wägen, wie weit den Wünschen und Ansprüchen der Beamten , e ,. werden kann, und wenn wir dabei über die Ansätze der Vorlage hinausgehen, soll uns nicht ein quod non entgegen- gesetzt werden. Um einen Wettlauf um die Gunst der Beamten, den ich ohne weiteres als einen unlauteren bezeichnen würde, kann es sich dabei nicht handeln. Tatsache ist, daß nicht nur Chemnitz, sondern auch eine Reihe anderer Orte im Endeffekt für die Unterbeamten nicht eine Aufbesserung von 200 S, sondern eine viel geringere Erhöhung aufjuweisen haben würden, ja, daß sogar eventuell durch das . von Nebenbezügen direkt eine Einbuße an dem bisherigen Einkommen bel einer Anzahl von Beamten eintreten würde. Mit dem Prinzip des Wegfalls von Zulagen könnte man einverstanden sein; wo aber die bisherigen Stellenzulagen sich zu Altergzulagen ausgewachsen haben, bilden sie tatsächlich einen Teil des Gehalts und können nicht einfach in Wegfall gebracht werden. Die Beamtenverhältnifse im Reiche baben sich nach der Vorbildung, nach der Dienstpflicht in den verschiedenen Reichsressorts so ver⸗= schiedengrtig gestaltet, daß es für den Reichstag um so mehr Pflicht ist, weise absuwägen, wle weit man in der Uniformterung, in der Vereinigung verschiedener Beamtenklassen mit gleicher Titulatur in einer Besoldungsklasse gehen darf. In dieser Beziehung darf auch Deutschland einmal den Einzelstaaten vorangehen, nach⸗ dem bisher in Wirklichkeit Preußen maßgebend gewesen ist. Vielleicht hätte man es sich überlegen sollen, ob man nicht gleich⸗ zeitig der Reform der Bebördenorganisation nähertreten sollte. Auf die einzelnen Gehaltsfestsetzungen will ich nicht eingehen. Wenn der Abg. Speck gewünscht hat, daß die Festsetzung der Gehälter der Leutnants und Hauptleute eine durchlaufende wäre, daß diese beiden Kategorien durchrangieren, so kann ich mich mit einem solchen Gedanken nicht befreunden. Erwägens⸗ wert wäre, ob es nicht angezeigt wäre, bei der Festsetzung der Gehälter für die Leutnants statt der Dreiteilung eine Vlerteilung vor⸗ zunehmen. Jedenfalls muß jwischen den Gehältern der Leutnants und der Hauptleute ein wirklicher Sprung sein. Eine Gewährung von Erziebungsbeihilfen würde einen Ausgleich zwischen verheirateten und unverheirateten Beamten zur Folge haben, den ich nur billigen könnte. Bei der Festsetzung des Wohnungsgeldzuschufses die Lebensmittel- verhältnisse usw. ins . zu keen. würde ziemlich schwierig sein. Das Ergebnis der Erhebungen über die Klasseneinteilung der Orte wird einer hesonderen Prüfung bedürfen, zumal die Klasseneinteilung für die nächsten 10 Jahre maßgebend sein soll. Es besteht schon eine Menge von Beschwerden, die sid noch vermehren werden. Sache der Kommission wird es sein, zu prüfen, wie weit einzelne Orte sich bei dieser , ,. Recht benachteiligt fühlen. Gegenüber diesen Auf⸗ wendungen für die Beamten wird man auch an Ersparnisse denken müssen. Ob dabei sehr große Summen herauskommen werden, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls lassen sich Ersparnisse erzielen bei den Inspektions, und Revisiongreisen der höheren Beamten. ch kenne einen Fall, wo dreimal ein Oberpostinspektor das Bedürfnis der Auf⸗ stellung eines Briefkastens zu prüfen hatte, zum vierten Male kam der Oberpostdirektor, und da erst wurde der Brief⸗ kasten aufgestellt. Man könnte hier etwas dezentralisieren.
sehe nicht ein, weshalb erst aus dem weit entfernten Oberpostdirektionsbejirk ein Inspeklor oder Revisor hinkommt, um eine Agentur zu revidieren, Ersparnisse ließen sich auch machen in bezug auf die Vergebung der Arbeiten oder Lieferungen. Eg brauchen nicht immer dieselben Fabriken herangezogen zu werden. Ich möchte der Freude meiner Fraktionsgenossen Ausdruck geben, daß es den Postunterbeamten gelungen ist, ihren Verband auf das ganze Reich zu erstrecken. 2j den Gesetzentwurf, betreffend den Verlust der Staatsangehörigkeit, haben wir lange warten müssen. Es ist notwendig, daß wir endlich einmal den überaus zahlreichen Verluften, die unser deutsches Volkstum im Auslande erleidet, einen Riegel vorschieben. Nicht nur im Inlande, sondern auch im Aus—⸗ lande muß das Deutschtum sich selbst erbalten bleiben.
Hierauf wird Vertagung beschlossen. Persõnlich bemerkt der Abg. Haußmann (d. Vollsp.):
Al Der Reichskanzler hat mich gründlich mißverstanden, wenn er meinte, ich hätte mich dagegen ge⸗ wandt, daß Deutschland Oesterreich diplomatisch unterstützt, ich habe dies im Gegenteil ausdrücklich verlangt. Auch meine Meinung über den Geheimrat von Holstein hat er gründlich verkannt. Ich habe den Abg. Bassermann zitiert, der bemerkt hatte, im Reichs—⸗ kanzleramt fehle es am Geist des Geheimrats von Holstein. Dies habe ich nicht gelten lassen. Wenn jetzt der Reichskanzler mich angreift, so werde ich mich künftig hüten, gegen den Vorwurf des Geistesmangels im Auswärtigen Amt mich auszusprechen.
Schluß 6i1Jg Uhr. Nächste Sitzung Freitag 11 Uhr. (Fortsetzung der heutigen Beratung.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
II. Sitzung vom 10. Dezember 1908, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Auf der Tagesordnung steht die Interpellation der Abgg. Trim born (Zentr.) und Genossen:
Durch welche Maßnahmen gedenkt die Königliche Staats- regierung zur Linderung der Arbeitslosigkeit mitzuwirken, welche an zahlreichen Orten der Monarchie auf gewerblichem Gebiete in erheblichem Umfange in die Erscheinung tritt und sich weiter aus⸗ judehnen droht?“
sowie die Beratung folgender Anträge: 1) des Antrags der Abgg. Aron sohn (frs. Volksp.) und Genossen,
die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, in Anbetracht der gegenwärtigen ungünstigen Lage des Arbeitsmarktes mit tunlichster Beschleunigung diejenigen öffentlichen Arbeiten in Angriff zu nehmen und auszuführen, für welche Staatsmittel bereit *
nd, ferner die einzelnen Verwaltungszweige anjuweisen, da . ländische zur Verfügung stehende Arbeitskräfte hinter auslaäͤndische zurũckgesetzt werden!, 1 2) des Antrags der Abgg. Rahardt (kons) und Ge⸗ nossen,
die Königliche Staatsregierung ju ersuchen, den Schwierig- keiten gegenüber, welche für einige Erwerbsklassen, insbesondere in den Großstädten, durch die gegenwärtige wirtschaftliche Lage entstanden sind, helfend einzugreifen 1) durch möglichst be⸗ schleunigte Vergebung der im laufenden . vor⸗
esehenen Arbeiten, insbesondere im Baugewerbe, 2) durch ücksichtnobme auf diese Verhältnisse bei Aufstellung des nächst⸗ jährigen Etats“). Nachdem Abg. Trimborn (Zentr.) die Interpellation be⸗ , . hat, eröffnet der Präsident von Kröcher gemäß einem ei Beginn der ng von dem Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons) gemachten Vorschlage sogleich, bevor die Beantwortung derselben durch den Minister für Handel und Gewerbe erfolgt, die Besprechung der Interpellation und der gestellten beiden Anträge. Zur Begründung des Antrags der Abgg. Aronsohn (fr. Volksp.) und Genossen nimmt das Wort Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vxg.): Es müssen alle Mittel in Angriff genommen werden, um die Arbeitelosigkeit zu bekämpfen, so⸗ wohl seitens der Verwaltung wie seiteng der Gesetzgebung, sohald
die e, . Arbeitgeber; nach Tausenden jählen die Arbeiter, die fie beschäftigen, nach Hunderten von Millionen die Summen, die ihnen für öffentliche Arbeiten zur Verfügung fleben. Die öffentlichen Arbelten müssen so eingerichtet werden, daß in Zeiten des wirtschaft⸗ lichen Aufschwungs die Bestellungen sich nicht übermäßig häufen, daß in Zeiten des Niedergangs aber um so mehr Aufträge erteilt werden, damit der Niedergang mit seinen Folgen gemildert wird. Den Strom kann man ja nicht lenken, aber das Schiff kann man lenken. Durch eine richtige Delonomie der Kräfte kann man manche Fehler der Konjunktur ausgleichen. Ueber die getroffenen Gegenmaßregeln der Regierung sind wir ja bereitg unterrichtet, der Wortlaut des be⸗ treffenden Erlasses ist so, daß wir ihn auch nicht hätten besser machen können. Allerdings scheinen, wie mehrere Fälle von Gefangenen⸗ arbeit und Soldatengrbeit beweisen, die unteren Verwaltungsorgane diese Vorschriften nicht immer richtig auszuführen. Im Reichstag ist behauptet worden, daß die Eisenbabnverwaltung in dlesem Jahre mit ihren Bestellungen in n . Weise zurückgehalten habe. Ist dat richtig? Ich hoffe, daß der Minister ung aufklären kann. Die Aus führungen des Abg, Tiimborn über die Beschäftigung ausländischer Arbeiter sind gewiß richtig, aber sie sind etwas eigentümlich bom Standpunkt des Zentrums und der Konservativen, die immer bei Kanalbauten die Beschäftigung ausländischer Arbeiter ver⸗ langt haben., damit der Landwirtschaft nicht Arbeiter entjogen würden. Die Gemeinden haben manches getan gegen die Arbeitslosigkeit, namentlich hat Cöln ,,,. Verständnis be⸗ wiesen, aber ebenso auch andere Städte; Berlin hat große Summen für die Beschleunigung öffentlicher Arbeiten angewiesen. Der Arbeitslosenzählung wird immer ein Mangel anhaften, aber es muß eine einheitliche Methode und ein einheitlicher Zeitvunkt zwischen den Städten darüber vereinbart werden, damit möglichst sichere Resultate sich ergeben. Eine wichtige Aufgabe ist die Unter⸗ stützung der Arbeitsnachweise; die Arbeitsnachweise können aller⸗ dings nicht Arbeit schaffen, wohl aber Arbeit vermitteln und die Arbeiter nach der Arbeitsgelegenheit verteilen. Nicht in allen In⸗ dustrien berrscht in . Maße Arbeltelosigkeit. Wenn die Laura—⸗ hütte z. B. jetzt Arbeitskräfte sucht, so ist das ein Beweis, daß die Arbeitsnachweise noch nicht richtig organisiert sind. Unterstützung von Staat und Gemeinden können aber nur in Frage kommen bei paritätischen Arbeitsnachwelsen bei gemeinnützigen Ein⸗ richtungen, aber nicht bei gewerbsmäßigen. Die Arbeitsnachweise der Berufsorganisationen haben den Umstand gegen sich, 3. man sie als Machtmittel im Arbeitskampf benutzen möchte; wir müssen die öffent⸗ lichen Arbeitsnachweise erweitern und auebauen, dann werden sich die privaten Nachweise dleser Organisation angliedern. Wenn auch überall Sparsamkeit am Platze ist, so darf auf sozialpolltischem Gebiete nicht gespart werden; hier können einige Tausende schon Nutzen stiften, wenn nur Staat und Gemeinden in richtiger Weise vorgeben. Die 77 Millionen, die dem Finanzminister jur Deckung der Kosten der Beamtenbesoldungen noch fehlen, dürfen nicht an dieser Stelle eingebracht werden. Der Arbeitslosenversicherung stehen aller⸗ dings gie. Schwierigkeiten entgegen, und jwar bei jeder Art der Organisation derselben, sei es in Staaten, sei es in den Ge⸗ meinden. Schwer ist namentlich die . der eigenen Ver⸗ . die Kontrolle darüber, ob nicht während der Unter⸗ ö heimlich gearbeitet wird, die Feststellung, zu welchem Lohn eine Arbelt angenommen werden muß, und welcher Art die Arbeit sein soll. Indessen ist schon früher vorgeschlagen worden, daß eine Kommission jusammengesetzt werden soll, welche dieses Problem prüfen und Vorschläge machen soll. Wir haben allerdings vom Reiche 1906 eine Denkschrift über diese Frage bekommen, seitdem ist aber nichts weiter gescheben. Wir sollken wenigstens die Ge⸗ meinden ermächtigen, wenn sie in ihrem Bezirk eine Arbeite losen⸗ versicherung für angemessen halten, die nötigen Einrichtungen vorzu⸗ nehmen. Rechtlich sind die Gemeinden darin heute auch gebunden. Es ist gewiß ein diskutabler Gedanke, daß die öffentlichen Korpora—⸗ tionen, Staat oder Gemeinden, die Arbeiterorganisationen bei der eigenen Versicherung unteistützen, aber wenn eine Korporation erst jahlt, dann kann sie auch ein Aufsichtsrecht verlangen. Ein Hindernis bildet dabei die politische Stellung der Gewerkschaften. Mit un⸗ politischen Berufsvereinigungen hätte man sich leicht verständigen können, aber die Gewerkschaften haben sich mehr und mehr in das Fahrwasser der Sozialdemokratie begeben. Vorbildlich sollten die englischen Verhältnisse dafür sein. Im ganzen werden wir zu dem Schluß kommen müssen, daß das Uebel der Arbeits- losigkeit sich jwar nicht beseitigen, wenigstens aber mildern läßt, und dazu sollten alle beitragen. Ich bitte, unseren Antrag nicht erst an 2. Kommission zu verweisen, sondern gleich hier im Plenum an⸗ zunehmen.
Abg. Rahardt (Hosp. der Kons.): Auch meine Freunde wollen mit ihrem Antrage zur Linderung der Arbeitsnot beitragen, aber wir fassen doch die Sache etwas anders auf als der Vorredner. Von dem Vor⸗ redner habe ich kein Wort darüber gehört, daß auch andere Kreise als nur die Arbeiter unter der Not leiden; ich rechne dazu die Handwerker- und Gewerbekreise. Solange Deutschland eine Großindustrie hat, wiederholen sich diese Krisen immerfort; man hätte schon früher in dieser Frage lernen können. Die Hochkonjunktur wird regelmäßig von der Industrie überspannt. In meinem Beruf, in der Holz⸗ industrie, haben wir mit unserem paritätischen Arbeitsnachweis nicht besonders gänstige Erfahrungen gemacht; denn die Hirsch⸗Dungerschen Vereine baben uns erklärt, daß sie sich nicht daran beteiligen könnten, wenn wir auch verlangten, 6j die nichtorganisierten Arbeiter jugelassen würden. Es wäre falsch, in dieser Frage ge er einzugreifen, über die wir selbst im praktischen Leben noch nicht klar sind. Wir haben im Tischlerberuf in Berlin 2000 Arbeitslose, trotzdem ist es oft schwer, Stellen zu hesetzen, selbst bei 30 M Lohn. Man will den unschuldig Arbeitslosen zu Hilfe kommen, will aber nicht unterscheiden zwischen selbstverschuldeter und unverschuldeter Arbeitslosigkeit. Wem soll die Kontrolle hierüber zukommen? Sollen wir etwa dem Vorschlage des Herrn Dominicus in Straßburg folgen, von Staats oder Gemeinde wegen Unterstützungen an die Ge— werkschaften zu jahlen für die Arbeitslosenversicherung, die nur ihre organisierten Arbeiter bedenken würden? Das wäre das rößte Unrecht gegen die nichtorganisierten Arbeiter. Man tösßt immer wieder auf den Einwand, 9. die Arbeits losen⸗ versicherung versicherungstechnisch gar nicht zu lösen sei. Wenn wir die Arbeiter in dieser Weise unterstützen wollten, aber die Arbeit- geber, die Handwerker vergessen wollten, deren Betriebskosten nicht geringer werden, wenn der Betrieb nicht voll be schäftigt ist, die ihre Kinder auch nicht plötzlich aus der Realschule nehmen können, so hieße das geradezu Staatsbürger erster und jweiter Klasse schaffen. Das ist immer der Fehler, daß man in der Sozialpolitik nur an die Arbeiter denkt. Die Handwerker genießen nicht die Wohltaten der sozialen Gesetz⸗ gebung, ebensowenig den Vorzug der Beamten, im Alter und auch in bösen Tagen ganz unabhängig zu sein vom Wirt⸗ schaftsmarkt. Tausende Gewerbetreibende des Mittelstandes würden bei einer Bilanz sehen, daß sie weniger verdient haben als ihre Arbelter, die außerdem für die Beschaffung des Wochenlohngeldeg nicht zu sorgen haben. Ferner verlangen die Syndikate auch jetz; noch von uns Handwerkern die Rohproduktpreise der Hochkonjunktur. Aus verschiedenen Umständen geht deutlich hervor, daß trotz des Erlasses des Ministers statt der Arbeits⸗ losen die Gefangenen beschäftigt werden. (Der Redner verliest ein Schreiben.) Das Korbmacherbandwerk ist dadurch schon vernichtet, das Tischlerhandwerk wird folgen; im Rawitscher Zuchthaus beschästigt eine Tischlerei 120 Personen. — Soll etwas geschehen gegen die Aibeitslosigkeit, so muß es sofort sein. Statt 225 Millionen für eine unproduktive Arbeitslosenversicherung auszugeben, wie es der Abg. Molkenbuhr will, schlage ich vor, 1900 Millionen für Bauten einzustellen. Dabei würden die 75 Mill. Mark Löhne 62 500 Arbeitern 1 Jahr lang Aibeit gewähren und außerdem viele kleine Gewerbetreibende in Nahrung setzen. Wir brauchen uns dann den Kopf nicht über die Arbeitzlosenversicherung
habe ich nicht — zu erwägen, ob nicht darin das befle Mittel zur Linderung der Arbeitslosigkeit 16 Wir haben auch auf der rechten Seite des Hauses den ehrlichen Willen, nicht nur den Arbeitern zu belfen, sondern auch den anderen Staatzbürgern, die ebenso wertvoll für den Staat sind.
Minister für Handel und Gewerbe Delbrück: Meine Herren! Nach der eingehenden Begründung, welche die
erfahren hat, ist es für mich einigermaßen schwierig, zu dieser Frage etwas Neues ju sagen, und es liegt für mich die Versuchung nahe, mich auf die Beantwortung einiger Fragen zu beschränken, zumal ja der Herr Abg. Trimborn in allen Fällen sorgsam das Für und Wider der von ihm befürworteten und gewünschten Maßnahmen erörtert hat und, wie ich dankbar anerkennen muß, bestrebt gewesen ift, die Dinge nicht nur mit dem Auge des Volksvertreterg, sondern auch mit dem Auge des Ministers objektiv zu betrachten. (Heiterkeit) Aber, meine Herren, ich werde versuchen, durch eine vielleicht etwas andere Gruppierung der Gedanken der Frage noch etwas Neues abzugewinnen, mich aber im übrigen auf das ausgiebige Zahlenmaterial, das der Abg. Trimborn hier vorgebracht hat, beziehen, ohne es zu wiederholen ˖
Der Herr Abg. Trimborn hat in den sehr bemerkenswerten ein⸗ leitenden Sätzen seiner Rede ja klargelegt, daß die Arbeitelosigkeit und ihre Folgen ein Problem bieten, das unt heute nicht zum erstenmal beschäftigt und menschlicher Berechnung nach leider auch nicht jum letztenmal beschäftigen wird. Es handelt sich um ein Problem, das nicht uns allein, sondern alle Kultur und Industriestaaten der Welt beschäftigt. Es handelt sich um ein Problem, das man nicht als die Begleiterscheinung einer bestimmten Wirtschaftspolitik bezeichnen kann; Großbritannien müht sich mit dem Problem der Arbeitolofigkeit ebenso ab wie wir. Man kann höchstens davon sprechen, daß eine Wirtschaftspolitik den Staat gegen derartige Erschütterungen des Marktes widerstandsfähiger macht als die anderen, und wenn man nach dieser Seite hin einen Vergleich ziehen will, so wird man wohl sagen können, daß die deutschen Verhältnisse den Vergleich mit Groß britannien reichlich aushalten. (Sehr richtig) Im Gegenteil, die Erfahrungen des Jahres 1900, wie die Erfahrungen der Jahre 1907 und 1908 haben gezeigt, daß unser Markt im allgemeinen außer⸗ ordentlich widerstande fähig gewesen ist.
Meine Herren, einer der Herren Vorredner hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß wir die Krisen und die in ihrer Folge auftretende Arbeitslosigkeit nicht aus der Welt schaffen könnten, solange es nicht gelingt, eine Formel zu finden, um Angebot und Nachfrage auf allen Seiten dauernd zu balanzieren; und selbst wenn das für einen einzelnen Staat gelänge, würde uns das doch nicht viel helfen. Denn je internationaler sich unser Markt gestaltet, um so komplijierter werden die einzelnen Faltoren, die beim Herelnbrechen einer Krisis mitwirken, sie können wirtschaftlicher, politischer Natur, sie konnen lokaler, sie konnen nationaler, sie können internationaler Art sein. Es ist infolgedessen an sich vielleicht überflüssig, wenn man über die Mittel spricht, mit denen die nun einmal herrschende Arbeltslosigkeit zu be⸗ kämpfen ist, über die Ursachen nachzugrübeln, welche die Krifis hervor⸗ gerufen haben, in deren Gefolge die Arbeitslosigkeit aufgetreten ist. Immerhin aber hat die Frage nach den Ursachen einer Krisis insofern im einzelnen Falle einen gewissen Wert, als sie immer Anhaltspunkte für Beurteilung von Umfang und voraussichtlicher Dauer der Krifig gewährt. Deshalb bitte ich, mit wenigen Worten noch einmal, anknüpfend an dat, was der Herr Abg. Trimborn schon gesagt hat, auf die Krisis eingehen ju dürfen, unter deren Einwirkungen wir noch heute stehen. ;
Es ist darauf hingewiesen worden, daß die Krisiß aus Amerika gekommen ist, daß der amerikanische Markt den Anstoß für die Krisis auf dem europäischen und deutschen Markt gegeben hat. Aber, meine Herren, man muß sich dabei auch darüber klar sein, daß die Ein⸗ wirkung, welche die amerikanische Krisis auf unseren Markt gehabt hat, in erster Linie unsern Geldmarkt getroffen hat. Das Gold⸗ bedürfnis der Vereinigten Staaten von Amerika hat den Geldmarkt der europäischen Staaten und ganz besonders unsern ohnehin schon gespannten Markt in große Schwierigkeiten gebracht. Diese Schwlerigkeiten unseres Geldmarktes haben die schon stehende Flut der Hochkonjunktur jum Kentein gebracht und haben mittelbar dann eine rückläufige Bewegung für unser gesamtes Erwerbsleben, wie vor⸗ hin sehr richtig gesagt ist, nicht bloß für die Industrie und den Arbeiter, sondern auch für den Handwerker, für den gesamten Mittel⸗ stand herbeigeführt — eine rückläufige Bewegung, dle allerdings bei der enormen Anspannung aller wirtschaftlichen Krafte der Nation über kurz oder lang wahrscheinlich auch durch einen anderen minder ge⸗ wichtigen Anlaß ausgelöst worden wäre. Aber, meine Herren, die Tatsache bleibt bestehen, es hat sich bei uns in erster Linie um eine Finanzkrisig und erst mittelbar in jweiter Linie um elne Industrie⸗ krisis gehandelt. Daraus ergeben sich die sehr verschledenartigen Gin⸗ wirkungen der Krisis auf die einzelnen Gruppen unserer Induftrie.
Wir können heute immerhin das eine wohl zweifellos
feststellen, daß die Geldkrisis, welche die allgemeine Krisis anggelsöst hat, heute als überwunden gelten kann. Der Geldmarkt ift flüssig, und bei denjenigen Gewerben, welche in allererster Linie auf einen flüssigen Geldmarkt angewiesen sind, die infolgedessen zuerst und am schwersten von der Krisis getroffen sind, macht sich eine gewisse Hoff⸗ nung auf Besserung bemerkbar. Das gilt in allererster Linie vom Baumarkt, von dem wohl zu erwarten ist, daß, wenn die Schwierig⸗ keiten der Saison überwunden sind, bessete Verhältnisse eintreten werden; darauf lassen auch die Geschäftsverhältnisse der Pfandbrief⸗ banken schließen. Neben dem mittelbaren Einfluß der amerikanischen Krifis bat sich natürlich auch ein unmittelbarer Einfluß geltend gemacht bei allen denjenigen Industrien und Betrieben, welche auf den Export nach Amerika angewiesen sind oder unsern Wirtschaftsverkehr mit Amerika vermitteln. Dahin gehört in allererster Linie die Textilindustrie, weiter ein Teil unserer Konfektiontindustrie, die Porzellaninduftrie und eine Reihe anderer Luxutsindustrien; es gehört dahin auch der Schlff⸗ bau, der ja wesentlich durch unsern überseeischen Verkehr alimentiert wird. Alle diese Induftrien sind besonders früh, besonderg scharf und besondert nachhaltig getroffen und haben unter der Krisig wohl am allerschwersten zu leiden gehabt.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
das letztere nur irgend möglich ist. Wir haben es hier mit einer internationalen Krisig ju tun. Daz Reich und die Ginjelstaaten sind
zu zerbrechen, sondern schaffen Arbeit für die Unternehmer und die Arbeiter. Ich persönlich bitte die Regierung — einen Auftrag dazu
Interpellation Trimborn seitens des genannten Herrn Abgeordneten
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
292.
(Schluß aus der Ersten Bellage.)
Nun, meine Herren, aus dem, was ich eben angeführt habe, er⸗ gibt fich klar, daß die Einwirkung der Krisis auf den Arbeitsmarkt in den einzelnen Industrien, in den einzelnen Betrieben und auch in den einzelnen Gegenden unsereg Vaterlandes eine ganz verschiedene gewesen ist. Wle sich der Arbeitsmarkt in den einzelnen Industrien nun tat— sächlich stellt, daß ist, wie der Herr Abg. Trimborn vorhin schon ge⸗ sagt hat, sehr schwer festzustellen. Wir haben keine entsprechende Statistik, und die Zahlen, die uns angeführt werden, haben immer nur einen relatlven Wert, weil uns zu ihrer Beurteilung die Ver⸗ aleicheziffern fehlen. Im übrigen ergeben die Zahlen aber, die der Herr Abg. Trimborn angeführt hat, im wesentlichen dasselbe Bild, wie ich es durch Heranziehung einer ganzen Reihe von anderen Merk malen: Abruf, Umfang der Beschäͤftigung in den einzelnen Betrieben und dgl. mehr, gewonnen habe, und ich bitte, auch auf diese Punkte, ohne auf die Zahlen einzugehen, noch einmal kurz zurücklommen ju důrfen.
Ich schicke voraug, meine Herren, daß wir in einem Teile unseres Vaterlandes überhaupt keinen Mangel an Arbeitsgelegenheit haben, sondern daß wir doch einen Mangel an Arbeitern haben (sehr richtig rechts h, und dauernd haben werden. Dies gilt besonders von unserer zstlichen Landwirtschaft, die auch heute noch nicht über das Maß von Arbeitskräften verfügt, das sie braucht. Das gilt vor allen Dingen für unsere Forstwirtschaft, die in diesem Jahre infolge des Nonnen⸗ fraßes, der sich über fast ganz Deutschland verbreitete, über ein Maß von Arbeit verfügt, für das bis jetzt ein hinreichendes Angebot von Aibeitekräften noch nicht annähernd gefunden ist. (Sehr richtig! rechts.)
z Wenn ich dann auf die Industrie übergehe, so bitte ich, mit der Steinkohlenindustrie beginnen ju dürfen. Der Betrieb der Stein⸗ kohlenbergwerke ist ja ein Barometer für die wirtschaftliche Lage des Staats überhaupt oder doch eines großen Teiles seiner Industrle. Hier liegen nun die Dinge merkwürdig ver⸗ schieden. Am stärksten ist wohl die rückläufige Bewegung im Ruhrrebler. Hier haben Betriebseinschränkungen stattfinden müssen. Die Kokereien verfügen über ein großes Lager an Koks. Im Saarrevler ist die Situation nicht so gespannt. Dort hat die Förderung keine Einschränkung ju erfahren brauchen und wird wahr- scheinlich keine Einschränkung erfahren. In beiden Gebieten besteht nach meinen Informationen noch nicht ein irgendwie bedroblicher Arbeitsmangel, wie ja auch die Zahlen, die durch die Presse gehen, nachweisen, daß im Bergbau die Zahl der unbeschäftigten Arbeiter außerordentlich gering ist — wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, erheblich unter 1 0/0.
In Oberschlesien liegen die Dinge anders. In Oberschlesien herrscht im Bergbau zurzeit noch ausgesprochener Arbeitermangel. In Oberschlesien ist der Abruf nach Kohle stärker als in den vergangenen Jahren; es hat im Monat September und Oktober die Bahnver— frachtung, wenn ich nicht irre, 100 / 0 mehr betragen als in den gleichen Monaten des Vorjahres. Im November ist die Ziffer noch etwas böher gewesen. Hler kann also von irgend einer den Arbeitsmarkt beeinflussenden rückläufigen Bewegung nicht die Rede sein; im Gegentell, es besteht, wie ich schon sagte, hier noch ein direkter Mangel.
Meine Herren, wenn ich nun von der Kohlenindustrie auf die am stärksten Kohle verbrauchenden Industrien übergehe, so finde ich hier dasselbe Bild. Den Mengen an Kokelagern auf den Halden der Kokereien im Westen entsprechen stärkere Reduktionen in den Betrieben der schweren Eisenindustrie. Sie finden im Saarrevier einen nicht unbeträchtlichen Rückgang in der Beschäftigung der schweren Eisen⸗ industrle, während Sie in Oberschlesien die Eisenindustrie — allerdings zu außerordentlich niedrigen Preisen — beschäftigt finden. Die Ma⸗ schinenindustrie ist von den übrigen Industrien abhängig. Gat arbeiten diejenigen Industrien, welche für den Bergbau arbeiten, obwohl hier für die nächste Zeit über mangelnde Aufträge geklagt wird.
Am schlechtesten geht es denjenigen Teilen der Maschinenindustrie, welche von den am schwerften betroffenen Teilen unserer Industrie in Mitleidenschaft gejogen sind, auf die ich jetzt kommen werde; das sind also die schöon von mir vorhin erwähnten Zweige der Industrie, die entweder direkt von Amerika beeinflußt sind oder aber durch die Lage des Geldmarktes am ersten und schwersten betroffen werden mußten,
die Textilindustrie in allererster Linie. Hier ist aber ebenso wie bei der
Eisenindustrie festjustellen, daß wir anscheinend den Tiefstand der Kon⸗ junktur erreicht, vielleicht schon hinter uns haben; es werden hier überall kleine Besserungen gemeldet. Das hängt, was die Textilindustrie be⸗ trifft, vielleicht auch mit der Stabilisterung zusammen, welche die polltischen Verhältnisse in Nordamerika durch die injwischen voll⸗ zogene Präsidentenwahl erfahren haben.
Neben den eben von mir genannten Industrien sind das Bau— gewerbe und alle mit ihm zusammenhängenden industriellen und hand- werksmäßlgen Betriebe am schwersten betroffen. Hier ist mweifellos di: Arbeitslosigkeit am größten; daher ist auch die Arbeitslosigkeit in allen unseren großen Städten am fühlbarsten und am unbequemsten. Aber es ist hier immerhin zu hoffen, daß mit Räücksicht auf die er⸗ hebliche Besserung des Geldmarktes im Laufe des nächsten Jahres eine Besserung eintritt, und wenn die Erwartungen, die man hieran knüpft — ich will sie mir nicht unbedingt ju eigen machen — in Er füllung gehen, dann ist erfahrungsgemäß auch auf eine Besserung der Verhältnisse in der Gisenindustrie ju schließen, die ja immer einer Besserung der Verhältnisse im Baugewerbe ju folgen pflegt.
Meine Herren, ich gläube, mich auf diese allgemeinen Be—⸗ merkungen beschränken zu dürfen, und komme nunmehr zu der Frage, wle man denn die Arbeitzlosigkeit im allgemeinen und im einzelnen bekämpfen soll.
Meine Herren, solange man die Ursachen der Krise nicht aut der Welt schaffen kann, braucht man sich den Kopf nicht darüber iu zerbrechen, wie man durch eine Abmilderung oder eine Beseitigung
1908.
Berlin, Freitag, den 11. Dezember
der Krise einer unvorteilhaften Beeinflussung des Arbeitsmarktes durch sie vorzubeugen in der Lage ist, sondern man kann immer nur die Frage aufwerfen: was können wir im gegebenen Falle tun, um die Arbeitslosigkeit zu beschränken. Da es sehr schwer ist, den Arbeits markt in dem Maße zu beeinflussen, wie es notwendig ist, um ein Ueberangebot von Arbeitskräften aus der Welt zu schaffen, so ist es ja theoretisch absolut korrekt, zu schließen: wir müssen zu einer Arbeits⸗ losenversicherung kommen.
Nun, meine Herren, die Schwierigkeiten, die einer Arbeitslosen⸗ versicherung entgegenstehen, hat der Herr Abg. Trimborn berelts erwähnt. Es handelt sich um eine Sache, die eventuell nur im Wege der Reichsgesetzgebung zu iegeln wäre. Ich kann mich daher darauf beschränken, hier zu erklären, daß die Königliche Staatsregierung in dieser Beniehung auf demselben Standpunkt steht, wie ihn im Namen der verbündeten Regierungen im Reichstage der Herr Staats. sekretär des Innern vor einigen Wochen kundgegeben hat.
Wir kommen nunmehr zu der Frage, wie man in der Lage ist, durch eine unmittelbare Beeinflussung des Arbeitsmarktes zu helfen. Meine Herren, man kann den Arbeitsmarkt ja jweifel⸗ logß in gewissen Grenzen durch eine verständige Regelung und Entwicklung des Arbeits nachweises beeinflussen. Sie wissen, daß die Königlich preußische Staatgreglerung und speziell das Minifterium, das zu vertreten ich die Ehre habe, seit jeher unablässig bemüht gewesen ist, das ganze Arbeitsnachweigwesen zu fördern, namentlich elne Zentralisterung des Arbeitsnachweises zu unterstützen, aber auch an geeigneten Stellen die Errichtung von unparteiischen, wenn tunlich paritätischen Arbeitsnachweisen durch Unterstützung aus Staatsmitteln anzuregen. Auf diesem Gebiete wird fortgefahren werden, soweit das nach der Finanzlage möglich ist. Ich glaube mich aber ju erinnern, daß mein Etat in dieser Bejiehung auch für 1909 ganz befriedigende Zahlen gibt; es sind, wenn ich nicht irre, bei dem einschlägigen Fonds 10 000 M mehr auegeworfen als im vergangenen Jahre. Aber, meine Herren, es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß man durch eine mehr oder weniger lokale Regulierung des Arbeits marktes, wie er durch die Arbeitgnachweise erfolgen kann, niemals in der Lage ist, die eigentliche Quelle des Uebels, den Mangel an Arbeitegelegenheit aus der Welt zu schaffen, einmal weil man durch Arbeitsnachwelse keine Arbeit schaffen kann, andereiseits aber auch um degswillen, weil es erfahrungs⸗ mäßig außerordentlich schwer ist, für die felernden Arbeiter bestimmter Industriezweige eine Arbeit zu beschaffen, die sie überhaupt verrichten können und die anzunehmen sie in der Lage sind. Schon vorhin ist darauf hingewlesen worden: der industrlelle Arbeiter, der sich vor einer vorübergehenden Arbeitslosigkeit befindet, entschließt sich sehr schwer, seine Heimat, den Ort selner bie herigen Beschäftigung zu verlassen; die Arbeiten, die ihm angeboten werden, sind aber unter Umständen auch solche, die er gar nicht verrichten kann, die seiner ganzen Er⸗ ziehung, seinen Lebensgewohnheiten so wenig entsprechen, daß er sie nicht übernehmen will; es handelt sich zum Teil um Arbeiten, die er gar nicht verrichten kann, wenn er nicht für seine ihm gewohnte Be⸗ schäftigung unbrauchbar werden will. (Abg. Dr. von Liszt: Sehr richtig) Man kann beispielsweise nicht einen Tapezierer, Maler, Stukkateur und andere Stubenarbeiter plötzlich mit Erdarbeiten be⸗ schäftigen, wenn man die Leute nicht der Gefahr aucsetzen will, daß sie die für ihren eigentlichen Beruf erforderliche Finger⸗ fertigkeit verloren haben, wenn sie in der Lage sind, zu ihrer gewohnten Beschäftigung wieder zurückzukehren. Also man darf zweifellos die Tätigkeit der Arbeitsnachweise nicht allzu hoch veranschlagen. Wirklich helfen kann man doch nur, wenn man tatsächlich in der Lage ist, nicht nur Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt einander näher ju bringen, sondern in der Welse zu verschieben, daß man entweder das Angebot von Händen verringert oder die Nachfrage nach Händen vermehrt.
Meine Herren, was nun die Frage der Verringerung des An—⸗ gebots betrifft, so sind wir hier ja in einer günstigeren Lage als andere Staaten, weil wir, wenn ich mich so ausdrücken darf — und das darf man nicht übersehen — in der Beschäftigung auswärtiger Arbeiter einen gewissen Regulator für den Arbeitsmarkt haben. Sie dürfen nicht vergessen, daß wir die auswärtigen Arbeiter nicht ins Land ge— zogen baben, um den Lohn zu drücken, nicht ins Land ge— zogen haben, um den Arbeitsmarkt zu verschlechtern, sondern daß die Heranziehung der ausländischen Arbeiter, namentlich soweit die östliche Landwirtschaft und Industrie in Frage kommt, der bitteren Not entsprungen ist. Ich bin fest davon über zeugt, wir würden im Osten alle viel lieber unsere alten Leute be— halten (sehr richtig! rechts), würden viel lieber unsere alten Leute be⸗ schäftigen und würden Opfer über Opfer bringen, wenn wir diese alten Leute halten könnten; aber sie sind nicht zu halten; sie ziehen sich in andere Beschäftigungen, die ihnen vorteilhafter, günstiger und bequemer erscheinen, hinein, und wir haben keinen Nachwuchs und sind infolgedessen angewiesen auf die auswärtigen Arbeiter zur Verrichtung von Arbeiten, die unsere elnheimischen Arbeiter nicht mehr verrichten wollen. Und ebenso liegt es in einer ganzen Reihe von anderen Gebieten. Die Beschäftigung von aus— ländischen Arbeitern bei Stromarbeiten, bei Deichbauten, Kanalbauten, bei Gisenbahnarbelten ist notwendig geworden, weil wir das Maß von einheimischen Händen, die wir brauchten und gern beschästigen würden, garnicht zu finden in der Lage sind. (Sehr richtig! rechts.) Also wir können unter normalen Verhältnissen auch hier den aus— wärtigen Arbeiter nicht entbehren, und es ist an sich korrekt und logisch, wenn der Staat, soweit ihm überhaupt die Möglichkeit daju gegeben ist, versucht, ausgleichend dahin zu wirken, daß die Arbeiter an den Stellen beschäftigt werden, wo sie ihrem Können, ihren Neigungen nach am jweckmäßigsten beschäftigt werden können, daß man also den einbeimischen landwirtschaftlichen Arbeiter seiner überlieferten Be⸗ schäftigung erhält, daß man die schweren, unsern Leuten unbequemen
Arbeiter — und darüber sind sich alle Ressorts der Königlichen Staatg⸗ regierung einig — nicht daju gebraucht werden oder dahin führen darf, daß in der Zeit einer mangelnden Arbeitsgelegenheit dem ein⸗ heimischen Arbeiter die Möglichkeit des Arbeitens genommen wird. Es ist vor einiger Zeit in Uebereinstimmung mit den Wünschen dieses hohen Hauses, wie vorhin schon erwähnt ist, für den Bau des Groß⸗ schiffahrtzweges Berlin — Stettin eine Anordnung erlassen worden, wonach keine einheimischen Arbeiter beschäftigt werden sollen, die im Umkreise von 25 Km von der Baustrecke in anderen Betrieben be⸗ schäftigt gewesen sind. Das hat dazu geführt, daß in einzelnen Fällen einheimische Arbeitslose bel den Kanalarbeiten keine Beschäftigung erhalten haben, und es hat deshalb bereits vor geraumer Zeit der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten — er wird selbft auf diesen Fall noch im einzelnen eingehen — Gelegenheit genommen, dafür zu sorgen, daß den einheimischen Arbeitern bis auf weiteres die Be—⸗ schäftigung bei derartigen Arbeiten völlig freisteht.
Sie ersehen daraus, daß wir uns im Schoße der König lichen Staatzregierung wohl im wesentlichen auf demselben Stand- punkt befinden, wie ihn der Herr Abg. Trimborn vorhin ausgesprochen hat. Wir müssen aber auch anerkennen, daß auch in der Privat- industrie versucht wird, in derselben Richtung zu arbeiten. Wir können nämlich aus dem Ruhrrevier feststellen, daß mit Herannahen der weichenden Konjunktur die Industrie bestrebt gewesen ist, gewisse ausländische Elemente aus ihrer Arbeiterschaft abzuschieben, und es liegt in der Natur der Dinge, daß man in eister Linie den ein—⸗ heimischen Arbeiter ju halten bestrebt ist.
Im übrigen möchte ich im Anschluß an diese Ausführungen noch feststellen, daß in den eigentlichen unmittelbar fiskalischen Betrieben, und jwar in keinem, Auslaͤnder beschäftigt werden. Es werden in der Bergverwaltung keine Ausländer beschäftigt, es werden in der Eisenbahnverwaltung nur ganz vorübergehend gelegentlich Aus- länder beschäftigt, in der Hauptsache handelt es sich um einen festen Stamm einheimischer Arbeiter. Dasselbe gilt von den anderen Ressorts.
Ich möchte ferner daran die Mitteilung knüpfen, daß in keinem unserer fiekalischen Ressorts, soviel ich habe feststellen können, Arbeiter⸗ entlassungen vorgekommen sind, die auf dem Arbeitsmarkt zur Ver mehrung der Arbeitslosen hätten beitragen können. Ich darf vielleicht, obwohl das nicht ohne welteres hierher gehört, noch hinzufügen, daß Lohnreduktionen in den figkalischen Ressorts, soweit ich habe feststellen können, nicht vorgekommen sind.
Ich komme nunmehr zu der gegenteiligen Frage: sind wir denn überhaupt in der Lage, die Nachfrage nach Arbeit unter Verhältnissen, wie sie augenblicklich bestehen, durch Maßnahmen der Staatgzregierung in irgendwie nennenswerter Weise zu steigern? Hier liegt ja am nächsten die Frage der Notstandgarbeiten. Ich kann nur seststellen, daß die Königliche Staatsregierung und ich persönlich — ich habe auf diesem Gebiete einige Erfahrung — zu dem Ergebnis gekommen sind, daß diese Notstandsarbeiten ein höchst mangelhaftes und unzureichendes Mittel sind, um einer wirklichen Not auf dem Arbeite- markte zu steuern. Zunächst muß man sich darüber klar sein, daß es sich dabel nur um Arbeiten handeln kann, die einen gewissen wirt⸗ schaftlichen Wert haben. Man kann nicht denselben Sandhaufen über den Berg und wieder zurückkarren lassen. Es liegt klar auf der Hand, daß es sich um Arbeiten handeln muß, die nach Lage der Verhältnisse von den Arbeitelosen verrichtet werden können. Und diese Arbeiten zu finden, ist außerordentlich schwer. Man kommt im großen und ganzen auf Erdarbeiten ab. Und diese Erdarbeiten, vollends im Winter, wo ja die Arbeitslosigkeit immer am schwersten auf den Arbeitern lastet, durch Industriearbeiter verrichten ju lassen, ist aus den vorhin erörterten Gründen sehr schwer. Die Leute sind gewöhnt, in geschlossenen Räumen zu arbeiten, sie werden durch die Arbeit im Freien krank, sie besitzen nicht die nötigen Anzüge; kurzum, ich kann nur versichern, ich habe in dem Winter, in dem ich mehrere Monate lang täglich 700 sogenannte Notstandgarbeiter beschäftigte, die Ueber zeugung gewonnen, daß es sich um einen Versuch mit untauglichen Mitteln handelt. Jedenfalls habe ich den Eindruck, daß die Arbeiter, die man bei den sogenannten Notstandtzarbeiten beschäftigt, eigentlich nicht die notleidenden Industriearbeiter und die notleidenden Hand⸗ werker sind (sehr richtig), sondern daß es Gelegenheitsarbeiter sind, die überhaupt nur vorübergehen arbeiten und Die sich nun in diese Beschäftigung hineindrängen, weil sie aus ihrer eigentlichen Beschäfti⸗ gung von den besser gestellten Industriearbeitern und Handwerkern verdrängt sind.
Nicht ganz so, aber ahnlich liegt eg mit der Frage der Arbeiterkolonien, der Arbeiterwanderstätten. Auch hier handelt es sich um einen ganz beschränkten Krels von Arbelten, den der Industriearbelter und der Handarbeiter im allgemeinen nicht gern verrichtet, aus den eben angegebenen Gründen. Diese Arbeiterkolonien und Wanderarbeitsstätten — die sich aus sehr verständlichen Sründen in den verschiedenen Teilen der Monarchle sehr verschieden entwickelt haben — bieten auch immer nur einem ganz kleinen Teile der Arbeiterschaft Unterschlupf und Beschäftigung und sind eigentlich gar nicht anzubieten dem verheirateten seßhaften Industriearbeiter, dem man mit Erfolg kaum vorschlagen kann, daß er seine Familie im Stich läßt, um für gerlngen Lohn irgendwo Moore zu kultivieren oder ähnliche Arbeiten zu übernehmen.
Eg kommt aber hinzu, — und ich möchte auch hier betonen, daß gerade auf diesem Gebiet, auf dem Gebiete der land⸗ und forstwirt⸗˖ schaftlichen Arbeiten aller Art ein augsgesprochener Arbeitermangel herrscht — daß wir keine Veranlassung haben, etwa mit besonderen Maßnahmen des Staates die an sich ja in ihren gegebenen Grenzen segengreiche Tätigkeit der Arbeiterkolonien und Wanderarbeitsstãtten aus udehnen.
Nachdem diese Fragen erörtert sind, bleibt nur die Frage übrig, inwiewelt die Staattregierung und neben ihr die Kommunen in der Lage sind, einen Einfluß auf den Arbeitsmarkt zu gewinnen dadurch, daß fie der Industrie, dem Handwerk, und ganz be⸗
Erd, Kanal⸗ und sonstigen Bauarbelten dem augwärtigen Arbeiter
zuwelst. Richtig ist allerdings, daß die Beschäftigung auswärtiger
sonders den notleidenden Betrieben ein höheres Maß von Auftragen
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