vorschlägen eine ablehnende Haltung eingenommen hätten. Ich stelle zunächst fest, daß ein solcher Vorschlag an uns nicht herangetreten ist. Ich will aber mehr sagen. Wir haben, ebenso wie andere Mächte, und das seit jeher, nicht etwa erst seit die Reichs⸗ finanzreform zur Diskussion steht, eine internationale Beschränkung der Rüstungen für eine an und für sich sehr wünschenswerte Sache gehalten. Unsere Zurückhaltung in dieser Frage ging hervor aus Zweifeln an der praktischen Durchführbarkeit solcher Vorschläge und an der Opportunität ergebnisloser Diskussionen, die in einer so heiklen Frage die Gegensätze, statt sie zu mildern, leicht verschärfen könnten. Der Wunsch allein tut es nicht. Ich will ge⸗ wiß nicht von vornherein, ohne zu prüfen und kategorisch, jede Möglichkeit von der Hand weisen; aber allein die technischen Schwierigkeiten scheinen mir recht große zu sein. Ja, wenn es sich nur um die Zahl oder das Deplacement der Kriegsschiffe handelte! Der Schiffsbau besitzt aber noch andere Selten, die sich nicht so leicht zahlenmäßig fassen lassen, und die bei einer Abmachung, die wicksam sein soll, nicht ausgenommen werden könnten. Und dann der Maßstab! Wo sind die Kriterien, die da gelten sollen? Selbst wenn es möglich wäre, die Summe der gegenwärtigen Interessen auf dem Weltmeere zu berechnen, wie sollen die unberechtigten Aspirationen von den be⸗ rechtigten getrennt, wie auch das Wachstum der wirtschaftlichen Inter essen und wirtschaftliche Hoffnungen im voraus gemessen, wie auch technische Erfindungen, von denen noch vor wenigen Tagen der Herr Abg. Graf Kanitz gesprochen hat, und ihre Wirkungen im voraus be⸗ rechnet werden können? *

Und dann, meine Herren: wir stehen in der Mitte von Europa, auf dem strategisch ungünstigsten Platz, der sich auf der Karte aller fünf Weltteile ausfindig machen läßt. Unsere Rüstungen sind von der Notwendigkeit diktiert, uns nach verschiedenen Fronten verteidigen zu können. Es ist im Laufe dieser Debatte wiederholt gesagt worden, unsere auswärtige Lage lasse zu wünschen übrig. Gewiß, die Situation in Europa ist in diesem Augenblick keine besonders behagliche; ich habe da auch manche Wünsche. Ich glaube aber, daß unsere Lage in dem Augenblick eine schlechte werden würde, und unser Frieden ernstlich bedroht, in dem wir unsere Rüstungen vermindern würden unter den Stand, den unsere Lage in Europa erheischt. (Sehr richtig! rechts.)

Und schließlich, meine Herren: der Umfang unserer Rüstungen zur See ist vom Gesetze bestimmt, und jwar bestimmt lediglich nach dem Gesichtspunkt, unsere Küsten zu verteidigen und unseren Handel ju schützen. Auf der einen Seite unsere geographische Lage, nach der für alle Zeiten unsere Sicherheit von der Stärke unseres Landheeres ab⸗ hängig sein wird, auf der anderen Seite das Maß unserer wirt schafilichen und finanziellen Kräfte, die durch die Anforde— rungen für unser Landheer und durch eine allen anderen Ländern weit vorauseilende Sonalpolitik bereits stark belastet sind, schließen es, darin weiß ich mich der Zustimmung unserer Marinebehörden gewiß, völlig aus, daß wir im Flottenbau über das nach unserem Schutzbedürfnis bestimmte und demgemäß gesetzlich festgelegte Maß hinausgehen.

Meine Herten, der Herr Abgeordnete Haußmann hat weiter in seinen Ausfübrungen auch den Namen eines lang⸗ jährigen Beamten des Auswärtigen Amts in die Diekussion gezogen. Es bandelt sich um einen in langer und harter Arbeit unter vier Reichskanzlern ergrauten Beamten. Es handelt sich um einen Mann von wachsamem und starkem Patriotismus, der während eines Menschenalterds für die deutschen Interessen auf der Bresche ge—⸗ standen hat. Es handelt sich um einen Mann, dessen ungewöhn—⸗ liche Arbeitskraft, hervorragende politische Befähigung und selbständiger Charakter allen denjenigen Achtung einflößen müssen, die ihn kennen. Ich weise die gegen den Wirklichen Geheimen Rat von Holstein ge—⸗ richteten Angriffe zurück.

Meine Herren, der Herr Abg. Haußmann hat weiter in dem Augenblick, wo ich diesen Saal betrat, angedeutet, daß in der Marokko⸗ frage verschiedene Einflüsse sich bemerkbar gemacht hätten. Das Auswärtige Amt ist ein mir unterstelltes Ressort; und in einem solchen dulde ich keine Neben⸗ und Unterströmungen. (Unruhe links.) Indem ich für die Einheitlichkeit unseres Dienstes wie unserer Politik sorge, erfülle ich lediglich eine mir durch die Verfassung auferlegte Pflicht, die von dem Reichskanzler die volle Ausübung seiner Befug⸗ nisse, seiner konstitutionellen Befugnisse verlangt.

Und endlich, meine Herren, hat der Herr Abg. Haußmann das Vorgehen Oesterreich⸗ Ungarns in einzelnen Punkten getadelt. Desterreich⸗Ungarn ist uns seit einem Menschenalter ein treuer Bundes⸗ genosse gewesen. Ich halte es nicht für richtig, die Schwierigkeiten, in denen sich gegenwärtig die österreichisch⸗ungarische Monarchie be⸗ findet, durch eine unfruchtbare Kritik zu erhöhen. (Sehr richtig! rechts.) Ich wiederhole: wir stehen zu Oesterreich⸗ Ungarn. Und wir glauben auch, der Sache des Friedens am besten ju dienen, indem wir keinen Zwelfel aufkommen lassen über die Unerschütterlichkeit

dieses Bündnisses (lebhaftes Bravo!) und über den Srnst, mit dem wir unsere Bündnispflichten betrachten. (Lebhafter Beifall.)

Staatssekretãr des Auswärtigen Amts, Wirklicher Ge⸗ heimer Rat von Schoen:

Meine Herren! Um Ihnen, bevor die Verhandlungen weiter schreiten, einige Aufschlüsse zu geben, welche erwünscht sein dürften, möchte ich mich in aller Kürze zu Einzelfragen der auswärtigen Politik äußern, die hier berührt worden sind.

Zunächst Marokko! Im Frühjahr diefes Jahres ist Ihnen eine Sammlung von Aktenstücken über diese Frage vorgelegt worden. Eine Fortsetzung dieses Weißbuches ist in Arbeit, und ich hoffe, daß Ihnen dasselbe bei Ihrem Zusammentritt nach den Weihnachtsferien oder sehr bald danach zugänglich gemacht werden kann. Sie werden in diesem Weißbuch manche Aufklärung und manche Berichtigung finden. Den Zwischenfall mit den Deserteuren von Casablanca das möchte ich schon jetzt bemerken wird das Weißbuch nicht behandeln. Et ist wie im bürgerlichen, so auch im staatlichen Leben ein allgemein anerkannter und befolgter Grundsatz, daß eine Sache, die vor dem Richter ist, der Erörterung entrückt sein soll. Diese Regel wollen wir und müssen wir auch bezüglich des Falles von Casablanca und auch der unmittelbar damit zusammenhängenden Fragen befolgen. Aus diesem Grunde muß ich mir auch versagen, noch einmal auf diese Sache zurückzukommen. Nur das eine möchte ich noch bemerken: daß die Annahme des Herrn Abg. Scheidemann, als ob wir noch nach Kenntnis des bekannten französischen Berichts das Ver—⸗ langen vorheriger Entschuldigung aufrechterhalten hätten, irrtümlich ist, irrtümlich in doppelter Beziehung: in bezug auf den Zeitpunkt und in bezug auf den Inhalt. Der fragliche Bericht des französischen

Polizeikommissars ist am Sonnabend den 7. November, Abends nach

6 Uhr, in meine Hände gelangt. Hiernach ist unverzüglich die Ver⸗ ständigung zwischen uns und Frankreich über Anrufung des Schieds- gerichts erfolgt. Von Entschuldigungen ist niemals die Rede ge⸗ wesen, sondern nur von dem Ausdruck des Bedauerns. (Lachen links.) Das ist im wesentlichen etwas anderes.

Der Herr Abg. Speck und andere Redner haben den Wunsch nach Zurückziehung der Besatzungstruppen in Nordchina geäußert. Diesen Wunsch teilen die verbündeten Regierungen. In vollem Ver⸗ trauen darauf, daß die chinesische Regierung loyal und energisch für Aufrechterhaltung der Ruhe sorgen wird und etwaigen fiemdenfeind⸗ lichen Bewegungen und Erregungen in der Lage ist wirksam entgegen⸗ zutreten, haben wir, nachdem wir bekannllich bereits vor einigen Jahren die Initiative der Zurückziehung der Besatzungstruppen ergriffen hatten, neuerdings im Laufe dieses Jahres Schritte zur weiteren Verminderung der Besatzungstruppen getan, und zwar mit dem Erfolge, daß eine derartige Maßregel, die auch aus fiskalischen Gründen sehr erwünscht ist, unverzüglich ins Auge gefaßt werden konnte.

Inzwischen ist in China der Thronwechsel eingetreten. Wenn dieser Akt sich auch in Ruhe vollzogen hat, und die bis jetzt vor⸗ liegenden Nachrichten erfreulicherweise volle Aussicht darauf eröffnen, daß Ruhe und Ordnung im weiten chinesischen Reiche bewahrt werden, so empfiehlt es sich doch, von einer sofortigen Zurück⸗ ziehung der Truppen abzusehen; denn nach dem Urteil aller Sach⸗ verständigen würde jede Truppenbewegung im gegenwärtigen Zeit⸗ punkt bei der chinesischen Bevölkerung Beunruhigung hervorrufen; sie könnte zu Mißdeutungen und Zwischenfällen Anlaß geben. Aus ähnlichen Erwägungen hat auch die japanische Regierung die bereits für November beschlossene Zurückziehung der Truppen vorläufig noch aufgeschoben. Die Kaiserliche Regierung bleibt aber darauf bedacht, eine sehr erhebliche Verminderung der Truppen, wenn nicht die gänzliche Zurückziehung, so schnell wie möglich in die Wege zu leiten.

Veischiedene Redner haben darauf aufmerksam gemacht, daß der Kaiserliche Botschafter in Konstantinopel ju dem Zeitpunkte des dortigen Umschwunges nicht auf seinem Posten gewesen ist, und es ist die Vermutung ausgesprochen worden, daß Freiherr von Marschall sich von den Ereignissen habe überraschen lassen.

Anzeichen einer möglichen Umwäljung hatte der Botschafter längst gemerkt und berichtet. Wie rasch sich die stille Bewegung in eine offene umsetzen und welchen Erfolg sie haben würde, das entzog sich jeder Berechnung. Freiherr von Marschall befand sich in der Tat auf einem durch Gesundheitsrücksichten gebotenen Urlaub, als die Wendung der Dinge in Konstantinopel mit ungeahnter, überraschender Schnelligkeit sich vollzog. Der erste Gedanke war, den Botschafter zum Abbruch seines Ullaubs und zur schleunigen Rückkehr auf seinen Posten zu veranlassen, wozu er gern bereit war. Nach eingehender Prüfung und Erwägung ist indessen hiervon Abstand genommen worden, und zwar aus dem Grunde, weil wir bestimmte Anzeichen dafür hatten, daß eine beschleunigte Rückkehr des Botschafters zu beunruhigenden, verwirrenden Kommentaren Anlaß und der Verdächtigung Raum geben würde, daß es sich um Rettung des alten Regimes handeln könnte.

Uebrigens war die Vertretung des Botschafters in bewährten Händen. Auch andere in Konstantinopel beglaubigte Botschafter, die sich damals in Urlaub befanden und es waren die meisten —, haben ihre Rückkehr nicht beeilt.

Bemerken möchte ich noch, daß unser Vertreter in Konstantinopel dem ersten Selamlik dem historischen, möchte ich sagen, ersten Selamlik nach Wiedereinführung der Verfassung beil⸗ gewohnt und bei dieser Gelegenheit dem Sultan die besten und herjlichsten Glückwünsche Seiner Majestät des Kaiserg zu der Wendung der Dinge, zu der Reformaktion übermittelt hat, mit der Hoffnung, daß die Neuerung der Türkei zum Segen gereichen möge. Deutschland ist hiernach die erste Macht gewesen, welche ihre Sym- pathien für die verjüngte Türkei zum Ausdruck gebracht hat. Es ist unrichtig, wie vielfach in der Fresse gesagt wird, daß die im Konstanti⸗ nopeler Hafen liegenden deutschen Schiffe am türkischen Freudentage nicht geflaggt hätten.

Der Herr Abg. Haußmann hat dem jetzigen Botschafter der Ver⸗ einigten Staaten von Amerika sehr freundliche Worte gewidmet und mit Wärme von den Gefüblen gesprochen, die wir alle ihm und dem großen Volke, das er vertritt, entgegenbringen, alle, setze ich hinzu, hoch und niedrig. Ich unterschreibe diese Worte gern und ganz.

Nicht aber möchte ich unterschrelben die von dem Herrn Ab- geordneten geäußerte Annahme, daß hier nur Milliardäre und Millionäre als Botschafter willkommen und dahingehende Wüunsche geäußert worden wären. Dlese Annahme ist irrig.

Meine Herren, mit einigem Zagen gehe ich noch an eln nach⸗ gerade etwas schwierlg! gewordenes Thema heran: das Thema

unseres augwärtigen Diensteg. Ich werde mich ganz kurz fassen. An unserer Diplomatie ist auch in den letzten Tagen wieder herbe Kritik geübt worden. Ich fürchte, meine Herren, ich kann Sie mit Worten nicht ju einer besseren Ueberzeugung bringen; ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, daß Zeiten kommen werden, wo Sie wieder zu wohlwollenderem Urtell gelangen werden. Daß die Zuführung frischen Blutes erwünscht ist, ist ganz meine Meinung. (Heiterkeit in der Mitte) Zum Teil ist sie auch bereits erfolgt.

Meine Herren, daß in dem Geschäftsbetriebe des Auswärtigen

Amts manches verbesserungsbedürftig ist, manches verbesserungsfähig,ů

das bin ich der Erste zujugestehen. Manches ist auch bereits geschehen, pieles bleibt noch zu tun übrig. Reformen sind in Arbeit; ich widme denselben mein besonderes und lebhaftes Interesse, und ich bitte Sie, überzeugt ju sein, daß ich alles daran setzen werde, um praktische Neuerungen einzuführen und, wenn meine Kräfte reichen, auch durch⸗ zuführen. (Bravo! rechts.)

Abg. Zimmermann (d. Reformp.): Es ist sehr erfreulich, daß wir heute den Staatssekretär des Auswärtigen wieder unter uns sehen;

daß wir ihn so lange nicht sehen durften, haben wir gleichmäßig zu

enischuldigen und zu bedauern. Daß wir die ersten gewesen . die der Türkei zur Wendung der Dinge gratulieren onnten, ist ja auch sehr erfreulich; erfreulicher aber wäre gewesen, wenn wir die ersten gewesen wären, die Wind von der Sache bekommen hätten. Wenn heute der Reichskanzler auf die technischen Schwierigkeiten hinweist, die einer Ver— minderung unseres Schiffbaues entgegenstehen, so kommen auch psychologische Schwierigkeiten hinzu. Wie hat England den jüngsten Beteuerungen unserer Friedensliebe, unseren Liebes⸗ erklärungen geantwortet? Man hat dort Deutschland nach wie vor als den Feind betrachtet, man traut ihm ju, daß es eine Invasion auf englischem Boden ausführen könnte. Das war die Antwort, da haben wir doch alle Ursache, mit dem Ausbau unserer Flotte in dem bisherigen Tempo fortzufabren und uns durch nichts beirren zu lassen. Auch in der auswärtigen Politik gilt, was von den Frauen gilt: die besten sind die, von denen man nicht spricht; wir haben uns in letzter Zelt leider vor die Notwendigkeit gestellt gesehen, ausführlich von unserer auswärtigen Politik zu sprechen. Gewiß sind wir Oesterreich loyalste Bandegtreue schuldig; aber das steht doch fest, daß wir von dem Schritte Oesterreichs bezüglich der Annexion überrascht worden sind und daß Italien unentwegt seine Extratouren weitertanzt. Der Reichskanzler bat sich das Wort angeeignet, daß eine Konferenz ein Beruhigungs. oder Erregungsmittel sein könne. Das klingt doch etwas sehr pythisch; so schwierig auch die gegenwärtigen auswärtigen Verhältnisse liegen mögen, das entbindet uns nicht der Pflicht, uns bewußt zu bleiben, daß auch jenseits der Reichsgrenzen deutsche Volks⸗= genossen wohnen. Der Reichskanzler sagte, wir dürfen uns nicht in die inneren Verhältnisse eines anderen Staates hintinmischen. Wir dürfen aber dabei doch nicht vergessen, daß eine weitere Schwächung des Deutschtumz in Oesterreich eine schwere Gefahr für das Bündnis mit Oesterreich und für das Deutsche Reich bedeutet. Der itallenische Minister Tittoni hat ausgefübrt, Italien könne nicht darauf verzichten, seine eigene Stimme in Unabhängigkeit vernehmen zu lassen und auch die befreundete Regierung auf Tatsachen auf— ee, e. zu machen, die bei den anderen Völkern Sympathien oder Groll erregen können. Auch der deutsche Reichskanzler darf den Ge⸗ nn der Nation nicht fern bleiben, und er muß sich gestatten, o gut wie der italienische Minister, in vertraulicher Weise die zsterreichisch⸗ ungarische Regierung auf Tatsachen aufmerksam zu machen, die das Bündnis zwischen beiden Staaten gefährden können. Gegenüber den Pöbelexzessen in Prag kann ich nur sagen, was jüngst in der akademischen Versammlung gesagt worden ist: ohne Deutschtum glbt es ein Oesterreich überhaupt nicht. Jene Schläge in Prag treffen auch das Deutsche Reich. Die Verhängung des Kriegs- justandes über Prag ist allerdings nicht in erster Linie zu dem wecke erfolgt, die Deutschen dort zu beschützen, sondern vor allen ingen, um antidynastische Bestrebungen zu unterdrücken. Es läßt sich nicht leugnen, daß unter den Slawen, insbesondere den Tschechen vielleicht das stärkste Solidaritätsgefühl vorhanden ist. Die Vorgänge in Prag sollten die Deutschen veranlassen, auch ibrer⸗ seits solidarisch ju sein. Man sollte nicht vor einer Offensive urückschrecken. Ich denke dabei nicht daran, daß man nach dem Har in des Prager Pöbels den Tschechen die Schädel einschlage. Dle deutschen Arbeitgeber sollten sich aber prüfen, ob sie so viele Tausende von Tschechen beschäftigen dürfen. Dazu sind wir Deutsche denn doch nicht verpflichtet, die erbittertsten Feinde gegen unser eigenes Volkstum mit unseren Mitteln zu verseben, damlt sie zu Hause unsere eigenen Volksgenossen um so erfolg- reicher bekämpfen können. Diese Frage ist um so akuter, als man sich gerade in der letzten Zeit über Arbeitslosigkeit in Deutschland ju beklagen hatte. Im Jahre 1906 wurden 240 000 ausländische Arbeiter in der Landwirtschaft und 360 000 in der Industrie be⸗ schäftigt. In Rheinland und Westfalen haben Roheitgausschrei⸗ tungen infolge des Zuströmens fremder Arbeiter furchtbar überhand genommen. Wende ich mich nun der Besoldungsvorlage zu, so kann ich mit Befriedigung feststellen, daß der vielfach geäußerte Wunsch, die Lokalbeamten möglichst den Provinzialbeamten gleichzu stellen, prinziplell erfüllt worden ist. Es ist aber merkwürdig, daß in der Heeres, und in der Marineverwaltung durch die neue Vorlage das bisherige Verhältnis geradezu in das Gegenteil verwandelt worden ist. Die Provlnzialbeamten waren bisher besser gestellt als die Lokal beamten, nach der neuen Vorlage werden sie zum Teil ganz erheblich schlechter gestellt. Das kann unmöglich den Intentionen des Kriege⸗ ministeriums entsprechen. Man gewinnt den Eindruck, als liege hier eine rein schematische Arbeit vor. Die Intendantursekretäre, die das Gxamen bestanden haben, kommen im Schlußeffekt um 500 schlechter weg al diejenigen, die das Examen nicht bestanden haben. Die Beamten der dem Reichsamt des Innern nachgeordneten Behörden beschweren sich auf das lebhafteste, daß sie durch die neue Besoldungsvorlage nicht genügend berücksichtigt werden. Gine noch größere Enttäuschung macht sich in den Kreisen der Poflbeamten geltend. Die Postunterbeamten derjenigen Orte, die als besonders teuere Orte gegolten haben, werden durch die neue Vorlage keineswegs aufgebessert, sondern in ihrem Anfangs⸗ gebalt schwer geschädigt. Zahlreiche Kategorien von mittleren Beamten, die Assistenten werden geradezu kläglich bedacht; 150 4 Zulage können kaum als wesentliche Aufbesserung be⸗ trachtet werden. Die Klasseneinteilung der Orte enthält mehrfach Ueberraschungen; was soll man dazu sagen, daß die Stadt Chemnitz, die zu den fünf teuersten Garnisonorten Sachsens gehört, einfa in die Klasse 0 arg, wird? Bischofswerda ift in die letzte Klasse abgeschoben. ie Kommission wird zu prüfen haben, ob das Regierungeprogramm in seinem Aufbau und in seinen Wirkungen nicht überhaupt feblerhaft ist. Ich mwöchte noch betonen, daß es durchaus nofwendig und wünschengwert ist, dem alten Wunsch der Mil hiäranwärter gerecht zu werden, daß ihnen ein Teil ihrer Militär- dienst / eit auf ihr Dienstalter angerechnet wird. Dadurch würden wir uns pflichttreue Beamte und ein tüchtiges Unteroffizterkorps sichern. Der weik ätige Mittelstand mißgönnt den Beamten Gehaltgauf⸗ 2 nicht, aber er ist dagegen, daß verschiedene Beamten⸗ kreise nach wie vor wirtschaftliche Sondervorteile auf Grund von Vereinigungen anstreben und damit in das wirtschaftliche Leben eingreifen; ich meine die Offiziers und Beamtenkonsumvereine. n Chemnitz ist das Reichspostamt ae so weit gegangen, einem onsumverein Räume in seinem Betriebsgebäude zur * zu stellen. Es läge dagegen, hieß es in einem Antwortsch eiben des Reichspostamts, kein Bedenken vor, solange die Räume in neuen Gebäude nicht für dlenflliche Zwecke bear⸗ sprucht würden. Wenn unsere Ser en ha in dieser Weise mit einer gewissen Begünstigung von oben in das gewerbliche Leben eingreift, begibt sie . ngs auf die schiefe Ebene. Dann entsteht der Konflikt zwischen gewerblichem Mittelstand und Beamten⸗

mlttelstand, die in letzter Linie doch beide aufeinander angewiesen sind. Das führt ju der Frage, wag überhaupt geschehen könnte, um den deutschen Mütelstend seiner großen Bedeutung für das Reichs ganze entsprechend zu kräftigen. as Angebrachtefte erscheinen mir da Um satzsteuern für Großbetriebe zu sein, die das spekulative Groh⸗ kapital hindern, so ruinss für den Mitfelstand vorzugehen. Wir beobachten j. B. in letzter Zeit die Bildung von Riesenmühlen namentlich am Rhein, die ernste Sorge in den Kreisen der Klein⸗ müller hervorrufen. Warum denkt die Reglerung nicht daran, auf die so oft geäußerten Wünsche einer ühlenumsatzsteuer ein⸗ zugehen, die . erträgnigreich wäre? Die moderne Frauen⸗ bewegung, die eine Gleichstellung der Frauen mit den Männern in polstischer und wittschaftlicher . bezweckt, hat in den letzten Jahren außerordentliche rfolge errungen. Weibliche Handlungsgehilfen treten immer mehr an Stelle der männ⸗ lichen. In der Reiche postverwaltung sind mehr als 20 0900 Frauen nicht nur im Fernsprechbetrieb, sondern auch in der Telegraphie und in der Kanzlei beschäftigt. Hoffentlich sind dabei Sparsamkeits⸗ rücksichten maßgebend, hoffentlich gehen aber auch diese Rück sichten nicht so weit, daß auch in anderen Teilen der Staats⸗ verwaltung in demselben Maße Frauen angestellt werden. Ich gebe zu, daß unter den jetzigen sozlalen Zustaͤnden, namentlich bei der zunehmenden Ghelosigkeit die Frauen sehr zu leiden haben, aber ich halte es für bedenklich, so weit zu gehen wie bisher und ihnen Berufe zu erschließen., die wie die akademischen Berufe seither ausschließlich den Männern zugänglich waren. Dadurch wird die Ehelosigkeit nur noch häufiger, und was die Frauen auf der einen Seite gewinnen, büßen sie auf der anderen Seite ein, und jwar zum Schaden der Gesamtheit. Die Geburtenziffer ist Jahr für Jahr gesunken. Eine dauernde Abnahme der Geburtenziffer ist für jedes Volk gefährlich, nicht zuletzt für das deutsche, das ja gerade bei seiner geographischen Lage auf eine starke Bevölkerung angewiesen ist. Die Regierung sollte ibrerseits bemüht sein, die Eheschließungen ju fördern und zu dem Zwecke Steuereileichterungen schaffen. Ber Reichaschatzsekretär hat die Unterscheidung von verheirateten und unverheirateten Beamten beim Wohnungsgeldzuschuß als zu schwierig bezeichnet. Derartige Schwierigkeiten lassen sich überwinden. Bei der Durchführung des Krankenversicherungs⸗ und Invaliditätg⸗ gesetzes, bei der Erbschaftssteuer werden die Familienverhältnifse genüzend erörtert; das könnte auch hier ohne Schwierigkeiten geschihen, und die Durch ührung der Unterscheidung würde nach unserer Meinung eine soziale Tat sein. Wenn uns Sparsamkeit gepredigt wird, so muß doch auch an den Fiskus das Ersuchen gerichtet werden, die Augen offen zu halten, daß nicht solche Unter⸗ schleife bei der Eisenbahn möglich werden wie in Kotibus oder wie in Kiel bei der Werftverwaltung, wo dann die Verführten von der ganzen Schärfe des. Strafgesetzes getroffen wurden, während die Verführer im Besitze des ergaunerten Vermögens bleiben. Vie Angriffe auf unsere Wirtschaftepolitik,ů auf unseren Zolltarif sind ungerechtfertigt, gerade jetzt iamitten der sinkenden Konjunktur haben auch weite Kresse der Industrie anerkannt, wie nützlich, wie wertvoll ihnen der Schutz der nationalen Arbeit ist. Dieser Schutz müßte allerdings besonders auf den gewerblichen Mittelstand aus—⸗ gedehnt werden, aber da lassen es gerade die hohen und höchsten Kieise an sich fehlen. Es muß ja Verbitterung erregen, wenn man liest und bört von den Ausstellungen von Kleidern, die sich preußische Prinzessinnen aus Parig kommen lassen. Es fehlt noch vielfach in Dutschland an dim Bewußtsein, daß wir eine starke, große Nation sind; hier müßte doch gerade von den Ersten der Nation das gute Beispiel gegeben werden. In der eigenen Kraft ruht das Schicksal der Nation.

Abg. Dr. Vr öscher (dkons.): Der Vorlage der Besoldungsreform schreiben wir eine ganz besondere Bedeutung zu. Die wirtschaftliche Notlage der Beamten ist anerkannt und seit Jahren durch Bewilligung von Teuerungszulagen zu bekämpfen en nr worden. Es muß hier endlich einmal gründliche Abhilfe geschaffen werden. Die Erwartungen und Hoffnungen, die sich im Beamtentum festgesetzt hatten, sind durch die Vorlage nicht erfüllt worden; die letztere hat vielmehr Ent⸗ täuschungen, ja Verbitterung hervorgerufen. Wir können unsererseits der Beamtenschaft nicht oft genug vorhalten, daß ihren gerechten Ansprüchen nichts gefährlicher werden kann als elne Ueberspannung derselben, die sehr leicht die Opferwilligkeit der deutschen Steuer- zahler erschöpfen könnte. Allerdings können wir dem Schatzsekretär nicht verhehlen, daß er eine gewisse Einseitigkeit in der Auf— fassung verrät, daß die Beamten vor den Privaten den großen Vorteil voraus hätten, daß sie von den Rückschlägen der Konjunktur nicht getroffen werden; sie haben aber auch nichts von dem Aufschwung derselben. Das Deutsche Reich ist aber jedenfalls reich genug, seine Beamten auskömmlich besolden zu können. Mit der jusammenhängenden einheitlichen Regelung von Gehalt und Wohnungsgeldzuschuß durch ein gel sind wir einverstanden. Die Zusammengehörigkeit beider wird nicht überall von den Beamten in richtiger Weise eingeschätzt. Wir wünschen nicht die Beseitigung des Wohnungsgeldzuschusses, sondern seine Beibehaltung als ausgleichenden Faktor der verschiedenartigen Teuerungeperhältnisse. Bedaue rlicherweise gelangen in der neuen Besoldungsvorlage wesentlich neue soziale Ge⸗ sichtspunkte nicht zur Geltung. Es sollen jetzt sämtliche Teuerungs-⸗ zulagen und besonderen Gratifikationen fortfallen. Der Ausfall der Teuerungszulagen wird für die betreffenden Orte auch durch die Erhöhung des Wohnungsgeldzuschusses nicht ausgeglichen. Die wichtigste Aufgabe der e ssunl wird sein, die Anfangsgehalts⸗ säͤtze in die Höhe zu setzen, wie es auch die Budgetkommission des preußischen Abgeordnefenhauses getan hat. Die Notwendigkeit der Erhöhung der AÄnfangssätze tritt gan besonders scharf bei der größten Klasse der Unterbeamten, den Pestunterbeamten hervor. Eine wirk⸗ same Aufbesserung des Cinkommens der Landbriefträger halten wir für absolut erforderlich. Nach den Vorschlägen der Vorlage würden insbesondere in den Orten, die in eine niedrigere Ortsk asse ver⸗ iht werden sollen, die Unterbeamten zum Teil gar keine wirkliche

ien erfahren; wir müssen aber darauf bestehen, daß die Aufbesferung auch wirksam wird. In dem höheren Wohnungs⸗ geldzuschuß ist eine solche wirksame Aufbesserung nach unserer Meinung nicht zu erblicken. Jedenfalls wird in der Kommission mit allem Ernst an der Verbesserung der Vorlage, nach dieser Richtung gearbeitet werden muͤssen. Eine . Gleich⸗ stellung der Pestassistenten mit den. SEisenbahnassiftenten wird allerdings wohl nicht zu erreichen sein und ist auch wohl innerlich nicht ganz zu rechtfertigen. In der Frage der Besoldung der Kanzlei⸗ beamten der Reichsbehörden können wir in der Vorlage eine wirkliche Reform nicht erkennen. Im Bereich der n, . fllt uns die Zurücksetzung der Zahlmeister auf. die Postdirektoren zu hoch besoldet würden, wie der 214 von Gamp behauptete, können wir nicht zugeben. Die Vorlage stellt den Grundsatz auf, daß Ein⸗ kommen über 7200 nicht aufgebessert zu werden brauchen. Dag scheint uns nicht zutreffend; auch den höheren Beamten muß doch eine standesgemäße Lebenshaltung ermöglicht werden. Es zeigt sich hier wieder, wie sehr alle derartigen Maßnahmen unter dem Einfluß des Wahlrechts fiehen. Mit den wenigen oberen Beamten ist man 6 bald fertig, die können an die Oeffentlichkeit nicht so wie ie große Zahl der mittleren und Unterbeamten appellieren. In erster Linse wollen wir gewiß eine Aufbesserung für die Unterbeamten, aber dann müssen wir betonen: Gleichheit für alle Stände, gleiches Recht ö. alle. Selbst nach den Aeußerungen des Berliner Tageblatts“ sind Einkommen von 7000 bis 000 S heute nur noch Mittelstands⸗ einkommen. Wir werden uns deshalb einer Prüfung der Gehälter der höheren Beamten um so ,. entziehen können, als in Preußen die höheren Beamten auch zu höheren Steuern herangejogen werden

sollen, die zur Aufbesserung der Besoldungen der übrigen Beamten⸗

kategorien dienen. Bies trifft auch zu für die e. leder der dem Reichs amt des Innern nachgeordneten höheren Reiche bebörden. Sie sollen künftig nur den Vorteil haben, daß ihr Wohnungggeld⸗ jzuschuß von 450 4 erhöht wird. Auffallend ist es, daß diese Behörden künftig die Bezeichnung Reichsmittelbehörden führen sollen. Auch ü die Gründe dieser Aenderung werden wir um Auskunft bitten. Ich glaube nicht, daß, wenn man als

Mittelbehörden die Preußischen Provinzial, und Lokalbehörden puisammenfaßt, das Reichsgesundheilsamt, das Patentamt und daz außerordentlich wichtige Reichsversicherungsamt als Mittel⸗ behörde bezeichnet werden können. Eine unberechtigte Differenz erblicken wir auch in der höheren Besoldung der Oberkriegsräte und der Oberintendanturräte gegenüber den Qberlandeggerichtsräten. Durchaus zu billigen ift allerdings, daß die Senatspräsidenten und der Oberrelichsanwalt beim Reichsgericht in ihren Einkommen erhöht werden. Nur verstehen wir es nicht, daß die Mitglieder beim Reichs⸗ militärgericht tarifarisch verschieden behandelt werden. Die Zwil⸗ senatspräsidenten sollten auch in Tarifklasse L gesetzt werden. In bezug auf die Besoldungsverbesserungen für Offiziere habe ich nur hervorzuheben, daß wir die Besoldung der Leutnants, wie sie die Vor⸗ lage vorsteht, nicht für ausreichend ansehen. Für die älteren Premier leutnant wird die Hinaufsetzung in eine höhere Stufe unvermeidlich sein. Auch die älteren Hauptleute verdienen eine Zubuße. Während das System der Teuerungszulagen und der be⸗ sonderen Gratifikationen durch die Vorlage endgültig beseitigt wird, bleibt das System der Stellenzulagen als nicht entbehrlich aufrecht erhalten. Wir stimmen der Regierung darln ju, glauben aber, daß diese Stellen zulagen wie die Funktionszulagen auf das äußerste Maß des Un— entbehrlichsten beschränkt werden sollten. 52 der Besoldungsvorlage bestimmt, daß Aenderungen der Besoldungsordnungen durch den Reichshaushaltsetat vorzunehmen sind. Diese . erscheint ung nicht unbedenklich. Wir wollen doch durch diese Besoldungs⸗ dufbesserung eine endgültige gründliche Besoldungsreform vornehmen und wollen endlich dauernde Befriedigung herstellen. Wir wollen aufräumen mit den Agitationen in Beamtenkreisen, mit den unerfreulichen Nebenerscheinungen, die sicherlich der Dienstfreudigkeit und der Dienstdisziplin nicht förderlich sind. Wir wollen aufräumen mit dem ewigen Sturm von Petitionen, die sich über den Reichstag und über die Abgeordneten ergießen. Das können wir aber nicht, wenn die Möglichkeit erhalten bleibt, daß in jedem Jahr jede beliebige Aenderung durch den Etat vorgenommen werden kann. Dann werden die Wünsche der Beamten nie verstummen. Es wäre deshalb erwägentwert, in Aussicht zu nehmen, daß die Besoldung durch Gesetz vorgeschrieben wird, vielleicht auf einen Zeitraum von 10 Jahren, und daß Aenderungen durch den Haus— haltsetat nur bei ganz dringenden Fällen zulässig sein sollen. Eine solche gesetzliche Festlegung hat sich im Königreich Sachsen allem An- scheine nach bewaͤhrt. Was den Wohnungsgeldzuschuß betrifft, so ist die Frage zu entscheiden, ob man den Wobhnungsaeldzuschuß berechnen will nach dem Amtgsitz oder dem Wohrsitz der Beamten. Die Be⸗ rechnung nach dem Wohnsitz hat unzweifelhaft Unzuträglichkeiten im Gefolge. Aber auch die Berechnung nach dem Amtssitz führt zu Un— zuträglichkeiten. Mir erscheint die Berechnung nach dem Amtssitz nach sesten Faktoren vorzuziehen zu sein. Ferner ist die Frage ju ent⸗ scheiden, ob der Wohnungsgeldzuschuß eine Teugrungszulage sein soll, daß sie einen Au gleich schaffen soll für die Verschieden⸗ artigkeit der Lebensbedürfnssse in den einzelnen Orten, oder ob er nur ein Zuschuß zur Miete sein soll. Wir stehen auf dem Standpunkt, den die Vorlage der verbündeten Regierungen einnimmt. Ung erscheint es unmöglich, die gesamten Teuerungsverhältnisse zahlen mäßig zu erfahren und einheltlich zusammenzufassen. Es ist am beffen, einen Faktor aus den Lebensbedürfnissen herauszugreifen, und zwar einen sesten Faktor, und dazu eignet sich zweifellos der Wohnungsaufwand. Zu diesem Zwecke mußte man die Beamten selbst befragen, wenn man einwandfreie Zahlen haben wollte. Man hätte sich aber nicht darauf beschränken sollen, nur den tatsächlichen Wohnungsaufwand zu erfragen, sondern auch Neben fragen stellen müssen nach der Zahl und Größe der Zimmer, der Kinder, der Lage der Wohnungen in den einzelnen Stadt- gegenden, man konnte dies wenigstens zur Kontrolle heranziehen. Der Klasseneinteilung ür die Wohnungsgeldzuschüsse muß ein sehr sorg⸗ fältiges Erhebungsmaterlal zugrunde gelegt werden. Im Etat läßt sich biel sparen, besonders sollte man an eine Revision der Dienst⸗ reisen der Beamten herantreten. Es wird viel zu viel gereist, und für rein repräsentative Zwecke, auch für Informationszwecke werden zu viele Reisen veranstaltet. Dazu ist der Kostenaufwand für die einzelne Reise ju hoch und der Vorteil wird nur einigen wenigen Beamten jugewandt, während das Gros deirselben keinen Vorteil davon hat. Eine Ginschrãnkung auf das absolut unentbehrliche Maß ist ins Auge zu fassen. Auch für Umzugskosten werden, namentlich bei den Marineoffizieren, biel zu viele und zu hohe Beträge ausgegeben. Wenn es sich auch hier nur um wenige Millionen. Ersparnis handeln kann, so müssen wir doch auf sie aus grundsäß⸗ lichen Rücksichten hinwirken, dauernd können wir einen sparsamen Haushalt nur erzwingen und aufrechterhalten, wenn wir erzieherisch für das ganze Land vorgehen und auch in Kleinigkeiten auf Sparsamkelt halten. Eine Herabminderung des Pensionsfonds in der Militärverwaltung ist sehr wohl möglich, wenn man für eine Zwilversorgung penstonterter Offiziere sorgt. Unsere Reichspost⸗ verwaltung ist eine Musterverwaltung im besten Sinne. Wir sind dem Staatssekretär dankbar, daß er alle Anregungen prüft und berechtigten Anforderungen ein offenes Ohr leiht. Meine politischen Freunde wollen keinen Zweifel darüber lassen, daß sie ein Postbeamtentum, wie wir es jetzt besitzen, aufrecht erhalten wissen möchten. Ich betrachte es als notwendig, gerade bei dieser Gelegenheit, wo vielleicht nicht alle Wünsche erfüllt werden können, ju beionen, daß wir anerkennen, wie außerordentlich musterhaft gerade unsere Postbeamten sind. So bereitwillige und im Verkehr mit dem Publikum liebenswürdige Beamte finden wir nirgends in der Welt. Wir treten nicht nur für die Wünsche der Beamten ein, sondern werden auch für die notwendige Deckung mit sorgen.

Abg. Beck⸗Heidelberg (nl): Es war die Absicht, gerade der Be⸗ soldungs vorlage noch eine besondere Betrachtung zu widmen, nach dem sie bei unserer Beratung des Etats etwas stiefmütnterlich be⸗ handelt ist. Wenn ich mir auch nicht die Beschränkung auferlegen möchte, nur über die Besoldungsborlage zu sprechen, so werde ich sie doch, soweit es nach den sehr eingehenden Darlegungen des Vorredners noch notwendig ist, vorwiegend behandeln. Längst schon haben wir es als ein Bedürfnis empfunden, der hervorgetretenen Not zu steuern. Aber wir haben nur der augenblicklichen Not gesteuert, nicht dauernde Abhilfe geschaffen, und so sind die alten Uebelflände bestehen geblieben; es war nur Flickarbeit geleistet worden. Mit Bedauern mußten wir immer wieder zu dem Not- behelf der Teuerungszulagen greifen; jetzt ist die Vorlage da, aber ihr Erscheinen und ihre Verabschledung fällt in eine 57 die man nicht gerade als die günstigste ansehen kann, in eine Zeit des Rück⸗ anges des ganzen wirtschaftlichen Verkehrs, in eine Zeit des . Defizits und eines großen neuen Steuerbedürfnisses. Auch die Beamten selbst J und werden sich sagen, daß die Steuerlast nicht eine unerträgliche werden darf; diese Ginsicht und Erkenntnis wird sie belehren, daß sie ihre Forderungen auf das beschränken müssen, was ihnen unbedingt zukommen muß und ihnen auch jukommen soll, die Le stun n n et der erwerbslätigen Kreise muß auch von ihnen berücksichtigt werden. Anderseits ist es auch im Interesse des Staates, immer wieder- kebrenden , . endlich ein Ende zu machen; die Beamtenklassen, deren soztale Lage in den letzten Jahren unleugbar zurückgegangen ist, müssen vor einem Herabsinken ihres Ansehens bewahrt werden, es muß dem Beamten seine Berufs. und Aibeitsfreudigkeit in vollem Umfange erhalten werden. Gegen den § 2, wonach Aendtrungen der neuen Besoldunggordnung durch den tat sollen erfolgen önnen, haben auch wir Bedenken. Ob die Vorschläge der neuen Ordnung selbst zunächst für die Offiziere und Mannschaften des Reichsheereg genügen, wird im Schoße der Kommission gründlich ju prüfen sein. Wir haben er cht, daß ingbesondere das Anfangsgehalt der Beamten so bemessen wird, daß er sofort in elne una hae Stellung hineinkommt, daß auch das Steigen des Gehalts den Anforderungen entspricht, die Haushalt und . an den Beamten stellen. b der neue Gehaltstarif diesen Voraus. setzungen entspeicht, ist nicht pr enn jwelfelsfrekt. Die gute Absicht der Regierung soll nicht bestistten werden; aber man wird auch die Volksvertreter nicht beschränken wollen, genau ju er⸗