1910 / 64 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 16 Mar 1910 18:00:01 GMT) scan diff

genötigt, Frankreich die Meistbegünstigung zu gewähren. Die National⸗ liberalen haben nun eine Resolution vorgeschlagen, welche die Re⸗ gierung auffordert, auf eine Ermäßigung der Zollsätze in Frankreich hinzuwirken. Ich fürchte nur, es wird nicht mehr vpiel zu erreichen sein. Ich möchte das Wort „Repressalien“ꝰ vermeiden, aber wenn nichts anderes übrig bleibt, so müssen von unserer Seite irgend welche Maßregeln getroffen werden, um uns vor Schaden zu bewahren. Man verlangt einen Handelsvertrag mit Frankreich, aber auch das denkt nicht daran, langfristige Handelsverträge abzuschließen. Ich möchte wünschen, daß die Leitung unserer auswärtigen Politik in den Händen des Reiche kanzlers ebenso sicher geborgen sein möge, wie in der Hand seines Vorgängers, und daß ihm seine Hilfsarbeiter ebenso zur Seite stehen mögen. An uns wird er gewiß einen Rückhalt finden. Dem Auslande gegenüber wollen wir zeigen, daß trotz aller Gegensätze in der inneren Politik keine Verschiedenheit herrscht. Dann können wir der Zukunft unbesorgt entgegensehen.

Abg. Stresemann (ul.): Wir sind alle einig, daß die Re⸗ gierung im vorigen Jahre in der DOrientfrage eine geschickte Hand gezeigt hat. Aengstliche Gemüter fürchteten, daß die Sympathien, die Deutschland sich im Orient erworben hatte, verloren gehen könnten. Die Berichte zeigen aber, daß das alte Verhältnis des Zusammengehens mit Deutschland in der Türkei ebenso vorhanden ist wie früher. Ein Verdienst hieran gebührt vor allem von der Goltz. Innerhalb der öffentlichen Meinung begegnen wir der Auffassung, daß unsere Interessen im Auslande nicht mit der nötigen Energie vertreten werden, das hat das Auswärtige Amt selbst zugegeben durch die Herausgabe des Weißbuches über Marokko. Es hat damit eine Flucht in die Oeffentlichkeit versucht, um sich gegen die Presse zu verteidigen. Wir haben darüber debattiert, ob ein Mangel an Vertrauen zu dem Auswärtigen Amte berechtigt ist, oder die Kritik im Inlande nur der Sensationslust, von Interessenten inspiriert, entspringt. Wenn wir diese Kritik so unter dem allgemeinen Gesichtspunkte betrachten, so könnte man sagen, daß wir jetzt nicht so dastehen wie unter der Bismarckschen Aera. Aber dieser Maßstab ist nicht gerecht. Fürst Bülow hat mit Recht darauf hingewiesen, daß für Deutschland die Reibungsflächen zugenommen haben, seit wir in die Weltwirtschaft eingetreten sind. Wir haben deshalb keine Neigung, ungerecht zu sein gegen unsere jetzigen Staats⸗ männer. Diese weltwirtschaftlichen Verhältnisse kommen in erster Linie zum Ausdruck in dem Verhältnis zwischen England und Deutsch— land. Man hat sich zu einseitig daran gewöhnt, in den beiden Ländern zwei Mächte zu sehen, die sich als Konkurrenten gegenüberstehen. In England gehören nur noch 13 0, der Bevölkerung der Land— wirtschaft an; bei uns ist das Verhältnis der Industrie und Land— wirtschaft 2:1, aber wir sind angewiesen zu einer Milliarde auf den Export, mit dem wir unsere weltwirtschaftlichen Schulden bezahlen. Wir haben alle Ursache, uns gegen eine Entwicklung wie die englische zu wehren und etwa alles auf die eine Karte des Ex— portes zu setzen; wir haben keinen weltbeherrschenden Kolonial— besitz wie England. Wir wissen nicht, ob es uns gelingen wird, aus unseren Kolonien herauszuholen, was wir erhoffen, ob wir damit überhaupt jemals einen günstigen Handelsvertrag mit Amerika abschließen können. Diese Unterschiede soll man bei der Beurteilung des Verhältnisses unseres beiderseitigen Wettbewerbs nicht übersehen. Auf der Grundlage des fair play haben sich die Verhältnisse entwickelt, die uns in den letzten 30 Jahren vorwärts gebracht haben; das sollte man sich auch in England klarmachen. Beide Länder haben in der Zukunft für ihre stetig wachsende Be⸗ völkerung die Nahrung zu beschaffen, darum begegnen wir uns auf immer neuen Gebieten als Konkurrenten. Ist das eigentlich das Richtige? Würde nicht der Weltfriede und das beiderseitige wirt— schaftliche Interesse viel mehr durch eine Verständigung gesichert? Auch der Abg. von Hertling sagte im vorigen Jahre, daß eine weltwirtschaftliche Entente zwischen beiden Ländern viel wichtiger sei als die politische. Die Frage der Ausbildung unseres diplomatischen Korps ist in diesem Zusammenhange mit der Zunahme der Weltwirtschaft von neuem zur Erörterung gestellt. Man hat den Liberalen vorgeworfen, sie würden von einer gewissen Adelsfeindschaft bezüglich der Diplomatie beherrscht. Das ist nicht richtig; wir erkennen an, daß Freiherr von Schoen bemüht ist,

Wandel zu schaffen, aber ein gewisses Gardeprinzip scheint doch wohl

noch immer in Geltung zu sein. Die wichtigsten Staatsakte der Gegenwart sind die Handelsverträge, welche die Reiche unter— einander abschließen, und ob da gerade der Hochadel zur Ver⸗ tretung unserer Interessen prädestiniert ist, kann man hezweifeln. Eindrücke der Kindheitsstube beherrschen den Menschen das ganze Leben lang; in der wirtschaftlichen Milliardenzeit können und müssen wir auch etwas von kaufmännischen Eindrücken auf unsere Diplomatie verlangen. Das Institut der Handelssachver— ständigen, der kaufmännischen Attachéês, sollte weiter ausgebaut werden. Die Kommissionsmehrheit hat die von der Regierung beantragte Erhöhung des Geheimfonds um 300 000 4 abgelehnt; 18 weiß nicht, ob die Wiederherstellung von irgend einer Seite beantragt werden wird, aber ich erkläre es für eine ganz falsche Sparsamkeit, wenn wir es dadurch verhindern, daß die Regierung die Mittel erhält, im Auslande mit allen Mitteln, auch mit denen der Presse, den falschen Darstellungen entgegenzuarbeiten, die über unsere Handels- und Exportverhältnisse unausgesetzt verbreitet werden. Das machen alle anderen Länder ebenso, weshalb sollen wir es nicht? Die „Deutsche Agrarkorrespondenz“ hat sich gegen das Abkommen mit Amerika gewendet, die „Kreuzzeitung“ aber hat es gebilligt; ich möchte mich da auf den Standpunkt der „Kreuzzeitung“ stellen. Graf Kanitz wird doch auch zu würdigen wissen, daß der größte Teil der amerikanischen Ausfuhr nach Deutschland aus Rohstoffen besteht; wie sollen wir da Retorsionsmaßregeln rechtfertigen? Der Etat bringt erfreulicherweise ein neues Berufskonsulat in Adang. Auf dem Gebiet des gesamten Güteraustausches müssen internationale Vereinbarungen nach dem Muster derjenigen über die Post und Telegraphie geschaffen werden. ?

Die

Diese Vereinbarungen müßten auch die Frage der Besteuerung der Handlungsreisenden regeln, ebenso ver— schiedenartige Verzollungsstreitigkeiten, die tagtäglich zwischen den Zollbehörden der verschiedenen Staaten auftreten. Daß wirklich die Behörden des Auswärtigen Amtes die Erteilung von Auskünften von der vorherigen Einsendung des Portos abhängig machen sollten, würde ich für unendlich kleinlich halten. Es scheint das aber sogar Praxis zu sein. Ein deutscher Exporteur, der sich an den Pariser deutschen Generalkonsul gewandt hatte, um Auskunft über eine internationale Vereinigung zu erhalten, wurde auf die Berliner Auskunftei von Schimmelpfeng verwiesen; ein anderer, der um Auskunft über neuseeländische Verhältnisse bat, wurde dahin belehrt, daß er Näheres in Meyers Konversationslexikon p. 577 finden würde. Was macht der Arme, wenn er nun den Brockhaus hat? Uebrigens hat ihm das englische Konsulat bereitwilligst sofort Auskunft gegeben. Solche Dinge sollten doch nicht vorkommen. Die Wahrnehmung deutscher Interessen durch das Auswärtige Amt wird vermißt in dem Falle Sunkel, der in Transvaal unverschuldet schwere Verluste erfahren hat. Seit 1905 schwebt die Angelegenheit, 1909 im Februar erhielt er die letzte Antwort, seine Forderung läge der englischen Regierung vor. Ich möchte mich nach dem Schicksal des Gesetzes über den Erwerb und Verlust der Reichsangehörigkeit erkundigen. Mit dem Grafen Kanitz bin ich darin einer Meinung, daß wir uns durchsetzen müssen, wenn es sich bewahrheiten sollte, daß der französische Senat den deutschen Anregungen so wenig nachgibt, als es nach den uns jugekommenen Mitteilungen der Fall zu sein scheint. Wir haben auch noch mit Schweden, Japan und Brasilien Handelsabkommen zu schließen und müssen auch hier unsere Konsumtionskraft in die Wagschale werfen zur Stärkung unseres eigenen Exportmarktes. Aehnliches gilt in bezug auf unsere Beziehungen zu den Ländern am Persischen Golf. Unsere Schiffahrts und Wirtschaftsinteressen sind dort außerordentlich wichtig. In Marokko sind wir politisch nicht die Maßgebenden. Das wird zu ertragen sein, aber wirtschaft lich sollten wir uns volle Betätigungsfreiheit sichern. Man hat es so hingestellt, als ob die Brüder Mannesmann eine journalistische Hhꝛch alla ausgerüstet haben, die in Deutschland für sie streiten sollte.

einflussung eine derartige Einmütigkeit herbeizuführen, wie wir sie im Falle Mannesmann beobachtet haben. Wenn manchmal ein Ueber— schuß an Temperament zum Ausbruch gekommen ist, so sollten wir uns freuen, daß wir noch Menschen haben, die einen solchen Ueber— schuß ar Temperament besitzen. Bei den Mannesmann hieß es: im Anfang war die Tat. Sie waren mit zwei Sultanen befreundet. Sie haben rechtzeitig erkannt, . Mulay Hafid der kommende Mann war, sie haben uns bei dem Umschwung der Dinge in Marokko auf die richtige Spur gebracht. Demgegenüber ist es ein sublimer Standpunkt, wenn das Auswärtige Amt sich auf den Standpunkt der höchsten Objektivität stellt; 3 dieser weltpolitisch qr e ist, ist mir zweifelhaft. Ob andere Staaten sich auch dieser Objektivität befleißigen würden, wenn es sich beispielsweise nicht um die Brüder Mannesmann, sondern um die Freres Dupuy handelte? Wir haben gehört, daß andere Mächte ihre Bereitwilligkeit erklärt haben, uns an die Seite zu treten. Sie tun dies gewiß nicht lediglich aus politischen Sympathien für das Deutsche Reich, sondern auch aus sachlichen Gründen. Das ist doch ein außerordentliches Argument, was auch bei den künftigen Kämpfen um diese Bergwerksinteressen Beachtung finden sollte. Die Brüder Mannesmann haben erst auf Anregung von anderer Seite andere Nationen hineingezogen. Wenn man sagt, dem deutschen Kaufmann ist es ganz gleich, an wen er verkauft, er verkauft an den, der ihm am meisten zahlt, so steht dem doch gegenüber, daß die Brüder Mannesmann sich verpflichtet hatten, Kautelen zu geben, die uns den deutschen Einfluß sicherten. Infolgedessen sind wir berechtigt und verpflichtet, hier von allgemein deutschen Interessen zu sprechen. Ich kann mich dem Eindruck nicht entziehen, wenn eine Persönlichkeit wie Geheimrat Kirdorf in diesem Sinne sich ausspricht. Wir haben die Erklärung des Freiherrn von Gamp an— gesehen als eine Ermunterung an das Auswärtige Amt, wenigstens das herauszuholen, waz noch herauszuholen ist. Daß man jetzt eine Chamade daraus macht, ist nicht die Auffassung meiner politischen Freunde. In unserer Wirtschaftspolitik kämpfen wir um nichts anderes als um das Brot unserer künftigen Generation. Wenn die Sozialdemo⸗ kratie eine rein egoistische Arbeiterklassenpolitik treibt, so kann sie diesem Ziele nicht mehr entgegenarbeiten, als wenn sie unsere Welt politik bekämpft. Die Politik, die wir verlangen, würde nicht nur unsere ideellen Güter in der Welt aufrecht erhalten, sondern uns auch unsere wirtschaftlichen Güter verbürgen. Abg. Kaem pf (fortschr. Volksp.): Der Abg. Graf Kanitz hat unser Schutzzollsystem verurteilt, wie es keiner schärfer hätte verurteilen können, indem er erklärte, daß die Einführung des Schutzzolls in England die größte Benachteiligung für unsere Industrie sein würde. Wenn England zum Schutzzoll übergeht, so ist es nur eine Folge der Ent— wicklung unserer Schutzzollbewegung, die sich auf die anderen Länder fortpflanzen muß. Haben es nicht die Freunde des Grafen Kanitz 1902 verhindert, daß wir zu günstigeren Handelsverträgen für unsere Industrie kommen können? Das ist uns aber nicht möglich, weil wir unter die Minimalzölle nicht heruntergehen können. Im geschäftlichen Leben der Nationen muß ein gesunder Wettbewerb Platz greifen. Ich habe noch nie gehört, daß von zwei Konkurrenten der eine den anderen aus dem Wege räumen wollte. Unsere jüdischen Kaufleute werden in Rußland in einer Weise behandelt, die weder mit den Handelsverträgen noch mit Art. III der deutschen Verfassung in Einklang zu bringen ist. Art. III besagt, daß dem Auslande gegen— über alle Deutschen Anspruch haben auf den Schutz des Reichs, und im Handelsvertrage ist Reziprozität für die deutschen Handlungs reisenden gewährleistet. Das gilt insbesondere von den Paß— vorschriften. Die Paßbelästigung unserer Kaufleute habe zu vielfachen Beschwerden Anlaß gegeben, die aber keinen Erfolg gehabt haben. Das Bedauerliche ist, daß unsere Behörden den russischen Schikanen Vorschub zu leisten scheinen. Auf diesem Gebiete wäre eine inter nationale Verständigung sehr erwünscht. Wie ich höre, werden auch katholischen Geistlichen in Rußland Schwierigkeiten gemacht, wenn sie sich dort aufhalten wollen. Möge sich das Auswärtige Amt im Verein mit den Vereinigten Staaten und Frankreich bemühen, daß jenen unmenschlichen Zuständen in Rußland endlich ein Ende ge— macht wird. Abg. Scheidemann (Soz.): Unsere auswärtige Politik war früher lustig und erinnerte an eine Offenbachsche Operette, jetzt ist sie ziemlich ledern geworden. Den Zusammenbruch unseres diploma tischen Systems haben wir vorausgesagt. Das Auftreten unserer Diplomatie kann im Auslande nur schaden. Dort sagt man, die Deutschen wissen ganz genau, daß sie schlecht regiert werden, aber sie haben nicht den Mut und die Kraft, eine Besserung herbeizuführen. Sie (rechts) haben es ja in der Hand, bessere Zustände herbeizuführen, die bloße Kritisiererei nützt nichts. Man hat dabei oft mit dem Säbel gerasselt und forsche Reden gehalten. Würde in der Diplomatie die gesträubte Schnurrbartspitze etwas leisten, dann hätten wir glänzende Erfolge erreichen müssen. Augenblicklich wird gewünscht, daß Politik getrieben wird im Interesse kapitalistischer Klüngel. Man versuche nur, dagegen anzukämpfen! Ich erinnere nur an das abschreckende Beispiel des Freiherrn von Schoen. Er ist als Agent des Auslandes angestellt, und die „Tägliche Rundschau“ schrieb, das Auswärtige Amt ist der gefährlichste Feind des Deutschtums. Das war noch vor dem Mannesmann-Fall. Seit diesem Fall kann eigentlich kein Hund eines echt deutschen, alldeutschen Mannes ein Stück Brot von ihm annehmen. In der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ stand am Sonnabend, daß hier zwei Sozialdemokraten volksverräterische Gesinnung zum Ausdruck gebracht hätten, die doch nichts getan hatten, als Kritik zu üben an einer Institution. In der Mannesmann-A Affäre ist ein Zusammenbruch des Drums und Drans, der kläglicher gar nicht gedacht werden kann. In der Budget kommission hat sich alles, was zu Gunsten dieser Leute gesagt worden ist, als nationgle Schwätzerei herausgestellt. Als dies ge schehen, zogen es die Freunde der Herren vor, sich zurückzuziehen und um die Sache herumzugehen, wie die Katze um den heißen Brei. Von dem, was in der ersten Lesung gesagt wurde über ver briefte Rechte, konnte nichts aufrechterhalten werden. Ich halte es für meine Pflicht, nachdem das deutsche Volk über die Sache belogen worden ist (Oho!) ja, belogen worden ist, daß sich die Balken bogen —, die Wahrheit darzulegen. In dieser ganzen Affäre ist das Auswärtige Amt viel zu zurückhaltend vorgegangen; es hätte schon vor Monaten vorgehen sollen. Im vorigen Jahre hat der Kollege Liebermann von Sonnenberg den Ton angegeben für das Konzert, er sagte, die Mannesmann-Interessen wären deutsche Inter essen, die von der deutschen Regierung zu vertreten seien. Man stellte die Mannesmann-⸗Interessen den deutschen Inter— essen gleich. Das war ein Irrtum des ganzen Hauses. Ich war vorsichtiger und wartete ab, was daraus werden sollte. Es wurde geredet von der absolut feststehenden Rechtslage. Der Abg. von Liebert schrieb im „Tag“, es lägen absolut klare Rechtsverhält nisse vor. Er wollte nichts wissen von einem schiedsgerichtlichen Austrag, er wollte wohl am liebsten den Säbel ziehen. Ich gönne ihm jetzt die Blamage von ganzem Herzen. Er bezog sich auf eine Auslassung des „Hannoverschen Couriers“, der ausführte, das Recht hört auch dann nicht auf, Recht zu bleiben, wenn 4 Millionen Bajonette zu seinem Schutz bereit stehen. Das ist ungefähr das Tollste, was darüber geschrieben ist. Der Abg. Erz berger sprach auch zu der Sache, und er meinte: daß ich spreche, daraus können Sie ersehen, wie wichtig die Sache ist. Das sagt ein Mann von der Schwätzerei eines Erzberger! Die Nationalliberalen, die sonst so wankelmütig sind, waren in dieser Frage einig. Die „Neue evangelische Kirchenzeitung“ watete förmlich in einem Blutbade. Die Nationalliberalen, denen Zweifel aufstiegen, meinten, man muß die erlangten Ansprüche eventuell auch gegen jedes Recht be— haupten. Es handelt sich hier nicht allein um einen Gegensatz zwischen Deutschland und Frankreich, wir haben es mit den Mächten zu tun, die an dem Algeciras-Vertrag beteiligt sind. Die nationale Presse hat es ängstlich vermieden, der Mannesmann⸗Gruppe unangenehme Dinge in die Zeitungen zu bringen. Die Algeciras-Akte und das deutsch - französische Februarabkommen wurden hier sehr gefeiert. Jetzt, nachdem Bülow zu den Vergessenen gehört, bezeichnen die Leipziger Neuesten Nachrichten“ die Algeciras⸗-Akte als eine ungeheure Blamage.

uns doch in Marokko die offene Tür geschaffen werden, die Gleich—

berechtigung. Der Sultan hatte aber sehr wenig Geld, die Brüder

Mannesmann viel Geld, und nun wurde das 6 das für die

Oeffentlichkeit hätte geschaffen werden . unter vier Augen, zwischen

dem Sultan und einem Vertreter der Brüder Mannesmann gemacht.

Dieses sogenannte ge das nie veröffentlicht worden, unserer

Regierung nie zu Gesicht gekommen ist, das stellt die verbriefte

unantastbare Rechtsgrundlage für die Mannesmannschen Ansprüche

dar! Wären dieselben Sachen mit einem Spanier oder Franzosen

passiert, ganz Deutschland hätte widerhallt von dem Spektakel

über einen solchen Verstoß gegen Gese⸗ und Recht. Auch die Firma

Krupp handelt ja nach der Devise: „Bei mir zahlt das Vaterland

die höchsten Preise“. Auch in Marokko handelt es sich nicht um

einen Pappenstiel, sondern um Mutungsrechte auf einem Gebiet von

60 000 Quadratkilometer, so groß wie Württemberg, Sachsen, Hessen

und Braunschweig zusammen. Das Gesetz sollte aber trotz seiner

Formlosigkeit gültig sein, weil der Sultan sein Siegel drauf ge⸗

drückt hatte, aber dann müßte das Gesetz selbst mustergültig sein;

aber was der Berliner Arabist Prof. Kampffmeyer darüber gesagt

hat, ist einfach vernichtend. In den Augen der Parteigänger der

Brüder Mannesmann ist jeder Gutachter, der auf ihrer Seite steht,

einfach tiptop, jeder, der auf der anderen Seite steht, mindestens

ein sehr verdächtiger Cousin. Auch Professor Kampffmeyer wird als Lehrer des Drientalischen Seminarsß, das vom Aus—

wärtigen Amt abhängt, verdächtigt! Seltsam ist, daß die Freunde

der internationalen Schiedsgerichte gerade hier von diesem Ge

danken nichts wissen wollen! Wir leben doch nicht mehr in der Zeit

des Faustrechts. Die Gebrüder Mannesmann hätten ihre Situation

gebessert, wenn sie sich mit der Schiedsgerichtsidee befreundet hätten. Mir persönlich gefällt es auch immer, wenn Leute mit solchem

Schneid auftreten, wie die Brüder Mannesmann. Ich habe auch eine gewisse ästhetische Freude daran, genau das umge⸗ kehrte Gefühl von dem, was mich beschleicht, wenn ich die Nationalliberalen reden höre und handeln sehe. Die inter⸗ nationale Betätigung des Kapitalismus ist bisher von den anderen Parteien viel zu wenig gewürdigt worden, sie ist ein außer

ordentlich charakterisches Zeichen der Zeit. In der deutschen Gruppe Mannesmann sind beteiligt Franzosen, Portugiesen und andere, und in der Union des mines marocaines sitzt Krupp, sitzt der Deutsche Kaiser. Dieser Internationalität des Ausbeutertums stellen die Arbeiter die Internationalität des Proletariats gegenüber; die Vernunft wird siegen über diese kapitalistischen Phantastereien. Mit England zu freund⸗ schaftlichen Verhältnissen zu kommen, hält die Arbeiterschaft für noch viel dringlicher. Unsere Rüstungen werden drüben trotz aller Friedensbeteuerungen weiter als gegen England gerichtet auf

gefaßt; unsere Friedensversicherungen werden dort eben nicht geglaubt. Wir haben stets gewarnt vor der Wettrüsterei; man hat uns nicht gehört; das Mißtrauen ist gewachsen, und unsere Chancen haben sich verschlechtert. Das liberale englische Ministerium ist Gegner des Wettrüstens und hat trotzdem dem Parlament ein viel größeres Marinebudget vorlegen müssen als je zuvor, und dieses S00⸗Millionen Budget wird angenommen werden. So treibt ein Keil den anderen, und Deutschland wird als der Urheber dieser Zwangslage angesehen. Der englische Marineetat wird eigentlich im Deutschen Reichstage gemacht. Dank der chauvinistischen Ver

hetzung glaubt man uns drüben nicht; man hält uns dort für ein Volk von knechtischem Gehorsam, das, wenn es auch England freundlich gesinnt ist, doch auch den Krieg gegen England führt, wenn seine Beherrscher ihn beschlossen haben. Darum ist der jetzige Wahlrechtskampf in Preußen auch ein Kampf um Deutschlands Ehre. Das reaktionäre Preußen hat mit seiner schmachvollen Polizei

wirtschaft die ganze Welt gegen Deutschland aufgebracht; Preußen hat Jaurès, den Freund der Versöhnung Frankreichs und Preußens, aus

gewiesen; Preußen hat Mac Donald in Kiel mit der Ausweisuug bedroht. Der jetzige Kanzler hat die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, uns aus dieser preußischen Reaktion herauszuhelfen; statt dessen versetzt er dem deutschen Volke mit der Wahlrechtsvorlage direkt einen Faustschlag! Die Privilegierung der Akademiker und der Besitzer des Einjährigenzeugnisses . . . . (Vizepräsident Dr. Spahn: Die preußische Wahlrechtsvorlage gehört nicht hierher. Auswärtige gute Politik kann nur der machen, der eine gute innere Politik macht; als Milderungsgrund stelle ich dem Staatssekretär des Aus wärtigen zur Seite, daß seine Politik nicht besser sein kann, weil der Kanzler eine so miserable innere Politik macht. (Vizepräsident Dr. Spahn: Diese Deduktion beweist nur, daß ich recht hatte; Einzelheiten aus jener Vorlage gehören nicht hierher.“ Alle Freunde des Fortschritts in der ganzen Welt freuen sich, daß jetzt in Preußen eine so frische Wahlrechtsbewegung eingesetzt hat. Es war ein Zentrumsmann, der einmal gesagt hak, man muß sich schämen, ein Deutscher zu sein. Dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg ist es gelungen, in acht Monaten für die Ruinierung des deutschen Ansehens im Auslande mehr zu tun, als seine drei Vorgänger zusammengenommen. Das gesamte Ausland lacht über unsere Politik, man lacht über den Reichskanzler, diesen Ritter, und seinen Sancho Pansa, den Präsidenten von Jagow, außerordentlich. Nur der Kanzler allein sieht nicht, daß es sich hier um ein Ringen und Kämpfen handelt, unter dem der deutsche Boden erzittert. Die Arbeiterschaft Deutschlands ist entschlossen, diesen Kampf unermüdlich fortzuführen in dem Bewußtsein, damit dem Wohle, der Größe des deutschen Volkes zu dienen, das erst dann seine Freiheit nach außen wird wahren können, wenn es seinen inneren Befreiungskampf siegreich zu Ende geführt hat.

Abg. von Dziembowski-Pomian (Pole) führt Beschwerde über die preußische Ausweisungspolitik und über den Paßzwang, der an der deutsch⸗russischen Grenze deutscherseits ausgeübt werde.

Abg. Hanssen (Däne) beklagt sich über Rücksichtslosigkeit und Härte bei Ausweisungen und Niederlassungsverweigerungen in Nord schleswig.

Vizepräsident Dr. Spahn ruft den Abg. Scheidemann wegen seiner Aeußerung, der Reichskanzler habe mit der Wahlrechts vorlage dem ganzen deutschen Volke geradezu einen Faustschlag ins Gesicht versetzt, und wegen der ferneren Aeußerung, man lache über den Reichskanzler und seinen Ritter Sancho Pansa, den Präsidenten von Jagow, nachträglich zur Ordnung.

Um 7*, Uhr wird die Fortsetzung und Erledigung der zweiten Beratung des Etats auf Mittwoch 12 Uhr vertagt.

Preuszischer Landtag. Herrenhaus. 3. Sitzung vom 15. März 1910, Nachmittags 2 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)

Der Präsident Freiherr von Manteuffel eröffnet die Sitzung mit der Mitteilung, daß das Präsidium Seiner Majestät dem König von der Konstituierung des Hauses An zeige erstattet und die Glückwünsche des Hauses zum Geburts tage ausgesprochen habe.

Der Präsident teilt ferner mit, daß er dem Reichstage sowie der Familie des Grafen zu Stolberg anläßlich des Ab lebens des Reichstagspräsidenten Grafen Udo zu Stolberg die Teilnahme des Hauses ausgedrückt und einen Kranz bei der Beisetzungsfeier in der Dreifaltigkeitskirche am Sarge nieder gelegt habe; er verliest das Schreiben, in welchem der Vize präsident des Reichstags Dr. Spahn den verbindlichsten Dank für die kundgegebene Teilnahme ausspricht.

In dem Grafen zu Stolberg hat auch das Herrenhaus ein Mitglied verloren; außerdem sind die Mitglieder Ober bürgermeister Ehlers-Danzig und von Bülow⸗Bothkamp ver storben. Das Haus ehrt das Andenken der Verstorbenen in

Niemand hat bisher vermocht, durch eine noch so geschickte Be⸗

Durch die Akte bon Algeciras und durch das Februarabkommen sollte

der üblichen Weise.

In das Haus neu berufen ind äßli 8 burtstages Seiner Majestät * ahd. . . Hülom Bothkamp (bereits am 26 Februar verstorben) Landrat von Pestel⸗ Melle, Wirklicher Geheimer Rat Pro⸗ fessor Dr. Wagner, Bankdirektor von Gwinner, Dr. Krupp

von Bohlen und Halbach, vom Rath, Bergrat Rem! und General der Kavallerie z. D. Freiherr von Bissing

Zum Mitglied der Statistischen Zentralkommiffion

wird auf Vorschlag des Herrn von Wedel⸗Piesdorf Herr Dr. Wachler durch Zuruf gewählt. ö . Der. Verordnung zur Bekämpfung der akuten Poliomyelitis Kinderlähmung) in den Regierungsbezirken Arnsberg, Cöln und Düsseldorf, wird auf Antrag des Berichterstatters Verrn Wallraf die Zustimmung erteilt. ö . ß . ö ö die V ermeidun g von g, bei Heranziehung zu direkten Kommunalsteuern in verschiedenen Bundesstaaten des Deutschen Reichs, beantragt der Berichterstatter der Finanzkommission Herr Tramm unverändert anzunehmen. Nack dem Entwurf können zur Vermeidung von Dophelbesteue run . bei den direkten Kommunalsteuern in Preußen und einem ö deut chen Staat der Minister des Innern und der Finanzminister Vereinbarungen treffen, durch welche die Steuerpflicht unter Wahrung der Gegenfeitigkeit auch abweichend von den preußi schen Vorschriften geregelt wird. V . Ir. E9genin 9 Halle bean tragt und befürwortet mit ücsicht auf die Verhältnisse zwischen dem Staate Hamburg und der Stadt Altona folgenden Zusatz: „Für solche Gemeinden eines andere deutschen Staates, in, denen eine Sonderung von Staats— und . m, e. stattfindet, kommt diefe Bestimmung sinngemäß Geheimer Oherreazer r J 3. ö. JJ . eund stimmt diesem Antrag , 2. mit diesem Zusatz angenommen. ö ns de Finanzkommission referiert sodann Herr Kirschner-Berlin über den Gesetzentwurf zur Abände— rung des Staatsschuldbuchgesetzes vom X. Juli 1883 und beantragt die Annahme mit einigen von der Kommisston beschlossenen, meist formalen Abänderungen. Buch . ner fe nnn, bezweckt namentlich, die Eintragung von hulden gegen Bareinzahlung ohne Einreichung von Stücken möglich zu machen sowie überhaupt die Be— nutzung des Staatsschuldbuchs zu erleichtern. ; In der Generaldiskussion führt der Finanzminister Freiherr von Rheinbaben aus: . Meine Herren! Sie wollen mir gestatten, dem Danke an die Kommission für die eingehende und wohlwollende Prüfung der Vorlage und an den Herrn Berichterstatter für die erschöpfende Darstellung der Verhandlungen in der Kommission einige Bemerkungen allgemeiner Art anzuschließen. .

. Die Vorlage, wie sie Ihren Beratungen unterbreitet ist, hat zunãchst scheinbar nur technische Vorschriften im Auge. Sie bezwert Bestimmungen, die der Benutzung des Staats schuldbuchs entgegenstehen können, zu beseitigen, und die Benutzung des S aatsschuldbuchs mehr nach kaufmãnnischen als nach rein juristischen Gesichtspunkten zu regeln. Sie soll dazu dienen, das Staatsschuldbuch noch mehr der allgemeinen Benutzung zu öffnen, noch mehr dahin zu führen, daß im Staats⸗ schuldbuch die Beträge dauernd angelegt, nicht bei jeder Konjunktur wieder auf den Markt geworfen werden und auf diese Weise den Kursstand unserer Staatspapiere stabiler und gleichmäßiger zu machen. Meine Herren, ich habe die Ehre gehabt, über den wirklich ganz ungenügenden Stand unserer Staatspapiere mich des oͤfteren sowohl in diesem hohen Hause wie im Abgeordnetenhause auszusprechen, und ich halte es für meine Pflicht, jede sich mir bietende Gelegenheit zu benutzen, auf diesen Punkt erneut hinzuweisen, um endlich in unserer Nation das Verständnis für die Bedeutung ö Frage zu wecken und ihr klar zu machen: res tua agitur! Es handelt sich um eins der wichtigsten Interessen der Nation, daß unsere Staats— papiere endlich die Wertung im Lande erfahren, die ihrem inneren Werte und ihrer inneren Güte entspricht. Meine Herren, wenn unsere Staat papiere weit hinter den gleichwertigen Papieren von England von Frankreich, selbst von Italien zurückstehen, wenn die belgische 24 dige Rente 140, höher notiert hat als unsere 30 dige preußische Staatsrente, so meine ich, daß dieser Zustand schon vom Gesichtspunkt unserer nationalen Würde nicht geduldet werden kann. (Sehr richtig!) Meine Herren, wer hat denn den Nachteil von diesen 3u. ständen gehabt? Wenn man die Verhandlungen darüber, die in der Oeffentlichkeit stattfinden, liest, so hat man den Eindruck, als ob die Entwicklung der Dinge die Nation garnichts anginge und als ob es ein bloßes Spezialvergnügen des Finanz ministeriums wäre, immer auf einen besseren Kursstand unserer Papiere hinzuwirken. Wie steht aber die Sache in Wirklichkeit? Die ungünstige Entwicklung unserer Staatspapiere hat doch der Nation in den weitesten Kreisen zum schwersten Schaden gereicht. Wenn man erwägt, daß unsere 3 prozentigen Staatspapiere, die im Jahre 1895 über 100 gestanden haben, zeitweilig bis auf 82 herabgegangen sind, daß also unsere 3 prozentigen Staatspapiere einen Kursrückgang von etwa 1800 erfahren haben, so frage ich, ist es möglich, daß das ge⸗ schehen ist, ohne der Nation schweren Schaden zuzufügen? Und wer bat diesen schweren Schaden an seinem Leib erfahren müssen? Der Offizier, der Beamte, der kleine Rentner, die Witwe, gerade die mittleren Kreise unserer Bevölkerung, die bei einem verhältnismäßig kleinen Einkommen dieses möglichst sicher zu fundieren gesucht haben, und nun haben erleben müssen, daß sie an den sichersten Papieren, den Staatspapieren, Ausfälle erlitten haben, wie sie tatsächlich vorgekommen sind. (Sehr richtig Meine erren das steht naturgemäß in steter Wechselwirkung. Die Tatsache, daß unser Publikum so große Verluste an den Staats papieren erlitten hat, hat naturgemäß den allerbedenklichsten Einfluß auf die Neigung des Publikums für unsere Staatspapiere geäußert, und wir haben uns von Anleihe zu Anleihe zu immer un— günstigeren Bedingungen entschließen müssen, sodaß wir jetzt bei der letzten Anleihe zum reinen 40, igen Typ haben übergehen müssen.

Das ist gewiß eine höchst unerfreuliche Entwicklung. (Sehr richtigh Ich kann auf die Dinge nicht weiter eingehen, und ich brauche kaum darauf hinzuweisen, welche Bedeutung ein sicherer Markt, ein guter Kursstand für uns im Kriegsfall hat. Die Summen, die dann ge⸗ braucht werden sind so ungeheuer groß, daß es unsere heiligste Pflicht ist, im Frieden dafür zu sorgen, daß der Markt nicht überlastet und unseren Papieren die Wertung zuteil wird, die sie verdienen. Wenn man nun nach den Ursachen dieser ungünstigen Entwicklung

Teil zurückzuführen sind auf die ganze wirtschaftliche Aufwärtz⸗ entwicklung in unserm Vaterlande in den letzten Jahrzehnten. Die Summen, welche unser wirtschaftliches Leben, die Industrie, die stärkere Teilnahme Deutschlands am Welthandel absorbiert haben, sind ganz außerordentlich groß und da sich hier vielfach günstigere Ge⸗ winnaussichten boten, so hat sich das Publikum vielfach der Beteiligung an den industriellen Unternehmen zugewendet und von der Anlage der Mittel in den Staatspapieren abgewendet.

Aber es kommen noch andere Momente hinzu, die naturgemäß noch sehr viel weniger erfreulich sind: so in erster Linie die große In, anspruchnahme des Anleihemarktes in den letzten Jahrzehnten. Die starke wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung hat uns vor sehr hohe Aufgaben gestellt. Besonders hat der über alles Erwarten starke Ver⸗ kehrsaufschwung für die Eisenbahnen eine enorme Investition nach allen Richtungen, besonders eine sehr große Verstärkung unseres Fuhr— parks erfordert. Wir haben im Interesse derjenigen Landesteile, die bisher mit Verkehrsmitteln nicht besonders begünstigt waren . säumen dürfen, unsere Nebenbahnen auszubauen, wir haben zur Ver⸗ stärkung unseres wirtschaftlichen Rüstzeuges die Wasserstraßen mit großen Mitteln zum Ausbau übernommen und auf allen Gebieten hat das Wirtschaftsleben, wie an die Nation, so an den Staat große Anforderungen gestellt. Wir hoffen, daß diese Anforderungen sich all— mählich in geringere Grenzen zurückschieben werden, wenngleich wir im Interesse des Landes nicht dazu werden übergehen können, etwa mit dem Bau von Voll- und Nebenbahnen ganz aufzuhzren. So große Summen aber, wie in den letzten Jahrzehnten, werden von unserem Anleihemarkte wohl nicht mehr erfordert werden.

t Diese starke Inanspruchnahme des Anleihemarkts hat mich in meinem Widerstande immer mehr bestärkt, nicht in noch höherem Maße diejenigen Ausgaben auf den Anleiheweg zu verweisen, welche wir bis jetzt in dem Etat bestritten haben. Es ist ja ein sehr bequemes Mittel, die Schulden, welche wir machen, nicht selbst zu bezahlen, sondern die Bezahlung den künftigen Generationen zu über— lassen. Es wäre auch anßerordentlich erwünscht gewesen, das Defizit auf diesem Wege zu beseitigen. Der Versucher ist im Abgeordneten⸗ hause auch in diesem Sinne an mich herangetreten; man sagte: du kannst ja mit einem Schlage das ganze Defizit los werden. Das hat aber bei mir kein Gehör gefunden. Ich glaube, es ist richtiger, daß wir trotz der jetzt bestehenden Schwierigkeiten der finanziellen Wag an festen finanziellen Grundsätzen festhalten und uns nicht dazu verstehen bloß um die jetzigen Schwierigkeiten zu überwinden, Ausgaben, die aus laufenden Mitteln gedeckt werden müssen, auf Anleihen zu übernehmen und den Anleihemarkt noch mehr zu überlasten.

Und dann kommt ein drittes Moment hinzu, daß wir nämlich sowohl in Preußen wie im Reiche in einer Weise, wie keine andere Nation, es daran haben fehlen lassen, die schützende Hand dauernd über unsere Anleihen zu halten. Wir haben die Anleihen herausgebracht und nachher ist Wind und Wetter darüber gegangen; es fehlte an dem gesetz⸗ lichen Ausbau, um ihnen die Rückenstärkung zu gewähren, deren sie bedürfen. Ich erzähle Ihnen da ja nichts Neues, ich möchte Sie aber daran er— innern, daß England, Frankreich und Nordamerika ganz anders vor⸗ gegangen sind, um ihre eigenen Anleihen zu schützen. Es ist den Derren bekannt, daß in England und Frankreich die enormen, sich auf Milliarden belaufenden Ueberschüsse der Sparkassen in englischen und französischen Staats titres angelegt werden müssen und daß der glaͤnzende Stand der amerikanischen Bonds daher resultiert, daß die 5000 amerikanischen Nationalbanken, ehe sie neue Papiere ausgeben, den gleichen Betrag in Staatsobligationen hinterlegen müssen. Meine Herren alle diese Maßnahmen sind ja bei uns unbekannt. Und was ist der Gffekt gewesen 2 Daß beispielsweise in England von etwa 16 Milliarden Schulden sich vielleicht 11 Milliarden in festen Händen befinden, bei Banken, Ver sicherungsgesellschaften, Sparkassen und dergleichen, während ö. im Reich und in den Bundesstaaten mehr als 16 Milliarden Schulden

haben, darunter aber vielleicht nur 3 Milliarden in festen Händen

während mehr als 13 Milliarden fluktuant sind und bei jeder Aende rung der Geschäftslage, namentlich also bei etwaigem Anziehen der industriellen Konjunktur sofort wieder auf den Markt geworfen werden. Hieraus erklärt es sich, daß unsere Staatspapiere bei weitem hinter den englischen zurückstehen. Deswegen halte ich es, wie ich es schon im vorigen Jahre hier ausgesprochen habe, für meine Pflicht, soweit es in meinen Kräften steht, dahin zu wirken, daß diese künstliche Schutzmauer für die Staatsanleihen, deren wir bedürfen, endlich auf⸗ gerichtet werde, daß solche Abnehmer großer und bedeutender Art ge⸗ schaffen werden, wie sie in England, in Frankreich und in Nordamerika vorhanden sind.

Meine Herren, den meisten von Ihnen werden die Verhand⸗ lungen aus dem Jahre 1906 erinnerlich sein, wo die Staatsregierung vorgeschlagen hatte, die Sparkassen anzuhalten, einen Teil ihrer Be⸗ stände in Reichs- und Staatspapieren anzulegen. Die Notwendigkeit dazu ergab sich sowohl aus den von mir angeführten und vertretenen Gesichtspunkten, als auch aus dem wohlverstandenen Interesse der Sparkassen selber! Denn so erfreulich die Entwicklung der Spar kassen bei uns auch ist, so erfreulich es auch ist, daß namentlich die Zahl der kleinen Sparer von Jahr zu Jahr in höherem Maße zu⸗ genommen hat, so wenig sind wir doch hinsichtlich der Anlegung der Bestände der Sparkassen zu einem gleichmäßigen und überall be— friedigenden Zustande gelangt. Während ein großer Teil der Spar kassen sich der Notwendigkeit, auf ihre Liquidität besondere Rücksicht zu nehmen, durchaus bewußt gewesen ist, ist ein anderer Teil der Sperkassen nicht so den Weg gegangen, den ihr eigenes Wohl erheischte. Man hat oft den Gesichtspunkt der Liguidität hinter den Gesichtspunkt des Gewinnes zurücktreten lassen, während doch alles darauf ankommt, die Sparkassen unter allen Umstãnden liquide und imstande zu halten, auch bei einem eintretenden Run alle Ansprüche der Einleger befriedigen zu können. Wenn man bedenkt, daß etwa 5 o aller Sparkassen keine Inhaberpapiere haben, daß etwa ] der Sparkassen nur bis zu 100,0 Inhaberpapiere besitzen, so muß ich diesen Zustand von dem Standpunkte der Liquidität der Sparkassen aus als durchaus unbe friedigend bezeichnen. ann,, K . . 39 ö. [n g

; Blicke in die Zukunft schauend, der Vorlage der Staatsregierung seine Zustimmung erteilt. Die Vorlage ist dann leider im Abgeordnetenhause durch überwiegend lokale Rücksichten, die meiner Ansicht nach nicht durchschlagend waren, nicht zustande gekommen. Man hat eine Schädigung der Sparkassen befürchtet, eine Schädigung, die aber meines Erachtens nicht eingetreten

fragt, so kann es ja keinem Zweifel unterliegen, daß dieselben zum

angehalten sein, die bisherigen Anlagen zu beseitigeo, sondern sie sollten nin von den neu erzielten Ueberschüssen einen bestimmten Teil in Inhaberpapieren, einen anderen Teil in Staatspapieren anlegen, also eine Schädigung der Sparkassen wäre zweifellos nicht eingetreten, nur wäre der künftige Gewinn vielleicht etwas langsamer gestiegen. Aber ; das alles ist meiner Ansicht nach nicht entscheidend gegenüber dem primären Gesichtspunkte, daß die Sparkasse sich liquide erhalten muß. Wir haben von dem Gedanken nicht ab⸗ gelassen, im Interesse der Hebung und der Sicherung des Kurses unserer Staatspapiere auf die Sparkassen dahin einzuwirken daß sie sich in höherem Maße als bisher der Anlage in Staats⸗ 6 Reichs⸗ papieren befleißigen. Der Herr Minister des Innern hat im Jahre 1808 an die Sparkassen eine generelle Verfügung in dem Sinne erlassen. Er hat, um ihnen nach dieser Richtung hin einen Anreiz zu gewähren, eine anderweitige Erleichterung in Aussicht gestellt und in Aussicht stellen können. Sind die Sparkassen in vollem Maße liquide, können sie allen auch plötzlich an sie herantretenden Ansprüchen genügen, so braucht der Reservefonds nicht in der Höhe dotiert zu werden, wie es geschehen muß, wenn solche Liquidität nicht vor— handen ist und die Bestände der Sparkassen hauptsächlich in Hypo⸗ theken festgelegt sind. Der Herr Minister des 66 hat also den Sparkassen die Mögltchkeit eingeräumt, im Falle einer ordentlichen Liquiderhaltung durch Beschaffung der nötigen Staatspapiere über ihre Ueberschüsse früher zu verfügen als bisher und den Reservefonds langsamer zu dotieren, als es bei den . notwendig ist die nicht in demselben Maße liquide sind. Neben einigen anderen Erleichterungen ist von dem Herrn Minister des Innern dann noch darauf hingewiesen, daß man einen ganz be⸗ sonderen Kursreservefonds schaffen solle. Die Verluste, die die Spar⸗ lassen erlitten haben infolge des Kursrückganges der Staatspapiere

sind ja ein großer Hinderungsgrund gewesen, daß sich die Sparkassen Staatspapiere anschafften. Es wurde, wenn plötzlich im Jahre der Kurs der Staatèpapiere zurückging, dadurch der ganze Jahresabschluß der Sparkassen beeinflußt, und während diese früher jahrelang viel⸗

leicht Ueberschüsse erzielt hatte, erzielte sie in diesem Jahre keinen Ueberschuß, weil die buchmäßigen Verluste der Staatspapiere abzu⸗ schreiben waren. Es ist deshalb in dem Erlaß vorgesehen, dem ö.

zubeugen, daß die Schwankungen in dem Kurse der Staatspapiere von Einfluß sind auf die Gesamtgestaltung des Abschlusses der Spar⸗

kasse, und zwar dadurch, daß eine besondere Kurreserve geschaffen

wird. Meine Herren, wir werden abwarten můssen wie sich

diese Maßnahme bewähren wird. Wir haben, um den Spartassen

nach Möglichkeit entgegenzukommen, auch bei den letzten Emissionen der Jahre 1909 und 1910 ihnen eine besondere Vergünstigung geboten

Wir haben in diesen beiden Jahren den Zeichnungspreis für sie etwas niedriger bemessen als den allgemeinen und haben den Sparkassen vor allen Dingen die volle Berücksichtigung des gezeichneten Quantum

an Staatspapieren zugesagt. Auf diese Weise ist es gelungen, im

Jahre 1909 40 Millionen und im Jahre 1910 50 Millionen den

Eparkassen zuzuweisen. Hoffentlich haben wir mit diesen administrativen

Maßnahmen Erfolg, da es nach meiner Ansicht sowohl im Interesse

der Sparkassen als auch des Staates notwendig ist, die Sparkassen

vor allem dazu anzuhalten, in höherem Maße als bisher sich In—

haberpapiere und darunter wieder Staatspapiere anzuschaffen.

Sollte das nicht der Fall sein, dann wäre nach meiner persönlichen Meinung ich spreche hier nur für mich wieder der Weg zu beschreiten, der damals nicht zum Ziele geführt hat nämlich im Wege der Gesetzgebung dafür zu sorgen, daß die Sparkassen sich sowohl in ihrem eigenen wie im Interesse des Staates liquide erhalten indem sie einen bestimmten Teil ihres Vermögensbestandes in Inhaber papieren anlegen. ö

ö Meine Derren, einen zweiten Schritt nach der Richtung, uns diese künstlichen Reserpoirs zu schaffen, die wir in Preußen und im Reiche entbehren, sind wir jetzt im Begriffe, mit der Reichs versicherungs⸗ ordnung zu tun, die augenblicklich dem Reichstage zugegangen ist. Diese großen rganisationen der eichsversicherung, die vom Reiche ins Leben gerufen worden sind, und von ihm in höchstem Maße unterstützt worden sind, haben dem Gesichtspunkt, daß sie ihrerseits verpflichtet sind etwas für das Reich zu tun, wie ich glaube, nicht ö. vollem Maße Rechnung getragen. Alters- und Invaliditäts⸗ versicherungsanstalten haben beispielsweise ein Vermögen von nicht weniger als 1284 Millionen Mark, haben davon aber nur 130 Mil⸗ lionen, also ungefähr 106½ in Reichs und Staatspapieren angelegt. In dem Entwurf der Reichsversicherungsordnung ist vorgesehen daß diese großen Organisationen ein Viertel ihres Vermögens in Staate anleihen und bis zur Erreichung dieses Standes ein Drittel des jähr lichen Zuwachses in Staatsanleihen anzulegen haben.

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. Von diesen Versicherungsanstalten des öffentlichen Rechts ist ein weiterer Schritt zu den Versicherungsanstalten des privaten Rechts und insbesondere zu den Lebensversicherungen. Die Gesetzgebung darüber gebührt dem Reiche, und ob man dazu übergehen wird, die Klinke der Gesetzgebung in die dand zu nehmen, vermag ich augenblicklich nicht zu sagen. Ich würde mich freuen, wenn die Gesellschaften ohne einen solchen gesetzlichen Zwang ihrerseits in höherem Maße als bisher die moralische Verpflichtung anerkennen würden, auch für das Reich und für den Staat, auf Grund deren Konzessionen sie ihre Geschäfte betreiben, in stůrkeren Maße einzutreten, als es gegenwärtig der Fall ist. Ich meine, es ist eine billige Forderung, daß diese großen privaten Organisationen, die durch staatliche Verleihung in den Stand gesetzt sind, hier ihre Ge— schãfte zu betreiben, ihrerseits demselben Staat auch behilflich sind den Kurs seiner Staatspapiere aufrechtzuerhalten.

Meine Herren, wenn ich beispielsweise auf die Lebensversicherungt⸗ gesellschaften mit einem Worte eingehen darf, so besitzen die deutschen Lebensversicherungsgesellschaften über 4 Milliarden Kapital. Davon haben sie 3303 Millionen in Hypotheken angelegt, in Inhaberpapieren nur 103 Millionen gleich 2,60 / und hiervon 73 Millionen in Staatspapieren. Also, meine Herren, bei einem Vermögen von vier Milliarden haben sie insgesammt 73 Millionen, gleich 1,8 ½, in Staatspapieren an⸗ geleat. Ich glaube, es wäre keine unbillig Zumutung, wenn sie diesem Staate, dem sie doch ihre ganze geschäftliche Tätigkeit verdanken, auch dadurch behilflich sind, daß sie in etwas höherem Maße Staatgz⸗ papiere anschafften. Denn die Zulassung und dauernde Kontrolle durch das Reichsversicherungsamt gewährt ihnen doch in den Augen des Publikums die Sicherheit, die ihnen die Führung ihrer Geschãfte und eine steigende Entwicklung ermöglicht. Wir dürfen also nicht er⸗ matten in dem Bestreben, unseren Staatspapieren die Hilfe zu ver⸗

Die

wäre. Denn die Sparkassen sollten ja nach der Vorlage gar nicht

schaffen, deren sie bedürfen und die sie in anderen Ländern haben.