1909.
(Nach den neuesten im Kaiserlichen Gesundheits
Vorbemerkungen I) Ein Punkt in einer Spalte der Uebersicht bedeutet, daß in der betreffenden Nachwe
Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungsmaßregeln. Tier seuchen im Auslande.
nach den vorliegenden Angaben nicht vorgekommen sind.
2) Die Bezeichnung „Gehöfte“ schließt ein: QNorwegen,) Best nde (Dänemark).
3) Die in der Uebersicht nicht aufgeführten wichtigeren Seuchen, wie Rinderpe
Ausbrüche (Großbritannien), Ställe, st, Rauschbrand, Wild⸗ und
seuche, Hämoglobinurie usw., sind in der Fußnote nachgewiefen.
ĩ amt eingegangenen amtlichen Nachweisungen.) isung eine Angabe für diese Spalte nicht enthalten ist; ein Strich bedeutet, daß Fälle der betreffenden Art
Weiden, Herden (Schweiz, und Frankreich, Besitzer (Luxemburg und Niederlande), Ställe Rinderseuche, Tollwut, Lungenseuche, Schafpocken, Geflůgelcholera, Hühnergest, Büffel⸗
Nr. 5 O.
eparte⸗ V,
uvernemente
2 X
Zeitangabe. Ge⸗
meinden
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ovinzen,
B ezirke
ebiete ꝛc.)
Staaten ꝛc.
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I1g9og.
Zahl der Võ ments
9
2
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Milzbrand
Gehöfte
Bezirke
Bezi rke
Maul⸗ und Klauenseuche
. meinden
Bezirke
18 8
8
Her encht.
Schafräude
Ge⸗ meinden
Ge⸗
Gehöfte ; Gehofte meinden
Gehöfte
Rotlauf der Schweinen)
. Schweineseuche (einschließlich Schweinepesth
Ge⸗
Bezirke ; Bezirke meinden
Gehöfte
Oesterreich ; 1 . Kroatien⸗Slavonien Serbien Bulgarien. Italien.
Schweiz
Großbritannien
16.11. 30.11. — November 13
November 1.
Luxemburg l , Norwegen. 2
Außerdem:
2 5 0
Rauschbrand: haupt verseucht; 3 Bez., 5 Geh. überhaupt verseucht. Oesterreich 11 Bez., 15 Gem., 16 haupt verseucht; Bulgarien a. 3 Be
Tollwut:
Oesterreich 4 Bez., 4 Gem., 5. Geh.
l 17. l
16
27 — 0 26 29 26
25 19 29 29
überhaupt
Italien 8 Bez., 9 Gem. überhaupt, 8 Geh.
Wöchentliche, bezw. ,
21
4
9
verseucht;
viermal
64
Halbmonatliche und mon
„Geh, überhaupt verseucht; Ungarn 50 Bez z., 3 Gem. neu verseucht; Italien 7 Bez.,
5
Ungarn neu verseucht; Sch
)
10
16
12
ö
Schafpocken: Ungarn 15 Bez., 94 Gem., 208 Geh. Überhaupt verseucht; Bulgarien 4.: . 121 —— . 7 r 5 2 n nn 29 DV Geflügelcholera: Oester reich 2 Bez., 2 Gem., 13 Geh. überhaupt verseucht; Ungarn 5
) Schweiz: Stäbchenrotlauf und Schweineseuche. — ) Serbien: Schweinepest; Großbritannien:
zwe
„219 Gem., überhaupt, 4
z., 5 Gem., Bez., 6 Gem., 21 Geh.
atliche Nachmeisungen.
2
ez, 7? Gem., 86 Geh. überhaupt 6
Schweinefieber;
im Monat erscheinende Nachweisungen. ;
J 20
9X. ö
233 Geh.
überhaupt
Nach wei sung über den Stand von Viehseuchen in Oesterreich⸗ Ungarn am 8. Dezember 1909. (GEroatien⸗Slavonien am 1. Dezember 1909.) (Auszug aus den amtlichen Wochenausweisen.!
,, . Maul Schweine ⸗ Rotlauf und pest de Klauen⸗ (Schweine⸗ . seuche seuche)
Zahl der verseuchten
Königreiche Rotz
und Länder Schweine
Komitate (K.) Stuhlrichterbezirke (St.) Munizipalstädte (M.)
Nr. des Sperrgebiets
Gemeinden Gemeinden
2 28
a. Oesterreich. Niederösterreich
)
—
. *
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3
Oberösterreich amn ö 1 Steiermark.
.
. Kärnten
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de = s de — & —.·¶ᷣᷣ 0
. Tüstenland . Tirol ..
Böhmen
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Mähren
Galizien
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d — S — D do DN —
d C * M
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ö. ; Bukowina Dalmatien
b. Ungarn.
K. Abauj Torna, M. Kaschau (Kassa) ... - K. Unterweißenburg (Also— Feh or) .
verseucht; Kroatien
Ftalien: Sch
(b, überhaupt verseucht; Kroatien-Slavo nien Geh. neu verseucht. b. 6 Bez., 17 Gem.
neu verseucht. verseucht.
jweineseuchen (allgemein).
2
ö ; ö Slaponien 2 Bez., 3 Gem., 3 Geh. über z. 3 Gem. neu verseucht; Schweden 4 Bez., 6 Geh. überhaupt verseucht; Norw egen
3 Bez., 7 Gem., 7 Geh. über⸗
ö
St ;
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23
St.
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St Arad, Borosjenö, Elek, Kisjenö, Péeska, Vilägos, M. Arad ; St. Borossebes, Nagyhal⸗ mägy, Radna, Ternova K. Arva, Liptau (Lipté), , . St. Bäüctsalmäs, Baja, Topolya, Zenta, Zo mbor, Stadt . M. Baja, Maria Theresiopel (Sza⸗ badka), Zombor
St. Apatin, Hödsäg, Kula, NUémetpalänka, Obecse, Titel, Neusatz (Ujpidéh), Zsablya, M. Ujpsdsk . K. Baranya, M. Fuͤnfkirchen (Pöcs) )...
K. Bartz, Hont, M
Selmecj sz Boͤlabanyaj
K.
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miklos,
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Berettyßujfalu
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Borsod Kronstadt
Sarrst.
⸗ (Brass o), Väromszék ....
Ermihälyfalva,
. 289 Sz6ole
ere Szalard, M. Großwardein (Nagy
St. Bel, Belsnyes, Ma—⸗ gyarcséke, Nagyszalonta, Tenke, Vasksh
Csanäd, Csongräd,
8 Gran
X
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(Komärom),
Stuhlweißenburg 6 z6kes⸗Fej rvär) . K. Fogaras, Hermannstadt
6
Szeben) 5 Gömör
aränsebes,
M aros⸗
(Esztergom), Komorn M. Györ,
(Györ),
38
Wieselburg
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zaitzen (
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Räczkeve, Staͤdte Nagykörös, Cze— glöd, M. Keeskem t
St. Abonyialss, Dunaveese,
Kalocsa, Kiskörös, Kis
kunfélegyhnza, Kunszent
Städte Kiskun—
halas, Kiskunfélegyhaza
Lengyeltéti, Marczali, Tab St. Bares, Esurgé, Ka— posbär, Nagyatad, Sziget⸗ vär, Stadt Kaposvär.
K. Szaboles K. Szatmär, M. Szatmaär⸗
Hoödmezöväsärhely, gedin (Szeged)
Sohl (361yom) K. Hajdu, M. (Debrerczen)
Deves K. Hunyad Jäaäsz⸗Nagykun-Szolnok . Kleinkokel (Kis⸗Küküllö), Großkokel (Nagy⸗Küküllö) K. Klausenburg (Kolozs), M. lausenburg (Kolozsvar) St. Bega, Bogsän, Faeset,
Debr
Lugos
Maros, Temes, Städte Karänsebes, Lugos . St. Bozovies, Jam, Mol— dopa, Oravicza, Orsova, Resicza, Teregova . . .. K. Märamaros Torda, Udvar helv, M. Marosvbäsärhely (Moson), Oedenburg (Sopron), M.
K. Neograd (Nögräd) . . . K. Neutra (Nyitra) . ... St. Bia, Gödölls, Pomäz, i zäücz), St St. Andrä (Szent Endre), icz, M. Budapest ..
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K. Säros
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(Schweineseuche) 145 (530), Rotl
Pferde und Lungenseuche des nicht aufgetreten.
K. Szolnok⸗Doboka . St. Buzisas, Központ, Lippa, Réökäs, Ujarad, Vinga, M. Temesvar St. Csäkova, Detta, Weiß—⸗ kirchen (Fehärtemplom), Kubin, Werschetz (Ver secz, Stadt Fehsrtem plom, M. Versecz .... Tolnan. . Thorenburg (Torda Aranyos) . — Csene, Großkikinda (Nagykikinda), Nagyszent⸗ mikls, Pärdäny, Per— jamos, Törökbecse, Török kanizsa, Hatzfeld (3som— bolva), Stadt Nagy kikinda i St. Alibunär, Antalfalva, Bänlak, Moödos, Groß beeskerek (Nagybeeskerek), Pancsova, Stadt Nagy beeskerek, Me. Pancsoba K. Trentschin (Trenesen) K. Ung, St. Homonna, Szinna, Sztropké . .. St Bodrogkoz, Gälszees Nagymihäly, Sätoral⸗ jaujhely, Szerenes d okaj, Varann é, Stadt Sätoral
(Köszeg), Németujvär Särvär, Steinamange (Szombathely), Städte Köszeg, Szombathely .. St Körmend, Olsnitz (Mu raszombat), Szentgott
K. Weszprim (Veszprem) St. Keszthely, Pacsa, Sü meg, Tapoleza, Zalae gerszeg, Zalaszentgröt, Stadt Zalaegerszeg r St. Als6lendva, Csäktor nya, Kanizsa, Letenye, No— va, Perlak, Stadt Groß kanizsa (Nagykanizsa) .. Kroatien⸗ Belovär⸗Körös, Va rasdin (Varasd), M. Va rasd
.Modrus⸗Fiume. Poisega J
K. Syrmien (Szerm), M. Semlin (Zimony).
k. Veröeze,
(Eszek).
t. Agram (Zägräb),
härd, Eisenburg (Vasbär) —
Zägräb .
a. in Oesterreich:
Klauenseuche — . Schweinepest auf der Schweine 62 (86).
Rotz 14 (14), Maul⸗ und
nien.
b. in Ungarn (ausschl. Kroatien⸗Slavonien): Retz 21 (25), Maul- und Klauenseuche — ), Schweinepest
Außerdem Pockenseuche der Schafe in
5, 12, 22, 235, 24, 25, 26. 28, 29, in 94 Gemeinden und 208 Gehöfter
Kroatien⸗Slavonien: Schweinepest (Schw
Rotz 4 (65), Schweine 15 (100). Pockenseuche der Schafe ist
Schweineseuche) 410 (1364), Rotlauf der Schweine 1418 (329)
den Sperrgebieten Nr. 2,
zi, 38, 18, zö, Hs,
jzusammen
eineseuche) 59 (570), Rotlauf
ist in Oesterreich, Rindviehs sind in Oesterreich und
Beschälseuche der ngarn
zum Deut
3 2933.
Dentscher Reichstag. 9. Sitzung vom 11. Dezember 1909, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Nach Genehmigung des schleunigen Antrags der Abgg. Albrecht und Genossen wegen Einstellung eines gegen den Abg. Kaden schwebenden Strafverfahrens setzt das Haus die erste Beratung des Reichshaushaltsetats und des Haushaltsetats für die Schutzgebiete auf das Rechnungsjahr 1910 fort.
Ueber den Anfang der Sitzung ist in der Nummer d. Bl. berichtet worden.
Abg. Liebermann von Sonnenberg (wirtsch. Vgg.) fortfahrend:; Dankenswert war die Erklärung des Reichs— kanzlers, daß niemals eine Parteiherrschaft bei uns zu stande kommen werde. Was der Abg. Wiemer in dieser
1
vorgestrigen
Beziehung gesagt hat, widerspricht der Verfassung. Im deutschen Ver— fassungsleben ist die Regierung verantwortlich, fie wird ernannt vom Kgiser und braucht nicht irgend einer Mehrheit zu weichen. Fürst Bülow war Kanzler durch Ernennung des Kaifers, und solange er das Vertrauen des Kaisers hatte, stand er fest, ob auch eine Mehr— heit des Hauses ihn in noch so stürmischer Form nach einer anderen Seite drängen wollte. Wir haben ihn nicht gestürzt. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) Ja, gerade von Ihrer Seite (zu den Sozial— demokraten) wird in der Oeffentlichkeit immer wieder behauptet, die fünf von uns, die gegen die Erbschaftssteuer gestimmt hätten, hätten ihn gestürzt. Der Abg. Wiemer kam mit einer Anklage gegen die Offiziers uniform des Kanzlers bei der Reichstagseröff nung. Die Sache war noch viel schlimmer, Herr Wiemer; es war eine blaue Dragoneruniform mit schwarzem Kragen, schwarz⸗blau, denken Sie, der neue schwarz-⸗blaue Block! (Große Heiterkeit; Ruf links: Fauler Witz) Auf solche faulen Ausführungen muß man mit faulen Witzen antworten. (Präsi dent: Ich nehme an, daß Sie, wenn Sie von faulen Witzen sprechen, keinen Abgeordneten meinen.! Nein, Herr Präsident, aber aus dem Hause wurde mir der Ausdruck zugerufen. Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist nur ein Schritt; solche Ausführungen wie die über die Uniform gehören nicht in das Haus und sollten von ernsthaften Ab⸗ geordneten nicht gemacht werden. Sehr bedauerlich ist, daß zahl— reiche Veteranen auf die Reichsbeihilfen noch weiter warten müssen. Daß der Etat sparsam aufgestellt ist, erkennen wir gern an. Dankbar haben wir des abgegangenen Kriegsministers, Generals bon Einem, zu gedenken, dessen Amtstätigkeit unsere Schlag— fertigkeit sehr gefördert hat. Dem neuen Kriegsminister wünschen wir, daß ihm gleiche Erfolge zu erringen beschieden sein mögen. Ueber die Marine haben wir uns bereits eingehend unterhalten. Eine Lehre aus dem Verlaufe des Kieler Prozesses sollten alle Ver— waltungen ziehen: bei Vergebung der Lieferungen sollten sich die Verwaltungen hüten, daß der Meschores, und Chabrusegeist bei ihnen Eingang findet von jenen Leuten aus, die den Meschores— geist erblich vertreten. Am Kolonigletat ist das Wesentliche der Bahnbau, der jetzt energisch in Angriff genommen werden soll. Wir begrüßen dieses ergeiterte Bahnprogramm, dessen Durchführung in Südwestafrika die Diamantenfunde erheblich erleichtern wird. Gründ— licher Prüfung wird die Verstaatlichung der Otavibahn in der Kommission bedürfen, wobei auch die Ansiedlungsfrage genau zu er— örtern sein wird. Für die Ueberwachung und den Schutz der Diamant— felder scheint mir das Reich zu große Summen aufzuwenden, hier kommt doch in erster Reihe das Inkeresse der Diamantgesellschaften selbst in Frage, die wären also auch für die Aufbringung dieser Be— träge die nächsten. Was die auswärtige Politik betrifft, so können die Aeußerungen unseres Botschafters in Washington, des Grafen Bern storff die gewiß von ritterlichem Geiste eingegeben waren, aber als ein Beweis der Schwäche aufgefaßt worden sind, hier nicht über gangen werden. Eine sehr ausführliche Vorlesung hat uns der Staats sekretär des Auswärtigen Amtes über die Marokko⸗Frage gehalten. Ich kann aber nicht sagen, daß sie mich vollauf befriedigt hat. Ich habe vielmehr den Eindruck gewonnen, daß man hörte, was den Franzosen und anderen auswärtigen Interessenten zugute käme. Der Staatssekretär meinte, die Brüder Mannesmann geradezu ein Bergwerksmonopol verlangten. Das könnten wir doch nur mit Freuden begrüßen, denn im Deutschen Reiche können wir die marokkanischen Bodenschätze sehr gut gebrauchen. Der Staatssekretär müßte alles tun und unsere Regierungsmacht voll dafür einsetzen, daß die Brüder Mannesmann unterstützt werden. Aber ich habe ge hört, er hat sie sogar warnen lassen, sie sollten dem Sultan nicht noch so große Summen als Darlehen geben; das sehe er nicht gerne. Wir haben nicht die geringste Veranlassung, wohl erworbene deutsche Rechte nachträglich vor ein. Schiedsgericht ju bringen. Ich bin für eine, Entente zwischen Deutsch land und Frankreich und stelle dies ausdrücklich fest, weil man mich im Ausland ansieht.
5 daß
immer als Pangermanisten Wer die französischen Zeitungen liest, wird gefunden haben, daß man von dem Einfluß Frankreichs in Marokko die Möglichkeit erhofft, L Million Rekruten in die französische Armee einstellen zu können. Unter diesen Umständen sollten die Franzosen doch auch unsere wirtschaftlichen Interessen anerkennen. Der Staatssekretär hat auch mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die französische Gruppe die deutschen Interessen mit vertritt.
Er hat aber nicht erwähnt, daß dasselbe auch bei dem Mannesmann Syndikat zutrifft. In dem einen Syndikat sind die deutschen Interessen neben starken österreichischen in der Mehrheit, im anderen die französischen Interessen. Ich meine, die Regierung müßte entschieden auf dem Standpunkt des ersteren stehen. Unser Botschafter Graf Bernstorff hat die Alldeutschen so gekennzeichnet, als ob sie minderwertige, nicht ernst zu nehmende Elemente seien. Wir wollen gewiß Friede und Freundschaft aufrecht erhalten, aber die Regierung muß auch in ihren Aeußerungen zurückhaltend sein. Ich hoffe, daß es dem Reichskanzler in der auswärtigen Politik gelingen wird, dem Deutschen Reiche das Ansehen zu wahren, das es trotz der Fehler, die gemacht sind, in der Welt Gott sei Dank noch hat. Was unsere Gesetzgebung anbetrifft, so wird vielfach gesagt, daß die Regierungs vorlagen gewöhnlich konsequenter und zweckmäßiger seien, als was durch das Parlament aus ihnen herauskommt. Es ist daher notwendig, daß wir uns auf uns selbst besinnen und uns prüfen, ob unsere Ge setzgebung nicht verbessert werden kann. Ich glaube, wir können das besahen.
Staatssekretärx des Auswärtigen Amts Freiherr von Schoen:
Meine Herren! Der Herr Abg. Freiherr von Gamp und der Herr Vorredner sind noch einmal auf die Angelegenheit der Gebrüder Mannesmann und ihrer Ansprüche auf Minenrechte in Marokko zu sprechen gekommen. Ich bin dadurch genötigt, auch meinerseits noch einmal kurz diese Angelegenheit zu berühren.
Nach den Ausführungen der genannten Herren Redner ge winnt es den Anschein, als ob ich die Sache so dargelegt hätte, daß hier auf der einen Seite die Ansprüche der Herren Mannesmann und deren Begründung stehen und auf der anderen Seite lediglich französische Einwendungen, daß es sich also
en Neichsan
Zweite Beilage
zerlin, Montag, den 13. Dezember
zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
1909.
—
gewissermaßen um einen deutsch-französischen Gegensatz handelt. Meine Herren, wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, das, was ich gestern gesagt habe, nachzulesen, so werden Sie finden, daß dieser Gedanke nicht aus meinen Ausführungen herauszulesen ist. Es handelt sich keineswegs um einen deutsch-französischen Gegensatz, sondern es handelt sich um eine Frage allgemeiner Natur, welche alle an der Algeciras Akte beteiligten Mächte angeht und durch diese Mächte zu lösen ist. Ich mache auch noch einmal darauf aufmerksam, daß es sich nicht um zwei Gruppen handelt, von denen die eine französisch, die andere deutsch wäre, sondern um zwei Interessengruppen gemischter Nationalität, daß auf beiden Seiten verschiedene Nationalitäten ver— treten sind.
Der Herr Abg. Freiherr von Gamp und ebenso Herr Liebermann von Sonnenberg vermißten von meiner Seite eine Aeußerung über die Stellungnahme der Regierung in dieser Streitfrage.
Meine Herren, es kam mir in meinen gestrigen Ausführungen nicht darauf an, Ihnen die Stellungnahme der Regierung zu der Rechtsfrage darzulegen, sondern es kam mir in erster Linie darauf an, in Beantwortung einer gestellten Frage und namentlich in Ent gegnung auf gewisse Angriffe und irrtümliche Darlegungen in der Presse Ihnen ein genaues Bild der Sache zu geben, vor allem die Annahme zu entkräften, daß das Auswärtige Amt, daß die deutsche Regierung für gute deutsche Rechte und Interessen nicht gehörig ein— trete. Es kam mir ferner darauf an, Ihnen nachzuweisen, daß es sich hier um eine äußerst verwickelte Rechtsfrage internationalen Charakters handelt, die eben auf der Auslegung vertraglich bestehender Bestimmungen beruht, bei der es sich darum handelt und handeln wird, zu entscheiden, ob lediglich der Wortlaut oder der Geist dieser Bestimmungen maßgebend sein soll. Daß in den beiden sich be⸗ kämpfenden Lagern, wenn ich so sagen darf, nicht nur nationale und internationale Interessen vertreten sind, sondern auch Privatinteressen, die sich gegenseitig bekämpfen, habe ich bereits gesagt; ich kann das nicht genügend betonen, namentlich den Umstand, daß sich in beiden Lagern Deutsche befinden, und zwar Deutsche, deren Interessen ein großes Gewicht beizulegen ist.
Wenn ich unsere Meinung aussprechen darf, so ist es die, daß bei solchem Widerstreit nationaler und internationaler Interessen und Rechtsauffassungen diese auf völkerrechtlichen Abmachungen beruhende Frage eben nicht durch eine Regierung von hoher Hand gelöst werden kann, sondern die Frage ist wie kaum eine andere nach ihrer ganzen Natur eminent geeignet für eine unparteiische schiedsrichterliche Lösung nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit. Ich habe Grund zu der Annahme, daß nicht die deutsche Regierung allein, sondern auch andere beteiligte Regierungen auf dem gleichen Standpunkt stehen.
Es wäre gewiß sehr schön, wenn sich das, was der Herr Abg. Liebermann von Sonnenberg ausgeführt hat, verwirklichen lassen könnte, wenn deutsche Interessenten in Marokko ein Monopol für Erzgewinnung erlangen könnten. Aber, meine Herren, wie wäre das zu vereinbaren mit der Algeciras-Akte, mit dem Prinzip der Gleich— berechtigung, für das wir von Anfang an mit allem Nachdruck ein— getreten sind?
Noch ganz kurz einen Punkt, in dem, wie ich annehme, wohl ein Mißverständnis vorliegt! Der Herr Abg. Freiherr von Gamp hat einen Widerspruch konstruieren zu sollen geglaubt zwischen dem Prinzip der Priorität und dem der gleichen Rechte und Chancen. Vielleicht habe ich mich nicht mit voller Klarheit ausgesprochen. Der Hinweis auf die gleichen Rechte und Chancen bedeutet, daß der Rechtsboden für die Erwerbung von Berggerechtsamen den Angehörigen aller Nationen in gleicher Weise offen stehen soll. Dabei soll die Er— werbung der Bergrechte selbst sich nach der Priorität der Erwerbung bezw. Okkupation richten. Das sind Grundsätze, welche sich in unserem deutschen Berggesetzé finden und in den meisten anderen europäischen Berggesetzen, und welche nach Recht und Billigkeit aus gestaltet im marokkanischen Berggesetze Aufnahme finden sollen.
Abg. Gröber (Zentr.) : Wenn die verbündeten Regierungen die Tätigkeit des Reichstags praktisch fördern wollen, dann müssen sie uns insofern mehr entgegenkommen, als sie die Entschließungen des Bundesrats auf die Beschlüsse des Reichstags nicht so lange zurück halten. Hätten wir diese Entschließungen früher erhalten, so wäre vielleicht eine große Anzahl von Anträgen nicht eingebracht worden. Wenn uns der Abg. Wiemer vorgeworfen hat, daß wir hauptsächlich die Verantwortung dafür trügen, daß der Reichstag an die Marine— forderungen gebunden sei, so übersieht er, daß wir innerhalb des Rahmeng des Flottengesetzes durchaus berechtigt sind, in jedem Jahr beliebige Abstriche zu machen, ja sogar ver— schiedene Forderungen hinauszuschieben. Was haben denn seine Freunde oder die mit ihnen verbündeten Gruppen in der Budget— kommission für Abstriche beantragt? Machen wir unter das Vergangene einen Strich und finden wir uns zu neuer Arbeit in der Budgetkommission zusammen. Wir haben unter anderem einen Antrag gestellt, der sich auf den Ausschluß der Oeffentlich— keit bezieht. Es besteht bei manchen Gerichten, namentlich in großen Städten, die Praxis, zwar formell die Oeffentlichkeit aus“ zuschließen, aber dann durch einen zweiten Beschluß die Pressevertreter zuzulassen. Entweder das eine oder das andere. Diese Praxis wollen wir verhindern. Bei der Beurteilung der Rede des Grafen Bernstorff kommt es allerdings vor allem darauf an, wie er sie ge halten hat. Wir stimmen dem Staatssekretär durchaus darin zu, daß solche phantastischen Aeußerungen, wie sie in der erwähnten Presse sich finden, ebenso in Zeitschriften, Broschüren und Büchern eine Ge fahr sind. Daß sie im Auslande sehr viel ernster genommen werden als bei uns, finde ich ganz natürlich. Wenn man vorschlägt, durch eine gewaltige Schiffsflotte England zu bedrohen, Marokko, Algier, Persien zu annektieren. so wird kein vernünftiger Mensch so etwas billigen. Da ist der Botschafter durch aus im Rechte, wenn er dem Auslande bemerklich macht, daß der artige Phantasien keine praktische Bedeutung haben und' auch hier im Hause keine ernsthafte Vertretung finden. Die Verhandlungen über den Etat haben bis jetzt hauptsächlich einen retrospektiven Charakter getragen, was ja nach den Kämpfen des letzten Frühjahrs und Sommers nur natürlich ist. Gewundert hat mich, daß der Abg. Bassermann bestreitet, die Auflösung im Jahre 1506 habe den Zweck gehabt, den Liberalismus hochzubringen; der Abg. Wiemer er⸗ klärte anderseits, der Fürst Bülow habe sich bemüht, das Ruder des Staatsschiffes etwas nach links zu drehen. Wer hat da recht? Nach den Wünschen des verflossenen Reichskanzlers sollte allerdings auch das Zentrum bei der Finanzreform ausgeschaltet werden, und das war
vielleicht in seiner Politik der größte Fehler. maligen „kleinen Mißverständnisse“ sind wir jetzt hinaus; wir haben eine andere Situation. Der Großblock in Baden ist zwar nicht ganz ugch dem Geschmack des Abg. Bassermann, aber er weiß doch auch Milderungsgründe, er verweist auf die Haßpolitik des Pfarrers Wacker und auf das Zusammengehen des Zentrums mit der So ial⸗ demokratie in Bayern. Er vergißt aber, daß die Liberalen sehr oft, schon 1874, dann 1881 und später wiederholt in Bayern. und anderswo mit den Sozialdemokraten zusammengegangen sm̃d. Gerade der Abg. Bassermann war es auch, der am Beginn und nach dem Schlusse der Blockperiode zum Kampf gegen Rom auf⸗ rief; am Beginn erklärte er öffentlich, die Parole fei Vos von Rom!“, und im Juli dieses Jahres, nach der Auflösung des Blocks, fragte er: wer wird nach Bülow den Kampf gegen Rom wagen? Auch der „Schwäbische Merkur“, ein liberales Blatt, stimmte in diesen Ton ein; ebenso der Abg. Dr. Heinze auf einer Parteiversammlung in Dresden, wo er das Jentrum als die Parteigänger Roms bezeichnete, gerade wie er ein paar Tage später von den „schwarzen Nachtgestalten“ sprach. Wir wissen, daß es im Wesen der nationalliberalen Partei und in ihrer Geschichte liegt, diese kulturkämpferischen Tendenzen zu vertreten. Eine solche Partei darf uns nicht zum Vorwurfe machen, wenn wir Aeußerungen wie die der Abgg. Heinze und Basser— mann sehr wohl beachten und als Symptom der Zeit in Rechnung stellen. Wie sich der Abg. Müller-Meiningen von den Freisinnigen zum Kulturkampf stellt, wissen wir ja. Die Konservatiben wollen keine Neubelebung des Kulturkampfes, und gerade diese Stellungnahme der Konservativen und ihres Wortführers bon Heyde— brand wird ihnen in einer Reihe führender nationalliberaler und ver— wandter, Preßstimmen zum Vorwurf gemacht. Wie gegen die katho lische Kirche, gegen den Papst gehetzt wird, wie sie der Kulturfeindlich⸗ keit beschuldigt wird, das geht u. a. aus einer „Lehrprobe“ eines sächsischen Pädagogen hervor, die wir aus einer „Schulzeitung“ kennen lernen. (Der Redner verliest sie unter wiederholter Heiterkeit des Zen⸗ trums. Welche Wirkungen es hat, wenn im Unterricht schon den Knaben und Mädchen solche Auffassungen beigebracht werden, zeigen die Aufsätze der Mädchen und Knaben. (Der Redner gibt eine Reihe von Zitaten. Man sollte nicht glauben, was an derartiger Unterweisung noch im 20. Jahrhundert geleistet wird. Mit Recht ist dagegen hervorgehoben, daß auch der Evangelische Bund sich von dergleichen Leistungen nicht besonders angenehm berührt fühlen dürfte. Der Abg. Scheidemann hat gestern die Ferrer-Angelegenhelt berührt. Nachdem die Akten über den Prozeß gegen Ferrer veröffentlicht sind, verstehe ich nicht, wie der Redner der sozialdemokratischen Fraktion uns einen Vorwurf machen kann. Wieso Klerus und Kirche in Spanien mit dem Ferrer⸗Prozeß zusammenhängen, weiß ich nicht. Wie sticht dagegen die Behandlung der Lehrer in Kattowitz ab, die gemaßregelt sind, weil sie ihre Stimme solchen Kandidaten gegeben haben, die der Regierung nicht genehm waren! Dagegen war unter denen, welchen sie ihre Stimme nicht gaben, einer, der sich hervorragend am Ferrer⸗ Rummel beteiligt hat. Es ist jedermanns Sache, sich zu stellen, wie er will, und sich zu blamieren, so gut er kann. Aber hier sind die Grenzen überschritten, die Künstlichkeit der Ferrer-Aufregung wurde zur Lächerlichkeit. Daß Sozialdemokraten dabei waren, hat mich einigermaßen in Verwunderung gesetzt. Es ist falsch, daß der Anarchist Ferrer wegen seiner Gesinnung gestraft ist, er ist wegen seiner Taten verurteilt worden. Was für eine Schule die seinige war, geht aus folgendem darin aufgehängten Plakat hervor: Das Einkommen rührt von Raub her, die Religion ist eine erschreckende Unwahrheit. Es gibt keinen Gott, keinen Christus und kein zukünftiges Leben. Wir müssen alle Beamten verjagen und zerschlagen, alle an der Spitze der Regierung stehenden Leute muß man niedermetzeln. Es wird kaum ein Land in der Welt geben, wo man eine solche Schule dulden wird. Es ist von einer Reihe von Zeugen bestätigt, daß Ferrer in einer An— zahl Gemeinden außerhalb Barcelonas die Revolution proklamiert und das Volk aufgewiegelt hat, zunächst die Kirchen und Klöster zu verbrennen. Der Abg. Scheidemann haf den Schleier über die Endziele der Sozial demokratie etwas gelüftet. (Lebhafte Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten: Programm! Steht auch in Ihrem Programm der Ferrer? Wie im sozialdemokratischen Zukunftsstaat fich die Ordnung und Verteilung der Produktion geftalten würde, darüber hat der Abg. Scheidemann uns nichts gesagt, weil Sie es nicht wissen. (Abg. Bebel: Literatur! Was in Ihrer Literatur steht, z. B. von Calwer, verleugnen Sie nach Bedarf. Der Ferrer ist Ihr Kulturheros, er ist Ihr Mann (Ruf bei den Sozialdemokraten: Niemals!), und seine Schulen sind die Schulen, die Sie wünschen. Die Nationalliberalen sollten fich also überlegen, wie sie sich in Zukunft zu den Sozialdemokraten stellen sollen. (Große Unruhe und lebhafte Zwischenrufe bei den National—⸗ liberalen. Sie regen sich auf, weil ich eine wunde Stelle bei Ihnen getroffen habe. Man spricht jetzt dem Zentrum die Existenz⸗ berechtigung ab, weil es eine konfessionelle Partei sei. Durch ein— stimmigen Beschluß hat unsere Gesamtpartei zusammen mit den Landesparteien eine Erklärung erlassen, wonach die Zentrumspartei grund sätzlich nicht eine konfessionelle Partei ist, sondern eine politische Partei. Auch ich meine, daß die Reichsregierung in dem Kampfe nach Erlaß der Reichsfinanzreform mehr zur objektiven Belehrung des Volkes hätte beitragen und nicht ruhig zusehen sollen, wie ganz falsche, irre⸗ führende Auslegungen des Gesetzes den Kampf vergifteten. Nament— lich die württembergische Regierung hätte mehr für Aufklärung sorgen sollen, als behauptet wurde, daß bei den Oberamtssparkassen jeder Dienstknecht für die geringste Quittung eine Steuer bezahlen sollte. Bei der Ausführung des Tabaksteuergesetzes ist leider in zahl⸗ reichen Fällen die Auszahlung der Unterstützungen ganz un⸗ gewöhnlich, in einzelnen Fällen bis zu 9 Wochen verzögert und das Gesetz in engherziger Weise ausgelegt worden. Die neuen Ausführungsbestimmungen des Bundesrats vom 26. November, zu deren Vorbereitung erfreulicherweise auch Vertreter der gewerk— schaftlichen Verbände hinzugezogen wurden, sind ja als Ver— besserungen zu begrüßen. Ich zweifle nicht, daß der Reichstag erforderlichenfalls noch weitere Mittel bewilligen würde, um den Tabakarbeitern zu helfen. Jede Steuer, auch die direkte, trifft die minderbemittelten Klassen stärker als die bemittelten. Würden aber, wie die Sozialdemokraten wünschen, die indirekten Steuern aufgehohen, so würde der größte Teil des Volkes überhaupt keine Steuer zu bezahlen haben, solange die Beträge bis zu 900 steuerfrei bleiben. Das wäre aber gerade im Interesse der Bei⸗ behaltung des allgemeinen geheimen, und direkten Wahlrechts bedenklich. Die Sozialdemokraten muͤssen sich daran erinnern lassen, daß ihre Freunde im Lande nicht überall den Standpunkt der Fraktion so energisch vertreten. In den Gemeinden, wo sie die Macht haben, erheben sie ganz ruhig weiter die dort bestehenden indirekten Steuern. Auf dem sozialistischen Kongreß in Amsterdam 1904 hat der Abg. Bebel ausdrücklich die Steuergesetzgebung Frankreichs alt arbeiterfeindlich verurteilt und ihr die progressive Einkommen⸗ steuer Preußens als Muster gegenübergestellt! Der Abg. 6 mann hält sich über die Wirkungen der beschlossenen Tabak⸗— steuererhöhung auf. Wäre diese etwa geringer gewesen, wenn nach den Anträgen Weber⸗Mommsen 90 und 60 Millionen statt 45 aufgelegt worden wären? Mit der Ablehnung der Talonsteuer hat die sozialdemokratische Fraktion selbst bei ihren Berliner Partei⸗ genossen nicht überall Verständnis gefunden. Mit dem „so kon⸗ sequenten, einheitlichen“ Eintreten der Nationalliberalen für die Erb⸗ ef fr er wird der Abg. Bassermann auch nur in möglichst abgelegenen ländlichen Orten Deutschlands, aber nicht im Reichstage Glauben
Ueber die da⸗
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