1909 / 96 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 24 Apr 1909 18:00:01 GMT) scan diff

sich darauf, einzelne Bestimmungen aus den verschiedensten Gebieten, die das Strafrecht umschließt, der Rebision ju unterziehen, so wie die offenkundigen Mängel, die bei diesen Bestimmungen her⸗ vorgetreten sind, darauf hinweisen und so wie die Ergebnisse der Kriminalstatistik es angezeigt erscheinen lafsen. Dabei wird es immer⸗ hin noch zweifelhaft bleiben, was alles unter diese Vorschriften aufge⸗ nommen werden soll, denn das Urteil hierüber kann von politischem und sozialpolitischem Standpunkt aus ein sehr verschledenes sein. Die Vorlage hat, um eine feste Richtungslinie für ihr Vorgehen zu gewinnen, und in der Hoffnung, daß der Reichstag geneigt sein wird, in dieser Beziehung die gleiche Auffassung zu adoptieren, Einjelbestimmungen einer Revision unterzogen werden sollen, bei denen nach den jetzigen Anschauungen, wie sie auch hler im Hause vertreten sind, die Rücksichten auf den sozialen Frieden und die Rücksichten auf die soziale Fürsorge gegenüber den schwächeren Teilen der Bevölkerung

den Weg gewählt, daß nur solche

in besonders auffallender Welse in den Hintergrund getreten sind.

Dieser Umstand hat nun freilich die Folge nach sich gezogen, daß die Vorlage äußerlich einen sehr zerstückelten Eindruck macht, und man hat uns auch den ja schon lange üblichen Vorwurf nicht erspart, daß es sich um oberflächliches Flick, und Stückwerk handelt. Man ist auch weiter gegangen; man hat unterstellt, daß es den verbünbeten Regie⸗ rungen bei diesem Gesetzentwurf gar nicht darauf angekommen sel, alle die einzelnen Vorschläge zur Annahme zu bringen, sondern daß es sich hier um Vorschläge handle, von denen nur eine einzelne Bestimmung für die verbündeten Regierungen Wert habe, nämlich diejenige über die Man hat uns zu verstehen gegeben, daß unser Wunsch nur dahin gehe, hier verschärfte Be—⸗ stimmungen über die Beleidigungen durchzusetzen, daß die verbündeten Regierungen im übrigen auf die Vorschläge des Entwurfs keinen Wert

Strafschärfungen im Beleidigungerecht.

legten, daß die übrigen Bestimmungen gewissermaßen nur dazu dienen sollten, die Vorschriften über die Beleidigungen in eine annehmbare Hülle einzuwickeln. Meine Herren, wenn eine Regierung so vorgehen wollte,

so würde ich das für ein gesetzgeberlsches Gaukelspiel halten, dem wir

unt nicht hingeben. Wir müssen, wenn uns dieser Argwohn in der Kritik entgegengetreten ist, die Berechtigung desselben entschieden ab— lehnen, und ich glaube auch, jeder unbefangene Mann, der sich diese Vorlage näher ansieht, wird zugeben müssen, daß kein Gesetzentwurf sich so wenig eignet wie dieser, mit Hilfe einer Vorschrift, die den Regierungen besonders gleich— gültig ist, eine andere Vorschrift durchzudrücken, auf die die Regierungen einen besonderen Wert legen. Denn in dieser Beztehung ist der Entwurf allerdings aus einjelnen Stücken zusammengesetzt derart, daß der Reichstag nach keiner Richtung hin genötigt sein würde, wenn er eine Bestimmung annimmt, auch einer anderen zuzu⸗ stimmen, und daß auf der anderen Seite auch die verbündeten Regie⸗ rungen in keiner Weise daraus, daß die eine oder die andere Vorschrift abgelehnt werden sollte, einen Grund entnehmen würde, die ganze Vorlage fallen zu lassen. (Hört! hört! bei den Nationalliberalen.) Ich kann das ehrlich und aufrichtig sagen: alle Bestimmungen, die der Entwurf enthält, sind hervorgegangen aus Anregungen, die hier im Hause laut geworden sind, und aus Stimmen, die in der Presse sich sehr vernehmlich geltend gemacht haben. Insofern darf man sagen, daß nichts, was der Entwurf enthält, auf der Initiative der verbündeten Regierungen beruht, sondern auf den Stimmen hier im Hause als Ausdruck der öffentlichen Melnung im Lande.

Trotzdem darf ich aber auch behaupten, daß ungeachtet der durch die Legalordnung des Entwurfs gegebenen formellen Fassung der Ent⸗ wurf in seinen einzelnen Bestimmungen auch einen inneren Zusammen—⸗ bang hat. Es ist mir vielleicht gestattet, mit einigen Worten auf diesen Gesichtspunkt hinzuweisen:

Die Bestimmungen des Entwurfs jerfallen in zwei Gruppen, deren eine sich beschäftigt mit dem Schutz der vermögensrechtlichen Interessen. Unser Strafgesetzbuch hat bekanntlich auf diesem Gebiete sehr weitgehende, scharfe Vorschriften, die in vielen Punkten den jetzigen Anschauungen nicht mehr entsprechen. Demgemäß sind die⸗ jenigen Vorschriften, welche die vermögengrechtlichen Interessen schützen wollen, dahin geändert worden, daß eine Milderung der Strafen eintreten soll. Aus diesem Gesichtszpunkt wird Ihnen vor⸗ geschlagen, eine mildere Beurteilung derjenigen Eigentums vergehen, die sich namentlich in dem Leben der armen Kreeise finden, bei dem Notdiebstahl, wie wir ihn genannt haben, und bei dem sogenannten Mundraub. Aus diesem Grunde wird Ihnen vorgeschlagen eine mildere Beurteilung gewisser Vorgänge im Familienleben der weniger bemittelten Kreise, wie sie vorkommen beim Arrestbruch, beim Slegelbruch, beim Hausfrledensbruch. Aus derselben Rücksicht wird Ihnen vorge⸗ schlagen, eine mildere Beurtellung derjenigen Erscheinungen eintreten zu lassen, die im Erwerbsleben namentlich der unteren Kreise vorkommen, indem in den wirtschaftlichen Augeinandersetzungen z wischen zwei Interessenten eine gewisse Pression auf die Entschließung des einen Teils ausgeübt wird durch Anwendung von Mitteln, die an sich nicht ungesetzlich, auch nicht unsittlich sind, aber nach der Fassung des jetzt geltenden Gesetzes und nach der darauf beruhenden Rechtsprechung, entgegen der sittlichen Anschauung des Volkes, als Giprefsung aufgefaßt werden.

In allen diesen Punkten Milderungen des bestehenden Die Autorität des Staates, unter dessen Aegide die Gerichte gejwungen sind, auf über Gebühr scharfe Strafen zu erkennen, wird nur geschützt, wenn wir hier eine den allgemeinen An⸗ schauungen entsprechende Milderung eintreten lassen, und in den Beziehungen der besser situierten ju den weniger glücklich gestellten Klassen wird eine versöhnlichere Stimmung gefördert, wenn die letzteren nicht unter dem Eindruck zu stehen brauchen, daß die Vermögenginteressen der bessergestellten Kreise durch das Straf⸗ recht mit einer über das billige Maß hinausgehenden Härte geschützt werden sollen.

Dieser Gruppe von Bestimmungen steht die jweite gegenüber, die sich auf die Abänderung solcher Vorschriften des Gesetzbuchs bezieht, die den Rechtsschutz der ideellen Güter des Volks zum Gegenstande haben. Hier will der Entwurf die sogenannten Roheitsdellkte schärfer treffen. Unsere Zeit denkt, was den Schutz der ideellen Güter betrifft, strenger als frühere Generationen. Während man früher für die hier einschlagenden Delikte verhältnismäßig gelinde Ahndungen in unserem Recht geschaffen hat, geht jetzt die öffentliche Meinung dahin, daß eine Verschärfung eintreten muß; dat EGmpfindungeleben der Nation hat sich aber in allen Schichten außer⸗ ordentlich verfeinert. Von diesem Gesichtgzpunkte aus fordert der

——

schlagen wir Ihnen vor, Rechts eintreten ju lassen.

Entwurf strengere Vorschriften gegenüber der Tierquälerel, die nach dem jetzigen Rechte vielfach straflos in die Erscheinung treten kann und damit allgemeines Aergernig erregt. Von diesem Gesichtwpunkte aus und belehrt durch traurige Erfahrungen der letzten geit schlagen wir Ihnen vor, jum Schutze von Kindern und anderen hilflosen Personen, die in der Schutzgewalt eines Dritten leben, Strafen eintreten zu lassen, für Grausamkeiten, die sich gegen⸗ wärtig zum großen Teil der Bestrafung entziehen oder nur unter be— sonderen Schwierigkeiten zur Strafverfolgung gebracht werden können. Unsere „Zeit, die auf dem sogzlalen Gebiete durch GErrich— tung und Vervollkommnung von Kinderbewahranslalten, von Schulen, von Besserungsanstalten, von Krankenanstalten und Siechenhäusern, von Waisenanstalten sich besonderg bemüht, empfindet es als einen Widerspruch, wenn gleichzeitig nicht ausreichend dafür Sorge getragen wird, daß hilflose und schwache Menschen, die in diesen Anstalten Fürsorge ober Unterkommen finden sollen, strafrechtlich Schutz gegen Grausamkeiten und sonstige Rück— sichtslosigkeiten genießen.

Endlich, meine Herren, komme ich zu den Vorschlägen Über die Beleidigungsstrafen, die in der Oeffentlichkeit vielfach abfällige Kritik gefunden haben. Vom Standpunkt des Entwurfs handelt es sich auch hier um Roheitgerscheinungen, die hauptsächlich zurückzuführen sind auf die Verwilderungen, die in einem Teile unserer kleinen Presse mehr und mehr sich entwickelt, die gerade in der jetzigen Zeit, wo die Technik es sehr erleichtert, billige, jedem zugängliche Preßerzeugnisse auf den Markt zu bringen, und der öffentliche Verkehr es ermöglicht, diese Ware in der leichtesten und schnellsten Weise unter das große, sensationsbedürftige Publikum zu werfen, ernste Beachtung finden müssen. Und deshalb sollte die Gesetzgebung ganz anders Rücksicht nehmen auf den Schutz derer, die dieser Presse in die Hände fallen, als das in unserem geltenden Rechte geschehen ist. Meine Herren, wenn durch die Presse Verhãaͤlt⸗ nisse aus dem Privatleben in die Oeffentlichkelt hineingebracht werden, die unter allen Umständen für die beteiligten Persönlichkeiten verletzend und beleidigend sind; wenn dies geschleht, ohne daß eine sittliche Pflicht zu derartigen Veröffentlichungen besteht, ohne daß irgend ein öffentliches Interesse darauf hinweist; wenn es nur geschleht, um einer sensationellen, platten Neugierde zu fröhnen und daneben der Speku⸗ lation mit kleinen Blättchen, mit Broschüren und sonsligen Augen— blicks publikationen Nahrung zu geben, die ein großes Publikum an⸗ ziehen und auf Kosten der darin behandelten Personen den Unter— nehmern ein gutes Geschäft zu machen gestatten; wenn solche Er— scheinungen mehr und mehr sich aufdrängen: dann, glaube ich, ist es die Pflicht der Gesetzgebung, diesenigen, die auf solche Weise hilflos mit ihren unglücklichen Verhältnissen in die Oeffentlichkeit gezerrt werden, ausgiebig zu schützen.

Ich brauche Sie nur an einen Fall zu erinnern, der auf diesem Gebiete liegt, der seinerzelt großes Aufsehen erregte, nein, nicht nur das, sondern auch Empörung in allen Kreisen hervorrief, der aber leider in unserer schnell vergefsenden Zeit auch schon sehr in den Hintergrund getreten ist: das ist die Behandlung der einen Zeugin im Prozesse Hau. Meine Herren, wenn es unter dem Schutze unserer Gesetze möglich ist, daß eine junge Dame in der Weise, wie es damals geschehen ist, mit ihren traurigen, aber schuldlosen Verhältnissen vor die Oeffentlichkeit gezogen wird und keine Rettung für ihren Ruf finden kann als in einem Beleidigungs— prozeß, in dem mit Hilfe findiger und rücksichteloser Verteidiger das ganze Innen⸗ und Außenleben dieser Dame hämischer Neugierde und böser Kritik preisgegeben wird, dann ist, glaube ich, der Augenblick gekommen, wo die Gesetzgebung die Pflicht hat, zum Schutze der Bevölkerung einzutreten. (Sehr richtig! rechis.)

Meine Herren, die verbündeten Regierungen sind sich vollständig klar gewesen, als sie die Verschärfung der Beleldigungsstrafen in den Entwurf aufnahmen, daß sie damit einen heiklen Punkt berührten; denn es handelt sich das kann man ja nicht leugnen hierbei um eine Beschränkung der öffentlichen Diskussion, und die Presse ist sehr empfindlich gegenüber jeder derartigen Beschränkung und nicht geneigt, die Interessen, die für eine solche Beschränkung sprechen, mit demselben Gewichte zu wägen wie die Interessen, die sie selbst für sich zu vertreten und wahrzunehmen pflegt. (Sehr richtig! rechts) Wir haben uns auch gesagt, daß es für die Volksbertretung nicht leicht ist, gegenüber einer so abgünstig gestimmten Presse Vorschriften anzunehmen, die dem Reichstage den Vorwurf vielleicht zunlehen, daß er die ffent⸗ liche Diekussion zum Nachteil der berechtigten freien Kritik eingeschränkt habe. Der Vorwurf, meine Herren, ist den verbündeten Regierungen schon jetzt gemacht worden, und wenn Sie geneigt sind,

dem Entwurfe der Regierung zujustimmen, wird er vermutlich auch

Ihnen gemacht werden. Et gibt aber Lagen, in denen man solche Vorwürfe hinnehmen muß, in dem Bewußtsein, daß die Gesetzgebung höhere Pflichten zu erfüllen hat. (Sehr gut! sehr richtig! rechts.)

Es ist von seiten eines Teils der Presse, die ung besonders un— günstig in dieser Frage gegenübersleht, auch bereits reichlich Alarm geblasen und unter der Fahne ‚Beschränkung der Preßfreiheit', Aus nahmegesetz gegen die Presse der Kampf begonnen worden. Meine Herren, wenn Sie die Gesetzgebung außerhalb Deutschland näher ver⸗ folgen, dann werden Sie finden, daß in England, daß in Frankreich, daß in Belgien, daß in den Niederlanden Bestimmungen bestehen, die alle in der einen oder anderen Art darauf hinauggehen, durch Ginschränkung des Wahrheltsbewelses in Beleldigunge⸗ prozessen für das Publikum mehr Sicherheit zu geben gegen skandalöse Angriffe in den Blättern. Ueberall kommt man damit auf eine geringere oder größere Beschränkung der Digkussion in der Presse hinaug. Haben diese Länder, die ich eben genannt habe, nicht eine freie, große und mächtige Presse? Und haben Sie irgendwie gehört, daß in diesen Ländern Einspruch erhoben wäre gegen derartige Bestimmungen? Hat irgendwie die Freiheit der Presse in diesen Ländern unter derartigen Vorschriften gelitten? Ich möchte denjenigen sehen, der dag behaupten wollte.

Weiter! Nicht bloß die Länder, die ich eben nannte, haben in ihrer Gesetzgebung Bestimmungen solcher Art. Italien hat seit einer Reihe von Jahren Vorschriften gleichen Gedankeng, und hat in diesem Winter Veranlassung gehabt, bei der Revision anderer Bestimmungen sein in Geltung stehendes Recht über die Ginschränkung des Wahrheitgbeweiseg in dem Prozeß gegen den Beleldiger in dem Sinne klar zu stellen, wie der gegenwärtig dem Reichtztage gemachte Vorschlag es will. Italien macht also Vorschläge in seiner Gesetz⸗ gebung, die ganz in der Richtung gehen wie unsere Vorschläge, ohne daß die Besorgnis laut geworden wäre, daß die freie Digkussion der

Presse ungerechterweise beschränkt werden soll.

verwandtem Standpunkt. Natürlich in allen Staaten mutatis

mutandis, aber doch in derselben Richtung einer Repression gegenüber beleldigenden Mitteilungen über das Privatleben.

Die Schweiz, die an einem neuen Strafgesetzbuch arbeitet, folgt ebenfalls diesen Wegen.

Wenn daz, meine Herren, außerhalb der deutschen Grenzen so liegt, dann wird man, glaube ich, unt gerechterweise nicht den Vorwurf machen können, daß wir bei unseren Vorschriften die Tendenz verfolgten, die Freiheit der Presse in irgend einer nicht zulässigen Weise zu beschränken.

Man ist ja aber noch weiter gegangen, meine Herren, man hat behauptet, diese Bestimmungen wären nur ersonnen, um für künftige Fälle Deckung zu geben, falls Beleidigungsprojesse, wie sie kürzlich schwebten, im Anschluß an die persönlichen Verhältnisse sonal hoch gestelller Männer, sich wieder ereignen sollten. Es handle sich um ein dann auch in meinen Augen unsittliches Mittel, mit dem man bei hochgestellten Leuten die sittlichen Schäden ihrer Existen; der Oeffentlichkeit gegenüber verdecken könnte. Meine Herren, nichts hat den verbündeten Regierungen bei der Aus. arbeitung ihrer Vorschläge ferner gelegen als ein solcher Gedank= Nach unserer Melnung wird von den Vorschriften des Entwurftz, wenn sie Gesetz werden sollten, niemand weniger Vorteil haben als die— jenigen, die sich in vornehmen und hohen Stellungen beßinden. Wenn bei ihnen die Frage entsteht, ob ein öffentliches Interesse vorltegt, welches die Erhebung des Wahrheitsbeweises recht- fertigt, dann wird nach meiner Meinung der Richter regel. mäßig sagen müssen: das öffentliche Interesse liegt vor. Nicht die Leute, die in hohen Stellungen sind und vornehmen Kreisen angehören, weiden durch diesen Entwurf in erster Reihe geschützt, sondern Leute, die gesellschaftlich und amtlich nicht in einer Lage sich befinden, die ein öffentliches Interesse an ihre Verhältnisse knüpft, wie die unglückliche Zeugin aus dem Hauprojeß, auf die ich vorher hingewisen hahe. Wenn uns in der öffentlichen Kritik etwas andereg unterstellt worden ist, so weise ich das zurück; es wird niemand auch nur den Schatten eines Beweises für diese Behauptung zu erbringen vermögen. Meine Herren, ich bitte Sie, uns ju glauben, daß wir nicht bloß bei dieser Vorschrift, sondern bei allen Vorschlägen, die der Entwurf enthält, von rein sachlichen Gesichtspunkten aus— gegangen sind, daß jede Tendenz irgend welcher Art unseren Vor— schlägen vollständig ferngelegen. Die Vorschläge sind nach unserer Meinung sachlich nicht zu entbehren.

Sie, meine Herren, haben vor längerer Zeit auch auf diesem Standpunkt gestanden; denn als der Herr Reichskanzler vor zwei Jahren hier im Reichstage die Frage der Revision des Strafgesetzbuchs berührte und gerade die Gesichtspunkte jur Sprache brachte, die in diesem Entwurf ihre Vertretung finden, spielte sich hier im Reichstage folgende Szene ab. Der Herr Reichskanzler legte dar, wohin nach seiner Auffassung eine Revision des Strafgesetzbuchs im Sinne von Strafschärfungen nachdem er vorher von Milde— rungen gesprochen hatte gehen müsse, und bemerkte:

Ich fand aber auch Fälle, wo ich ein weit strengerer Richter gewesen wäre; das waren Roheits, und Sittlichkeitsverbrechen,

der stenographische Bericht verieichnet hier lebhafte, allgemeine

Zustimmung“ —, das waren Kinder und Frauenmlßhandlungen,

der stenographische Bericht bekundet: Bravo! rechts und links —, das waren Tierquälereien,

der stenographische Bericht sagt: ‚„Erneate Zustimmung“. Der

Herr Relchskanzler fuhr dann fort:

Ist bei öffentlichen Herabwürdigungen von Personen wegen unglücklicher Verhältnisse ihres Privatlebeng der unbedingte Schutz des Privatleben nicht am letzten Ende gerechter als die Zulassung des Wahrheitsbeweises?

Der stenographische Bericht sagt: ‚Sehr richtig! rechts, in der Mitte

und links“. (Heiterkeit rechts, in der Mitte und links.) Meine

Herren, das ist wörtlich zitiert.

Wieviel Leid

fuhr der Herr Reichskanzler fort ist über einzelne und über ganze Familien gekommen, die aus Furcht vor Skandal sich nicht an die Gerichte wenden und einer Presse in die Hände fallen, die vom Skandal lebt.

Im Reichstag: sehr richtig! auf allen Seiten! (Große Heiterkeit) Namentlich in den Großstädten ist eine Schmutzpresse aufgekommen, deren Verfasser sich ohne sittliche Berechtigung als Vertreter der Großmacht Oeffentlichkeit ausspielt.

Im Reichstag: sehr richtig!

Es fragt sich, ob nicht ein besserer Schutz des Privatlebent und der persönlichen Ehre notwendig ist.

Aus dem Hause wiederum: Sehr richtig!

Meine Herren, wenn die Auffassungen, die nach den von mir ver—⸗ lesenen Kundgebungen dieses hohe Haus erfüllten, jetzt noch bel Ihnen herrschend sind, können Sie den Vorschlägen der verbündeten Regie⸗ rungen Ihre Zustimmung nicht versagen. Sie können in Einzelheiten verschiedener Meinung sein, Ste können der Meinung sein, daß manche der Bestimmungen nicht so gefaßt sind, wie Sie es wünschen und wie es nötig ist, um allem Mißbrauch vorzubeugen. Meine Herren, ich kann ohne weiteres im voraus erklären, in dieser Be⸗ ziehung werden die verbündeten Regierungen allen Wünschen entgegenkommen, weil sie selbst keinen lebhafteren Wunsch haben, als dem Argwohn vorzubeugen, daß bei dieser Vorlage irgend eine abwegige Tendenz mitgewirkt hätte. Wenn Sie dieser Zusicherung der verbündeten Regierungen sicher sind, wenn Sie auf der anderen Seite überhaupt noch auf dem Standpunkte stehen, den vor jwei Jahren der Reichstag eingenommen hat, dann dürfen wir hoffen, daß Reichstag und Reglerung sich auch in dieser Frage berständigen werden. Ich bin überjeugt, wenn das geschieht, so wird es zum Segen des Landes gereichen. (Bravo! recht.)

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

DOesterreich steht auf

zum Deutschen Reichsan

M 96.

3weite Beilage

Berlin, Sonnabend, den 24. April

zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

1909.

(Schluß aug der Ersten Beilage.)

Abg. Engelen (Zentr.): Ich beantrage die Verweisung der Vorlage an eine besondere Kommission von 21 Mitgliedern. Das Zentrum Fat schon 1900 einen Antrag in der Richtung der Vorlage eingebracht. Weshalb geht die Regierung darauf eist heute ein? Die Oeffentlichkeit meint, daß dieses heute eine Folge des Falles Eulenburg ist, und daß

der Vorschlag zum 5 186 den Zwick rerfolgt, weitere solche Fälle zu

derhlndern. Ich frage melnerseits: warum trifft die Vorlage, die gewisse besonders revisionsbedürftige Materien vor der allgemeinen Revision des Strafgesetzbuches vorwegnehmen will, nur daß bürgerliche und nicht auch das Militärstrafrecht? Warum werden keine Straf, perschärfungen angedroht für den Fall des § 1765, wenn die darin mit Sirase bedrohte Handlung an Personen begangen wird, die sich in der Gewalt und unter dem Befehl der Täter befinden? Was die einzelnen Vorschläge des Entwurfes betrifft, so ist ein möglichster Schutz der Kinder, des Nachwuchses der Nation, gegen grauseme Behandlung, gegen Mißbandlung usw. eine Kulturnotwendigkeit. Im Auslande bestehen schon gegen Aussichtspersonen schärfere Straf⸗ bestimmungen. Grausame, beständig und systematisch fortgesetzte zur Gewohnheit werdende Mißhandlungen sellten ferner sogar im Sinne eines Verbrechens verfolgt werden, wenn Leben, Gesundheit und Ent— wicklung des Kindes in Gefahr kommen. Die vorgeschlagenen Straf⸗ milderungen gehen uns jum Teil ebenfalls nicht weit genug, z. B. sollte für den einfachen geringfügigen Diebstahl die Zulässigkeit von Geldstrafen bestthen. Desgleichen wird zu untersuchen sein, ob die vorgeschlagene Milderung hlinsichtlich des Dellktes der Eipressung ausreichen wird, um die Judikatur aus § 153 der Gewerbeordnung wieder mehr mit dem allgemeinen Rechts—⸗ bewußtsein in Uebereinstimmung zu bringen. Gegen die neu vor— geschlagene Strafe für Tierquälerei werden grundsätzliche Bedenken nicht zu erheben sein; indessen ist die religiöse Uebung des Schächtens, wie dies auch 1897 durch das Gutachten der wissenschafilichen Deputation für das Medizinalwesen festgestellt wurde, als Tier quälerei nicht zu betrachten. F 186 soll eine erhebliche Aenderung erfahren; abgesehen von der Absicht der weiteren Beschränkung der Deffentlichkeit soll das Strafmaximum heraufgesetzt werden, ebenso das Maximum der Buße. Dafür wird sich manches anführen lassen. Ander steht es aber mit der Einschränkung der Zulässigkeit des Wahrheitsbeweiseg. Die Annahme liegt nahe, daß man die Zulassung des Wahrhelte—⸗ beweises auf dle öffentlichen Beleidigungen und die Beleidigungen durch Abbildung oder Darstellung nur deshalb beschränkt hat, weil diese hier oder da besonders unangenehm empfunden werden. Daß bei Beleidigungen, die nur das Privatleben, aber nicht das öffentliche Interesse berühren, die Bestrafung ohne Rücksicht auf die Erweislich⸗ keit der Tatsachen eintreten kann, ist eine so lautschukartige Be⸗ stimmung, daß es lediglich dem Richter überlassen bleibt, ob ein privates oder öffentliches Interesse vorliegt. Die Rechtsprechung wird kaum ju festen Grundsätzen darüber kommen können. Haben wir doch schlechte Erfahrungen damit gemacht; so wurde bekanntlich der Beleidigte zunächst auf die Privatklage verwiesen, dann trat eine Wandlung der Anschauungen bei den Behörden ein, und man fand, daß ein öffent⸗ liches Interesse vorliegt. Ueber einen hesseren Schutz vor Beleidi⸗ gungen wird in der Kommission zu reden sein, aber die vorgeschlagene Fassung können wir nicht annehmen. . . Abg. Perniock (dkons.): Ebenso wie bei der Zivilprozeßnovelle wird auch hier wieder die Frage erörtert, ob die jetzige Vorlage überhaupt angezeigt ist, oder ob sie nicht bis zur endgültigen Revision des Strafgesetzbuches zurückzustellen sei. Der Staatssekretär selbst war nicht ganz frei von Bedenken in dieser Beziehung, und meine Freunde meinen, daß man über den notwendigen Rahmen der jetzigen Vorlage hinaus sich Zügel anlegen muß, um nicht grundsätzliche Bestimmungen des Strafgesetzbuches zu berühren. Wir halten die Vorlage für klein, aber für gut, für gut namentlich deshalb, weil, sie den Schutz unserer Jugend verstärkt. Wir haben fast täglich in uanserer Rechtspflege Fälle gesehen, die das Rechtsbewußtsein des Volkes nicht befriedigen; die Allgemeinheit unterscheidet nicht so

genau, ob daran der Richter oder das Gesetz schuld ist, und ob es sich

aur um einen einzelnen Fall handelt, sondern verurteilt die ganze

Handhabung unserer Rechtspflege. Vorlage im allgemeinen annehmen können, wollen wir in der ersten Lesung nicht in eine nähere Erörterung eintreten. e haben wir auch Bedenken, namentlich dahin, daß die vorgeschlagene Fassung des § 186 zu einer schwankenden Rechtsprechung führen kann. Diese Bestimmungen müssen in der Kommission eingehend erörtert werden, namentlich auch die Frage, ob die Höhe der vocgeschlagenen Strafe für üble Nachrede und offentliche Beleidigungen ausreichend ist. Namens meiner Freunde schließe ich, mich dem Antiag auf Kommissionsberatung an.

Abg. Varenhorst (Rp.. Wir schließen uns dem Antrag auf FKommissionsberatung an. Die bisherigen Bestimmungen über den guglisizierten Hausfriedengbruch haben zu Unzuträglichkeiten geführt, es ist daher richtig, die drakonischen Bestimmungen zu aͤndern und Geldstrafen sujulassen. Tausende von Personen sollen auch künftig davor be= hütet werden, daß sie wegen solcher kleinen Vergehen ins Gefängnis wandern, wie j. B. wegen des Diebstahls von ein paar Preßkohlen. Was die Bestimmungen wegen der Beleidigung betrifft, so geht ung der Entwurf noch nicht weit genug.

Menschen, muß mehr g n werden. Wir dürfen einer Revolver. bresse und Radaupresse nicht Vorschub leisten. Der Wahrheits beweis muß strikte ausgeschlossen werden. Fälle, wie die des Fräulein Molitor, baben gezeigt, zu welchen Mißständen es führt, wenn Privaidinge in die Oeffentlichkeit gezerrt werden. Die Strafverschärfungen für die Mißhandlung von Kranken und Kindern gehen ung ebenfalls nicht weit genug. Die jetzigen Bestimmungen über die Tierquälereien sind weniger ein Schutz für die Tiere als für die Tiergäler. Früher hatten einzelne Bundesstaaten einen besseren Schutz; wir müssen dazn zurückkehren. Ih habe es erlebt, wie ein Mann einem Pferd, das nicht hoch⸗— lemmen konnte, einen Strick um die Zunge band und sie bald heraußz⸗ tiß. Was bekam der Mann? 150 S6 Geldstrafe. In solchen Fällen ist eine Tracht Prügel angebracht, obwohl ich im allgemeinen nicht für die Prügelstrafe bin. Es wäre zu erwägen, ob nicht eine Be— stimmung in dag Gesetz aufgenommen werden sollte, daß jemand, der auf frischer Tat einen solchen brutalen Menschen iyncht, un2— bestraft bleibt. Als ich in den Reichstag gewahlt wurde, sagte mein neunjähriger Junge ju mir: „Höre, Vater, wenn Du in den Reichtztag kommst, so mußt Bu junächst ein Gesetz für die Tiere machen, denn die Tiere können sich nicht selbst helfen. Ez wäre auch notwendig, zu bestimmen, daß die Vivisektoren äber die Vipisektionen Buch, führen und sich solcher Tiere bedienen, die weniger empfindlich sind, nicht der Wirbeltiere, wie z B. der Hunde. Diese Tiere empfinden schon, bevor sie auf den Lisch kommen, seelische Qualen so gut wie ver Mensch. Eg gibt auch Professoren, die an Tieren Versuche machen, die gar keinen Zweck aben, z. HZ. Hunger⸗ und Durstexpetlmente. Das ist ein Unfug. Es sollte einmal festgestellt werden, wie lange ein Professor oder ein rivatdozent hungern kann. Bei aller Anerkennung für die wissen⸗ hasiliche Bedeutung der Vivisektion möchte ich doch empfehlen, solchen Mißbräuchen energisch entgegenzutreten. ;

Abg. Dr. Ofann (n.): Bei dem Vortrage des Staatssekretärs hatte ich den Findruck, alt ob er die Vorlage nicht mit ganzem derjen vertrat, als ob er mehr der Anregung folgte, die

Da wir die sieben Punkte der

In einzelnen Fragen

Die Ehre, das höchste Gut des

vor zwei Jahren der Reichskanzler gab, und als ob er die Verantwortung sehr gern auf das Haus und die Aeußerungen und früheren Anregungen aus dessen Mitte schob. Die neuen Bestimmungen über die Bestrafung der Tlerquälerei billigen wir. Ganz besonders notwendig sind die Strafandrohungen und Strafverschäͤrfungen gegen Mißhandlungen von Kranken und Kindern. Die Vorschläge wegen Milderung der Bestimmungen über den Diebstahl, wegen Zulassung der Geldstrafe bei geringfügigen Ent wendungen billigen wir ebenfalls. Den Kern der Vorlage bilden die Vorschläge wegen der Beletdigung und der Erpressung. Der Fall, der jum Vorschlage der Einschränkung der Zulassung des Wahrheits—⸗ beweises geführt hat, scheint nicht der Fall Gulenburg, sondern vielmehr der Fall Molitor zu sein, der sich vor badischen Gerichten absplelte. Da meine ich, es wäre auch im Rahmen der heutigen Strafgesetzgebung und Strafprozeß— ordnung möglich gewesen, das Richtige zu treffen. Ich ver— kenne nicht, daß in der Beschränkung des Wahrheltsbeweises ein schwerer Eingriff liegt, sowohl für den Beleidigten wie für den Be— leidiger. Es wird sich fragen, wo die Grenze für das Privatleben gezogen ist. Hat nicht die Oeffentlichkeit ein Interesse daran, zu er⸗ fahren, ob ein Arzt Schmiergelder empfangen hat, ob ein Fabrikant seine Arbeiter schlecht entlohnt usw.“ Es soll allerdings der Wahrheitsbeweis nur ausgeschloßsen sein bei Beleidigungen durch die Presse und bei öffentlichen Beleidigungen. Aber auch da stoßen wir auf die Schwierigkeit der Auslegung des Begriffs ‚Oeffentlich⸗ keit“, den eventuell die eine Instanz bejaht, die andere verneint. Stimmt anderseits der Beleidigte dem Wahrheitsbeweise nicht zu, so wird es nachher heißen, die r Tatsachen seien wahr, und deshalb habe er dem Wahrheltsbeweise nicht zugestimmt. Ferner ist es keine Befriedigung des Rechtsbewußtseins, wenn der Beleidiger den Wahrheitsbeweis schlüssig führt und doch bestrast wird, weil er beleidigt hat. Hoffentlich kommen wir auf diesem Gebiete durch Selbstjucht weiter als Lurch prozessualische und Straf. gesetzhuchsreformen. Der Begriff der Erpressung ist zumal betreffs des Koalitionsrechts der Arbeiter durch die Judikatur in einer geradezu verhängnisvollen Weise ausgedehnt worden. Arbeiter sind wegen Erpressung bestraft worden, weil sie zur Er— langung besserer Lohnbedingungen mit dem Streik drohten, und selbst das Reichsgericht hat solche Urteile bestätigt, aber auf Arbeitgeber, die mit der Aussperrung von Arbeitern drohten, um für sich günstigere, für die Arbeiter schlechtere Lohnbedingungen ju erzielen, ist der Er— pressungsparagraph nicht angewendet worden. Solche Bestrafungen lassen sich mit dem Begriff der Erpressung im Volksbewußtsein nicht vereinigen. Wenn die sozialen Gedanken und die Erkenntnis von der Notwendigkeit eines guten Verhältnisses zwischen Arbeitern und Arbeitgebern auch in der Rechtsprechung mehr und mehr Raum finden werden, dann werden die Klagen über Klassenjufliz verschwinden.

Abg. Frohme (Soz.): Wenn die Begründung der Vorlage an—⸗ erkennt, daß die Rechtsprechung vielfach dem Rechtsbewußtsein nicht genügt hat, so stellt sich die Vorlage als ein Akt der Verlegenheitsgesetzgebung dar. Sie berührt nur einige Punkte, läßt aber viele andere nicht minder wichtige Punkte beiseite. Die schärfere Bestrafung der Tierquälereien killigen wir durch⸗ aus, aber man soll auch an den Schutz der Menschen denken. Die Erziehung kann viel zur Vermeldung von Roheiten tun. Auch der Gedanke, den Kindern einen besonderen Schutz durch das Straf— gesetzbuch zu geben, findet unsere vollkommene Billigung. Die. Milderung der Strafe für geringfügige Vergehen ent— spricht dem öffentlichen Rechtsbewußtsein weiter Kreise; es wäre auch zu wünschen, daß die hatten Strafen für den Rückfall gemildert werden. Da dies im Rahmen dieser Vorlage nicht möglich war, so hoffen wir, daß es bei der allgemeinen Revision des Strafgesetzbuches geschehen wird. Wir begrüßen es ferner, daß der Entwurf versucht, der schlimmsten Wirkung der reichsgerichtlichen Auslegung des Begriffs Erpressung entgegen zu wirken. Es muß die Bestimmung in das Gesetz aufgenommen werden, wonach eine Handlung des § lös G.⸗-O. nicht als Erpressung anzusehen ist. Ehrbare Arbeiter, die, um günstigere Lohnbedingungen zu erlangen, die Arbeit niederlegen, dürfen nicht zu gemeinen Verbrechern gestempelt

werden. Die ernstesten Bedenken haben wir selbstverständlich gegen §z 186 Abs. 2 (Beleidigungsparagraphen). Ich bin der Letzte, der Privatverhältnissen nicht jeden Schutz angedelhen lassen möchte. Pie Auswüchse der Skandalpresse finden eine Korrektur in dem öffent⸗ lichen Rechtsbewußtsein und dem sittlichen Empfinden des Volkez. Diese Bestimmungen werden mit Recht als ein Ausnahmegesetz egen die Presse aufgefaßt. Die Novelle macht den Be— eidigten jum Richter, ob der Wahrheitsbeweis erhoben werden soll oder nicht, gewährt ihm aber im Grunde doch keinen Schutz. Die Vorlage macht den Eindruck, als ob die Regierung noch mehr Prozesse derart, wie wir sie erlebt haben, befürchtet. Ich kann nicht glauben, daß die Vorlage angenommen werden wird. Wollen Ste

das Voll sittlich beben, so sorgen Sle für eine Verbesserung seiner

wirtschaftlichen Lage, für gute Schulen, für die intellektuelle Hebung des Richterstandes und für die Beseitigung der Klassenjusttz.

Abg. Roth (wirtsch. Vgg.): Auch meine politischen Freunde sind für Verweisung der Vorlage an eine Kommiffion. Mit den Wilderungen, die der Entwurf bringt, sind wir esnverstanden. Die bisherigen Strafen wegen quallfizierten Hausfrtedens⸗ bruchs sind zu hoch; es wäre nur zu münschen, daß auch die Zurücknahme des Strafantrages zulässig wäre. Nicht ganz einverstanden sind wir mit den Bestimmungen über die Entwendung aus Not. Besser wäre es, einfach mildernde Umstände auch beim Diebstahl zuzulassen. Mit der Erhöhung der Geld— strafen und der Buße bei übler Nachrede sind wir einverstanden. In bejug auf die Zulässigkeit des Wahrheitsbeweifes sind wir geteilte Meinung. Ein Teil von uns möchte die Regelung dieser Frage bis zur allgemeinen Revision det Strafgesetz⸗ buchs vertagen. Die Zulassung der Beweisaufnahme möchten wir nicht von der Zustimmung der Beleidigten abhängig machen, sondern sie unter allen ÜUmständen bei öffentlichen und Pleß⸗ beleidigungen ausgeschlofssen sehen, wenn ces sich bloß um das Privatleben handelt. Die Strafen für Mißhandlung von Kranken und Kindern sind mit Rücksicht auf Fälle, wie den der Ehefrau eines Berliner Arztes, nach unserer Meinung viel zu niedrig. Die Kinder müssen nicht bloß bis zu 14, sondern bis zu 16 Jahren geschützt werden und die Strafandrohung auch in den Faͤllen eintreten, wo die Körperverletzung nicht mittels graufamer Behandlung begangen wird, sondern auch dann, wenn den Kindern nicht genügend Nahrung und Kleidung gegeben wird. Den Bestimmungen über die Bestrafung der Tierquälerei stimmen wir zu. Das Schächten sollte nur gestattet werden unter Benutzung der modernen Betäubungsapparate, denn die Schächtung, wie sie jetzt ge⸗ übt wird, ist grausam.

Abg. Werner (Reformp.): Es ist nicht zu verkennen, daß ein großer sozialer Zug durch diese Vorlage geht. Dies gilt besonders von den Bestimmungen über den Haugfriedensbruch und den Erpressungsparagraphen. Besonders begrüßen wir die Verschärfung der Strafe wegen Tierquälerei. Nicht einverstanden sind wir mit den neuen Bestimmungen über den Wahrheitsbeweis bei Beleidigungen, die öffentlich oder durch die Presse begangen sind. Der Begriff „Verhältniffe des Privatlebens' müßte doch genau umgrenjt werden; eine solche allgemeine Fassung könnte leicht die größten Un juträglichkeiten im Gefolge haben, ebenso der Ausdruck „soweit sie das öffentliche Interesse nicht berühren und ganz besonders bedenklich ist der Vorbehalt, daß die Erhebung des Wahrheits⸗ beweise g an die Zustimmung des Beleidigten gebunden sein soll. Der § 186 sollte überhaupt nicht aus der allgemeinen Revision des Strafgesetzbuches herausgerissen werden. Gegen die Erhöhung der Stiafmaxima haben wir nichts ein— zuwenden, nur daß vielleicht die Erhöhung des Maximums für die Buße auf 20 000 ½ zu weit geht. Die Strafbestimmungen gegen die Mißhandlung jugendlicher und wehiloser Personen müssen noch viel schärfer gefaßt werden; ich erinnere in diesem Punkie an die vorzüglichen Ausführungen, welche vor kurzem über dieselbe Materie unser Kollege Dr. Faßbender gemacht hat.

Hierauf wird gegen 61“ Uhr die Fortsetzung der Be⸗

ratung auf Sonnabend 2 Uhr vertagt.

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Gattung bes Zuckers

ucker im Spezialhandel vom zjahr 1̃908 9, beginnend mit 1. September.

11. bis 20. April 1909

Einfuhr Ausfuhr

1. Sepibr. 1907 bis 20. April 1908

1. Septbr.

4. Septbr. 1. Septbr. 1908

J 11. big K ,

20. April 20. April 20. April 20. April

isn isoz ish

11. big 20. April

dz rein

Verbrauchszucker, raffinierter und dem raffinierten gleichgestellter Zucker (176 asi)

Rohrzucker (176 a) davon Veredelungsverkehr. Kristallzucker (granullerter), (auch (1766) davon Veredelungsverkehr Platten., Stangen⸗ und Würfelzucker (176) .. gemahlener Melis ( 764) davon Veredelungsverkehr Stücken⸗ und Krümelzucker (1766) davon Veredelung verkehr gemahlene Raffinade (1766) davon Veredelunggverkehr Brotʒucker (176g) = Farin (17656) dapon Veredelungsherkehr = Kandis (1761) davon Veredelungtverkehr anderer Zucker (176 / n) Rohriucker, roher, fester und flüssiger (178) Rübenzucker, roher, fester und flüssiger (1765) anderer fester und flüssiger Zucker (flüssige Raffinade, einschließ- lich des Invertzuckersirups usw.) (176m) Füllmassen und Juckerabläufe (Sirup, Melasse), Melassekraft⸗ futter; Rübensaft, Ahornsaft (176 n) davon Veredelungeverkehr

Rübenzucker: Sandzucker)

zuckerhaltige Waren unter steueramtlicher Aufsicht:

Gesamtgewicht Menge des darin enthaltenen Zuckergz Berlin, den 24. April 1969.

3 148 661 6

59 956

14 n 2 916 445 5

14 456 1 1052

2 411987

40 686 2110340 4708

110 057 40 330 3 548 125 15 855 313 138 228 128 6 . 157 112 127 827 15 760 833 98 378 141 564

1066 332 315

64 967 50 027 26 088

18 146

13

2 038 619 1

2 022 185

581

10 052 14

36 906 141 214

1

(

a 977 Jog 2 967 33

Kaiserlicheg Statistisches Amt. N U.

g n hr v.