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In der Zweiten Beilage zur heutigen Nummer des Reichs⸗ und Staatsanzeigers“ ist eine u en ee n nde, betreffend eine Anleihe der Stadt Essen, veröffentlicht.
Aichlamtliches. Deutsches Reich.
Preußen. Berlin, 21. April.
Seine Majestät der Kaiser und König nahmen gestern vormittag im Achilleion auf Korfu die Vorträge des Thefs des Zivilkabinetts, Wirklichen Geheimen Rats von Valentini, des Chefs des Militärkabinetts, Generalleutnants Freiherrn von Lyncker und des Chefs des Marinekabinetts, Vizeadmirals von Müller entgegen.
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Der Reichskanzler Fürst von Bülow empfing gestern abend Abordnungen aus Bayern, Sach sen Württem⸗ berg, Baden, Thüringen und eine solche des Bundes der Industriellen, die sich zur Ueberreichung von Adressen und Resolutionen in Sachen der Reichs finanzreform vereinigt hatten. Nachdem der Unterstaatssekretär z. D., Pro— fessor Dr. von Mayr für die bayerische Abordnung gesprochen, der Professor Wuttke⸗Dresden die Adresse der Abordnung aus dem Königreich Sachsen verlesen, der Graf Linden für die Herren aus Württemberg gesprochen, der Geheimrat Engler die Adresse aus Baden und Professor Dr. Anschütz diejenige aus Thüringen überreicht hatten und der Geheime Kommerzienrat . und der Kommerzienrat Heil ner für die Industriellen gesprochen hatten, erwiderte der Reichskanzler Wielt von Bülow, „W. T. B.“ zufolge, mit nachstehender Rede:
„Meine Herren! Sie haben sich vereinigt, um mir als dem obersten Beamten des Reichs durch Adressen und mündliche Aus— sprache Ihre Sorge um die Reichssinanzreform kund zu machen, Da⸗ mit kresen Ste als Wortführer und Vertrauengmänner weiter Schichten des deutschen Volkes auf. Sie sind hier nicht erschienen als Sprecher bestimmter Partelen, weil Sie mit mir und allen, denen das Wohl des Vaterlandes am Herzen liegt, die Reichsfinanzreform nicht als eine Parteifrage betrachten. Sie wollen vielmehr Ihre Kundgebung angeseben wissen alg eine Mahnung an die Parteien, sich mit dem Gedanken der nationalen Notwendigkeit dieser Reform noch mehr als bieher zu erfüllen und sich von der Einsicht in diese harte Notwendigkeit hinweg tragen ju lassen über Zögerungen, Bedenken und Differenjen. Ich sebe aber auch in Ihrer Kundgebung wie in den zahllosen Kund⸗ gebungen der letzten Wochen eine Realtion des Volkswillens gegen die Versuche, den Bedürfnifsen des Reichs und der Volksgesamtheit das Intereffe bestimmter Gewerbejweige — ich denke vor allem an den Tabakverein entgegenzusetzen. Versuche, die zum Teil mit einem an Terrorismuß grenzenden Druck geltend ge⸗ macht worden had und gegen welche, wẽie ich sehe, die von den Herren aug Bayern überreichte Adresse mit gebotener Entschiedenheit Stellung nimmt. Wir haben ja von allen Seiten gehört, wie die Vertreter dieser Interessen die Deffentlichkeit mit ihrem Widerspruch erfüllen und immer wieder verlangen, daß man sie, gerade sie, unter allen Umständen schonen soll, wo doch Ansprüche an die Opferwilligkeit des ganzen Volkes gestellt werden müssen. Es bereitet mir eine wahre Genugtuung, zu sehen, wie sich das öffentliche Gewissen dem Einreißen solcher Unsitten entgegenstemmt, und ich fühle mich dadurch brstärkt in meinem Vertrauen in den guten Geist des deulschen Volkg, der auch diesmal, in dieser die Zukunft unseres Volke so tief angehenden Frage nicht verge lich angerufen werden wird. Auch ich bin mit den Herren aus Sachsen der feften Neberzeugung, daß unser Volk aus der Misere der Vergangen⸗ heit gelernt hat, daß es die Kraft des Reiches nicht wie in jenen alten Zeiten gelähmt wissen will durch die finanzielle Ohnmacht, die di Ohnmacht aller staatlichen Betätigung bedeutet. Gin Volt, das wie bag unsere an Schaffenskraft und Schaffenslust sich von keinem anderen übertreffen läßt, kann auch vor schwereren Opfern nicht zurückschrecken, wenn es gilt, sich die Schaffengmöglichkeit zu sichern durch eine finanziell gesicherte Neichsgewalt. Mit Recht drängen Sie, meine Herren, auf elne rasche und gründliche Erledigung der Reich finan reform. Eg ist der einmütige Wille der verbündeten Reglerungen, die Lösung, der Frage noch in dieser Session des Parke ments herhelzuführen. Der Reichstag wird nicht aus⸗ einandergehen, bevor er endgültig zur Finanzreform Stellung ge⸗ nommen' hat. Wie soll die Reform sich im einzelnen gestalten? Die Herren aus Thüringen halten, wie ihre Adresse betont, nach wie bor die Vorschläge der verbündeten Regierungen für eine im ganzen und großen geeignete Grundlage zur Verstãndigung. Auch ich, meine Herren, habe mich von, dieser Zuversicht nicht abbringen lassen und bin gerade durch den Gang der Grhrterungen“ im Reichttag und inn der bresten Oeffent⸗ lichkeit mehr und mehr darin bestärkt worden. Gewlß werden die verbündeten Reglerungen sich nicht auf jedes Stuͤck ihrer Vorlagen versteifen. Nachdem sich leider ergeben hat, daß für die Befteuerung von Gas, Glektrizltät und Inseraten keine Mehrheit zu erlangen ist, so werden die verbündeten e nch, diese Vorlagen fallen laffen müssen. Für die Lücke muß Ersatz geschaffen werden. Ich bin zwar heute noch nicht in der Lage, hierüber bestimmte Mit-⸗ seilungen ju machen, ich babe aber dahin gewirkt, daß sich die berbündeten Regierungen in den allernächsten Tagen endgültig äber die Stellung schlüssig machen, die sie zur Frage der Krfatzsfseuern für die zweste Lesung im Reichstag einnehmen wollen. An den leitenden Gedanken und an den Haupistücken deg großen Werkz aber halten die verbündeten Reglerungen fest. Man * in den f Wochen vielfach gehört, eine Hauptfrage bei der Finanzreform bilde das Problem, die Linke in Sachen der
Branntweinbesteuerung und die Rechte in Sachen der Erb⸗ schaftzabgabe umzustlmmen. Gewiß war es ein Fe ler, den Vor⸗ schlag der verbündeten Regierungen, betreffend den Zwischen˖ handel des Reichs mit Branntwein, 2 limins ablehnen. Mehr und mehr zeigt die Debatte, daß bier der von der Re⸗ gierung vorgeschlagene Weg am besten zum Ausgleich führt zwischen den finanziellen Interessen des Reichs und den Interessen der Pro⸗ dujenten. Die doktrinäre Verfechtung eineg Priniips kann ung bier uicht weiter bringen: das Schlagwort „wlder alle Monopole verliert seine Bedeutung im Zeltalter der Kartelle und Trusts.
cute darf die Parole nicht lauten: „Für unbedingte Gewerbe⸗ eng und gegen dag Monopol“, sondern sie hätte lauten Für bas Staatgmonopol' statt deg Pripatmonopolg, jür daz Staatgzmonopot, daz 100 Mislionen, die wir als Steuerertrag vom Branntwein allseitig erwarten, am schouendsten aufbringen kann, die sogenanute Liebesgabe beseitigen und allen Interessen gleichmäßig i werden wũrde. Und wie steht eß mif dem Auzbau der Erbschaftgabgaben? Hier ist es nicht so sehr die nüchterne Betrachtung der realen Tatsachen gewesen, die roß- und angeschene Kreeise im Lande sü ihrer bisher ablehnenden geln veranlaßt hat. Vielmehr haben Besorgnisse hineingespiel die sorgfältiger Prüfung nicht standhalten sollten. Ich gebe die off nung nicht auf — und Ihre Kundgebungen bestãrken mich hel —, daß auch die Landwistschaft erkennen wird, daß sie sich mit der“ Ausdehnung der Erhschaftsbesteuerung wird abfinden
sollen:
vꝛranschlaglen Betrags
stimmung in Höhe des aus der Nachlaßsteuer an den neuen Steuern beteiligt fein muß und eine andere gfrechte⸗ jweckaäßige und gleich ertragreiche Bestzsteuer mit besserer Aussicht auf Annahme im Reschetage zurzeit nicht vorgeschlagen werden kann, so müssen wir an der Auebehnung der Abgahe auf die nächsten Verwandten in der Form einer Erhanfallsteuer festhalten. Auch der Landwirtschaft naͤhestehende Autorttäten geben ja zu, daß die vorgeschlagenen Sätze ertragen werden können und daß die land- wirtschaftlichen . schon in den Regierungsvorschlägen berück= sichtigt worden sind. erden doch „ bis e der deutschen Landwirte bon der Steuer überhaupt nicht betroffen. Die Landwirischaft sollte aber auch nicht verg ssen, daß sie unter einer enn. lebt, die mit der größten Gewiffenhastigkeit ihre gesamten Interessen fördert und am Herzen trägt. perfönlich nehme es durchaus nicht leicht, in dieser Frage mich im Widerspruch zu manchem alten Freunde zu befinden. Aber auch nach reiflichster Erwägung kann ich von der , , nicht abgehen, daß die erwelterte Erbschaftsfteuer ein Spfer an konservallpen Grundsätzen nicht inbolviert, Ich begrüße eg, daß große Teile der konservatlven Partel zu derselben Auffassung elangt sind, und verwelse dafür auf die Beschlüsse der konservativen Fig in Sachsen. Ich meine auch, daß die Stimmen aus dem Mittelstande bei der Rechten deg Reichstages nicht ungehört verhallen follten. In keiner Weife aber vermag ich die Bedenken zu teilen, daß ein aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenes Parlament wie der Reichztag gerade mit der Erbschaftssteuer Unhell stiften könnte. Solange die Sozialdemokratle nicht Bundegrat und Reichstag be⸗ herrscht, so lange besteht nicht die Gefahr konfiskatorischer Auebeutung diefer Steuer. Sollten aber einmal die Sozialdemokraten die Ge⸗ schäfte in die Hand nehmen — in den nächsten Jahrhunderten wird man das nicht erleben —, so würden die Erbschaften daran glauben müssen, ob die Sozialdemokratie die Deszendentenbesteuerung vor- fände oder nicht. Mit dem Vorwurf des Sozialismus soll man uns alfo nicht kommen. Vor dem brauchen wir uns so wenig zu fürchten, wie es Fürst Bismarck tat. Ich bleibe also der Ueberzeugung: Was in den verschiedensten Landern der Welt, was in den Hansestädten und in Elsaß - Lothringen, in deutschen Kantonen der Schwein, in Oesterreich⸗ Ungarn, in England, in Frankreich in jahr⸗ jehntelanger Uebung zu keinem Mißstand und keiner Eischütte⸗ rung des Familiensinns geführt hat, das wird auch in Deutschland, wenn sich die Wogen gelegt haben, als eine erträgliche Steuer angesehen werden, und spätere Generationen werden die Erregung unferer Tage in dieser Hlnsicht kaum noch hegreifen können. Aber mit der Hel nnn en, und der Erbschaftssteuerfrage ist es nicht getan. Daß das Bier uns 100 Millionen mehr bringen maß, barüber ist man sich allgemeln einig. Und waz den Tabak betrifft, so wird es trotz aller Agitation dabei bleiben, daß alles, was der Tabalverein in diesem Falle gefehlt hat, wieder gut gemacht werden muß durch einen Gesetzentwurf, der dem soꝛialen Charakter der Steuervorlagen Rechnung trägt, den wohlhabenden
einen Ertrag von 75 bis 80 Millionen mit Sicherheit zuführt. Ich brauche es kaum auszusprechen, daß ich auch mit Ihrem Verlangen bezüglich der reinlichen Scheidung zwischen Reichs. und Bundes⸗ staatfinanzen durchaus üÜbereinstimme. Die SGeschichte der Matrlkularbelträge ist eines der lehrreichsten Kapitel unserer inanjen. Was als Notbehelf und Uebergangs maßnahme ge— chaffen war, hat sich im Laufe der Jahre zu einer ssändigen und immer komplizierteren Einrichtung entwickelt. Dabei haben? weder das Reich noch die Bundesstaaten ihre Rechnung ge— funden. Die ganze jetzige Situation legt auf das beredteste Zeugnig dafür ab, daß die beiden hervorragendsten Persönlichkeiten, die sich mit den Reichtfinanzen beschäftigt haben, Bismarck und Miquel, volllommen recht hatten, wenn sie das Reich nicht dauernd jum Kostgänger der Bundesstaaten werden laffen wollten. An den Formen der Matrlkularabgaben, an dem unbeständigen Element, das in der Einnahmebewllligung durch die Reichsstände lag, an dem Mangel eigener ausreichender Einnahmen ist das alte heil römische Reich siech und morsch ge⸗ worden und zu Grunde kegangen. Die große Aufgabe, die Miquel fich gestellt hatte, war: in Preußen eine xreinliche Scheidung zwischen den Finanzen der verschiedenen öffentlichen Körper— schaften durchzuführen und dafür zu sorgen, daß sie alle in jweckmäßiger Weise augreichende eigene Einnahmen erhielten. Pie Entwickelung geht nunmehr in der Richtung einer Scheidung der Ginnahmequellen des Reichs von denen der Einzel⸗ ssaaten, nicht in wechselseitigem Uebereinander und Ineinandergreifen. Daz sogenannte Besitzsseuerkompromiß ist von Anfang an nichts als ein Hilfsmittel oder eine Hilfskonstruktion, eine Notbrücke gewesen. Bie Deffentlichkeit ist sich rasch und einmütig der Gefahren bewußt geworden, die aus seiner praktlschen Durchführung für das ganze Ge⸗ füge unseres Finanjgebäudeg eiwachsen würden. Das spricht mit be⸗ sfonderem Nachdruck auch die Adresse der Herren aus Thüringen aus. Wenn Sie die Unterflützung der verbündeten Regierungen und des Reicht tages * eine Besestigung dieses, Kompromifsses' verlangen, so ist dlefer Teil Ihrer Misston erfüllt. Die verbündeten Regierungen werden die Cinzelstaaten nur bis zur Grenze von 50 Millionen Mark, d. h. mit 25 Millonen mehr als blsher, in der Gestalt der Matri⸗ kularbeiträge an dem Gesamtbedarf beteiligen.
Ich erwarte also, um kurz jusammenzufassen, von der Finanz⸗ reform dag Folgende: Sie soll aufbringen 500 Millionen, sie soll diess Summe, abgesehen von 25 Milllonen Mark neuer Matrlkularbeiträge, aufbringen in der . reichseigener Ein⸗ nahmen, und jwar, wenn die Fahrkartensteuer in verbefferter Form besteben bleibt, mit 350 bis z60 Millionen Mark vom Konsum und mit 0 big 100 Millionen Maik vom Besitz. Dei den Konsum. steuern sollen Branntwein, Bier und Tabak rund 289 Millionen Mark bringen, weitere 70 bis 8o Millionen Mark sollen durch die sogenannten GErsfatzsteuern, über die sich der Bundesrat dieser Tage schlüssig machen wird, aufgebracht werden. Die Nachlaßsteuer wird in eine Erbanfall⸗ sseuer umgewandelt. Durchjuführen ist das Werk noch in dieser Tagung. .
z Meine Herren, als vor einem Jahre von diesem oder jenem die Reiche finanzreform als eine große nationale Aufgabe beicichnet wurde, da haben Routinepolitlker gelächelt und erklärt, es werde nie gelingen, ein Steuerprogramm populär zu machen, um so weniger, je mehr Sleuerzahler von den Wirkungen betreffen werden müssen. Daß heute die Reichsfinanjreform als nationale Aufgabe nicht nur allgemein anerkannt, sondern de sie populär geworden ist, weil man erkennt, daß in ihr eine Stärkung des Staats nach innen und nach außen und damit auch eine Förderung unserer wirtschaft⸗ lichen Kraft liegt, ein Aufstreben zu böheren Zielen, dafür sind Sie lebendige Jeugen. Jeder Tag der Verzögerung bedeutet eine Ver⸗ mehrung Uunserer Schulden, einen Verlust an Einnahmen, eine Er— böhung der Schwierigkeiten, eine Einbuße an Reputation. Die Arbeit wird den Mitgliedern des Reichetagg erleichtert werden, wenn ihnen aug den verschledensten Kreisen der Bevölkerung die Versicherung ent⸗ gegenllingt, daß sie bel ihrer Pflichterfüllung auf die Bereitwilligleit der Oeffentlichkeit rechnen können Indem Sie, meine Herren, Dies hier und in gh: 6 * . ud , , we dr, ö druck brachten, haben Sie sich für das große Werl und um das große Vaterland ein Perdienft erworben und sind seines Dankes sicher.
des Reihsversicherungsamts, Wirkliche
Der Präͤsident De Kaufmann ist vom Urlaub
Geheime Oberregierungsrat zurückgekehrt.
Laut Meldung des, W. 4. B. ist S. M S. „Loreley“ am 18. April von Smyr nge nn Mersina in See gegangen.
Auf der Nachlaßsteuer werden die verbündeten Regierungen
6 ö e Da aber der Besitz nach fast allgemeiner Ueberein⸗
nicht bestehen.
J. G . 1
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Raucher höher belastet als den unbemittelten und der Staatskafse
Ruszland.
Die türkische Regierung hat die russische Regierung von dem zwischen der Türkei und Bulgarien getroffenen Abkommen über sämtliche Fragen benachrichtigt, von deren Zugeständnis die Turkei ihre Einwilligung zur Anerkennung der Un⸗— abhängigkeit Bulgariens abhängig gemacht hatte. Da in diesem Abkommen, nach einer Meldung der „St. Peterg⸗ burger Telegraphenagentur“, gesagt ist, daß, die tür⸗ lische Regierung ihrerseits die neue politische Lage Bulgariens anerkenne, hat die russische Regierung ihre Vertreter bei den Signatarmächten beauftragt, diesen mil⸗ zuteilen, daß ihrer Meinung nach nunmehr der Augenblick gekommen sel, die Unabhängigkeit Bulgariens unverzüglich an⸗ zuerkennen.
Zu der vollzogenen Anerkennung der Unabhängigkeit Bulgariens durch die Türkei sandte der Kaiser Nikolaus folgendes Telegramm an den Fürsten Ferdinand:
Mit dem Gefühle tiefster Freude begrüße ich Eure Majestät und das bulgarische Volk aus Anlaß det nunmehr vollzogenen AÄbschlusses der mir und ganz Rußland am Herien liegenden Frage der Unab= hängigkeit Bulgarlens. Gott segne Sie, Ihr Haus und Ihr Volk zu einer glücklichen und friedensreschen Zukunft.
Die Reichs duma, die gestern wieder eröffnet worden ist, hat in erster Lösung den Gesetzentwurf, betreffend den Schutz des Urheberrechts, angenommen.
Bei dieser Gelegenheit erklärte,. W. T. B.“ zufolge, der Justiz-˖ minisser, der Entwurf bezwecke den Schutz der russischen Autoren. Rußland sei durch die Handelsverträge verpflichtet, mit Deutschland, Desterreich⸗ Ungarn und Frankreich eine Literaturkonvention abzu— schlißen. Eg entspreche aber nicht der Würde Rußlands, , Autoren Rechte zu gewähren, die nicht einmal die russischen Autoren besäßen. Schließlich sprach der Minister die Hoffnung aug, das Gesetz werde die materielle Lage der russischen Schriftsteller bessern.
Spanien.
In der gestrigen Sitzung der Deputiertenkammer kam der Bericht der Kommission zur Verlesung, die mit der Untersuchung der gegen den Marineminister und andere Ne⸗ gierungsmitglieder bei der Kammer erhobenen Beschuldigungen betraut war. In dem Bericht wird, W. T. B.“ zufolge, be⸗ antragt, die erhobenen Beschuldigungen zur Kenntnis des Ministerpräsidenten zu bringen. Im weiteren Verlaufe der Sitzung antwortete der Marineminister auf das Ersuchen eines Abgeordneten, der Kammer die Akten über die Zu⸗ erteilung der Lieferungsaufträge für den Bau eines neuen Schiffsgeschwaders vorzulegen, er sei dazu bereit, aber erst, nachdem er die Schriftstücke, die geheimen Charakter haben und sich auf die geheim zu haltende nationale Verteidigung des Landes beziehen, zurückgezogen habe.
Darauf erhob sich großer Laͤrm. Bie Mitglieder der Opposition schrien und schlugen mik den Pultdeckeln. Der Präsident konnte die Ruhe nur mit Mühe wiederberstellen. Der Ministerpräsident Maura unterstützte die Erklärung des Marineministers. Darauf kam es zu einer heftigen Polemik zwischen Maura, Canalejas und Moret. Mau ra erklärte, die Regierung sei stolm auf ihr Werk und habe die Eeörterung in der Kammer keineswegs ju scheuen. Sie wünsche sie vielmehr, denn daraus werde das Land die Ueberzeugung gewinnen, daß daz Kabinett seine Pflicht voll erfüllt habe zum Besten der Interessen und der Würde der Nation.
Darauf wurde die Sitzung geschlossen.
Sch meiz.
Auf der in Bern tagenden Internationalen Gott⸗ hardbahnkonferenz ist, „W. T. B.“ zufolge, eine Ver⸗ ständigung über alle Programmpunkte erzielt worden. Die Deleglerten haben den Entwurf einer neuen Vereinbarung unterzeichnet, dessen Annahme sie ihren Regierungen empfehlen werden. Gestern abend ist die Konferenz geschlossen worden.
Niederlande.
Das von Holland und Venezuela unterzeichnete Protokoll über die Beilegung der Streitfragen zwischen beiden Ländern ist, nach einer Meldung des „W. T. B.“, gestern abend veröffentlicht worden.
Türkei.
Die Lage erschien, „W. T. B.“ zufolge, gestern abend völlig verändert, sodaß man eine Abdankung des Sultangz nicht mehr für wahrscheinlich hält. Zwischen dem Haupt⸗ quartier der mazed onischen Truppen und der Pforte fand ein lebhafter Depeschenwechsel statt. Die Stimmung ist versöhn⸗ licher, was hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, daß man ein Blutvergleßen in Konstantinopel fürchtet, da dies eine europäische Intervention herbeiführen könnte. Auch die Idee sofortiger Repressalien scheint fallen gelassen zu sein. Dafür besteht man unbedingt auf dem Wechsel der ganzen Kon⸗ stantinopeler Garnison. ;
Der Chef der vor Konstantinopel befindlichen , He n Truppen, General Husni Pascha, hat an die Garnison der Hauptstadt einen Aufruf erlassen, worin er, ‚W. T. B.“ zufolge, erklärte, daß das zweite und dritte Armee⸗ korps vor Konstantinopel angekommen seien, um die Verfassung für alle Zukunft zu sichern, die Ruhe und Ordnung wiederherzu⸗ stellen und die Anstifter ber letzten Unruhen zu bestrafen. Die Belagerungstruppen eher; daher, daß alle Manschaften der Garnison der Hauptstadt in Gegenwart des Scheik ul Islam sowie ihrer Kommandanten auf den Koran einen feierlichen Schwur ablegen, wonach sie den Befehlen ihrer Vorgesetzten blind gehorchen und sich für die Zukunft nicht mehr in die Politik mischen werden. Der Schwur soll an einem Tage von der gesamten Garnison abgelegt werden. Die Mannschaften müssen sich ferner verpflichten, der Wiedereinsetzung aller Offiziere und Unteroffiziere in die Stellen, die sie vor dem Aufstand innehatten, keinen Widerstand entgegenzusetzen. Als zweiten Punkt verlangt der Aufruf, daß die Soldaten der Hauptstadt sich nicht um die Maßregeln zu kümmern haben, die die Belagerungstruppen zur Bestrafung derjenigen treffen werden, die das Vaterland in Gefahr gebracht haben. Die Soldaten müssen sich endlich verpflichten, die Namen aller der Personen anzugeben, die sie zum NUufruhr angestiftet haben. Der Aufruf schließt: wenn diese Forderungen erfüllt würden und die gesamte Garnison während des organ der Be⸗ lagerungsiruppen passiven Gehorsam zeige, dann werde Mannschaften nichts geschehen. —
Zugleich hat der General Husni Pascha einen zweiten Aufruf an bie Bevölkerung der Hauptstadt erlassen, worin erklärt wird, der Zweck der Ankunft der mazebontschen Truppen sei, allen Wrrätern des Vaterlandes, die mit der Verfassung unzufrieden seien, eine endgültige Lektion
zu geben. Es seien alle Maßregeln getroffen, worden, um während des Vorgehens der Truppen die öffent.
liche Srdnung und * Sicherheit zu wahren. Der
Aufruf versichert schließlich, daß niemand außer den nm den letzten Vorgängen Beteiligten. etwas. von den Truppen zu fürchten hätte, und fordert die Bevölkerung auf, sich nicht in Schrecken versetzen zu lassen. Beide Aufrufe sind in den Straßen als Extrablatt verteilt worden und werden on der Bevölkerung lebhaft besprochen Die Konzentration der mazedonischen Truppen Lum dle , ist nahezu vollendet. Gestern früh zogen ewa hun ertfünfzig Mann aus der Taschkischla-Kaserne mit flingendem Spiel in bester Ausrüstung den mazedonischen Truppen entgegen, um sich ihnen anzuschließen. Die Armee erhält fort⸗ gesetz Zufluß von Mannschaften der Garnison, von Militärschülern ind Freiwilligen. Da jedoch viele reaktionäre Elemente sich einzuschmuggeln versuchen, werden alle Ankommenden streng uberwacht. Viele Truppen der Hauptstadt, unter ihnen dei Salonikier Schützenbataillone, zeigten brieflich oder durch Deputationen ihre Unterwerfung an. Die ge⸗ nannten Salonikier Bataillone erklärten, von Hodschas durch Geld verführt worden zu sein. Die Haltung der Marine ist noch unklar. jedoch zu . Ein Widerstand der Garnison gegen dle an⸗ rückende Armee ist nach der gegenwärtigen Lage kaum zu ge— wärtigen. Die Stimmung unter der Bevölkerung ist viel— fachen Schwankungen ausgesetzt. Der Großwesir Te wfik Pascha hat gestern vormittag dem Sultan schriftlich seine Demission überreicht, sie auf Pitten des Sultans jedoch wieder zurückgezogen und sich bereit erklärt, das Amt noch kurze Zeit weiter zu führen. Wie die Agence Havas“ meldet, besprach der Sultan gestern die Lage mit Tewfik und Hilmi Pascha, bot letzterem das Portefeuille des Großwesirs an und versprach, alle für die Verfassung geforderten Garantien zu geben. Der Ministerrat trat gestern unter Vorsitz des Groß— wesirs Tewfik Pascha zu einer Beratung zusammen und nahm die in der oben mitgeteilten Proklamation aufgestellten Forde⸗ rungen der mazedonischen Truppen an. Der Kriegsminister teile dies telegraphisch dem Hauptquartier in San Stefano mit. Der Ministerrat beschästigte sich weiter mit der Lage in den Provinzen. In Adana, wo dem „Reuterschen Bureau“ zufolge bei den Metzeleien 5000 Personen getötet worden sind, st alles ruhig, dagegen dauern die Unruhen in Tarsus, Jskanderum und anderen Orten fort.
Der Sultan Abdul Hamid hat dem von der gammer und dem Senat angenommenen österreichisch—⸗ ungarisch⸗türkischen Ententeprotokoll seine Sanktion gegeben. Der Austausch der Ratifikationen des Entente⸗ protokolls ist, ‚W. T. B.“ zufolge, für Montag angesetzt worden.
Rumänien.
Der König Carol empfing gestern in Anwesenheit der gesamten Königlichen Familie den deutschen Kronprinzen Wilhelm mit Gefolge, um die Mitteilung von seiner Er⸗ nennung zum Königlich preußischen Generalfeldmarschall ent⸗ gegenzunehmen. Der Kronprinz verlas, „W. T. B.“ zu⸗ solge, einen eigenhändigen Brief seines erlauchten Vaters, in dem dieser den König zum 70. Geburtstage be⸗ alückwünscht und ihn seiner freundschaftlichen Ge⸗ sinnung versichert, und überreichte darauf im Auftrage des Kaisers einen Marschallstab. Der König umarmte den Kronprinzen bewegt und bat ihn, dem Kaiser seinen tief⸗ empfundenen Dank für die Auszeichnung zu übermitteln. Abends fand zu Ehren des Kronprinzen eine Galatafel statt, dem die Minister, der Präsident der Kammer, die Spitzen der Behörden und mehrere Generale beiwohnten. Der König Carol brachte während der Tafel folgenden Trink— spruch aus: f
Mt freudig bewegtem Herzen begrüße ich Eure Kaiserliche und Königliche Hoheit in unserer Mitte, und ich bin dem Kaiser und König unendlich dankbar dafür, daß er seinen durchlauchtigsten Thron⸗ erben, umgeben von einem glänzenden Stabe und den Kommandeuren der mir besonders nahestehenden Regimenter, enthoten hat, um mir die Glückwünsche zu meinem 70. Geburtstage zu überbringen. Der Kaiser gibt mir durch diese zarte Aufmerksamkeit ein erneuteß AUnterpfand seiner verwandtschafilichen Gesinnungen und bekräftigt die seit langen Jahren zwischen uns be—⸗ stehenden freundschaftlichen Beziehungen, deren Pflege mir warm am . liegt und die meln Land hoch zu schätzen weiß. Ueber fünfzig Jahre verknüpfen mich enge Bande mit Preußens tapferem Heere. Durch meine Ernennung zum Generalfeldmarschall sind dieselben un⸗ lözbar geworden. Melne lange militärische Laufbahn findet dadurch einen erhebenden und gleichzeitig historischen Abschluß. Diese seltene Aug« seichnung sowie die zahlreichen Liebegbeweise, die Seine Majestät mir bel diesem Anlaß bekunden, rühren mich tief, und ich kann melner innigen Dankbarkeit keinen besseren Ausdruck verleihen, als dieselbe in den heißen Wuünschen zusammenfassen, die ich unausgesetzt für das Glück und das Woblergehen Eurer Kaiserlichen und Königlichen Hoheit viel- glliebten Eltern hege. Möge der Segen des Himmels auf Seiner Majestät dem Kaiser, seinem Königlichen Hause und seiner ruhmreichen Armee ruhen! Möge die göttliche Vorsehung Eure Kalserliche und Königliche Hoheit und Ihre junge Familie in ihren mächtigen Schutz nebmen! Mit diesen Wünschen erhebe ich mein Glag auf das Wohl Irrer Majestäten des Kaisers und der Kaiserin sowie Eurer Kaiser. lichen Hohen
Der Kronprinz Wilhelm erwiderte:
Eurer Königlichen Majestät danke ich im Namen meines Hohen derrn Vaters für die N Worte, die Eure Mejestät soeben ju brechen geruht haben, und bitte Eure Majestät, auch meinen gan dersönlichen und herzlichsten Dank für die . und liebevolle Auf⸗ nahme entgegenzunehmen, die ich hier bei Eurer Majestät, bei Ihrer Najestät der Königin und bei der ganzen Königlichen Familte gefunden habe. Gz ist mir eine besondere Ehre, Freude und Genugtuung,
ß meln Kalserlicher Vater mich ausersehen hat, seine värmsten und innigsten Wünsche jum heutigen Tage dem stamm- derwandten Herrscher hier in der Hauptstadt seines schönen Landes zu lberbringen. Mein Vater hat mir bei diesem feierlichen Anlasse, um einen Wanschen noch besonderen Ausdruck zu geben, Vertieter ber pteußlschen Armee beigegeben, die stol auf die Eurer Majestät von ihtem bberfien Kriegsherrn heute jutell gewordene hobe Aus— leihnung sind, stol; darauf, den in Krieg und Frieden be⸗ währten König von Rumänten jetzt ju ihren. Generalfeld— narschällen zählen ju dürfen. Der Reihe dieser Vertreter hat mein err Vater spenell die Kommandeure derjenigen Regimenter bei⸗ gesellt, die die hohe Auszeichnung e en, in Direkten Beniehungen n der erhabenen Person Eurer Königlichen Majestät zu stehen. Eurer Majestat ist eg vergönnt gewesen, an der Spltze Ihrer apferen Armee sich kriegerischen Lorbeer ums Haupt zu winden und in mehr als vierztgjährlger Reglerung das Land, das Eurer Majestät lur zweiten vielgellebten Heimat wurde, zu reicher Blüte und lunehmender Wohlfahrt ju führen. Auch außerhalb des alten Vaterlandes haben Cure Majestät dem Hohenzollernnamen neuen Ruhm und Ehre erworben. Möge Gott noch lange Jahre inen Segen auf Eurer Majestät Regterung ruhen lassen und die sets tapfere Armee und das ganze schöne Land, dessen Geschicke er in
Aus den letzten Anzeichen ist schließen, daß sie mit der mazedonischen Armee
Alle Wäünsche aber, die wir für Eure Majestät, die Königin und das ganze Königliche Haus im Herzen haben, bitte ich in den Ruf zu⸗ sammenfassen zu dürfen: Seine Masestät der König Karl, Ihre Majestät 4. i r Elisabeth und das gesamte Königliche Haus Rumänien ben hoch!
Nach dem Diner fand eine Galavorstellung im National⸗ theater statt. Eine ungeheure Menschenmenge brachte dem König und seinen Gästen auf der Fahrt durch die glänzend erleuchteten Straßen lebhafte Kundgebungen dar.
Amerika.
Wie das „Reutersche Bureau“ erfährt, geht übermorgen ein aus drei Aufklärungsschiffen bestehendes Geschwader der Vereinigten Staaten von Amerika nach Mon⸗— rovia in See. Dieses Geschwader hat die Kommission an Bord, die vor einiger Zeit von den Vereinigten Staaten ernannt war, um die politischen, finanziellen und auch wirtschaftlichen Verhältnisse von Liberia zu studieren sowie Verbesserungen in der Zivil- und Militärverwaltung dieses Staates vorzuschlagen. Die britische und die spanische Regierung stehen, obiger Quelle zufolge, der Aufgabe der Kommission sympathisch gegenüber, und werden ihr jede nur mögliche Unterstützung zu teil werden lassen.
Asien. Wie die „St. Petersburger Telegraphenagentur“ meldet, beabsichtigt nach Mitteilungen des Vermesers des Generalkon⸗ sulats in Täbris die durch Hunger zur Verzweiflung getriebene Stadtbevölkerung, mit Fidais an der Spitze, die armenischen Stadt⸗ teile und die dort befindlichen Konsulate Rußlands und Eng⸗ lands auszuplündern, um Brot zu erlangen. Die Führer der Bewegung rechnen offenbar darauf, auf diesem Wege und in dem äußersten Falle auch durch Ermordung eines Konsuls, eine Einmischung Rußlands hervorzurufen, die die Uebergabe von Täbris an die Truppen des Schahs verzögern und den Revolutionären ermöglichen wird, sich zu verbergen. Aehnliche Mitteilungen hat auch die englische Regierung erhalten, die ihrerseits der Kaiserlichen Regierung gegenüber äußerte, es sei wünschenswert, daß eine Truppenabteilung nach Täbris ent— sendet würde, um den Ausländern, die die Stadt zu verlassen wünschen, die Abreise zu ermöglichen. Demzufolge ist der Statt⸗ halter von Kaukasien mit Kaiserlicher Genehmigung beauftragt worden, unverzüglich eine Truppenabteilung in genügender Stärke nach Täbris zu senden, um die russischen und die übrigen ausländischen Untertanen und Einrichtungen in dieser Stadt zu schützen, die Zufuhr von Proviant herzustellen und zugleich einen sicheren Verkehr zwischen Täbris und Dschulfa aufrechtzuerhalten. Infolge der ernsten Vorstellungen des englischen und des russischen sesandten in Teheran hat der Schah gestern in einen sechstägigen Waffenstillstand vor Täbris einge— willigt, durch den die Möglichkeit gegeben werden soll die Stadt mit Lebensmitteln zu versehen und dadurch zu verhindern, daß hungrige und verzweifelte Elemente die Konsulate angreifen. Die Nachricht von dem Ab⸗— schlusse des Waffenstillstandes hat beruhigend auf die Be— völkerung gewirkt. Infolgedessen ist dem Statthalter des Kaukasus vorgeschrieben worden, bis auf weiteres mit dem Ueberschreiten der Grenze seitens der nach Täbris bestimmten Truppen zu warten, ohne jedoch die Vorkehrungen einzustellen, die im Falle weiterer Verwicklungen notwendig sind.
Parlamentarische Nachrichten.
Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichstags befindet sich in der Ersten Beilage.
Wohlfahrtspflege.
Das Leipziger Volksbureau hat als öffentliche gemein⸗ nützige Rechtsauskunftsstelle seinen vierten Geschäftsbericht für dag Jahr 1908 erstattet. Es sind im Berichtsjahre an 6317 Personen 7164 Rechtsauskünfte erteilt worden. Von den Auzkunftsuchenden waren 1219 selbständige Gewerbetreibende, Kaufleute, Handwerker (darunter 514 weibliche) und 5098 unselbssändige Gehilfen, Arbeiter usw. (darunter 1017 weibliche) Auf den Tag entfallen im Durch= schnitt 21 Besucher mit 24 Auskünften. Eingänge wurden 298, Aus—⸗ gänge 1123 verbucht. Der Materie nach entfielen von den erteilten Auskünften 953 in das Gebiet des Mietgrechts und des Wohnunge⸗ weseng, dann folgte die Arbeiterversicherung mit 892 Fällen, gewerbe und kaufmannggerichtliche ragen mit 767 Fällen, Strafrecht mit 616, Famllienrecht und Standegamtssachen mit 540, Vormundschafts. und Alimentationssachen mit 357, Erbrecht mit 321, Gesinderecht mit 277, Staatsangehörigkeit, Armenrecht, Heimat- wesen mit 192, Steuerangelegenheiten mit 138, Privatversicherung mit 102, Militär⸗ und Jabalidensachen mit 85, Vereins- und Ver⸗ an,, mit 47, Kirchen, und Schulwesen mit 36, sonstige zibilrechtiiche Angelegenheiten init 1376, Fffentlich. rechtliche ÄAngelegen. heiten mit 350 und Verschledenes mit 116 Fällen. Die Einnahmen des Volkgbureaus betrugen 7708 S, die Ausgaben 7736 66. Nach dem Statut ist je derm ann berechtigt, das Bureau in Anspruch zu nehmen. In der Regel wird für jede Rechtsauskunft eine Gebühr von 20 J erhoben. In dem der Verwaltung des Volksbureaus zur Seite stehenden Kuratorium sind jurzeit 7 Vereine und Körperschaften vertreten, und jwar der Verein für öffentliche Rechtsauskunft in Leipzig, die Evangelischen Arbeitervereine in Leipzig, Stötteritz und Kleinzschocher, der Katholische Gesellenderein, das Kartell christlicher Gewerkschaften und der Deutsche Kellnerbund.
Nunst und Wissenschaft.
Autstellung bei Eduard Schulte.
Der Salon von Eduard Schulte beherbergt wieder eine große ahl von Bildern, von denen die Werke Erich Erlers und des ranzosen B. Boutet de Monvel am meisten Beachtung verdienen. rich Erler, Breslauer von Geburt, Bruder des bekannteren 3
des Schöpfers der Vier Jahresielten im Wiesbadener Kurhaus, ist
viel im Engadin tätig. Einige seiner Alpenbilder erinnern gar nicht unangenehm an Segantini. Mit ähnlichen technischen Mitteln, mit jenen unverbunden nebeneinander gesetzten Strichen, die vortrefflich die flimmernde Helligkeit der prachtvoll klaren Alpenluft wiedergeben, malt auch Erler seine Engadinlandschaften. Das schönste von diesen möchte die ‚Mittagsstunde' sein. Hoch steht die Sonne, dag ganze
Hochgebirge strahlt im Licht, die schneebedeckten Ftrne, der Gletscher
und etwas tiefer die Felsenplatten mit der spärlichen Grasnarbe.
Vorn liegt ein Schäferbursche übermannt ven Mittagshitze im Schlaf,
träge blinjelt der Hund neben ihm, auch die Schafe ruhen. Ille
Farben leuchten in stärkster Intensität. Die dünne, klare Luft läßt
alle Gegenstände in außergewöhnlicher Genauigkeit erscheinen,
aber ohne unangenehme Schärfen und Härten. Das flimmernde Licht ist eben so stark, daß es alles einjelne und verschledene wieder ju einer Einheit zusammenfaßt. — Man würde Erler unrecht tun, wenn
har auch die Anregung durch den großen Italiener gewesen sein mag, Grler hat sich doch seine Selbstaͤndigkeit bewahrt. Die Größe und das Persönliche von Segantinis Bildern liegt in ihrer Linie. Hier ist Segantini ganz Italiener, ganz Erbe der grogen Kunft seiner Rasse. Und in der Linie unterscheidet sich auch Erler von ihm und ist persönlich, kommt, was ja nicht wunderbar ist, seinem Bruder nahe. Das tritt deutlicher zutage, wenn er Motive malt, die auch jener behandelt, belspielswelse die „Heiligen drei Königen, die durch tiefen Schnee, jwischen dickbeschneiten Tannen hindurch nach Bethlehem marschleren. Nur die drei Könige, kein großes Gefolge, kein Aufwand; knapp ist die Erzählung, kein weiter, Über flüssiger Raum, die Leinwand kaum höher als die Figuren; gedrungen und sachlich ist diese Komposition und von schöner dekorativer Wirkung in ihrer Vereinfachung, in ihrem Streben, flächenmäßig anzuordnen. Aehnliche dekorative Absichten verfolgt der Künstler im . Gartenhaus im Walde“. Strengere Symmetrie und eine ruhsge Nebeneinanderstellung weniger und fein abgestimmter Farbentöne helfen diese Absichten zu verwirk— lichen. Aehnliche Vorjüge zeigen der Garten einer alten Dame“ und Erster Schnee“. Weniger möchten Erlerg Stilleben interessieren, am ehesten noch die halben Malven“, denen mit feinem Geschmack als Ergänzungsfarbe eine weißblaue Delfter Vase beigegeben ist. Ganz vorzüglich ist wieder Sommersonne“, halb Blumenflück, halb Landschaft. Im Vordergrunde wogt es von üppigen, Stauden dicht blühender weißer und roter Malven; nur ein schmaler Pfad bleibt jwischen den Blumen offen, der jum offenen Gartenhaus führt. Dort sitzt im kühlen Schatten, während draußen über den Blumen bie Sonne strahlt, ein junges Mädchen in hellblauem Kleide und be— trachtet das Antlitz im Handspiegel. Im Hintergrund schimmert eine som merliche Feldlandschaft. Mit Behagen steht man immer wieder von neuem diese frischen, hellen Bilder Erlert.
Der Pariser Bernard Boutet de Monvel bat uns
eine stattliche Anzahl seiner Werke gesandt. Am besten sind diejenigen, bei denen der Künstler resolut auf dekorative . ausgeht. Ich nenne das . Jagdfrähstück, den Teen, Mondschein', Die Alte und kas allerliebste Bukett. Alle Linlen sind denlbar vereinfacht, nähern sich der Geraden oder großen getragenen Kurven; alle kleinen Biegungen, Hebungen, Brüche sind vermieden, wie mit der Schere sind die Umrisse ausgeschnitten, Falten, selbft Schatten schnurgerade, wie mit Hllfe des Lineals gezogen; die Umriffe dann mit kaum nuancierten Farbtönen ausgefüllt. Mlt einem Wort: plakatmäßig, dabei aber keineswegs brutal aufdringlich. Die Wahl der Farben ist allein so fein, daß jeder überlaute, marktschrelerische Effekt vermieden ist; die Bilder sind durchaus zum Schmucke von Innenräumen geeignet. Vielleicht nicht so sehr für Zimmer eines Privathauses, denn sie haben in ihrer summarischen Art nichts Intimes, nichts still Beschauliches, als beispielsweise für Räumlich keiten größerer Restauranti oder Café. Dort würden sie einen heiteren, ruhigen, jeden hier unangebrachten Tiefsinn vermeidenden Wardschmuck bilden. Auch andere Bilder Boutet de Monpels von weniger strengem Stil haben mit jenen stark Dekorative gemeinsam. Diese Wirkung erzielt der Künstler auch dann, wenn er die Zeichnung weniger scharf bervorhebt und die Linien weniger stark vereinfacht, selbst wenn er in Pointillisten⸗ manier die Flächen in kleine, verschiedenartige Fleckchen auflöst. Der Künstler wirkt auch dann dekorativ durch ein böchst einfaches, aber darum nicht schlechtes Mittel: Er ordnet alleg im Bilde in Ebenen an, die parallel zur Bildfläche liegen. So beispielsweise Die Jockeis“, Promenade', Im Park“. Die Bilder erhalten dadurch ein vor⸗ züglich reliefmäßiges Ansehen. Außerdem sind noch bei Schulte zu sehen eine Reihe interessanter Landschaften von Professor Friedrich Kallmorgen und von Schönleber, ein frühes Bild Wilhelm Trübner s, „Das Kloster auf Chiemsee“, und eine große Porträtsammlung von dem in Düssel⸗ dorf lebenden Walter Petersen, sehr fleißige, aber in der Masse etwas eintönige Arbeiten. Dr. v. H.
das
Vom fünften Röntgen-⸗Kongreß.
Wie seit einer Reihe von Jahren, fand auch in diesem am eisten Sonntag nach Ostern unter sehr großer Beteiligung der Kon 2. der Deutschen Röntgen⸗Gesellschaft im prächtigen Saal des 2 ? Hauses statt. Wer trotz nunmehr bereits dreijehnjähriger Exlstenz der , . Entdeckung und Erfindung der Röntgenstrahlen über ihre eistungen heute noch ebenso lebhaft und dankbar empfindet wie im Winter 1896, der hatte Gelegenheit, sich am Sonntag noch zu einem höheren Grade der Bewunderung aufjuschwingen. Denn nichts Geringeres wurde gegen den Schluß der eine nach Hunderten jählende Versammlung den ganzen Tag gefesselt haltenden Kongreßverhandlungen zur Ein= leitung einer großen Reihe von Lichibildprojcktionen gezeigt, als kinematog raphische Röntgen bilder. Sle lösten einen nicht endenwollenden Beifall aus, und sie verdienten diesen vollauf. Alt eine Merkwürdigkeit ergab sich dabei, daß von jwei Selten das schwer ju lösende Problem auf ganz verschledenen Wegen glücklich bemeistert worden war, allerdings von dem überelnstimmenden Ausgangspunkte aus, der gegeben war durch den im Vorjahre in die Erscheinung getretenen und seitdem weiterentwickelten Fortschritt zur Röntgen⸗Moment⸗ und jur Röntgen⸗Fernaufnahme. Beide Fein⸗ heiten der Röntgenographie sind natürlich Vorbedingung für die Herstellung des zur Kinematographie unerläßlichen Filmg. Während aber Dr. Grödel III., Nauheim, den Film direkt berstellt wie andere , bedienen sich die Herren Dr. Biesalgki und Kolder⸗ Berlin der Vermlttlung dez Bariumplatinecyanür⸗Schirms, entnehmen also ihre Wandelbilder den durch Fluoreseenzlicht erzeugten Schattenbildern auf dem Schirm. Man hat sich bekanntlich der Fluoroskopie bereits seit längerer Zeit in allen Fällen bedient, wo Organe in ihrer Bewegung erforscht werden sollten, die lichtschwachen Bilder aber auf die pete ff ph g latte biw. den Film zu übertragen, mag als ziemlich aus- ichtslos gegolten haben. Um so anerkennengswerter ist es, daß die belden an der , , gemeinschaftlich arbeitenden Aerzte sich durch solche Bedenken nicht haben jurückhalten lafsen und daß es ibnen gelungen ist, kinematographische Bilder von genügender Deutlichkeit herzustellen, z B. von Bewegungen der Hand, des Armeg im Ellbogengelenk u. s. f. Gelingt eg, wie zu hoffen, in der Folge das Verfahren noch zu verbessern, so scheint es nicht ausgeschlossen, auch zu solchen Leistungen vorzudringen, wie sie Dr. Grödel III. in seinen direkten Aufnahmen darbot. Er jeigte nämlich in deutlichen Bildern die Bewegungen des Herjens, die Atembewegungen und den c in der Tätigkeit des Verdaueng, und wohl kein Zwelfel besteht darüber, daß ebenso alle anderen Organe des Körpers in ihrer besonderen Arbeit beobachtet, in ibren Funktionen verfolgt und kontrolliert werden können. Gelöst scheint hiermit, was vor etwa 40 Jahren ein hervorragender Arzt der Unzulänglichkeit unserer Be⸗ urtellung der inneren Organe gegenüber ausrief: ‚Ja, wer doch dem Menschen ein 26 einsetzen könnte!! Nun, das Fenster ist jwar nicht eingesetzt, dafür aber der ganze Leib durchsichtig gemacht worden, und das ist fast mehr, als in jenem damals natürlich alsz ganz un⸗ erfüllbar angesehenen, frommen Wunsche begehrt wurde. Von den Moment⸗ und Fernaufnahmen, die nach dem oben Gesagten zur Ausführung kinematographischer Röntgenbilder die Vorstufe bilden, war in den Verhandlungen auch viel nach anderer Richtung hin die Rede. Immer sicherer wird erkannt, welcher enorme Gewinn damit für alle Zwecke erreicht ist, denen Röntgenographie dient. Erreicht wird die Möglichkeit der Augenblicks, und Fern⸗ aufnahmen durch Anwendung von Primärströmen großer Mächtigkeit. Welche Vorteile für die Schärfe der Bilder bei in Bewegung befind. lichen Organen, wie Herj, Lunge, Eingeweide, 3 die auf eine Sekunde und noch erheblich weniger beschränkte, kurzjeitige Aufnahme erreicht werden, bedarf des Beweises nicht, ebenso find Aug einander setzungen überflüssig, daß Fernaufnahmen sich zu solchen aus großer Nähe ungefähr so erhalten, wie das deutliche Sehen aus angemessener Weite jzu dem viel undeutlicheren aug zu großer Nähe, wenn es sich um das Ueberblicken einer Fläche handelt. Von beiden Fortschritten dürfen in der Folge noch sehr bedeutende Wirkungen er⸗
CGurer Majessat Hand gelegt hat, in' feine gnädige Obhut nehmen!
man ihn elnfach als Segantini⸗Nachahmer abtun wollte. So frucht
hofft werden, nach Maßgabe der schon eingetretenen, für die es nur eine