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S. M. Flußkbt. „Tsingtau“ ist gestern von Wutschou (Westfluß) nach Sainan abgegangen. S. M. Flußkbt. „Otter“ ist gestern von Schanghai
nach Hankau (Yangtse) abgegangen.
Oefterreich⸗ Ungarn.
Der Budgetausschuß des österreichischen Abgeordneten⸗ hauses hat, „W. T. B.“ zufolge, gestern mit 25 gegen 21 Stimmen gemäß einem Antrag Steinwender beschlossen, die Regierung zu ermächtigen, zur Bedeckung der außerordent⸗ lichen Militärausgaben eine Anleihe von 220 Millionen statt der von der Regierung beantragten 182 Millionen cuf⸗ zunehmen.
Großbritannien und Irland.
Im Unterhause fragte gestern Lord Beresford den Ersten Lord der Admiralität MeKenna, ob er irgend welche Mitteilung darüber besitze, daß der Kiel des ersten österreichischen Dreadnoughts vor einigen Monaten auf Stapel gelegt worden sei, und daß der zweite Dreadnought in einigen Tagen auf den durch den Stapellauf der „Zriny“ freigewordenen Stapel gelegt werden würde, sodann, ob er dem Hause irgend welche nicht offizielle Nachrichten über diesen Gegenstand geben könne, ohne daß es notwendig sei, anzudeuten, woher er diese Nachrichten be= zogen habe. Me Kenna erwiderte, „W. T. B.“ zufolge, auf diese Fragen, daß er der Antwort, die er am 12. d. M. auf eine ähnliche Frage erteilt hätte, nichts hinzuzufügen habe. Darauf brachte der Ministerpräsident Asquith seine Guillo⸗ tineresolution ein, die die Debatte über das vorjährige Budget auf fünf Tage beschränkt.
Der Premierminister erklaͤrte, daß die einzubringende Finanzbill im wesentlichen dieselbe sei, wie diejenige des vorigen Jahres und eine rückwirkende Kraft besitzen würde, als wenn sie im vorigen Jahre angenommen worden wäre. Einige Amendements von technischem Charakter würden hinzugefügt werden, die die Absichten der Regierung bezüglich gewisser Punkte klarer machen sollten. — Der Abg. Redmond trat unter dem lauten Beifall der Ministeriellen und der Nationalisten für die Regierung ein und führte aus, von den Nationalisten würden zwar alle Budgets als für Irland ungerecht ange⸗ sehen, diesen finanziellen Ungerechtigkeiten aber könnte nur durch Home⸗rule abgeholfen werden, und dieses würde erlangt werden durch Abschaffung des Vetorechts des Oberhauses. Er sehe die Erklärung des Premierministers vom 14. d. M. als eine genügende Garantie dafür an, daß die Home⸗rule⸗Bewegung jetzt schnell vorwärts gehen werde, und die Nationalisten würden deshalb die Politik der Re⸗ ierung mit Begeisterung unterstützen. Er bestreite, daß zwischen der
egierung und ihm irgend ein Handel stattgefunden habe. — Balfour erklärte, die Regierung habe die Unterstützung der Iren mit der Preisgabe von Traditionen bezahlt, deren Wahrung ihre Pflicht gewesen wäre. Die Regierung habe den Namen des Herrschers in einer Weise in den politischen Streit gezogen, wie es seit Gene⸗ rationen nicht geschehen sei. Niemals habe eine englische Regierung sich in einer Lage befunden, wie die sei, in die Redmond die jetzige
egierung hineingedrängt habe, und er hoffe, daß niemals wieder eine eng⸗ lische Regierung sich in einer solchen Lage befinden werde. — Der Premier⸗ minister Asguith bestritt hierauf in bestimmtester Weise, daß irgend ein Handel stattgefunden habe, und stellte fest, daß seine Erklärung vom 14. April vom Kabinett festgesetzt worden sei, ohne daß man Redmond zu Rate gezogen oder kesragt habe. Diese Erklärung stelle die wohlüberlegte, unabhängige Ansicht des Kabinetts dar, und ob Redmond ihr zustimmte oder nicht, er (Asquith) würde genau dieselbe Meinung hegen.
Das Haus nahm schließlich die von Asquith eingebrachte Guillotineresolution mit 345 gegen 232 Stimmen an.
Rußland.
Die Reichsduma sprach sich, „W. T. B.“ zufolge, in der gestrigen Sitzung für die Ausarbeitung eines Gesetz⸗ entwurfs aus, nach dem die Privatpersonen oder Aktiengesell⸗ schaften gehörenden und unter russischer Flagge gehenden Schiffe sowie deren Mannschaften im Falle der Mobilmachung, ähnlich wie in Deutschland, Oesterreich⸗Ungarn und Frankreich, der Kriegsmarine zur Verfügung gestellt werden müssen. Ein Regierungsvertreter erklärte, ein solcher Gesetzentwurf sei bereits im Ministerium ausgearbeitet worden und werde demnächst den gesetzgeberischen Institutionen vorgelegt werden.
Türkei.
Nach amtlichen, vom „W. T. B.“ übermittelten Meldungen aus Prischtina ist die Ruhe dort wiederhergestellt. Das Kriegsgericht hat seine Tätigkeit begonnen. Der Ministerrat hat beschlossen, weitere Beruhigungsmaßnahmen und Reformen einzuführen, darunter das Verbot des Waffen⸗ tragens, die Eröffnung von Schulen und die Schaffung von Gerichten.
Die Deputierten kammer hat gestern mit 146 gegen 43 Stimmen beschlossen, die Dauer des Dienstes im Heere auf 25 Jahre festzusetzen, wovon drei Jahre bei der Fahne abzuleisten sind. Die Dienstzeit in der Marine wurde auf 18 Jahre festgesetzt. Rumänien. Die Deputiertenkam mer hat gestern nach einer Mel⸗
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dung des „W. T. B.“ dem Handels vertrag mit Däne⸗
mark und einer Heeresanleihe im Betrage von fünfzehn Millionen zugestimmt.
Serbien. Die Skupschtina hat nach einer Meldung des „W. T. B.“ gestern die Zolltarifnovelle in erster Lesung
angenommen. Dänemark.
Durch Königliches Dekret wird, W. T. B.“ zufolge, die Auflösung des Folkething für den 19. Mai verfügt. Die Neuwahlen sind auf den 20. Mai festgesetzt.
Asien.
Nach einer Meldung des „W. T. B.“ hat der Aufruhr in Tschangscha nachgelassen. Die chinesischen Truppen⸗ verstãrkungen sind gestern dort eingetroffen. Die drei Europäer, die bei dem Zusammenstoß einer Dschunke mit dem englischen Kanonenboot „Thistle“ ertrunken sind, waren nicht deutsche Missionare, sondern spanische Augustinermönche, unter ihnen der Bischof Perez von Nordhunan.
Afrika.
In einem hochgelegenen Tale des Muluja ist es, einer Depesche des W. T. B.“ aus Colomb Bechar zufolge, zu einem ernsten Zzusammenstoß zwischen dem Kaid Mohammed und zahlreichen Anhängern von ihm einerseits und den Stämmen der Uled el Hadj und der Aibellhassen andererseits gekommen. Der Kaid soll getötet worden sein, seine Truppen haben eine schwere Niederlage erlitten. Auf beiden Seiten sind viele getötet worden.
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Australien. ; Wie das „W. T. B.“ meldet, ist das Bundeskabinett infolge des Ausfalls der Wahlen zurückgetreten.
Parlamentarische Nachrichten.
Die Schlußberichte über die Srrigen Sitzungen des Reichstags und des Hauses der geordneten befinden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
— Der Reichstag setzte in seiner heutigen (67. Sitzung, welcher der Minister für Handel und Gewerbe Sydow und der Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Lis co beiwohnten, die erste Beratung des Entwurfs einer Reichs versicherungs⸗ ordnung fort. (
ö 3. Freiherr von Gamp⸗Massaunen (Ry): Den Abg. Molkenbuhr möchte ich doch ersuchen, seine Angriffe auf die Agrarier, diese alten Ladenhüter, einzustellen; er weiß ja. daß ich jederzeit in der Lage bin, solche sehr scharf zurückzuweisen. Ich befinde mich aber in keiner polemischen Stimmung. s werden heute täglich etwa 3 Millionen für die Arbeiterfürsorge ausgegeben. Der Abg. Molkenbuhr aber bezeichnet unsere Sozialgesetzgebung als rückständig. In England würde die Sache vielleicht nicht so laufen, wie er gestern prophezeite, wenn auch die Arbeitervertreter dort den Wunsch haben, die Lage der Arbeiter energisch zu verbessern. Der Abg. Molkenbuhr bat auch hier die bekannten Angriffe gegen den Zentralverband deutscher Industrieller wiederholt Gerade dieser Verband hat sich von Anfang an mit einer großzügigen Sozialpolitik einver— standen erklärt; er ist kein Freund von Gelegenheitsmacherei auf diesem Gebiete. Ein Mitkämpfer ist ihm jetzt in dem Deutschen Handels⸗ tage erstanden. Haben die Herren Sozialdemokraten das Bedürfnis, sich an den Arbeitgebern zu reiben, so mögen sie auch den Handelstag nicht vergessen. Mit dem Abg. Mugdan befinde ich mich in den allermeisten Punkten in Uebereinstimmung. Der Entwurf beruht auf dem Gedanken, einheitliche Behörden für die drei Zweige der Versicherung zu schaffen. In Preußen kommen wir mit der Kon⸗ struktion des Entwurfs, namentlich durch die Heranziehung der Selbstverwaltungsbebörden, der Einheitlichkeit sehr nahe. Es werden aber verschiedene Arten von Versicherungsämtern vorgesehen, solche, die sich an staatliche und solche, die sich an Gemeindebehörden anlehnen, um jedem Staat die Möglichkeit zu geben, die Angelegen⸗ heit nach seinen eigenen Verhältnissen zu ordnen. Hoffentlich kommt hierüber eine Verstaͤndigung zu stande, die auch den Abg. Mugdan be⸗ friedigt. Die komplizierten Bestimmungen der Vorlage werden in mancher Beziehung vereinfacht werden können. Ganz erheblich ein⸗ facher müssen u. a. die Vorschriften über die Feststellung des Orts— lohns gestaltet werden, auch schon im Interesse der Kostenersparnis. Die bestehenden Versicherungsträger sollen beibehalten werden, damit sind wir einverstanden. Das Aussichtsrecht der Behörde ist gar zu weit ausgedehnt und enthält viel zu viel Be⸗ vormundung; hier muß eine Einschränkung erfolgen. Der ohnehin schon so riesige Beamtenapparat soll nicht noch durch die Vermehrung der Instanzen weiter vergrößert werden. Den Betriebskrankenkassen scheint das Reichsamt des Innern nicht sehr gewogen; jedenfalls enthält der Entwurf eine Reihe von Bestimmungen, die ihnen das Leben recht sauer machen können, und auch hier soll wieder ein überaus komplizierter Verwaltungsapparat in . treten. Auch damit müssen wir möglichst aufräumen. Daß die Grundlage für die Verteilung der Lasten der kleinen Kassen geändert werden soll, balten wir nicht bloß für erwünscht, sondern für dringend notwendig. Wir haben nie begreifen können, wie an dem bisherigen Unfug so⸗ lange festgehalten werden konnte. Wer hat denn bisher am meisten über den Terror der Kranken assen eklagt? Das waren gerade die Aerzte, denen die Jo3* ischen Krankenkassenvorstaͤnde den 75 auf den Nacken geser f haben. Die Abgg. Mugdan und
olkenbuhr sind gestern darüber sehr leicht hinweg gekommen; früher hat sich der Abg. Mugdan ganz anders geäußert. Warum wollen denn die Arbeiter die 60 Millionen nicht annehmen, die ihnen jetzt von den Arbeitgebern angeboten werden, sobald die Halbierung der Beiträge eintritt. Wollen Sie (zu den Sozial⸗ demokraten) es nicht, dann bauen Sie ihre Krankenfürsorge auf die Arbeiterbeiträge allein auf, dann lassen Sie die Arbeitgeber ganz heraus, denn es geht nicht an, daß diese dauernd entrechtet werden.
(Schluß des Blattes.)
— Das Haus der Abgeordneten setzte in der heutigen (52.) Sitzung, welcher der Minister der geistlichen 2c. An⸗ gelegenheiten von Trott zu Solz beiwohnte, die zweite Be⸗ ratung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, und zwar die beim ersten Titel der dauernden Ausgaben „Gehalt des Ministers“ übliche allgemeine Besprechung dieses Etats fort.
Abg. Winckler (kons. ): Es muß für den neuen Minister ein Stolz sein, einen Etat wie diesen Kultusetat vorzulegen, der bis zu solcher Höhe der Aufwendungen für Kultuszwecke, fur die edelsten und höchsten Güter unseres Volkes angewachsen ist. Am Freitag sagte im Herrenhause Professor Hillebrandt: Ich hebe als gelegentlicher Referent des Kultusetats hervor, was dieser für die Kultur des Landes bedeutet, und wenn manche Unkundige Preußen als rückständig anseben, so bitte ich Sie, den preußischen Kultusetat und namentlich die Aufwendungen für Kunst und Wissenschaft anzusehen; ich bitte, mir den Staat zu zeigen, der auch nur entfernt mit dem preußischen Staate in dieser Beziehung verglichen werden kann. Mit diesem Urteil eines Sach⸗ verständigen will ich klar die Grenze ziehen gegen die Ausführungen, mit denen unsere gestrige Sitzung schloß. Solche Reden, wie wir sie gestern am Schluß gehört haben, haben ihre heitere und ihre ernste Seite. Wir sind versucht, zu lächeln, wenn wir die ungeheuer ge— steigerte Sehkraft sehen, die dem Abgeordneten innewohnte, als er schilderte, was für ungeheure Summen der Staat für die Kirche aufwende. Wir mit normaler Sehkraft Begabte merken das nicht, daß in diesem Etat die Aufwendungen für die evangelische Kirche auf das Zehn⸗ fache, für die katholische Kirche auf das Fünffache gesteigert sein sollen: wir sehen in dem Etat nur die Konsequenzen der Gesetzgebung, durch die die Bgsoldungen der Staatsbeamten aufgebessert und den Schulgemeinden und Kirchen erhöhte staatliche Beihilfen gegeben sind, um ebenso mit Besoldungserhöhungen vorzugehen. Wir sind versucht, zu lächeln, wenn wir die bedauerlich schwache Sehkraft
es Abgeordneten bemerken, wenn es sich um die Bewertung der Auf⸗ vendungen des Staates für die Kultuszwecke handelt. Wir sind ver⸗ sucht, zu lächeln über den Vergleich, was dem Staate die Volksschüler und die Schüler der höheren Lehranstalten kosten, wobei unberück⸗ sichtigt bleibt, daß für die höheren Lehranstalten der Staat, für die Volkeschulen aber die Gemeinden prinzipal verpflichtet sind und der Staat nur mit Beihilfe eintritt. Eine solche Rede hat aber auch eine sehr ernste und sehr lehrreiche Seite; wir ersehen daraus so recht, wie einem großen Teil unseres Volkes die wichtigsten Vorgänge im Staatsleben dargestellt werden. Die Reden der Herren Sozialdemokraten werden den Volksgenossen in extenso
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und vergeblicher Versuch, die Anklagen der Sozialdemokraten zu widerlegen, hingestellt; ssie erfahren nichts davon, was der Staat für sie auf dem Gebiete der Bildung leistet und welche Opfer die anderen Volksteile dafür sich auferlegen. Ich erinnere nur an die Lasten für die Unterhaltung der Volksschulen. Wir sehen so recht, aus welchem Material die Mauer gebaut wird, die einen großen Teil unserer Volksgenossen von uns abschließt, von der Einsicht in die Wirklichkeiten des Staatslebens abschließt, von der Freude ani Vaterlande, von der Freude an dem Staat, der für sie sorgt, wie kein anderer Staat auf der Welt es tut, und in dem zu leben
für denjenigen, der ihn wirlich kennt, eine Freude sein soll. Es hat wunder⸗ bar berühren müssen, was wir gehört haben, daß unsere Volks⸗ schulen Geringes leisten auf dem Gebiete der Volksbildung, und gerade in Posen, wo der Staat die ganzen Schullasten auf 1 enommen hat. Das erscheint wie Undank, und wenn über nicht befriedigende Leistungen der Schulen geklagt wird, so werden wir lebhaft erinnert an den Schulstreik und an die Lehrer des Schulstreiks, daran, welche schwierige Stellung unsere Lehrer dort haben, und welche Opfer sie dem Volke und dem Staate bringen. Wir werden es den dortigen Lehrern — das sei in diesem Zusammenhang einmal gesagt — nicht vergessen, was ihr Amt mit dem Staate für das Deutschtum getan hat. Auch in der Frage des Religionsunterrichts in der Volksschule kann ich mich dem Minister nur anschließen, und ich freue mich, von ihm zu hören, wie sich der Idealismus unserer Volksschullehrer bewährt hat. Jetzt, nachdem die meisten sie berührenden Fragen gelöst sind, werden wir sicher sein könnegz, daß sie sich mit größerer Dienstfreudigkeit ihrem Berufe hingeben werden. Wir haben stets betont, daß wir gerade in der Volksschule den Religions⸗ unterricht als den Mittelpunkt des Unterrichts und der Er⸗ ziehung — beides gehört in der Volksschule zusammen — betrachten. Wir verstehen es vollkommen, wenn ein Lehrer erklärte, daß er ohne den Religionsunterricht den Weg zum Herzen seiner Schuler nicht finden könne. Wir werden daher daran festhalten, daß der Religions⸗ unterricht in der Volksschule von den Lehrern wie bisher erteilt wird. Selbst der Abg. Cassel ist trotz anderer Gegensätze damit einverstanden gewesen. In der Frage des Religionsunterrichts der Dissidenten⸗ kinder weiche ich allerdings von ihm ab, sie wird aber demnächst bei einem Bericht der Unterrichtskommission über eine Petition er— örtert werden können. Diese wichtige Frage muß mit zarter Hand behandelt werden. Wenn der Staat daran festhält, daß die Dissidentenkinder an dem im Zentrum des Volksschulunterrichts stehenden Religionsunterricht teilnehmen, so geschieht dies nicht im Interesse der Kirche, sondern in dem des Staates. An dem Zentrum aber darf, um den Zusammenhang des Unterrichts nicht zu stören, nicht gelockert werden. Der Arnsberger Erlaß hat bei unserer grund⸗ sätzlichen Stellung zur Schulinspektion bei meinen Freunden erheb⸗ liche Bedenken bervorgerufen. Es ist keine Kleinigkeit, wenn man so viel Geistliche mit einem Male von der Ortsschul⸗ inspektion loslöst. Unsere Bedenken sind aber gemildert worden durch die Worte des Ministers, daß es sich bei diesem Vorgehen mehr um technische Fragen und nicht um eine grundsätzliche Aenderung in der Stellung zur geistlichen Schulinspektion handelt, woraus wir im Zusammenhang mit seinen anderen Ausführungen den ernsten Willen zu erkennen glauben, daß er an dem bisherigen Zustande festhält. In der Unterrichtskommission hat die Staatsregierung die Absicht mitgeteilt, die Medizinalverwaltung vom Ministerium demnächst auch wirklich zu trennen, wovon schon lange Jahre die Rede gewesen ist, und weiterhin ist von einigen organi⸗ satorischen Veränderungen im Ministerium Mitteilung gemacht worden. Wir sind mit beiden Maßnahmen grundsätzlich einverstanden. Auf das weitere Verlangen, daß auch andere Verwaltungszweige abgetrennt werden möchten, bis schließlich nur das reine Unterrichtsministerium übrig bleibt, möchte ich zunächst auf die Erklärung des Ministers in der Kommission aufmerksam machen, daß mit jenen Maßnahmen der Abtrennung der Medizinalverwaltung und den organisatorischen Veränderungen das Ministerium in die Lage kommen würde, in vollstem Maße allen Anforderungen zu genügen, dann sei von einem übergroßen Umfang nicht mehr die Rede. Das genügt uns- Wir haben in erster Linie das Organisationsrecht der Krone zu respektieren, das nur durch etwaige Aenderungen des Etats eingeschränkt werden könnte. Wir werden es daher auch in diesem Falle respektieren. Den weiteren Abtrennungsbestrebungen können wir aber nicht zu— stimmen; wir berufen uns dabei auf die Worte des Ministers von dem ferneren dauernden Zusammengehen von Kirche und Schule. Ich würde wünschen, daß auch ferner Kirche und Schule n in der höchsten Staatsinstanz vereint bleiben. Die Religion muß im Mittelpunkte dieser Verwaltung stehen. Wir haben stets gewünscht, daß die Pro⸗ vinzialorgane in ihrer Selbständigkeit und Verantwortung gestärkt werden, und wünschen auch eine Erweiterung dieser Selbständigkeit. Aus diesem Grunde werden wir auch der Anregung des Abg. Cassel nicht folgen können, die gegenüber diesen auf Selbständigkeit gerichteten Bestrebungen die übergroßen Befugnisse der Schulabteilungen konservieren möchte. Zu den Bestrebungen nach Dezentralisation hat auch die General⸗ synode der evangelischen Landeskirche der älteren Provinzen während ihrer letzten Tagung Wünsche geäußert; sie knüpfte an die Einsetzung der Immediatkommission an, die mit der Prüfung der Frage beauftragt war, in welchem Sinne die Organisation vereinfacht werden könnte. Sie hat dabei den Wunsch ausgesprochen, daß geprüft werden möge, welche Reformen auf dem Gebiet der Kirchenverwaltung möglich seien, und welche Vereinfachungen die höheren Instanzen entlasten könnten, um die staatlichen Behörden in kirchlichen Dingen auf das not— wendige Maß zu beschränken. Auch hier müssen wir uns verständigen. Diese Beschränkung der Mitwirkung staatlicher Instanzen wird sich um so mehr ermöglichen lassen, als der Staat auf einem überaus wichtigen Gebiete selbst den Anstoß dazu gegeben hat, daß seine Einwirkung auf das kirchliche Leben wesentlich vereinfacht und beschränkt wurde. So wird er auch gleichen Wünschen auf anderen Gebieten nachkommen können. Jene Frage betrifft das Besoldungswesen der evangelischen Geistlichen. Nach diesem Vorbilde ist auch auf anderen Gebieten eine Verständigung möglich. Von einem meiner politischen Freunde ist auf Anregung der Bezirks— synode Wiesbaden der Wunsch geäußert worden, einen einheitlichen Buß⸗ und Bettag für ganz Deutschland festzulegen. Ich möchte diesen Wunsch hier zum Ausdruck bringen, da die Generalsynode ja nur alle sechs Jahre zusammentritt. Vielleicht kann die General synode den Deutschen evangelischen Kirchenausschuß ersuchen, diese Bestrebungen zu unterstützen. Wenn ein Geistlicher Kreisschul⸗ inspektor wird, so wird seine ganze vorhergehende Dienstzeit mit in Betracht gezogen. Wird aber ein Geistlicher Mitglied des Kon— sistoriums, ein Schritt, der über den bisherigen Beruf doch kaum hinausgeht, dann wird er als Staatsbeamter auf ganz andere Grund⸗ lagen gestellt. Vielleicht ist hier eine gesetzliche Aenderung möglich.
Hierauf nimmt der Minister der geistlichen 2c. Angelegen⸗ heiten von Trott zu Solz das Wort, dessen Rede morgen im Wortlaut wiedergegeben werden wird.
(Schluß des Blattes.)
Nach amtlichen Ermittelungen sind bei der am 14. April erfolgten Reichstagsersatzwahl im Wahlkreise 6 Gum⸗ binnen, jetzt 3 Allenstein, insgesamt 24 069 Stimmen ab⸗ gegeben worden. Davon haben der Gutsbesitzer Kochan⸗ Niedzwedzken (natl. 12 829, der Landrat Braemer ⸗Marg⸗ grabowa (kons. 10 325, der Parteisekretär Linde⸗Königsberg (Soz.) 914 Stimmen erhalten; zersplittert war eine Stimme. Kochan ist somit gewählt.
Dem Hause der Abgeordneten sind eine Denkschrift über die Entwicklung der nebenbahnähnlichen Klein⸗ bahnen in Preußen nebst 4 Anlagen und ein Beiheft dazu, enthaltend: A. Nachweisungen, betreffend die vom Staate aus dem Fonds zur Förderung des Baues von Kleinbahnen ge⸗ währten Beihilfen, und zwar: J. im Laufe des Jahres 1909 voll gezahlte Beihilfen, II. noch nicht voll gezahlte Beihilfen, B. eine Nachweisung der aus demselben Fonds bis zum Schlusse des Jahres 1909 in Aussicht gestellten Staatsbeihilfen und C. eine Nachweisung über die bis zum Schlusse des Etatsjahrs 1908 aufgekommenen Rückeinnahmen auf Staatsbeihilfen für Kleinbahnen, zugegangen. .
SEStatistik und Volkswirtschaft.
Zur Arbeiterbewegung.
ur allgemeinen Aussperrung im Baugewerbe (ogl. Nr. ö d. ih wird dem W. * B. aus Oldenburg gemeldet, daß die Maurer und. Zimmermeister der em einde Besterstede einstimmig eine Resolution gefaßt haben, in der sie erklären, die Ausdehnung der Aussperrung auf den dortigen Bezirk vorläufig nicht für erforderlich zu erachten und eine kleine Lohn⸗ erhöhung unter den bisherigen Bedingungen für angebracht zu n.
balterzn Münster i. W. haben, wie die Köln. It: mitteilt, die Schuhmachergesellen wegen Lohnstreitigkeiten die Kündigung ingereicht. ; . ;
en Massenkündigung der Hilfsarbeiter und Axheite⸗ rinnen der Buch- und Kunstdruckerei Halberg C Büchting in Leipzig ist, der ‚Lpz. Ztg. zufolge, von der Geschäftskommissjon des Verbandes der Buch- und Steindruckereihilfsarbeiter zurück—⸗ genommen worden, nachdem das Tarifschiedsgericht am 14. April als Einigungsamt eine Einigung herbeigeführt hat. — Die Leipziger
Kürfchnergehilfen (vgl. Nr. 87 8d. Bl.) beschlossen, den von den
Arbeitgebern aufgestellten Tarifvertrag nicht anzunehmen, sondern für einen eigenen Tarif einzutreten und in einem Betriebe, in dem keine Einigung zu erzielen war, die Arbeit einzustellen.
In Marseille haben, wie W. T. B.“ meldet, die einge⸗ schriebenen Seeleute (Bgl. Nr. 90 d. Bl) die Dockarbeiter aufgefordert, sich jeder Arbeit zu enthalten, die die Behandlung der Waren auf den Kais betrifft — In Bordeaux traten gestern etwa 100 eingeschriebene Seeleute in den Aus stand und verleiteten 144 Heizer und Kohlenarbeiter verschiedener Postdampfer, das⸗ selbe zu tun. Diese Versuche blieben aber bei dem Postdampfer „Quebec“ erfolglos; der Dampfer ging gestern nach den Antillen ab. Auch die Bockarbeiter von Bordeaux beabsichtigen, sich dem Ausstand anzuschließen. ;
Eine am 16. d. M. abgehaltene Bezirksersammlung des Berg⸗ arbeiter verban des von Charleroi beschloß, wie die „Köln. Ztg.“ erfährt, für nächsten Sonntag die Einberufung eines Bezirkskongresses zur Prüfung der Lage auf dem Kohlenmarkt. Obgleich seit Freitag 300 weitere Bergleute in Bascoup in den Ausstand getreten sind, glaubt man, daß die Ausstandsbewegung, namentlich in Braeguegnies, wo noch ö Mann feiern, ihrem Ende entgegengehe. (Vgl. Nr. 87 d. Bl.)
Kunsft und Wissenschaft.
Die Deutsche Shakespearegesellschaft hält ihre dies⸗ jährige Jahresversammlung am Sonnabend, 23. d. M., Vor— mittags 11 Uhr, im Saale der Armbrustschützengesellschaft in Weimar. Auf der Tagesordnung der Sitzung, die durch den Präsidenten, Geheimen Regierungsrat, Professor Dr. Brandl eröffnet werden wird, steht außer der Erstattung des Jahresberichts ein Vortrag des Professors Dr. Vetter in Zürich über: „Shakespeare und das Volk“.
Das „Goethe⸗Nationalmuseum“' in Weimar hat eine wertvolle Bereicherung erfahren durch ein Album von 330 Silhouetten aus dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, in dem etwa 200 Bild— nisse der bekanntesten und literarisch bedeutenden Persönlichkeiten jener Zeit enthalten sind. Das Album ist, wie der ‚Voss. Itg.“ gemeldet wird, von Karl Matthäi, dem Erzieher der Kinder der Marquise Brankoni, der alle Reisen dieser ruhelosen Dame mitmachte, zusammengebracht worden und illustriert in meist höchst gelungenen Aufnahmen alle interessanten Kreise von Deutschland, der Schweiz (Lavaterkreis) und gar von Frankreich und Italien. Goethe selbst ist viermal vertreten; ferner finden sich sein Schwager Schlosser, Lotte Kestner mit ihrem Gatten, Corona Schröter; auch Bilder von Mitgliedern des Leipziger und des Dessauer Kreises, von den Göttinger Dichtern mit Bürger, den Halberstädtern mit Gleim, von Klopstock und Matthias Claudius sind vorhanden. Auffallen muß, daß Schiller und sein Kreis nicht vertreten sind.
Bauwesen.
Im Architektenberein zu Berlin hielt am Montag der Landbauinspektor Kloeppel einen Vortrag über die bisherige Tätigkeit des vom genannten Verein eingesetzten Aus— schusses für das Bauwesen in Stgdt und Land. Dieser Ausschuß hat die Aufgabe, im Sinne einer Förderung heimischer Bau— überlieferung tätig zu sein und für das Gebiet der Mark Branden⸗ burg dem weiteren Umsichgreifen der heute üblichen ‚Vorortsbaukunst“ entgegenzuarbeiten. Das Ziel sucht er zu erreichen durch eine umfangreiche aufklaͤrende Tätigkeit über das Wesen der neueren Baubestrebungen und ihte Bedeutung für unser Kulturleben. Zu diesem Zweck werden besonders in den mittleren und kleineren Städten der Provinz Lichtbilder vorträge veranstaltet und Flugblätter gemeinverständlichen Inhalts verbreitet. Ferner handelt es 6. um die Abhaltung von Unterrichts⸗ kursen für die Baugewerbetreibenden der erwähnten Orte, um das Uebel bei der Wurzel zu fassen. Derartige Kurse sind mit Unter— stützung des Architektenvereins bereits von den Kreisen Nieder⸗Barnim und Luckau veranstaltet worden. Als Grundlage für diese Tätigkeit wird alles was von guten Bauwerken, wie Dorf⸗ und Stadtbildern früherer Zeiten auf üns gekommen, durch Photographie und Maß— aufnahmen festgehalten. An der Hand zahlreicher Lichtbilder zeigte der Vortragende, wie viel Interessantes und Vorbildliches uns auch in der Mark Brandenburg auf diesem Gebiet besonders aus der Zeit von 1700 bis in das 19. Jahrhundert hinein erhalten geblieben ist, und wie leicht es noch wäre, hieran wieder anzuknüpfen. Allerdings ist es höchste Zeit, denn die moderne, alles nivellierende Entwicklung droht gerade in neuester Zeit auch auf die kleineren und kleinsten Drte der Provinz stark überzugreifen. Der Verein hat eine Beratungs⸗ stelle für alle hierher gehörenden Fragen, sei es die Begutachtung wie Umarbeitung von Bauplänen, Aufstellung von Bebauungsplänen, Erlaß von Ortsstatuten auf Grund des Verunstaltungsgesetzes usw. eingerichtet, und bittet besonders die kleineren Gemeinden, denen ent⸗ vrechende technische Hilfékräfte nicht zur Verfügung stehen, sich in allen derartigen Fällen an ihn wenden zu wollen.
Technik.
2 Kür. Vor Eintritt in die Tagesordnung der 296. Versammlung des Berliner Vereins für Luftschiffahrt gedachte der Vor— sitzende der schmerzlichen Verluste von vier blühenden Menschenleben, helche an dem Unglückssonntag des dritten April zwei befreundete Vereine, der pommersche und der schlesische, bei Ballonfahrten erlitten baben. — Nach Verlefung des Protokolls der letzten Sitzung wurden 35 neuangemeldete Mitglieder, in ihrer Zahl drei Damen, in den Verein usgengmnmen; — Auf der Tagesordnung standen zwei Vorträge über z' gleiche Thema; Das Flu gprobtem im Altertum und . it tel alter. Beide zur Erforschung der Vorgeschichte der Flieger⸗ Uunst in gemeinsamer Arbeit seit einiger Zeit verbundene Vortragende, Fr Hennig und Ingenieur Feldhaus, hatten sich in die Behand— lung des Themas in der Art geteilt, daß der erstere über die ältesten Andeutungen der Beschäftigung mit Fluggedanken und über Er⸗ lungen von angeblich gelungenen Flügen in Sage und Legende sowie de. mehr oder weniger geschichtlich beglaubigte Flugversuche im Alter⸗
m und Mittelalter sprach, während der andere die ernst zu nehmen⸗ den derschiedenen Vorschläge und Versuche zur Lösung des Problems u dem 16. bis 18. Jahrhundert bis 1783 als dem Jahr der Er⸗ nn der Mongolfiere behandelte und an vielen Lichtbildern 5 . erte. Flugsagen, so führte Dr. Hennig aus, sind über die ganze rde, bei allen Völkern verbreitet. Sich gleich dem von der Natur , Vogel in die Lüfte erheben zu können, ist immer Gegen⸗ . der Sehnfucht des Menschen gewesen, ist ihm stets als, eine Kere Stufe des Daseins erschienen. Deshalb gab die semitische , den Engeln Flügel. und in der Mythologie zahlreicher Völker Gern die von der Phantasie geschaffenen Wesen höherer. Ordnung, Henien und Götter, häufig mit Flägeln ausgestattet. Dädalus und
KBarus stellen, jener Sehnsucht Ausdruck gebend, den Versuch dar, die Schöpfungen der ,, zu verwirklichen. Diese Mythe ist typisch
für eine Anzahl ähnlicher, deren wir in jedem Erdteile eine, in Asien sogar 2 kennen, alle mit dem tragischen Ausgange, welcher dann als die un⸗ abänderliche Folge menschlicher Vermessenheit gilt, sich einen unserem Ge⸗ schlecht versagten Vorzug ertrotzen zu wollen. In geschichtlicher Zeit be⸗ schränken sich die Fliegeversuche, abgesehen von dem Bericht über eine künst⸗ liche hölzerne Taube, die Archites in Tarent hergestellt und zum Fliegen . haben soll, auf eine Reihe von Versuchen, angetan mit großen Flügeln, etwa denen eines Adlers, von einem hohen Punkte herabzu⸗ fliegen, also im Gleitflug herabzuschweben. Darin liegt so Wunder⸗ bares und Unglaubwürdiges nicht, namentlich, da fast in allen Fällen der Absturz erfolgte, und nicht eine einzige Andeutung vorliegt, daß ein Aufstieg auch nur versucht worden sei. Nichtsdestoweniger haben die Versuche dieser Waghalsiger ihre Zeitgenossen stets sehr auf⸗ geregt und den Anlaß zu langen, mehr oder weniger phantastischen Berichten geboten. ine der ältesten diefer Erzählungen, deren Schauplatz ein römisches Amphitheater gewesen, wird von Sueton in seinem Leben des Kaisers Nero“ aus— führlich, von Juvenal und Luctan andeutungsweise behandelt. Sie bietet deshalb ein besonderes Interesse, weil der Flieger jener Zauberer Simon war, der in der Apostelgeschichte Tap. 8,9 erwahnt sst, und die christliche Legende Petrus noch in Beziehung zu jenem Fluge bringt, dessen gefährlichen Ausgang frommes Gebet verhindert haben soll. Es ist merkwürdig, daß vom 9. Jahrhundert ab fast alle 1099 Jahre, bald da, bald dort von einem ähnlich zur Ausführung gebrachten Fliegeversuch berichtet wird. Um 886 soll in Cordoba ein Mann von einem Turm herabgeflogen sein, der sich außer mit Strauß⸗ oder Geierflügeln noch mit einem Federkleide versehen hatte. Später wird von einem Manne berichtet, der in Konstantinopel vor dem bvzantinischen Kaiser und einem fürst⸗ lichen Gaste desselben fliegen sollte, im letzten Augenblick aber den Mut sinken ließ und schlleßlich, als er zur Ausführung des Fluges gedrängt wurde, das Leben verlor. Aehnlich lautet ein Be⸗ richt aus England von dem Fluge eines Mannes, namens Oliver, um 1065, und eine kleine Anzahl von Berichten aus den nachfolgenden Jahrhunderten, von denen der eine oder andere gelehrte Erwägungen über den Mißerfolg anstellte. So hatte sich ein schottischer Abt Damiani anheischig gemacht, von England nach Frankreich zu fliegen, war aber schon bei einem Vor⸗ versuch abgestürzt. Die Ursache hierin sucht der Bericht in dem Um— stande, daß der Flieger für das von ihm angelegte Federgewand außer Adler- auch Hahnenfedern angewandt hatte: den Hahn ziehe es nun einmal nach der Erde, nach der gewohnten Dungstätte, indes der Adler von Natur der Sonne zustrebe. Eine wundersame Belebung fand der Fliegegedanke im Anfang des 16. Jahrhunderts durch die Beschäftigung Leonardo da Vincis mit dem Problem. Aus. dieser Zeit stammen eine Menge phantasievoller Berichte, die bei genauerer Prüfung leicht als Märchen oder Ueber⸗ treibungen nachweisbar sind. Hierher gehört die Erzählung, die ob ihrer technischen Leistungen (Nürnberger Schere, Nürnberger Trichter) wohlangesehenen Nürnberger hätten dem sie besuchenden Kaiser bei seinem Einzug in ihre Stadt einen künstlichen Adler voranfliegen lassen. Die Erzählung hat den wahren Kern, daß die Nürnberger nicht ein, sondern zweimal, beim Besuch Karls V. und Max milians fl., einen ausgestopften Adler auf eine hohe Säule setzten, der mittels angebrachten Uhrwerks die Flügel bewegte. — Ingenieur Feldhaus sprach ausführlich über Leonardo da Vincis durch viele von ihm zurückgelassene Zeichnungen erläuterten Plan, das Flugproblem zu lösen. Auch dieser beabsichtigte, den Vogelflug mit Flügeln nach⸗ zuahmen, die dem Adlerfittich oder Fledermausflügel nachgebildet waren, und hatte zu dem Zweck einen sinnreichen Apparat erdacht, in dem der Flieger etwa so wie die Brüder Wright in der ersten Ausführungsform ihres Aeroplans ausgestreckt lag und mit den Händen die mittels Scharnieren mit dem Gerüst ver— bundenen Flügel in Bewegung setzte. Es ist nicht erwiesen, ob der Apparat je ausgeführt und versucht worden ist; allein schon die Kunde von Versuchen des großen Mailänder In—⸗ enieurs wirkte anregend auf die , , Ein sehr interessanter
achweis ist nach einer anderen Richtung dem Vortragenden geglückt: Auf, der 117 nach Chr. errichteten Trajanssäule in Rom sieht man römisches Fußvolk im Kampf mit den Daciern durch die Träger eigenartiger Feldzeichen angeführt, die abweichend von dem sonst bei den Römern gebräuchlichen Adler die Gestalt eines auf einer Stange getragenen Drachens haben, dessen Leib eine aus Leder oder 1 hergestellte gegen den Schwanz sich verjüngende, hohle, inten geschlossene Röhre iloet? Der Kopf des Drachens ist aus Metallblech, das Maul ist geöffnet, sodaß die beim Marsch durch das Maul eintretende Luft den Drachenteil aufbläht. Einen genau diesem Vorbilde guf der Trajanssäule entsprechenden Drachen gibt eine deutliche Zeichnung aus dem Jahre 1305 einem in schneller Be⸗ wegung befindlichen Reiter in die Hand; aber der Drachen ist nicht an einer Stange, sondern an einem Strick befestigt und befindet sich trotzdem genau über dem Kopf des Reiters, als ob er durch eine Stange unterstützt wäre. Die Tat⸗ sache des Fliegens gibt nach der beigegebenen Beschreibung der Umstand, daß man dem Drachen ein brennendes Oellämpchen ins ge⸗ öffnete Maul gesetzt und damit die Luft verdünnt hatte: Das Ur⸗ bild der Mongolfiere! War die Absicht vielleicht auch nur die, beim Nachtmarsch einer Truppe Licht mitzuführen, so ist es doch be— fremdlich, daß man sich über die Ursache des ien, des Drachens nicht klar geworden zu sein scheint. Ja, diese selbe Einrichtung fand, wie Zeichnungen aus 1490, 1540 und 1560 beweisen, noch mehrfache Verbesserungen, u. a. Kombinierung mit einer Aufwindevorrichtung, und immer kamen die Benutzer nicht auf den Gedanken, der erst 1783 zur Erfindung der Mongolfiere führte. Inzwischen war auch der chinesische flache Papierdrachen in Europa bekannt geworden, viel früher, als man bisher angenommen hat; denn er kann nicht erst durch den Jesuiten und ausgezeichneten Physiker Athanasius Kircher Mitte des I7. Jahrhunderts bekannt geworden sein, da er bereits auf einem deutschen Holzschnitt von 1618 als ein Kinderspielzeug in seiner heutigen Gestalt dargestellt ist. Immerhin reifte der Gedanke, ihn zum Flieginstrument zu gestalten, noch viel langsamer als die Anwendung heißer Luft zu dem gleichen Zweck. Die mysteriöse Geschichte von einem 1703 in Lissabon durch einen jungen Kleriker ausgeführten Flug hält der Vortragende auch nur für die Geschichte eines abwärts ge= richteten Gleitfluges. Ingenieur Feldhaus erntete gleich dem ersten Redner lebhaften Beifall und von seiten des Vorstands die Auf— munterung, die interessanten Studien fortzusetzen. Beide Herren haben um materielle und intellektuelle Hilfe durch den Verein gebeten. Erstere ist ihnen schoön gewährt worden, letztere wird ihnen in Gestalt einer Instanz beigegeben werden, die aus hierzu bereiten Vereinsmitgliedern zu bilden das Vorstandsmitglied Herr Fhristmann übernahm. — Zum Punkt der Tagesordnung „ Fahrt— berichte‘ gab Herr Jahn einen Bericht über seine behufs Er— werbung der Führerqualifikation ausgeführte Alleinfahrt mit dem Ballon Ernst“ die von besonderem Interesse ist, weil sie an jenem durch böiges Wetter so gefährlich gewordenen 3. April stattfand. Der Wind wurde von dem Berichterstatter beim Aufftiege in Schmargendorf zwar auch sehr stürmisch und stoßweise auftretend empfunden, später uud bei der Landung aber nicht mehr. Um schnell aus der Nachbarschaft der Bäume beim Ueberfliegen des Grungwalds zu kommen, wurde von mitgenommenen 6 Sack Ballast sogleich einer geopfert und damit eine Höhe von 500 m erreicht, in der mit 60 km Geschwindigkeit Spandau gekreuzt wurde. Der Ballon ae, langsam höher, über Rheinsberg betrug die Höhe 1300 m, er⸗ mäßigte sich aber durch die Abkühlung oberhalb des Seengebiets um 100 m, sodaß zur Verhütung weiteren Falls neue 14 Sack Ballast zu opfern waren. Ludwigslust, Malchin, Güstrow wurden in 1100 m Höhe überflogen. Der Luftschiffer hatte gehofft, am Müritz⸗See zu landen, blieb jedoch weit westlich davon. Als Rostock und die See in Sicht kamen und der Wald von Heiligendamm sich nicht gerade als Landungsstelle empfahl, benutzte der Luftschiffer eine sich dar— bietende Wiesenfläche und ging hier unter Anwendung der ver— bliebenen 35 Sack Ballast und nach einer kurzen Seilfahrt
von 2900 m ohne jede Schwierigkeit zur Erde. Von hohem Interesse waren die e cht welche Oberpostsekretär Schubert und Oberlehrer Dr. Bürger (vom Grunewald⸗Realgymnasium) über eine Fahrt erstatteten, die sie als Teilnehmer am Nationalen Wettfliegen', von Dresden aus am ersten Osterfeiertage unter⸗ nommen und die in der Folge dem Ballon den dritten Preis ein⸗ getragen hatte. Für Dr. Burger war es die Führerfahrt. Der Ballon Harhurg“, von 1250 cbm Inhalt, stammte von der Har— burg Wiener Gummiwaren⸗Fabrik. Er startete in Klasse III als Zweiter, stieg um 4 Uhr, von der Radrennbahn in Reick gut abge⸗ wogen, mit 22 Sack Ballast zu 12 kRg auf und nahm SO Richtung, die er auf der ganzen Fahrt, eine geringe Süddrehung in größeren Höhen abgerechnet, beibehielt. Die Fahrt ging in 2— 300 m Höhe äber «= Pirna, Sächsische Schweiz in ihrer ganzen Ausdehnung, hinein nach Böhmen. Der Einfluß der feuchten Waldluft und der Elbe sowie einige Erkundungèversuche, ob etwa in größerer Höhe lebhaftere Luftströmung zu finden, kosteten bis 8 Uhr Abends, wo Böhmisch— Leipa in 1300 m passiert wurde, 8 Sack Ballast. Der Voll⸗ mond stand hinter Wolken und war während der ganzen Nacht nur gelegentlich auf einige Minuten fichtbar; allein * war so hell, daß das Gelände stets gut zu erkennen war. Nachts 11 Uhr tauchte, sich schwar; vom Himmel abhebend, ein anderer Ballon in nächster Nähe auf. Anruf blieb jedoch ohne Er— widerung. Um 1 Uhr überflog der Ballon Iglau, es konnte aus der zurückgelegten Strecke auf Zunahme der Geschwindigkeit geschloffen werden. Um 5 Uhr wurde die March überschritten, es erschienen rechts seitwärts die Lichter von Wien und blieben mit ihrem Schein lange sichtbar. Bald nachher gab ein auf der Tandstraße mit seinem Wagen fahrender Bauer, bei dem man sich nach der Gegend erkundigte, die Antwort: „Hoh die Ehr' — Preßburg ist in nächster Nähe.“ Die Höhen der Karpathen an der ungarischen Grenze wurden spielend genommen, ebenso die des Bakonyer Waldes. Hier aber begann ein leichter Schneefall, der etwa 2 Stunden anhielt und zu dichtem Schneegestöber geworden war, als die Ostseite des Platten⸗Sees erreicht war. Zugleich begann die Bildung von Haufenwofken, die, verbunden mit dem Glitzern des nun tief unter dem Ballon liegenden Schneegestöbers ein überwältigend schönes Bild darboten. Ganz Ungarn wurde nun in südöstlicher Richtung durchquert. Gegen 2 Uhr Nachmittags war man an der hier durch die Save gebildeten serbischen Grenze. Etwa in diesem Augenblick schoben sich ungeheure Wolkenberge zwischen Ballon und Erde. Bisher hatte sich der Ballon ausgezeichnet gehalten, mit wenigen Sack Ballast waren die Höhenzũge über⸗ wunden worden; jetzt waren noch 95 Sack vorhanden. Es wurde beschlossen, 6 Sack für die Landung zuͤrückzulegen, mit 39 Sack den Ballon noch solange wie möglich zu halten. Da in diesem Grenz⸗ gebiet zwischen Ungarn und Serbien Donau wie Save sich in viele Nebenarme verzweigen, war mit sumpfigem Gelände und schlechter Landungsgelegenheit zu rechnen. Man beschloß also, über den Wolken soweit als möglich vorwärts zu kommen. Zu diesem Zweck wurden von der Ballastreserve von 6 Sack noch 2 Sack zu verwenden , . zugleich aber allen sonstigen beweglichen Korbinhalt — Ueberzieher, Kartentasche, Feldstecher, Trinkgefäße ꝛc. — mit Hilfe des ee. in ein Bündel zusammenzuschnüren, um dieses im Notfall im letzten Stadium des Fallens abzuwerfen. Zum gleichen Zweck wurden alle leeren Weinflaschen und gefüllten Selterflaschen bereit gestellt. Nachdem diese Maßnahmen getroffen, trat eine ae ge ele. Wendung ein. Der Ballon stieg nämlich fort⸗ gesetzt, erreichte 609 m und stieg noch immer, als die Instrumente versagten. Daß 5000 m und mehr erreicht waren, erfuhren die Luft⸗ schiffer durch das körperliche Unbehagen, das sich geltend machte. Von oben brannte die Senne, während unten im Korbe so starke Kälte herrschte, daß das Mineralwasser gefror und die Flaschen sprengte. Rings um den Ballon ragten im weiten Wolkenmeer gigantische weiße Wolkentürme auf, als wollten sie sich auf den Erdenwurm stürzen, der ihre hehre Einsamkeit zu stören wagte. Die Augen begannen den Luftschiffern unter dem Eindruck des blendenden Lichtes zu schmerzen. Das Hereinholen eines Ballast— sackes kostete ihnen einen heroischen Entschluß wegen des heftigen da⸗ mit verbundenen Herzklopfens. Um die Beine zu erwärmen, hob man sie abwechselnd auf den Korbrand mit dem Gefühl, sie einem offenen glühen— den Ofen zu nähern. Die Lippen waren aufgesprungen, zunehmende Müdigkeit legte sich bleiern auf die beiden Insassen des Korbes. In dieser bösen Lage kamen sie überein, das körperliche Unbehagen solange aus— zuhalten, bis entweder der Ballon von selbst anfangen werde, zu fallen, oder bis einer ohnmächtig werden sollte. In diesem Falle sollte der andere sofort das Ventil ziehen. Zum Glück begann der Ballon bald nach 4 Uhr zu sinken und fiel mit Pausen bis auf die Wolkendecken herab und dann hinein in das Schneegestöber. Die Luftschiffer hatten inzwischen ihre Spannkraft wiedergewonnen, waren aber erstaunt, als sie aus den Wolken herauskamen, in welcher schwindelnden Höhe sie sich noch befanden. Mittlerweile ging der Sturz weiter, das Windrädchen schnurrte wie rasend. Jetzt ging Sack auf Sack über Bord, um den Sturz zu mäßigen, zuletzt wurde das große Bündel auf den Korbrand gebracht, um ihm im richtigen Moment den Laufpaß zu geben. Wie schnell trotz der Ballastabgabe der Fall war, ging daraus hervor, daß der Sand des letzten Sackes den Luftschiffern wieder auf den Kopf fiel. Aber das Gelände unter ihnen erwies sich als günstig, eine kleine, seitwärts liegende Stadt, wenig Gehöfte, hier und da etwas Wald. Als das Schlepptau eben den Boden berührte und sich unangenehm . auslegte, wurde aller bereit gehaltene Notballast ausgeworfen. Es hatte den erwarteten Erfolg, der Fall verlangsamte sich zusehends, aber zugleich trieb ein heftiger Bodenwind den Ballon auf eine Baumgruppe, und sausend ging es in die kahlen Baumkronen hinein, krachend brach ein Stamm von 25 em, gleich dahinter ein starker Ast. „Achtung, Klimm— u, war längst kommandiert, jetzt folgte das Kommando „Aufmasten!“ und gehorsam legte sich der Ballon auf die Baum— gipfel, den Korb etwas unsanft aufrecht am Fuße eines Baumes niedersetzend. Das abgeworfene Bündel lag nur 150 m von der Landungsstelle, es wurde keuchend herbeigeschleppt. Inzwischen hatte sich eine Menge Volks in den buntesten Trachten am Ballon ein— gefunden. Als die Hülle später von den Bauern herabgeholt wurde, stellte sie sich als völlig unverletzt heraus.
Es ist an dieser Stelle leider Verzicht darauf zu leisten, im An⸗ schluß an obigen, von Herrn Schubert gegebenen Bericht auch noch den von Dr. Bürger folgen zu lassen über die während dreier Tage in Serbien gemachten Erfahrungen. Es muß aber ge— sagt werden, daß die Luftschiffer des Lobes voll sind und ihren Bericht mit den Worten schließen konnten: „Fürchtet Euch nicht vor einer Landung in Serbien — wer jetzt mit dem Ballon dort ankommt, hat's noch leichter als wir!“ Die letztere Bemerkung bezieht sich darauf, daß es wohl der erste Ballon war, der in Serbien landete und das Landvolk vor allem zuerst nicht wußte, was aus dem Ereignis zu machen sei. Als der erste Gendarm erschien und die Luftschiffer nach ihrem Paß fragte, wurde er von dem Landvolk ausgelacht, daß er so dumm sein könne, von Leuten, die vom Himmel kämen, Pässe zu verlangen. Die Fahrt hatte 23 Stunden 52 Minuten gedauert, Landungsort war Bukowie bei Arangjelovac, Provinz Kragujewatz, 70 km südlich von Belgrad. Arangjelovac ist ein Badeort, in dem ein Eisenwasser quillt, das auf Flaschen gejogen und im Lande viel getrunken wird.
Nach diesen die Aufmerksamkeit der Versammlung fesselnden Be— richten wurde noch mitgeteilt, daß die Führerqualifikation er— worben haben: Gutsbesitzer Erich Guthmann in Marklissa, Professor Dr. Steyrer in Greifswald, Rentier Jahn und Oberlehrer Dr. Bürger in Berlin. Zum Schluß gab Kustos Baschin eine sehr dankenswerte Anregung, gestützt darauf, daß ein um seine Ansicht über die Wetterlage befragtes Wetterbureau, deren es in Deutschland doch jetzt eine Anzahl glbt, am 3. April wahrscheinlich Ballongufstiege widerraten haben würde. Er wünschte, zur Verhütung von Unglücksfällen die Befragung von Wetterbureaus womöglich verpflichtend gemacht zu sehen. In jedem Falle möge den Verbandsbereinen diese Vorsichtsmaßregel dringend empfohlen werden. Im Anschluß hieran mahnte auch Justizrat Eschenbach zu vermehrter Vorsicht beim Abwiegen der Ballons. ; ;
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