Daß kam bel unserer Konferenz auch jur Sprache. Einer fagte: Ich muß den Tag über 40 bis 50 mal sprechen. Das ist ja sehr schön, aber wenn der Herr sobiel sprechen muß, dann wird er auch durch die Gespräche verdienen. Im ganzen Geschäftsleben gibt niemand einen Pfennig aus, wenn er nicht einen Vorteil davon hat. Die große Bequemlichkeit, die das Telephon gewährt, ist doch nicht ju leugnen: Der Benutzer welß sofort, was der Partner antwortet, und ob er die Sache richtig verstanden hat.
Nun haben einzelne Zeltungen ganze Stände mobil gemacht. An dem einen Tage liest man, daß sämtliche Zigarrenhändler sagen: wir sind ruiniert, wenn diese neue Gebührenordnung kommt. Am anderen Tage heißt es, die Restaurants können nicht mehr bestehen, denn sie sind verpflichtet, um ihre Kunden zu halten, ihnen den Fernsprecher umsonst zu stellen. Ich kann mir nicht helfen, ich halte einen solchen Einwand für frivol. Denn wenn jemand verlangt, der Staat solle ihn darin unterstützen, daß er seinen Kunden das Telephon frei zur Verfügung stelle, so ist das doch übertrieben. (Sehr richtig! rechts.) Für jeden, der etwas kauft in einem solchen Geschäft und von dem Fernsprecher Gebrauch macht, ist es vlel angenehmer, wenn er das bejahlen kann und dem Manne nicht verpflichtet ist. Wenn man aber mit solcher Behauptung gegen die Fernsprech⸗ gebührenordnung Stimmung machen will, so ist das vollständig falsch. Wir werden immer dahin kommen müssen, daß diejenigen, die von dem Fernsprecher reichlich Gebrauch machen, mehr zahlen, als sie jetzt zahlen, und meine Herren, darüber war in der Kommission absolut kein Meinungsunterschied, daß die jetzigen Gebühren für den Vielsprecher zu gering selen. (Sehr richtig) Auch alle diejenigen, die mit der Idee der Fernsprechgebührenordnung, wie sie hier vorliegt, nicht ganz einverstanden waren, waren doch der Ueberzeugung, daß diejenigen, die solch reichlichen Gebrauch von dem Fernsprecher machen, auch mehr zahlen müssen. Es wird sich ja ausreichend Ge—⸗ legenheit finden, auf die einzelnen Punkte noch einzugehen, ich möchte aber hier die Ueberzeugung aussprechen, daß auf beiden Seiten, auf seiten derjenigen Herren, die die Interessen des Landes vertreten, und auf der Seite derjenigen Herren, die die Interessen der Städte ver⸗ treten, auch eine gewisse Zurückhaltung beobachtet werden muß. Ich glaube, wir haben, was das Land anbetrifft, ein großes Zugeständnis gemacht, und das liegt darin, daß die 20 M, die heute jeder ver⸗ pflichtet ist, zu bejahlen, ohne Rücksicht darauf, ob er im Ortsnetz spricht ader nicht, für den Fernverkehr verwendet werden können. Denn das ist ja ganz zweifellos, daß für den Landbewohner der Wert des Telephons in der Erleichterung des Fernverkehrs liegt, ihm muß daran liegen, in die Ferne sprechen zu können lsehr richtigh. Diese 20 4A müssen jetzt für vielleicht sehr wenige Gespräche bezahlt werden, am Drte sind vielleicht 10 oder 20 Teilnehmer, mit denen er nichts zu sprechen hat, dagegen hat er nach außen viel zu sprechen, und dieses Geld kann er in Zukunft für Ferngespräche verwenden.
Bei der Neuregelung der Gebühren muß dahin gezielt werden, und davon kann nicht abgewichen werden, daß die⸗ jenigen, die viel Gebrauch machen von dem Fernsprecher, mehr bezahlen alt jetzt. Das ist eigentlich der Kernpunkt der ganzen Sache, daß die Summe der Gebühren, wie sie jetzt aufkommt, ju gering ist. Denn darüber wollen wir uns nicht täuschen: die Ein—⸗ richtungen für die Fernsprecherei kosten recht viel Geld, und sie kosten immer mehr Geld, weil immer feinere Apparate konstruiert, immer wertvollere Erfindungen gemacht werden und wir nicht rückständig sein können und dürfen und deshalb auch zu vielfachen Aenderungen in den Einrichtungen verpflichtet sind. Ich möchte bei dieser Gelegenheit gleich aussprechen, daß dieser Wechsel in den Einrichtungen, der eintritt und eintreten muß, nicht etwa eine Eigentümlichkeit der deutschen Post⸗ und Telegraphenverwaltung ist, sondern auch im Auslande, und zwar in noch viel höherem Grade, ju finden ist. Es ist selbstver⸗ ständlich, daß Systeme, von denen man Gutes erwartet hat und die sich dann nicht bewähren, beseitigt, umgebaut werden müssen. Ich möchte damit schließen, daß ich mit dem Herrn Vorredner die Hoffnung und Erwartung hege, daß in der Kommission die verschiedenen Interessen sich dahin vereinigen lassen werden, etwas Nützliches zu schaffen, und das die Befürchtungen, die auf der einen Seite gehegt werden, ebensowenig zutreffen werden, wie die vielleicht etwas zu weit gehenden Wünsche nach der anderen Richtung Erfüllung finden. (Bravo! rechts.)
Um 6 Uhr wird hierauf die Fortsetzung der Beratung auf Donnerstag 2 Uhr vertagt.
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 44. Sitzung vom 3. März 1909, Nachmittags 1 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Das Haus setzt die Beratung des Etats des Mini⸗ steriums des Innern bei dem Kapitel der Polizei⸗ verwaltung in Berlin und Umgebung (Charlottenburg, Lichtenberg, Boxhagen⸗Rummelsburg, Rixdorf, Schöneberg und Deutsch⸗Wilmersdorf) fort.
Berichterstatter Abg. von Pappenheim teilt mit, daß in der Kommission die Frage der Organisation von Groß⸗Berlin besprochen worden sei, daß der Etat eine Vermehrung der Polizeibeamten um 228 Stellen vorsehe, und daß eine Petition der Polijeitierärzte in Berlin um etats mäßige Anstellung mit Pensionsberechtigung und Hinterbliebenenversorgung vorliege, deren Ueberweisung an die Re⸗ gierung als Material die Kommission beantrage.
Abg. Zie then (freikons.): Wie man auch die Frage der Organisation von Groß. Berlin zu lösen gedenkt, so muß man sich doch immer sagen, daß die Vororte mit Berlin ein einheitliches Wirtschastsgebiet bilden, und daß nach außen das Ganze als ein einheitliches Gebllde erscheint. Es hat den Anschein, als brauche man die Vororte nur ei jugemeinden, um den Zustand herbeijuführen, der den Bedürfnissen von Groß⸗Berlin genügt; aber so einfach solche Lösung erscheint, so schwierig und un— durchführbar erscheint sie mir in der Praxig. Ich sehe die Frage vom kommunalpolitischen Standpunkt aus an. Durch die Eingemeindung würde eine Gemeinde von ungeheurer Ausdehnung mit 3 bis 4 Millionen Einwohnern geschaffen, die bald auf 5 biüß 6 Millionen m . sein würden. Berlin ist aber schen jetzt über die
erhaltnisse hinaus gewachsen, innerhalb welcher sich eine Gemeinde von einer Zentralstelle aus verwalten läßt. Die Berliner Stadt- verwaltung hat trotz ihrer hervorragenden Kräfte Schwierigkeiten, die Aufgaben so schnel zu erfüllen, wie sie wünschen muß, und das Interesse der Gemeinden erfordert. Diese Schwierigkeiten würden bei einer noch größeren Gemeinde rapid wachsen; es würden in kurzer 53. in der Kommunalverwaltung geradejn unhaltbare Zustände ent⸗ tehen. Daher halte ich den Weg der Eingemeindung für völlig ungangbar. Eg spricht auch noch eine andere Reihe wichtiger Gründe gegen dle Gingemendung In ren Vororten mit ihren begrenjten Gebieten Funden sich Männer mit Interesse für die Gestaltung ihrer Ge—
meinden, des halb hat sich in den Vororten eln lebhaftes kommunales Leben entwickelt. Die Verorte verwalten ihre , besser, als es von einer Zentralstelle Groß Berlins aus möglich sein würde. Die Selbständigkeit der Vororte hat wohltätige Folgen gezeigt; sie durften nicht hinter anderen Vororten zurückstehen, und dieser Wettbewerb hat außerordentlich fördernd auf die Verwaltung gewirkt. Dieser Wett bewerb würde bei der Eingemelndung fortsallen. Die Zahl der Beamten wächst in Berlin schon jetzt stärker, als dem Wachstum der Bevölkerung entspricht, und dementsprechend wachsen auch die Kosten. Auf kleinerem Gebiete wird sparsamer gewirt⸗ schaftet; dort kann jede Ausgabe in ihrer Verwendung besser geprüft werden. Das Gebilde Groß⸗Berlin würde also zu einer Verteuerung der Veiwaltung führen. Die Eingemeindung der Vor orte würde sie von der Provinz und den Kreisen trennen und diesen historischen Zusammenhang mit einem Schlage beseitigen, Selbst wenn man über alleß das hinwegkommen wollte, würde doch der Einfluß auf die Finanzen der betroffenen Kreise geradezu ruinös sein und sie auf das ärgste erschüttern. Die Kreise haben sich für längere Zeit auf Ausgaben eingerichtet, die die Vorortgemeinden mit zu decken über ⸗ nommen haben. Wenn ich also die Eingemeindung für keinen gangbaren Weg ansehe, so würde ich doch eine Eingemeindung aus besonderen ört⸗ lichen Verhältnissen für zulässig, ja sogar für notwendig halten. Durch die wirtschaftliche Gemeinschaft Berlins mit seinen Vororten sind aber Einrichtungen, sogenannter Zweckberbände, unerläßlich, um bestimmte gemeinsame Aufgaben gemeinschaftlich erledigen zu können. Die wirtschaftliche Einheit muß auch in bejug auf die steuerlichen Verhält nisse geltend gemacht werden. Es herrscht eine außerordentliche Ver- schiedenheit in der Steuerkraft der östlichen und der westlichen Berliner Vororte. In Berlin kommen auf den Kopf der Bevölkerung an Kommunalsteuern 28,4 S, in Charlottenburg und Wilmeisdorf un— gefähr ebensoviel, in Steglitz 16 6, in Rirdorf hingegen 7.40 „, in Lichtenberg 6.04 6. Dagsselbe Verhältnis tritt bei den Vollsschullasten zutage. Durch die Eingemeindung könnte ja hier am leichtesten ein Ausgleich geschaffen werden, aber da diese praktisch nicht durchführbar ist, . sollte auch für die Zwecke der sozialen Fürsorge nach einem Mittel gesucht werden, um den steuerschwachen Vororten zu helfen. Das könnte in der Weise geschehen, daß die reicheren Gemeinden einen bestimmten Projentsatz des Gemeindeeinkommensteuersolls aufjubringen haben, und dieser dann verteilt wird an die steuerschwachen Gemeinden. Also keine Eingemeindung, wohl aber Zweckverbände und 3 für die leistungsschwachen Vororte, das ist das erstrebeng⸗ werte Ziel.
Abg. Cassel (fr. Volksp.): Der äußeren Einheit, die Berlin mit einer Rrihe von Vororten bildet, entspricht auch eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und erwerbende Einheit der Interessen, die auch durch ein gemeinsames Band der Veiwaltung gefördert werden sollte. Im Bauwesen, Krankenwesen und Schulwesen hat jetzt jeder Ort für sich allein zu entscheiden, ohne daß der Nachbarort in irgend einer Weise darauf einwirken kann. Daraus ergibt sich eine große Menge von Komplikationen, die die Interessen der Bewohner aufs schwerste schädigen. Die Schulverhältnisse müssen j. B. so geregelt werden, daß nicht in Berlin ein ganz anderer Lehrplan besteht, als in den Vororten. Ein großer Teil der Vororte ist an das Wasser⸗ leitungsnetz, an die Kanalisation und an das Gasröhrennetz Berlins angeschlossen. Alles dies macht die verschiedensten Verhandlungen und Vereinbarungen erforderlich. Und diese Verhandlungen sind um so schwieriger, als daran eine ganze Reihe von Gemeinden beteiligt ist, von denen jede ihre Interessen aufs äußerste zu wahren und die größten Vorteile herauszuschlagen sucht. Es müssen endlich Schritte getan werden, um diese unhaltbaren Zustände zu beseitigen. Während der Zeit des Ministers Herrfurth ist seitens der Regierung der Gedanke der Eingemeindung aufs Tapet gebracht worden. Der Minister fand aber beim Magistrat kein besonderes Entagegen⸗ kommen. Schließlich ist der Magistrat aber doch an die Stadt- verordnetenversammlung mit einer Eingemeindungs vorlage heran⸗ getreten, die allerdings nicht so weit ging wie die Vorlage des Ministers. Die Stadtverordnetenversammlung hat 1895 eingeseben, daß eine bloße Eingemeindung der reicheren Vororte nicht möglich sei, und bat einen Plan beschlossen, der sich mit dem des Ministers Herrfurth deckte. In diesem Sinne berichtete der Magistrat an den Minister, aber es erfolgte darauf keine Antwort. Mit dem Abgange des Ministers Herrfurth scheinen sich die Ansichten der Regierung über die Zweckmäßigkeit der Eingemeindung vollständig geändert zu baben. Ein Vorwurf gegen die Stadt Berlin ist auch um deswillen nicht berechtigt, als bei der kurzen Amtsdauer des Ministers Herrfurth die Vorlage doch nicht Gesetz hätte werden können, und die Regierung dann eine andere Ansicht hatte. Jetzt will die Regierung die Ein— gemeindung also nicht, weil die Vororte schon selbst sich kräftig ent⸗ wickelt hätten. Diese Entwicklung war aber auch schon zur Zeit von Herrfurth vorauszusehen. Daß die Stadt Berlin schon jetzt zu groß für eine einheitliche gedeihliche Verwaltung sei, muß ich auf das entschiedenste bestreiten; alle Besucher der Stadt aus der Fremde sprechen mit großer Anerkennung über die Leistungen der Stadt. Trotz der Größe der Stadt ist allen Anforderungen genügt, wenn auch dieler oder jener Mangel einmal hervorgehoben wird, der in anderen Städten nicht bemerkbar ist. Es ist eine Phrase, daß Berlin an der Sxitze der Zivilisation marschieren müsse, daß aber diese oder jene Ein— richtung irgend einer anderen Stadt in Berlin noch nicht zu finden sel. Ich sehe nicht ein, weshalb nicht auch eine noch größere Ge—⸗ meinde allen Ansprüchen genügen könnte. Die Gemeinsamkeit aller Interessen in Groß⸗Berlin würde am besten durch eine einbeitliche Verwaltung wahrgenommen werden können. Ich eikenne an, daß die Intelligenz in der Verwaltung der Vororte Gutes geschaffen hat, aber wenn die Eingemeindung schon vollzogen wäre, bätte man nicht alles einseitig für Charlottenburg usw. gemacht. Allerdings wird es schwer sein, den Kräften, die ihre eigene Gemeinde hoch— gehoben haben, die geeignete Stelle in einer Verwaltung von Groß— Berlin ju schaffen. Ich halte Zweckverbände nicht für aug— reichend, sondern ich denke an eine ähnliche Einrichtung wie in London mit seiner Einteilung in Grafschaften. Dieser Weg allein wird, wenn die Eingemeindung nicht zu erreichen ist, eine richtige Abhilfe bringen. In einem Zweckverband würde jede Gemeinde auch nur ihre rivalisierenden Interessen In einer einheitlichen Gemeinde würden sehr wohl die Interessen der Gemeinde prävalieren. Wenn man fürchtet, daß sich in der großen Gemeinde politische Bestrebungen geltend machen könnten, so könnte das noch vlel mehr in den kleineren Teilen, in den einzelnen Gemeinden, der Fall sein. Der Oberbürgermeister Kirschner ist selbst nicht der Meinung, daß die Eingemeindung sich eines Tages für alle Vororte gleichzeitig vollziehen könnte. Aber außerordentlich müßte es bedauert werden, wenn die Aeußerungen des Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg über die Nichteingemeindung des Tempel⸗ hofer Feldes die Richtschnur für die Staatgreglerung sein sollten. Es soll also so weit gehen, daß nicht einmal ein Stück unkebautes Land eingemelndet werden soll. Welches sind denn die großen GEiträgnisse, die das Tempelhofer Feld den Kreisen und der Provinz lirfert? Cöln bei einem Fünftel der Beyölkerungszabl.! umfaßt 11 0909 ha, Berlin nur 6000 ha, und da soll Berlin nicht einmal ein Stückchen Land hinzu erwerben! Die wichtige Frage der Uebernahme der Straßenbahn in städtische Regie kann auch erst vollständig gelöst werden, wenn Berlin weiß, in welcher Weise dag Verbälinls zu seinen Vororten geregelt wird; die bisherige Haltung der Regierung hat ja Berlin in dieser Sache auf schwerste geschähslgt. Von Zweckoerbänden kann man doch nur dann sprechen, wenn dabei die Interessen aller Betelligten gefördert werden, aber nicht, wenn etwa nur Charlottenburg und Lchtenberg gefördert werden, Berlin aber nicht. Eine Steuergemeinschaft, wie sie Herr Ziethen wünscht, würde darauf hinauslaufen, daß die leistungeschwachen Vororte sich mit Armen⸗, Schul! und Krankenwesen einrlchten, wie sie wollen, und die wohlhabenden Vororte dafür jahlen. Die Aug⸗
aben Berlins für dag Schalwesen, für das Bauwelen, für die . und Krankenpflege, die in den letzten 16 Jahren ganz ungeheuer gestiegen sind, werden Herrn Ziethen wohl überzeugen, daß wir unser Steuereinkommen für unsere eigenen Zwecke brauchen. Wir können keine Almosen an die ärmeren Gemeinden abgeben.
vertreten.
Tempel hofer ö ! DOberpraäͤsidenten im Provinziallandtag gegeben. Der Oberbürgermeister
.
Vielleicht erleben wir noch einmal die Zeit, daß die Regierung von
ihrer Ansicht abkommt, der Stadt Berlin dürfe auch nicht ein Meter Land mehr zugeschlagen werden, vielleicht kommt einmal die Zeit, daß auch einmal eine Behörde nicht gegen, sondern für Berlin ist.
Abg. Hamm er (kons.): Objektiver, als der Abg. Cassel es getan hat, kann man diese Frage nicht behandeln, wenn man Interessent ist, aber man kann hier der Stadt Berlin nur sagen: Was du vom Augenblicke ausgeschlagen, bringt keine Ewigkeit dir je zurück!“ Als in den g0er . die Cingemeindungsfrage spielte, da wollten die Stadträte Berlins, wie denn auch der Abg. Cassel teilweise zugegeben hat, nur die Rosinen haben, von den ärmeren östlichen Vororten wollten sie aber nichts wissen. Die Stimmung, welche in der Bürgerschaft herrschte, war damals treffend im Ulk aus einem Bilde zu erkennen, das den Berliner Bären, von dem damaligen Minister don Achenbach an der Kette geführt, darstellte, wie er sich entsetzt von den Berliner Vororten, die mit einer großen Kiepe voll Schulden eischeinen, abwendet und. sagt: „Von der Gesellschaft will ich nichts wissen.“ Beijüglich der Zweckverbände hat der Abg. Cassel durchaus recht. Bel der Jubiläumsfeier der Städteordnung hat der Buͤrgermelster Reicke, Dichter im Nebenamt, eine Rede ge= halten, in der er Dichter im Hauptamt und Bürgermeister im Neben= amt war. Er sagte damals vor dem Kaiser, eine behördliche Aengstlichkeit, die mit der Bureaukratle und Bevormundung Ge— schwisterkind ist, scheut noch immer vor der Frage (Groß⸗Berlin) zurück, und nicht einmal die Gingemeindung des Tempelhofer Feldes, die Berlin so dringend nötig hat, well es, sonst von allen Seiten eingeengt, nur dort endlich Gelegenheit findet, in voller Freiheit und mit vollem Gefühl für die Größe der Aufgabe zu beweisen, wie eine moderne, nach ethischen, sozialen und ästhetischen Gesichts⸗ punkten vernünftig gebaute Stadt aussieht, scheint uns zuteil werden zu sollen. Ich kann hier die persönliche Bemerkung nicht unter drücken, daß gerade diejenigen, die am lautesten über das persönliche Regiment gesprochen haben, sich hier durch den Mund ihres Dichters und Verwaltungsbeamten selbst an das persönliche Regiment wenden, um unter Umgehung der Staatsbehörden die Eingemeindung des Tempelbofer Feldes zu erreichen. Als vor ungefähr vier Jahren der Stadt Berlin angetragen wurde, einen Teil des Tempelhofer Feldes einzugemeinden, hat sie dies abgelehnt, weil sie keine Oper dafür bringen wollte; daz Dorf Tempelhof, welches außerordentlich weit von diefem Teil des Tempelhofer Feldes, von der Hasenheide, entfernt ist, war großzügiger und hat dieses Gebiet eingemeindet. Weil die Stadt Berlin den Grundsatz befolgte: Der Staat und die Stadt sollen kelne eigenen Werke haben, ist sie mit ihrer ganzen Berkehrspolitik ins Hintertreffen geraten. Wenn bier nicht der Kaifer wohnte, dann würden Sie weder Stadtbahn noch sonst etwas
haben. Für die elektrisch betriebenen Verkehrsmittel haben Sie so
gut wie gar nichts getan, und wenn auch, wie der Abg. Rosenow ausführte, die Stadt Berlin jetzt für diesen Zweck etwa 89 Mill. Mark ausgeworfen hat, so hätte das schon 20 Jahre früher gescheben müssen. Wollen Sie uns draußen verlocken, die wir Verkehrebedũrfnisse be⸗ friedigt haben durch Straßenbahnen, die wir die Kanalschiff abrt geschaffen baben, während Sie niemals vorwärts kommen? Wir haben die Grundwertsteuer eingeführt, Sie in Berlin haben sie ab⸗ gelehnt. Dater Ihre Finanzkalamität. In den Kommunen draußen holen wir Hunderttausende von den Terraingesellschaften herein, wie ist dagegen Ihre Bodenpolitik? Der Stadtkämmerer Dr. Steiniger bat Ihnen in der Stadiverordnetenversammlung eine Rede gehalten über die Grundwertsteuer, wie sie kein Konservativer besser halten könnte, aber Sie haben nicht darauf gehört. Wir haben im Kreise Teltow die Verkehrsverbältnisse durch Straßenbauten usw. lediglich wegen der Nähe der Großstadt so ausgebaut, wie es sonst ein Kreis nicht nötig bat. Unsere Krankenbäuser können sich neben denen von Berlin sehr wobl sehen lassen. (Zwischenruf deg Abg. ẽRosengw) Berubigen Sie sich, Derr Rosenow, Sie kommen ja nachber daran! Der Kreis Teltow mußte einen Entwässerungskanal schaffen, der 22 bis 23 Millionen Mark gekostet bätte, wir haben 40 5 zugeschlagen und gleich einen Schiffahrtskanal gebaut, der Nutzen schafft. Alle diese und andere Ausgaben sind ung durch die Nähe von Berlin aufgewwungen worden. Der Nuthe= Schauverband bat große Ausgaben nur dadurch, daß die Abwässer der Berliner Rieselfelder abgeführt werden müßsen. Vielleicht läßt sich darüber reden, wieder mit Berlin eine Provinz ju schaffen. Der Kreis Teltow bringt über 60 o, der Provinzialsteuern für die Provinz Brandenburg auf, und diese Aufgabe könnte er nicht erfüllen, wenn er nicht die reichen Vororte in sich bätte. Die Provinz bat infolge der Großstadt für Irrenhäuser, Idiotenanstalten, für die Fürsorge⸗ erziehung usw. große Summen auszugeben. Es kommen dabei viele
Rowdies und Zubälter in Betracht, für die wir eigentlich eine Zwange⸗
Die Gutsbezirke und Gemeinden am Teltowłlanal ringen sieben Zehntel der Kreissteuern auf, der südliche Teil des Kreises mit 135 Gemeinden dagegen nur drei Zebntel. Der Abg. Cassel will das Tempelhofer Feld baben, aber die Gemeinde Tempelhof will gar nicht in Berlin ausg⸗nommen werden, ebensowenig Treptow. Was würden auch die Gemeinden ge⸗ winnen? Sie könnten bloß je einen Stadtverordneten wäblen und würden dann von den Abgg. Singer, Borgmann usw. regiert. Ja, wenn alle so wären, wie der Abg. Cassel, dann würde es ein anderes Bild geben. Steglitz und Lichterfelde arbeiten unaus— gesetzt daran, Stadt ju werden. Wenn diese Städte aus dem Kreise aut schieden, bleibt der Kreis jurück mit seiner großen Schuldenlast für Krankenhäuser, Armenpflege, Wegelast. Das ist unmöglich, die Regierung muß fich klarmachen, daß der Kreis dabei nicht besteben kann. Es müßte ein Gesetz gemacht werden, daß Gemeinden mit einer gewifssen Einwohnerzahl, vielleicht sogar mit 18. oder 20 000 Ein- wohnern, Stadt werden können, aber in den Kreisen verbleiben müssen. Ich bitte die Regierung, daß die Kreise Teltow und Niederbarnim in diefer Weise vor dem Ruin sichergestellt werden. Wilmersdorf ist aus dem Kreise Teltow herausgegangen und hat einen Teil der Lasten für die Krankenhäuser und den Teltow-Kanal übernommen, aber es ist ein ganz unglückliches Verrechnungsspstem. Ich bitte die Regierung, ung möglichst bald aus diesem Dilemma herauszubringen.
Aba. Rosenow (fr. Volkep): Die Prophejeiung des Vorredners, daß die Sache der Eingemeindung vollständig verloren sei, scheint in Erfüllung ju gehen. Die Regierung hat uns in bejug auf das Feld einen solchen Bescheid durch die Rede des
erziebung einrichten müßten.
bat lange auf Antwort warten müssen; so geht man mit dem Ober- bürgermeister um. Den Amtzvorstehern von Stralau, Treptow und anderen Vororten ist von der Regierung verboten worden, die Ver⸗ handlungen mit der Stadt Berlin über eine Eingemeindung fort⸗ zusetzen. Die Ausführungen des Ministers in der Kommission können verschieden verstanden werden; er sagte, daß durch Zweckverbände Ordnung geschaffen werden solle, und daß er seine Vermittlung dajn anbiete. Er fügte hinzu, wenn die irn, . scheitern sollten, müßte ein ̃ 7 über die Bildung von Zweckverbänden gemacht werden. Der inister hätte uns jeigen sollen, wohin der Weg gehen soll, daß nicht etwa eine Vergewaltigung der großen Städte zu Gunsten der Vororte eintritt, auf die die Vorschläͤge des Herrn Jlethen hinauslaufen, wenn die reichen Städte an die armen Gemeinden Geld abgeben sollen. Wenn Zweckverbände durch Gesetz geschaffen werden sollen, müssen qualifiiierte Majoritäten geschaffen werden, damit nicht die großen Städte durch die Vororte vergewaltigt werden können. Es ist nicht geschmackvoll gewesen, den vom König bestätigten Zweiten Bürgermeister von Berlin alt im Nebenamt befindlich zu bezeichnen, und daz gerade bei einer Gelegenheit, wo der König ung die Ghre des Besucheg im Rathause gab. Wir haben stoll und freudig diesen Besuch empfangen; die Rede des Bürgermeisters Dr. Reicke hat den vollen 89 des Königs gefunden, und das ist wertvoller, als wenn der Abg. Hammer ihr Beifall gejollt hätte,. Es ist nicht notwendig, auf alle Vorwürfe des Abg. Hammer wegen der Wert- uwachssteuer usw. einzugehen; auch die Vororte sind sehr ek an die Grrichtung von Krankenhãusern usw. berangegangen.
(Schluß in der Zweiten Beslage.,)
6
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
Berlin, Donnerstag, den 4. März
62.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Dle Regierung macht der Stadt Berlin die größten Schwierigkeiten, sie regt die Vororte geradezu an, der Stadt Berlin unerfüllbare Be⸗ dingungen zu stellen, wenn sie ein Gasrohr oder Kanalisationsrohr durch deren Gebiet hindurchlegen will. Berlin erfährt von der Regierung nur Hohn und Spott; in anderen Ländern ist man stolj auf die Ent⸗ wicklung der Hauptstadt. Trotz aller Schwierigkeiten haben wir gezeigt, wag Bürgersinn erreichen kann; bei dem Jubiläum der Städteordnung haben König und Minister Wohlwollen für die Stadt gezeigt. Ich bin aber beglerig, zu sehen, was geschieht, wenn die Stadt Berlin das Geld für das Tempelhofer Feld auf den Tisch legt; sie will es ja bejahlen. Der verstorbene Minister von Hammerstein hat sich im Auslande über die kommunalen Verhältnisse informiert, aber es geschieht nichts. Ich bitte den Minister, uns die Richtlinien ju zeigen, nach denen die Regierung die Dinge sich entwickeln lassen will, damit die Haupt- stadt des Vaterlandes weiß, was sie von der Zukunft zu erhoffen hat. — Bei diesem Kapitel möchte ich auch die Staatsregierung bitten, nicht so hochnotpeinliche Untersuchungen nach allerfernsten Verwandten anzustellen, wenn einmal der Siadt Berlin eine Erbschaft zufällt, und der Erblasser seinen klaren Willen bekundet hat. — Ebenso bitte ich um Prüfung eines alten Wunsches: in gewerblichen Kreisen empfindet man daz Gebot als überflüssige Belästigung, daß die Schaufenster an Sonn und Feiertagen verhängt werden müssen. In der Provinz Sachsen ist das Verbot aufgehoben. Vertreter aller Parteien haben sich in meinem Sinne ausgesprochen. . e .
Minister des Innern von Moltke. 1
Meine Herren! Die Aueführungen, die wir über die Frage Großberlin gehört haben, lassen ja deutlich erkennen, welche Schwierig⸗ kelten im Schoße dieser Angelegenheit ruhen. Ich würde mich trotzdem lürjzer fafssen knnen, wenn ich nicht auf einige Bemerkungen des Herrn Abg. Cassel und des Herrn Abg. Rosenow einzugehen hätte, die mich nötigen, namentlich auch hinsichtlich der Entwicklung der ganzen Sache doch an einige Dinge ju erinnern, die sonst in Ver⸗ gessenhelt geraten könnten, und für die Beurteilung des Verhaltens der Königlichen Staatsregierung zu der Frage doch von wesentlicher Bedeutung sind.
In den Jahren 18765 bis 1880 sprach man von der Bildung einer Probinz Berlin. Es wurde dem hohen Hause eine Gesetzes⸗ vorlage unterbreitet, welche Berlin, Charlottenburg und Teile der Landkreise Teltow und Niederbarnim zu einer besonderen Probinz zusammenfafssen wollte. Damals hatte Berlin, wie ich nebenbei bemerke, etwa Soo O00 GEGinwohner. Diese Gesetzes vorlage ist aus der Kommissioneverhandlung nicht wieder her⸗ ausgekommen. Dagegen erging die Provinzialordnung, welche Berlin aus dem Kommunalverbande der Provins Brandenburg ausscheiden ließ, aber über die Bildung einegz besonderen Kommunalverbandes Berlin und angrenzende Gebiete! als Provinz einen Vorbehalt machte. Im Jahre 1876 wurde wiederum eine Gesetzesvorlage ein⸗ gebracht, die der von 1875 im wesentlichen entsprach. Auch sie blieb wieder in der Kommission stecken, und 1880 erging dann das Organi⸗ sationtzgesetz, welches den Gedanken an die Provinz Berlin fallen steß und den Vorbehalt der Provinzialordnung aufhob. Damit ist der Gedanke von der Bildung einer größeren Provinz Berlin end⸗ gültig begraben gewesen.
Nun komme ich ju einer zweiten Phase der Entwicklung, das ist etwa die Zeit der Jahre 1891 big 1896, in der man sich mit der Bildung eines Großberlin durch Eingemeindung beschäftigte, und jwar empfahlen im Jahre 1891 bei der Ver⸗ handlung über die Teilung des Kreises Niederbarnim Kreistag und Provinziallandtag die Eingemeindung der Vororte nach Berlin in großem Maßstabe. Alle Beteiligten, Kreistag, Provinziallandtag, Poltjeipräsident, Regierungepräsident und Oberpraäͤsident empfahlen, ganz Charlottenburg einjugemeinden, im Süden die Ringbahnlinie als Grenje anzunehmen und Lichtenberg, Weißensee, Reinickendorf usw. zu Berlin ju schlagen. (Abg. Hammer: Hört, hört Darauf ging die Stadt Berlin nicht ein, und jwar trotzdem auch der Minister Graf Eulenburg die Sache weiter betrieb. Der Magistrat berichtete am 21. März 1893 über die Arbeiten der Kommission, die zur Vor⸗ beratung über diese Eingemeindung in großem Stil eingesetzt worden war:
Schritt für Schritt sind die Erörterungen auf neue Schwierig⸗ keiten gestoßen, auch stellte sich immer deutlicher heraus, welche unũbersebbaren, jedenfallg außerordentlich großen finanziellen Opfer unserer Stadt jugemutet würden, während ein eigenes Interesse derselben nur in geringem Maße nachweisbar bleibt.
Abg. Hammer: Hört, hört h
Am 29. Juni 1893 will der Magistrat in einem Bericht nur den 18. Beilrk von Charlottenburg einverleiben und im ganjen über— haupt nichts als eine Grenzregullerung. Er weist darauf hin, daß die Gingemeindung in weiterem Umfange im Interesse der Stadt Berlin überhaupt nicht geboten sei, befürchtet außerordentliche Schwierigkeiten in der Verwaltung und schwere finanzielle Lasten ohne gleichwertige Vortelle. Die Eigentümlichkelten der örtlichen Bebauungsverhältnisse sprächen eher gegen eine Eingemeindung, eine Pflicht aber jur Ein— gemelndung bestehe für Berlin nicht — sagt der Bericht. Daher halte die Stadt die Eingemeindung nur in engen Grenzen für ratsam, und die Absicht Berlins gehe nicht auf Vergrößerung, sondern auf die Schaffung solcher Grenzen, daß die an der bisherigen Grenze vielfach hervorgetretenen Mißstände beseitigt würden.
Der Minlster Graf ju Gulenburg erklärte am 28. Sep⸗ tember 1893 — noch etwa ein Jabr nach dem Ausscheiden des Minlsters Herrfurt — der Umfang der Eingemeindung müsse erheblich welter gegriffen weiden — also der Bescheid war nicht negatlv —, der Magistrat sei hiernach ju be⸗ scheiden und solle neue Beschlässe herbeiführen, die sich etwa im einzelnen an die Grenjen einer Denkschrift des Oberpräsidenten zu halten hätten. Der Magistrat bat dann um Mitteilung der Grund-= sätze für die Beslimmung der Grenzlinie. Er erhlelt sie, und erhielt serner im Jahre 1894 noch durch den Minlster Grafen ju Gulenburg eine mündliche Belehrung, wonach die Stadt den vorgelegten Plan prüfen und etwaige Abänderungsvorschläge begründen sollte. Aber das Ergebnis war auch hier negatlv. Der Magistrat hat den Ober-
präsidenten am 30. Januar 1896 gebeten, beim Minister die Abstand⸗ nahme von einem über seine Vorschläge hinausgehenden Ein gemeindungtplan benachbarter Gebiete, insbesondere des nördlichen, ju befürworten. Darauf ist dann eine Antwort nicht weiter ergangen, und man ging ju anderen Plänen bejüglich der Frage über.
Also, meine Herren, hieraus geht, glaube ich, deutlich hervor, daß weder der Wechsel im Ministerium noch politische Erwägungen für diesen ganzen Vorgang maßgebend gewesen sind. (bg. Hammer: Sehr richtig h Iniwischen waren namlich Rixdorf, Schöneberg, Wilmergdorf und Lichtenberg nahe daran, selbständige Stadtgemelnden ju werden, es hatte sich — das ist die wesentliche sachliche Veränderung — inzwischen ein Kranz selbständiger und für sich leistungsfähiger kommunaler Körperschaften um Berlin herum gebildet. Das ist an sich doch eine durchaus gesunde Entwicklung, mit der auch die Vororte einverstanden sind. Man ging endlich — dag war, ich kann es nicht behaupten, aber ich vermute eg, wohl mit eine Folge der Informationsreise des Herrn Ministers von Hammerstein nach England — dazu über, dem Gedanken Form zu geben, ein Großberlin zu schaffen durch besondere administrative Einrichtungen, nicht durch kommunale Vereinigungen, und dieser Gedanke ist von damal bis heute weiter verfolgt und augt⸗ gebaut worden.
Im Verlauf dessen wurde im Jahre 1905 der Herr Ober⸗ bürgermeister von Berlin aufgefordert, Vorschlage ju machen, dabei aber ausdrücklich darauf hingewiesen, er habe abzusehen von den aufgegebenen Plänen einer Provinz Berlin und eines Großberlin auf dem Wege der Gingemeindung, und hierauf berichtete er — das ist die Denkschrift, von der vorhin die Rede gewesen ist — und gab in seinem Bericht die Möglichkeit der Bildung von Zweckverbänden zu, eventuell auf gesetzlichem Wege, be⸗ merkte aber dabei, daß er es für ersprießlicher halte, auf den Ein⸗ gemeindungogedanken wieder jurückjukommen. Er hatte also gutachtlich zu berichten, und die Herren dürfen nicht so tun, als wenn er seinerseits nun auf Vorschläge ju warten gehabt hätte. So liegt die Sache; die Antwort, die ihm über den Standpunkt der Staatsregierung zuteil geworden ist, hat der Herr Oberbürgermeister erhalten, bevor neulich der Herr Oberpräsident vor dem Provinziallandtage Stellung ge⸗ nommen hat. Er ist dadurch also keineswegs überrascht worden, sondern er hat meine Anschauung ganz genau gekannt. Ein Verbot an die umliegenden Gemeinden, mit Berlin zu verhandeln, ist meines Wisseng überhaupt nicht ergangen.
Meine Herren, der Herr Oberpräsident bat selbst gesagt:
Mein Herr Amtsvorgänger hat 1805 darauf hingewiesen, daß es sich nicht empfehle, in solche Verhandlungen einzutreten, weil sie ju keinem Erfolge führen könnten, und dadurch auch eine gewisse Unruhe erjeugt würde, die der Entwicklung der Vororte nicht günstig sei.
Meine Herren, meineg Ermessens ganz richtig. Aber ein Verbot kann ich darin nicht finden, daß überhaupt nicht mehr verhandelt werden sollte.
Meine Herren, bei dieser Sachlage glaube ich wirklich, daß es nicht mehr an der Zeit wäre, in großem Stil an die Eingemeindung ganjer Gemeinden wieder heranzugehen. (Sehr richtig! rechts) Die Gemeinden, die sich nun in einen Kranz um Berlin herum schließen, die, seien es Städte oder größere Landgemeinden geworden sind und selbst leistungsfähige Existenzen bilden, soll man doch nicht ohne weiteres vernichten, jumal wenn sie selber nicht wollen, und jzumal nicht in einem Zeitalter der Dezentralisation, in dem wir uns doch mal befinden. Die Arrondierung oder Grenzregulierung, wie die Herren dag genannt haben, jur Beseitigung des bestehenden kommunalen Widerstreites ist an sich durchaus nicht ausgeschlossen. Es schweben augenblicklich noch — ich glaube an mehreren Stellen, erinnerlich ist mir Plötzensere — Verhandlungen über Grenzregullerungen von kleinerem Umfange jwischen Berlin und anderen Orten. Auf die Zulassung solcher Grenzregulierungen hat jede Stadt — selbstverständlich Berlin wie jede andere Stadt — ihren An⸗ spruch, namentlich auch Rixdorf und andere Städte in der Um⸗ gegend von Berlin, und da wird durchaus keine Schwierigkeit gemacht. Wag Tempelhof anbetrifft, oder das Tempelhofer Feld als Teil der Gemeinde, so ist in amtlicher Form eine Anregung an mich überhaupt noch nicht herangetreten. (Hört, hört! rechts.) Aber, meine Herren, mit derartigen Arrondierungen ist allein dem Uebelstande, um den es sich hier handelt, nicht abgeholfen; der Uebelstand besteht doch über⸗ haupt nicht darin, daß Berlin nicht groß genug ist, sondern darin, daß es an einer gewissen Relation der Verhältnisse zwischen Berlin und seinen Nachbarn fehlt. Daß die Besserung der nachbarlichen Be⸗ siehungen angestrebt werden muß, scheint mir das Ziel zu sein. Die Beseitigung von Grenischranken gewisser öffentlich rechtlicher Inter essen; das ist das, was erforderlich ist, und jwar nicht nur für Berlin, sondern auch für die Vororte. Ich bin daher gleich meinen Amtg—« vorgängern der Meinung, daß der auch in der Denkschrift des Herrn DOberbürgermelsters als möglich anerkannte Weg der Bildung von Zweckverbänden durchaug gangbar sei, sei es auf privat⸗ rechtlicher, sel es auf öffentlich ⸗ rechtlicher Grundlage. Gin solcheg Vorgehen nützt nicht Berlin allein, sondern auch den Vororten. Es kommt darauf an, daß sie sich verständigen. Tat⸗ sächlich ist ja nun, wie erwähnt, der Versuch gemacht, Zweckverbände auf einem der wichtigsten Gebiete, auf dem des Verkehrzgwesens zu⸗ stande ju bringen. Ich halte das für durchaus möglich und bin, wie ich schon in der Kommission ausgesprochen habe, gern berelt, wenn seitens der Beteiligten der Anspruch an mich erhoben wird, in dieser Richtung meine Vermittlung eintreten ju lassen. Sollte das alles, wa abjuwarten bleibt, ju einem greifbaren Ergebnis nicht führen, so wäre vielleicht daran ju denken, die gesetzlichen Bestimmungen über die Bildung der Zweckverbände für Landgemeinden auf die Städte augjudehnen. Jedenfalls glaube ich, daß dadurch eine nützliche Gemeinschaft geschaffen werden könnte, nützlich für die Stadt Berlin, nützlich für die Vororte und nützlich und ein Vorbild für die weitere
Gestaltung des Zweckoerbandes Groß⸗Berlin.
Abg. von Wen den (kons.) In Steglitz ist die Einrichtung getroffen, 33 Vertrauensmännern von Tierschutzbereinen die Qualififation bon polizeilichen Schutzbeamten gegeben und ihnen eine Erkennungsmarke ausgehändigt wird, damit sie bei der Fesistellung von Tierquälereien 8. ere Autorität dem Publikum gegenüber haben. Wenn sich diese
inrichtung bewährt, möchte ich zu erwägen bitten, ob sie nicht auch in Berlin getroffen werden kann.
Abg. Fritsch (nl) sieht die Zweckverbände nur als Notbehelf an, sie wären aber doch geeignet, manche Schwierigkeiten aus der Welt ju schaffen; eine allgemelne Eingemeindung würde die Verwaltung anderseits zu sehr komplizieren und verteuern.
Abg. von Bülow Homburg (nl. weist darauf bin, welche großen Aufgaben sich bei dem Ausbau eineg Groß-Berlin in gesundheltlicher und ästhetischer Beziahung ergäben. (Der Redner hat auf den Tisch des Hauseg eine Anzahl von Bildnissen niedergelegt, die diese Verhaͤltnisse illustrie ren.)
Ein Schlußantrag wird eingebracht. Als festgestellt wird, daß sich nur noch der Abg. Cassel zum Wort gemeldet hat, wird bei der Abstimmung unter . Heiterkeit des Hauses dieser Schlußantrag abgelehnt. omit erhält noch das Wort
Abg. Cafsel (ir. Volksp.): Der Abg. Hammer hat uns Vor- schläge für die Finanzpolitik Berlins machen wollen. Ich bedauere, daß wir selne Ratschläge in der Stadtverwaltung entbehren müssen. Mit unseren Finanzen werden wir schon fertig werden.
Abg. Hamm er (kons : So einfach liegt das doch nicht. Der Abg. Cassel hat ja selbst den Beweis geliefert, daß Berlin ohne Terrains des Kreiseß Teltow nicht fertig wird. Der Stadtkämmerer Dr. Steiniger sieht die Finanzlage Berlins so an, wie der preußische Finanjminister die Preußens. Der Abg. Cassel kommt ja auch mit der Katze aus dem Sack: Das Tempelhofer Feld möchten wir haben. Berlin hat aber keine Großzügigkeit im Bauwesen bewiesen. Charlotten-« burg, selbst Schöneberg schaffen Parkanlagen, um Berlin zu übertreffen. Wir sind viel besser geeignet, das Tempelhofer Feld zu bebauen, als Sie. Durch das Wohnungsgesetz werden wir Berlin erst zwingen müssen, aufjuräumen mit Wohnungen, wo acht Schlafburschen in einem Zimmer kampieren — ohne Ofen. Denken Sie an die Schreiber in Rechtsanwaltsstuben, die von 8 bis 6 Uhr in schlechten Räumen ein reines Sklavenleben führen, um die sich noch kein sozialpolitischer Rechtsanwalt gekümmert hat. Bei Ihnen ist das anders, Herr Abg. Cassel, aber Ihre Standesgenossen im Reichstag, mit deren Tempo in der Sozialpolitik selbst die Automobile nicht mitkommen! Das ist, wie wenn die vornehmen Bürgerfrauen den Arbeiterfrauen Vor⸗ haltungen machen, weil diese zu wenig Kinder bekommen, die aber bei sich selbst längst das Zweikindersystem eingeführt haben. Das Tempelhofer Feld wollen Sie sich wieder durch einen Appell an das persönliche Regiment verschaffen. Das ist nicht liberal. Sie haben Angst, die 109 ½υ , Einkommensteuer zu über« schreiten, aber Sie treiben eine ungesunde Bodenpolitik, Sie haben Hunderte von Leuten, die reich geworden sind durch Bodenwucher. Wenn Sie also profitieren wollen vom Kreise Teltow, so sagen wir: Hände weg!“
Damit schließt die Debatte.
Abg. Cassel (fr. Volkap.) (persönlichꝛ: Wenn dem Abg. Hammer etwas nicht paßt, jo weicht er aus und kommt mit Sachen, die hiermit nichtz ju tun haben, z. B. mit der Anlage von Parks.
Abg. Hammer (kons.): Ich will damlt sagen, daß diese Städte ihre Parls bezahlt haben, während Berlin das auf Kosten anderer Leute tun will.
; . Kapitel der Polizeiverwaltung in Berlin wird ewilligt.
Es folgt das Kapitel Polizeiverwaltung in den Provinzen“.
In diesem Kapitel sind die Ausgaben für die Errichtung Königlicher Polizeiverwaltungen L in Bochum für die Stadi⸗ kreise Bochum und Herne, 2) in Gelsenkirchen für den Stadt⸗ kreis Gelsenklirchen, 3) in Essen für die Stadtkreise Essen und Oberhausen sowie die Stadt Steele und eine Reihe von Land⸗ emeinden im Kreise Essen enthalten. Die Bezirkspolizei⸗ kommissarstellen in Bochum ꝛc. werden damit entbehrlich. ie in Bochum und Gelsenkirchen anzustellenden Polizeipräsidenten sollen die landrätlichen Geschäfte in den Landkreisen Bochum und Gelsenkirchen nebenamtlich wahrnehmen.
Die Budgetkommission beantragt, die Regierung zu ersuchen, die für Bochum und Gelsenkirchen in Ain ich Hamme Neueinrichtung bis zum 1. April 1911 in die für Essen in Aussicht genommene Einrichtung überzuführen.
Hierzu beantragen die Abgg. Bartscher (Zentr.) und Schmieding⸗Dortmund nl), k Regierung zu ersuchen, die für Bochum⸗Herne und Gelsenkirchen geplante Königliche Polizei bis J. April 1911 möglichst auf die ganzen Landkresse Bochum und Gelsenkirchen auszudehnen mit der Maßgabe, daß das Amt des Landrats von dem des Polizeipräsidenten aetee 3. m
erichterstatter Abg. von Pappenheim (kons.) beantragt ferner, daß, wenn der Etat bis 1. April nicht kene ag wird, die Regierung alle Maßnahmen in dem geplanten Sinne in Angriff nehmen kann.
Abg. Bartscher (3entr): In Essen g ein besonderer Poltjei⸗ präsident angestellt werden, während in Bochum und Gelsenkirchen Landrat und Polizeipräsident dieselbe Person sein sollen. Die Einrichtung wird damit begründet, daß es sich bei diesen Landkteisen um ein wenig um⸗ fangreicheg Gebiet bandle. Ich erkenne es unumwunden als zweckmäßsg an, daß in unruhigen Zeiten die Polijeiverwaltung eine einheitliche sein muß. Das Gebiet hat einen eigenartigen Charakter, es ist durch setzt mit einer Bevölkerung aus verschiedenen Volksstämmen und Natjonen, die bin und her fluten von einer Zeche und einem Gisen. werk zum anderen. Einigermaßen überrascht war ich davon, daß man die einheitliche Handhabung der Polizei in Stadt und Land einft— weilen nur für Essen als 6 anzusehen scheint, . man aber bei den Städten Bochum und Gelsenkirchen die Landgemelnden nicht ein- beiog. Wo bleibt da der Gruntgedanke der Ginbestlichkeit? Bochum und Gelsenkirchen sind Großstädte, die Polizei war dort auch ibrer Aufgabe stets e. nderg aber liegt es in den zablreichen Landgemeinden dieser beiden Kreise. ier kann im Falle der Not die Polljei versagen, weil sie zu schwach sst. Mit Recht hat man auf die Gefahr bel Streiks aufmerksam gemacht. Gewiß, ich erkenne an, daß in das Her eines Arbeiters, den man ju n , zwingt, und dem man den Lohn kürzt, eine Unsumme bon
nwillen einzieht. Und wenn dann noch gar, wie bei dem gro Bergarbeiterstreik, die Arbeitgeber es einfach ablehnen, mit Arbeitern ju verhandeln, so wird die Erbirterung keine Grenze n Es wäre also eher angebracht gewesen, in diesen fleinen gandgemeinden als in den Großstädten Kdaigli Polizei einzu⸗ führen. Die Industrie hat diesen kleinen emeinden ebense lbren Stempel aufgedrückt wie in den Großsädten; von Udker- bau ist da fast nichis zu sehen. Am zweckmäßigsten wäre eg ge
wesen, auch für Land⸗ und Stadtgemeinden Königliche Polizei bei Essen. Ließ sich das auß Mangel an 6 9. *