1910 / 54 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 04 Mar 1910 18:00:01 GMT) scan diff

hältnisse kennen, nicht befremdet. An dem Milieu der Auswanderer mag eine Dame nicht gerade ie e, Gefallen finden. Ein groß Uebelstand im Bericht ist, daß absichtlich verschwiegen wird, welcher Linie die Schiffe angehören, und daß an Stelle der Schiffsnamen immer ein Strich steht. Das hat nicht nur in Deutsch⸗ land, sondern auch im Ausland empört, daß Ausfälle gegen Mann⸗ schaften und Schiffe gemacht werden, deren Namen im Dunkeln bleiben, und nicht nur die Reeder, sondern auch die Schiffsleute, die letzteren in ihrem Organ „Das Echo“ in Hamburg, wehren sich gegen diese Art des Berichtes. Wenn die Behauptung, daß die weiblichen k von der Schiffsmannschaft in der unflätigsten Weise be⸗ jandelt werden, ohne Namensnennung aufgestellt wird, so ist das sehr zu bedauern. Wir haben auf unseren Schiffen Vorschriften, die nicht bloß auf dem Papier stehen. Unsere Schiffe werden vor dem Ausgang von dem Auswanderungskommissar besichtigt, und wenn solche Dinge vorgekommen wären, so wäre es wunderbar, daß nicht eine Beschwerde . geworden ist. Ich begrüße es mit Freude, daß die Sache zur . gekommen ist, damit auch die Regierung erklären kann im Interesse der deutschen Reederei und der deutschen Schiffsmannschaft: derartige Vorwürfe berühren uns nicht. Das Kapitel wird bewilligt.

Beim „Kapitel des Statistischen Amts“ bemerkt der

Abg. Dr. Dah lem (Zentr.): Der Beirat für Arbeiterstatistik sollte sich mit der Frage der Sonntagsruhe und der Nachtruhe für die Schiffsbevölkerung befassen. Die Schiffsbevölkerung muß beinahe Tag und Nacht fortgesetzt das ganze Jahr hindurch fahren. Deshalb ist die Einführung der Sonntagsruhe für diese Leute eine dringende Notwendigkeit. Die selbständige Schiffsbevölkerung befindet sich im Niedergange, sie wird ruiniert durch die großen Schifffahrts⸗ firmen, die alle großen Transporte in ihre Hand zu bekommen suchen.

Um so mehr müssen wir dafür sorgen, daß für die Angestellten dieser Firmen Vorschriften über Sonntagsruhe und Nachtruhe erlassen werden.

Abg. Do ve (fr. Vgg.): Die Zahlen der Statistik beweisen aber doch nur dann, wenn sie richtig aufgestellt sind und wenn daran nur mit Vorsicht Schlüsse geknüpft werden. Die erste Voraus— setzung der Statistik ist, daß sie ohne Tendenz aufgestellt wird. Leider vermissen wir das öfter. Den Handelsvertretungen wurde vor einiger Zeit eine Denkschrift des Reichsamts des Innern „Unsere Ausfuhr im Jahre 1908, die Wirkung der neuen Handelsverträge“ überreicht. Sie sollte beweisen, daß die Handelsverträge günstig gewirkt haben. Zu diesem Zweck gab sie an, daß in dem Krisenjahr 1908 unsere Ausfuhr nach den Handelsvertragsstaaten in viel geringerem Maße zurückgegangen sei als nach den anderen Ländern, dieser Rückgang sollte nach den Vertragsländern nur 1,42 ½υ betragen. Damals waren aber die Werte der Ausfuhr noch nicht berechnet und man kam zu den Wertzahlen nur dadurch, daß man die Werte von 1907 mit den Quanten von 1908 multiplizierte. Eine neue Berechnung der Werte hat dann

so ergeben. Die Wirkung der Handelsverträge

aber 6,52 0so kann man aber nicht daraus beweisen, daß die Einfuhr nach den Vertragsländern geringer zurückgegangen ist als nach den Freihandels— ländern, denn man kann doch nicht behaupten, daß die Zölle der Länder, wohin wir exportierten, unsere Ausfuhr gefördert hätten. Die Ursachen sind vielmehr anderswo zu suchen. Es ist überhaupt falsch, nur eine so kurze Periode von 2 Jahren gegenüber zu stellen. Ein Problem der wissenschaftlichen und praktischen Statistik ist es, wie die Differenzen in den statistischen Angaben zwischen den verschiedenen Ländern ausgeglichen werden können. Wenn sich auch nicht für alle Länder ein Normalformular wie die Weltsprache Esperanto auf— stellen läßt, so können doch benachbarte Staaten sich international über bestimmte Grundsätze für ihre Statistik verständigen. Ferner ist zu wünschen, daß die Geschäftsleute nicht durch zu tiefes Eindringen in Einzelheiten bei statistischen Fragen belästigt werden. Vor allem muß eine Statistik unparteüsch sein.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück:

Meine Herren! Ich kann alles, was der Herr Abg. Dove über den Wert der Statistik, die Aufstellung der Statistik, über die Not— wendigkeit einer zuverlässigen Statistik gesagt hat, voll unterschreiben. Ich bin mit ihm auch darüber vollständig einig, daß man aus einzelnen Zahlenreihen nicht allgemeine Schlüsse ziehen darf, sondern daß eine Statistik nur in der Hand eines Mannes richtig gehandhabt werden kann, der alle die Tatmomente zu übersehen und zu beurteilen vermag, die bei Entstehung dieser Zahlenreihen mitgewirkt haben. Ich stimme mit Herrn Dove auch darin äberein, daß eine kurze Zeit oder ein oder zwei Wirtschaftsjahre völlig unzureichend sind, um klar zu legen, wie eine bestimmte Wirtschaftspolitik gewirkt hat. Wir sind also völlig einig; die Differenz zwischen uns beiden besteht bloß darin, daß der Herr Abg. Dove der vielgenannten sogenannten Denkschrift eine Bedeutung beimißt, die ihr von ihren Urhebern nicht beigemessen ist, und daß er den verbündeten Regierungen Absichten unterschiebt, die ihnen völlig fern gelegen haben. Mit dieser Denkschrift hat es folgende Bewandnis. Es liegt in der Natur der Dinge, daß das wirtschaftliche Ressort, das für die Durchführung aller unserer wirtschaftlichen Maßnahmen verantwortlich ist, sich be⸗ müht, alles Material, was zur Beurteilung der Dinge laufend und dauernd notwendig ist, zu beschaffen. Zu diesem Zwecke hat man im Reichsamt des Innern lediglich für den inneren Dienstgebrauch die Zusammenstellungen gemacht, die in den beiden Teilen der Denkschrift in die Oeffentlichkeit gelangt sind. Als diese Zusammenstellung für den Dienstgebrauch des Amts fertig gestellt war, fand man, daß sie doch eine Reihe von interessanten Daten enthielt, die anderweit noch nicht zugänglich waren, und man sagte, es ist vielleicht zweckmäßig, den verbündeten Regierungen diese Denkschrift mitzuteilen. Die ver⸗ bündeten Regierungen haben nun ich habe es als Handelsminister in Preußen meinerseits auch getan geglaubt, diese Denkschrift den Handelsvertretungen nicht vorenthalten zu sollen. Dabei wurde ent— fernt nicht damit gerechnet, daß jemand auf den Gedanken kommen sollte, man wolle mit dieser Denkschrift allge⸗ meine Deduktionen, die man aufgestellt hatte über die zukünftige Wirkung der Handelsverträge, in der einen oder anderen Richtung widerlegen. Niemand ist es auch eingefallen, diese Denk— schrift den Handelsvertretungen zur Nachachtung und Bekehrung, wie Herr Dove, glaube ich, gesagt hat, zu übermitteln. Ich werde dafür sorgen, Herr Dove, daß Sie derartiges interessantes Zahlenmaterial in Zukunft nicht mehr auf dem Wege bekommen, auf dem es im vor— liegenden Falle in Ihre Hände gelangt ist. (Heiterkeit) Nun hat der Herr Abgeordnete Dove einige allgemeine Betrachtungen angestellt über die Art, wie man Statistiken vorbereiten und aufstellen soll, er hat darauf hingewiesen, daß sie so angelegt werden sollen, daß sie nicht in die Geschäftsgeheimnisse eindringen, die Geschäftsleute sollen nicht übermäßig belästigt werden. Auch darin bin ich vollständig mit ihm einverstanden. Der Hauptgegenstand seiner Beschwerde war aber doch in der Hauptsache bereits erledigt, als er sie vortrug, denn es stellte sich heraus, daß im einzelnen Falle eine Behörde die An— ordnungen des Bundesrats mißverstanden hatte und auf eine Be⸗ schwerde der Beteiligten Remedur eintrat. Ich werde mich bemühen, dafür zu sorgen, daß die Anordnungen des Bundesrats in Zukunft so deutlich sind, daß sie nicht mißverstanden werden können. Ob nicht

aber doch Beamte sich finden, die sie mißverstehen, Herr Dove, dafür kann ich keine Garantie übernehmen.

Nun hat der Herr Abg. Dove noch einige allgemeine Be— merkungen über unsere Statistik gemacht. Ich erkenne ohne weiteres an, daß unsere Statistik, insbesondere unsere Handelsstatistik, in mancher Beziehung reformbedürftig ist. Ich erkenne an, daß wir bestrebt sein müssen, die Differenzen, die sich immer noch zwischen den Statistiken der verschiedenen Länder ergeben, zu beseitigen, respektive die Fehlerquellen zu ergründen, aus denen sich die Differenzen ergeben. Ob das aber vollständig möglich sein wird, ist mir zweifelhaft, weil die Statistiken zu einem erheblichen Teile aufgebaut sind auf den Zolltarifen der betreffenden Länder, und die verschiedenartige Kon— struktion der Zolltarife und der Zollgesetzgebung naturgemäß immer eine Fehlerquelle sein muß. Im übrigen sind unsere Statistiker dabei, sich mit den statistischen Aemtern anderer Kulturländer über die Möglichkeiten zu einigen, die Statistik zu vereinheitlichen und derartige Fehlerquellen nach Möglichkeit zu eliminieren.

Damit werden aber die Anforderungen, die wir an eine zuverlässige und gute Handelsstatistik zu stellen haben, noch lange nicht erfüllt sein. Unsere Handelsstatistik, die sich zunächst aus den Anschreibungen unserer Zollbehörden entwickelt hat, die dann erweitert worden ist durch das Gesetz über die Warenverkehrsstatistik, leidet zunächst zweifellos an dem Mangel, daß man nicht feststellen kann, welche von den nach der Einfuhrstatistik eingegangenen Waren im Inlande konsumiert sind, und daß man nicht ersehen kann, welche von den nach dem Auslande ausgeführten Waren im Inlande produziert sind oder nur durch das Inland im Wege des Zwischenhandels durchgeführt sind. Ein weiterer viel größerer Mangel unserer Statistik ist der, daß wir keinen Ueber⸗ blick haben über die Ein- und Ausfuhr von Kapital. Eine fernere Schwierigkeit liegt darin, daß uns bestimmte Anhaltepunkte fehlen für die Produktion an Gütern und für die Produktion an Kapital im Inlande. Auf diesem Gebiete liegen die Versuche, die der Herr Abg. Dove, wenn ich ihn recht verstanden habe, im letzten Teil seiner Ausführungen behandelt hat. Wir haben versucht, die einheimische Güterproduktion statistisch stärker, als bisher, zu erfassen durch eine Erweiterung unserer Produktionserhebungen, die sich früher nur be— zogen auf die der indirekten Besteuerung unterliegenden Produkte, während sie jetzt allmählich auf einen erheblichen Teil unserer übrigen Produktion ausgedehnt sind und auch weiter ausgedehnt werden sollen .

Der Herr Abg. Dove hat ferner von einer noch nicht getroffenen Anordnung des Reichsamts des Innern über eine Emissionsstatistik gesprochen. Diese Emissionsstatistik soll den Zweck haben, wenn möglich, eine Unterlage zu gewähren für die Produktion an Kapital im Inlande. Ob eine solche amtliche Statistik ich glaube, die „Frankfurter Zeitung“ hat sie ihrerseits privatim aufgestellt praktisch überhaupt durchführbar ist, ist uns noch in hohem Maße zweifelhaft. Ob die Schwierigkeiten, die einer korrekten Durchführung entgegenstehen, nicht so groß sind, daß man von der Durchführung überhaupt absehen muß, ist auch noch zweifelhaft. Die Arbeiten, von denen Herr Dove soeben gesprochen hat, haben lediglich den Zweck, die Vorfrage zu prüfen, ob man überhaupt an die Aufmachung einer staatlichen Emissionsstatistik herangehen kann oder nicht. Der Herr Abg. Dove kann also sicher sein, daß wir auch diese Frage mit der Vorsicht und Schonung in die Hand nehmen werden, die die be⸗ teiligten Handelskreise erfordern können. Ich hoffe aber, er hat aus meinen Ausführungen entnommen, daß wir den von ihm gestreiften verschiedenen Fragen der Statistik die gebührende Aufmerksamkeit schenken werden. (Bravo!)

Abg. Bassexmann (nl): Die Nachtruhe in der Binnenschiffahrt

ist noch immer Gegenstand der Erhebungen des Statistischen Amtes.

Bei dieser Sonntags- und Nachtruhe kommen die Matrosen und

Schiffsjungen in Betracht, und da kann niemand bestreiten: das Personal

wird eigenklich von Jahr zu Jahr schlechter. Die Anstrengungen und

Anforderungen an das Personal wachsen stetig, infolgedessen findet

eine Flucht der jungen Leute nach der Industrie statt. Das Personal

wird in sehr intensiver Weise herangezogen zur Beladung

und Entladung der Schiffe. Die Lokalinstanzen geben

leicht die Erlaubnis zur Sonntagsgrbeit. Kaum angekommen, muß

das Schiff entladen werden, der Schiffseigner muß selbstverständlich

in dieser Zeit sich bei dem Ausladegeschäft beteiligen, daran schließt

sich sofort die neue Beladung. Aus diesen Verhältnissen heraus

kommt die Forderung einer minimalen Ruhezeit und der Sonntags⸗

ruhe. Ich habe auf einer Versammlung in Duisburg die Wünsche

der Schiffer gehört. Sie haben einmütig den dringenden Wunsch nach

Abschluß der gesetzgeberischen Vorarbeit ausgesprochen. Es herrscht

in diesen gutgesinnten Kreisen eine gewisse Bitterkeit darüber,

daß man hier nicht noch weiter gekemmen ist. Am Rhein ist

eine Depression in diesen Kreisen vorhanden, wie seit langem nicht.

Auch die großen Schifffahrtsgesellschaften leiden, sodaß sie vielfach mit Defizit arbeiten. Für die Mittelstandsexistenzen liegt die Heilung lediglich in einem Genossenschaftszusammenschluß. Ich bitte den Staatssekretär, für Beschleunigung des Abschlusses der erwähnten gesetzgeberischen Arbeiten einzutreten. So schwierig kann die Regelung doch nicht sein, wie sie die großen Schiffahrtsgesell schaften hinstellen.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delb rück:

Meine Herren! Die Ermittlungen über die Nachtruhe der Schiffer haben sich ja einige Zeit hingezogen aus Gründen, die nicht allein im Reichsamt des Innern liegen. Die Auskünfte des Beirats für Arbeiterstatistik ließen manche Zweifel, sodaß es zweckmäßig schien, zunächst noch das Kaiserliche Gesundheitsamt zur Sache zu hören. Dieses Gutachten ist demnächst zu erwarten; sowie es vorliegt, wird den Arbeiten weiterer Fortgang gegeben werden. (Bravo!)

Abg. Brey (Soz.): Unsere Partei hat zu diesem Kapitel beantragt, den Relchskanzler zu ersuchen, durch den Beirat für Arbeiterstatistik Untersuchungen veranstalten zu lassen über die Arbeitsverhältnisse der bei Herstellung von Säuren and, Teerfarben be⸗ schäftigten Arbeiter, insbesondere in den Abteilungen der Betriebe, in welchen mit giftigen und explosiven Stoffen gearbeitet wird. Die Elberfelder Farbenfabriken haben pro Arbeiter und Jahr 30909 verdient, aber trotz dieses berauschenden Profits stöhnen sie in ihrem letzten Jahresbericht über die Einflüsse und Lasten, die ihnen die sozialpolitische Gesetzgebung auferlegt habe. Tatsächlich sind die Arbeiter in der chemischen Industrie nur, (ganz ungenügend geschützt, wie ein 1907 auf der Scheringschen Fabrik erfolgter Unfall bewesst, der hinsichtlich des Kampfes der, Arbeiterwitwen um die Unfall— rente geradezu tppisch ist. r Dr. Spahn ver— hindert den Redner, die Einzelheiten dieses Falles zu er— örtern. Wir dehnen unseren Antrag, um schneller zu einein Ex— gehnis zu kommen, absichtlich nicht auf die ganze chemische In— kustrie aus. Die Statistik zeigt, daß der Nuf der Arheiter in der chemischen Industrie nach mehr Arbeiterschutz durchaus berechtigt ist. Die Untersuchungen sollen sich erstrecken auf. die Gefahren, die für Leben und Gesundheit der Arbeiter in diesen Betrieben bestehen, ferner darauf, wie oft die Arbeiter in den einzelnen Abteilungen,

Rücksicht auf gesundheitsschädliche Einwirkungen die Betriebs— arbeit wechseln, sodann auf die Dauer der täglichen Arbeitszeit, die Zahl der Arbeitsschichten und Doppelschichten, die Zahl der Ueber— stunden, die Länge der Wechselschichten von 18. 24, 36 Stunden, endlich darauf, inwiefern die Einführung eines fanitären Maximal⸗ arbeitstages sowie sanitärer Vorschriften zum Schutz der Arbeiter

durch. Bundesratsverordnung geboten erscheint. Die Fabrikation der arsenigen, der Salpeter- und Pikrinsäure bedroht die damit befaßten

Arbeiter mit langsamer Vergiftung und Zerstörung des Organismus.

Die Beschäftigung jugendlicher Personen in diesen gesundheits- und lebensgefährlichen Betrieben ist nicht etwa verboten, sondern erlaubt. Bei Explosionen ist sehr oft ausreichende Hilfe garnicht oder doch nicht sofort zur Stelle, ein Beweis mehr für die Mangelhaftigkeit des heutigen Arbeiterschutzes. Die Explosionen haben sich seit dem großen Griesheimer Unglück von 1901 recht häufig wiederholt; 108 Arbeiter sind durch Gase, Dämpfe und Sprengstoffe getötet worden. Die Anlieger und Nachbarn solcher Betriebe haben unter deren giftigen Ausdünstungen so zu leiden, daß gegen jede neue An—

lage Sturm gelaufen wird. Das gleiche gilt von der Fabri⸗

kation der Anilinfarben; hier sind zwei Betriebskrankheiten, die

Chlorose und der Blasen⸗ und Hodenkrebs, der Schrecken der Arbeiter. Die Arbeiter der chemischen Industrie haben auf einem

Kongreß ihre Forderungen an Gesetzgebung und Verwaltung

formuliert, worunter sich auch der sanitäre Maximalarbeitstag be—

findet; unsere Resolution bahnt die Verwirklichung dieser Forderungen an, ich bitte Sie, sie einstimmig anzunehmen.

Abg. Dr. Faßben der (Zentr.) regt den Ausbau und die Vervoll— ständigung der Genossenschaftsstatistik an. Noch heute gehörten Tausende von Genossenschaften keinem Revisionsverbande an. Es sollte gesetzlich die Verpflichtung der Genossenschaften ausgesprocher werden, jährlich Fragebogen auszufüllen, die dem Statistischen Amt des Reichs einzusenden sind. Abg. Gothein (fr. Vgg.: Meines Erachtens genügt es voll⸗ ständig, wenn eine Mindestruhezeit für die Binnenschiffer festgesetzt wird. Es darf nicht ein Verbot dahin ergehen, daß zu den und den Nachtstunden nicht gefahren werden darf; man würde dadurch nur der Schiffahrt einen Teil der Güter nehmen und den Eisenbahnen zuführen. Die Verhältnisse liegen auch auf den einzelnen Strömen sehr verschieden; schon auf der Elbe steht es damit viel ungünstiger als auf dem Rheine, und auf der Oder noch ungünstiger als auf der Elbe. Auf der Oder kommt es sogar vor, daß mitten im Sommer die Schiffahrt auf längere Zeit behindert wird; ein derartiges Ver— bot würde eventuell den ganzen Schiffahrtsverkehr lahmlegen. Eine wirksame Regelung dieser Frage kann nur durch Verständigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitern erzielt werden; es ist mit größter Vorsicht vorzugehen, wenn man nicht die Reeder und die Arbeiter zugleich schwer schädigen will.

Abg. Legien (Soz.): Die Anregung des Abg. Faßbender kann

ich nur unterstützen, will aber hoffen, daß es damit nicht so lange

dauern wird, wie mit der Verbesserung der Streikstatistik, die wir nun schon zum dritten Male anregen müssen. Es ist im Reichstage festgestellt worden, daß diese Statistik unzulänglich und unrichtig ist; aber von Reichs wegen ist nichts zur Abhilfe geschehen. Wir be— antragen daher wiederum, daß eine Aenderung der Formulare für die Statistik über die Streiks und Aussperrungen dahin erfolgt, daß an die Stelle dieser mangelhaften und unzuverlässigen Statistik eine wissenschaftlich einwandfreie treten kann. Bekanntlich hat seinerzeit in der amtlichen Statistik eine Reihe von Berliner Streiks überhaupt gefehlt. Man hat den Fehler aber nicht etwa eingestanden, sondern die Statistik so umgestaltet, daß die

Nachweisung nach Landesteilen wegblieb, um den Gewerk—

schaften die Möglichkeit des Vergleichens zu nehmen.

In der amtlichen Statistik von 1906 fehlten wieder 257 Streiks, die

die Gewerkschaften aufgeführt hatten, in der Statistik von 1907

441 Streiks, in der von 1908 470 Streiks. Diese Tatsachen beweisen,

daß die amtliche Statistik unbrauchbar, unzuverlässig ist. Ein Unsinn

ist es auch, wenn die amtliche Statistik in einem Jahre der wirt— schaftlichen Krisis erheblich mehr Angriffs- als Abwehrstreiks zählt; die Arbeiterorganisationen sind in solchen Zeiten gar nicht in der

Lage, zu Angriffsstreiks überzugehen. Daß die amtliche Statistik

zuungunsten der Arbeiter ausfällt, ist begreiflich, wenn man

bedenkt, daß die Angaben von der Polizei herrühren. So wird denn auch die Zahl der erfolgreichen Streiks von der amtlichen

Statistik viel niedriger angegeben als von der Gewerkschafts—

statistik. Man weiß im Reichsamt des Innern ganz genau, daß diese

Statistik unrichtig ist, und es ist unverantwortlich, daß es nicht Re—

medur schafft, denn durch eine solche unrichtige Statistik wird das

Inland und auch das Ausland über die Lohnverhältnisse bei uns ge⸗

täuscht. Leider kämpfen wir schon seit 2 Jahren vergeblich für eine

Besserung, darum haben wir unsere Resolution gestellt, um den Weg

zu zeigen, auf dem eine solche Besserung möglich ist. Das Zentrum

hat, wie gewöhnlich, eine abgeschwächte Resolution eingebracht. Diese

Resolution von Hertling will den Beirat für Arbeiterstatistik mit Be⸗

ratungen darüber beauftragen, wie die Streikstatistik zu verbessern

und auszugestalten ist. Warum diesen Umweg, warum nicht den

Reichskanzler ersuchen, den früheren Beschluß umzuändern? Ich

empfehle Ihnen, den direkten Weg zu beschreiten.

Die Resolution Albrecht, betreffend Untersuchungen über die Arbeitsverhältnisse in der chemischen Industrie, wird an⸗ genommen, dafür stimmt auch das Zentrum; der Antrag Albrecht wegen der Streikstatistik wird abgelehnt, der Antrag von Hertling denselben Gegenstand betreffend, angenommen und das Kapitel „Statistisches Amt“ bewilligt.

Zu dem Kapitel „Gesundheitsamt“ begründet der Abg. Dr. Jaeger (Zentr.) folgende von ihm und den Abgg. Dr. Hitze, Dr. Faßbender und Genossen eingebrachte Resolution:

A. .Die verbündeten Regierungen zu ersuchen: in Ausführung des Artikels IV Nr. 165 der Reichsberfassung dem Reichstage einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen allgemeine Vorschriften zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der minder bemittelten Volksklassen in bezug auf Lage, Luftraum, Licht und Luft der Wohn⸗, Schlaf- und Arbeitsräume, Zahl und Anlage der Ab— orte usw. erlassen werden, mit Verpflichtung der Einzelstaaten, die Durchführung dieser allgemeinen Vorschriften durch spezielle Ver— ordnungen unter Anpassung an die besonderen Verbältnisse von Stadt und Land zu regeln und durch Anstellung von besonderen Aufsichtsbeamten, sei es des Staates, sei es der J emeinde, jedoch unter Oberaufsicht von Staatsbeamten zu sichern.

B. Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen: J. für Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses der Arbeiter und Beamten des Reichs auch fernerhin und in weiterem Maße als bisher, sei es durch Errichtung von Wohnungen, sei es durch Unterstützung ent— sprechender gemeinnütziger Unternehmungen, Sorge zu tragen; II. durch Ueberlassung von freiwerdendem, oder auch, wo be— sondere Rücksichten es empfehlen, zu erwerbendem Gelände des Reichsfiskus den gemeinnützigen Wohnungsbau zu unter— stützen; III. zur Förderung eines gesunden Wohnungswesens eine Verständigung der einzelnen Staaten einzuleiten zum Zwecke: a. steuerlicher Erleichterungen für die Wohnungen der minder⸗ bemittelten Volksklassen, der Erschwerung wucherischer Grundstücks⸗ spekulation durch Einführung der Besteuerung nach dem gemeinen Wert usw., b. der Fortbildung der Bauordnungen und Bebauungs⸗ pläne im Sinne einer weiträumigen Bebauung und der BVe—⸗ zentralisation der Besiedlung (z. B. im Anschluß an Kanäle und Wasserläufe), C. einer zeitgemäßen Reform des Enteignungsrechts und der Umlegung von zur Bebauung bestimmten Grundstücken.

Abg. Dr. Junck (n.): Meine Freunde haben zur Wohnungs⸗ frage einen besonderen Antrag gestellt, der bei anderer Gelegenheit besonders zu verhandeln ist. Auf diesem Gebiet bestehen noch große Gegensätze, die man in die Worte zusammenfassen kann, „Staats⸗ fürsorge“ oder „wirtschaftliche Freiheit?“. Aber das sind doch

in welchen giftige Stoffe hergestellt oder verarbeitet werden, mit

nur Schlagwörter, die sich die Gegner einander entgegenhalten.

Die Lösung der. Wohnungofrage

entspricht aber dem sozialen Jug, der jetzt durch unsere ganze Gesetzgebung geht. Wir wünschen, daß eine Kommission berufen wird, die ein Programm für die Iöfung der Wohnungs frage entwerfen soll. Wir verlangen nicht ausdrücklich ein Reichs gesetz denn der Bundesrat hat. schon einmal einen vom Reichstag angenommenen Antrag in dieser Richtung abgelehnt, aber es müßte doch möglich sein, diese große Kulturfrage

im Rahmen eines Reichsgesetzes zu regeln. Die Talonsteuer, die

. ReichtzʒZmsatzsteuer, die Reichswertzuwachssteuer wirken ja doch auch

auf die Wohnungsfrage ein. Wir werden uns jedenfalls noch weiter mit der Wohnungsfrage zu beschäftigen haben, und ich bitte deshalb das Haus, auf den Boden unseres Antrages zu treten.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern Delbrück:

Ich verstehe die geschäftlichen Dispositionen, die sich aus den Ausführungen der beiden Herren Vorredner ergeben, dahin, daß die Frage der Förderung des Kleinwohnungsbaues durch das Reich später bei dem betreffenden Titel meines Etats besprochen werden soll, und es sich jetzt nur um die Frage handelt, inwieweit im Wege der Reichsgesetzgebung oder durch andere Maßnahmen des Reichs die Wohnverhältnisse der Minderbemittelten gebessert werden sollen. Ich glaube, ich habe in diesem Sinne die verschiedenen Anträge richtig verstanden; die Herren vom Zentrum wünschen, den Weg der Gesetz⸗ gebung zu beschreiten, und die Herren der nationalliberalen Partei wünschen darüber kommissarische Erörterungen. Ich verkenne keinen Augenblick die außerordentlich große Bedeutung, die eine verständige Fürsorge für gesunde, den hygienischen und moralischen Anforderungen entsprechende Wohnungen der minder bemittelten Stände hat. Ich persönlich bin seit beinahe zwei Jahrzehnten in den verschiedensten Stellungen in diesen Angelegenheiten tätig gewesen und glaube meinerseit ein eigenes Urteil über manche von ihnen zu besitzen. Ich bin nun zunächst der Meinung, daß es sich hier um eine Frage handelt, die in erster Linie zu lösen ist durch eine verständige und einsichtige Kommunalpolitik. (Sehr richtig) Ein Teil unserer großen Kommunen hat auf diesem Gebiete Hervorragendes und Vor—⸗ bildliches geleistet. Ich würde aber nicht aus den Leistungen, die einzelne oder ein großer Teil unserer Kommunen auf diesem Gebiete aufzuweisen haben, allein den Grund herleiten, diese Angelegenheit zunächst den Kommunen zu überlassen, sondern es greifen so viele Fragen der kommunalen Tätigkeit und Fürsorge in die Wohnungs— frage, wenn ich mich so ausdrücken darf, hinein, daß ich es für außer⸗ ordentlich schwierig halte, die Angelegenheit für das ganze Reich durch ein Reichsgesetz zu regeln. Meine Herren, ich habe in Preußen 4 Jahre lang an dem Entwurf eines Wohnungsgesetzes mitgearbeitet und bin mir dabei über die außerordentlichen Schwierigkeiten klar ge⸗ worden, die sich der Verabschiedung eines solchen Gesetzes auch nur für Preußen entgegenstellen. Für mich waren sie gelöst, ich war mir also meinerseits darüber klar, wie die Angelegenheit für Preußen geregelt werden könnte. Es ist mir aber sehr zweifelhaft, ob es mir gelingen würde, einen ähnlichen Gesetzentwurf mit den verbündeten Regierungen zu vereinbaren, weil die Ausgestaltung eines solchen Entwurfs stark beeinflußt wird durch die Organisation und die Zuständigkeitsverhältnisse in den einzelnen Bundesstaaten. Ich glaube also nicht, daß man durch ein Reichsgesetz die Angelegenheit erheblich fördern würde, ich bin im Gegenteil der Meinung, daß ein Reichsgesetz noch allgemeiner, noch mehr auf Blankettvollmacht gestellt sein würde, als das schon das Gesetz für einen einzelnen Bundesstaat sein würde. Ich glaube also, daß es richtiger sein wird, die gesetzliche Regelung aller dieser Fragen zunächst noch den einzelnen Bundesstaaten zu überlassen. Sie stehen den Verhältnissen ihrer Kommunen näher, sie kennen die Organisation ihrer Kommunen, deren Leistungsfähigkeit besser als wir und sind eher in der Lage, an der Hand dieser Kennt— nisse die allgemeinen Normen aufzustellen und die Vollmachten zu bemessen, die den einzelnen Behörden und Instanzen gegeben werden müssen.

Nun ist seitens der Herren von der nationalliberalen Partei ja ein Wohnungsgesetz (Abg. Dr. Junck: vom Zentrum!) seitens der Herren von der nationalliberalen Partei ja ein Wohnungsgesetz nicht gewünscht (Heiterkeit), sondern die Herren von der nationalliberalen Partei haben sich auf allgemeine Anregungen beschränkt, die wesentlich darauf hinausgehen, daß von Reichs wegen Erhebungen über die Verhältnisse unserer Kleinwohnungen im Reiche und über die Mittel zu ihrer Besserung gemacht werden sollen. Meine Herren, ich habe den Eindruck, daß diese Arbeiten an anderen Stellen bereits so vor— züglich gemacht sind, daß jeder, der den Wunsch hat, sich über den Stand der Wohnungsfrage im Deutschen Reiche zu unterrichten, in der Lage ist, sich das Material einwandsfrei und vollständig zu verschaffen. Es gibt eine Reihe von Städten, die auf diesem Gebiete Monographien veröffentlicht haben; die statistischen Aemter unserer großen Städte haben eine ganze Reihe wichtiger und wertvoller Arbeiten geleistet. Nicht die Wohnungsfrage im allgemeinen ist durch sie behandelt, sondern auch Einzelfragen, wie die Baubeschränkungen, die Straßen⸗ fluchtlinien in den verschiedenen deutschen Städten und Staaten. Das sind alles Dinge, die der Allgemeinheit zugänglich sind. Auf Städtetagen und ähnlichen Vereinigungen ist so viel über die Wohnungspolitik der Kommunen geredet worden, daß ich eigentlich meine, es besteht kein Zweifel mehr darüber, was angestrebt werden soll, auf welchen Wegen man diesem Ziele näher zu kommen ver— suchen soll und wer die zur Lösung dieser Aufgaben berufenen Organe sind.

Die Schwierigkeiten liegen nur in der gesetzestechnischen Aus⸗ gestaltung, und zwar um deswillen, weil ein derartiges Gesetz nicht nur sehr starke Eingriffe in die Bodenpolttik, in die Finanzpolitik und in die baupolizeilichen Bestimmungen der einzelnen Städte enthalten müßte, sondern auch und das ist etwas, was ich beinahe mehr gescheut habe tiefgehende Ein⸗ griffe in die persönliche Freiheit des Einzelnen. Man kommt dahin, daß dem einzelnen Familienvater vorgeschrieben werden soll, wieviel Zimmer er für eine Familie mit so und so viel Kindern beiderlei Geschlechts in dem und dem Alter haben muß; man geht so weit, vorschreiben zu wollen, wie in solchen Familien die einzelnen Zimmer benutzt werden dürfen. Man geht damit nach melner Auffassung, wenn nicht über die Grenze hinüber, so doch stark an die Grenze heran, vor der die Gesetzgebung und die polizeiliche Aufsicht Halt machen sollten (Zustimmung), namentlich wenn man berücksichtigt, daß doch schließlich diejenigen, die unzureichende Woh⸗— nungen benutzen, das nicht tun aus mangelndem moralischen Empfinden oder mangelnder Fürsorge für die Gesundheit der Ihrigen, sondern lediglich aus Not, weil sie nicht in der Lage sind, sich bessere Woh— nungen zu beschaffen. In dieser Richtung kann ein Erfolg wiederum

nur erzielt werden, wenn die betreffenden Kommunen, wenn einzelne gemeinnützige Vereine vorbildlich vorgehen in der Herstellung von Kleinwohnungen, die nicht bloß den zu stellenden Anforde— rungen genügen, sondern die auch in ihrem wirtschaftlichen Aufbau so gestaltet sind, daß sie auch ohne Staats— beihilfen, ohne Gemeindebeihilfen hergerichtet werden können; denn nur so wird man dahin gelangen, einen gewissen Standard der Wohnungen zu schaffen, den überall zu erreichen keine Schwierigkeit entgegensteht, der auch den Polizeibehörden den Anhaltspunkt und die Grundlage gibt für die ihrerseits zu stellenden erfüllbaren An— forderungen.

Auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen Wohnungen polizeilich zu schließen sind, ist nicht allein zu beantworten nach der Beschaffenheit der Wohnungen, sondern auch unter Berücksichtigung der Möglichkeit, für sie Ersatz zu schaffen. (Sehr richtig) Das sind Fragen, die sich in jeder einzelnen Kommune der Natur der Dinge nach anders lösen. Man kann unter Umständen einem Wohnungs— mangel, ohne daß man eine einzige Wohnung von Kommune wegen baut, dadurch abhelfen, daß man einen Stadtteil kanalisiert. Das ist ein Fall, der mir aus meiner eigenen Praxis bekannt ist. Man gewann dadurch die Grundlagen für die Errichtung eines neuen, auch der Arbeiterbevölkerung bequemen Stadtteils mit angemessenen Wohnungen und damit die Möglichkeit, eine große Zahl von verdächtigen und nicht zweckentsprechenden Wohnungen zu schließen.

Meine Herren, ich will Ihre kostbare Zeit nicht durch weitere Ausführungen in Anspruch nehmen. (Heiterkeit; Ich hoffe nur, daß Sie aus meinen Worten entnommen haben, daß ich den Wünschen, die hier vorgetragen sind, im Grunde, im Ziele nicht un— freundlich entgegenstehe. Ich bin nur im Zweifel, ob der Zeitpunkt gekommen ist, diese Sache reichsgesetzlich zu regeln. Ich bin im Zweifel, ob wir heute in der Lage sind, auch nur wenn ich mich so ausdrücken darf ein Blankettgesetz zu schaffen, das den Bundes— staaten nicht nur die Bahn für zweckentsprechende Anordnungen auf dem Gebiete des Wohnungswesens frei macht, sondern auch keine Hemmungen schafft, die von den Beteiligten, und zwar nicht bloß von den Kommunen und von den Hausbesitzern, sondern auch von den Wohnungsinhabern selbst unbequem empfunden werden.

Sie können versichert sein, ich werde die Sache meinerseits mit der nötigen Aufmerksamkeit weiter verfolgen, und gebe mich immer der Hoffnung hin, daß unsere großen Bundesstaaten zunächst einmal den Entschluß fassen werden, auf diesem Gebiete das zu tun, was für ihre Verhältnisse möglich und zweckentsprechend ist. (Beifall.)

Abg. Gleitsmann (Zentr.): Die Wohnungsnot und das Woh— nungselend auch in den Großstädten ist so groß, daß nur mit reichen Mitteln dagegen angekämpft werden kann. Bessere Wohnungen für die mittleren und ärmeren Volksklassen sind. auch das beste Mittel zur Hebung des Familiensinnes, der Sittlichkeit und zur Bekämpfung des Alkohols. Gerade der Großstädter hat das Bedürfnis nach Luft und Licht, darum verdienen die Bestrebungen zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse alle Unterstützung. ; K

Abg. Kobelt (b. k. F.): Ich möchte die Aufmerksamkeit des Hauses auf die traurigen Fälle in Darmstadt und Berlin beim Virchow⸗ Krankenhause lenken, wo durch den Genuß von Gemüsekonserven bezw. von Hackfleisch Erkrankungen vorgekommen sind. Das Berliner Polizeipräsidium hat nun vor dem Genuß von Hackfleisch gewarnt. Die unteren Behörden pflegen so etwas als Verbot aufzufassen. Es geht doch zu weit, den Genuß von Konserven usw. überhaupt zu ver— hien n. Das würde die blühende Nahrungsmittelindustrie im höchsten Grade gefährden. Wenn sich irgendwo ein Konservierungsmittel als ungeeignet herausgestellt hat, so schreit man sofort nach dem Verbot sämtlicher Konservierungsmittel. Ein Konservierungsmittel hat doch lediglich den Zweck, eine Ware für kürzere oder längere Zeit frisch zu erhalten. Schließlich wird man auch das Räuchern und die Brenneffelbehandlung des Fleisches verbieten, wenn die Regierung den Gegnern der Konservierungsmittel noch weiter entgegenkommt. Es mag sein, daß in manchen Fällen die Konservierungsmittel schädlich sind, es kommt da auf die zugesetzte Menge an. Eine absolute Giftigkeit eines Stoffes existiert überhaupt nicht (Große Heiterkeit); ebenso gut könnte man das Kochsalz für giftig halten. (Erneute Heiterkeit.) Sie verstehen von den Sachen eben nichts. Es wird keinem ver— näftigen Menschen einfallen, das Kochsalz zu verbieten. Das Gefundheitsamt müßte Versuche anstellen und das Ergebnis zur Grundlage seiner Maßregeln machen. Die Untersuchungsanstalten begehen den grundlegenden Fehler, daß sie nur feststellen, ob ein Koönservierungsmittel in einem Nahrungsmittel vorhanden ist, sie unter⸗ laffen den zweiten und wichtigsten Schritt, zu untersuchen, ob das Konfervierungsmittel in einer Form und Menge vorhanden ist, die als gesundheitsschädlich bezeichnet werden kann. Daß sich jemand durch die Konserbierung bereichern will, wird niemand billigen. Die Bakterien (Große Heiterkeit) am vielen Lachen erkennt man den Narren. (Stürmische Heiterkeit. Vizepräsident Erbprinz zu Hohenlohe: Ich nehme an, daß Sie mit dieser Bemerkung kein Mitglied des Hauses gemeint haben.) Nein, ich habe kein Mitglied des Hauses gemeint. Die Interessenten befinden sich in völliger Unsicherheit darüber, was erlaubt und was wver⸗ boten ist. Was in Braunschweig erlaubt ist, ist in Preußen verboten. Hier tut eine reichsgesetzliche Regelung not, um diese möchte ich Sie im Namen der Nahrungsmittelindustrie bitten. Den Nahrungsmittelchemikern ist eine zu große Selbständigkeit ein⸗ geräumt; es sollte die Schaffung eines Gesundheitsbeirats ins Auge gefaßt werden, der über diese und ähnliche Fragen zu entscheiden hätte.

Abg. Baum ann Gentr bedauert, daß das neue Weingesetz mangels einer streng einheitlichen Kontrolle der unlauteren Konkurrenz, die dem reellen Weinhandel durch die Weinpanscherei gemacht wird, nicht hat wirksam entgegentreten können. Preußen als führender Bundesstaat sollte den anderen Staaten durch eine ein⸗ gehende Kontrolle vorausgehen, das scheine aber leider nicht zu gefchehen. Er habe seinerzeit die Errichtung einer Zentralstelle empfohlen, von der aus eine Oberkontrolle erfolgen könne. Man habe aber eine solche Zentralstelle für überflüssig gehalten. Man dürfe sich nicht darauf berufen, daß das Gesetz erst kurze Zeit in Kraft sei. Es sei dringend notwendig, dafür zu sorgen, daß überall im ganzen Reiche die Weinkontrolle streng durchgeführt werde, damit das Gesetz nicht nur auf dem Papier stehe; natürlich ohne Schikane für den ehrlichen Kaufmann. Es müßten in allen Weinbau⸗ gebieten weinbausachverständige Kommissionen gebildet werden unter dem Vorsitz eines Staatebeamten, welche in Zweifelsfragen über die Bestandteile des Weines usw. den Weininteressenten, zur Seite stehen und so die Durchführung des Weingeseßzes erleichtern und die Rechtssicherheit schützen könnten. Wirkliche Weinfälschungen müßten allerdings streng geahndet werden, und zwar so schnell wie möglich. Eine Abschwächung der Weinkontrolle solle diese Kommißfsion nicht herbeiflhren. Nach dem Weingesetz sollen die Auslandsweine nicht günstiger gestellt werden als die Inlandsweine; die Einfuhr von Getränken, wenn sie deutschen Vorschriften nicht ent⸗ sprechen, sei verboten. Es werde nun behauptet, daß. die ein⸗ geführten Dessertweine, Samos uswe, die von Rosinen her— gestellt seien, mit dem Namen Wein nicht zu tun haben. Unser deutscher Handel werde dadurch geschädigt. Vom Aus⸗ lande gehe in großen Massen, meist, aus Algier, Wein ein mit hohem Alkoholzusatz, nicht bloß bei. Dessertweinen. Würden diese Weine überhaupt auf den Alkohol zusatz geprüft?

Ein so hoher Alkoholzusatz zu naturreinen Weinen sei im Inland ver⸗

boten. Der deutsche Weinbauer habe schon einen harten Kampf um seine Existenz zu kämpfen. Durch jeden nn, Auslandswein würden fie im höchsten Grade geschädigt. Eine große Erregung habe sich der Weinbauern bemächtigt, als bekannt wurde, daß die Regierung sich mit der Absicht trage, die Untersuchung der Auslandsweine einzuschränken und die Untersuchungsgebühren, herabzusetzen. Wenn die kleinen Sendungen nicht mehr untersucht würden, so bestehe die Gefahr, ß das Inland damit überschwemmt werde. Es müßten einheitliche Gebühren eingeführt und auf derselben Höhe erhalten werden. Eine Beschleunigung der Untersuchung könnte herbeigeführt werden, wenn an jeder Eingangsstelle tüchtige, zuverlässige Zungen⸗ sachverständige, auch Chemiker, die Untersuchung vornähmen. Eine einheitliche ftrenge Kontrolle im ganzen Reiche sei die Forderung, die die reellen Weinbauer und Weinhändler verlangen müßten; die Aus⸗ landsweine dürften in keiner Weise bevorzugt werden. . Geheimer Regierungsrat Freiherr von Stein: Der Weinbau und Weinhandel hat seit Jahren um ein Weingesetz leidenschaftlich gekämpft. Auch Kenner des Weingesetzes haben die Verabschiedung des Gesetzes mit einer gewissen Befriedigung begrüßt, weil ez einen Abschluß herbeiführte, denn durch jeden Kampf wurde die Ruhe gestört, welcher der Weinbau und Handel so dringend bedarf. Ich weiß nnu nicht, wie weit Sie beabsichtigen auf eine Erörterung der Weinfrage einzugehen. Weite Kreise werden es Ihnen danken, wenn Sie die Aera der alljährlich sich wiederhölenden Wein⸗ debatten als abgeschlossen betrachten. Ich werde mich nur an allgemeine Gesichtspunkte halten. Wir alle sind darin einverstanden, daß mit einer wirksamen Kontrolle das Gesetz steht und fällt. Diese Einsicht ist auch bei dem Reichs⸗ kanzler wie bei den verbündeten Regierungen vorhanden. Unmittelbar nach Erlaß des Gesetzes war an sämtliche Regierungen das Ersuchen ergangen, auch bezüglich der Kontrolle das Nötige zu verankassen. Es kommt aber nicht so sehr darauf an, die Kontrolle so bald als möglich, sondern in richtiger Weise durch wirkliche Sachverständige durchzuführen. (Der Redner gibt eine Uebersicht über die Bundesstaaten oder Provinzen, in denen die Weinkontrolle bereits durchgeführt ist oder demnächst durchgeführt werden soll.) Man kann nicht sagen, daß in dieser Be⸗ ziehung hier nichts geschehen sei. In diesem oder im nächsten Jahre follen die Sachverständigen zu einer Konferenz zusammengerufen werden, um eine einheitliche Kontrolle zu ermöglichen. Was die Sachverständigenkommission in den einzelnen Weinbaugebieten betrifft, so ist zu bezweifeln, ob dieser Weg der richtige und geeignete ist. Die Kommission könnte, auch wenn sie vom besten Willen beseelt wäre, zu einer Verzögerung der Kontrolle führen. Sachverständige werden, soweit es möglich und nötig ist, je nach Bedarf zugezogen werden. Das gilt auch von den Weinprozessen. Eine Beschleunigung der Prozesse wünschen auch wir. Es ist aber zu bedenken, daß solche Prozesse sehr langwierige Voruntersuchungen erfordern. Die Besorgnis, daß die Auslandsweine besser behandelt werden als die Inlandsweine, ist ganz und gar unbegründet. Die Kontrolle wird streng durchgeführt, aber unnötige Erschwerungen des Verkehrs müssen vermieden werden. Der Vorredner kann sich beruhigen: von irgend einer Schlappheit der Kontrolle der ausländischen Weine kann nicht die Rede sein.

Abg. Dr. Roe sicke (dkons.): Es kann zweifelhaft sein, ob man über ein Gesetz, das erst so kurze Zeit in Kraft ist, überhaupt redet. Trotzdem werden wir dem Abg. Baumann für seine Anregung und der Regierung für ihre Antwort dankbar sein. Selbstverständlich sind wir alle einig, daß die Kontrolle eine scharfe ist und möglichst bald durchgeführt wird. Der Vertreter der Regierung hat uns in dieser Beziehung beruhigt. Von den Sachverständigenkommissionen verspreche ich mir nicht viel. Der Bundesrat wird auf Grund des § 25 des Gesetzes schon für eine einheitliche Kontrolle sorgen. Eine Begünstigung des Auslandes in der Kontrolle muß auf jeden Fall vermieden werden. Wenn die Regierung ihre Schuldigkeit tut, dann werden diese Weindebatten verschwinden, wenn nicht, dann werden die Interessenten nicht schweigen können. Im allgemeinen können wir mit dem Gesetz zufrieden sein, die Weinpreise sind gestiegen, die Qualität hat sich verbessert.

Abg. Lehmann⸗Wiesbaden (Soz.) weist darauf hin, daß die Durchführung des Bleigesetzes von 1905 außerordentlich viel zu wünschen übrig lasse, denn die Bleivergiftungen seien prozentual höher gestiegen als die Erkrankungen in anderen Be⸗ trieben. Das Reichsgesundheitsblatt habe zwar ein Merkblatt herausgegeben, wo allerlei schöne Vorschriften stehen, aber was helfen sie, wenn die Arbeiter ihnen nicht nachkommen können. Die Arbeiter müßten Gelegenheit haben, nach der Arbeit ihre Hände zu waschen, und sie müßten besondere Eßräume haben. Wo dies der Fall sei, kämen Erkrankungen gar nicht oder nur selten vor. Manche Fabrikärzte verdunkelten den Tatbestand, indem sie das Vorhanden⸗ sein von Bleivergiftungen einfach in Abrede stellten. So erführen die Fabrikinspektoren von einer Anzahl von Erkrankungen überhaupt nichts. Man müsse darauf bestehen, daß die Verwendung von Blei⸗ weißfarben zum Anstreichen durch Zinkweißfarben ersetzt werde, wie es bei der badischen Eisenbahnverwaltung geschehe. Das Reichsamt des Innern dürfe sich nicht länger sträuben, strengere Maßregeln durch= zuführen, Leben und Gesundheit von 24 000 Arbeitern ständen auf dem Spiele.

Hierauf wird gegen 73) Uhr die weitere Beratung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.

Nach der im Kaiserlichen Gesundheitsamt bearbeiteten Statistik über die Verbreitung von Tierseuchen im Deutschen Reiche während des 3. Vierteljahrs 1909 ist die Maul- und Klauen seuche in der Berichtszeit nicht r, . n. Im 2. Vierteljahr 19090 waren insgesamt noch 14 Gehöfte in 9 Gemeinden (Guts⸗ bezirken) verseucht, im 3. Vierteljahr 1908 dagegen 394 Gehöfte in 139 Gemeinden und Gutsbezirken.

Verdingungen im Auslande.

(Die näheren Angaben über Verdingungen, die beim „Reichs. und

Staatsanzeiger“ ausliegen, können in den Wochentagen in *

Expedition während der e, n. von 9 bis 3 Uhr eingesehen werden.

Türkei.

Zweites Kaiserliches Armeekorps in Adrignopel: .

I) Vergebung des Baues eines Militärkrankenhauses in Kirk Kilisse, beftehend aus 6 Pavillons für Kranke, einem zweistöckigen Gebäude für das Verwaltungspersonal, einem Pavillon für Des⸗ infektion, einem Waschhaus und einem Operationssaal. k wert 659 180 Piaster (etwa 130 000 Æ ). Vorläufiger Zuschlagstermin am 18., endgültiger Zuschlagstermin am 20. März 1910. Angebote an die Bauabteilung des oben genannten Armeekorps.

2 Vergebung der Lieferung von 10 009 Paar eiserner Bettstellen (kein Gußeifen) für das 2. Armeekorps, jedes Paar 31 kg 900 8 schwer und mit einer Eisenplatte versehen. Je 2500 Paar Bett⸗ tellen für Adrianopel, Dedeagatsch, Rodosto und Baba Eski. Vor läufiger Zuschlagstermin am 15. März 1910, sodann Angebote mit Gewährung von 30½ Rabatt bis zum endgültigen Zuschlagstermin am 17. März 1910 an die Intendantur des obengenannten Armee⸗ korps. Daselbst nähere Bedingungen.

Bulgarien.

Kreisfinanzverwaltung in Sofig. 18. März 1919. Lieferung von 1200 Tonnen Kreosot für die bulgarischen Eisenbahnen. Devxise 186 060 Fr., Kaution 9000 Fr. Lieferungsbedingungen liegen in der Kreisfinanzverwaltung und in der Kanzlei der Abteilung für Bahn⸗

erhaltung der Eisenbahndirektion in Sofia an Werktagen aus.

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