1909 / 20 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 23 Jan 1909 18:00:01 GMT) scan diff

wende man dem Deutschen verächtlich den Rücken zu; der Pole sei dagegen überall geachtet und gelitten.

Große Heiterkeit.) Im jweiten Punkt der Tagesordnung nahm man Stellung zu

den bevorstehenden Knappschaftswahlen und den Gemeinderats⸗ wahlen. Ich lese das vor, weil das ein Beispiel ist für das Uebergreifen der wirtschaftlichen Tätigkeit in die politische. (Sehr guth Der Redner ermahnte die Anwesenden, auf keinen Fall einem Deutschen seine Stimme ju geben; wenn die Deutschen ihnen so etwas zumuteten, so sei das eine offene Beleidigung für die Polen. Auch das ist charakteristisch. Ich zitiere immer aus dem Organ der Hirsch· Dunckerschen Gewerkvereine: Als dann ein Mitglied des christlichen Gewerkvereins ums Wort bat, um sich gegen die Angriffe zu verteidigen, fragte der Vorsitzende bei der Versammlung an, ob ein Deutscher sprechen dürfe, was die Versammlung mit Zwischenrufen heraus mit ihm!“ entrüstet ablehnte. (Hört! hört! und Heiterkeit.)

Der Artikel des ‚Bergarbeiters“ schließt:

Die Kameraden aber mögen aus obigem ersehen, welchen gewerk⸗ schaftlichen Wert man der ‚Polenvereinigung“ beimessen kann.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch an das Urtell erinnern, das der Herr Abg. Cuno im vorigen Jahre in sehr interessanten Aus⸗ führungen hier über die unseligen Wirkungen abgab, die dieser Ab⸗ schluß der polnischen Arbeiter in ihrer gesonderten, auf natlonalem Boden stehenden Organisation nach allen Richtungen ausübt. .

Nun, meine Herren, haben sich auch die Nationalliberalen in einer Zeitung, die in Bochum erscheint, im ‚Märkischen Sprecher“, im Jahre 1902, als die polnische Berufsvereinigung gegründet wurde, von vornherein ablehnend verhalten. Da wird gesagt:

Trotz des Ableugneng jedes politischen Beigeschmacks liegt die Ab sicht, die polnischen Berg⸗ und Hüttenarbeiter unter allen Um⸗ ständen dem Polentum zu erhalten, klar auf der Hand.

Meine Herren, ich komme nun zu den christlichen Gewerkschaften. Da hat der ‚Bergknappe“ in Altenessen am 31. Januar 1903 er stand damals, wenn ich nicht irre, im wesentlichen unter der Leitung des Herrn Abgeordneten Giesbertös (Rufe in der Mitte: Nein) hat damals unter dem Einflusse des Herrn Abgeordneten Giesberts gestanden (Wiederholte Rufe aus der Mitte: Niemals! Unter der Leitung des Landtagsabgeordneten Brust) Damals im Jahre 1903 schon? Da bin ich falsch berichtet. Aber immerhin ist es für das Urteil der christlichen Gewerkschaften ganz interessant. Sie sagen damals: Die mehrjährigen Quertreibereien des, Wiarus poltzki“ und seiner Leute von der Leitung des Polenbundes gegen unseren Gewerk— verein haben nicht vermocht, die vernünftigen polnisch redenden Kameraden vom Gewerkverein fernzuhalten. Die Schürer in der politischen Bewegung der Polen wissen ganz gut, daß die polnisch redenden Arbeiter mit ihren deutsch redenden Berufsgenossen vereint in ernster Gewerkschaftsarbeit zur Erlangung günstiger Lohn. und Arbeitsbedingungen sich wohl und zufrieden fühlen und den groß— polnischen Agitatoren kein Gehör schenken. Da blüht der letzteren Weijen nicht mehr. Daß nämlich auch der Polenbund unter religiösem Mantel nur einzig und allein ju staatspolitischen Zwecken großpolnischer Agitatoren gebraucht werden soll, weiß nachgerade jedes Kind. (Hört! hört! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Die angebliche Pflege des religiösen Lebens und der ange— stammten Muttersprache, Zwecke, die jeder loyal denkende Mit- mensch achten und billigen kann, sind nur Deckmantel der wirklichen Zwecke

(erneute Rufe: hört! hört h, die Polen gegen die deutsch redenden Arbeiter und Bürger zu hetzen in der Hoffnung, nochmal die Wiederauflebung des Poleu— reichs ju erreichen.

(Hört! hört! rechts.)

Im „Bergknappen“ von 1907 wird gesagt:

Die national polnischen Phrasen, mit denen man die polnischen Arbeiter von der Seite übermäßig füttert, um sie für ihre Pseudo— gewerkschaften zu kapern, ziehen nicht.

Dann die Mitteilungen“ des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften Deutschlands, deren Redakteur nun Herr Giesberte ist, behandeln in der Nummer vom 1. Dejember 1902 unter der Ueber⸗ schrift: Ein polnischer Gewerkverein der Berg⸗ und Hüttenarbelter“ die Gründung der polnischen Berufgvereinigung. Es heißt da am Schlusse:

Die Gründung ist lediglich der großpolnischen Agitation im Ruhr⸗ revier ju verdanken (hört! hört h, der sie auch Handlangerdienste zu leisten bestimmt ist. (Erneute Rufe rechtg: Hört! hört h Im Zentralverbande der christlichen Gewerkschaften Deutschlands,

Der Wiarus poltzkin, der hierüber berichtet, bemerkte dazu: Das soll nämlich heißen, daß die eifrigen Polen, welche ihre polnische Nationalität verteidigen, Feinde der Kirche sind.

Und nun, noch unter dem Eindruck dieses Antrags, der auf dem

Katholikentage gestellt war, erließ Wiarus polgki? einen „Aufruf

an das polnische Volk“, der sich gegen die Angriffe des Zentrums

richtet. Eigentlich widerstrebt es mir, meine Herren, dlesen Aufruf des Wiarus poltki“' zu verlesen; sein Inhalt widert mich an. Aber zur Charakteristik der Situation, wie sie sich dort im Westen unseres

Vaterlandes gestaltet hat, kann ich nicht darauf verzichten. Der

Wiarus poltkin sagt: Wir wissen, daß manche Zentrumsleute nichts so heiß wünschen als die Vernichtung des ‚Wiarus polski! und der durch ihn unter⸗ stützten Vereine und namentlich des polnischen Gewerkvereing“ und Polenbundes '. Und weshalb wünschen sie das? Deshalb, weil Wiarus polski, der Polenbund und „Gewerkvereinꝰ dem Zentrum im Mißbrauch der Religion für die Interessen der Aus—= nutzer widerstehen, ferner deshalb, weil das Zentrum die polnischen Arbeiter nicht dumm erhalten kann, wie es die Deutschkatholtiken dumm hält

(hört! hört! und Heiterkeit rechts und bei den Nationalliberalen); endlich deshalb, weil der ‚Wiarus polgki“ die Fahne des Glauben und der Nationalität hoch trägt, die moralischen und religiösen Interessen der Landgleute verteidigt, der zeitigen Bedürfnisse des Arbeltervolkes nicht vergißt.

Hler gesteht also der ‚Wiarus polski“ offen ein, daß er, der Polen⸗

bund und der Gewerkverein das ist die jetzige Berufsvereinigung

dieselben Ziele auch auf dem national -polnischen Gebiete verfolgen. Und, meine Herren, schließlich noch ein Urteil über die polnische Berufsvereinigung aus ganz neuer Zeit. Vor etwa jwei Monaten ist ein außerordentlich interessantes Buch erschlenen: ‚Arbeltsverhältnisse und Arbelterorganisation im deutschen Bergbau. Zum Verfasser hat es Herrn H. Imbusch, den Sekretär des Gewerkvereins christlicher

Bergarbeiter, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses. (Zuruf:

Nein! Bruder) Die „Kölnische Volksjeltung' hat (3uruf:

Ist dementiert Ist dag berichtigt? Aus der Kölnischen

Volkszeitung“ entnahm ich, daß es derselbe sei. (Zuruf: Bruderh

Nun, dann ist es sein Bruder! Immerhin werden seine Aug—

führungen auch für dieses hohe Haus von Interesse sein. Er be,

handelt in mehreren Abschnitten die polnische Berufgvereinigung und

befaßt sich sehr ausführlich mit der Geschichte dieser Vereinigung.

Ich will Ihnen offen sagen, daß ich auch einen Teil von Details aus

seinem Buche entnommen habe. Da sagt er unter anderem: In den folgenden Jahren nahm die radikal⸗polnische Agitation im Ruhrgebiet gewaltig ju. Die erzielten Fortschritte entsprachen jedoch nicht den Erwartungen der radikalen Führer. Sie sahen in den bestehenden Arbeiterorganisationen, Vereinen usw. das Haupt- hindernis für ihre radikal-polnischen Bestrebungen und suchten deshalb die polnischen Arbeiter hiervon zu trennen.

Es wird ein Aufruf des Wiarus polski“ vom 15. März 1902 zitiert,

worin es auch heißt:

Arbeiter, organisiert euch! jedoch nicht in den Gewerkvereinen,

sondern im Polenbunde usp. Dle deutschen Vereine müssen wir

ohne Rücksscht darauf, wie sie sich nennen, melden usw. Die gewerkschaftliche Tätigkeit beurteilt Herr Imbusch auch recht gering. Hier sagt er:

Die polnische Berufsvereinigung war bisher keine selbständige

Arbeiterorganisation. Sie ist von national polnischen Politikern

ins Leben gerufen, um deren Ziele ju fördern. Die polnische Be⸗

rufsvereinigung ist, wie schon angesührt, hauptsächlich gegründet, um die Ziele der radikal ⸗national⸗polnischen Politiker zu fördern.

Kein Wunder, daß man sich in der Vereinigung nicht nur mit

,, . sondern auch mit allen möglichen anderen Fragen

aßt.

Und nun liefert Imbusch den Beweis dafür, daß durchaus nicht dle wirtschaftlichen Arbeiterfragen in den Versammlungen behandelt werden, sondern die politischen Angelegenheiten, und jwar im national polnischen Sinne. Er berichtet beispielsweise hier von einer Ver— sammlung der Berufevereinigung und spricht da das ist auch ganz interessant —, daß ein Redner sich verbreitet hätte über die Parole »der Seinige ju den Seinigen“, eine Parole, die in der Vereinigung eine große Rolle spielt. Sie besagt, daß ein Pole nur bei einem Polen kaufen soll wenigstens so erklärt sie Herr Imbusch.

Zum Schluß des Abschnitts sagt er:

Wie die wenigen Beispiele zeigen, ist die Berufsbereinigung bis in die jüngste Zeit hinein nicht streng gewerkschaftlich, sondern politisch im radikal ⸗polnischen Sinne. Die Führer der Berufevereinigung selbst haben bisher bei ihren Arbeiten und bei den Zusammen künften mit anderen Organisationen sehr wenig gewerkschaftliche Schulung und einen bedenklichen Mangel an Einblick in unsere wirtschaftlichen und gesetzlichen Verhältnisse bekundet. Es ist daher gar nicht auffallend, daß sie sich noch immer den Wünschen der radikal polnischen Parteipolitiker entsprechend verhalten haben und

also wieder in demselben Blatte, findet sich auds dem Jahre 1906 das ist eine neuere Aeußerung ein Aufsatz über die statistische Bewegung innerhalb der deutschen Gewerkschaften. Da wird darüber geklagt, daß in einem anderen Korrespondenzblatte der deutsch⸗ / nationale Haudlungsgehilsenverband ausgelassen worden sei bei der Statistik der Gewerkschaften, und ähnliches. Nun sagt das Zentralblatt“: Maßgebend für die gewerbliche Statistik darf nur der gewerk— schaftliche Charakter der Organisation sein. Und in dieser Statistik befindet sich die polnische Beruftvereinigung nicht; also der gewerbliche Charakter wird ihr abgesprochen.

Im Jahre 1908 also ganz neu wird im „Jahrbuch der christlichen Gewerkschaften“ꝰ gesagt:

Zu derselben Zeit, im Jahre 1902, wurde aus parteipolitischen Gründen die Polenvereinigung gegründet.

Dann ist hier über die Stellung der Katholiken und deg Zentrumg noch etwas Interessanteß. Im Jahre 1902 wurde die polnische Berufghereinigung gegründet; der Polenbund ist schon früher gegründet worden. Da wurde auf dem Katholikentage in Cöln der folgende Antrag gestellt:

Die h0. Hauptversammlung der Katholiken Deutschlands bedauert sehr, daß ein Teil der Polen⸗Katholiken, die in den rheinisch⸗west⸗ sälischen Industriebenrken arbeiten, immer mehr der radikalen, die natlonale Seite übermäßig hervorkehrenden Agitation unterliegt und sich vom antikirchlichen Strome hinreißen läßt.

eine streng gewerkschaftliche Arbeit nicht kennen.

Meine Herren, ich bin am Schlusse dieses ersten Tesles meiner Ausführungen. Wie gesagt, ich bin ausführlich gewesen, weil es mein Wunsch ist, daß mir nicht noch einmal entgegengehalten wird, ich sage etwas Beweisloses, wenn ich behaupte, daß in dieser polnischen Berufgvereinigung Politik in großpolnischem Sinne getrieben wird. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Und, meine Herren, wenn Sie mir zugeben müssen, daß das geschieht, dann müssen Sie welter zugeben, daß die preußische Regierung durchaus im Einklang mit dem Wortlaut und dem Sinn det Sprachenparagraphen gehandelt hat (sehr richtig! rechts), wenn sie den Gebrauch der polnischen Sprache in den öffent⸗ lichen Versammlungen der polnischen Berufevereinigung nicht gestattet hat (sehr richtig! rechte), und das hatte ich ju beweisen.

Meine Herren, ich gehe nunmehr auf die übrigen Einzelfälle ein. Ich wiederhole meinen Dank dafür, daß die Herten mir ihr Material zugestellt haben. Ich muß ja allerdings gestehen, sie haben mir damit auch sehr viel Arbeit gemacht. (Hrelterkelt; Gg würde ja nicht, schaden, wenn Sie mir sehr viel Arbeit gemacht haben; aber Sie haben auch den Regierungen der Einjelstaaten eine große Arbeit gemacht (Zurufe von den Sozialdemokraten), und ich möchte es hier mit dankbarster Genugtuung feststellen, daß alle Ein elregierungen mir das größte Entgegenkommen bezelgt haben, obwohl die Herbelziehung dieses so in die Einzelhelten

obliegt. (Sehr richtig! rechts) Und, meine Herren, eg ist be d

Entgegenkommen von selten der Bundegstaaten von keiner Ian. doch sehr nahellegende Frage aufgeworfen worden, ob denn di gen. sprechung dieses Einzelmaterials durch die Bundegregierungen v 23 Forum des Reichstags wirklich das richtige sei, ob nicht diese 2 . frage an sich und zunächst vor das Forum der Landtage gehörten ; . richtig! rechts Zurufe von den Sonialdemokraten: Reicht . unterbrechen mich die Herren doch, bitte, nicht; ö wirklich schr schwer, da ju sprechen! —. ob sie' nich? alt daß Forum der Landtage gehörten, wo die Gun regierungen für das Verhalten ihrer Beamten Aut i. und Rechenschaft ju geben haben (sehr wahr! rechts), gleichgültl 4 es sich um die Durchführung eines Landesgesetzes oder eineg nun gesetzes handelt. (Lebhafte Zustimmung rechts.) Und trotzdem mel Herren, die Bundegregierungen sind mir ohne jeden Anstand entge * gekommen, und ich möchte dieses Entgegenkommen darauf uur it e un daß auch die Bundesregierungen ihrerseits eg für wůnscheng wer halten haben, daß über die Ausführung des Vereinsgesetzez, nu nnter so schweren Kämpfen justande gekommen ist, welcheg die Lelden, schaften im Volke so aufgeregt hat, bel der ersten Gelegenheit in

nichts zu verbergen.

Aber, meine Herren, ich werde mich sür die Zukunft doch hüten müfssen, an die Bundegregierungen wiederholt mit dem Gisuchen heranzugehen, mir so das Material ihrer Einzelfälle zur Verfügung zu stellen. Ich würde mich dem Vorwurf aussetzen, alg ch ich mich in die Exekutive einmischen wollte, welche verfassungt= mäßig den Ginzelreglerungen zusteht (sehr richtig! rechts); ah ob ich die Schranken überschreiten wollte, welch. wa, fassungsmäßig der Beaussichtigung der Autführung der Reicht. gesetze durch den Reichskanzler gejogen worden sind. (Sehr richtig! rechts) Diesem Vorwurf, meine Herren, werde lich mich nicht aussetzen. Ez handelt sich bei diesem verfassungt⸗ mäßigen Rechte der Einjelstaaten um ein Gut von hohem politischen Wert, das man nicht leichtfertig angreifen soll. (Sehr wahr! rechts. Zuruf von den Sozialdemokraten: Um die Bureau⸗ kratie) Es ist nicht bureaukratisch, sondern es ist staatgrechtlich richtig. (Sehr richtig! rechtg. Widerspruch bei den Solal— demokraten.)

Meine Herren, daß Sie hier im Reichstage alle diese Einzelfälle Ihrerseits besprechen, wenn Sie es für notwendig und wirksam halten, davon werde ich Sie nie abhalten. (Zuruf von den Sonialdemokraten: Sie haben uns Rede und Antwort ju stehen) Gewiß, meine Herren, dafür stehe ich hier, und für alles das, wa zur Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gehört, stelle ich Ihnen meine Person jur Verfügung und gebe Ihnen Rechenschaft darüber, daß alles, was der Reichskanzler bei der Ausführung des Vereint gesetzes zu tun hat, von ihm getan worden ist. (Lebhaftes Bravo rechts.)

Meine Herren, wie gesagt, nachdem Sie mir das Materlal zur Verfügung gestellt haben, bin ich jedem einzelnen Falle nachgegangen, und die Bundesstaaten haben das Entgegenkommen gezelgt, mir den Sachverhalt aller einzelnen Fälle vorzulegen. Hier, meine Herren, ist das Material. Vorlesen kann ich die einzelnen Fälle nicht; dat würde meine physische Kraft im Lesen und wahrscheinlich auch Ihre physische Kraft im Zuhören überschreiten. Aber ich hoffe, Ihnen elne Gruppierung dieses Materials geben zu können, welche für die Zwecke, die Sie verfolgen, ausschlaggebend sein wird.

Es sind mir im ganzen etwa 100 Fälle mitgeteilt worden. (Heiterkeit rechts.) Nicht alle haben von mir erledigt werden können, Da mir einzelne Fälle erst vorgestern zugegangen sind, und da ich erst die Bundesregierungen in Bewegung setzen muß, so werden die Herren begreifen, daß ich noch nicht alles habe herbeischaffen können.

Unter den mitgeteilten Fällen befinden sich 33, in denen eine Be— schwerde juftändigen Orts überhaupt nicht eingereicht worden sst— (Hört! hört! rechts; Zu diesen Fällen, wo eine Beschwerde überhaupt nicht erhoben worden ist, gehört unter anderen die Schneiderversammlung in Stettin, von der der Herr Abgeordnete Brey gesprochen hat, und welche ein lebhaftes Hört! hört!“ hier im Hause hervorgerufen hat, weil der Gebrauch der pol— nischen Sprache verboten worden ist. Meine Herren, mit diesen 33 Fällen beschäftige ich mich nicht. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen) Wenn die Betroffenen es nicht einmal füt der Mühe wert halten, Beschwerde an die erste Instanz einzulegen, dann, glaube ich, haben wir uns im Reichstage nicht mit diesen Sachen zu beschäftigen. (Sehr richtig! rechts)

Ebenso scheiden für mich aus diejenigen 23 weiteren Fälle, in denen entweder von Amts wegen das ist in 5 Fallen geschehen oder in der Beschwerdeinstan;z der Fall im Sinne der Be⸗ teiligten erledigt worden ist. (Sehr richtig! rechts) Zu diesen in der Beschwerdeinstanz erledigten Fällen gehört unter anderen der Fall, der in Thorn gespielt hat, von dem der Herr Abg. Brey gesprochen hat, wo die Polhelverwaltung die aller dings ganz unzulässige Verfügung an einzelne Gastwirte gerichtet hatte, in der die Wirte aufgefordert wurden, bei Vermeidung einer Zwangsstrafe von 30 M eventuell 3 Tagen Haft von jeder bei ihnen stattfindenden Versammlung 24 Stunden vorher Mitteilung iu machen. Der Herr Regierungspräsident von Marlenwerder hat diese Verfügung sofort aufgehoben. Vielleicht hätte der Herr Abg. Bey das mit bemerken können. (Sehr richtig! rechts.)

Zu dieser Kategorie gehört auch der von Herrn Abg. Brejgll hervorgehobene Fall bezüglich der Versammlung des polnischen Wahl⸗ vereins vom 25. März 1908 in Culmsee, wo auch auf die Beschwerde sofort die Verfügung als ungesetzlich aufgehoben worden ist. Nun gebe ich ja dem Herrn Abg. Brejtzkl ganz recht, wenn er sagt: ja, so dürfen doch Gesetze nicht gehandhabt werden, daß unausgesetzt der ordentliche und ruhige Bürger mit verkehrten Verfügungen belastigt und in die Notlage versetzt wird, sich hinzusetzen und an die Behörde zu schreiben, damit die Oberbehörde die Dummhelten, die die Unter⸗ behörde begangen hat, wieder gutmacht. Hler stehe ich gam auf seiten des Herrn Abg. Brejgki; aber eine andere Frage ist es, ob, wenn wirklich solche Fälle vorkommen, diese vor dem Forum del Deutschen Reichttags zur Sprache zu bringen sind. Jedenfalls sind dies Fälle, in denen der Herr Reichskanzler nichts welter tun kann,

(Sehr richtig! recht.)

(Schluß in der Zweiten Bellage.)

der Verwaltung gehenden Materials über die Aufgaben welt hinaut⸗ geht, welche Bundetstaaten und bundesstaatlichen Beamten an sich

Reichstage gesprochen werden möge. Die einzelnen Reglerungen haben

Zweite Beilage

ö zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Sonnabend, den 23. Januar

ßb—

(Schluß aus der Ersten Bellage.)

Ich möchte Ihnen auß diesen Fällen, welche im Sinne der Be— schwerdeführer erledigt worden sind, einzelne Fälle mitteilen, die für den Geist, in welchem die Behörde die Durchführung des Vereins gesetzez handhabt, besonders bezeichnend sind. In einer ven vierng Personen besuchten Mitgliederveisammlung des politischen Vereins zu Hanau am 8. September 1908 sind infolge deg Mißverstehens ihres Auftrageg, der nur dahin ging, festzustellen, ob es sich bei der durch die Presse bekannt gemachten Versammlung vielleicht um eine öffent⸗ liche politische Versammlung handle, zwel Polizeibeamte erschienen, welche die ihre Entfernung verlangende Versammlung auflösten. Der Lindrat und Poltieldirektor zu Hanau hat sofort am rächsten Tag dem Vorstand det politischen Vereins gegenüber seinem Bedauern über diesen Mißgriff Ausdruck gegeben. (Hört! hört! rechts.)

Der Stadtrat in Bautzen hatte durch Verfügung vom 3. Sep⸗ tember 1908 den Vorstand des Vereins „Gewerkschaftskartell in Bautzen' auf Grund des 5 3 aufgefordert, ein Verzeichnis der Mit—⸗ glieder des Vorstandg einzureichen. Der Stadtrat ist hierbei zunächst davon ausgegangen, daß der Verein sich auch mit Frazen der Volkt⸗ wirtschaft, der Sozialpolitik, der Gesetzzebung usw. befasse und mithin als ein politischer Verein anjusehen sei. Nach anderwelter Prüfung der Sache hat dann der Stadtrat, ohne daß es zu einer Entscheidung der Ober behörde gekommen ist, seine Aufforderung wieder zurück⸗ gejogen, wodurch sich die Sache erledigt hat. Der Herr Vertreter von Sachsen wird mir verzeihen, wenn ich ihm diese eine Angelegen—⸗ heit vorweggenommen habe, alles andere werde ich ihm noch gern überlassen. Heiterkeit.)

Ebenso ist es geschehen in dem von Herrn Brelski angeführten Falle in Steglitz, wo ein Mitgliederverzeichniz des Vorstands ein gefordert wurde, was natürlich auch unzulässig war. Die Sache ist sofort zurückgejogen worden, soweit ich mich erinnere, unter dem Aus⸗ druck des Bedauerng. In 20 weiteren Fällen haben sich die Beschwerdeführer bei der ergangenen Entscheidung beruhigt. (Hört hört) Dazu gehört unter anderm, wenn ich nicht irre, der hon Herrn Brey vorgetragene Fall der Androhung der Auflösung einer Berg⸗ arbelterversammlung für den Fall des Gebrauchs der polnischen Sprache in Königshütte. Da ist die Beschwerde abgewiesen worden. Die Betroffenen haben sich dabei beruhigt, haben die weitere Instanz alcht angegangen. Die Zentralbehörde ist also gar nicht in der Lage gewesen, Entscheldung ju treffen. Also auch dieser Fall scheidet für einen Eingriff des Reichakanzlers absolut aus. (Sehr richtig! rechts.)

In höhere Instanz gelangt sind von den mir mitgeteilten 100 Fällen im ganzen drei, meine Herren (hört! hört! und Heiterkeit rechts) und ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß von den sämtlichen angemeldeten Fällen aus der preußischen Monarchle nur ein einziger zur inftanzmäßigen Entscheidung des Ministers des Innern gebracht worden ist. Dieser eine Fall betraf die Nichterlaubnis des Gebrauchs der polnischen Sprache in den öffentlichen Versammlungen der polnischen Berufs vereinigung, über die ich mich im Anfang meiner Rede mit den Herren unterhalten habe. (Große Heiterkeit rechts.)

Meine Herren, eine weltere Gruppe der mir mitgeteilten Fälle besteht aus solchen, die zur Kognition der Verwaltungsgerichte oder der ordentlichen Gerichte gelangt sind. Soweit ich es habe feststellen können, sind von diesen Fällen rechtakräftig erledigt bei den Ver⸗ waltunggerichten o, bei den ordentlichen Gerichten 3, noch unerledigt bei den Verwaltungggerichten 5, bei den ordentlichen Gerichten 14. Zu den erledigten gehört unter anderem der Fall, den der Herr Abg. Brey mitgeteilt hat, bezüglich der Zahlstelle in Usch, welche al ein politischer Verein angesehen worden ist. Nachdem die Gerichte in mittlerer Instanz gesprochen haben, sind die Fälle doch auch für mich erledigt. (Sehr richtig! rechts) Sie werden auch nicht erwarten, daß ich mich über diejenigen Fälle, welche noch in der Instan;, sei es des ordentlichen, sei es des Verwaltungsgerichts, schweben, äußere. Das würde der allgemeinen guten Gepflogenheit widersprechen. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, mit dleser Gruppierung der Fälle ist die Gesamt⸗ heit der mir mitgeteilten Fälle erschöpft. Ich möchte mir daher doch wohl jetzt schon die Frage erlauben, meine Herren, im strengen Sinne, im staatsrechtlichen Sinne, um nicht wieder einem Vorwurf des Herrn Abg. Ledebonr ausgesetzt ju sein (Heiterkeit), also im staats rechtlichen Sinne: welcher Fall gehört ju den Fällen, wo der Reichskanzler Rede und Antwort zu stehen hat? (Sehr richtig! rechts) Ich will Ihnen aber noch welter mitteilen, daß, ohne daß Beschwerde eingelegt worden wäre, die Landesbehörden in viernig Fällen von Amts wegen in eine Repiflon der Tätigkeit der ihnen nachgeordneten Behörden ein⸗ getreten sind.

Meine Herren, wenn ich die Fälle, die mir mitgeteilt worden sind, in materieller Beziehung zu gruppieren versuche, so will ich juerst ganz karz die Beteiligung von Frauen erwähnen mit Rücksicht auf den Fall, der von dem Herrn Abgeordneten Brey vorgetragen worden ist. Es ist da auch die Kölnische Volkszeitung“ batte darüber unter dem Titel Ein helteres Vorkommnis“ berichtet darauf hingewlesen, daß in einer Versamm lung im Kurort Schwal⸗ bach die unter 18 Jahre alten Personen entfernt wurden, Kinder von jhren Müttern weggenommen worden sind usw. Die Sache hat sich tat⸗ sächlich so zugetragen auch dieser Fall ist von mir untersucht worden —: es fand ein Vortrag statt über die Frage: Warum er- streben wir Frauen das Frauenstimmrecht? Es war also ohne Zweifel eine öffentliche polltische Versammlung, an der nach 5 17 des Ver⸗ einegesetzes, wie es nun einmal beschlossen ist, Personen unter 18 Jahren nicht teilsunebmen haben. Alg die Rednerin dann bei Behandlung des 8 361 Ziffer 6 des Strafgesetzbuchs auf das Dirnen ⸗˖ leben und dle Leibegfrucht zu sprechen kam, hat der Polizelbeamte die Kinder entfernen lafsen und einige sehr lugendtich ausse hende Personen gefragt, ob sie bereltz 18 Jahre alt seien. Das ist sehr verständig gewesen. (Sehr richtig! rechts) Meine Herren, eine Beschwerde ist

in diesem Falle nicht erboben. (Hört! hört! rechts.) Meine Herren, nun weiter, in materieller Beziehung haben sich

i

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die meisten, nämlich 1 Beschwerden, daraug ergeben, daß Vereing⸗ versammlungen alt öffentliche Versammlungen behandelt worden sind.

Namentlich der Hr. Abg. Brey, aber auch der Hr. Abg. Brejski haben

sich über diese Fälle ihrerseltz verbreitet

Ich führe dle verhältnigmäßig große Zahl dieser Fälle nicht auf

eine willkürliche Handhabung der Gesetzesbestimmungen zurück, sondern

vielmehr darauf, daß die Verwaltung doch in jedem einzelnen Falle

zur selbständigen Stellungnahme genötigt wird, da wir das trifft

zu bigher eine feste Judikatur über ben Begriff der öffentlichen

Versammlungen nicht besitzen.

Meine Herren, Sle wissen, daß größere Partelen bei der Ver— abschiedung des Vereinsgesetzes wünschten, elne feste Bestimmung des Begriffs der öffentlichen Versammlung in das Gesetz aufzunehmen. Ich habe mich diesem Bestreben widersetzt, weil ich seine Ausführung für unmöglich erachtet habe, und die Versuche, die wir in der Kom—⸗ mission gemacht haben ich erinnere die Herren Mitglieder der Kommission daran —, schön geglückt waren die nicht! (Zustimmung rechts) Darüber aber waren wir uns im Plenum und in der Kom mission und auch bei den verbündeten Reglerungen einig, meine Herren: einmal, daß in keiner Weise beabsichtigt war, durch die Weglassung der Legaldefinltion dem Paragraphen den Charakter einer Kautschukbestimmung ju geben; andererseits waren wir uns aber auch darüber einig, daß die Vorschriften über öffentliche Versamm—⸗ lungen nicht dadurch gegenstandsloz werden dürfen, daß unter dem Vorwand der Veranstaltung von Vereingversammlungen ganz un— begrenzte Personenzahlen zu Versammlungen jusammenkommen. (Sehr richtig! rechts.)

So ist denn in den einzelnen Fällen, die zur Entscheidung ge—⸗ kommen sind, allerdings der schwere Begriff der öffentlichen Ver⸗ sammlung nicht immer richtig gehandhabt worden. Dag ist nicht iu verwundern. Der Begriff der öffentlichen Versammlung ist ein überaus schwieriger. Die Herren wollen doch namentlich auch bei der Zahl der Mißgrlffe beachten, daß in kurzer Zeit von verhältnismäßig untergeordneten Polizeibeamten der Begriff angewendet werden mußte.

Ich will einen solchen Fall, damit die Herren sehen, daß die An⸗ gelegenheit überall dem Tatbestand nach festgestellt worden ist, heraus- greifen, einen Fall, der sich auf den Begriff der öffentlichen Ver⸗ sammlung bejieht. Der Poltzeipräsident von Hannover hat eine Mit- gliederversammlung des über 14009 Mitglieder jählenden sozialdemo⸗ kratischen Wahlkreigvereing, in der am 17. Oktober 1908 über das Thema: „Wie gewinnen wir dle Jugend für den Sozialismus“ ge⸗ sprochen werden sollte, durch einen Pollzeikommissar und einen uniformierten Schutzmann überwachen lassen, und, als diese zum Ver lassen des Lokals aufgefordert wurden, auflösen lassen. Et ist dann folgender Bescheid des Polizeipräsidenten ergangen:

Die erwähnte Versammlung stellte sich als eine öffentliche dar, weil die Mitglieder des Wahlvereing einen geschlossenen Verein nicht bilden. Der sonaldemokratische Wahlverein für den 8. hannoverschen Wahlkreis umfaßt raumlich die Städte Hannover und Linden und den Landkreis Hannover. Seine Mitgllederzahl beläuft sich aus⸗ weltlich des letzten Geschäftgberichts auf 14 273 Personen. Nach demselben Geschäftzbericht sind im letzten Berichtsjahre 3326 neue Mitglieder in den Wahlverein eingetreten und 2174 ausgetreten . Gemäß Vereinsstatut ist die Mitgliedschaft lediglich von der An erkennung des Programms der sozlaldemokratischen Partei und des Vereinestatuts sowle von der Beitrittgerklärung abhängig. Der Austritt wird durch die einfache Augtritteerklärung volljogen.

Auf Grund dieses Tatsachenmaterials hat der Polizeipräsident und wie ich persönlich glaube, mit vollkommenem Recht ange— nommen, daß die Versammlungen dieses Wahlvereinz keine geschlossenen Vereingversammlungen, sondern öffentlich sind. (Sehr richtig! rechtg.)

Im übrigen, meine Herren, wle sehr die Bundesreglerungen, ing⸗ besondere die ja von vielen Selten immer so schlecht gemachte preußische Regierung bemüht ist, jede Rücksicht obwalten zu lassen, geht daraus hervor, daß der preußlsche Minister des Innern Anordnung getroffen hat, daß, solange von gewissen Vereinen bestimmte Rechtsmittel weiter betrieben werden, in ihre Versammlungen kelne Beauftragten der Polizei zu schicken seien. Er hat also von vornherein angenommen, daß das Verwaltungestreitverfahren zu Gunsten der Vereine augt⸗ schlagen kann. Das ist doch ein Entgegenkommen, das ist doch keine Pol izeischikane! (Sehr richtig! rechts.)

Es wird dann des welteren vielfach darüber geklagt und auch die Herren Interpellanten haben das getan —, daß Vereine als politische Vereine behandelt werden, obwohl sie nach ihren Satzungen keine Einwirkung auf polltische Angelegenheiten bezwecken.

So ist die Behauptung aufgestellt worden, daß in den Regierungtz⸗ benirken Arnsberg und Düsseldorf die Pollieiverwaltung allen politischen Vereinen Herr Abg. Brejgki hat das auch betont durch ein An⸗ schrelben habe erklaren lassen, daß sie nach ihrer bisherigen Tätigkeit als polltisch zu betrachten seien. In dieser Allgemeinheit trifft diese Behanptung nicht zu. Die Regierungspräsidenten haben es vielmehr den Poltjeibeborden zur Pflicht gemacht, in jedem einzelnen Fall in eine genaue und gewissenhafte Prüfung der Frage einzutreten, ob die Vereine dem § 3 des Vereinggesetzes unterfallen, oder ob ihre Satzungen oder ihre bisherige Tätigkeit eine Einwirkung auf politische Angelegenhelten auzschließen. Nach dem Ergebnis dieser Prüfungen ist eine Mitteilung ergangen, daß eine Reihe von Vereinen als dem 3 unterfallend angesehen werde. Eine größere Anjahl dagegen wird als nicht politische Vereine behandelt, j. B. in Bochum von 32 Vereinen 8, ferner die sämtlichen polnischen Vereine in Stadt Barmen und viele andere. Also man soll! nicht iu sehr generalisieren. ;

Wenn das Ergebnis für die Vereine in der polnischen Diaspora verhältnismäßig ungünstig gewesen ist, so mag die Ursache darin beruhen, daß diese Vereine, ähnlich wie ich es vorhin für die polnische Berufgvereinigung nachgewiesen babe, ihre Verelng;wecke und ihre Tätigkeit entgegen den Statuten auf politische Angelegenheiten tat-

sächlich erstrecken.

1909.

In einer welteren Relhe von Fällen ist dann Klage darüber ge⸗

führt worden, daß die Versammlungsfreiheit wegen Gebrauchs einer

fremden Sprache beeinträchtigt worden ist. Die Beschwerden betreffen

Versammlungen, die als öffentliche Versammlungen angesehen werden müssen. Beschwerden über Auflösungen wegen des Gebrauchs einer anderen Sprache sind nur von dem Herrn Abg. Hanssen vorgebracht worden, und jwar hat er die Güte gehabt, mir am 19. d. M, also

vorgestern, Mitteilung davon zu machen, daß er die Angelegenheiten

von danischen Versammlungen zur Sprache bringen wolle, welche in

den letzten Tagen auch die Presse beschäftigt haben. Gs ist mir aber

nicht möglich gewesen, seit vorgestern das Material zusammenzustellen.

Ebenso verhält es sich mit einer Relhe derjenigen Beschwerden, die Herr Abg. Brejski die Güte hatte, mir jujustellen, die er mir aber erst am 15. d. M. batte zustellen können. Auch da ist es mir

nicht möglich gewesen, das Material zusammenzubringen.

Dann hat Herr Brejski auch die Behandlung von Vortragt⸗

veranstaltungen des Micklewiewereins in Posen beanstandet. Ich will

auf diese Fälle nicht näher eingehen, ich glaube es nicht ju brauchen;

denn es hat nicht das Verbot der polnischen Sprache zu einer Auf

lösung der Vortraggversammlungen geführt, sondern die Veranstalter haben freiwillig, als ihnen gesagt wurde, es dürfe nicht polnisch ge sprochen werden, und, ich möchte meinen, voreilig von der Ver anstaltung der Versammlungen Abstand genommen. Es ist Beschwerde an den Regterungtpräsidenten eingereicht, von deren Ergebnis mir nichts bekannt geworden ist. Jedenfalls hat der Minister keine Ent⸗ scheidung getroffen.

Herr Abg. Brejski hat dann auch noch darüber gesprochen und jwar hat er damit die Aufmerksamkeit des Hauses stark erregt daß die Poltzelverwaltung in den polnischen Vereinen die Beteiligung bei Leichenzügen, bei Beerdigungen grundsätzlich verweigere. Ich habe den Fall aufgeklärt, und es ist mir berichtet worden, daß die Poltzei⸗ verwaltung bei der Gewährung der stets ausgesprochenen, niemals ver- weigerten Erlaubnis lediglich darauf hingewiesen hat, daß natlonal⸗ polnische Fahnen oder Abzeichen nicht mitgeführt werden sollen. Nun, meine Herren, wie die Verhältnisse in Rheinland und Westfalen zwischen den Nationalitäten stehen, habe ich Ihnen, wie ich glaube, anfangs meiner Rede ausgeführt. (Sehr richtig! rechts.) Daß es da im öffentlichen, wohlverstan denen vaterländlschen Interesse liegt, eine Provokation durch die Mitführung von Fahnen ju vermelden, werden Sie mir zugeben. (Sehr richtig! rechts)

Dann wird weiter in einer Gruppe von Beschwerden darüber ge—⸗ klagt heute ist es, soweit ich die Herren Interpellanten verstanden habe, nicht berührt worden —, daß bei der Auswahl von Zeitungen, in denen die Bekanntmachung von öffentlichen Versammlungen er folgen kann, Mißgriffe vorgekommen sind. Ich bin auch diesen Fällen nachgegangen und babe gefunden, daß der preußische Minister des Innern in allen den Fällen, die ihm vorgetragen sind und sich irgend als begründet erwiesen, sofort eingeschritten ist. (Hört! hört! rechts.)

Meine Herren, ich möchte für heute von weiteren Ginzelheiten absehen. Ich bin berelt, auf einzelne Fälle auch noch einzugehen, je nach dem Gang, den dle Verhandlung über die Interpellationen nehmen wird. Ich möchte aber am Schlusse meiner Autführungen nochmals an die Herren die Frage richten: ist der Vorwurf, der doch in den Interpellationen liegt, worin Sie den Reichskanzler fragen: ist dem Reichskanzler das bekannt? was gedenkt er zu tun? ist der Vor wurf, der darin liegt, daß die Reichsreglerungen bei der Beaussichti⸗ gung der Handhabung des Vereinggesetzez ihre Pflicht nicht getan haben, daß sie auf die Ausführung ihrer Pflicht erst hingewiesen werden müssen, wirklich begründet? (Rufe rechts: Nein) Ich habe im Dejember vorigen Jahres diese Frage verneint, und trotz Ihreg Materials muß ich auch heute das aufrechterhalten. (Sehr richtig! rechts) Und wenn ich bei der selben Gelegenhelt damit die Herren nachher nicht wieder zu einer mlßverständlichen Kritik meiner Ausführungen kommen wiederhole, daß auch ich et von meinem Standpunkt gewiß bedaure, daß Miß—⸗ griffe vorgekommen sind, und daß die Betroffenen veranlaßt werden mußten, Beschwerde einzulegen, so muß ich doch offen fragen: bei den Befugnissen, die dem Reichtkanzler zugewiesen sind, die er wahr ju⸗ nehmen hat, ja, meine Herren, was soll ich denn tun? wenn Sie mir das sagen wollten! Ich habe Ihnen damals augeinandergesetzt, wie die Reichgreglerung und alle Bundetreglerungen durch die Instruktionen. die sie zu bem Gesetz erlassen haben, nach jeder Richtung hin dafür zu sorgen bestrebt gewesen sind, daß das Gesetz einwandfrei und loval gehandhabt wird (sehr richtig! bei den Freisinnigen), und ich habe Ihnen erklärt und erkläre es Ihnen heute wiederum, daß ich in demselben Sinne weiter verfahren werde. (Bravo! bei den Frei⸗ sinnigen.) Ich frage Sie ich stehe Ihnen hier jur Verant⸗ wortung —: wo habe ich meine Pflicht verletzt?

Ich möhte aber an Sie und darüber hinaus an die Parteien im Lande eine Bitte richten. Ich möchte Sie und die Parteien im Lande meinerselts mit dieser Bitte interpellleren: belasten Sie doch das Verelntz gesez nicht auf die Dauer mit der Unzufriedenheit über die parlamentarische Situation, unter der es justande gekommen ist ( Sehr richtig! bei dea Freisinnlgen) Gewiß, der Sprachenparagrapb ist für viele ein Stein des Anstoßeg. Ich will mit Ihnen nicht über Ihre neberzeugung strelten. Aber wenn auch die Polen ein keines wegs irgendwie ju verachtender Bestandteil des Volkes sind, die einigen Deutschen sind sie doch nicht. (Heiterkeit) Die sez Vereln g gesetz, die ses so sehr geschmähte Verelnggesetz hat doch gerade für die Parteien von der Mltte bis jur Linken einen entschiedenen Fortscheitt gebracht (sehr richtia! Iinke), das können Sie nicht leugnen. Daran, daß dieseg Gesetz loval, einwandfrei gehandhabt wird, daran haben alle Parteien dieses Hauses von rechts big nach links das gleiche Interesse. (Sebr richtiz! recht) Und dafür werde ich ungeachtet aller Angriffe, die etwa gegen mich gerichtet werden sollten, wie bisher. so auch in Zukunft eintreten. (Bravo! rechtg und bei den Nattonal

liberalen.)