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d. b. eine Vermehrung um 160 in den drei Monaten Januar, Februar und März 1910. Die Verhältnisse sind also augenblicklich viel betrüblicher als im Jahre 1904. Es wäre nun durchaus falsch, wenn man von dieser rapiden Steigerung der rückständigen Sachen folgern wollte, daß die Novelle von 1805 ein Feblschlag gewesen sei. Keineswegs ist das der Fall; im Gegenteil, sie bat gut gewirkt, sie hat nur nicht nachhaltig wirken können. Wenn nãmlich die Novelle nicht gekommen wäre, dann wäre ein vollstãndig unhalt⸗ barer Zustand eingetreten. Darüber läßt die Statistik keinen Zweifel, und ich muß bitten, Ihnen diese Zahlen mitteilen zu dürfen. Big. zum Jahre 1994. men Af ie 1000 wahrend dee selben Jahres von den Oberlandesgerichten MWffenen kontradiktorischen Endurteilen 170 bis 180 Revisionen, im Jahre 1904 waren es 174. Diese Ver⸗ hältniszahl ist nach dem Inkrafttreten der Novelle von 1905, also nach dem Heraufsetzen der Revisionssumme auf 2500 , erheblich zurückgegangen; die Verhältniszahlen betrugen nämlich in den nächsten Jahren 165, 139, 146, 136 für 1000 Revisionen. Wenn man nun annimmt, daß ohne die Novelle von 1905, also ohne die Erhöhung der Revisionssumme, der Prozentsatz derselbe geblieben wäre, also 174 auf 1000, dann berechnet sich die Zahl der Revisionen, die durch die Erhöhung der Revisionssumme dem Reichsgericht ferngehalten worden sind, für 1805 auf 286, für 18906 auf 959, für 1907 auf 815, für 1908 auf 1188 und für 1909 approximativ auf mindestens 1200 Re⸗ visionen. Das sind insgesamt in fünf Jahren rund 4500 Revisionen, die dem Reichsgericht ferngehalten worden sind durch die Novelle von 1905. Würde also diese Novelle nicht ergangen sein, so würden wir jetzt statt der 3200 im ganzen etwa 7000 Reste haben: denn von den 4500 Revisionen werden immer nur 15 9 ohne mündliche Verhandlung erledigt. Die Novelle von 1905 hat also sehr intensiv gewirkt, nur ist die Wirkung gegenüber der ganz auffallend starken und nicht dor⸗ berzusehenden Steigerung der Zahl der Prozesse in den unteren In⸗ stanzen nicht stark genug gewesen, um das Reichsgericht dauernd vor Ueberbürdung zu schützen. Dazu bedarf es, wie die Erfahrung lehrt, ganz besonders scharfer Maßregeln.
Zum Nachweise der Steigerung der Prozesse in den unteren Instanzen nur wenige Zahlen, die ich Ihnen aber doch nicht vorent⸗ halten zu dürfen glaube. Es wurden im Deutschen Reich bei den Landgerichten ordentliche Prozesse anhängig im Durchschnitt der Jahre 1881 bis 1885 rund 110 000, im Jahre 1804 und den folgenden Jabren 231 000, 238 000, 259 000, 285 000, und von den Landgerichten wurden kontradiktorische Urteile erlassen im ordentlichen Prozeß in den Jabren 1881 bis 1885 39 300 und dann wieder in den Jahren 1904 und folgende rund 75 000, 78 500, S5 500, 2 00. Verhãltnismãßig noch stärker war die Zahl der Zunahme der Prozesse bei den Oberlandes⸗ gerichten. Das ist darauf zurũckzufũühren, daß der Prozentsatz der Berufungen bei den Oberlandesgerichten erheblich gestiegen ist. Wäbrend im Jahre 1881 auf 1000 kontradiktorische Endurteile der Landgerichte 335 Berufungen an die Oberlandesgerichte kamen, betrug die gleiche Verhältniszabl 1908 444, also eine Steigerung um 11069. Was die absoluten Zahlen anlangt, so wurden bei den Ober⸗
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landesgerichten in ordentlichen, Wechsel⸗ und Urkundenprozessen Be⸗ rufungen anhängig wiederum von 1881— 1885 14000 und 1904 und folgende 33 000, 34 000, 37 000, 41 000, 45 O00, und kontradittorische Urteile wurden bei den Oberlandesgerichten erlassen in denselben Jahren 1881 — 1885 11 000 und 1904 und folgende 22 500, 23 500, 25 000, 27 000 und 29 000. Einen wesentlichen Anteil an dieser Geschäftẽvermehrung trägt dabei das Kammergericht. Das Kammer—⸗ gericht hat 1904 65601 Berufungen zu erledigen gehabt, und diese sind gestiegen 1906 auf rund 7900, 1907 auf 9600, 1908 auf 10900, 1909 auf 11500. Meine Herren, ich glaube, Sie erstaunen etwas über diese kolossale Masse von Berufungen, die ein derartiges Gericht wie das Kammergerickt zu erledigen bat. Angesicht? dieser seit Jahren steigenden Tendenz des GeschäftSganges der Oberlandesgerichte, einer dauernd steigenden Tendenz, wie ich nachgewiesen babe, ist mit einem Stillstand nicht zu rechnen, natürlicherweise noch viel weniger mit einem Rückgang. Aus den Zablen ergibt sich mit voller Sicherheit, daß die Zakl der am Jahresschluß unerledigt gebliebenen Reste — ich erwẽhnte, daß im Jabre 1809 3084 unerledigte Revisionen in Zirilsachen in 1810 übernemmen sind, — von Jahr zu Jahr wachsen
wird, und mar ist zu ersehen, daß, wenn nicht schnell Abhilfe kommt,
die Zahl der übrig bleibenden Revisionen noch rascher wachsen wird als die Zabl der eingebenden Revisienen. Das ist ein unhaltbarer und des höchsten Gerichtsbess unwürdiger Zustand; er bildet eine ernstliche Gefahr für die Rechtspflege, bedeutet aber auch eine schwere Gefährdung wichtiger und wertvoller wirtschaftlicher Interessen. Große Kapitalien werden durch die Rechtshängigkeit dem Verkehr entzogen und liegen nutzlos brach. Parteien, die begründete Ansprüche geltend machen, leiden Not, weil sie nicht zu ihrem Rechte kommen können, und leichtsinnige oder böswillige Schuldner benutzen die ihnen vom Gericht gegebene Frist, um das Letzte, was sie haben, durchzubringen grer keiseite zu schaffen und dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Ueber all das brauche ich eigentlich kein Wort zu verlieren; sowie bieber kann es nicht weiter gehen, und es wird hier unter allen Um⸗ ständen und zwar gründlich geholfen werden müssen, darüber dürfte auch in diesem Hause Einverständnis sein.
Zur Illustration, wie die materiellen Verhältnisse eines einzelnen Staatebürgers unter solchen Zuständen leiden können, ein einziges Beispiel, das mir zufällig zu Beginn meiner jetzigen Amtstãtigkeit zur Kenntnis gekommen ist. Es ging damals beim Reiche justijamt ein Gesuch eines Handwerksmeisters ein, der folgendes mitteilte: Er sei im Mai 1906 verunglückt dadurch, daß er von einem Dache ge⸗
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stärzt sei, er habe sich ein schweres Nervenleiden jugezogen und habe Sckadensersctzansprüche geltend gemacht gegen den Bauunternehmer; veser sei bei einer Versicherungegesellschaft versichert gewesen. In vem ven ibm angestrengten Prozeß sei der Grund seines Anspruches a . fur begrundet erklart; die Gegenpartei babe Berufung ein⸗ gelegt, und in der Berufung instanz sei der Anspruch nicht zu e sondern mar in * fũr begrũndet erklärt worden. Nun bãtte die Berũñckerurgegefellichaft ieder Reyision eingelegt, und es sei nun Cermin erberaumt werden auf Ende November 1910. Die Eingabe datierte rem Norember 1909. Der Handwerkẽmeister bat, zu ver⸗ aulassen, daß der Termin jurãckrerlegt werde, und machte geltend, bas er kereits 1000 M Rechte anmaltagebühren und Gerichtskosten berallt, daß seine ärztliche Behandlung ihm 1500 4 gekostet habe: seine Ersparnisse seien verbrarcht. Das Reichejustizamt
das Gefuch wurde daber lediglich an das Reichsgericht abgegeben. Aber 3 war mir doch interessant, wie derartige Dinge behandelt
konnte natärlicher Weise in diese Vechältnisse nicht eingreifen,
würden, und ich ließ mir nach etwa 3 Wochen, als ich dachte, der Mann würde inzwischen einen Bescheid erhalten haben, die Akten kommen, um Näheres über den Prozeß zu erfahren. Da ergab sich, daß der Mann auf sein Gesuch den Bescheid bekommen hatte, formularmãßig:
Ihrem Gesuche kann zurzeit nicht stattgegeben werden, weil infolge der schon seit langer Zeit bestebenden NUeberlastung der Ziwwilsenate des Reichsgerichts alle dem so und sovielten November 1910 vorausgehenden Terminstage voll besetzt sind. Wenn an den vorbergehenden Termine tagen Sachen wegfallen sollten, wird auf die Vorverlegung Ihrer Sache Bedacht genommen werden, jedoch
Was ergaben nun die Akten? Der Mann hatte, nachdem im Mai 1906 der Unfall passiert war, im September oder Oktober 1906 die Klage in erster Instanz erboben Name der Parteien und des Gerichts tun nichts zur Sache. In erster Instanz sind 4 Beweis⸗ beschlüsse ergangen; es haben ein Sühnetermin und 14 Verbandlungs⸗ termine stattgefunden. Von den 14 Verhandlungsterminen waren 6 frustriert; teilweise waren die Vertreter der Parteien nicht erschienen, teils ist vertagt worden. Im Dezember 1968, nach über 2 Jahren, ist dann das Urteil erster Instanz eigangen. (Zuruf links.) Dafür kann allerdings das Reichsgericht nichts; ich wollte Ihnen nur mitteilen, wie es manchmal in der Praxis bergebt, und wie eine Prozeßpartei darunter leidet. Nun ist Berufung eingelegt worden, und das Be⸗ rufungẽgericht hat erkannt im Juli 199. Auf eingelegte Revision ist der Termin anberaumt worden auf den November 1910. Tatsächlich ist es dem Manne später doch noch gelungen, einen Termin im Axril d. J. zu bekommen; aber wenn nun der Termin stattfindet, so wird im besten Fall die Revision zurückgewiesen; dann ist für den Kläger der Anspruch in Höhe von ; für begründet erklärt, und nun beginnt der Prozeß über den Betrag von neuem. Zuruf links: Das ist eben der Fehler) — Gewiß, das ist der Febler; es ist vielleicht möglich, bei Gelegenheit des jetzigen Gesetzentwurfs in dieser Beziehung Wandel zu schaffen. Jedenfalls sieht man an diesem Prozeß, wie unter Umständen ein Mann bei unserem jetzigen Prozeßrecht in ganz fatale Situationen kommen kann. (Sehr richtig! links.)
Ich kehre zu unserem Gesetzentwurf zurück. Gegenüber der von mir geschilderten Entwicklung erwuchs der Reichs justizverwaltung die Verpflichtung, auf weitere Mittel zur Abhilfe Bedacht zu nebmen. Bereits Ende 1907, als zu erkennen war, daß die Zahl der beim Reichsgericht eingehenden Revisionen die Zahl der erledigten wieder zu übersteigen begann, forderte mein Herr Amtsvorgänger den Prä⸗ sidenten des Reichsgerichts auf, ibm Mittel zur Abhilfe vorzuschlagen, die das Reichsgericht ohne erheblichen Schaden für die Rechtepflege für durchführbar halte. Er ging davon aus, daß eine weitere Ein⸗ schränkung des Rechtemittels der Revision oder Aenderungen des Verfahrens in der Nevisionsinstanz nur dann beantragt werden könnten, wenn die Vorschläge von der Autorität des höchsten Gerichtshofs ge⸗ tragen und auf dessen Erfahrungen gestützt werden könnten. Der Präsident des Reichsgerichts berief anfangs des Jahres 1908 eine Kommission, bestehend aus den 7 Präsidenten der Zivilsenate, 3 Reichsgerichtsräten und 2 Anwälten. Die richterlichen Mitglieder dieser Kommission haben sich damals — ab⸗ geseben von kleineren Mitteln — einstimmig für die Ein⸗ führung des Difformitätsprinzips ausgesprochen. Auf Grund der von jener Kommission gemachten Vorschläge ist dann im Reiche⸗ justizamt, nach eingehenden Erwägungen und Verhandlungen mit den Bundesregierungen, der Ihnen vorliegende Entwurf aufgestellt worden. Er hat, noch ehe er das Licht der Deffentlichkeit er—⸗ blickte, erhebliche Anfeindungen und leidenschaftliche Kritik er⸗ fahren. Der Entwurf ist an dieser Kritik nicht vorübergegangen; im Gegenteil, die Kritik ist dankbar begrüßt worden. Ein Blick auf die Vorschriften des Entwurfes und deren Begründung zeigt Ihnen, daß nicht wenige von der Kritik gemachten Vorschläge in dem Ent⸗ wurf bereits berücksichtigt, alle aber sorgfältig erwogen worden sind. Freilich baben sich nicht alle diese Vorschläge bei näherer Betrachtung als gangbar und durchführbar erwiesen. Ein großer Teil mußte schon deshalb von vornherein ausscheiden, weil sich ergab, daß ihre Durch⸗ führung einen nenn nswerten Einfluß auf die Verminderung der Geschäftslast doch nicht haben werde. Dazu gehört vor allem die von vielen Seiten in den Vordergrund gestellte Einschränkung der Zu⸗ ständigkeit des Reichsgerichts auf dem Gebiet landesrechtlicher Streitigkeiten. Die Zahl der Revisionen in diesen Sachen ist — und
as ist bereits in der Kommissionsberatung von 1965 dargelegt worden
— verhältnismäßig sehr gering und sehr viel geringer, als es den Anschein bat, wenn man nur den einen oder den anderen Band der Reichsgerichtsentscheidungen zur Hand nimmt. Alles in allem sind es in einem Jahre noch nicht 150 Sachen, landesrechtliche Sachen. Im Jabre 1909 waren es genau 129 Sachen. Damit, daß man dem Reichsgericht 129 Sachen abnimmt, während es im letzten Jahre 4595 Neueingänge an Revisionen gehabt hat, ist ihm nicht geholfen. Wohl aber lassen schwerwiegende Grände die Spaltung der höchstrichterlichen Judikatur und die Schaffung weiterer oberster Landesgerichte als böchst bedenklich und unerwünscht erscheinen. (Lebhafte Zustimmung links.)
Wenn man auch alle die kleineren Mittel, die man vorgeschlagen bat, ausnabmslos durchführen wollte und könnte, so würde das doch jedenfalls nicht ausreichen, um das Reichsgericht in dem durch die Verhältnisse absolut gebotenen Umfange zu entlasten. Es gibt dazu nur zwei Wege. Entweder: man vermehrt die zur Bewältigung der Arbeit verfügbaren Kräfte, d. h. man vermehrt die Zahl der Richter und der Senatspräsidenten; oder: man vermindert — und zwar ganz erheblich — die Zabl der an das Reichsgericht gelangenden Revisionen.
Warum der Entwurf den an erster Stelle erwähnten, für unsere Rechtsprechung und für das Reichsgericht nach Ansicht der verbündeten Regierungen gleich verbãngnis vollen Weg nicht gehen kann, ist in der Begründung des Entwurfs dargelegt. Nur solange das Reichsgericht den inneren Zusammenhang seiner Mitglieder und die Einheit der eigenen Rechtsprechung aufrechtjuerhalten vermag, ist es imstande, die Rechtsprechung der ibm nachgeordneten Gerichte im Sinne einheitlicher Rechtsanwendung ju beeinflussen. Damit ist aber der Zahl der Mitglieder des Reickegerichts eine feste und nicht ohne schweren Schaden überschreitbare Grenze gejogen. ö 4 .
Ich darf bierbei bemerken: augenblicklich bestebt das Reichsgericht aus 1 Präsidenten, aus 11 Senatspräsidenten und 385 Nitgliedern, genau aus 100 Mitgliedern, von denen im ganzen 7 Präsidenten und
Revisionen übrig. Wie die Beschränkung durchzuführen ist, darũber kann man verschiedener Meinung sein. Es läge an sich nabe, auch jetzs wieder an eine Erhöhung der Revisionssumme zu denken. Daß dieses Mittel wirksam sein würde — wenn nämlich die Revisions- summe ganz erheblich erhöht würde — darüber kann ein Zweifel nicht besteben. Ich werde wir erlauben, in der Kommission nach: uweisen, wie hoch die Revisionssumme erhöht werden müßte, wenn eine ordent⸗ liche Wirkung erzielt werden sollte. Aber, meine Herren, rufen Sie sich die ablehnende Aufnahme ins Gedächtnis, die der Vorschlag, die Revisionssumme auf 3000 A zu erhöhen, hier im Jahre 1905 ge⸗ funden hat, und Sie werden verstehen, daß die verbündeten Negie⸗
liegen bereits zahlreiche Gesuche ähnlicher Art, mie das Ihrige, vor. ungen davon Abstand genommen haben, jetzt auf dieses Mittel zurũck⸗
zukommen. . Scheidet nun aber eine Erhöhung der Revisionssumme aus, so kann neben den vom Entwurf vorgeschlagenen kleinen Mitteln für die Entlastung des Reichsgerichts — und die genügen für eine ein⸗ greifende Entlastung nicht — nur noch ein Weg in Frage kommen. Das ist das von dem Entwurf angenommene Difformitätsprinzip, d. h. die Durchfübrung des Grundsatzes, daß die Revision ausgeschlossen sein soll, wenn sie sich gegen übereinstimmende Entscheidungen der Vorinstanzen richtet. Man hat gerade diesen Grundsatz heftig bekãmpft; man hat ihn formalistisch, äußerlich genannt, ihn als innerlich unbegründet, unhaltbar hingestellt; man hat sogar bebauptet: gerade das, was der Entwurf wolle, die Wahrung der Rechtseinheit, werde dadurch er⸗ schwert und beeinträchtigt. (Sehr richtig! links) Man bat sich auf die Statistik berufen, daß mehr konforme als difforme Urteile der Aufhebung durch das Reichsgericht verfallen. Ich bin nicht geneigt, die Bedeutung der Statistik zu unterschätzen; aber eins ist erferderlich: sie muß zuverlässig sein. Aber das wird man von einer Statistik, bei der man den einen oder den anderen Band der Reichsgerichtsent⸗ scheidungen berausgreift und der Berechnung von den jahrlich 2500 Entscheidungen 180 - 200 zugrunde legt, die in dem betreffenden Bande abgedruckt sind, sicherlich nicht sagen können.
Faßt man die sämtlichen an das Reichsgericht gelangenden Re⸗ visionen ins Auge, so kommt man binsichtlich des Erfolges der Revisionen zu einem wesentlich anderen Ergebnis und Bilde, als dem, was man aus dem 66. oder 67. Band der offiiellen Sammlung gewinnen kann: dann ergibt sich, daß die Revision bei übereinstimmenden Urteilen in rund 25 9½, bei ab⸗ weichenden in 350 aller Fälle Erfolg hatte. (Zuruf links.) Es ist wenigstens nicht so, wie in der Oeffentlichkeit bebauptet wurde. Mit der Statistik ist also gegen den Grundsatz der Difformität nichts zu beweisen.
Mit mehr Recht hat man vielleicht den Einwand gemacht, daß das Merkmal, nach dem sich die Zulässigkeit der Revision richten sell, ein äußerliches sei; daß die äußerliche Konformität der Entscheidung noch nicht die Uebereinstimmung der Entscheidungsgründe verbũrge. Das ist ganz gewiß zutreffend; aber solche Fälle bilden die Ausnahme, und vor allen Dingen ist doch von einem Unterscheidungsmerkmal da eine zu fordern: es muß bestimmt, zuverlãssig, un zweideutig und jedem Streit der Parteien entrückt sein.
Man hat weiter gesagt, daß der durch die Revisionssumme ohne⸗ hin schon stark eingeengte Instanzenzug durch die Einführung des Difformitätsprinzips noch weiterhin eingeschränkt werde; die Parteien würden des ihnen zustebenden Rechtes auf An rufung einer dritten Instanz beraubt. Meine Herren, solange wir noch immer weit über 4000 Prozesse jährlich haben, die in die dritte Instanz getrieben werden, so lange kann man nicht sagen, daß der Zugang zum Reichsgericht schon jetzt allzu sebr erschwert ist. Gewiß ist es für die in der Berufungsinstanz unterliegende Partei mißlich und nachteilig, wenn sie ihren Prozeß nicht vor die dritte Instanz bringen kann; aber dem, der in der dritten Instanz unter⸗ liegt, geht es auch nicht besser; und vor allen Dingen: Vom Stend⸗ punkt der Parteien und unter dem Gesichtspunkt des einzelnen gerade jur Entscheidung stehenden Rechtsstreits darf man an die Beurteilung der Aufgaben des Reichsgerichts, an die Abgrenzung und die Ausgestaltung der Revision überbaupt nicht herantreten. Im Interesse der Parteien und zum Schutz der Parteirechte baben die Schöpfer unserer Zivilprozeßordnung weder die dritte Instanz geschaffen noch für nötig gehalten. Das Reichsgericht hat ganz andere Aufgaben zu erfüllen, als dieser oder jener Partei zuliebe die Recht⸗ sprechung der Oberlandesgerichte einer Kontrolle iu unterziehen. (Sehr richtig) Es ist aus ganz anderen Bedũrfnissen heraus entstanden. Dasselbe Streben nach Einheit, dem wir das einheitliche Recht verdanken, bat als Wächter und Hüter dieses ein⸗ heitlichen Rechts das Reichsgericht ins Leben gerufen; denn darũber war man sich schon lange vor Einführung des Bürgerlichen Gesetz⸗ buchs klar: die Einbeit des Rechts ist nicht zu erreichen und nicht zu erhalten, wenn nicht schützend und schirmend hinter ihr steht die Ein⸗ heitlichkeit der Rechtsprechung. Nicht die im Bürgerlichen Gesetzbuch geschaffene Einbeit des geschriebenen Rechts, sondern die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtsanwendung ist es in letzter Linie, die unserem Rechtsleben den Stempel nationaler Einheit audrückt; erst in dieser wird das einheitliche Recht ganz lebendig. Diese Ein⸗ heitlichkeit der Rechtsprechung zu fördern und ju wahren, ist die hehe Aufgabe des Reichsgerichts, die hoch erhaben ist über dem Gebiete des Parteistreites. Ihr gegenüber müssen, wenn es nicht anders gebt, alle anderen Interessen und Rücksichten zurückstehen. Allerdings ist das Reichs⸗ gericht nach den Vorschristen unserer Zivilprozeßordnung nickt berufen, abstrakte Rechtssätze aufzustellen oder theoretische Auslegungen zu machen, sondern es entscheidet wie andere Gerichte auch nichts anderes als konkrete Fragen und Streitigkeiten; es entscheidet nur, wenn die Parteien es anrufen, aber es stellt den Streit der Parteien in den Dienst des Rechtes selbst, indem es den Rechtestreit dazu benutzt, die Rechtsprechung der Gerichte nach einheitlichen Grundsätzen in einheit- liche Bahnen ju lenken. (Zuruf von den Nationalliberalen: Auf Kosten der Parteien) Ja wohl: auf Kosten der Parteien!
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
5e Mitglieder in Zivilfachen beschäftigt werden.
Gs bleibt also nach alledem nur die Ginschränkung der Zahl der
Zweite Beilage
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zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
M S6.
Berlin, Mittwoch, den 13. April
13816.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Wäre das anders und stände unsere Zivilprozeßordnung wirklich auf dem Standpunkt, jeder Rechtsstreit bedürfe der Prüfung durch drei Instanzen, das Reichsgericht sei nur um der Partei und der Partei⸗ interessen willen da —, die ganze Ausgestaltung, die die Revision gefunden hat, wäre nicht verständlich. Es wäre nicht ju verstehen, geschweige denn zu rechtfertigen, daß die Zivilprozeßordnung von vornherein über 97 , allar Rechts⸗ streitigkeiten den Zugang zu einer dritten Instanz unmöglich gemacht hat; es hätte gar keinen Sinn, die Revision zwar dem zu geben, zu dessen Ungunsten sich der Richter in der Rechtsfrage geirrt hat, sie aber dem zu versagen, der unterlegen ist, weil der Vorderrichter die Tatfrage unrichtig entschieden hat. Vom Standpunkte der Parteien aus ist es ganz gleichgültig, wo der Irrtum des Richters liegt. Also auch das Interesse der Parteien kann für die Beurteilung des Difformitätsprinzips nicht ausschlaggebend sein.
Ich komme nun zu dem schwerwiegendsten Vorwurf, den man dem Grundsatz der Difformität macht, einem Vorwurf, den man bereits in der ersten Lesung des diesjährigen Etats hier erhoben hat, nämlich, der Grundsatz der Difformität gefährde die Rechtseinheit und be⸗ günstige die Bildung einer landschaftlichen Sonderrechtsprechung. Wäre das richtig, dann verdiente der Entwurf in der Tat die scharfe Kritik, die man an ihm geübt hat. Aber auch hier, meine Herren, ist die Kritik wohl sehr über das Ziel hinausgeschossen.
Darüber, daß man gesagt hat, das Reichsgericht komme in Zukunft viel zu selten zum Spruch, um noch einen Einfluß auf die Rechtsprechung ausüben zu können, kann ich kurz hinweggehen. Wenn es der Chambre civile des französischen Kassationshofes mit jährlich etwa 250 Urteilen bisher gelungen ist, die Rechtsprechung Frankreichs entscheidend zu beeinflussen und nach einheitlichen Gesichtspunkten zu leiten, so wird dazu wohl auch das Reichsgericht mit seinen jährlich über 2000 Urteilen imstande sein. Zudem ist es auch nicht richtig, daß bei Konformität der Vorentscheidungen gewisse Rechtsfragen, die in dem Prozeß streitige Rechtsfrage künftig überhaupt nicht mehr zur Entscheidung des Reichsgerichts komme. Gewiß, wenn Landgericht und Oberlandesgericht in der Beurteilung einer Rechtsfrage und in der Entscheidung des Rechtsstreits einig sind, dann ist diese Sache erledigt, und in diesem Rechts⸗ streit hat das Reichsgericht keine Gelegenheit mehr, in eine Nachprüfung der Ansichten der Vorinstanzen einzutreten und seiner⸗ seits dazu Stellung zu nehmen. Aber zur Ruhe gekommen und für alle Zeiten erledigt ist damit die Frage noch lange nicht. Solange noch irgendwie und irgendwann Landgericht und Berufungsgericht in der Beurteilung der streitigen Rechtsfrage nicht konform gehen sondern difforme Entscheidungen fällen, so lange und so oft kann auch das Reichsgericht angerufen werden. Erst wenn überall und immer die Rechtsstreitigkeit, in denen die streitige Frage eine Rolle spielt, von den Vorinstanzen übereinstimmend entschieden sind, also erst dann, wenn die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in optima forma her⸗ gestellt ist, erst dann wird man von einer Ausschaltung des Reichs, gerichts oder von einer Lahmlegung der Revisionsinstanz sprechen können.
Meine Herren, wie weit unsere Gerichte von diesem idealen Zustande der Einmütigkeit noch entfernt sind, und wie wenig begründet die Hoffnung oder die Befürchtung ist, daß die⸗ selben Fragen von den unteren Instanzen stets und überall in dem gleichen Sinne entschieden werden, das brauche ich hier kaum aus⸗ einanderzusetzen. Vor allem, meine Herren, wäre doch die Gefahr einer oberlandesgerichtlichen Sonderrechtsprechung nur für die Fälle und hinsichtlich der Rechtsgrundsätze gegeben, zu denen das Reichs⸗ gericht überhaupt noch nicht Stellung genommen hat; denn überall, wo das Reichsgericht bereits gesprochen und eine bestimmte Rechts⸗ ansicht geäußert, das Berufungsgericht sich aber mit dieser Ansicht des Reichsgerichts in Widerspruch gesetzt hat, läßt der Entwurf auch bei konformen Entscheidungen die Revision ohne weiteres zu.
Gerade diese Ausnahmebestimmung des Entwurfs ist in der letzten Zeit sehr angegriffen worden. Ich gebe vollständig zu, daß in dieser Beziehung gewisse Bedenken sich auch gegen den Entwurf geltend machen lassen; es wird aber, wie ich glaube, gelingen, in der Kommission einen Weg zu finden, die Zulässigkeit der Revision bei konformen Urteilen derart abzugrenzen, daß dabei der Gefahr einer landschaftlichen Sonderrechtsprechung wirksam vorgebeugt werden kann.
Ich will mich hier auf diese Andeutungen beschränken; in der Kommission wird Gelegenheit gegeben sein, auch über die vor⸗ geschlagenen kleineren Mittel sich zu unterhalten. Ich gebe gern zu, daß auch gegen das Difformitätsprinzip gewisse Bedenken obwalten, wie überhaupt gegen jedes mechanische Mittel, Revisionen vom Reichsgericht fernzuhalten. Auch im Jahre 1905 sind sehr viele Bedenken gegen die damals gemachten Vorschlãge erhoben worden; sie haben sich aber, nachdem die Novelle in Kraft getreten, nicht als maßgeblich erwiesen. Ich will aber noch einmal hervorheben: es handelt sich hier nicht um die Rechte und Interessen der Parteien, auch nicht um die Entlastung der einzelnen Mitglieder des Reichsgerichts, es handelt sich um das Ansehen, die Autorität und die Würde unseres höchsten Gerichtshofes. Nicht das Interesse einzelner steht auf dem Spiel, sondern weit mehr ist gefährdet: was wir heiß erstrebt und mühsam erkämpft haben, die nationale Einheit unseres Rechts.
Meine Herren, nur noch wenige Worte zu dem Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Aenderung der Rechtsanwaltsordnung, die in erster Linie die Entlastung des Ehrengerichts— hofs für die Rechtsanwälte bezweckt und daneben durch Einfügung einer neuen Vorschrift in die Rechtsanwalts— ordnung die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche der Parteien gegenüber den Rechtsanwälten erheblich abkürzen will. Durch die letztere Bestimmung wird einer im Vorjahre beschlossenen Resolution des Reichstages Rechnung getragen.
Bei dem dem Reichsgericht angegliederten Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte reichen die vorhandenen Arbeitskräfte zur Bewältigung der von Jahr zu Jahr wachsenden Geschäftslast, die wieder begründet ist in der großen Vermehrung der Rechtsanwälte in ganz Deutsch⸗ land, nicht mehr aus. Die starke Zunahme der anhängigen Sachen hat zu Zuständen geführt, die eine schwere Gefahr nicht nur für den Anwaltsstand, sondern auch für die Rechtspflege in sich bergen; ist doch der Ehrengerichtshof gezwungen, die Spruch⸗ termine so weit hinauszuschieben, daß es oft viele Monate dauert, bis es gelingt, unwürdige Elemente aus dem Anwaltsstand zu entfernen oder grundlos angeschuldigte Rechtsanwälte von dem auf ihnen lastenden Verdacht zu befreien. Sowohl das Interesse der Rechtspflege, wie das der Anwälte fordert daher dringend eine Entlastung des Vorsitzenden und der Mitglieder des Ehren— gerichtshofs. Zu dem Zweck will der Entwurf durch Verdoppelung der Zahl der Mitglieder die Bildung eines zweiten Senats bei dem Ehrengerichtshof ermöglichen und zugleich durch eine Neuregelung der Stellvertretung des Reichsgerichtspräsidenten in dem Vorsitz des einen Senats die Arbeitslast des Präsidenten auf ein erträgliches Maß zurückführen.
Auch hier fehlt es nicht an Vorschlägen, die das von dem Ent— wurf erstrebte Ziel auf einem anderen Wege erreichen zu können glauben. Insbesondere ist die Forderung in letzter Zeit öfter laut geworden, es möchten die ohnedies überlasteten Mitglieder des Reichs⸗ gerichts von der Teilnahme an den Sitzungen des Ehrengerichtshofs befreit und es möchten die dadurch frei werdenden Stellen mit Rechts⸗ anwälten besetzt werden, damit eine schleunige Erledigung der Ge⸗ schäfte gesichert wird.
Meine Herren, es ist durchaus zu verstehen, daß man, nachdem die ehrengerichtliche Tätigkeit der nur aus Anwälten bestehenden An⸗
in den Kreisen der Rechtsanwälte das Verlangen trägt, auch in höchster Instanz allein und unter Ausschluß standesfremder Elemente über die Erfüllung der den Rechtsanwälten obliegenden Pflichten zu wachen und über Verfehlungen ihrer Berufsgenossen zu entscheiden. Aber zur Erörterung und zur Lösung dieser Frage ist die Beratung des vor— liegenden Entwurfs am allerwenigsten geeignet. Es handelt sich hier lediglich um die Ueberlastung des Ehrengerichtshofs und die dadurch hervorgerufenen Mißstände, die dringend eine schleunige Abhilfe fordern, bei der Zusammensetzung des Ehrengerichtshofs aber um eine grundsätzliche Forderung, deren praktische Durchführung — ich kann das hier wohl bemerken — doch sehr viel mehr Zweifel auf— weist und Schwierigkeiten bietet, als dies auf den ersten Blick den Anschein hat. Ich kann also betreffs dieses Gesetzentwurfs nur bitten, zurzeit von dem Gedanken einer grundsätzlich anderen Zusammen⸗ setzung des Ehrengerichtshofs abzusehen und diesem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu erteilen. (Bravo)
Abg. Dr. Bitter (Zentr.): Die Verhältnisse haben sich in der Tat nicht nur zu Ungunsten der Mitglieder des Reichsgerichts, sondern auch zu Ungunsten der Rechtsuchenden gestaltet. Abhilfe ist un⸗ bedingt nötig; die Frage ist nur die, wie sie beschaffen sein soll. An eine durchgreifende Aenderung der Zivilprozeßordnung hat man leider nicht herantreten wollen. Unter allen Umständen muß die Rechtseinheit festgehalten werden; ebenso muß die Sicherheit der Rechtsanwendung durch den zentralisierten Aufbau der Gerichte ge— währleistet werden. Diese beiden Gesichtspunkte scheinen mir in der vorgelegten Novelle nicht. überall, genügend. berücksichtigt. Wir hören, daß der innere Zusammenhalt des Reichsgerichts sich bei weiterer Vermehrung der Senate nicht aufrecht erhalten lassen würde. Dieser Argumentation kann ich nicht ganz folgen; die Nebereinstimmung der Rechtsprechung zwischen den einzelnen Senaten hängt doch auch sehr davon ab, ob man diese Uebereinstimmung will oder dem Drange nach individueller Betätigung freieren Spielraum läßt. Auch die Wegnahme einzelner Materien, so der Patentsachen und der Konsularsachen, aus dem Bereich der reichsgerichtlichen Zuständigkeit soll untunlich sein. Es könnte aber doch die Wegnahme anderer Materien diskutabel sein, und in dieser Beziehung wird sich die einzusetzende Kommission gründlich zu orientieren haben. Vor⸗ geschlagen wird neben einer Reihe kleiner Mittel das Radikalmittel der Einführung des Difformitätsprinzips, d. h. die Ausschaltung des Reichsgerichts bei konformen Urteilen der beiden Vorinstanzen. Gegen dieses Radikalmittel sind in der Presse sehr lebhafte Bedenken e. worden. Es ist nicht zu verkennen, daß das Vertrauen in die Rechtsprechung unter Umständen dadurch gefährdet werden könnte. Wenn man auch die mündliche Verhandlung an sich für überflüssig erachtet — ich stehe auf dem Standpunkt, daß sie den Vorteil hat, daß die strittigen Punkte mehr in die Erscheinung treten, und daß sie deshalb zur Rechtsbildung auch in der dritten Instanz beiträgt —, so soll man doch nicht vergessen, daß gerade auf der münd⸗ lichen Verhandlung das Vertrauen des Volkes zu den Ge—⸗ richten beruht. Wenn aber künftig das Reichsgericht in vierter Instanz, ohne die Parteien oder deren Vertreter zu hören, ein— fach entscheidet, so hört die Volkstümlichkeit seiner Recht⸗ sprechung bald auf. Das Difformitätsprinzip wird allerdings 46 050 der Revisionen beseitigen, es wird aber auch dahin führen, daß wahr⸗ scheinlich viel mehr sententiae difformes ergehen wie fihen und daß so gewissermaßen automatisch die Geschäftslast des Reichsgerichts noch weiter abnimmt. Ich muß die Berechtigung des Difformitäts⸗ prinzips wesentlich aus zwei Gründen bestreiten. Ich bezweifle auch, daß es in das Gesetz übergehen kann, wenn dabei im übrigen der Geist und Sinn, der die Zivilprozeßordnung durchweht, gewahrt bleibt. Will man eine gewisse innere Garantie haben, so muß man auch auf die Gründe für die konformen Urteile der Vorinstanzen Rücksicht nehmen oder aber man muß den Berufungsrichter anweisen, genau über dieselbe Frage zu entscheiden wie der Vorrichter. Keiner von diesen beiden Wegen aber wird gangbar erscheinen. Würde aber das Reichsgericht sein cher das es auch im Auslande genießt, aufrecht erhalten, wenn die Urteile in wichtigen Sachen gewissermaßen nur noch so tropfenweise ver⸗ abfolgt werden, und dieses Glück nur demjenigen zuteil wird, der schon vorher das Glück gehabt hat, daß die Urteile der Vor—⸗ instanzen nicht konform waren? Die 2 lichkeit wird also lediglich vom Zufall abhängig sein. Es handelt . um nichts anderes als um eine Technik, wenn man durch das Difformitäts⸗ prinzip eine Entlastung des Reichsgerichts herbeiführen will. Man hat das Difformitätsprinzip doch auch in anderen Staaten ge— kannt, in Oesterreich, Preußen, Baden, hat aber keine guten Er— fahrungen damit gemacht. Ich habe mich nicht überzeugen können, daß es dem Staatssekretär gelungen wäre, die vorliegenden schwer⸗ wiegenden Bedenken auch nur abzuschwächen. Es wird seine Aufgabe
in der Kommission sein, uns diese Sache wesentlich ,, zu machen. Was die Aenderung der Rechtsanwaltsordnung betrifft, so
haben wir gegen eine Verdoppelung der Zahl der Mitglieder des Ehrengerichtshofes nichts einzuwenden. Die Frage, ob sie vielleicht ausschließlich aus dem Anwaltsstande zu nehmen wären, will ich dahin⸗ gestellt sein lassen. Ich beantrage, die Vorlage der Justizkommission zu überweisen.
Abg. Dr. Wagner⸗Sachsen (kon ): Den Worten der Muerkennung für unser Reichsgericht schließe ich mich namens memer politischen Freunde an. Das Reichsgericht leidet in der Tat not, es steht direkt vor einem Geschäftsbankrott. Wenn der Vorredner meinte, daß es sich um willkürliche Mittel handelte, so wird jedes Mittel, was wir jetzt vorschlagen, willkürlich sein, denn eine allgemeine organische Reform können wir nicht machen, nachdem wir erst das amtsgericht⸗ liche Verfahren reformiert haben. Wir machen hier nur ein Notgesetz. Das Reichsgericht ist in erster Linie dazu da, für die Einheit des Reichsrechts zu sorgen. Dieser Aufgabe kann das Gericht nicht mehr gerecht werden, wenn man die Zahl der Senate, die längst das normale Maß überschritten hat, noch weiter vermehren würde; schon heute ist die Zahl der sich widersprechenden Ent⸗ scheide sehr groß. Im Reichsgericht müßten nur Richterkönige sitzen, wenige, aber hervorragende Richter. Das Herausnehmen einzelner Materien und ihre Ueberweisung an die Oberlandes⸗ gerichte gibt keine durchgreifende Abhilfe oder Entlastung. Gewiß ist auch das Mittel der duae conformes nicht unbedenklich; aber wenn alle Mittel nichts taugen, was soll dann geschehen? Der jetzige Zustand ist jedenfalls noch viel untauglicher; ein Ausweg muß geschaffen werden. Die vorgeschlagenen kleinen Mittel sind zum Teil durchaus unbedenklich; willkürlich sind freilich alle mehr oder minder. Die Prüfung im einzelnen behalten wir uns vor. Da der jetzige Zustand schon nahe an Rechts⸗ verweigerung streift, muß unbedingt ein positives Resultat aus der Kommission und aus dem Plenum herauskommen. Gegen die Aenderung der Zusammensetzung des Ehrengerichtshofes für Rechts⸗ anwalte haben wir nichts einzuwenden. Zur Erwägung geben wir, ob nicht für den großen Gerichtsbezirk Berlin mit seinen fast 1500 Anwalten statt der einen bestehenden Kammer deren mehrere ein⸗ zurichten wären.
Abg. Dr. Ab laß (fortschr. Volksp. ): Die Rechtseinheit darf sich nicht nur auf die Einheit des materiellen Rechts beschränken, es muß vielmehr auch die Rechtsprechung möglichst einheitlich ge⸗ staltet werden. Wir müssen also ein einheitliches Reichsgericht als letzte Instanz haben und behalten. In diesem Verlangen gipfelt der Einheitsdrang des Volkes auf dem Gebiete der Rechtspflege. In der Mehrzahl seiner Rechtssprüche hat das Reichsgericht einen so vorurteilslosen Standpunkt namentlich auf dem Boden des Zivil⸗ rechts eingenommen, daß das ganze deutsche Volk mit Stolz darauf blickt. Von diesem Gesichtspunkt aus habe ich die Vorlage mit einem Gefühl des Bedauerns gelesen; denn die gewaltigen Rechtsgarantien, die wir in dem Reichsgericht besitzen, werden dadurch so ver⸗ mindert, daß man beinahe von einer Zerstörung sprechen kann. Der Hinweis auf Frankreich zieht deshalb nicht, weil dort die Bevölkerungs⸗ verhältnisse ganz anders und viel ungünstiger liegen als in Deutschland. Die vorgeschlagenen kleinen Mittel sind ja zum Teil durchaus geeignet für die gesuchte Abhilfe, ein anderer Teil, und vor allem das Radikal⸗ mittel, sind aber durchaus ungeeignet. Prozeßfanatiker gibt es bei uns wie überall, aber das sind doch nur Ausnahmen, auf die man keine allgemeinen Schlüsse aufbauen kann; die Zunahme der Revisionen liegt vielmehr hauptsächlich in der Zunahme der Bevölkerung und der ewaltigen Vermehrung des Nationalwohlstandes. In der Ein⸗ . des Difformitätsprinzips zeigt der Entwurf einen wahren Radikalismus; ich bin auch gar nicht zweifelhaft, daß diese Maß⸗ nahme zu einer starken Einschraͤnkung der Arbeitslast des Reichsgerichts um 50 6 oder vielleicht mehr und über kurz oder lang auch zu einer Verminderung der Senate führen wird. Aber ich halte dafür, daß die bisher in der Oeffentlichkeit geübte Kritik eher noch zu zahm gewesen ist, denn schablonenhafter und formloser ist noch nie ein so einschneidender Eingriff in das bestehende Recht begründet worden. Die beiden Instanzen können doch aus den entgegengesetztesten Erwägungen zu demselben Spruch kommen. Es besteht die 1. daß die Oberlandesgerichte künftig ein Sonderrecht schaffen; gerade wo es sich darum handelt, neue Rechtsgrundsätze zu bilden, wird das Reichsgericht künftighin in vielen Fällen ausscheiden. In zahlreichen Fällen hat das Reichsgericht namentlich in wirt⸗ schaftlichen Fragen seine früheren Entscheidungen desavouiert; das wird künftig anders werden. Bei den Oberlandesgerichten dagegen wird die Bureaukratenwirtschaft noch mehr zunehmen. Bequeme Oberlandesgerichte werden sich an die frühere Judikatur des Reichs⸗ gerichts halten, rührige werden ihre eigenen Wege gehen. Ich will den Richtern der Oberlandesgerichte keinen Vorwurf machen, aber es ist naturgemäß, daß ein Richter, der eine höhere Instanz über sich weiß, mit viel größerer Energie und unter Aufwendung aller seiner Kenntnisse an seine Aufgabe herantritt, als ein Richter, der eine solche Instanz nicht zu fürchten hat. Deshalb glaube ich, daß diese Art der Entlastung des Reichsgerichts zu einer Ver⸗ schlechterung der Entscheidungen der Oberlandesgerichte führen wird, und das scheint mir ein zu hoher Preis für die Entlastung des Reichsgerichts. Außerordentlich bedenklich ist 8 554 des Entwurfs, wonach die Revision auch ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen werden kann, wenn das Gericht die Revision ein⸗ stimmig für unbegründet erklärt. Total verfehlt ist auch die Be⸗ schränkung des Reichsgerichts in der Würdigung des Tatbestandes. In zahlreichen Fällen wird man den Vorwurf der Rechtsbeugung erheben, wenn diese Bestimmung stehen bleibt. Sie allein schon müßte zur Ablehnung der Vorlage führen, denn sie verstößt gegen den d,, Audiatur et altera pars. Die übrigen vor⸗ geschlagenen Aenderungen sind auch nicht unbedenklich, aber es läßt sich darüber reden. Sollte es gelingen, einen brauchbaren Kern aus dem Gesetz herauszuschälen, so würden wir dafür stimmen, sonst nicht.
Hierauf tritt Vertagung ein. Schluß nach 6i/ Uhr, nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. (Petitionen, betr. Aenderung der Gerstenzollordnung. Antrag von Normann, betr. Hebung des Handwerks.)
Preuszischer Landtag.
Haus der Abgeordneten. 46. Sitzung vom 12. April 1910, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Buregu.)
Auf der Tagesordnung 9 zunächst die wiederholte Beratung und Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Abänderung der Vorschriften über die Wahlen zum Hause der Abgeordneten.
Ueber den ersten Teil der Generaldiskussion ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): Der Abg. Borgmann wird wohl schwerlich erwartet haben, mit seiner Rede hier Eindruck zu machen. Er selbst hat konstatiert, daß die von seiner Partei inszenierten Wahlrechtsdemonstrationen vollkommen wirkungslos verpufft sind, und er hat infolgedessen, wie bereits früher