1910 / 14 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 17 Jan 1910 18:00:01 GMT) scan diff

Defsterreich⸗ Ungarn.

Der König Franz Joseph hat, wie die Neue Freie Presse“ meldet, die ihm heute vom Grafen Khuen-Hedervary unterbreitete Ministerliste genehmigt. Im Laufe des heutigen Nachmittags werden die Handschreiben ausgefertigt, durch die Graf Khuen zum ungarischen Ministerpräsidenten ernannt und die Mitglieder des neuen Kabinetts bestellt werden. Das neue Kabinett wird sich noch in dieser Woche im Abgeordneten⸗ hause vorstellen, vor dem Graf Khuen sein Programm darlegen wird, dessen Kernpunkt die Wahlreform bildet. Graf Khuen steht auf dem Standpunkt des allgemeinen Wahlrechts ohne Einschränkung durch einen Zensus oder durch ein Pluralwahlrecht. Neben der Wahlreform wird das Regierungs⸗ programm auch Reformen, betreffend die Verwaltung, Reformen auf dem Gebiete der Justiz und die von dem Kabinett Wekerle nicht vollendeten Angelegenheiten, wie insbesondere die Regelung der bosnischen Verfassung, enthalten.

Frankreich.

In dem vorgestern im Elyssée abgehaltenen Ministerrat teilte der Minister des Aeußern Pichon, „W. T. B.“ zufolge, den Text der Abmachungen mit, die mit den marokkanischen Abgesandten bezüglich der Schauja, der algerisch⸗marokkanischen Grenze und der Anleihe getroffen worden sind. Die Ab⸗ machungen sind von den Vertretern des Sultans unterzeichnet. Pichon erklärte sodann, daß der Stand der Verhandlungen mit der Türkei wegen des Zwischenfalls bei Dehibat auf eine schnelle und befriedigende Regelung zu rechnen gestatte.

Der Ausschuß der radikalen und der radikal⸗sozialistischen Partei hat sich gegen die Proportionalwahl ausgesprochen.

Rußland.

Die chine sische Marinestudienkommission ist vor⸗ gestern nachmittag vom Kaiser Nikolaus in feierlicher Audienz empfangen worden. In der Begrüßungsansprache, die der Prinz Tsai-Hsün hielt, gab er, W. T. B.“ zufolge, zunächst seiner Dankbarkeit für den wohlwollenden Empfang Ausdruck, übermittelte die freundschaftlichen Grüße des Prinz⸗Regenten und führte dann aus, die traditionelle Freundschaft beider Staaten würde dazu beitragen, die Wohlfahrt der ganzen Welt zu fördern. Hierauf begrüßte der Kaiser Nikolaus den Prinzen als Mitglied des Kaiserlichen Hauses des befreundeten chinesischen Reiches und sprach die Ueberzeugung aus, daß der Besuch des Prinzen zur weiteren Befestigung der vielhundert— jährigen Freundschaft Rußlands und Chinas beitragen werde.

Italien.

Die „Agenzia Stefani“ veröffentlicht folgende Note:

Einige Zeitungen bringen beunruhigende Meldungen über die Lage in Aethiopien, über Abmachungen zwischen den drei Mächten Italien, Großbritannien und Frankreich bezüglich einer bewaffneten Intervention in Abessinien sowie uͤber die Entsendung von italienischen Truppen nach Erythräa. Diese Meldungen entbehren jeder Begründung.

Spanien.

Nach einer Meldung des „W. T. B.“ bewegte sich gestern in Barcelona ein Demonstrationszug von etwa 30 000 Per⸗ sonen durch die Stadt nach dem Palast des Gouverneurs. Hier wurde eine Adresse überreicht, in der um Amnestie für die wegen der Vorgänge im Juli vorigen Jahres in Haft ge⸗ nommenen Personen gebeten wird. Die Ordnung wurde nirgends gestört.

Belgien.

Die von dem Obersten Handels⸗ und Industrierat eingesetzte Kommission zur Prüfung der durch den neuen französischen Zolltarif geschaffenen Lage hat, „W. T. B.“ zufolge, vor—⸗ gestern ebenfalls ihre Ansicht dahin ausgesprochen, daß die Zölle auf französische Weine zu erhöhen seien.

Schweden. Der Reichstag ist nach einer Meldung des „W. T. B.“

——

vorgestern zusammengetreten. Der König hat das bisherige Präͤsidium wiederernannt. Afrika.

Eine Abordnung der letzten fünf Stämme, die sich noch nicht unterworfen hatten, ist nach einer Meldung des „W. T. B.“ gestern in Penon de la Gonsera eingetroffen, um deren Unterwerfung anzukündigen mit der Versicherung, daß sie nunmehr treu zu Spanien halten wollten. Der Handel nach dem Innern des Landes ist damit wieder frei.

Koloniales.

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nien, besonders in Kamerun, vickel Die Gesamt⸗ ausfuhr aus den Wert von rund 2700 000 *. heute nur 4 0/9 owelternte von

1908 mit über 193 Millionen Kilogramm waren die deutschen Kolonien nur mit etwa 1,‚40n beteiligt, während der Konsum Deutschlands 1908 21 0/0 der Welternte ausmachte. ; .

Mit dem Kaffeebau in den Kolonien verhält es sich ähnlich wie mit dem Tabakbau. Die Kultur im großen hat in keiner unserer Kolonien den erwarteten Erfolg gebracht. In Ostafrika 2 seit dem Jahre 1890 rund 18 Millionen Mark in Kaffee angelegt worden. Die Gesamtproduktion der deutschen Kolonien im Jahre 1907 betrug nur etwa 4 Million Mark. Die Gesamtausfuhr aus den deutschen Kolonien belief sich 1907 auf etwa 545 000 ½, während der Gesamt—⸗ bedarf Deutschlands im gleichen Jahre 162 Millionen Mark betrug. Fürs erste ist die Kaffeekultur in unseren Kolonien im großen bei der schlechten Preislage nicht anzuraten. Auch sind die Produktionskosten in unseren Kolonien zum Teil sehr hoch, dies gilt nicht nur für den Kaffee, sondern auch für den Kakao und insbesondere für Samog mit den teuren chinesischen Arbeitern. Unser Ziel muß daher sein Verbilligung der Produktion und daneben Erzeugung feinster Qualität.

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die vorgestrigen Sitzungen des Reichstags und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.

In der heutigen (18) Sitzung des Reichstages, welcher der Staatssekretär des Innern Delbrück beiwohnte, gelangten zunächst die Interpellationen der Abg, Freiherr von Hertling und Bassermann, betreffend die Versicherung der Privatbeamten, zur Verlesng.

Die Interpellation des Freiherrn von Hertling lautet:

„Ist der Herr Reichskanzler bereit, über den gegenwärtigen Stand der Vorarbeiten zur Pensionsversicherung der Priwatbeamten Auskunft zu geben?“

Die Interpellation des Abg. Bassermann fragt:

Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft darüber zu geben, wann ein Gesetzentwurf über die Pensions⸗ und Hinterbliebenen⸗ versicherung der Privatbeamten zu erwarten ist?“

Auf die Frage des Präsidenten erklärte der Stell⸗ vertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück sich heute zur Beantwortung bereit. .

Abg. Sittart (Zentr.) führte zur Begründung der ersten Inter⸗

ellation aus: In den beteiligten Kreisen hat sich eine gewisse Unruhe emerkbar gemacht, die durch Gerüchte hervorgerufen ist, wonach die Regelung der Angelegenheit in den Hintergrund zu treten drohe, da zunächst die Reichsversicherungsordnung unter Dach und Fach ge—⸗ bracht werden soll. Auch ist man unsicher darüber, welche Hal⸗ tung der Matexie gegenüber der neue Staatssekretär einnimmt. Vor drei Jahren haben alle Parteien mit Ausnahme der Polen einmütig ihre Sympathie mit den Wünschen der Privatangestellten bekundet; der Graf Posadowsky hat die Durchführung der Versicherung für eine wirtschaftliche Notwendigkeit erklärt und auch sein Nachfolger, der Staatssekretär Dr. von Bethmann Hollweg, hat sein Interesse dafür und nicht nur mit Worten zu erkennen gegeben. Er betonte auch, daß die entgegenstehenden Schwierigkeiten überwunden werden müßten und würden, und versprach die Ver⸗ öffentlichung des Entwurfs. Die zweite Denkschrift stellte ebenfalls möglichste Beschleunigung der gesetzgeberischen Aktion in Aussicht. Noch vor etwa einem Jahre erklärte Dr. von Bethmann Hollweg, daß nach vollständigem Eingang des Materials ein Gesetzentwurf ausgearbeitet und veröffentlicht werden würde. Seitdem haben wir einen neuen Reichskanzler und einen neuen Staatssekretär des Innern; auch die Konstellation der Parteien im Hause ist eine andere geworden. Letztere hat an der Stellung des Hauses zu den Wünschen der Privatbeamten nichts geändert. Wie es aber am Regie⸗ rungstische aussieht, darüber wollen wir heute Klarheit erlangen. Die herrschende Unklarheit wirkt niederdrückend auf die Angestellten und auf diejenigen Unternehmer, die an sich bereit sind, die Zu⸗ kunft ihrer Angestellten sicherzustellen. Es hat sich die Meinung verbreitet, unter dem jetzigen Staatssekretür werde die Sache nicht weiterkommen. Auch hat der Abg. Bassermann in Cöln eine Aeußerung getan, wonach diese Versicherung unter den Tisch fallen würde. Hier muß Klarheit eintreten, einer unnötigen Verzögerung muß ebenso wie jeder Beunruhigung entgegengearbeitet werden und unsere festen Erwartungen, daß man die Wünsche der Privatbeamten erfüllen wird, müssen von neuem betont werden.

(Schluß des Blattes.)

In der heutigen (3.) Sitzung des Hauses der Abgeord neten, welcher der Finanzminister Freiherr von Rheinbaben, der Justizminister Dr. Beseler, der Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach, der Minister des Innern von Moltke und der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten von Trott zu Solz beiwohnten, wurde die erste Beratung des Entwurfs des Staatshaus⸗ haltsetats für das Rechnungsjahr 1910 in Verbindung mit der ersten Beratung des Gesetzentwurfs über die Deckung des Defizits von 1908 fortgesetzt.

. Wiemer (fr. Volksp.): Der Abg. Herold hat seine

ciner Mahnung zum konfessionellen Frieden geschlossen.

rungen waren geradezu darauf angelegt, den kon⸗

von neuem zu entfachen. Seine Rede

zum konfessionellen Streit. Er sagte, der

gegen sei das Unglück des Vaterlandes. Ich

age, die Verquickung konfessioneller Fragen mit politischen Bestrebungen, Kampf für Rom ist das

*

Partei sei. é Konfessionalisierung des Schulwesens, Verstä Einflusses; er beklagt die angeblich Zurücksetzung holischen Konfession. Ich l im Reichstag gesagt, das Zentrum s der Reichsfinanzreform die Rechnung in l Preußen vorlegen ürde. Der S bestätigt. Der ziehungsideal bezeichnet, daß nur in en Schulen ein gedeihlicher Unterricht langte die Ueberwachung der Ausbildung Zentrum schickt sich an, auf dem Abg. Dr. Schädler auf dem met hat: er verlangte kon⸗ Gymnasien und Universitäten. liche Kreisschulinspektion und Geistliche t Weg gar nicht weit zu der tsministerium überhaupt mit Geistlichen sse, und daß der Kultusminister ein Bischof sein solle. hört nicht der Kirche, sondern ist eine Einrichtung des ch hätte es für selbstverständlich gehalten, daß der neue Kultusminister sich zunächst gegen die Ausführungen des Abg. Herold gewandt hätte. In seinem Etat geht es nicht vorwärts, sondern rückwärts. Im vorigen Etat waren 19 neue Kreisschulinspektoren gefordert, in diesem nur 13, und davon sind 3 durch Teilung schon vorhanden. ; Herold rühmte, daß durch die Finanzreform seiner Partei ffen sei, der am besten die Steuer tragen Fönne. bestreiten. Die Steuern auf Glühkörper, Zünd— e und Tee sind keine Besitzsteuern. Die Erbschafts— wirkliche Besitzsteuer hat jetzt das Zentrum abgelehnt. -g. Müller-Meiningen und ich haben nicht aus grund⸗ Bedenken, sondern aus Zweckmäßigkeitsgründen seiner— gegen die Erbanfallsteuer erklärt und uns bereit erklärt, denken zurückzustellen und Opfer zu bringen. Weshalb das und die Konservativen die Erbschaftssteuer abgelehnt haben,

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t. Fürst Dohna-Schlobitten ausgesprochen. Er hat mitgeteilt onservative Partei habe jene Steuer zu Fall gebracht, wei Zentrum die Ablehnung dieser Steuer zur Bedingung seiner M arbeit bei der Reichsfinanzreform gemacht . V l Sie sich doch an den Fürsten Dohna! Für das . naa waren politische Gründe maßgebend. bedaure, Earn ihm mit den Konservativen gelungen ist, den Fürsten Vl zu stürzen. Herr Herold wirft uns parteipolitische Gründe iin Wir waren durchaus bereit, an der Ordnung der Reichsfinanzen 1 zuwirken, aber wir haben von vornherein bestimmte Bedingt gestellt, und als diese nicht erfüllt wurden, haben wir unfer ö wirkung versagt. Wir haben, um mit dem Fürsten Bülow zu spran die Blockflöte niedergelegt und zur Oppositionstrompete gegriffen? diese werden wir kräftig blasen. Herr Herold macht den Block um Reichsschulden verantwortlich, aber bereits vor der Existen; dez l ö waren die Reichsschulden auf 4 Milliarden angewachsen, und . war das Zentrum ausschlaggebend. Herr Herold rühmt die je ö. organische Schuldentilgung, der Antrag darauf ist aber . Reichstage von dem Abg. Paasche ausgegangen. Auf den Rußm! titel der Witwen und Waisenversicherung sollte si Zentrum noch nicht Vorschußlorbeeren anrechnen, es doch, daß die Mittel dafüuͤr mit der lex Trimborn n zu gewinnen sind. Wir waren bereit, auf die Vorschläge für n andere Gestaltung der Matrikularbeiträge einzugehen, wenn . anderer beweglicher Faktor, etwa eine quotisierbare Reiz vermögenssteuer eingeführt würde, aber unsere Anregum dazu sind nicht durchgedrungen. Vorsicht in der kun aufstellung ist gewiß gut, aber man darf auch nicht zu weit dar ehen, sonst kommt man zu einem Etat, der nicht der r ichkeit entspricht. Ich erkenne an, daß der preußische Stant letzten Jahrzehnt große Aufgaben, insbesondere für die Schulen, a füllt hat, aber auch die Gemeinden haben außerordentlich große Ay wendungen für die Schulen gemacht; andererseits stellt der Stn steigende Anforderungen an die Gemeinden und weist ihnen Aufgaben daß es nen sehr schwer wird, ihre Finanzen in Ordnung zu halte Der Finanzminister wies auch auf die großen Aufwendungen für Wasserstraßen hin. Daß aber die Schiffahrtsabgaben auf den nat lichen Stroͤmen so hoch sein sollen, wie die Transportkosten auf Eisenbahn, ist eine unerfüllbare agrarische , r. Das Bedan liche ist, daß durch solche rückschrittliche Bestrebungen die Cinigig unter den Bundesstaaten und die Reichsverfassung gefährdet no Der Finanzminister freut sich über die Beseitigung des Konsth zwischen Preußen und Sachsen und Baden durch die Hilfe Vertreter dieser Staaten; aber das Vertrauen in die nh verbrüchlichkeit der Reichsverfassung ist erschüttert. 5 die, Gehaltsaufbesserungen der Beamten sind allerdings i Millionen insgesamt ausgegeben worden, jetzt muß m aber daran denken, daß auch die Bezüge der Stäatsarbeiter a, gebessert werden müssen. Meine politischen Freunde haben en darauf bezüglichen Antrag bereits dem Hause vorgelegt. Notwen erscheint uns vor allem auch eine Neuregelung des gesan Beamtenrechts, insbesondere die Gewährleistung des Vereins n Versammlungsrechts sowie des Petitionsrechts der Beam Der Finanzminister wies auf das Steigen der Selbstkosten Betriebsverwaltungen hin; g8 Millionen Mark mehr fur Löh s6 Millionen Mark mehr für Gehälter mußten gezahlt wenn Ja, alle diese Verteuerungen sind zum großen Teil auch Folgen von den Regierungen getriebenen Wirtschaftspolitik. Diese sst m einem Ausspruch Eugen Richters eine Schlange, die sich in den eigen Schwanz beißt; und die jüngsten Klagen des Finanzministers leer für die Wahrheit dieses Ausspruchs den besten Beweis. Der Finan minister hat für das neue Finanzjahr die Parole der größten Sparsamk ausgegeben und den Etat für 1910 als einen Schritt auf dieß Wege gerühmt. Wenn im Reiche zur Sparsamkeit gemahnt wird, sind wir durchaus damit einverstanden; wenn aber für Prem dieselbe Parole gelten soll, so können wir das nur bedaum soweit es sich um Kulturaufgaben und um werbende Anla handelt. die Schaffung von Austernbassins und die Einrichtung der elektrisch Beleuchtung in der Oberrechnungskammer. Was den Vorschlag en preußischen Erbanfallsteuer betrifft, den Herr von Dewitz in Oeffentlichkeit gemacht hat, so würden wir ihm nicht zustimmen könne der Ausbau der Erbschaftssteuer muß dem Reiche vorbehalten bleib Bei der Einkommensteuer ist die Hauptsache eine richtige Veranlagm Uns erscheint der Landrat nicht als die geeignete Persönlichkeit Vorsitz der Einschätzungskommission, und wir haben neuerdin Unterstützung in dieser Auffassung gefunden bei dem Gehein Rat Falkenhahn vom Oberverwaltungsgericht; wir haben in dieser Beziehung einen Antrag vorbereitet, der dar hinausläuft, diese Posten mit unabhängigen Personen zu beseng Die Leistungsfähigkeit des inneren Marktes ist nach der Ansicht? Ministers die Hauptsache; aber sie wird durch Vernachläfsigung? Exports auch ihrerseits schwer beeinträchtigt. Die Landwirtsk— ist nach unserer Meinung zuungunsten der Industrie und Handels bevorzugt worden. Wir sind bereit, die Landwirtschast fördern, soweit es das allgemeine Staatsinteresse zuläßt; aber der dürfen wir die Augen nicht verschließen, daß seit 1895 Zahl der landwirtschaftlich tätigen Perfonen von 36 auf 28 09 zur gegangen ist, während die entsprechenden Zahlen für Industrie n Handel sich erheblich gesteigert haben. Die beabsichtigte Abgr zwischen den Ueberschüssen des Eisenbahnetats und dem allger Staatssäckel erscheint mir nicht unbedenklich, da sie für die R und das Haus ein Anreiz zur Einführung neuer Steuern bil könnte. Wiederum hat sich ein beträchtlicher Wagenmangel Eisenbahnbetriebe gezeigt. Bedauerlich ist es, daß es im Reichet: nicht gelang, die Fahrkartensteuer zu beseitigen. Die Zeit des Vereins deutscher Fisenbahnverwaltungen hat eine Reform befürwortet, daß auch die vierte Wagenklasse besteuert müsse, und die „Kreuzzeitung“ hat den Vorschlag mit Eifer aufger Dieser antisoziale Gedanke muß von vornherein energisch werden, zumal wenn man sich daran erinnert, wie im preußist— Herrenhause Herr von Buch die Einrichtung der vierten Klasse— viel zu luxuriös bezeichnet hat. Auf dem Gebiete der inn waltung scheint man auf eine Art Präfektenwirtschaft hir und davor müssen wir um so mehr warnen, als die Macht des schon übergroß ist. Die Handhabung des Reichsve beweist, wie weit wir auf diesem Boden schon gekommen sind. Minister des Innern sollte hier nach dem Rechten sehen; wir unsg seits werden im Reichstage Gelegenheit haben, diesem Thema n näher zu treten. Die Vorschriften über das Wahlrecht soll der Thronrede von 1908 eine organische Fortentwicklung heute spricht man nur noch von einer ernsten Aufgabe lediglich eine Wahlstatistik als zwingende Notwendigkeit an. Zwischenzeit sind von Politikern der Rechten allerlei sonderbar gekünstelte Auffassungen über das Verhaltnis der Rechten zur Km verlautbart worden.

Schluß des Blattes.)

Dem Hause der Abgeordneten ist eine Denkschth über die Wirkungen des preußischen Gerich ts kant gesetzes vom 235. Juni 1895 in der Fassung der Beka machung vom 6. Oktober 1899 und der Gebührenordnn für Notare vom 25. Juni 1895 in der Fassung der? kanntmachung vom 6. Oktober 1899 nebst Tabellen vorget worden. Bereits im Jahre 1902 ist dem Landtage? Denkschrift über die Wirkungen dieser Gesetze zugegangen. beruhte auf statistischen Erhebungen, die im Etatsjahre 18 angeordnet warden waren. Einem wiederholt geäuse Wunsche des Abgeordnetenhauses entsprechend haben im un nungsjahre 1904 nochmals statistische Ermittlungen stät— funden, um ein Urteil über die weiteren Wirkungen der ben Gesetze in ihrer seit dem Jahre 1900 veränderten Fassumñ gewinnen.

Eine Ausnahme machen die neue Etatsforderung

Die statistischen Ermittlungen ergeben, daß die Gebühren bei den Gerichten den absoluten Beträgen nach gestiegen sind. Es ist dies die natürliche Folge des Anwachsens der Geschäfte. Auch relativ ist eine höhere Gebühreneinnahme in fast allen Geschäften zu verzeichnen, da fast überall eine Zunahme in den Geschäften über höhere Werte stattgefunden hat. Durch Artikel 30 des Ausführungsgesetzes zur Grundbuchordnung, durch Artikel 44 und 45 des Ausführungsgesetzes zum Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsver— waltung und namentlich durch Artikel 86 des Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ist das preußische Gerichtskostengesetz geändert. Diese Aenderungen waren zum großen Teile durch die am J. Januar 1900 in Kraft getretenen Gesetze bedingt; eine Reihe Be⸗ stimmungen, welche durch die neue Gesetzgebung ihre Bedeutung ver⸗ loren hat, sind ausgeschieden, andererseits mußten für verschiedene, den Gerichten neu übertragene Geschäfte neue Gebührenvorschriften ge⸗— schaffen werden. Durch einige Aenderungen ist auch die Höhe der Gebührensätze wesentlich beeinflußt worden. Die Tragweite dieser Aenderungen in finanzieller Beziehung festzustellen, ist ziffernmäßig genau nicht möglich Eine Erhöhung der Gebühren hat nur durch 3 54a sjetzt 5 55) des Gerichtskostengesetzes stattgefunden, nach welchem die Gebühren für die Beurkundung eines Rechtsgeschäfts um ein Viertel erhöht werden, wenn sich ein Beteiligter in fremder Sprache erklärt. Dagegen sind die Gebühren teilweise bedeutend herabgesetzt worden.

Eine erhebliche Herabsetzung der Gebühren ist in Testaments— sachen durch die Aenderung des 5 44 erfolgt. Der Ausfall ist unter Hinzurechnung der Mindereinnahme durch die Zulassung der eigen bändigen Testamente und durch die Erweiterung der Juständigkeit der Notare auf mindestens 1 Million Mark anzunehmen. Welchen Gebührengusfall die Aenderungen des 5 851 (Erbscheine) herbeigeführt haben, kann nicht festgestellt werden; immer hin erscheint die Annahme eines Hern. von 25 000 0 nicht zu hoch. Einen weiteren Ausfall, der sich nicht näher berechnen läßt, der auch nicht von erheblicher Bedeutung sein kann, hat die Feststellung einer Höchstgebühr im 5 51 Beglaubigung von Ab— schriften und die Aufhebung des 5 74 Nr. 3 Abs. ? Schreib⸗ gebühren für Eintragung einer vollständigen beglaubigten Abschrift des Gesellschaftsvertrages verursacht. Wesentlicher fallen die Ergänzungen des 5 74 ins Gewicht, welche für wiederholte Bescheinigungen aus dem Handelsregister eine feste Gebühr von 1 4 einführen. Nach den Ausführungen in der Denkschrift be⸗ rechnet sich die Mindereinnahme auf 79 000 606. Der durch die Er⸗ mäßigung der Gebührensätze hervorgerufene Ausfall ist mithin für 1994 auf rund 1 100 000 anzunehmen. Die erwähnte einzige Er⸗ höhung der Gebühren (855) hat 1904 eine Mehreinnahme von rund 15 000 4 ergeben, sodaß für 1904 mit einer Einbuße von 1085 000 6 zu rechnen ist.

Die Durchschnittsgebühren der Notare sind bei den Gebühren nach 5 38 der Gebührenordnung für Notare (Zustimmungen, Voll⸗ machten u. dgl.) um 83,72 0/9, nach 5 41 (Anerkennung des Inhalts) um 51,36 0,άλ˖, nach 5 42 (Beglaubigung von Unterschriften) um 45,27 0 und nach F 43 (Anträge und Bewilligungen in Grundbuchsachen u. dgl.) am 66,57 6/0 höher als bei den Gerichten. Ebenso übertrifft die Durchschnittgebühr der Notare die der Gerichte bei der Be— urkundung von Erbverträgen (5 40 Abs. 1 Satz 1) um 0,45 oso, und bei der Errichtung von sonstigen letztwilligen Verfügungen (5 40 Abs. 1 Satz 2) um 42,72 0.9. Die Prozentzahlen der Ansätze in den einzelnen Wertklassen zeigen hier ebenfalls, daß sich die Geschäfte der Notare in höheren Werten bewegen als bei den Gerichten. So entfallen bei den Notaren in die Wertklassen von 20900 bis 100 000 6 19351 0 und über 100 0900 S6 4 41 oο der Ansätze aus 5 44 Abs. 1 Satz 1 Pr. G. ⸗K.⸗-G., bei den Ge— richten dagegen nur 7,86 und 0,89 o 9. Auch bei den so— genannten freiwilligen Versteigerungen (8 46), welche bei den Ge— richten in nur sehr beschränkter Zahl vorkommen, ist die Durchschnitt⸗ gebühr der Notare um 64,09 o/o höher. Bei den eidesstattlichen Ver⸗ sicherungen 8 81 Abs. 2) ist die Durchschnittgebühr der Notare um 4132604 größer. Daß auch die Gebührendurchschnitte bei den Zu⸗ satzgebühren nach 5 53 um 31,17,/“ und z 55 um 135750 79 bei den Notaren höher sind als bei den Gerichten, liegt in der Natur der Sache.

Statistik und Volkswirtschaft.

Die deutsche überseeische Auswanderung im Dezember 1909 und in dem gleichen Zeitraume des Vorjahręe. Es wurden deutsche Auswanderer im Monat Dezember befördert:

über 1909 1908 w 460 423 220 deutsche Häfen zusammen - 787 543 fremde Häfen (soweit ermittelt) 399 194

erh, 857.

Aus deutschen Häfen wurden im Dezember 1909 neben den

34 deutschen Auswanderern noch 22 473 Angehörige fremder Staaten

befördert, davon gingen über Bremen 10 660, über Samburg 11 813.

Steigender Pachtzins der neuverpachteten preußischen Domänen.

Dem Landtage sind Uebersichten über die Ergebnisse der Neu— derpachtung von 25 im Jahre 1909 pachtfrei gewordenen und 27 im Jahre 1910 pachtfrei werdenden Domänenvorwerken vorgelegt worden, die eine bedeutende Steigerung des Pachtzinses infolge der zunehmenden Besserung der Lage der Landwirtschaft erkennen lassen.

Die 26 im Jahre 1909 pachtfrei gewordenen Domänen (8 in der Provinz Hannover, 5 in der Provinz Brandenburg, je 3 in Ostpreußen und Hessen⸗Nassau, je 2 in Westpreußen, Pãmmern und der Provinz Sachsen und 1J in der Provinz Posen), die in der abgelaufenen Pacht⸗ periode einen Pachtzins von 447 580 ςο, für 1 ha durchschmittlich 14,1 6 jährlich erbrachten, sind, obwohl deren Flächeninhalt jetzt nur 9721 ha gegen 10152 ha in der letzten Pachtperiode be trägt, für 491 734 M neuverpachtet worden; dles ergibt im Durch— schnitt 50, M für 1 ha. In der Provinz Sachsen stieg bei den Neuverpachtungen der auf Tha entfallende Pachtzins von 90,1 auf 8 A6, in der Provinz Hannover von 69 auf 71,2 (6, in Hessen Nassau von 39,2 auf 50,5 , in der Provinz Brandenburg von 26,4 guf 342 „M, in Westpreußen von 21 auf 33, (6, in Ostpreußen von zo,8 auf 29,4 6, in der Provinz Posen von 157 auf 27 , in Pommern von 266 auf 24,4 6. Nur bei 5 von den 26 neuvber— verpachteten Domänen ist er zurückgegangen.

27 Neuverpachtungen von im Jahre 1910 pachtfrei werdenden Domänen 9 in der Provinz Hannover, 4 in Pommern, je 3 in den Provinzen Posen und Sachsen, je 2 in den Provinzen Westpreußen Brandenburg und Hessen⸗Nassau, je 1 in Ostpreußen und Schleswig— Dolstein), deren Pachtzins in der ablaufenden Pachtperiode bei 12 150 ha Flächeninhalt 531 693 66, für 1 ha durchschnittlich 43.8 „S betrug, geben für die Jahre 1910 bis 1928 bei nicht wefentlich vergrößerten Flächeninhalte (12 186 ha) insgesamt jährlich 596 452 6, int Durch— shnitt für l'ha 489 4 Pachtzins. Es stieg der auf Ul ha entfallende Pachtzins bei den Neuverpachtungen in der Provinz Sachsen von 88,9 gau] Sb, , in der Provinz Hannover von 5365 auf 7,6 (6, in Pommern von 3633 auf 45,3 , in Hessen-Nassau von 34 auf 02. h, in der Provinz Posen von 19,4 auf 37,5 „M, in West« . von 2236 auf 25,4 , in Schleswig⸗Holstein von 1956 auf 31. 6, in Ostpreußen von 13,5 auf 21,2 A6, während. die beiden leuverpachtungen in der Provinz Brandenburg einen um ein Geringes niedrigeren Durchschnittspachtzins für 1 ha: 44,1 * gegen 44,4 in der ablaufen den Pachtperiode ergeben. Im einzelnen wird erm nur bei 4 von den 27 Neuverpachtungen nennenswert niedriger sein als in der ablaufenden Pachtperiode.

(

Zur Arbeiterbewegung.

Der Schiedsspruch der Unparteiischen in der Tarif— bewegung der deutfchen Maler ist, der Voff. Itg.“ zufolge, von den Berliner Malern mit 1265 gegen 789 Stimmen ab“ gelehnt worden. Auch in Hamburg haben sich die Malergehilfen mit großer Mehrheit gegen die Annahme des Schiedsspruchs aus— gesprochen, während die Gehilfen in Frankfurt a. RH. und zahlreichen anderen Orten dem Schiedsspruch zugeftimmt haben. Dieser sieht für viele Provinzialstädte eine sofortige und eine spätere Lohnerhöhung vor, sodaß die Malergehilfen in der Provinz im Gegensatz zu den Kollegen in Berlin und Hamburg mit dem Er' reichten zufrieden sind. Die Ablehnung des Schiedsspruchs hat nun eine schwierige Lage geschaffen und kann leicht einen Kampf entfesseln, der den Arbeitern angesichts der ungünstigen Zeit und Konjunktur recht ungelegen kommen würde. Beteiligt sind die meisten Städte Deutschlandẽs.

Ein Ausstand der Stoffweber in der Sammetfabrik Niedieck C Co. in Lobberich ist, wie die „Köln. Ztg.“ mitteilt, infolge eines Vergleichs beendet worden. Die Arbeiter nahmen die Arbeit zu den von der Firma festgesetzten Lohnsätzen wieder auf, jedoch soll in einigen Wochen eine Lohnaufbesserung erfolgen.

ö Ausstand der Handschuh macher in Magdeburg ist, wie die „Köln. Ztg.“ erfährt, nach einer Dauer von einer Woche durch die Gewährung der geforderten Lohnerhöhung beigelegt worden.

Der Stickerst reik in Plauen, der mehrere Wochen gedauert hat, ist nach dem „Confektionar“ nunmehr zu Gunften' der Arbeit geber beendet. Die Zahl der Streikenden war im Taufe der Zeit immer mehr zurückgegangen, und jetzt haben auch die letzten Streikenden etwa 390) wieder die Arbeit aufgenommen, ohne daß ihre Forde— rungen bewilligt worden sind. z ö

Aus Madrid wird dem W. T. B. berichtet: Zwischen den Arbeitern und der Direktion des Warinearfenaks in El Ferrol ist wegen der Anordnung von Üeberftunden ein Streit entstanden. Die Direktion hat den Arbeitern eine Frist von drei Tagen gewährt, innerhalb deren sie die Arbeit unter der Bedingung, auch Ueberstunden zu leisten, annehmen können. Andernfalls werden die Werkstätten geschlossen werden, was eine Aussperrung von 2400 Arbeitern zur Folge haben würde.

Auf der Versammlung der Bergwerksbesitzer und des Bergarbeiterverbandes von Northumberland, die am Sonnabend in New Castle stattfand, einigte man sich, wie W. T. B. meldet, dahin, daß, um zu einer Verständigung zu ge— langen, weitere Konferenzen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf den einzelnen Werken abgehalten werden sollen.

Zum Ausstand der australischen Bergarbeiter erfährt W. T. B.“ aus Sydney, daß die Abstimmung der Bergleute des Südreviers zu Gunsten der Entscheidung des obligatorischen Lohn— amtes ausgefallen ist.

(Weitere . Statistische Nachrichten“ s. i. d. Zweiten Beilage.)

Kunst und Wissenschaft.

Die von der Aka demie der Künste zu Berlin zur Fei es Allerhöchster ) We

NR 2

n ebi Eine große jener fran— zösischen mit größter Bereitwilligkeit ihre kostbaren. Kunstschätze dar. Auch Seine Majestät der Kaiser und König hat eine nicht unbedeutende Anzahl der hervorragendsten Werke jener Zeit, deren Erwerbung vornehmlich in die Zeit Friedrichs des Großen fällt, aus Seinem Besitz für die Ausstellung zugesagt, ebenso Seine Majestät der König von Sachsen und Ihre Königlichen Hoheiten die Großherzöge von Baden, Hessen und Sachsen-Weimar. Auch der französische Staat hat eine große Anzahl von Kunftwerken bereitwilligst beigesteuert und deutsche wie französische Sammler wett eifern, die Ausstellung so künstlerisch wertvoll als möglich zu gestalten. So werden auch Werke eingehen aus den Galerien Dresden, Darm— stadt, Karlsruhe, Weimar, Paris und Wien. Während in der englischen Ausstellung das Bildnis vorherrschte, wird die franzöfische neben glanz⸗ vollen Porträts der Hauptmeister jener Zeit, wie Rigaud, Nattier, Drouais Roslin, noch eine Auslese hochbedentender Genrebilder der großen Meister des Rokoko, Boucher, Fragonard, Lancret, Watteau, Chardin, um nur einige Namen zu nennen, enthasten; aber auch Meisterwerke der Bildhauerei werden vertreten fein, ferner aus? gezeichnete und wertvolle Gobelins, Zeichnungen, Skizzen, Studien und. Stiche, Eine besondere Anziehung wird eine Reihe kostbarer

Gobelins, die Eigentum des französischen Staates sind, ausüben.

Die Wettervorhersage.“)

Welche Mittel und Ueberlegungen stehen der modernen Wetter— kunde zur Verfügung, um eine Wettervorhersage zu machen? Der leitende und mit Erfolg gekrönte Grundgedanke ist sehr einfach. Wer ins Wetter sehen will, geht ins Freie oder auf einen Ausguck, um möglichst den ganzen Horizont überschauen zu können. Die Wölbung der Erde setzt seinem Blick ein Ziel. 20 bis 100 km ist etwa die Grenze, bis wohin die Beschaffenheit der Luft zu übersehen ist, wenn man von den ganz hohen Wolken absieht, die noch weiterhin fichtbar werden. Wenn es nun möglich wäre gewissermaßen mit einem Blick die gesamten, üßer dem europäischen Festland augenblicklich vorhandenen Wetterverhältnisse zu überschauen, so müßte dies für die Vorhersage Iaffenbar großen Vorteil erwarten lassen. Zur Verwirklichung dieses Gedankens ist zweierlei nötig, erstens müssen die zu einem und dem selben Zeitpunkte über dem ganzen Festland gemachten Beobachtungen zu einem ühersichtlichen kartographischen Bilde vereinigt werden, d. h. es muß eine sogenannte synoptische Karte gezeichnet werden; zweitens muß die Sammlung aller dieser gleichzeitigen Beobachtungen an einer Sammelstelle so schnell geschehen, daß überhaupt noch Jeit für eine Vorhersage auf 24 oder 18 Stunden übrigbleibt. Das aber ist durch den elektrischen Telegraphen möglich geworden. WVorschläge, den optischen Telegraphen zu benutzen, wurden freilich schon am Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich gemacht. Auf die ersten Anregungen von Kreil in Prag, Ball in England und Henry in Amerika folgten vom Jahre 1848 an vereinzelte telegraphische Wettermeldungen. Glaisher entwarf sogar während der Londoner Y tau sstelluig Bol tglich Wetterkarten auf Grund telegraphischer Mitteilungen. Den letzten Anstoß zur Einrichtung regelmäßigen Wetterdienstes gab dann der Sturm vom 14. November 1854, der den im Schwarzen Meere befindlichen Flotten Frankreichs und Englands ver⸗ derblich wurde und dessen Untersuchung durch Leverrier zu dem Ergebnis führte, daß eine telegraphische Benachrichtigung, die etwa beim Einfetzen dieses über Wien ostwärts sich bewegenden IZyklons von Wien aus gegeben wäre, noch rechtzeitig hätte warnen können. 1857 wurde darauf

/ . Wir entnehmen obenstehende Ausführungen dem soeben in 2. Auflage erschienenen, 55. Bändchen der Sammlung „Aus Natur und Geisteswelt“. „Wind und Wetter“. Von Professor Dr. Leonh. Weber in Kiel (Verlag von B. G. Teubner in Leipzig. Preis geh. UL, in Leinw. geb. 125 Jο), das die historischen Wurzeln der Meteorolo ie, ihre physikalischen Grundlagen und ihre Bedeutung im gesamten Gebiete des Wissens schildert und die hauptsächlichsten Auf⸗ gaben, die dem ausübenden Meteorologen obliegen, wie die praktische Anwendung in der Wettervorhersage, erörtert.

ein wettertelegraphisches System in Frankreich eingeführt. An der weiteren Ausbildung haben sich, um wenigstens einige der zahlreichen hervorragenden Meteorologen zu nennen, Buys Ballot, in Holland, Maury in Amerika, Scott in England, Hoff— meyer in Dänemark und Georg von Neumayer verdient gemacht. Ins⸗ besondere hat sich die unter der Direktion des letzteren 1875 gegründete Deutsche Seewarte und ihre Mitarbeiter, unter denen van Bebber in erster Linie zu nennen ist, schon im nächsten Jahre 1876 der Ausgestaltung der Wettervorhersage mit voller Kraft gewidmet und diese zu hoher Blüte gebracht. Weitere Jentralen wurden in Berlin und Chemnitz 1878 gegründet, denen München, Stuttgart Karlsruhe, Straßburg, Aachen, Cöln, Frankfurt a. M. und Königs berg folgten. Da an diesen Orten die ausländifchen Telegramme und die allgemeine europäische Wetterlage erst durch Vermittlung der Seewarte einliefen, so wurde hier der lokalen Wetterprognose und deren Verbreitung die größte Aufmerksamkeit gewidmet. Schließlich hat der gesamte Wetterdienst in Deutschland feit 1906 eine Neu organisation erhalten.

Vergegenwärtigen wir uns die Lage eines Wetterpropheten, der etwa um 1 Uhr Nachmittags in den Besitz der Wetterkarte von 38 Uhr Morgens kommt. Schönes, klares antizyklonisches Wetter hat schon tagelang geherrscht. Nun sieht er auf der Karte die eng⸗ geschlossenen Ninge einer über England erschienenen Depression. Er überlegt, welche Zugstraße dieselbe einschlagen wird. Vielleicht geht sie nördlich auf Zugstraße J. Dann bleibt das Wetter einstweilen noch gut. Vielleicht wird aber Zugstraße IJ oder III eingeschlagen. Dann ist in etwa 24 Stunden die rechte Vorderseite des Zyklons da, und es ist Regen mit stark auffrischenden füdwestlichen Winden zu erwarten. Einen gewissen Anhalt zur Entscheidung dieser Frage bietet zwar schon die Wetterkarte vom Tage voͤrber, die naturlich sorgfältig verglichen wird, insbesondere die abgekürzten Zusammen stellungen von 38 Uhr Abends. Aber dies läßt noch verschiedene Deutungen zu. Nun wird aber das Barometer betrachtet. Die Rs Registrierbarometers ist bereits seit der Nacht in beft Sinken und seit 3 Uhr Morgens ist sie stark gefallen. Dara bereits mit großer Wahrscheinlichkeit hervor, daß die nicht seitwärts ab nach Nordosten, sondern nach dem Beobachtungs⸗ orte zu sich bewegt. Zeigen sich dann vielleicht schon gegen Abend jene Cirruswolken, die wir als die Vorläufer der Deprefsion er— kannten, und ist das Barometer in schnellem Sinken gebsieben, wahrend der vorher östliche Wi rehen anfängt, fo ist mit

8 2 * 3 22 7 * dire ng jenes Zvklons zu mende Verschleierung des us Südwesten zu prognosti⸗ s Barometer in seiner Auch ohne

5 fer r * fallenden Barometer

113 Wetterglas 1d elterglas

Kenntnis der Wetterkarte hätte man Regen prophezeien können. Aber d

Depression aufklärendes Wetter mit Nordwestwind folgen würde, sagtée das Barometer allein noch nicht im voraus. Erst als es hierzu wirklich kam, begann Steigen. E anderer Fall ist etwa folgender. Im Süden liegt laut Wetterkart

metrisches Maximum, nördlich liegt ein Zyklt s

8 Uhr gerade durch den Beobachtungspunkt

1st Ea rr ** 8 * v ; 114 ist bis Mittag im Steigen, der Wind hat st

Rim Mm, dem Vorübergang der

1 1 wird prachtvoll klar. Wollte man n nd gutes Wetter bei östl zetäuscht werden. Denn ein zweiter chen beide hat sich, wie die wasserklare Luft erkennen il hohen Druckes geschoben, dessen Rückfeite heftigen bt. er leitet also das Barometer allein völlig fehl. Erst die gemeinsame Berücksichtigung von Wetterkarte, Barometer, Wind richtung und allgemeiner Wetteransicht klärt den Beobachter über die Sachlage auf und ermöglicht die richtige, auf Regen lautende Prognose trotz steigenden Barometers. Die wichtige Frage ferner, ob Nachtfröste zu erwarten sind, ist auf Grund der Wetterkart? allein nicht immer sicher zu entscheiden. Der Feuchtigkeitsgehalt des örtlichen Bezirks gibt den Ausschlag, ob eine Abkühlung unter Null möglich ist ohne Kondensation von Wasserdampf, oder ob bereits vorher Nebelbildung zu erwarten ist, die den Nachtfrost verhindert. Befragt man daher nicht bloß die Wetterkarte, sondern auch das Psychrometer, so ist bei trockener Luft Nachtfrost, bei feuchter Nebel oder Niederschlag vorherzusagen. Man bemerke, daß die fogenannte psychrometrische Differenz (trockenes Therm. minus feuchtem bier ent scheidend ist. Doch muß gleichzeitig auch die Lufttemperatur (Temp. des trockenen Thermometers) berücksichtigt werden. Ist diese 3. B. 100, so kann nach den Untersuchungen von Lang das feuchte Thermo meter bis zu 6 heruntergehen, bevor Nachtfrost zu erwarten: dagegen bei einer Luftemperatur von 20 nur bis zu dem kleineren Unterschied von O, 70, d. h. nur bis zu 1.3 Uebrigens gilt dies für wenig bewegte Luft. wehen, di durch Sonnenstrahlung geringeren psychrometrisck

t Frost eintreten. Die ör : . x zeratur, Feuchtig⸗ keit, Windrichtung und Bewoͤlkung sind also für die Wettérvorher— sage von größtem Nutzen, und zwar nicht nur die absoluten Werte, sondern auch die Aer ngen. u wissen, ob das Barometer steigt oder fällt, ist meist viel wichtiger, als seinen absoluten Stan zu kennen. Gleich bedeutungsvoll sind auch manche der sogenannten Wetterregeln, wie sie sich im Volksmunde überall und vielfach von örtlicher Beziehung herausgebildet haben ? ? rung und Begründung weiß der Volksglaube nichts. Aber im Lichte der gesetzmäßigen Zusammenhänge in den verschiedenen Wetterlagen und ihrer Aufeinanderfolge kannt haben, sehen wir rückwärts ein, daß und wie begründet sind. Heißt es z. B. hier zu Lande: Freitag, so ist auch am Sonntag das Wetter“, so steckt hier Richtiges und etwas Falsches. Richtig ist, daß Zyklone selben Zugstraße, einer dem andern folgend, an uns vorübersiebe etwa zwei Tage für den Vorübergang brauchen. Waren wir Freitag z. B. in der Vorderseite des einen Zyklons d können wir nach einem frischen und heiteren wieder zum Sonntag in die Vorderseite des also abermals in Regen geraten. Falsch ist es, daß der Zeitraum zwischen zwei Zyklonen Tage betragen solle, und reiner Aberglaube etwa gerade für Freitag und Sonntag cht ebenso gut ar Montag und Mittwoch gelten solle. Die Regel: e r man sieht, desto äher der Regen“ find = ihre Begründung ir jetzt wissen, darin, daß auf der Vorderseite eines ungemein durchsichtige Luft vorhanden ist un ie nicht allzuweit entfernte Rückseite des Keiles schweren? gel wird also be⸗ stätigt, wenn der Keil uns fortzieht: sie wird versagen, wenn ĩ ̃ in das eigentliche iet Ferner rker au bedeutet anhaltend gutes Wetter“; vorzugsweise bei antizyklonalem S swetter eintritt, und dieses, wie wir sahen, die Neigung zu längerem Anhe at. Eine Menge von Wetter regeln, namentlich die auf das Ausfliegen der Vögel bezogenen, finden dieselbe Begründung. Einigen ander solche wir noch bei der Betrachtung zeinungen wieder begegnen. Ganz lokal ist hweizerreisenden geläufige, am Vierwaldstädter See geltende Regel: „Hat der Pilatus einen Hut, so wird das Wetter gut; hat er einen Kragen, fo darfst du es wagen, hat er einen Degen, so gibt es Regen‘. Hier bei uns im Flachlande an der Küste gibt das Steigen und Sinken des Meeres niveaus wertvolle Winke. Da das Wasser hier in Kiel bei südwest lichen Winden über der Ostsee fällt und bei nordöstlichen steigt, so verrät uns Hoch- oder Viedrigwasser, wie die herrschende Windrichtung ostwärts von uns ist, Schiffer und Fischer wissen hieraus ihre Vorher⸗ sage zu machen und sie würden unzweifelhaft noch bessere Propheten werden, wenn sie zugleich auch die Wetterkarten mit ihren unmittel⸗ baren Beobachtungen in Verbindung brächten. Auf eine möglichst ausgiebige Heranziehung örtlicher Beobachtungen und Wetterregeln zur Ergänzung und Spezialisierung der aus den

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