1909 / 31 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 05 Feb 1909 18:00:01 GMT) scan diff

e cl erwägen, ob diese Regelung nicht nach dem mehr oder weniger ändlichen Charakter der betreffenden Staaten verschieden gestaltet werden könnte. Im Jahre 1907 hat der Abg. Bassermann auch die Einrichtung eines Reschäalbeitsamfs gefordert, als einer Behörde, der, im wesentlichen die Tätigkeit des heutigen Arbeiterstatistischen Beirats zufallen sollte. Graf Posadowsky hatte, wenn ich mich recht erinnere, Erwägungen in dieser Hinsicht in Aussicht gestellt; ist die Sache weiter verfolgt worden? Auf dem Gebiete des Arbeiterrechts ist noch immer die Augstattung der Berufs⸗ vereine mit der Rechtsfähigkeit rückständig; ich schließe mich da den neulichen Ausführungen des Abg. Junck an. Weiter ist rückständig die Regelung des Rechta der Tarifverträge zur Sicherung der Tarif⸗ gemeinschaften und der Ausbau des Koalitionsrechts. Das Vorgehen einzelner Industrieller gegen die Privatbeamten legt in letzterer Be⸗ ziehung elne noch besfehende klaffende Wunde bloß. Trotz der all⸗ gemeinen Verurteilung, die der Verein der bayerischen Metall⸗ induftrlellen erfahren hat, sind die oberschlesischen Bergindustriellen diesem Beisplel gefolgt. Wir können solche Erscheinungen nur auf das tiefste beklagen. Das Koalttiongrecht muß ausgebaut werden;

153 bedarf der Ergänzung dahin, daß auch derjenige ge⸗ chützt wird, der sich koalieren will. Wir besürften dieser 6 freilich nicht, wenn die Gerichte durchweg auf der Höhe ihrer sozialpolitischen Aufgabe ständen, wenn sie die Verträge, welche den Angestellten das Koalitiongrecht rauben, als gegen die guten Sitten verstoßend, für nichtig erklärten. Ueber die Kartelle und Trusts liegt eine wichtige Resolution vom vorigen Jahre vor. Bei der Verhandlung über diese hatten wir den Eindruck, als ob die Ausführungen und Gründe meines politischen Freundes, des Abg. Dr. Mayer ⸗Kaufbeuren, von den verbündeten Regierungen nicht in der gehörigen Weise gewürdigt wären. Das veranlaßt mich, noch einmal zu betonen, daß wir auf diesen Antrag und die Stellungnahme der verbündeten Regierungen dazu dag aller— größte Gewicht legen. Die Erfahrungen der letzten Monate sind nur zu geeignet, die Aufmerksamkeit der gesetzgebenden Faktoren auf die Mißbräuche des Kartell und Trustwesens zu lenken. Ich war ge— nötigt, auf eine Fülle von Resolutionen teils beschlossenen, teils beantragten, Bezug zu nehmen. Es muß gewiß anerkannt werden, daß der Bundesrat gar nicht in der Lage ist, alle Resolutionen, die in den Jahren 1907 und 1908 gefaßt sind, mit einem Schlage zu erledigen. Das kann aber nicht dazu führen, daß Reichstag und verbündete Regierungen die durch die Resolution gestellten Auf⸗ aben aus den Augen lassen. Jede dieser Resolutionen füllt eine ücke in unserer sozialpolitischen Gesetzgebung autz. Jede dient, das wollen wir uns vergegenwärtigen, einem großen Ziel, nämlich der Hebung der Erwerbstätigkeit der großen Masse unseres Volkes. Die industrielle Bevölkerung geht hinsichtlich der Wehrfähigkeit erheblich zurück, nur auf die Gemeinden bis zu 2000 Einwohnern kommt noch ein Plus an Wehrfähigen. Es ist klar, daß alle Maßnahmen, welche die Lebenswelse und Lebenshaltung der industriellen Bevölkerung bessern, unsere Wehrkraft stärken. Wir bitten Sie, der großen Ziele und Aufgaben, die in unserer Sozialgesetzgebung bisher noch haben unerfüllt bleiben mußten, sich bewußt zu sein. .

Abg. Bassermann (ul.): Nach den eingehenden Ausführungen eines so hervorragenden Kenners unserer Sozialgesetzgebung will ich nur einige . herausgreifen. Dem Grafen Posadowsky gelang es nicht mehr, die starken Widerstände, die sich gegen den Ausbau unserer sozialpolitischen Gesetze geltend machten, zu überwinden; das hat sich unter dem jetzigen Staatssekrtetär geändert. Wir alle außer den Sozialdemokraten müssen ihm unsere Anerkennung zollen. Eine Reihe von Anregungen, die im Laufe der letzten Jahre an die Regierung herangetreten sind, sind zu Gesetzentwürfen verdichtet. Die große Gesetzgebung der Kranken, Invaliden, und Unfall versicherung harrt einer Gesamtreform. Was die Organisation an⸗= belangt, so liegt das Arbeitskammergesetz dem Reichstage vor und wird voraussichtlich noch in dieser Session verabschiedet werden. Hinsichtlich des Arbeiterschutzes sind uns große .. gestellt, die zum Teil schon durch die Regelung der gewerblichen Frauenarbeit nach der internationalen Konvention gelöst sind; die Gewerbeordnungskommission wird nunmehr den gewerblichen Arbeits⸗ vertrag für Techniker usw. einer Beratung unterzlehen und demnächst an die Regelung der Heimarbeit und der gewerblichen Sonntagsruhe herantreten. Eine Mehrleistung des Reichstags ist ausgeschkossen; das Haus ist vollauf beschäftlgt. Was die Zentrumsresolution über die Reform der Krankenversicherungsgesetzgebung betrifft, so würden meine Freunde die Einführung einer paritätischen Verwaltung vor— ziehen. Der gegenwärtige Zustand ist unbefriedigend. Eine Reihe von Arbeitgebern lehnt es ab, sich unter dem heutigen Gesetz mit der Verwaltung zu befassen. Die Parität ist eine logische und gerechte Forderung. Der Vorsitzende muß ein unputelischer Mann sein. Der Krankenversicherung der Landarbeiter stimmen wir zu. Was die Krankenkassen im besonderen betrifft, so haben die Aerzte sich organisiert und sind mit den Städten in Verbindung getreten, um zu einer friedlichen Lösung der bestehenden Schwierigkeiten zu gelangen. Es müßten gesetzliche Einigungskommissionen eingesetzt werden, zusammengesetzt aus Aerzten und Gemeindevertretern. Die Meinungen über die Sonalreform im allgemeinen sind in den letzten Jahren revidiert worden. Die Berufsgenossenschaften haben große Angst vor einer burcaukratischen Ausgestaltung, sie fürchten für ibre Selbfständigkeit. Im großen und ganzen muß man anerkennen, daß trotz mancher Mangel von diesen Berufsgenossenschaften im Ehrenamt Dervorragendes geleistet worden ist. Der Peäsident des Reichs—⸗ versicherunggamts hat die Selbstlostakeit der ehrenamtlichen Tätigkeit der Berufsgenossenschaften auf dem Gebiete der Uafallverhütung usw. offen anerkannt. Der Verwaltungsapparat darf jedenfalls nicht kompliziert und verteuert werben. Was den 5 34 des Gewerbe⸗ unfallversicherungsgesetzes betrifft, den ein Antrag zu verändern vor schlägt, ist von Handwerkern und Gewerbetteibenden mit aller Schärfe betont worden, daß der heutige Zistand für die Interessenten ein geraden rutgöser sei. In bezug auf das Jnvalidengesetz wünschen wir die Aufhebung dez Reichè— zuschusses von 50 n nicht, weil dadurch jum Ausdruck kommt, daß der Arbeiter nitzt bloß fär den Industriellen gearbeitet hat, sondern auch für die Allgemeinheit. Zu begrüßen ist, daß die Regelung der Witwen. und Waisenveisicherung nunmehr gesichert ist. Es würde auch einen sehr schlechten Gindruck machen, wenn das beim Zolltarif gemachte Versprechen nicht erfüllt würde. Die Tragweite der Frage der Beruft vereine wird nach meiner Meinung überschätzt. Es handelt sich dabei um Ergänzungen des

B. G.⸗B. Die Erledigung dieser Frage würde hesser an das Reichs.

justljamt abgegeben werden. Die ganze Frage der Tarifverträge hat nach dem Erlaß des Vereinsgesetzes an Bedeutung verloren. Die Sache wäre jetzt nicht mehr so schwierig zu erledigen wie früher. Die Tarisverträge wollen wir keineswegs obligatorisch machen, uns kommt es nur darauf an, privatrechtliche Normen, einen allgemeinen Rahmen zu schaffen. Dlesen Standpunkt hat auch der allgemeine Juristentag in Karlsruhe vertreten. Was die Resolution Dr. Böhme betrifft, so habe ich große Zweifel über die Not— wendigkeit eines Gesetzez, durch das die Mißstände auf dem Gebiete des gewerblichen Auskunfteiwesens beseitigt werden sollen. Gs ist zu erwägen, ob nicht den Auskunfteien gegenüber die be stehenden Machtmittel des Staatg autzreichen. Dasselbe gilt auch von einem Antrage des Zentrums, der eine Abänderung des Presse⸗ gesetzes nach der Richtung verlangt, daß mit der Herausgabe pon Zelfungen und Zeitschriften eine Versicherung irgendwelcher Art nicht verknüpft werden darf. Die Rechtsprechung auf diesem Gebiete ist noch im Fluß. Die Verleger sind mit der Zeit dazu übergegangen, die Versicherung in sich zu machen, selbst in die Hand zu nehmen. Dat Aussichttz nt für die Privatversicherung war der Aufsassung, daß die Verleger konzesstonspflichtig wären, ist aber mit dieser Auffassung nicht durchgedrungen. der Gesetzß bung betreten werden, jedenfalls gehl der Antrag zu weit, insofern er jede derartige . der Verleger verbietet. G. wäre emwünscht, daß ung dasz Aussichkcamt für Prihatverficherung

eine Denkschrift uber den Umfang dieser Sache vorlegt. Daß wir für

ein Relchsberggesetz sind, sst schon wiederholt von meinen Freunden

Sollle es dabei bleiben, so müßte der Weg

sie neulich hier im Stiche gelassen.

betont worden. Ich möchte Ihnen nur noch unseren Antrag wegen Ausbaues des deutschen Han ssble fes zur ine gm empfehlen.

inge, ist noch eine Resolution Müller⸗Meiningen (fr. Volksp.) auf Erlaß eines ö eingegangen.

Abg, Pa uli Potsdam (kons.): Durch die von verschiedenen Seiten eingebrachfe Interpellation, ö Berl betreffend die Bergarbeiter und. Landarbeiter ist ein guter Tell unserer diesjährigen Ver⸗ handlung zum Reichszamt des Innern überflüssig geworden. Die Sozialreform hat auch eine Kehrselte, das ist die große Belastung von. Behölkerunggtellen, die von dieser Sozialgesetzgebung keinen direkten Vorteil haben. Wir glauben, daß die Reform der Sozial⸗ gesetzgebung sehr bald in die Wege geleitet werden muß. Unter⸗ nehmer und Handwerker haben aber die Sorge, daß sie bei dieser Reform die Leidtragenden sein sollen, denn bei der Krankenversicherung sollen sie statt J die Hälfte der Kosten tragen. Der Abg. Trim⸗ born hat gesagt, daß eine absolute Sonntagsruhe nicht durch⸗ führbar sei. Früher nahm das Zentrum einen anderen Stand⸗ punkt ein. Jedenfalls kann das Kleingewerbe die Sonntags⸗ ruhe nicht durchführen. Täte man es doch, so würde man dem Hausiergewerhe ungeheuren Vorschub leistin, das den Kunden lange nicht so gut bedient wie der kleine Gewerbetreibende. Was. die Koalitionsfreiheit betrifft, für die der Abg. Trimborn eintritt, so meine ich, daß es unmoralisch ist, ohne weiteres den Aibeiter zu entlassen, weil er einer Organisation angehört. Wenn aber durch die Zugehörigkeit des Betreffenden zu einer Organisation Unfrieden in die ganze Arbeitsstätte getragen wird, in dem er sich dadurch unliebsam macht, daß er für seine Organisation agitlert, s9 kann man dem Arbeitgeber nicht verdenken, wenn er daran Anstoß nimmt und einen solchen Arbeiter entläͤßt. Was die Mittelstandsgesetzgebung anlangt, so werden wir zunähst abzu= warten haben, was aus der Vorlage über den unlauteren Wettbewerb in der Kommission werden wird. Allgemeine Mißstände herrschen aber noch im ganzen Suhmissionswesen für die Handwerker und alle, die sich an öffentlichen Ausschrelbungen beteiligen, vor. In Preußen ist ja in den letzten Jahren es daria etwas besser geworden; wir regen an, daß man sich überall im Reiche die preußischen Sub— missions bedingungen zu eigen machen sollte. Die Sache liegt nun praktisch so, daß man oben wohl den besten Willen hat, aber die unteren Behörden, die direkt mit den Submissionen zu tun haben, kümmern sich um den Inhalt des Ministerialerlasses gar nicht, und die Dinge bleiben zum Schaden der Handwerker so, wie sie sind. Der Bundesrat sollte doch einmal nachsehen, wie es mit der Begchtung der Erlasse bel den Behörden und Verwaltungen steht. Es ist ja sehr schwer, konkrete Fälle anzuführen, denn die Handwerker, die sich dazu hergeben würden, den Angeber zu splelen, würden ja aus der Liste der Aspiranten auf Lieferungen sofort ge— strschen werden. Die Hoffnungen, die man an die Gründung von Arheitskammern knüpft, werden sich nach meiner Meinung schwerlich erfüllen; die Erfahrung wird das lehren. Auch ich bin ein Freund der Tarifverträge; wir haben damit gute Erfolge erzielt. Wir können nur empfehlen, daß dieser Abschluß von Arbeitsverträgen immer weiter um sich greife, damit Industrie und Handwerk wenigstens einige Jabre in Ruhe und Frieden leben können. Natürlich sieht man immer mit banger Sorge dem Ablaufe eines solchen Vertrages und den zu erwartenden Neuforderungen von der anderen Seite entgegen; alles in allem aber muß man sie jedem anderen System vorziehen. In der sozialpolitischen Gesetzgebung gibt es keinen Halt, keinen Stillstand; wir haben aber auch hier ein Aber dabei: wie fteht es, wenn der andere Teil, der meist auch der jahlende ist, an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gelangt ist! Für die Handwerker ist diese Grenze erreicht, während die Grohßindustriellen vielleicht noch weitere Opfer zu bringen in der Lage sind, da sie die Mehr— ausgaben auf den Preis ihrer Waren werfen können. Das Ausland hat solche Autgaben nicht oder doch nicht in dem Umfange wie bei uns zu leisten, eg hat zum Teil auch billigere Löhne; das Ausland wäre und also in jedem Falle voraus und könnte auch noch seine Ware trotz der Zölle auf den deutschen Markt werfen; damit wäre aber unsere Industrie und unser Gewerbe lahmgelegt und zugleich auch die Sozialpolitik. Wir können nicht ins Blaue hinein r r fir . machen, die sich nachher alg undurchführbar erweisen. Für die Resolution Findel werden wir stimmen, weil wir sie für durch⸗ führhar und die Ausgestaltung des Handwerksblattes für notwendig halten. Was die obligatorische Verhältniswahl zu den Krankenkassen betrifft, so halten wir diese Resolution für verfrüht und behalten ung unsere Stellungnahme für späͤter vor. Für die Resolution Graf Hompesch wegen der Versicherung in Verbindung mit Zeitungen werden wir stimmen. Die Resolution des Zentrums betreffs der Groß⸗Elsen⸗ in zustrie lehnen wir in den ersten beiden Punkten ab, den fünften halten wir für gegenstandslos, für die Nummern 3 und 4 werben wir stimmen. Die Resolution Latimann benriffend, unterschreibe ich die Ausführungen des Abg. Bassermann; die Dringlichkeit der Beseitigung des § 34 ist neuerdings ganz besonders akut geworden, und der Antrag hat jetzt wohl auf ein- Mehrheit ju rechnen, Ueber die Bedeutung der Resolution, betreffend das gewerbliche Auskunfteiwesen, sind wir uns nicht recht klar, wir werden sie vorläufig ablehnen. Ebenso lehnen wir die sämtlichen sozialdemokrattschen Resolutionen ab. Ich schlleße mit dem Wunsche, daß die wirtschaftlichen und gewerb⸗ lichen Verhältnisse sich bald gründlich bessern möchten.

Abg. Hoch (Soz.): Auch wir haben uns in diesem Jahre mit

der Stellung von Anträgen Beschränkung auferlegt, aber nur aus der Erkenntnis, daß die große Zahl der Anträge bel der Etats—⸗ beratung notwendig dahin führt, daß man dem einzelnen Antrag in der Debatte nicht gerecht werben kann; das so Versäumte wird an den Schwerinztagen nachgeholt werden. Die Freude über sozn politische Fortschritte ist gänzlich unangebracht. Die Keisis hat sich zu einer Allgemeinen autzg⸗wachsen, und in dieser Zeit der wirtschaftlichen Krisis haben die Arbeiter den ganzen Segen der heutigen wirtschaft⸗ lichen Gesetzgebung in ganz besonders schwerem Maße an ihrem eigenen Leibe zu verspüren. Ein Teil ihrer Leiden wird ja gemildert durch die Leistungen der Gewerkschaften; aber viele Tausende von Arbeiterfamilien machen jetzt eine Zeit des Elends durch. Und da

kommen nicht bloß die Familien in Betracht, deren Ernährer gänzlich 26 s ö in Europa sozialpolitisch voraus ist. Eine Ackelterversich rung, wie kürzung der Arbeitszeit in seinem Arbeitslohn verkürzt ist. Das ver⸗

arbeitsloꝝ ist, so dern auch diejenigen, wo der Ernährer durch Ver—

ringerte Einkommen führt zu einer noch viel schlechteren Ernährung; die Tubeikulose gewinnt wieder größeren Boden. Die Großindustrie gewinnt aus der Krise eine neue Stärkung ihrer Machtstellung, und zwar auf Kosten der Arbeiterschaft und der kleinen und mittleren Betriebe. le letzteren, sowelt sie überhaupt noch bestehen, sind schließlich nur noch untergeordnete Organe der Großinzustrie. Die Uebermacht des Großkapitalz gegenüber den Arbeitern hat sich wieder in hellstem Glanze gezeigt. Die Arbeiterschaft fordert, je mehr diese Uebermacht sich geltend macht, um so einyringlicher das Eingreifen der Gesetzgebung. Dle Arbelter haben allerdings auf ihren Kon— gressen, wo sie ihre Klagen der Oeff ntlichkeit vortragen, auf die Teilnahme der Regierungsvertreter nicht zu rechnen. Der Staate⸗ sekretör von Bethmann hat es für überflüssig erklärt, auf dem Berg arbeiterkongreß zu erscheinen, da er die Forderungen der Bergleute kenne. Auf den Uaternehmerkongressen ist er erschienen, ob⸗ wohl ihm deren Forderungen ebensowenig unbekannt sind. Der Bergarbeiterkongreß hat sich in einer Resolution für eine schleunige reichtgesetzliche Regelung des Bergarbeiterschutzes usw. aus gesprochen. Meine Partei hat eine Resolution in gleichem Sinne beantragt. Wir können diese Resolution Ihnen nur zur Annahme empfehlen. Tausende und aber Tausende von ländlichen Arbeitern und von Bauarbeitern sind heute rechtlos. Die Seeleute harren noch heute auf die Erfüllung ihrer berechtigten Forderung auf Abänderung der Seemanngordnung; auch die bescheidenen Forderungen der Ziegeleiarbeiter sind bisher nicht erfüllt worden, Forderungen, die seit Jahren gestellt und den Regierungen und dem Reichs⸗ tage bekannt sind und sich namentlich auf die Besserung ihrer Gesundheitsverbältnisse beziehen. Für die Handlungsgehllfen ist bisher ebenfalls so gut wie nichts geschehen. Ver Abg. Schack hat Gegen die technischen An⸗

gestellten gehen die Arbeitgeber rücksichtslos überall da vor, wo sie die ret haben. Dagegen können sich die . nur durch eine Organisation schützen. Der Staatssekretär nähert sich, wie es scheint, der Auffassung des Reichskanzlers. Er meinte, er könne ch denken, daß diejenigen Koalitlonen, die dem Gegner den Krieg bis auf. Messer androhen, verboten werden. ch möchte mir die Frage erlauben, welche Gewerkschaften er damit meint. Er will wohl nur unbequeme Arbeltervereine unterdrücken. Die Arbeiter haben ihre Organisationen gegen den Willen der Arbeitgeber aufgebaut, well sie ar nicht anders handeln konnten. Sie sollten sich doch überzeugt aben, daß auch durch Ausnahmegesetze die Arbeiterbewegung nicht aufgehalten werden kann. Das Arbeiterrecht ist heutzutage systemloß, es fehlt ihm jede Einheitlichkeit. Das System der Arbeiterschutz⸗ gesetze ist durchaus falsch, das haben auch Abgeordnete wie Naumann und Potthoff anerkannt. Wir brauchen ein einfaches und klares Arbeiterschutzgesetz aus den gegenwärtigen Machtverhältnissen heraus. Die ein elnen Unfallverhütungsvorschriften werden nicht vom grünen Tisch beschlossen, aber der große Krebtschaden dabei ist, daß die Arbeiter nicht zur Geltung kommen, die ihr Leben und ihre Gesundheit riskleren un) zuerst ein Recht haben, einen Einfluß guf diese Vorschriften aus⸗ zuüben. Bei den Arbeiterschutzvorschriften sollte man dieset Verfahren auch, aber mit der Aenderung einschlagen, daß diejenigen mitwirken, die tagtäglich in der Arbeit steh'n. Drei Jahre hat es gedauert, bis die Verordnung über die Großeisenindustrie zu stande gekommen ist. Der Staatzsekretär hat eine Aussprache herbeigeführt, Vertreter der frelen Gewerkschaften aber nicht dazu eingeladen, sondern nur die Eisenbarone, und so sind Bestimmungen getroffen worden, die direkt als eine Ver⸗ höhnung der Arbeiter zu betrachten sind. Sle sind in. allen Punkten vollständig ungenügend, das geben auch die christlichen Arbeiter⸗ organisationen zu. Waß soll man daju sagen, wenn den Arbeitern, die die alleraufreibendste Tätigkeit zu verrichten haben, eine Mindestruhe⸗ zeit von acht Stunden gegeben werden soll! Kann der Arbeiter, selbst wenn man ihn nur als Arbeitspferd betrachtet, dabei auch nur physisch genügend ausruhen? Dabei handelt es sich um Unternehmungen, die Hunderttausende abwerfen. Bei uns herrscht eben die Rücksicht auf die Unternehmer. Auch die Novelle zur Gewerbeordnung ist von dieser Rücksicht diktiert. Die Ausnahmetage haben die bürgerlichen Parteien durch eine Einigung unter sich erhöht. Der Abg. Dr. Stresemann be⸗ klagte im „Confectfonair' daß die Unternehmer jur dritten Lesung nicht in größerer Zahl nach Berlin gekommen sind. (Der Viztpräsident Raempf ersucht den Redner, sich nicht zu weit vom Gegen stande ju entfernen Die Bestimmungen über den Arbeiter schutz gehöten doch jum Gegenstand der Tagezordnung. Bei der Vorbereitung der Novelle zum Arbeiterversicherungsgesetz, einem der wichtigsten Gesetze, wird in geradezu beschränkt bureaukratischer Weise vorgegangen. Wahrend man in Desterreich, das ich durchaus nicht als sojialpolitisches Musterland hinstellen will, den Ent⸗ wurf der Oeffentlichkeit unterbreitet hat, hat man bei uns ge⸗ wartet, bis das Zent alblatt für das deutsche Baugewerbe durch eine Indiskretlon in der Lage war, die Grundzüge zu veröffentlichen. In Oesterreich sind die Interessen vernommen, und es ist sofort ein stenographischer Bericht erschlenen. Weshalb ist das bei uns nicht der Fall? Es sind schon Wochen vergangen, und man hört gar nicht, daß beabsichtigt wird, die Unterlagen zu veröffentlichen. Ich frage den Staatssekretär, ob er das wichtige Material, das am ebesten einen Einblick in diese Verhältnisse gewährt, der Oeffentlichkeit vor= enthalten will. Ich glaube, es liegt für diese Geheimniskrämerei ein sehr trauriger Grund vor; es heißt nämlich, daß die neue Reform der Arbeiterversicherung eine geradezu unerhörte Verschlechterung für die Arbeiter bringen soll. Sie sollen keinen Vertreter mehr in den Vorstand entsenden können. Nach unserer Ueberzeugung ist das, was der Unternehmer leistet, nur ein Stück vom Arbeitslohn. Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, daß der Unternehmer etwas zahlt, so setzen die Arbeiter doch ihr Leben und ihre Gesundheit ein und haben schon deshalb ein Recht mitzureden. In den Orts— krankenkassen sollen Mißstände herrschen Gewiß sind hier und dort Fehler gemacht worden. Aber wo dle Arbeiter ein wirkliches Selbst⸗ derwaltungsrecht haben, da haben sie auch im Interesse ihrer kranken Ge⸗ nossen einen guten Gebrauch gemacht. Das Selbstverwaltungg echt der Arbeiter sollte deshalb nicht eingeschränkt, sondern umgekehrt erweitert werden. Im Versicherungtswesen sind ein Uebelstand die vielen langwierigen Prozesse. Dies Verfahren zu vereinfachen, ist gewiß wünschenswert, aber die Arbeiter dürfen nicht um ihr gutes Recht gebracht werden, wie es heute geschieht. In Hanbuig hat eine Innung beschlossen, keine Mitglieder aufz mehmen, welche nicht der Innungskasse beitreten. Das ist ungesetzlich, und ich frage den Slaatssektetär, wie er sich dazu stellt; gesetzlich können Mitglieder freier Kassen nicht gezwungen werden, einer Innungskasse beizutreten. Die Aerzte haben sich unter der glorreichen Führung des Abg. Mugdan für die freie Arztwahl entschieden und damit die Sache auf die Spitze getrieben; in Cöln wollen die Aerzte überhaupt keine Kassenkranken behandeln. Ist das zulässin? Soll der kranke Arbeiter hilflos preisgegeben werden? Ein Streik gegenüber hilflosen kranken Arbeitern ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Man sollte doch nicht die Kasse vergewaltigen, sondern die Entscheidung über die freie Arztwahl den Mitgliedern der Kasse überlassen. Dringend notwendig ist die Beseitigung des Apothekermonopols, der Wucher mit Arzneimitteln. Sehr zu be— dauern ist, daß der Staatssekretär meine im vorigen Jahre aus⸗ gesprochene Bitte um Berücksichtigung der Berichte der Arbeiter- sekretäre über die Verhältuisse der Arbeiter nicht erfüllt hat. Er würde über manche Awbeiterfrage ganz anders urteilen, wenn er wenigstens einen seiner Räte damit beauftragte, Einsicht in dies

Material zu nehmen. Angesichts der bevorstehenden Reform der

Arbeiterversicherung ist dieser Wunsch gewiß gerechlfertigt. Tun Sie dies nicht, berücksichtigen Ste die Wünsche der Acbeiter nicht, dann e, g, sich nicht wundern, wenn in Arbeiterkreisen Erbitterung entsteht.

Abg. Dr. Mugdan (fr. Volkp): Das Bild, das der Vorredner bon der deutschen Sozialpolitik entworfen hat, ist grau in grau gemalt. Als ob sich unsere Sozialpolitik erschöpfte in Liebesdiensten für die Unternehmer, als ob für die Arbeiter nicht das mindeste getan wäre. In der heutigen Nummer Ihres Zentralorgans, des „Vorwärts“, können Sle lesen, daß Deutschland den übrigen Staaten

wir sie haben, gibt es bisher weder in einem europätschen noch außereuropäischen Lande, und in welchen Ländern soll es um den Arbeiterschutz besser bestellt sein als in Deutschland? In vielen amerikanischen Staaten sind Arbeiterschutzbestimmungen überhaupt verboten, weil man glaubt, daß sie in die Feeiheit des Individuums eingreifen. Trotz allem übt die Sozialdemokratie nur eine abfällige Krltif. Auch die Gewerbeordnungsnopelle und die Kommission, in der sie beraten wird, wird heruntergejogen; man geht sogar so weit, daß ein Abgeordneter, der nicht Mitglied der Kommission ist, den Sltzungen aber stetz beiwohnt, falsche Nachrichten verbreitet. Die Existenz der gelben Gewerkschaften beruht auch nur auf der falschen Agitation der So ialdemokratie. Daß der Arbeiterschutz nicht genügend ist, darüber kann allerdings kein Zweifel sein, und gerade beim Bergbau steben sih die allerkapitalkrästigsten rlesengroßen industriellen Unternehmungen und auf der anderen Seite nicht gut bejahlte Arbeitergruppen gegenüber. Wenn der Staat überhaupt die Verpflichtung hat, zwischen Arbeitgebern und Aibeitnehmern aut— zugleichen, so ist es hler. Das preußische Berggesetz genügt in keiner Weise. Ich sehe nicht ein, warum man sich gegen ein Reichsberggesetz so sträubt. Die schrecklichen Katastrophen gehören vielleicht zu dem gefahrvollen bergmännischen Berufe, aber dann erfordert es schon die Klugheit der Regierung, dafür zu sorgen, daß die Arbeiter nicht denken können, diese Katastrophen sind durch die Nachlässigkeit der Behörden und der Unternehmer verschuldet. Auch an der Frage der Versicherung der Prlvatbeamten ö wir nicht vorbeikommen; diese Frage bis zur großen Aibeiterversicherungsnovelle zu verschleben, geht nicht an, In der Gmwerbeinspektion sollten mehr weibliche Kräfte angestellt werden. Es gibt eine große Anzahl von Krankheiten, die die weib⸗ lichen Arbeiter lieber einer g een n, mitteilen. Zu diesem Zwecke sollten auch weibliche Aerzte in die Gewerbeinspeftion ein— gestellt werden. Was das Handwerk betrifft, fo macht sich jetzt eine

grWugen. Da

gröhßere Zuversicht in ihm geltend. Wir werden für den Antrag, be— sreffend den Ausbau des Deutschen Handwerkerblattes stimmen. Das neue Arbelterversicherungsgesetz soll ein sehr weitschichtiges werden; ob es durchsichtiger sein wird, als die bisherige Gesetzgebung, erscheint

nir zweifelhaft. Ich bezweifle auch, ob ein so umfangreiches er h

noch in dieser Session verabschiedet werden kann. Der Abg. Ho

hat es so dargestellt, als ob die Unfallverhütungevorschriften nur von den Unternehmern gemacht werden. Das ist aber gar nicht der Fall, die Unfallverhütungsvorschriften fönnen gar nicht ohne Mit— wirkung der Arbeiter gemacht werden. Die Aufsicht über

Biese Vorschriften unterliegt aber den Aufsichtsbeamten; mit einer

Industrle werden wahrscheinlich immer Unfälle verbunden sein. Vir bemühen uns, nach Möglichkeit die Zahl der Unfälle zu ver— mindern und deren Folgen zu mildern. Im sozialdemoktatischen Zukunfttzstaate werden genau dieselben Unfälle vorkommen, wie sie setzt vorkommen. Man kann wirklich nicht sagen, daß die Unfälle ein immanenter Zustand der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sind. Man macht et den Aerzten zum Vorwurf, daß sie nicht die Familie

der Krankenkassenmitglieder behandeln. Ein Vergleich mit den Jjand—

wirischaftlichen Arbeitern ist unzutreffend. Diese stehen in einem Vertragsverhältnis mit den landwirtschaftlichen Unternehmern, aber die Aerzte, um die es sich handelt, hat man aus dem Vertrags verhältnis herausgebracht. Die Krankenkassen müssen doch der Ueberzeugung sein, daß die Aerzte, die sie angestellt haben, es doch zuviel, wenn man den Aerzten, die aus ihrer Stellung herausgebracht sind, zumutet, sie

sollen durch ihre Arbeit den trügerischen Beweig führen,

daß die angestellten Aerzte genügen, was nach ihrer Ansicht nicht der Fall ist. Die Streitigkeiten zwischen Aerzten und Krankenkassen be⸗ dauere ich aufs tiefste auge dem einfachen Grunde, weil die Kranken⸗ lassendorstände dabei weit vom Schuß sind, und ein Stra aust⸗ gesohten wird um den Körper der Kassenmisglieder, um die Frage, wie lange diese der ärztlichen Fürsorg: entbehren können. Ich slimme dem Vorredner zu, daß man den Krankenkassen kein bestimmtes System audrücken kann. Trotzdem ich ein Verehrer der freien Arztwahl bin, habe ich für ihre gesetzliche Einführung nichts übrig, ich halte das System für so gut, daß ich überzeugt bin, es wild sich durch— kämpfen. Deshalb wäre es mir gar nicht lieb, wenn die zu er— wartende Novelle, was ich nicht glaube, die freie Arztwabl obli⸗ gatorisch machte. Aber ich wünsche Instanzen, welche die Streitig⸗ keiten nach Möglichkeit ausschließen, und vor allem solche, die dahin wäken, daß ungerechte Entlassungen und Bedrückungen der Aerzte durch die Krankenkassenporstände nicht mehr vorkommen können.

Leider bildet sich, wenn es sich um die Aerjte handelt, immer gleich ein großer Block, der sich von der äußersten Rechlen bis zu den Soialdemokraten erstreckt, wenn ez ans Zahlen geht. Die neuerdings ergangene Verfügung des preußischen Handelsministers, der an ihr,

wie ich annehme, selbst ganz unschuldig ist, ist mir ein deutlicher

Beweis dafür, daß unter Umständen ein an sich gutes Gesetz durch

die Ausführung veischlechtert werden kann. Dle Verfügung schafft für die unteren Verwaltungsbehörden bei der Festsetzung der Invalidenrente

ein mündliches Verfahren. Ich bezwelfele, ob der Handelsminister ein mündliches Verfahren durch eine solche Verfügung erzwingen kann.

Durch letztere muß ein Arekter Widerwille gegen das Invalidengesetz hervorgerufen werden. Das ganze Vorleben wird erforscht, es werden Arbeitgeber und Aerzte vernommen, kurzum, es wird ein Verfahren eingeleitet, das von den Beteiligten so aufgefaßt wird, als wäre es daju eingerichtet, nach Möglichkeit die Rente zu ersparen. Ich hoffe daher, daß einmal eine gerichtliche Entscheidung ergehen wird, ob die Verfügung nicht den gesetzlichen Rahmen übersprungen hat, und daß sie sehr bald aus der Welt virschwindet. Sie wird nicht zum Frieden beitragen. Man kann den Gedanken nicht unterdrücken, daß ein großer Teil unserer Sozialpolitik sich eigentlich erfüllt in neuen Strafbestimmun gen, die Personen zur Ueberwachung not— wendig machen, daß diese Bestimmungen nicht unbeachtet bleiben, und daß auf diese Weise unsere Sozialpolitik zu einer ungeheuren Vermehrung unseres Beamtenheeres beiträgt, dessen Verminderung wir doch alle wünschen. Darin liegt eine außerordentlich große Gefahr, die durch derartige Verfügungen noch erhöht wird. Es wäre interessant, wenn man eine Rechnung darüber aufmachte, waz die Verfügung des Handelsministers kostet und was sie erspart. Schließlich wird der Arbeiter, wenn man damit fortfährt, immer— während unter polizeilicher Aufsicht steben. Ein freies Koalitiong— recht ist ungleich mehr wert, als alle Aufsichtsbeamten und Polizei⸗ berfügungen. Machen wir die Waffen gleich, dann wird ein großer Teil der Schwierigkeiten, die wir gegenwärtig in sozialpolitischer Beziehung haben, sich ganz ron seibst erledigen. Polizei haben wir genug, und Sozialpolitik soll nicht Polizeiwirtschast sein.

Hierauf wird um 6 Uhr Vertagung beschlossen.

Es folgt eine persönliche Bemerkung des Abg. Hoch (Soz.) Nächste Sitzung morgen, Freitag, den 5. Februar 1 Uhr. GFortsetzung der heutigen Beratung, vorher RNechnungssachen und namentliche Abstimmung über den Antrag Erzberger auf Zurückverweisung der Rechnungsübersicht für das südwest⸗ afrikanische Schutzgebiet an die Rechnungskommission.)

Preusischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 22. Sitzung vom 4. Februar 1909, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Es findet zunächst die dritte Beratung des Entwurfs einer Besoldungsordnung für die unmittelbaren Staatsbeamten statt.

Sämtliche Parteien einschließlich der Sozialdemokraten haben noch die Abänderung beantragt, daß das Höchstgehalt der Lehrerinnen bei den Gefängnissen der Justizverwaltung und hei der Strafanstaltsverwaltuüng, das nach dem bisherigen Deschluß 2400 S6 beträgt, auf 2506 Mie erhöht wird.

Ueber den ersten Teil der Generaldiskusston ist bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

„Abg. Ern st (fr. Vgg): Es ist schr zu bedauern, daß eine ganze Reihe von Beamten in ber Gehalttaufbesserung zu kurz gekommen t. Ich denke daber namentlich an die Klasse 6 gal, Wiesen ., Wege und Flußmeister). Ich denke ferner an bestimmte Lehrer⸗ lategorlen, so die Zeichenlehrer und Seminarlehrer, die am schlechtesten weggekommen sind.

Abg. Ströbel (Soz.) führt auß, daß er in der neuen Be— soldunge ordnung einen Akt sozialer Fürsorge nicht erblicken könne, samentlich für die unteren Beamten blieben die Verhäͤltnisse dauernd so, daß die eingetretene ,,, der Lebensmittel durch die etz“ gewährten Verbefferu igen nicht ausgeglichen sei. Die höheren Beamten seien viel besser bedacht worden, als die unteren; är etztere seien alle Verbesserungen mit der Begründung abgelehnt worden, eg sei kein Geld vorhanden. In Bayern seien die

chälter der Unterbeamten aber wesentlich höher als in Preußen.

uch bei den zur Deckung neu vorgeschlagenen Steuererhöhungen würden die unteren Stufen verhältnismäßig erheblich mehr heran—⸗ gigen als die oberen. Die geplante Erhöhung der Vermögenssteuer . B. Jsei, bel Lichte betrachtet, recht wenig ing Gewicht fallend; bei bo go ergäben sich dabel nur 125 6. Zum Schluß wendet sich er Redner gegen den Terror, der ben Wahlen durch die Regierung auf die Beamten ausgenbt werde,

bg. von Pappenheim (kons.): Ich halte es für übeiflüssig, zuf die letzten Horte des Vorrebnerg irgend eswatz zu antworten; die enden der Rede geht aus ihnen ja nur zu klar herbor. Aber es ge= 16 doch ein gewisser Mut dazu, hler vor dem Hause mit elner er igen Unkenntniz, wie es der Herr Vorredner getan, zu prechen. Ist ihm denn wirklich unbekannt, daß die unteren Beamtin

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um 20 0/o, die mittleren um 15 0, und die höheren Beamten um 74 og aufgebessert werden? Eg ist doch unbestreitbar, daß die Tendenz der Deckungsfrage in erster Line dahin geht, die Lasten dieser Vorlage auf die stärkeren Schultern zu legen. (Lachen bei den Sozialdemokraten. Haben Sie denn nicht die einfachsten Zahlen ge— lesen, nach denen die untersten Beamten um 100 o an Wohnung geldzuschuß aufgebesseit werden? Sie operieren immer mit einjelnen, willkürlich heraus egriffenen Zahlen, und es ist kaum anzunehmen, daß dies auf Unkenntnis beruht; Ihre Zahlen schlagen jeder Wahr heit ins Gesicht

; . wird die Generaldiskussion geschlossen. Persönlich emer

Abg. Ströbel (Soz), daß es ihm gar nicht eingefallen sei, zu behaupten, daß alle Oberbeamten gegenüber den Naterbeamten be— vorzugt seien, er habt nur auf einige ganz bestimmte Oberbeamte hin— gewiesen, bei denen dies der Fall sei.

In der Spezialdiskussion teilt der

Präsident von Kröcher mit, daß der Antrag betreffs der Ge— fängntslehrerinnen zurückgezogen sei und durch einen neuen Antrag ersetzt werden solle, den er aber selbst noch nicht in Händen habe.

Abg. von Pappenheim (lons) wünscht, daß der Antrag wenigstens vorläufig durch den Vorsitzenden der Budgetkommission mitgeteilt und kurz begründet werde,

Präsident von Kröcher bemerkt darauf, daß der Antrag erst eingehrn und von 30 Mitgliedern unterstützt werden müsse.

Es wird deshalb die Diskussion über die betreffende Position ausgesetzt. .

Nach unerheblicher Debatte werden die sämtlichen einzelnen Gehaltsklassen unverändert nach den Beschlüssen der zweiten Lesung angenommen.

Der (ben erwähnte Antrag sämtlicher Parteien ist dahin abgeändert worden, daß die Buchhalterinnen und die Lehrerinnen hei den Gefängnissen der Justiznerwaltung und bei der Strafanstaltsverwaltung, die nach den Beschluͤssen der zweiten Lesung 1400 bis 2400 M, erreichbar in 15 Jahren,

erhalten sollten, ein Gehalt von 1400 bis 2500 M, erreichbar

in 15 Jahren, beziehen sollen. (Nach dem zuerst gestellten An⸗ trag sollte die Aufrückungsfrist 18 Jahre betragen) Der An⸗ trag wird angenommen.

der Sozialdemokraten angenommen.

Es folgt die Beratung des Staatsvertrages zwischen Preußen und Hamburg vom 14. November

1908, betreffend Verbesserung des Fahrwassers der

Elbe und andere Maßnahmen zur Förderung der Seeschiffahrt nach Hamburg, Altong und Har— burg (Regulierung der Elbe und der Nebenarme von der Seevemündung bis Brunshausen, insbesondere Verlegung und Vertiefung des Köhlbrands), und in Verbindung damit die erste Beratung des Gesetzentwurfs über die Aende⸗ rung der Landesgrenze gegen die Freie und Hanse— stadt Hamburg im Landkreise Harburg. Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach:

Meine Herren! Es ist bekannt, daß seit mehreren Jahren iwischen Preußen und Hamburg Verhandlungen über die Regelung der Verhältnisse in der unteren Elbe, insbesondere dem Köhlbrand, geführt werden. Wiederholt sind bei den Etatberatungen sowohl in der Budgetkommlssion als hler im Plenum dieserhalb Anfragen an die Staattregierung gerichtet und beantwortet worden. Es ergab sich schon damals Gelegenheit auf die wichtigsten Punkte hinzuweisen, die bei diesen Verhandlungen beachtet werden mußten. Ganz zweifellos war für Preußen die bedeutsamste und schwierigste Frage bei diesen Verhandlungen die Regelung der Tiefenverhältnissn im Köhl brand. Preußen ist nicht in der Lage, über die Regelung der Tiefen verhältnisse in diesem Wasserlauf frei zu verfügen. Der Köhlbrand bildet die Verbindung zwischen der bei Hamburg vorbei⸗ fließenden Norderelbe und der bei Harburg vorbelfließenden Süder⸗ elbe. Er liegt zu seinem größeren Teil auf hamburgischem Staats⸗ gebiet, zum kleineren Teil auf preußischem Gebiet. Aber auch auf preußischem Staatsgebiet halte Preußen nicht freie Verfügung über die Tiefenverhältnisse, da nach dem Elbschiffahrtsvertrag und der Additionalakte Bauten im Strome und am Strome, die einen Ein⸗ fluß auf die Wasserführung ausüben können, der Verständigung der beteiligten Staaten unterliegen sollen.

Eine solche Verständigung bezüglich des Köhlbrandes herbei⸗ zuführen, ist von jeher mit besonderen Schwierigkeiten verbunden 6ewesen. Preußen mußte im Interesse des Harburger Hafens ver⸗ langen, daß die Freigabe der Tiefe des Köhlbrandes erfolgte. Ham burg leistete Widerstand in der Sorge, daß die Wasserverhältnisse in der Norderelbe zu Ungunsten des Hamburger Hafens verändert werden könnten. Jahrzehnte haben sich diese Verhandlungen hingezogen. Im Jahre 1868 wurde festgesetzt, daß die Tiefe im Köhlbrand 5 m unter Mittelhochwasser sein sollte, und erst im Jahre 1896 gelang es, diese Tiefe um einen Meter ju erhöhen, sodaß vom Jahre 1896 ab dle höchstzulässige Wassertiefe des Köhlbrandes 6 m unter Mittelhochwasser war. Bei den vor einigen Jahren begonnenen Verhandlungen mit Hamburg wurde preußischer⸗ seitgs beansprucht, daß bezüglich der Tiefe im Köhlbrand sede Beschränkung fallen sollte. Dieses gestand Hamburg nicht zu. Es war aber berelt, eine Wassertiefe von 10 m unter Mittelhoch⸗ wasser zuzulassen, knüpfte jedoch hleran eine Reihe von Bedingungen In erster Linie verlangte es eine Sicherung dagegen, daß die Wasser⸗ verhältnisse in der Norderelbe infolge der Vertiefung des Köhlbrandes sich verschlechterten; anschließend forderte es eine umfassende Regulierung, beginnend an der Stevemündung, eines kleinen Flüßchens, das ober halb Harburgs in die Elbe strömt, bis Bruntghausen, elnen großen Leitdamm von Finkenwärder ab, elne Korrektion und Vertlefung der Unterelbe; eg verlangte weiter Abtretung umfänglichen preußischen Staatsgebietö an Hamburg, weit erheblicher als dassenige, was durch den dem Hause vorliegenden Staatsvertrag schließlich zugestanden ist; und schließlich forderte eg Anschluß an die Staatgeisenbahnen in Har⸗ burg, um das bei Finkenwärder und Waltershof belegene ham burgische Staatsgebiet, das demnächst für Hafen. und Industriezwecke aufgeschlossen werden soll, an die preußtschen Staatseisenbahnen an—= zuschließen.

Auf preußischer Seite mußte das Bestreben sein, diese Forderungen Hamburgg auf ein mit den preußischen Interessen vereinbares Maß zurückjuführen. Ez ergab sich im Laufe der Verhandlungen die Not⸗ wendigkeit, preußischerseitJ nicht nur auf die Regelung der Tlefen= verhältnisse im Köhlbrand hinzuwirken, sondern auch ju verlangen eine Sicherung der Interessen der Anlieger an der Unterelbe gegen etwaige Schäden, die ihnen aus der Korrektion und aus der Ver tiefung des Stiom;es erwachsen konnten. Ez handelte sich ferner

darum, die Interessen des Hafens Altona sicher zu stellen, eine Aus—= dehnungsmöglichkeit des Hafens entgegen den Bestimmungen det heute geltenden Staatsvertrages zwischen Hamburg und Preußen bis jur Altonaischen Stadtgrenze zu schaffen, und endlich die Interessen der preußlschen Gemeinden Wilhelmsburg und Neuhof sicherzustellen gegen Schädigungen, die ihnen erwachsen konnten aus der Abtretung preußischen Staatsgeblets an Hamburg, welches ja bekanntlich dem hamburgischen Freihafengebiet zugewiesen werden soll.

Die wesentlichsten Schwierigkeiten bel diesen Verhandlungen beruhten immer darauf, daß Hamburg an der Vertiefung des Köhlbrandes, der prinnipalen Forderung Preußens, kein eigenes Interesse hatte, im Gegenteil ständig geltend machte, daß diese Ver⸗ tiefung zu einer Verschlechterung seiner Verhaältnisse führen könnte.

Die preußische Staatsregierung hat ez nun bei den Verhand— lungen mit Hamburg als ihre wesentlichste Aufgabe betrachtet, die Interessen der preußischen Gemeinden und Anlieger am Elbestrom zu sichern und zu fördern, und sie ist der Auffassung, daß dieses ihr Be⸗ streben in allen wesentlichen Punkten gelungen ist. Sie ist aber auch, so weit es ohne Schädigung ihrer Interessen möglich war, den der Förderung der deutschen Seeschiffahrt dienenden Wünschen Hamburgs entgegengekommen. Unbegründete und zu weit gehende Forderungen Hamburgs mußten zurückgewiesen werden. Die Königliche Staats— regierung konnte aber nicht darauf auggehen, ohne Räcksicht auf die eng mit den Interessen des ganjen Deutschen Relchs verknüpfte Welthafenstellung Hamburgs einseitig alle auf preußischer Seite in Betracht kommenden Wünsche wahrzunehmen. Es mußte vielmehr ein Mittelweg gesucht werden, um die beiderseitigen Interessen ju vereinigen.

Ich bin der Auffassung, meine Herren, daß der dem hoben Hause vorliegende Staatsvertrag diesen Mittelweg darstellt. Alle Wänsche auf preußischer Seite sind nicht erfüllt worden, ebensowenig auf hamburgischer Seite. Wer die hamburgische Presse verfolgt hat, wird feststellen, daß auch den hamburgischen Unterhändlern der Vor⸗

Darauf wird bei der Gesamtabstimmung auch die Be— wurf gemacht wird, sie seien zu nachgiebig gegen Preußen gewesen und

soldungtsordnung im ganzen von allen Partelen einschlleßlich hätten Hamburg zu stark finaniell belastet.

Die bei Ausführung des Staatsvertrags erwachsenden Gesamt—⸗ kosten werden sehr erheblich sein. Sie fallen ganz überwiegend Ham- burg zur Last, Preußen wird aus diesem Staatgvertrage mit einer Kostensumme von 6 520 000 S belastet werden. Es wird erwartet, daß die Stadt Harburg sich an der Außbringung dieser Kostensumme beteiligt, entweder mit einem Kapital beitrage oder durch Uebernahme einer Garantieleistung, welche

die Zinsen und die Tilgung eines Kapitalteils sowie einen Teil der

Mehrkosten der Unterhaltung sicherstellt. Die Stadt Harburg verhaͤlt sich dieser Forderung gegenüber bisher ablehnend. Ihre Haltung ist in hohem Maße ju bedauern. Die preußische Regierung hat wieder holt bewiesen, daß sie für das Gedeihen Harburgs nicht nur ein

platonisches Interesse hat; sie hat noch ganz jüngst, als es sich um

die Erweiterung der Harburgischen Häfen handelte, einen Kostenbeitrag von 2,5 Millionen geleistet. Auch diese Verhandlungen, die nunmehr in dem Staatsvertrage veikörpert sind, haben ihren Ausgangspunkt ausschließlich im Harburger Interesse, und der preußlsche Staat zeigt sich wiederholt geneigt, dieses Interesse durch Uebernahme sehr hoher Kostenbeiträge zu fördern. Die Regierung muß grundsätzlich davon ausgehen und daran festhalten, daß die Gemelnden in Fällen, in denen ihre Interessen durch umfassende staatliche Maßnahmen und Bauten wesentlich gefördert werden, nach Maßgabe ihres Interesse zu diesen Bauten beizutragen haben. An diesem Grundsatze, an dieser Auffassung ist von jeher festgehalten worden, auch andern preußischen Städten gegenüber in gleichartigen Fällen. Es muß so⸗ gar festgestellt werden, daß in anderen Fällen von anderen Städten verhältnismäßig mehr gefordert und geleistet worden ist, als in diesem Falle von Harburg geleistet werden soll. Jahrzehntelang ist von Harburgischer Seite betont worden, daß, wenn diese Forderungen, die nunmehr durch den Staatsvertrag erfüllt werden sollen, erreicht werden, ein Zustand geschaffen wird, der die Interessen von Industrie und Handel sehr wesentlich fördern wird. Dileser Gesichtspunkt ist von Stadt und Handelskammer immer wieder vorgetragen worden. Angesichts des Bestrebens Harburgs, sich der Beitragsleistung, die der Staat der Stadt jumutet, zu entzlehen, gewinnt es den Anschein, daß die großen Vorteile des Vertrages, die die Erfüllung fast aller Wünsche bedeuten, nicht genügend gewürdigt werden. Unter allen Umständen wird es geboten sein, daß, solange das Ansinnen der Staats- regierung, daß Harburg in angemessener Weise zu den Kosten des Werkes belträgt, jurückgewiesen wird, mit der Ausführung aller derjenigen Bauten und Anlagen, zu denen Preußen wohl berechtigt aber nicht verpflichtet ist und dazu gehört an erster Stelle die Vertiefung des Köhlbrandt und eines Teils der Süderelbe zurückgehalten wird.

Auch die Stadt Altona hat im letzten Augenblick in einer Eingabe an dieses hohe Haug, die mir am gestrigen Tage zugegangen ist, ein umfassendes Programm vorgelegt, das Vergangenheit uud Zukunft begreift, Be ürchtungen Autdruck leiht, daß die Bauten im Strom, wie sie geplant sind, zum Schaden Altonaischer Interessen ausfallen könnten, Entschädigungen beansprucht, die weit über das hinausgehen, waß durch den Staatzbertrag Altona von Hamburgischer Seite zu⸗ gewendet werden soll, Entschädigungen, die der Staat Preußen ju jahlen haben würde, ferner eine große Zahl von Forderungen auf⸗ stellt, die völlig neu sind, die bisber noch in keinem Stadium zur Kenntnis der Regierung gebracht wurden, Forderungen einschneidendster Natur für den Verkehr auf der Stromelbe, Forderungen, die meines Ermessens in gar keinem Zusammenhang mit dem vorliegenden Saatg— vertrage zu bringen sind. Die nicht unerheblichen Vorteile, die auch Altona durch den Staatsvertrag zugewendet werden, werden in dieser Vorstellung völlig ignoriert.

Meine Herren, ich glaube nicht, daß es sachdienlich ist, wenn ich bei Einbringung dieser Vorlage auf die Ginzelheiten der⸗ jenigen Wünsche und derjenigen Bedenken eingehe, die sowohl von seiten der Stadt Harburg wie der Stadt Altona und anderer, die an dem großen Werke mitinteressiert sind, vorgebracht wurden. Ich meine vielmehr, elne Klärung aller dieser, wie ich gar nicht ver⸗ schweigen will, bedeutsamen Fragen kann nur erfolgen bel einer sehr eingehenden Beratung innerhalb einer Kommission. Innerhalb dieser Kommission werden in erster Linie die Kommlssare der Staatzg— regierung (s sind fast sänmtliche preußischen Ressorts bei diesen Verhandlungen betelligt gewesen Auskunft zu erteilen haben über den Gang der Verhandlungen und darüber, wie und warum preußischer⸗ selts dlese und jene Zugeständnisse haben gemacht werden müssen. Gz werden bei dieser Gelegenheit an erster Stelle die Strombausachver-

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