1910 / 41 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 17 Feb 1910 18:00:01 GMT) scan diff

und konsultieren werden, sondern es ist das Bestreben, in den Arbeits kammern ein tatsächliches Moment des Friedens, ein Instrument des unbefangenen Verhandelns für die Behörde zu schaffen, wenn ich Ihnen empfehle, die Arbeitersekretäre aus den Arbeitskammern herauszulassen, und an Sie die dringende Bitte richte, an diesem Punkte nicht diese wichtige Vorlage scheitern zu lassen.

Meine Herren, ich weiß, daß diese Vorlage in diesem hohen Hause nicht ungeteilte Sympathien hat, daß man in allen Parteien Einwendungen gegen sie hat; ich weiß, daß man in den Kreisen der Arbeitgeber der Vorlage mit einer gewissen Skepsis gegenübersteht. Aber gerade deshalb, meine Herren, wollen wir uns be— streben, der Vorlage eine Form zu geben, die ihr eine freundliche Aufnahme auf allen Seiten sichert.

Ich spreche hier auch wieder aus der Erfahrung, die ich mit den Herren Arbeitersekretären gemacht habe. Mir ist wiederholt von den Herren bei Verhandlungen über Gesetzentwürfe gesagt: ja, Sie dürfen nicht vergessen, die Vorlage muß so aussehen, daß unsere Leute sie nicht ablehnen. Nun, meine Herren, wenn ich eine Einrichtung schaffen will, in der ich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nötigen will, friedlich und schiedlich miteinander zu verhandeln, dann muß ich auch dieser Einrichtung eine Form geben, daß sie nicht von der einen Seite abgelehnt wird. Und diese Erwägung ist es, aus der ich Ihnen empfehle, auch den Wünschen der Arbeitgeber einigermaßen Rechnung zu tragen, nicht die Abhängigkeit, die mir von einigen der Herren imputiert wird, vom Zentralverband deutscher Industrieller. Meine Herren, ich habe gerade auf sozialpolitischem Gebiet in meinem Leben manches durchgesetzt, was gerade die Miß⸗ billigung von dieser Seite in hohem Maße erfahren hat.

Ich habe vergessen, vorweg noch einen untergeordneten Punkt zu erörtern, der in dasselbe Kapitel schlägt. Das ist die Frage des Lebensalters. Ich gebe zu, man kann darüber streiten, ob jemand mit 25 Jahren klüger ist als mit 21 und ob die Objektivität mit 30 Jahren größer ist als mit 25. Es gibt zweifellos Leute, die nie in ihrem Leben objektiv werden (Heiterkeit und nie in ihrem Leben den Dingen mit Ruhe und Unbefangenheit entgegensehen. Aber wenn wir uns gegenwärtig halten, daß in diesen Arbeits kammern doch eine gewisse Reife, Ruhe und Erfahrung vertreten sein soll, dann werden Sie mir zugeben, daß der Wunsch der verbündeten Regierungen und der Wunsch auf seiten der Arbeitgeber nach einer Heraufsetzung der Altersgrenze einer gewissen Berechtigung nicht entbehrt. Die Berück— sichtigung der Wünsche beider Teile, der Arbeiter und der Arbeitgeber, ist nach meiner Ansicht die Voraussetzung dafür, daß ein Gesetz zu⸗ stande kommt, von dem ich hoffen kann, daß es den Behörden eine wirksame Unterlage für alle die Aufgaben geben wird, die sie auf sozialpolitischem Gebiet lösen sollen. Wenn Sie ein solches Gesetz verabschieden wollen, dann verlassen Sie nicht den Boden der Parität in der Berücksichtigung der Wünsche von rechts und links. Nur dann werden Sie etwas zustande bringen, mit dem wir und Sie zufrieden sein können.

Abg. Legien (Soz.): Die verbündeten Regierungen sind in der

neuen Vorlage den Beschlüssen unserer vorjährigen Kommission so weit entgegengekommen, als sie es verantworten zu können glauben. Verantworten wem gegenüber? Doch nicht uns gegenüber, sondern gegenüber dem Zentralverbande der Industriellen. Es ist doch ein starkes Stück, uns jetzt mit dieser Vorlage zu kommen, die die wichtigsten Kommissionsbeschlüsse nicht berücksichtigt und sogar noch Verschlechterungen enthält, wie den Ausschluß der Oeffentlichkeit für die Verhandlungen der Arbeitskammern. Haben die verbündeten Regierungen etwa auf einen Umfall des Zentrums gerechnet ĩ bei der Reichsfinanzreform? Das ̃

. chsfi Zentrum muß ja auf seinem vorjährigen Standpunkt stehen bleiben. Wenn

ie jetzige Vorlage fällt, wird ihr niemand eine Träne nachweinen. zor 30. Jahren hätte der Entwurf vielleicht etwas getaugt und einen

heute haben sich die Arbeiter längst eine selb ständige Vertretung in ihren Gewerkschaften geschaffen, und fie können um so mehr auf die ihr jetzt angebotene Institution verzichten, als diese ausschließlich auf die Interessen des Unternehmertums zu⸗ geschnitten ist. Es scheint, als ob in den letzten Zeiten die Minister und Staatssekretäre täglich von neuem die Wahrheit des Wortes Boettichers an die westfälische Großindustrie erhärten wollen: „Meine Herren, wir arbeiten ja nur für Sie“. Die Gewerkschaften werden als Kampfes— organisation hingestellt, die Arbeitgeberorganisationen aber sind für sie solche Kampfesorganisationen nicht; der Staatssekretär Sydow hat es fertig bekommen, letzteres auszusprechen angesichts des Zechenzwangs arbeitsnachweises, angesichts der Drohung der Unternehmer in der Bau⸗ und Holzindustrie, Hunderttausende von Arbeitern auszusperren. Man weise mir doch eine Unternehmerorganisation nach, die keine Kampforganisation wäre! Weshalb kommt der preußische Handels minister nicht mit einem gleichartig lautenden Erlaß bezüglich der Gewerkschaften heraus? Die gewerkschaftlichen Organifationen haben sich so weit entwickelt, daß auch die Unternehmerverbände nicht mehr im stande sind, sich ihren Anforderungen zu widersetzen. In den Dienst der Unternehmerverbände stellen sich nun mit der Vorlage die Vertreter der verbündeten Regierungen; den Interessen der Arbeiter wird nicht die geringste Rücksicht zu teil. Uebernommen aus den vorjährigen Kommissionsbeschlüssen sind eigentlich nur die Verschlechterungen. Auf die Versprechungen, die heute der Staatssekretär Delbrück und früher der Reichskanzler von Bethmann Hollweg gemacht haben, sollen sich die Techniker nur nicht verlassen. Auch die Techniker sind Arbeiter, und ihre Interessen sollten schon hier in dieser Vorlage wahrgenommen werden; ich kann mich da den Ausführungen des Abg. Naumann nur an schließen. Dasselbe gilt bezüglich der Handlungsgehilfen. Der Staatssekretär betonte stark, daß er dafür sorgen werde, das Gefetz so ausführen zu lassen, wie es gedacht sei. Fast genau denselben Wortlaut hatte die Erklärung, die der Reichskanzler von Bethmann Hollweg für das Vereinsgesetz abgabz und was ist daraus in Wirk lichkeit geworden! Auf solche Versprechungen ist daher gar nichts zu geben. Den guten Willen sprechen wir den Herren nicht ab, aber ihnen fehlt, die Möglichkeit, ihn durchzusetzen. Ueber die Altersgrenze für die aktive und passive Wahlfähigkeit hat der Staatzsekretär Sachliches für die Vorlage nicht angeführt, um so mehr aber hervorgehoben, daß es der Wunsch nicht nur der verbündeten Regierungen, sondern auch der Arbeitgeber sei, die Altersgrenzen von 25 und 30 Jahren nicht herabzusetzen. Und noch dazu wird denjenigen, welche kein Wahlrecht haben, nicht elwa auch die Beitragspflicht erlassen! Das „Unannehmbar“ der Regierung haben wir ja auch bei der Reichsfinanzreform vernommen; erst war alles mögliche ungunehmhar, und nachher nahm die Regierung, was sie kriegen konnte! So steht es auch hinsichtlich der Arbeitersekretäre. Der Staatssekretär sagt: Lassen Sie das . an diesem Punkt nicht scheitern! Das werden wir abzuwarten haben; der Reichstag hat einfach in das Gesetz aufzunehmen, was er in seiner Mehrheit für richtig hält. Der Staatssekretär will für die Arbeiter— vertreter in den Arbeitskammern ein gewisses Maß von Freiheit und Unabhängigkeit, und er will auch keine Kontrolle von außen her. Aber stehen wir hier im Reichstag nicht auch unter öffentlicher Kon— trolle? Die Arbeitersekretäre sind ihm zu sehr eingeschworen auf ein bestimmtes Programm. Wir haben bisher noch nichts von einem Programm der Arbeitersekretariate gehört. Die Arbeitersekretäre, mit denen er nach seiner Angabe verhandelt, mit denen er an einem Tisch gesessen hat, müssen ganz eigenartige Leute sein, vielleicht teilt er uns darüber etwas mit; wenn nicht, so empfiehlt sich vielleicht ein

öffentlicher Aufruf, daß die Betreffenden sich melden möchten. Der Staatssekretär hat, wie, ich sehe, vorgezogen, meine Ausführungen nicht anzuhören. Für die Landwirtschafts- und Handels— kammern sind die Bestünmungen über die Zulassung von Vertretern viel liberaler. Was die Redner der Konservativen und National⸗ liberalen für den Ausschluß anführen, ist hinfällig. Der Abg. Horn meint die Arbeitersekretäre hätten die Aufgabe, den Lohnkampf aufs äußerste durchzuführen; er weiß gar nicht, daß die Arbeiter ihren Sekretären nur zu oft den Vorwurf machen, sie seien nicht radikal genug. Wenn Sie die Arbeitersekretäre ausschließen, so schaffen Sie mit diesem Gesetz ein Gesetz zur Wahrnehmung der Interessen der Unter— nehmer, ausgearbeitet vom Jentralberband deutscher Industrieller. Lieber gar kein Gesetz als ein solches! Nach § 13 sollen wählbar, sein Wahlberechtigte, die seit mindestens einem Jahre in Hauptberufe demjenigen Gewerbezweige als Arbeit⸗— geber oder Arbeitnehmer angehören, für den die Arbeits kammer errichtet ist. Bei Gesetzen, die aus dem Bureau des Zentral⸗ verbandes deutscher Industrieller stammen, kann man nicht porsichtig

genug sein. Es scheint mir, daß man auf diesem Umwege die

Arbeitersekretäre fernhalten will, falls sie doch noch in das Gesetz aufgenommen werden. Protestieren müssen wir gegen den Ausschluß der Eisenbghnarbeiter. Wie kommt der Staatssekretär denn dazu, zu erklären, ECisenbahnarbeiter seien überhaupt keine gewerblichen Arbeiter? Dann müßten ja auch die Privateisenbahnbeamken keine gewerblichen Arbeiter sein. Nein, sie sind ebenso gewerbliche Arbeiler wie die Werftarbeiter, die Arbeiter der Militärwerkstätten ufw. Ihr Aus— schluß ist ganz unverständlich. Ich war ursprünglich der Meinung, daß man dies Gesetz ohne Kommissionsberatung erledigen könne, aber nach der Erklärung, die namentlich der Abg. Naumann hinsichtlich der industriellen Beamten abgegeben hat, halte ich doch eine Kommiffions— beratung für notwendig. Ich beantrage eine Kommission von 28 Mit— gliedern und hoffe, daß sie an den früheren Beschlüssen festhalten wird.

Abg. Schmidt-⸗Altenburg (Rp.): Meine politischen Freunde sind überwiegend der Meinung, daß eine Notwendigkeit zum Erlaß eines solchen Gesetzes nicht besteht. Ich glaube, daß die Streitigkeiten Wwischen Arbeitern und Arbeitgebern von den bestehenden beiderseitigen Organisationen ausgetragen werden können. Die Arbeitskammern sollen ein Friedensinstrument sein, die Behörden wollen aus ihren Verhandlungen lernen. Ist das der Zweck, so ist es nötig, die Oeffentlichkeit der Verhandlungen und die Arbeitersekretäre' aus— zuschließen, denn diese gehören zweifellos Kampforganifationen an. Um den Frieden zu vermitteln, können wir doch nicht in eine solche Institution die kommandierenden Generale aus beiden Heerlagern hincinbringen. Die deutsche Industrie ist der Meinung, daß, wenn das Arbeitskammergesetz so gestaltet würde, wie es die vorjährige Kommission wünschte, das Gesetz nicht dem Frieden dienen, sondern im Gegenteil die Gegensätze nur verschärfen würde.

Abg. Kulerski (Pole): Es gab eine Zeit, wo wir mit einem gewissen Vertrauen auf die Staatsregierung schauen konnten. Dies Vertrauen haben wir nicht mehr, wir glauben, daß sie unter dem Einfluß der Unternehmer steht und nur ihren Interessen gerecht wird. Der Staatssekretär sprach von Parität; warum bewies er sie nicht auch bei den Arbeitsnachweisen? Ich glaube nicht, daß die Hoffnungen, welche die Arbeiter an dies Gesetz knüpfen, in Er— füllung gehen werden, wenn der Entwurf auch einige Verbesserungen gegen den ersten Entwurf aufweist, namentlich in bezug auf den Äb— schluß von Tarifverträgen. Dagegen vermisse ich in dem Entwurf die Einbeziehung der Techniker usw. Ganz unverständlich ist mir die Aeußerung des Staatssekretärs, daß die Eisenbahnarbeiter nicht gewerbliche Arbeiter sein sollen; ich muß dagegen protestieren. Da Preußen nicht sehr arbeiterfreundlich ist, möchte ich die Errichtung der Arbeitskammern nicht der Landeszentralbehörde überlassen. Die Teil— nahme sollte allen Arbeitern gestattet werden, die das 21. Lebensjahr überschritten haben; denn die Arbeiter haben seit dem 14. Jahre Ge— legenheit Erfahrungen zu sammeln. Für die weiblichen Arbeiter ist ohnehin das 25. Jahr zu weit gegriffen, viele unter ihnen sind schon früher ver— heiratet. Nach Fl] sind zur Teilnahme an den Wahlen ‚„Deutsche“ berech⸗ tigt. Im Interesse der polnischen Arbeiter möchte ich vorschlagen, dafür zu setzen „Reichsangehörige“. Vestigia terrent. Der springende Punkt an dieser Vorlage ist, ob Arbeitersekretäre in die Kammnern gewählt werden können oder nicht. Wenn die Arbeitgeber sich durch besondere Vertreter vertreten lassen dürfen, so wäre es ungerecht, die Vertreter der Arbeiter, die Arbeitersekretäre, auszuschließen. Wenn der Staatssekretär selbst zugestanden hat, daß sich mit diesen sehr gut verhandeln läßt, warum bleibt er denn auf halbem Wege stehen? Der Einfluß der Arbeitersekretäre wird doch auf die Kammern wirken, wenn auch indirekt, denn die betreffenden Arbeiter werden sich erst von den Arbeitersekretären informieren lassen, bevor sie Beschlüsse fassen. Eine Kommissionsberatung ist eigentlich überflüssig, denn diese erste Lesung ist im Grunde eine zweite Lesung, und wir würden in der Kommission doch nur wiederkäuen, was früher schon verhandelt ist.

Abg. Behrens (Wirtsch. Vgg.): Die jetzige Vorlage ist ge wissermaßen eine Jubiläumsgabe, sie bringt die Erfüllung eines vor 20 Jahren gegebenen Versprechens. Die Arbeiterschaft, namentlich die christliche Arbeiterschaft, legt auf dieses Gesetz einen großen Wert, wünscht aber, daß es so gestaltet wird, daß es den Helm— arbeiterinnen zugute kommt. Aus praktischen Gründen scheint mir der Bundesrat am geeignetsten, die Arbeitskammern zu errichten. Auch wir bedauern den Ausschluß der staatlichen Arbeiter, machen aber von dieser Frage unsere endgültige Stellung zu dem Gesetz nicht abhängig. Für die Aufnahme der Techniker und Betriebsbäamten sprechen manche Gründe. Allerdings sind die Verhältnisse der Betriebs⸗ beamten in verschiedenen Branchen verschieden Die Handlungsgehilfen lehnen aber die Teilnahme an den Arbeitskammern entschieden ab. Unter allen Umständen ist für uns das Gesetz nur annehmbar, wenn die Wählbarkeit der Arbeitersekretäre gesetzlich festgelegt wird. Dafür haben sich auch Vertreter von Arbeitgeberorganisationen aus— gesprochen. Die Vertreter der Handwerkerorganisationen haben ihrer seits die Heranziehung von Handwerkskammer- und Innungssekretären empfohlen. Es handelt sich bei den Arbeitersekretären um Leute, die eine reiche praktische Erfahrung hinter sich haben. Bekämen wir Arbeitskammern für die Heimindustrie, so wäre es erst recht angezeigt, die Sekretäre der armen Heimarbeiterinnen hineinzuwählen. Es wäre eine Ungerechtigkeit, diesen Aermsten der Armen eine solche Vertretung nicht zu gönnen. Arbeitersekretäre sind in den Arbeits kammern auch schon deshalb notwendig, weil die großen Betriebe gar nicht mehr in den Händen einzelner, sondern großer Aktien gesellschaften liegen, und weil diesen gegenüber die Interessen der Arbeiter nur von unabhängigen Leuten vertreten werden können. Die Arbeiter wenden sich J. in andern Vertretungen vor ihren Beschlüssen an ihre Vertrauensleute, warum wählt man diese nicht gleich direkt? Bei den Berg⸗ und Hüttenwerken hat man es in der Regel mit Interessentengruppen zu tun, ihnen steht der Arbeiter ziemlich wehrlos gegenüber, er kann einen Wortführer nicht entbehren, der vollständig unabhängig ist. Großunternehmer in Berlin haben bestätigt, daß das hiessge Gewerbegericht ohne Arbeitersekretäre gar nicht auskommen kann, namentlich wegen ihrer gutachtlichen Tätigkeit. Ich glaube ja nicht, daß die Herren von der Regierung so unter dem Einfluß des Zentralverbandes stehen, wie es hier behauptet wird. Ich glaube, daß die Regierung viel mehr Rück— sicht nimmt auf die Parteien, die der Wählbarkeit der Arbeiterfekretäre widersprechen. Ich glaube, daß die Regierung dieser Forderung nicht mehr widerstehen wird, wenn die Konservativen ihr zustimmen? Die christliche Arbeiterschaft legt auf diese Forderung den größten Wert. Geben Sie in diesem einzigen Punkte nach, Sie werden sich dadurch das Vertrauen und die Liebe der ganzen Arbeiterschaft erringen. Wir sehen in diesem Gesetz ein Friedensgesetz. Wir wollen mit dem jetzigen Reichskanzler die Arbeiterschaft einordnen in die heutige Ge⸗ sellschaftsordnung. Lassen Sie den Reichskanzler und lassen Sie auch Seine Majestät nicht im Stich.

Die Vorlage geht an eine Kommission von 28 Mitgliedern.

Darauf geht das Haus über zur ersten Beratung des Ent— wurfs eines Hausarbeitsgesetzes.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück: .

Meine Herren! Das Hausarbeitgesetz, so, wie es Ihnen jetzt vorliegt, bildete einen Teil der Gewerbeordnungenovelle, die Ihnen

im Jahre 1907 zuging und von Ihrer Kommission beraten wurde.

Es hat zweckmäßig erschienen, diese Materie aus der Gewerbe ordnungsnovelle herauszunehmen und in einem besonderen Gesetz zu regeln, und zwar aus zwei Gründen: einmal wird unsere Gewerbe— ordnung allmählich so unhandlich und so kompliziert, daß es zweifel— los für die Anwendung der darin niedergelegten Bestimmungen zweckmäßig und nützlich ist, wenn man Materien, die diese vertragen können, aus dem Verbande der Gewerbeordnung herauslöst, zweitens ist es leichter, derartige Fragen in einer gewissen Isoliertheit zu einer raschen Verabschiedung zu bringen als im Zusammenhang mit einer Fülle von streitigen, nicht unmittelbar dazu gehörigen Gegenständen.

Im übrigen, meine Herren, ist auch hier nach Möglichkeit den Wünschen entsprochen worden, die in Ihrer Kommission zu dieser Materie laut geworden sind, und die verbündeten Regierungen haben sich auch von vornherein in einer Reihe von grundsätzlichen Fragen in völliger Uebereinstimmung mit der Majorität Ihrer Kommission befunden. Mein Herr Amtsvorgänger hat bei Einführung des früheren Entwurfs eingehend darauf hingewiesen, wie kompliziert die soziale Struktion und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Hausarbeit sind, und wie schwierig es unter diesen Umständen ist, schematisch regle⸗ mentierend in diese Verhältnisse einzugreifen; Ihre Kommission ist ihm in diesem Gedankengange insoweit gefolgt, als sie in der Tendenz dem Entwurfe gerecht geworden ist; auch sie hat anerkannt, daß man hier nur mit großer Vorsicht, nur schrittweise vorwärts kommen könne, und daß es die Vielgestaltigkeit der Verhältnisse unbedingt erfordere, gewisse allgemeine Vollmachten für die Anordnungen der zuständigen Behörden zu geben, ohne zu sehr in zwingende einzelne Bestimmungen zu gelangen.

In einem Punkte allerdings haben schon die Verhandlungen der vorigen Session eine Verschiedenartigkeit in den Anschauungen der verbündeten Regierungen und speziell meines Herrn Amtsvorgängers und denen des Reichstags in die Erscheinung treten lassen. Man ist in der Kommission in überwiegender Mehrheit der Meinung gewesen, daß der Gesetzentwurf zwar manche Verbesserung für die Heim— arbeit bringe, daß er aber doch den besonderen wirtschaftlichen Bedürfnissen der Heimarbeiter nicht in hinreichendem Umfange gerecht werde, und daß namentlich diejenigen Handhaben fehlten, die erforderlich seien, um die Lohnverhältnisse der Heimarbeit auf ein an gemessenes Niveau zu bringen.

Nun, meine Herren, es ist ohne weiteres anzuerkennen, daß die Bildung der Löhne in der Heimarbeit sich unter Verhältnissen voll zieht, die den Heimarbeiter besonders ungünstig stellen. Ich bin schon in meiner früheren Stellung als preußischer Handelsminister der Ansicht gewesen, daß hier, soweit möglich, abzuhelfen sein würde, und bin vor allen Dingen der Auffassung gewesen, daß die ungünstige Lage der Heimarbeiter bei der Bildung ihrer Löhne zu einem erheblichen Teil zurückzuführen ist auf die mangelnde Publizität der Löhne, die sich eben aus der Eigenartigkeit der Heimarbeit ergibt. Ich habe auch schon bei der Vorbereitung des Entwurfs ent— scheidendes Gewicht darauf gelegt, daß in den Entwurf eine Be— stimmung aufgenommen würde, die die Möglichkeit gibt, den in der Heimarbeit gezahlten Löhnen eine gewisse Publizität zu verleihen. Es sind das die Bestimmungen, die Sie, ich glaube, in 3 des jetzigen Entwurfs finden, und von denen ich hoffe, daß sie geeignet sein werden, eine wesentliche Besserung auf diesem Gebiete herbei zuführen.

Nun ist aber Ihre Kommission weitergegangen. Sie hat ver— langt, daß staatliche Lohnämter gebildet werden sollen, die Mindest⸗ löhne festsetzen sollen nicht nur für die Heimarbeit, sondern auch für diejenigen geschlossenen Betriebe, in denen die gleichen Arbeiten ver richtet werden; sie hat ferner es für notwendig gehalten, eine besondere staatliche Förderung des Abschlusses von Tarifverträgen in der Heim— arbeit vorzusehen, indem sie versucht hat, eine Bestimmung in den Gesetzentwurf hineinzubringen, die den Normen der Tarifverträge zwingende Geltung gibt auch bezüglich derjenigen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die bei dem Abschluß von T arifverträgen nicht beteiligt gewesen sind.

Nun, meine Herren, wenn die verbündeten Regierungen allen diesen Wünschen entsprechen würden, so würden wir damit, ich möchte beinahe sagen, in aller Stille eines der meistumstrittenen Prinzipien hier im Reichstag akzeptieren, das die wirtschaftlichen Kämpfe unserer Tage erfüllt, nämlich die Frage, ob der Staat berufen sein soll, in den Arbeitsvertrag auch insoweit einzugreifen, als er sich eine Mitwirkung bei der Festsetzung der Löhne anmaßt. Mein Herr Amtsvorgänger hat damals ich glaube, es ist in der Kommission gewesen eingehend die schwerwiegenden grund— sätzlichen Bedenken dargetan, die sich einer derartigen gesetzlichen Be stimmung entgegensetzen; er hat aber auch auf die außerordentlichen praktischen Schwierigkeiten hingewiesen, die sich daraus ergeben würden, daß der Staat seinerseits eingreift in die Fetzsetzung der Löhne. (Zuruf Eingland) Darauf wollte ich eben kommen! Diese Bedenken bestehen nach meiner Ansicht auch heute noch fort, und ich würde es in Anbetracht der grundsätzlichen Wichtigkeit und der Bedeutung der Frage für absolut unzulässig halten, sie jetzt so kurzerhand bei der Verabschiedung des Heimarbeitergesetzes abzutun.

Nun ist mir hier eben zugerufen: England. Ich war im Begriff, darauf zu kommen. Es ist richtig, daß seit den Verhand— lungen im vergangenen Jahre in England ein Gesetz verabschiedet ist, das die Einsetzung staatlicher Lohnämter vorsieht. Aber, meine Herren, so lehrreich es ist, sich mit den wirtschaftlichen Verhält nissen, Organisationen und Gesetzen anderer Kulturstaaten zu be— schäftigen, so bedenklich würde es sein, Einrichtungen, die in dem einen Staate möglich und nützlich sind, ohne weiteres in die Verhältnisse eines anderen, anders organisierten und wirt— schaftlich anders entwickelten Staates zu übertragen. Nach meiner Ansicht kann der gesetzgeberische Schritt, den man in England inzwischen getan hat, für uns zunächst nur Anlaß sein, daß, was man in England tun wird, sorgsam zu verfolgen, zu prüfen, ob und wie man in England dieses Gesetz ausführt, um daraus eventuell späterhin Schlüsse darauf zu ziehen, inwieweit die dortigen Erfahrungen für uns nutzbar gemacht werden können.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

zum Deutschen Reichsan

Zweite Beilage

Berlin, Donnerstag, den 17. Fehruar

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Was nun die Frage der Tarifverträge betrifft, so bin ich keines— wegs ein Gegner derselben. Ich bin zwar der Meinung, daß der Tarifvertrag nicht überall zweckmäßig und anwendbar ist. Ich glaube auch, daß der Tarifvertrag keineswegs ausschließlich ein Instrument des ewigen Friedens bildet, sondern daß er gewissermaßen ein be— waffneter Frieden ist und in der Regel nur einen Waffenstillstand schafft. Aber der größte Wert des Tarifvertrags liegt für mich darin, daß wir in der Lage sind, im Wege des Tarifvertrags eine Reihe von Fragen nützlicher und zweckmäßiger für alle Teile zu regeln, als es durch Reichsgesetze, wie wir das jetzt zu tun gewöhnt sind, geschehen, kann. Ich habe die ernste Besorgnis, daß uns mit der Zeit einmal die kasuistische, bis in die kleinsten Kleinigkeiten gehende arbeits- und gewerbepolizeiliche Gesetzgebung, wie sie bei uns im Laufe der letzten Jahre entstanden ist, als eine schwere wirtschaftliche Fessel empfindlich wird. Aber, meine Herren, ich erkenne ferner an, daß ganz speziell auf dem Gebiet der Heimarbeit die Förderung des Tarifvertrags wünschenswert ist, und daß es gerade auf dem Gebiete der Heimarbeit schwer ist, zu Tarifverträgen zu gelangen. Ich habe im Laufe dieses Winters noch einmal eingehend erwogen, ob man etwa durch eine Spezialgesetzgebung für die Heimarbeit die Grundlage für eine be— hördliche Förderung des Tarifvertrags schaffen könnte. Ich bin aber zu dem Ergebnis gekommen, daß in der kurzen Zeit, die uns zur Ver— fügung stand, eine befriedigende Lösung jedenfalls nicht zu finden war. Ich bin aber andererseits der Ansicht, die auch schon einer der Herren Redner, die zu dem vorigen Gesetzentwurf gesprochen haben, zum Ausdruck gebracht hat, daß, wenn wir das Arbeitskammergesetz ver— abschieden, es zweifellos zu den ersten Aufgaben der Arbeits— kammern gehören würde, auf dem Gebiete der Heimarbeit helfend einzugreifen und den Abschluß von Tarifverträgen zu fördern. Gelingt das aber, so ist nach meiner Ansicht auch die zweite Forderung, die von Ihrer Seite gestellt wurde, erfüllt, soweit sie überhaupt erfüllbar ist, nämlich die Frage der Anwendbarkeit der Normen der Tarifver— träge auf solche Personen, die bei ihrem Abschluß nicht mitgewirkt haben. Meine Herren, Sie wissen, daß jetzt schon die Judikatur eines großen Teils unserer Gewerbegerichte dahingeht, die Bestim— mungen und Normen der Tarifverträge als subsidiäres Recht auch auf solche Arbeitsverträge anzuwenden, die geschlossen sind von beim Ab schluß der Tarifverträge nicht beteiligten Arbeitgebern und Arbeit nehmern. Das heißt also, es werden die Normen der Tarifverträge als Ortsgewohnheitsrecht in allen denjenigen Fällen angewandt, wo bestehende Arbeitsverträge streitig sind oder wo in den bestehenden Arbeitsverträgen Fragen, die streitig geworden sind, eine Regelung nicht gefunden haben. Wir würden also nach meiner Ansicht nicht weiter zu gehen haben und, wie die Dinge liegen, auch nicht weiter gehen können, als daß wir eventuell die besondere Bestimmung träfen, wonach Tarifverträge, die für die Heimarbeit zustande gekommen sind, subsidiäre Geltung auch für Arbeitsverhältnisse haben sollen, die außerhalb des Geltungsbereichs der Tarifverträge zustande gekommen und nachträglich streitig geworden sind.

Wenn ich die Ausführungen des Herrn Abg. Naumann zum vorigen Gesetzentwurf richtig verstanden habe, gingen die Wünsche, die er dort zu den Aufgaben der Arbeitskammern in bezug auf die Schaffung von Tarifverträgen ausgesprochen hat, in derselben Richtung; es ist mir aber zweifelhaft, ob es nach Lage der Verhält— nisse zweckmäßig ist, diese für die Heimarbeit berechnete Materie in dem Gesetz über die Arbeitskammern zu regeln. Indessen, meine Herren, die Materie der Tarifverträge ist so schwierig und so spröde, daß ich auch Bedenken tragen würde, jetzt in diesem Gesetz in diese Materie gesetzgeberisch einzugreifen. Ich glaube, Sie werden aus den Ausführungen, die ich vorhin etwas über den Rahmen dieser Vorlage hinaus zum Tarifvertrag gemacht habe, die Ueberzeugung haben, daß ich dem Tarifvertrag grundsätzlich gegenüberstehe, daß ich in der zweck Tarifvertrags eine Reihe er⸗

gewonnen nicht unfreundlich entsprechenden Entwicklung des heblicher Vorzüge sehe gegenüber dem Zustand, wie er sich augenblicklich bei uns in bezug auf die Gewerbe— gesetzgebung entwickelt hat, und ich hoffe, daß Sie unter diesen Umständen zu mir das Zutrauen haben werden, daß ich vor allen Dingen bestrebt sein werde, dem Tarifvertrag für die Hausarbeit bald die Wege zu ebnen, und soweit das mit Rücksicht auf die Judikatur der Gewerbegerichte und der Gerichte noch notwendig sein sollte, auch dem Tarifvertrag in der Heimarbeit die entsprechende subsidiäre Gültigkeit zu verschaffen. Aber ich möchte Sie bitten, mit dieser Frage nicht diesen Gesetzentwurf zu belasten, sondern diesen Gesetzentwurf so zu verabschieden, wie wir ihn Ihnen jetzt im wesent— lichen ja in Uebereinstimmung mit den Wünschen Ihrer Kommission vorgelegt haben; denn ich bin der Ansicht, daß die Heimarbeiter ein dringendes Interesse an einer baldigen Verabschiedung wenigstens dieses Gesetzentwurfs haben, der nach meiner Meinung geeignet sein wird, eine erhebliche Reihe der Wünsche zu erfüllen, die nach dieser Richtung hin erhoben worden sind, und eine Reihe von Mißständen, wenn nicht zu beseitigen, so doch zu mildern, über die in der Heim— arbeit mit Recht geklagt wird. (Bravo! rechts.)

Abg. Dr. Pieper (Sentr.): Meine politischen Freunde verkennen nicht den Fortschritt, den der jetzige Entwurf bringt. Ein Ein⸗ greifen auf Grund der Bestimmungen, die Leben, Gesundheit und Sittlichkeit schützen wollen, ist jetzt zulässig, wenn überhaupt eine Gefahr vorliegt, während in dem früheren Entwurf das Bestehen einer besonderen Gefahr vorausgesetzt wurde. Auch in, anderen Punkten ist der neue Entwurf weitergegangen, aber wir glauben, daß in der Hausarbeit es doch einige Branchen geben wird, wo eine Kontrolle möglich sein und daher die Einführung des hygienischen Maximalarbeits⸗ tages und das Verbot der Sonntagsarbeit durchführbar sein wird. Der

1 ; 5 8 15 a 5657 ö Schwerpunkt liegt bei der Hausarbeit sicherlich in der Regelung der Lohn— frage, da die Löhne in überwiegendem Maße geradezu elend sind. Die verbündeten Regierungen suchen ja auch einige Momente zu beseitigen, die lohndrückend gewirkt haben. Hinsichtlich der Schwierigkeit eines behördlichen Eingreifens bei Festsetzung der, Löhne stimme ich dem Staatssekretär durchaus bei. Wir unterscheiden uns aber in der Beurteilung dieses Streitpunktes darin, daß es sich hier

ausdrücklich um eine Ausnahme⸗ und eine Notstandsmaßnahme handelt. Es soll nur da eingegriffen werden, wo der Notstand anerkannt ist, wo er handgreiflich vor Augen liegt. Deswegen wird man auch aus einer solchen Ausnahmeregelung nicht weitere Schlüffe ziehen können und braucht keine schädigenden Folgen daraus für die Zukunft zu be— fürchten. Alle Hinweise auf Selbsthilfe sind in diesein Falle nichts anderes als wie eine Abweisung der Schutz- und Hilflosen. Es kommen nur diejenigen Kategorien der Heimarbeiter hier in Betracht, die vergeblich verfucht haben, zu Lohntarifen zu kommen. In dieser Beschränkung kann unsere Forderung nicht abgewiesen werden. Es ist eben eine Eigentümlichkeit der Hausarbeit, daß hier die

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Selbsthilfe, die selbständige Organisation, die die Vorbedingung für Tarife ausmacht, unmöglich ist, denn wo sich einmal Ansätze einer Organisation gezeigt haben, haben sie sich nicht halten können, oder andere Arbeiter haben die Heimarbeiter sozufagen in ihre Organi sationen hineingezwungen. Wären Hausarbeiterorganisationen möglich und hätten die Arbeitgeber Verständnis dafür, dann würden wir uns bielleicht mit der Vertröstung des Staatssekretärs hinsichtlich der Lohnämter zufrieden geben können. Aber Wissenschaft und Praxis fordern eine alsbaldige gesetzliche Lohnregelung für die Hausarbeit. Es ist das keine doktrinäre Forderung der Sozialreformer, sondern das Ergebnis der Feststellung, daß man auf anderen Wegen nicht vorwärts kommen kann; das englische Gesetz hat bei allen Parteien im Unter- und Oberhause Zustimmung gefunden. Die Kommission wird also an dieser entscheldenden Frage nicht vorübergehen können. Ich beantrage die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 28 Mitgliedern. Abg. Henning (d. kons.): Wir begrüßen es, daß die verbündeten Regierungen sich dazu verstanden haben, die vorjährige große Gewerbe ordnungsnovelle zu teilen. Wir sind durchaus damit einverstanden, daß die Vorlage nicht das ganze Gebiet felbst reglementieren will, sondern im wesentlichen Vollmachten für den Bundesrat verlangt. Denn so wünschenswert es wäre, den Heimarbeiterschutz im Gesetze in allen seinen Einzelheiten festzulegen, so schwierig gestaltet sich die praktische Ausführung dieses Wunsches. Von diesem Standpunkt aus können wir auch jetzt nur daran festhalten, daß keine Lohnämter eingerichtet werden. Auch bezüglich des Schutzes der Heimarbeiter gegen gesundheitsgefährliche Betriebe ist es am jweck— mäßigsten, den Regierungen nur die Vollmacht zu erteilen, von den bezüglichen Vorschriften der Gewerbeordnung auch den Heimarbeitern

gegenüber Gebrauch zu machen. Wir gehen in die Kommission mit

dem lebhaften Wunsche, daß den Heimarbeitern mit dieser Vorlage etwas für sie Ersprießliches beschieden werden möge.

Abg. Manz (fr. Volksp.): Wir haben vor zwei Jahren die große Gewerbeordnungsnovelle mit Freuden begrüßt, zumal im Interesse der Hausindustriellen. Wie elend deren Lage ist, darüber braucht kein Wort mehr verloren zu werden. In der Konfektion ist die Schwierigkeit der Festsetzung der Lohnsätze und somit der Aushang von Lohntafeln so groß, daß man hier Ausnahmen wird zulassen müssen. Die Bestimmung zum Schutze von Leben, Gesundheit und Sittlichkeit der Hausarbeiter unterschreiben wir durchweg. Das allgemein in Arbeiterkreisen herrschende Vorurteil; daß die Damen, die Hausarbeit treiben, um sich bloß einen Nebenverdienst oder ein Taschengeld zu verschaffen, die ärgsten Lohndrückerinnen sind, trifft durchaus nicht zu; es gibt eine Menge Witwen von Beamten usw., die tatsächlich darauf angewiesen und die aus dieser sittlichsten Tätigkeit hinausgedrängk werden könnten, wenn sie dem Registrierzwang unterworfen würden; hier wird auch Vorsorge zu treffen sein, daß die zu treffenden Maß— regeln nicht etwa dahin führen, daß gegen diefe angeblichen Tohn— drückerinnen ein förmlicher Kampf eröffnet wird. Die Ueberwachung der Arbeitsstätten könnte besser durch Gewerbebeamte bezw' Assistentinnen wahrgenommen werden. Die Lohnämter habe 'ich schon in der vorigen Kommission heftig bekämpft. Der Staat darf sich nicht in die Regelung der Lohnverhältnisse einmischen, das ist Sache freier Vereinbarung. So hart es mir auch manchmal wird, ich stehe hier Arn in Arm mit dem Staatssekretär gegen die Lohn ämter, die mir total unannehmbar sind.

Abg. Eperling (nl): Auch. die heutige kurze Beratung zeigt schon die Schwierigkeit der Materie; aber der Reichstag hat sich die Mühe nicht verdrießen lassen, handelt es sich hier doch um die Lösung einer Aufgabe von höchster ethischer Bedeutung. Hunderttausende finden in der Hausindustrie ihr Brot; immer und immer wieder hat sich der Reichstag mit den Notständen auf diesem Gebiet beschäftigt; ein unleugbares Erfordernis ist, daß Milderung und Besserung eintritt. Sehr sonderbar mutet der Initiativantrag der Sozialdemokraten an, der so radikale Eingriffe in die Heimarbeit verlangt, daß, wie ich annehme, auf keiner Seite des Haufes sonst Neigung vorhanden sein wird, nach sozialdemokratischem Rezept zu verfahren. Die Vorlage scheint uns alles in allem eine geeignete Grundlage für die weitere Beratung; auch wir wünschen eine Kommission von 28 Mitgliedern. Zunächst muß ein Rechtsboden geschaffen und auf diesem dann dem Bundesrat und den Einzel regierungen die Vollmacht gegeben werden, die ein schrittweises Vorwärtsgehen auf diesem schwierigen Gebiete ermöglicht. Mein Eintreten für die Heimarbeit ist mir von den Sozialdemokraten sehr verdacht worden; ich stehe aber nach wie vor auf dem Boden der Anschauungen, die ich damals vorgetragen habe.

Abg. Schmidt⸗Berlin (Soz.): In der Entwicklung der Heimarbeit sehe ich meinerseits ein sehr ungesundes wirtschaftliches Prinzip. Heim und Arbeitsstätten zu verbinden, ist kein gesunder Zustand. Heim und Arbeitsstätten sollen getrennt sein. Für die Nahrungs- und Genuß mittelindustrie verlangen wir heute wie früher das volle Verbot der Heimarbeit; in diesem Punkte ist die Vorlage leider durchaus unzureichend. Besonders die Zustände in der Tabakheimarbeit mit ihrer Staub⸗ und Dunstentwicklung sind höchst traurig, ganz abgesehen bon den niedrigen Löhnen. In der Heimarbeitgesetzgebung stehen wir hinter der französischen und englischen Gesetzgebung weit zurück. Das französische Gesetz hat sogar das Zwischenmeistersystem beseitigt. Leider ist eine Kontrolle der Heimarbeit sehr schwer, und deshalb sind Schutzvorschriften sehr schwer durchzuführen. Wir haben wenig Hoffnung, daß der Bundesrat von den Bestimmungen dieses Gesetzes einen umfassenden Gebrauch machen wird. Der Bundesrat hat bisher auf Grund der G.⸗-O. nur zwei Verordnungen erlassen: über die Konfektionsarbeit und über die Tabakarbeit. Ein vollständiges Verbot der Heimarbeit wäre vor allem in der Zelluloidfabrikation notwendig, denn diese ist äußerst feuergefährlich. Ebenso notwendig wäre für die Heimarbeit ein Verbot des Trucksystems, eines Kauf

zwanges, dem sich die Heimarbeiter nicht entziehen können. Ohne eine gründliche Regelung der Lohnfrage ist eine wirklich durch— greifende Reform auf diesem Gebiete ziemlich wertlos. Was helfen denn die in der Vorlage vorgeschriebenen Lohntafeln, wenn der Fabrikant nicht die Mindestlöhne gibt? Warum sträubt man sich gegen den Versuch, durch eine Lohnkommission eine Regelung des Lohnwesens herbeizuführen? Wir müssen durchaus darauf bestehen, daß der Versuch gemacht wird, in einer paritätischen Kommission Minimaltarife zwangsweise durchzuführen; denn die Heimarbeiter find wirtschaftlich zu schwach, um diese Lohnforderungen durchzusetzen. Das wäre durchaus kein Nopum; denn die zwangsweise Festsetzung des Einkommens soll ja den Kali⸗Besitzern gesichert werden, auch in der Reichsversicherungsordnung ist ein Zwangstarif zu— gunsten der Aerzte in Aussicht genommen. Warum soll das für eine so elende und bedrängte Industrie wie die Heimarbeit nicht durch—

führbar sein? Für uns ist die Regelung der Lohnfrage die wichtigste.

zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

192410.

Abg. Kulerski (Pole); Wir begrüßen es auch mit Freude, daß die Regierung den früheren Entwurf mit einigen Verbesserungen wieder eingebracht hal Die Regelung der Heimarbeiterfrageé ist die wichtigste der ganzen Sozialpolitik; denn das Leben des Heimarbeiters ist geradezu die Hölle auf Erden. Den polizeilichen Eingriffen in das Familienleben, die die Vorlage vorsieht, stehen wir Polen aller⸗ dings mit gemischten Gefühlen gegenüber. Die Hauptsache bleibt aber die Regelung der Lohnverhältnisse. Was nützen dem Heimarbeiter alle sanitären Vorschriften, alle Schutzvorrichtungen, wenn die Löhne so miserabel sind? Darum ist es bedauerlich, daß die Regierung an die Regelung des Minimallohns nicht herangetreten ist. Die Auf⸗ stellung von Lohntafeln ist ja ein kleiner Fortschritt, aber man muß das Uebel an der Wurzel anfassen.

Abg. Behrens (wirtsch. Vgg.): Die Vorlage entspricht nicht ganz unserem Ideal, doch ist sie ein brauchbarer Rahmen, den der Bundesrat ausfüllen kann. Die erforderlichen Anregungen hierzu zu geben, ist Sache des Reichstags. Die Heimarbeit ganz oder teilweise zu verbieten, wie es die Sozialdemokraten wünschen, ist, wie die Verhältnisse heute liegen, ohne eine schwere Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz vieler Heimarbeiter nicht möglich. Wir find in erster Linie für die Errichtung von Lohnämtern. Eventuell könnte durch die Arbeits⸗ kammern eingegriffen werden.

Die Vorlage wird einer Kommission von 28 Mitgliedern

überwiesen. Schluß Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Toleranzantrag des Zentrums; Gewerbeordnungsnovelle.)

Preußzischer Landtag.

Haus der Abgeordneten. 22. Sitzung vom 16. Februar 1910, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.) Ueber den Beginn der Sitzung, in der die zweite Beratung

des Etats der Justizverwalkung bei dem Kapitel der dauernden Ausgaben „Land- und Amtsgerichte“ fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Justizminister Dr. Beseler:

Meine Herren! Zunächst eine kurze Antwort auf die Anregung des Herrn Abg. von Saldern hinsichtlich der Frage, ob in Wilsnack ein Amtsgericht einzurichten sei. Ich kann versichern, daß die Justiz⸗ verwaltung allen Anregungen, welche in dieser Richtung an sie heran⸗ treten, sorgfältige Prüfung angedeihen läßt. Ebenso wird auch die Frage, ob ein Amtsgericht nach Wilsnack zu verlegen sei, sorgfältig erwogen werden. Ich bemerke, daß zurzeit der in Aussicht gestellte Antrag noch nicht vorliegt.

Vornehmlich habe ich mich zum Wort gemeldet, um auf die Er— klärung des letzten Herrn Redners einige kurze Bemerkungen zu machen. Ich beginne damit, daß ich mitteile, welche Stellung ich zu

der Frage der Zeugniszwangshaft eingenommen habe. Es ist das im Jahre 1907 geschehen. Damals habe ich an die Staatsanwaltschaften eine Zirkularverfügung erlassen, welche im wesentlichen folgendes besagt: Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben, bevor sie die An⸗ ordnung der Haft zur Erzwingung des Zeugnisses bei den Gerichten in Antrag bringen, nicht nur deren gesetzliche Zulässigkeit, sondern auch die weitere Frage sorgfältig zu prüfen, ob die Zwangs maßregel zu ihrem voraussichtlichen Ergebnis und zu der Bedeutung der Sache in dem richtigen Verhältnis steht. Das ist die allgemeine Anweisung, welche nach meiner Auf— fassung der Lage der Gesetzgebung entspricht. Selbstverständlich bin ich nicht in der Lage, Anweisungen an die Gerichte in dieser Frage zu erteilen, die nach dem Gesetz lediglich ihrer Entscheidung unter—⸗ liegt. Was nun den Fall anlangt, den der Herr Abgeordnete be⸗ sonders hervorgehoben hat, in dem ein Redakteur in Zwangshaft genommen worden ist, so liegt die Sache folgendermaßen:

Es ist richtig, daß in einem Disziplinarverfahren ein Zeugnis— zwangsverfahren gegen den Redakteur stattgefunden hat. Es ist zu bemerken, daß diese Zwangshaft unterbrochen ist während der Weihnachtszeit vom 23. Dezember bis 3. Januar. Im übrigen ist diese Zwangshaft festgesetzt auf Beschluß des Gerichts, und zwar wegen einer nach Ansicht des Gerichts außerordentlich schwerwiegenden Frage, sodaß nicht ohne weiteres angenommen werden kann, es handle sich hier um einen der Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft einen anderen Standpunkt einzunehmen hätte. Aber selbst, wenn sie es täte, ist die Sache zurzeit abgetan; denn das Gericht hat so bestimmt, und es ist das auf Beschwerde vom zuständigen Ober— landesgericht bestätigt worden. Da es sich um eine schwebende Unter— suchung handelt, muß ich auch heute wieder meinen Standpunkt be— tonen, daß ich auf die Einzelheiten des Falles nicht eingehen darf.

Nun möchte ich im Anschluß an diese letzte Bemerkung noch her— vorheben, daß auch neulich von verschiedenen Herren Rednern der Allensteiner Fall berührt worden ist. Ich habe auch damals erklärt, daß ich auf den Inhalt der Untersuchung einzugehen außerstande sei. Aber es ist in anderen Kreisen so aufgefaßt worden, als ob einzelne der Herren Redner hier auch schon zur Schuldfrage in dieser Unter— suchung eine gewisse Stellung eingenommen hätten. Ich habe das nicht so aufgefaßt und bin auch jetzt der Meinung, daß diese Auf— fassung nicht zutrifft. Aber die Auffassung hat Platz gegriffen, und es ist bei mir schon Klage geführt, aus einer Reihe von bei der Sache Interessierten. Es wird darauf hingewiesen, daß ja dadurch möglicherweise dem Angeschuldigten ein Nachteil ent⸗ stehen könne, wenn eine Untersuchung, ehe sie vom Gericht ent— schieden sei, hier erörtert werde. Ich bin der Meinung, daß das nicht in dem Sinne geschehen ist, wie es dort aufgefaßt wurde, glaube aber nochmals betonen zu dürfen, daß es in der Tat nicht wünschenswert ist, so lange die Entscheidung des Gerichts noch aussteht, hier über Schuld und Unschuld schon Erörterungen anzustellen. Soviel ich weiß, entspricht das auch durchaus der Gepflogenheit des hohen Hauses; aber ich habe das nur bemerkt, weil an mich diese Anfrage und Anzeige ergangen war, und ich glaube, daß mit dieser meiner heutigen Erklärung die Sache nun wohl für jetzt abgetan ist.