Dentscher Meichstag. 254. Sitzung vom 6. Mai 19609, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolff Telegraphischem Bureau.)
Zur Beratung steht der von den Abgeordneten Speck und Genossen eingebrachte Antrag auf. Ein führung einer staffelförmigen Umsatzsteuer für Großmühlen. Der Antrag lautet:
den Reichskanzler zu ersuchen, dem Reichstage alsbald eine
Vorlage zu machen, welche für größere Mühlen zum Schutze der kleinen und mittleren unabhängig von der einzelstaatlichen Be⸗ steuerung eine Reichssteuer einführt, die das jährliche Vermahlungs— quantum mit einer steigenden Abgabe belegt.
Abg. Speck (Zentr.): Früher erfreute sich die deutsche Müllerei eines allgemeinen Wohlstandes. Seit 1880 sind viele Tausende von Mühlenbetrieben eingegangen, so von 1896 bis 1905 nicht weniger als 6696; auch die Zahl der beschäftigten Arbeiter ist um 20 000 ge— sunken. Der Rückgang bat besonders die kleinen und mittleren Mühlen betroffen. Dle Müllereiberufsgenossenschaft hat in letzter Zeit von nicht weniger als 100n‚9 der Veisicherten die Beiträge zwangsweise eintreiben müssen. Diese Entwicklung zeigt den Auf⸗— saugungsprozeß der kleinen Mühlen durch die großen Betriebe. Nicht nur kleine und mittlere Betriebe, sondern auch größere können sich der Konkurrenz der großen Dampfmühlen nicht mehr erwehren. Die kleinen und kleinsten Betriebe, die immerhin wichtige Glieder im wirtschaftlichen Organismus des Deutschen Reiches bilden, wenden sich jetzt hllfeflehend an das Reich um Schutz. Gewiß haben auch die Großbetrlebe befruchtend auf das Gewerbe gewirkt; aber man darf sich von den in den Großbetrleben umgesetzten Millionen nicht zu sehr imponieren lassen. Wenn erst einmal wenige Riesenmühlen den Markt beherrschen und die Preise diktieren, werden auch diejenigen das Verschwinden der kleinen Mühlen bedauern, die jetzt mit einer gewissen Gering⸗ schätzung auf sie herabblicken. Die Saarbrücker Handelskammer spricht sich gegen die Umsatzsseuer aus, weil nach Ausbau der Saarkanalisierung sich dort eine so große Dampfmühlenindustrie entwickeln werde, daß sie ganz Süddeutschland mit Mehl versorgen kann. Also diese neue Industrie möge getrost die ganzen bayerischen usw. Mühlenbetriebe auffressen! Das ist wenigstens offen. Eine große Anzahl der ein gegangenen Betriebe ist ja tatsächlich nicht aufrecht zu erhalten gewesen, weil sie veraltet und nicht mehr konkurrenzfähig waren; es muß aber trotzdem der Versuch gemacht werden, auch die kleinsten Betriebe über Wasser zu halten und nicht der modernen Herren— moral zu huldigen, die darauf ausgeht, die Mächtigen noch mächtiger, die Kleinen aber völlig macht⸗ und rechtlos zu machen. Die Aufrechterhaltung der kleinen und kleinsten Betriebe ist übrigens auch möglich, ohne den Konsumenten das Brot zu verteuern. Wie die Brauindustrie muß auch die Großmühlenindustrie bemüht sein, Platz für ihre Ueberproduktion zu machen. Das wird zu erreichen versucht durch den Absatz um jeden Preis, durch Unterbieten, durch Erleichterungen für die Abnehmer, so besonders gegenüber den Bäckern. Alle diese Maßregeln zur Erleichterung des Absatzes erfordern große Ausgaben, die aber natürlich das Großkapital viel leichter tragen kann als, die mittleien und kleinen Betriebe. Schwer werden diese auch benachteiligt durch die Abgabefreiheit auf den Sttömen und Flüssen, die nur dem Großbetriebe und Großverkehr zu gute kommt, während die kseinen und kleinsten durch ihre Steuern noch dazu beitragen müssen. Dazu kommen die großen Lasten aus der sozialpolitischen Gesetzgebung, welche die kleinen und mittleren Betriebe viel stärker drückt als die großen, fast ausschließlich mit Maschinen arbeitenden Betriebe. Soggr die Tarispolitik der Eisenbahnen wirkt auf diese Konkurrenz- verhältnisse zum Nachteil der kleinen und mittleren Betriebe ein; der Großmüller kann es unter Umständen bis auf 40069 Frachtersparnis gegenüber dem kleinen bringen. Der geschilderte Aufsaugungsprozeß it nicht ohne Gefahr für unsere Volkswirtschaft, indem die Möglichkeit einer Rinabildung der großen Mühlen, die den Konsumenten und den sonstigen Abnehmern die Preise diktiert, immer näher rückt. Die Aufhebung der Mehljölle als AÄbhilfemittel wäre ein zweischneidiges Schwert, welches die Landwirtschaft und die kleinen und mittleren Mühlen schwer in Mitleidenschaft jöge, denn mit dem Mehlring würde auch der Schutz für den inländischen Getreidebau zerstört, also das wäre ein Kurmittel à ja Doktor Eisenbart. Je größer eine Mühle, um so mehr vermahlt sie ausländisches Getreide. Die Mannhesmer Mühlen wver— arbeiten in 5 Jahren über 500 000 Sack Getreide, die Ludwigshafener etwa ebensoviel; davon sind nur ungefähr 20/9 der Gesamtvermahlung inlägdisches Getreide. Lassen wir die Großmühlen sich so welter entwickeln, so vereiteln wir den Schutz, den wir der Inlandproduktion durch den Zolltarif haben an— gedeihen lassen. Aber die Landwirtschaft wünscht, daß ihr diese Vergünstigung nicht illusorisch gemacht wird durch dir ungesunde Konkurrenz der Großmühlen. Im Kriegsfall ist das deutsche Volk nicht etwa auf die Großmühlen angewiesen, es würden sich im Gegen— teil Schwierigkelten ergeben, wenn die Eisenbahnen durch die Mobilmachung in Beschlag genommen sind, und es unmöglich sein würde, daß das Mehl aus den großen Zentren in die veischledenen Kanäle geleitet wird. Die jetzige Entwicklung widerspricht auch den Interessen der Arbeiter. Verschwinden die kleinen und mittleren Mühlen, so würden J der in ihnen beschäftigten Arbeiter brotlos und als Lohndrücker bei anderen Betrieben wirken. Die Großmühlen jahlen allerdings höhere Löhne, diese Löhne bringen aber für die Arbeiter keine verbesserten Lebensperhältnisse mit sich, weil die Lebensmittelpreise in den größeren Städten teurer sind als in kleinen Orten. Auch Handelskammern haben sich fur die Einführung einer Mühlenumsatzsteuer auegesprochen, so die Handelskammer in Aachen, die einer maßvoll gestaffelten Umsatzsteuer das Wort redet. Das preußische Abgeordnetenhaus hat eine enisprechende Petition der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen; die bayerische Abgeordneten kammer ist einschließlich der liberalen Vereinigung für eine Umsatzsteuer auf Mühlen eingetreten; nur die Sozialdemokraten waren dagegen. Ich hoffe, daß die Reichsregierung gegen einen solchen Wunsch ein größeres Entgegenkommen zeigt als 1897. Verkaufsbereinigungen führen nicht zu einer Produkiionsbeschränkung, weil die großen Be—⸗ triebe nicht geneigt sind, solchen Vereinigungen beizutreten. Deghalb hilft keine Selbsthilfe, bier kann nur die Gesetzgebung helfen. Meine Freunde sind trotz der Bedenken gegen ein solches Eingreifen der Meinung, daß ohne dieses Engreifen der Ruin der Kleinmüller unvermeidlich ist. Die Handelskammer in Liegnitz hat gigen den Vorschlag eingewendet, daß er eine ver—⸗ hängnispolle Bresche lege in das Bollwerk der Gewerbefreiheit. Nun, das kleine und mittleie Gewerbe seufst heute geradezu unter der schrankenlosen Uebermacht der Gewerbefreiheit des Großkapitals. Daß ein Mehlring im Werden begriffen ist, liegt auf der Hand. Wir dürfen es nicht so weit kommen lassen, wie in den Vereinigten Staaten. Man sagt, Bayern habe eine Mühlenumsatzsteuer gehabt und damit Fiaeko gemacht. Gerade das Beispiel Haherns ist der beste Beweis für die Notwendigkeit einer Reichsumsatzsteuer; Bayern bildet eben kein abgeschlossrnes Wirtschafts geb et. Welcher Weg ist einzuschlagen? Da die Einzelstaaten sich hierüber nicht einigen können, so ist der Weg der Reichsgesetzzebung zu beschreiten. Man hat im Bundesrat dagegen eingewendet, daß dies dem föderativen Charakter der Bundesstaaten widerspreche, weil diese Steuer eine diiekte Steuer sei. Ein einzelstaatliches Einschreiten ist doch aber ausgeschloffin, und der Bundesrat müßte jetzt sein Bedenken fallen lafssen, da 36 050 Existenzen auf dem Spiele stehen. Mir ist es gleich, wem das Ertiägnis dieser Steuer zukommt, den Einzelstaaten könnte aber doch wohl das Erträgnis der Steuer verbleiben. Die kleinen Müller könnten ja steuerfrei bleiben, die mittleren Betriebe könnten mit einer mäßlgen Steuer
belegt werden, die ganz großen dagegen mit einer progressip steigenden hohen Steuer. Für das Reich soll die Steuer keine Ginnahmequelle sein. Es müßte ein so großes Quantum steuer⸗
frei bleiben, als zur Volkzernährung notwendig ist. Die Steuer müßte natürlich nicht vom Ertrag, sondern vom Umsatz be—⸗ rechnet werden, wenn man den Zweck der Steuer erreichen will. Es wäre noch ju erwägen, ob die an der Grenze arbeitenden Mühlen nicht ebenso zu behandeln wären, wie die Inlandsgroßmühlen. Jedenfalls müßte dann die Ausfuhr bon Mehl steuerfrei sein. Wenn man unsere Vorschläge akzeptiert, so entkräftet man damit das Schlag⸗ wort von der Brotverteuerung. Ich will zugeben, daß die finanzielle Lage der Großmühlen nicht gerade glänzend ist, sie rentieren durch⸗ schnittlich mit o/ g. Allerdings ziehen sie aus dem Getreidehandel erheblichen Nutzen. Die Vermahlungékosten differieren bei den Groß— und Kleinmühlen ganz beträchtlich. Wenn man dieser Differenz gegen⸗ über eine Steuer von 5 bis 20 3 den Großmühlen auferlegen will, so kann man nicht von ihrer Erdrosselung sprechen. Meine Freunde halten trotz aller Bedenken ein gesetzgeberisches Eingreifen für nicht mehr zu vermeiden.
Auf Antrag des Abg. Dr. Roesicke (kons.) wird der von den Deutschkonservativen am 28. Februar 1967 eingebrachte
Antrag:
»den Reichskanzler zu ersuchen, im Interesse der Erhaltung des Mittelstandes wie einer möglichst gleichmäßig im Lande ver—⸗ teilten Mehlerzeugung dem Reichstage tunlichst bald eine Gesetzes⸗ vorlage über die Einführung einer gestaffelten Mühlenumsatzsteuer zugehen zu lassen
mit zur Beratung gestellt.
Abg. Dr. Roesicke (d. kons.): Aus der Tatsache, daß die Materie wegen der Geschäftslage des Hauses wiederholt zurückgestellt ist, darf man nicht den Schluß ziehen, daß ihre Wichtigkeit nicht sehr hoch wäre. Die Quintessen ist die Frage: Sollen wir zugeben, daß eine großkapitalistische rücksichtslose Entwicklung den Mitste;« stand ruiniert, oder hat nicht vielmehr die Reichsgesetz⸗ gebung die Pflicht, einzugreifen, um das zu veihindern ? Schon unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des steten Fortschreltens der sozialen Gesetzgebung müßte sie das tun. Es gibt gewiß Be— triebe, bei denen der Großbetrieb unter allen Umsländen die Voraug— setzung für die Durchfübrungsmöglichkeit überhaupt ist. Aber die großen Mählen sind an sich technisch nicht anders eingerichtet als die kleinen. Wir haben es lediglich mit der Sucht des Großkapitals zu tun, sich unter Zurückdrängung und Vernichtung der anderen Platz zu schaffen, und zwar — das ist das Charaktersstische beim Großkapital — ohne ein Bedürfnis zu erfüllen. Die Entwicklung des Fleisch— trusts in Amerika ist so gewesen, wie wir es früher vorausgesagt haben. Wenn man nicht rechtzeitig bei uns der Entwicklung der Großmühlen entgegenwirit, so kann sie auch hier zum Trust fuhren. Bei der Entwicklung der Müblen gilt ein gewisses Faustrecht. Es ist nicht unser Ziel, kapitalistische Unternehmungen und das Groß— kapital an sich agusschalten zu wollen, sondern unser Ziel ist, die typischen Fehler des Großkapitals aufzuheben, die eben in der Auzübung des Faustrechts, in der Zerstörung des Schwächeren, liegen. Es ist die höchste Zeit, einzugreiten und die Vernichtung des Mittelstandes zu hindern. Man muß Bedacht darauf nehmen, die. Eisenbahntarife heraufzusetzen, die für Kleie könnten un verändert bleiben, denn diese dient als Futtermittel und ist ein geringeres Produkt. Wir produzieren in Deutschland das Rohmaterial für die Mühlen zur Genüge in allen Gegenden. Darum hat es keinen Zweck, daß diej nigen, die dieses Matersal ver— arbeiten wollen, sich an der Peripherie des Reiches festsetzen, zumal auch der Verbrauchsort nicht dort ist. Die Großmühlen sind gar nicht darauf eingerichtet, inländisches Getreide zu verarbeiten, fondern können nur solches aufnehmen, das auf Schiffen ankommt. Die Volksernährung wird gerade in dem wichtigsten Moment gefährdet und damit die Verteidigungefähigkeit des Landes beeinträchtigt. Eng land ist gerade genötigt, selne Flotte auszubauen, weil es seine Nah—= rungsmittel aus dem Auslande bezlehen muß. Auf der einen Seite die Einfuhr von Getreide durch die Großmühlen zu fördern und auf der anderen Seite die Ausfuhr des Getreides nicht zugeben zu wollen, ist ein ungeheurer Wider sinn. Schränkt man diese Einfuhr ein, so wird eine nicht gerechtfertigte Ausfuhr von selbst unterbleiben. Man hat ausgerechnet, daß drei Großmühlen für ganz Preußen genügen würden. Wir können daber nicht mehr Halt machen vor der Idee, daß keine Maßnahmen getréffen werden dürfen, welche die Gewerbefreiheit einschränken; gewisse Zwangsmaßnahmen müssen getroffen werden, wie ja denn unsere Gewerbeordnung auch keines— wegs eine schrankenlose Gewerbefreiheit statuiert. Die Einrichtung neuer Großmühlen und die Ausdehnung der schon bestehenden muß erschwert werden; nur dadurch verschafft man den mittleren und kleinen Mühlen wieder Luft und Lebenfähigkeit. Auf die Peisgestaltung des Mehls würde durch die Umsatzsteuer und ihre Staffelung kein Ginfluß ausgeübt werden; der Bruchteil eines Pfennigs, der auf das Kllo— gramm entfi'le, würde absolut außer Betracht bleiben. Nähme dat Reich die Einnahme daraus für die Erhöhung der Beamtenge hälter, so würde dem Einwand, daß hier ir. endwem ein Unrecht zugefügt werden solle, jeder Boden entjogen. Auch unser Antrag ist ein wichtiger Bestandteil einer richtigen Mittelstandspolitik.
Abg. Neuner (nl): Die Mühlenumsatzsteuer ist eine seit vielen Jahren erhobene Forderung, die mehr und mehr an Boden gewinnt. Auch der deutsche Müllerverband hat sie aufgenommen; zahlreiche Petitionen, hauptsächlich von deutschen Windmüllern, verlangen, daß der Reichstag sie zu der seinigen macht. Allerdings haben diese Petitionen auch Gegenpetitionen nach sich gezogen. Für den Kenner der Verhältnisse ist es zweifellos, daß die Windmüllerei sich in einer Notlage hefindet. Geht die Aufsaugung im bisherigen Maß— stabe weiter, so müßte schließlich eine Syndizierung der ganzen Branche eintreten. Am schlimmsten leiden nicht sowohl die kleinen, als vielmehr die mittleren Betriebe unter der Großkonkurrenij. Bayern führte eine Uasatzsteuer ein in, der Voraussztzung, daß die anderen Bundesstaaten seinem Bei⸗ spiele folgen würden. Das ist aber nicht geschehen, und die bayerische Steuer blieb wirkungsloz. Anders kann es nur werden, wenn das Reich die Maßregel allgemein durchführt. Auf dem Wasserwege kommt den Großmühlen das ausländische Getreide zu unglaublich billigen Frachtsätzen zu. Ich beantrage die Einsetzung einer Kom— mission von 21 Mitgliedern für beide Anträge. In die Finanz- hoheit der Einzelngaten wird mit der verlangten Reichssteuer nicht eingegriffen; die Frage der Verwendung des Ertrages sollte offen gelassen werden. Der Müller ist jweifelloz der beste Abnehmer des einheimlschen Getreides; die Großmühlen berarbeiten in der Hauptsache ausländisches Getresde. Geht durch die Reduzierung der Binnenmühlen der Getreideanbau zurück, so muß auch aus diesem Giunde dieser Reduzierung entgegen⸗ gearbeitet werden, und dazu ist die staffelfsrmige Umsatzsteuer für die Großmühlenbetriebe ein geeignetes Mitiel. Auerdings wird auch eine Verbesserung der Tariflerung der Elsenbahnfrachten hinzuzutreien haben, insoesondere hinsichtl ch der Kleie. Heute werden Mebl und Kleie bllliger al Getreide verfrachtet. Cin bejüglicher Antrag Bayerns und Württembergs hat bisher leider bei der Tarifkonferenz keine Berücksihtigung gefunden. Ueber das Resultat der darüber gepflozenen Erhebungen bören wir vielleicht heule etwas von seiten des Bundesrats. Ein sehr großer Teil meiner Freunde wird dem Antrage Speck justimmen; ein anderer Teil steht auf anderem Stant punkt, der durch den Abg. Haußmann zum Augdruck ge— langen wird.
Direktor im Reichsschatzamt Kühn: Die statistischen Erhebungen des Reicheschatzamses über das Müllereigewerbe sind angestellt worden für die Zeit von 1885 bis 1505. Ihr Ergebnis ist folgende: bei den ganz kleinen Beirseben bis ju 500 t Jahreß— vermablung ist eingetreten ein Rückgang um 5536 Hetrieke oder 11,8 o/ 9. bei den kleinen Betrieben von 500 — 4500 t um 121 oder 33 09 Bei den mittleren Betrieben von 4500— 30 000 t jeigt sich eine Zunahme um 161 oder Hi,4 0; bet den großen von 30 000 – 90 000 t eine Zunahme um 25 oder 119 0; bei den ganz großen von mehr als go g900st um 5 oder 71 o. Bel etwa einem Drittel der ersten und mehr als der Hälfle der zweiten Giuppe ist die Betriebeinstellung die Folge der Umwandlung in
einen anderen Betrieb oder der Zerstörung der Anlage durch Brand usw.; bei zwei Drittel der erfien und etwas weniger als ber Hälfte der jweiten Gruppe wird sie se andere Gründe zurück-; geführt, als welche sowohl die, unerträgliche Konkurrenz durch die Großbetriebe als auch die Rückständigkeit der Einrichtungen angegeben werden. Das Abgeben der ländlichen Bevölkerung von der Gewohn— heit, ihr Getreide bei den benachbarten Mühlen vermahlen zu lassen, scheint allerdings auf den Rückgang einen wesentlichen Einfluß gehabt zu haben. Eine genauere Unterscheidung zwischen Lohnmühlen und Handelsmühlen war nicht zu erreichen; doch darf wohl angenommen werden, daß die ganz kleinen Betriebe bis zu 500 t fast ausschlleßlich Lohnmühlen sind. Es erscheint also ein erheblicher Rückgang nur bei den ganz kleinen Mühlen; bei der nächsten Gruppe ist er schoa geringfügig; eine Zunahme ift nicht bloß bei den großen und ganz se, , sondern auch bei den mittleren erfolgt. Die Erhebungen sind noch nicht abgeschloffen, sie werden vlelmehr noch fortgesetzt, und es läßt sich daher zurzeit eine entscheldinde Stellung zu der aufgeworfenen Frage noch nicht nehmen.
Bayerischer Staatsrat Ritter von Burkhard: Die bayerische Regierung hat immer auf dem Standpunkte gestanden, den Mütel.— stand zu unterstützen und allen gesetzberischen Maßnahmen zuzustimmen, welche die Aufsaugung von Kleinbetrieben hemmen; sie hält diese Aufsaugung für eine Gefahr, der sie mit entgegentreten wird, wenn es geschehen kann, ohne das Prinzip der Gewerbefreiheit zu durch. brechen. Das kann aber nicht geschehen nur in einem Telle eines jusammenhängenden Wirtschaftsgebiets, denn sonst würde die Industrie aus dem Teile, wo sie zu stark belastet ist, auswandern. Die bayerische Regierung ist geneigt, der Frage näherzutreten unter der Vorauzgsetzung, daß kein Eingriff in die Rechte der Einzelstaaten erfolgt, daß der bisherige Ertrag der Steuer dem Einzelstaat belassen bleibt, und daß die Steuer nicht so auggebildet werden darf, daß sie zu einer speziellen Einkommens⸗ oder Ertragsteuer wird. Es wird sich ja in der Kommissionsberatung, die bereit beantragt ist, herauz— stellen, ob es möglich ist, dem Gedanken unter dieser dreifachen Vor= autsetzung näherzutreten.
Abg. Kaempf (fr. Vollsp.): Die Mltteilungen des Direktors Kühn sind entscheldend für die Beurteilung dieser Frage. Die über— wiegende Mehrzahl aller Handelsvertretungen hat sich gegen die Ein— führung einer solchen Steuer ausgesprochen. Ich bin gegen jede Um— satzsteuer, mag sie für ein Handelsgewerbe oder für ein gewerbliches Unternehmen eingeführt werden. In der Industrie hemmt jede Um— satzsteuer den technischen Fortschritt zum Schaden der Volkswirt— schaft des ganzen Relcht. Wollen Sie alle großen Betriebe besteuern, weil sie Großbetriebe sind, so dürfen Sie keine Ausnahme machen Die Einführung der Warenhaussteuer hat jedenfalls vollständig ihren Zwick verfehlt und dem Mittelstande nicht geholfen. Der Äbg. Roesicke sagte, die Großmüllerei tue weiter nichts, als was der Groß— kapitalismus überhaupt tue, die Ausübung des Faustrechts. Zweck der Müllerei ist doch, billiges Mehl und infolgedessen billiges Brot für das Volk zu schaffen. Wo liegt da das Faustrecht, wenn diejenigen, die die nötige Tatkraft und Einsicht haben, sich für den Betrieb ihres Unternehmens den besten Platz aussuchen? Der Abg. Neuner hat selbst anerkannt, daß die Mühlen sich zu dem Platz hinziehen, wo sie am besten in der Lage sind, ihr Unternehmen zu betreiben. Ein solches Bestreben sollte nicht gesetzgeberisch unterbunden werden. Der Rückgang der Zahl der kleinen und mittleren Müllereibetrtebe ist ja eine Tatsache. Diese Tatsache ist bedauerlich. Man darf aber nicht eine Maßregel, die sich sonst nicht bewährt hat, auf ein anderes Gebiet übertragen. Deshalb verzichten wir darauf, der Müllerei vor- zuerzählen, daß ihr durch den Antrag genützt wird. Wir sind berelt, den kleinen Müllern auf anderem Wege ju helfen Den Lohnmühlen wird nicht mehr gebolfen werden können, seitdem die Landwirtschaft das Getreide verkauft und Futtermit el kauft. Es bleiben nur die kleinen und mittleren Mühlen, die uns hier zu beschästigen haben. Die Erfahrung lehrt, daß die kleineren Betriebe immer mehr zu größeren Betrieben übergehen, weil die Massenproduktion die Herstellungskosten verbilligt. Dieser Zug zum Großbetriebe ist elne natürliche, allgemeine Entwicklung, der wir nach keiner Richtung einen Stein in den Weg legen wollen. Die Mühlenindustrie ist auf die Mischung einheimischen und ausländischen Getreides im Interesse des Geschmacks angewiesen, und dazu sind in der Hauptsache nur die großen Mühlen in der Lage. Auch im Falle eines Krieges können nur die großen Betriebe dauernd ihren Betrieb aufrecht erhalten und große Quantitäten Mehl zur Verfügung stellen Von einem Mehlring sind wir sehr weit entfernt, das bewelsen die Zahlen des Direktors im Reichsschatzamt. An Getreide und Mehl werden wir keinen Mangel haben, wenn nicht känstlich der Getreide- export begünstigt wird. Ein weiterer Vorteil der Großmüllerei be steht auch darin, daß eine kürzere Arbeitsjeit besteht, abgesehen von den besseren hygienischen Einrichtungen dieser Betriebe. Alle Umsatzsteuern helfen den kleinen Betrieben nicht. Die großen Mühlen können eine solche Steuer überhaupt nicht tragen. Die Steuersätze, die der Abg. Roesicke vorgeschlagen hat, würden schließlich zu einer Erdrosselung der Großmühlen führen. Der ganze Zweck der Steuer kann doch nur sein, daß die klesnen und mittleren Mühlen die Möglichkeit haben, an dem Mehl einen größeren Gewinn zu machen, als dies gegenwärtig geschleht. Damit ist notwendigerweise eine Verteuerung des Mehls verbunden. Den selben Zweck würden auch die Schliffahrtsabgaben haben. Das Ge— werbe kann die höheren Lasten nur tragen, wenn es sich frei ent⸗ wickeln kann. Nur billige Lebensbedingungen helfen dem Mitielstande, nicht solche, die sie ihm verteuern, wie der Antrag Speck.
Abg. Freiherr von Gamp (Rp.): Im Gegensatz zum Vorredner bin ich der Meinung, daß nicht die großen, sondern die kleinen und mittleren Betriebe billiges Brot ermöglichen. Die Masuren z. B. erhalten ihr Mehl aus den kleinen Mühlen viel billiger, als wenn sie es von Königsberg kommen lassen. Entscheidend ist der Wert der kleinen Mühlen für die kleinen Landwirte und die Arbeiter. Würden die kleinen Mühlen eingehen, so wäre der kleine Bauer genötigt, sein Getreide in die Stadt zu schicken; er würde dem Zwischen händler in die Hände fallen und 1 4 am Zentner verlieren. Der Arbeiter, der Naturallohn erhält, läßt jetzt in der Mühle sein Getreide mahlen. Müßte er sein Mehl aus den großen Handele— städten beziehen, so würde er sein Brot um 20 bis 30 0, teurer bezahlen. Dle Foitschritte der Technik wollen wir gewiß nicht hemmen, aber bei den Mühlen läßt sich das Prinzip der Gewerbefreiheit und Konkurrenz allein nicht in den Vordergrund stellen. Dle Inter— essen der ganzen Volksernährung sind doch wichtiger, als die Be—⸗ lastung einer einjelnen Gruppe. Wir sind geneigt, einer Besteuerung der Großmüblen unter gewissen Bedingungen zuzustimmen. Dabei ist der Gedanke der Kontingentierung nicht von der Hand zu weisen, die sich bei der Branntweinsteuer durchaus bewährt hat. Kein einziger landwirtschaftlicher Betrieb ist unter dieser Differenzierung der Steuer⸗ if. zu Grunde gegangen. Jedenfalls muß die Frage noch sehr ein⸗ gehend erörtert werden. Die Regierung möchte ich bitten, die Er⸗ hebungen namentlich über die Lohnmüllerei fortzusetzen. Hoffentlich gelingt es, diese schwlerige Frage zu einem für die kleinen Müllereien befriedigenden Ergebnis zu führen.
Abg. Stauffer (wirtsch. Vgg.): Wir wünschen, daß die großen Mühlen neben den kleinen existensfähig bleiben; es handelt sich nur darum, einem Betriebe die Ex stenzmöglichkeit zu erhalten. Dle eigentliche Ursache des Rückgangs der Müllerei ist gerade wie beim Rückgang in der Landwirtschaft eine plötzlich auf das Deutsche Reich hereingestürmte Ueberproduitlon; dag Hereinkommen außer⸗ ordentlich großer Massen von Getreide hat sowohl die deutsche Landwirtschaft als die deutsche Müllerei unvorbereitet ge—= troffen. Die Müllerei hätte sich frühzeitig zusammen⸗ schließen können. Statt dessen aber mußten alle Mühlen, um die außerordentlich großen Massen verarbeiten zu können, sich vergrößern. Das war gut, solange die 1. schlank abgenommen wurde. Dann aber mußten sie elnen unerbittlichen rücksichtglosen Kampf um ihre Existenz gegeneinander führen, in dem natürlich die siegten, die über die größeren Kapitalien und die größere Intelligen verfügten. Zu begrüßen ist, daß der König von Itallen auf Anregung eines Amerblkanert ein internatlonales Getreidepreignotierungs⸗
bureau mit dem Sitz in Rom eingerichtet hat, damit dort der Ge— ,, der Ernte festgestellt und er je nach dem Bedarf, der ja ür die einzelnen Länder bekannt ist, nach diesen hingeleitet wird. Für uns ist das Gebotene zunächst die Kontingentierung der Mühlen und dann die Staffelung der Umsatzsteuer.
Hierauf vertagt sich das Haus.
Der Präsident schlägt vor, die nächste Sitzung am Dienstag, den 11. Mai abzuhalten.
Abg. Bassermann (inl.) bittet, sie erst auf Mittwoch anzu— y . und dann bis zum Himmelfahrtgtage jeden Tag Sitzungen zu halten.
Abg. Freiherr von Gamp (Rp) schließt sich an. Ob man aber die ganze nächste Woche und bis in die übernächste Woche im Plenum arbeiten werde, hänge davon ab, wie sich die Arbeiten in der Finanz— kommission gestalteten.
Präsident Graf zu Stolberg setzt die nächste Sitzung, da es dem Wunsche der Mehrheit zu entsprechen scheine, auf Mittwoch, den 12. Mai, 2 Uhr fest. (Fortsetzung der heutigen Beratung.)
Schluß 6 Uhr.
Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 81. Sitzung vom 6. Mai 1909, Vormittage 11 Uhr. (Bericht von Wolff Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus setzt die zweite Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Me dizinalangelegenheiten und zwar die allgemeine Besprechung des Elementarunterrichtswesens fort.
Zu diesem Kapitel liegen vor: 1) der Antrag der Abgg. Schiffer (ul.) und Genossen, betreffend Zulassung der Volksschullehrer zum Schöffenamt, dessen Ablehnung die Unterrichtskommission beantragt, 2) der Antrag des Abg. Dr. Gottschalk⸗Solingen (nl), betreffend gesetzliche Regelung der Schulpflicht, 3) zwei Anträge der Abgg.
von Brandenstein und von Kessel (kons.) sowie der Abgg.
Cassel (fr. Volksp. und Dr. Pachnicke lfr. Vgg,), nach deren erstem die Regierung ersucht werden soll, für Au sbildung und Heranziehung von weiblichen Lehrkräften für den Elementarunterricht in weit stärkerem Maße als bisher Sorge zu tragen, insbesondere auch eine wesent— liche Vermehrung der staatlichen Lehrerinnen— seminare herbeizuführen, während der zweite Antrag eine ausreichende Ausbildung und Heranziehung weiblicher Lehrkräfte und eine Vermehrung der staatlichen Lehrerinnen⸗ seminare in weit stärkerem Maße als bisher wünscht.
Abg. Dr. Sche pp (fr. Volksp.): Ich bin dafür, daß den Volks. schullehrern der Weg zur Universität geöffnet werden muß. Eg wäre zu wünschen, daß für die Volksschullehrer, die sich zum Abiturlenten— examen melden, die Bedingungen erleichtert würden. Mit der Schaffung der neuen 19 Kreisschulinspektorstellen im Hauptamt sind wir selbstverständlich einverstanden, diese Zahl halten wir noch für viel zu gering. Ein Geistlicher kann einen solchen Posten im Nebenamt, nicht ausfüllen. Die Kirche ist nicht die Mutter der Volkeschule, sondern ihre Stiefmutter. Gerade die Geistlichkeit versuchte seinerzeit, den Volksschulen das Leben so sauer wie möglich zu machen; sie fand sich erst mit ihnen ab, als die Schule ein Drittel des Schulgeldes an sie abführte. Heute hat die Volksschule nicht mehr nötig. am Gängelband der Kirche zu gehen. Damit ist aber nicht gesagt, daß der Religtonsunterricht aus der Schule entfernt werden soll; der Religiontunterricht ist das beste Mittel, um das Gemüt aus— zubilden. Die Entfernung des Religionsunterrichtz aus der Schule würde nur eine Kapitulation des Staates vor der Kirche bedeuten, die dann den Religionsunterricht allein erteilen würde. Bedenken haben wir allerdings beim Religionsunterricht gegen die Uebermenge des MemorierstoffJ. Anzuerkennen ist, daß eine neuerliche Ministerialanweisung den Memorlerstoff, das Auswendiglernen von Bibelsprüchen usw. einzuengen versucht hat. Verschwinden müssen Sachen, die für die rellgiöse Erziehung keine Bedeutung haben, sogar Stöcker hat sich in diesem Sinne ausgesprochen. Es sollte auch eine Schulbibel eingeführt werden, die bestimmte Stellen nicht ent⸗ hält. Ueber die Erfolge des Moralunterrichts in Frankreich ist man geteilter Meinung. Ethische Belehrung kann im Religions- und Geschichtsunterricht unaufdringlich erteilt werden. Auch auf den Königlichen Seminaren müßte der Religiontunterricht völlig um— gestaltet werden. In Westfalen wurden seinerzeit Lehrer beurlaubt, um an den Lehrkursen teilzunehmen, die von orthodoxer Seite ver⸗ anstaltet wurden. Als aber die Vereinigung für evangelische Freiheit ebenfalls einen Kursus veranstaltete, da wurde von der Regierung zu Arnsberg den Lehrern die Teilnahme untersagt. Es wird in der Tat vielfach mit zweierlekl Maß gemessen. Im vorigen Jahre ist auf die Verfügung der Regierung zu Liegnitz gegenüber der Gesellschaft zur Verbreitung von Volkgzbildung hingewiesen worden. In einer amtlichen Empfehlung von Schriften ist jetzt wiederum die Ge⸗ sellschaft zur Veibreitung von Volksbildung übergangen worden. Der Turnunterricht wird in den Landschulen im Sommer meist im Freien erteilt, im Winter fällt aber oft der Turnunterricht ganz aus, weil kein Raum dazu vorhanden ist. Es sind vom Oberturnlehrer Schmaler Uebungen aus dem schwedischen Turnen zusammengestellt worden, die geeignet sind, in den Schulzimmern selbst vorgenommen zu werden, und er hat damit im Regierungsbezirk Minden gute Erfolge erzielt. Das schwedische Turnen ist lange Zeit bei ung miß⸗ fällig angesehen worden, aber es dient namentlich für eine gute Körper— bastung. Unser deutsches Gipfelturnen hat dazu beigetragen, die Schultern nach vorn zusammenzujteben, weil auf die Rückenmuskulatur nicht Wert genug gelegt wurde. — Die Hllfsschulen für schwachbe ähigte Kinder haben sich in den Städten gut entwickelt, die Regierung sollte die Errichtung solcher Schulen auch auf dem Lande im Auge behalten. Die Provinz Westfalen stand bisher an der Sp! e in bezug auf den leichen Schulbesuch der Unterstufe durch die reicheren und ärmeren erf Der Bürgermelster von Hörde hat jetzt aber leider erklärt, die Errichtung einer Vorschule in Hörde ist ein Akt sozlaler Ge— rechtigkeit. Im Gegenteil, die Beseitigung aller Vorschulen wäre ein Akt sozialer Gerechtigkeit. Statt in der Vorschule sollte all⸗ gemein der erste Unterricht in der Volksschule stattfinden.
Abg. Stychel (Pole): Ver Antrag Schiffer ist uns nicht sym⸗ pathisch. Dem Antrage Gottschalk stimmen wir in seinem zweiten Teile zu; wir wünschen, daß die Strafbarkeit und die Höhe der Strafe bei Schulversäumnissen nicht dem persönlichen SEr— messen der nachgegrdneten Behörden überlassen wird. Es sind Strafen für Schulversäumnisse erhoben mit der Begründung, die Kinder seien geistesabwesend gewesen. Die Regierung will keine polnischen Lehrer haben, es wird ihnen unmöglich gemacht, ihre Bürgerrechte auszuüben, sie werden in jeder Weise terrorisiert, sie dürfen aug polnischen Stiftungen keine Stipendien erhalten, sie müssen ihre Muttersprache verleugnen, ja man verlangt von ihnen Splonagedlenste, und die deutschen Lehrer werden in leder Weise bevorzugt, und weil die deutschen Lehrer überwiegend Protestanten sind, so mangelt es im Osten auch an katholischen Lehrern. Es mangelt auch an katholischen Lehrerseminaren, während evangelische Lehrerseminare im Uebermaße vorhanden sind. Unter Vorspiegelung von billiger Lebenghaltung und hoher Bezahlung läßt die Reglerung katholische Lehrer aug dem Westen kommen, die natür⸗ Iich kein Wort Polnisch verstehen. So kommt eg, daß dort oft Lehrer
evangelischen Osten. Die
Ministerialdirektor D. Schwartz kopff: Die Unterrichts verwaltung wird den heutigen Anregungen die erforderlsche Beachtung schenken, ich kann, aber nicht auf. alle technischen Details ein“ gehen. Die Ausführungen des Abg. Stychel waren nicht neu, wir haben über diese Fragen in jedem Jahre debattiert, und wie der Abg. Stychel die Regierung von feinem Standpunkt nicht überzeugt hat, so werde auch ich ihn ju anderer Auffassung nicht bekehren können. Eoangelische Zwergschulen müssen wir errichten, um die in der Masse der polnischen Bevölkerung verstreute deutsche Bevölkerung in ihrer nationalen Existenz zu erhalten. Dazu haben sich auch bie Zwerg⸗ schulen bewährt, und wir werden sie nicht aufgeben. Damit sst ver— einbar, daß wir für die katholische Bevölkerung polnischer Ratio— nalität weiter nach Bedürfnis Schulen einrichten. Das geschieht auch wirklich. 1870 betrug die Zahl der katholischen Lehrerstellen nur 1615, von denen 116 vakant waren, heute ist die Zahl auf 3839 gestiegen, von denen nur 91 vakant sind. Die Regierung bemüht sich dafür im Rahmen der vorhandenen Müttel, und wir haben gerade besonders reiche Mittel in diese Landesteile geworfen. Kaum ein anderer Landesteil hat so reiche Staatsmittel zur Ver besserung der Schule erhalten. Wenn mehr evangelische Seminare errichtet sind in der Provinz Posen, als der Zusammensetzung der Bevölkerung entspricht, so haben wir eben die katholischen Seminare mit Anwärtern aus der Provinz nicht füllen können. Die polnische Presse redet ja der Bevölkerung ab, ihre Kinder Lehrer werden ju lassen. Daher sind in den katholischen Lehrerseminaren nicht genug Zöglinge, wir mußten Präparanden aus dem Westen zur Füllung der Seminare in Posen verwenden. Darum hat es keinen Zweck, weitere Seminare in Posen zu errichten. Die Lehrer jum Spionagedienst gegen die Geistlichen zu verwenden, lehnt die Regierung durchaus ab, dagegen treiben die Polen solche Spionage, und ich lese oft die Anzeige gegen einen Geistlichen, daß er bei einem Deutschen ge— kauft hat usm. Eine Verfügung, daß fatholisch, polnische Lehrer nicht erste Lehrerstellen erhalten sollen, existiert nicht, wir denken nicht daran, Lehrer wegen ihrer polnischen Nationalität vom Apancement auszuschließen, wir verlangen nur, daß sie treue, zuverlässige Anhänger des preußischen Staates und des Königs seien und ihre Pflicht tun. Wenn in der Stadt Posen relativ mehr evangelische Lehrer vor— handen sind, als der preußischen Bevölkerung entspricht, so heißt es: ultra posse nemo, obligatur. Wenn nicht ge— nügend polnisches Material kommt, müssen wir zur Aushilfe greifen. In der Unterrichtsmethode ist nichts Neues, eine fremde Sprache — das ist das Deutsche für die P&len — kann man nicht im Wege der Uebersetzung genügend lehren, das bringen auch die höheren Schulen beim Französischen und Englischen nicht fertig. Wenn wir zweisprachigen Unterricht geben wollen, müssen wir auch zweisprachige Seminare haben, und dann brauchen wir auch eine zweisprachige Aufsicht, und das hieße schließlich die deutsche katholische Bevölkerung jugunsten der polnisch⸗katholischen zu⸗ rückstellen. Sie reden immer nur von der polnisch katho⸗ lischen Bevölkerung, wo bleibt dann die deuisch katholische? Namentlich im Bromberger Bezirk sitzen deutsche und polnische Kinder auf derselben Schulbank, und wir müssen die deutschen vor der Polonisierung bewahren. Wir hatten ja vor 1873 das Polnische als Unterrichtssprache in der Volkeschule, das Ergebnis war, daß die polnischen Kinder nicht Deutsch lernten, und daß die deutsch katholischen Kinder polnisch wurden. Es bleibt uns deshalb nichts Anderes übrig als die deutsche Unterrichts sprache. Der Abg. Stychel sollte nur dafür sorgen, daß der Widerstand der Bebölkerung gegen die deutsche Volksschule zurücktritt. Die Unterrichtsverwaltung gibt sich die größte Mühe, gerade der pol nischen Bevölkerung vorwärts zu belfen. (Ruf bei den Polen: Religion in der Unterstufe) Dle Differenz darin ist nur, daß Sie die Versügung von 1873 dabin auslegen, daß auch in gemischten Gegenden nur polnischer Religionsunterricht erteit werden soll, während die Verfügung davon ausgeht, daß der polnische Religions⸗ unterricht da erteilt wird, wo nicht vorher schon das Deutsche die Unterrichtssprache war. Es ist feststehender Grundsatz: eine einmal deutsche Schule bleibt deutsch. Wir können unmöglich in West⸗— falen in den deutschen Schulen die polnische Unterrichtssprache ein—⸗ führen, weil sie zu über 75 0 mit polnischen Kindern . sind. Wer in eine deutsche Schule kommt, muß sich damit ab— finden. Die Ausführungen des Abg. Schepp über die Verwendung der Bibel und des Katechigmus teilt die Regierung nur zum Teil. Eine unparitätische Behandlung liegt nicht vor. Die Regierung in Minden hat allerdings einer Vereinigung von Lehrern, die Religions—⸗ kurse veranstalten wollten, den Urlaub während der Schulzeit für diese Kurse versagt. Wir veranstalten schon von Aufsichts wegen so viele Kurse zur Fortbildung aller Art, daß eine weitere Ver⸗ mehrung durch private Veranstaltungen, für die der Unterricht aus- fallen müßte, nicht wünschenswert ist. Die Unterrichtsverwaltung hat das Verhalten der Regierung in Minden gebilligt; es wird nun auch kein Urlaub mehr genehmigt für Kunse, die von anderer Seite stattfinden. Einen brauchbaren Katalog aller Bücher, die sich für die Volksbibliotheken eignen, aufjustellen, bat seinerzeit der Ministerial direktor Kügler versucht, aber er sah schließlich ein, daß diese Auf— gabe von der Ministerlalinstanz nicht zu lösen ist, denn die Literatur wächst fortwährend. Dagegen hat der Minister zugelassen, daß von Interessentenvereinigungen Bücherverijeichnisse vorgelegt werden, die, wenn sie geeignet sind, den Oberpräsiden ten empfohlen werden. Auch die Bücherverzeichnisse des Volksbildungebereins haben dazu gehört. Im vorigen Jahre hat dagegen der Minister den neuen Katalog dieses Vereins für Voltsbibliotheken nicht als geeignet angesehen. Das hat aber keine Spltze gegen den Verein, sondern eg bleibt ihm überlassen, einen neuen Katalog einzureichen. Dem Abg. Borgmann gegenüber weise ich darauf hin, daß die von ihm bemängelte Ueberfüllung der Klassen doch bedeutende Verbesserungen erfahren hat. 1871 waren in jeder Volkeschulklasse 83 Kinder, 1878 71 Kinder, 1896 59 Kinder, 1906 53 Kinder. Was die Verfügung angeht, wonach Len sogenannten freien Turnverelnen die Benutzung der städtischen. Turnhallen verboten ist, so ist ts ja allgemein bekannt, daß seitens der Sozialdemokratie sehr energische Anstrengungen gemacht werden, um die Jugend unseres Volkes auch duich solche Turnvereine zu ihren Bestrebungen heranzullehen. Wir wollen den Arbeitern das Turnen an sich durchaus nicht verbieten, aber wohin führt es, wenn dabei aus dem sozialdemokratischen Turn liederbuch Lieder gesungen werden, wie etwa dieses:
Wer nur den lieben Goft läßt walten
und zahlet Steuern allezeit,
dem wird er wunderbar erhalten
die Gunst der hohen Obrigkeit! (Abg. Hoffmann (Son) rust: Sehr bübsch! Lebhafte Pfulrufe rechts, die sich verstärken, alt der Ministecialdircksor ein welteres Lied vor⸗ liest, in dem es heißt: Das alte Lied, das dumme Lied, dag Lied von der deutschen Treue.) Wir werden gegen derartige Bestrebungen stets mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln einschreiten.
Abg. Ernst (fr. Vgg) verteidigt den ehemaligen Eechrer Tews gegen den gestrigen Angriff des Abg. Heß. daß Tews der Volksschule den Charakter der christlichen Schule nehmen wolle. Tews sel ein tlefreligiöser Mann. — Der Minifter Holle babe es in der kuren Zelt seiner Tätigkeit verstanden, sich die ungeteilte hohe Sympathie
der preußischen Volkeschullehrerschaft zu erwerben. — Der Redner teitt dann für die Einheitgschule ein, die Vorschulen müßten fallen, wie das in Westfalen längst geschehen sei. Sodann wendet er sich dagegen, daß man Lehrer diszipliniert habe, weil sie mit Sozialdemokraten an einem Tisch gesessen hätten; die Mitglieder des Haufes säßen doch auch hier mit. Sozialdemokraten jusammen. Etz dũrfe keine iesinnungsschnüffelel gegen die Lehrer getrieben werden, wie sie die Meßregelung von Lehrern in den Fällen Judg, Kimpel, Brandau usw. zeige. Der Redner führt schließlich darüber Klage, daß die seminaristisch gebildeten Lehrer bei der Besetzung von Direktorenstellen bet den , . usw. hinter den akademischen Oberlehrern zurückgesetzt
n.
Ministerialdirektor D. Schwartzkopff: Daß die eminaristi gebildeten Lehrer schlechter behandelt werden als 3. nia en e ] unrichtig. Es sind gerade in den letzten Jahren Kreisschulinspektionen mit seminaristischen Lehrern besetzt worden, und dasselbe gilt für die Stellen der Seminardirektoren. Die Unterrichtz verwaltung sieht vor allen Dingen darauf, tüchtige Männer in die Siellen zu bringen, ohne Rücksicht auf die Vorbildung. Auch die Behauptung, daß Lehrer wegen freisinn ger Gesinnung gemaßregelt seien, steht mit den Tatsachen absolut im Widerspruch. Ich bitte den Abg. Ernst, wenn er diese Behauptung aufstellt, die Beweise dafür zu erbringen. Die beiden Fälle Juds und Hansen⸗Tönning sind gar nicht an das. Ministerium gelangt, man kann 'also von keiner Maßregelung durch die Unterrichts verwaltung sprechen. Sie denkt gar nicht daran, Lehrer, weil sie der freisinnigen Partei angehören, irgendwie zu maßregeln. Bei dem Falle der Lehrer Kimpef und Brandau⸗Fassel liegt die Sache ganz anders. Der Minister ⸗· präsident hat erklärt, daß es mit der Pflicht eines preußischen Staat. beamten nicht vereinbar ist, wenn er die Sozialdemokratie förder. Der Lehrer Kimpel hat das getan. Der Minister von Studt ist seinerzeit in Lehrerkreisen wegen des Schulunterhaltungsgefetzes heftig angegriffen worden, er ist aber gegen Kimpel nicht eingeschritten, denn er wollte keinen Märtyrer unter den Lehrern schaffen. Kimpel ist aber noch weiter gegangen und bat sich mit dem Führer der Frankfurter Soßialdemokraten Quarck zusammengetan, um eine AÄgitationg- versammlung gegen das Schulunterbaltungsgesetz jusammenzubringen. Dag ist für einen Lehrer, der die Pflichten des preußischen Staatz⸗ beamten hat, unzulässig. Der Fall ist von der Mnnisterialinstan; untersucht worden, und diese hat keine Remedur gegen die Bezirks⸗ regierung für angezeigt gehalten. Die Sozialdemokratie bemüht sich immer mehr, die Jugend zu ihren Jugendorganisationen heranzuziehen, und nimmt auch die Hilfe der Lehrer dafür in Anspruch. Deshalb sind solche Fälle anders zu behandeln, als diejenigen, wo es fich um die Betätigung freisinniger oder liberaler Ueberzeugung bandelt. Hier hat sich aber ein Lehrer mit der Sozialdemokratie jusammengefunden. Wir werden an unserer Stellung dagegen festhalten.
Darauf wird die Debatte geschlossen.
Abg. Dr. Schroeder ⸗Cassel (ul.) eiklärt, durch den Schluß der Debatte verhindert zu sein, den Fall Kimpel anders darzustellen.
Abg. von Brandenstein (kons.) erklärt, daß er auf Wunsch mehrerer Mitglieder, um auf seinen Antrag eine möglichst große Majorität zu bereinigen, ihn dahin ändern wolle, daß gesagt werde: in stärkerem Maße“ anstatt in weit stärkerem Maße..
Abg. Cassel ffr. Volksp.) bemerkt, daß er durch den Schluß der Debatte an der Erklärung verhindert sei, warum ihm der Antrag von Brandenstein auch in dieser Form nicht akzeptabel erscheine.
Der Antrag Gottschalk wird der Unterrichts kommission überwiesen. Der Antrag von Brandenstein wird an⸗ genommen. Damit ist der Antrag Cassel erledigt.
Nach 4 Uhr wird die weitere Beratung auf Abends 7Ise Uhr vertagt.
Abendsitzung vom 6. Mai 1909, 71, Uhr.
Das Haus setzt die zweite Beratung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten im Kapitel „Elementar⸗ schulwesen“ fort. .
Es wird zunächst der Antrag der Abg. Schiffer und Genossen (nl) erörtert, der die Zulassung der Lehrer zum Schöffenamt fordert. Die Kommission hat den Antrag abgelehnt.
Abg. Dr. Lohmann (ul.) begründet den Antrag. Nachdem in der Kommission alle Parteien sich im Prinzip dahin ausgesprochen hätten, daß die Lehrer für das Schöffenamt durchaus befähigt und geeignet seien, sei der Antrag eigentlich überflüssig.
Abg. Marx (Zentr.): Darum handelte es sich nicht; denn das stand niemals in Frage. Es fragt sich, ob eine wohlbegründete, durchaus nicht verletzende Ausnahme, die für viele Beamte besteht, aufgehoben werden soll, und dagegen sind wir.
Abg. Waldstein (fr. Vxzg.): Bei anderen Beamtenkategorien ist es möglich, sie für die Tätigkeit als Schöffe in ihrem Amte ju beurlauben. Warum sollte dies bei den Lehrern nicht auch der Fall sein? Eine verständige Praxis wird schon auf die Fälle Rücksicht nehmen, in denen der Lehrer wirklich unentbehrlich ist.
Abg. Lohmann (nl) zieht den Antrag zurück.
Bei dem Titel „Erhöhung des Unterstützungs fonds zur Förderung des Seminarpräparanden⸗ wesens“ wünscht
Abg. Dr. Glattfelter (Zentr) Aufbesserung der Lehrer an den Präparandenanstalten. Nur gute Lehrer sollten für diese Anstalten in Frage kommen. ;
Geheimer Oberregierungsrat Altmannz Auch uns erschelnt es als ein dringendes Erfordernis, nur die besseren Lehrkräfte für die Präparandien zu nehmen. Die Gehälter dieser Lehrer aufzubessern, sind wir bestrebt.
Bei dem Titel, Landesturnanstalt in Berlin“ drückt
Abg. von Schenckendorff (nl) seine Freude über den beab- sichtigten Neubau der Landesturnanstalt aus und dankt dafür, daß eine durchgreifende Reform in bezug auf die Ausbildung von Lehrern und Lehrerinnen an der Landesturnanftalt in Angriff genommen sei.
Abg. Dr. Heisig (Zentr.) tritt gleichfalls für eine Förderung des Turnspielwesens ein. .
Ministertaldirektor D. Schwartz kopff: Inwieweit für das Turnsplelwesen weitere Staatsmlttel bereit gestellt werden können, hängt von den Erfahrungen ab, die wir in den nächsten Jahren auf diesem Gebiete machen werden. ;
Bei dem Titel „Kreisschulinspektoren“ erklärt
Abg. Marx (Zentr.), daß seine Partei hauptamtliche Kreis= schulinspektoren bewsülige, soweit das Bedürfuig nachgewiesen sei. Im Prinzip aber balte sie an der geistlichen Schulaufsicht fest.
Ministerialdirektor B. Schwartzkop ff erganzt seine in der Tageg⸗
zung gemachten Ausführungen und erklärt, daß ebensowenig, wie frel⸗= tn Lehrer wegen ihrer volitischen Gesinnung gemaßregelt werden Lehrt gemaßregelt werden dürfen, wenn sie katholischen
Gtwaige Mißgriffe mißbillige die Unter ⸗
dürfen, katholische Lehrerbereinen angehören.
richte verwaltung. ö Abg. Caen Zentr) begründet einen Antrag, von den
19 neu geforderten hauptamtlichen Krelgschulinspektionen diejenige in
st zu ftreich mn. m = Dberregierungsrat Tilmann rechtfertigt die Forderung
dieser bauptamtlichen Kreisschulinspektion.
Wolff. Biebrich (nl) legt aus eigener Kenntnig der Ver . * ile n i a. n an fiche Krelgschul in spektlon in Höchst dar. . ;.
Der Antrag Cahensly wird gegen die Stimmen des Zentrums und der Polen abgelehnt. . Es folgt der Titel Höhere Mädchenschulen “‘. Mit diesem stehen zur Besprechung die Reform des höheren