demokraten — Gegenrufe rechts) Soweit solche Behauptungen nicht lediglich zum Zwecke agitatorischer Verhetzung aufgestellt werden lsehr richtig! rechts), lassen sie erkennen, wie weit bedauerlicherweise bereits die von der sozialdemokratischen Presse systematisch geförderte Umbildung aller sittlichen Werte und aller Rechtsbegriffe bei uns bereits vorgeschritten ist (sehr richtig! rechts — Zuruf bei den Sozial⸗ demokraten); wie sehr bereits in gewissen Kreisen der Bevölkerung das Verständnis dafür abhanden gekommen ist, daß dem Koalitionsrecht gleichwertig und ebenbürtig zur Seite steht das Recht auf freie Arbeitswahl (sehr richtig! rechts), daß das Koalltionsrecht nie zum Arbeitszwang ausarten darf, und daß dem Arbeiter immer das Recht gewahrt werden muß, seine Arbeit da zu suchen, wo immer sich geeignete Gelegenheit für ihn dazu findet, wo und wie es ihm beliebt. (Bravo! rechts Meine Herren, demgegenüber halte ich es für meine Pflicht, mit Nachdruck zu betonen, daß es die einfache Pflicht und Schuldigkeit der zum Schutze der öffentlichen Sicherheit, Ruhe und Ordnung, der zum Schutze von Leben, Gesundheit und Eigentum berufenen Polizei war (Zuruf des Abg. Dr. Liebknecht: Eigentum vor allem, die nötigen Vorkehrungen zu treffen, um das Leben und die Gesundheit der neu eingetretenen Arbeiter bei Kupfer zu schützen, ihnen die Möglichkeit zu gewähren, ihren Arbeitsverpflichtungen nachzukommen und den durch den fanatisierten und aufgehetzten Pöbel bedrohten gewerblichen Betrieb von Kupfer zu schützen. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.)
Meine Herren, was nun die nach Ansicht des Gerichts in einer Anzahl von Fällen vorgekommenen Mißgriffe, insbesondere Be⸗ leidigungen, anlangt, so muß ich ganz entschieden Verwahrung da— gegen einlegen, daß der Versuch gemacht worden ist, aus Mißgriffen, wie sie bei Straßenkämpfen, namentlich des Nachts, überhaupt kaum je zu vermeiden sein werden (sehr richtig! rechts), aus Mißgrfffen, wie sie ganz naturgemäß von den Betroffenen außerordentlich auf⸗ gebauscht, wenn ⸗ nicht gar zum Teil mit Absicht entstellt wiedergegeben zu werden pflegen (sehr richtig! rechts; lebhafter Widerspruch bei den Sozialdemokraten und Rufe des Abg. Dr. Liebknecht: Die Polizei hat entstellt! Die Polizei hat gelogen! — Glocke des Prãäsidenten) — daß der Versuch gemacht - worden ist, aus derartigen Mißgriffen ganz allgemein so ungeheuerliche und unqualifizierbare Beschuldigungen gegen die Polizei als solche herzuleiten, wie dies bedauerlicher⸗ weise im Reichstage und auch in diesem Hause der Fall ge⸗ wesen ist. Meine Herren, die Polizei hat bereits vor den drei kritischen Tagen, in der Zeit vom 20. bis 26. September, also eine volle Woche hindurch tagtäglich die allergröbsten Be⸗ schimpfungen, Verhöhnungen und Herausforderungen über sich ergehen lassen müssen, und sie hat demgegenüber eine bewundernswerte Ruhe und Kaltblütigkeit bewahrt. (Widerspruch bei den Sozialdemokraten — Zustimmung rechts und im Zentrum) Sie hat sogar am Abend des 26. gegenüber tätlichen Angriffen, gegenüber meuchlerischen Schüssen und Steinwürfen aus Fenstern und Türen mit Rücksicht auf die zahlreich vorhandenen Frauen zunächst noch eine vielleicht sehr weitgehende Zurückhaltung bewiesen (Z3ustimmung rechts) und ist erst dann pflichtmäßig eingeschritten, als die Ausschreitungen den Charakter des offenen Aufruhrs angenommen haben, dann aber mit der nötigen Energie und Unerschrockenheit. (Sehr wahr! — Abg. Dr. Liebknecht: Gegen wehrlose und friedliche Leute. — Lachen.)
Wenn bei solchen Gelegenheiten Neugierige, minderbeteiligte Zu⸗ schauer zu Schaden kommen, mag man das menschlich bedauern; es ist aber nicht zu vermeiden, und der größere Teil der Schuld trifft diese Leute doch in der Regel selbst. (Sehr wahr!) Es kommt hinzu, daß ein großer Teil der Bevölkerung den Ernst der Situation nicht anerkennen wollte, daß viele das Ganze als ein interessantes, sensationelles Schauspiel betrachteten, dessen Genuß sie sich nicht ent⸗ gehen lassen wollten, daß selbst ruhige, ordentliche Leute aus diesem Grunde der Polizei passiven Widerstand entgegensetzten, ihren An⸗ weisungen nicht oder doch nur widerwillig, zögernd und unter Protest und Schimpfereien Folge gaben. (Sehr wahr) Daß in derartigen Fällen auf solche Leute keine Rücksicht genommen werden kann, das gebietet die Situation; es ist unmöglich, wenn man überhaupt eines derartigen Aufstandes Herr werden will, in solchen Fällen Unterschei⸗ dungen zu machen.
Meine Herren, ich kann unker diesen Umständen die gegen die Polizei erhobenen allgemeinen Anschuldigungen und Verunglimpfungen nur energisch zurückweisen (lebhafter Beifall) und halte es für meine Ehrenpflicht, demgegenüber die Pflichttreue öffentlich anzuerkennen und hervorzuheben, mit der die Polizei in jenen schweren Zeiten tage⸗ und nächtelang ausgeharrt und ihres schwierigen Amtes gewaltet hat im Dienste des Staates und im Interesse des lovalen, des friedlichen und verständigen Teils der Bevölkerung. (Lebhafter Beifall rechts, im Zentrum und links. — Zuruf bei den Sozialdemokraten: Der herrschenden Klassen!)
Meine Herren, ich kann meine Ausführungen nicht schließen, ohne auf die inneren, tiefer liegenden Gründe einzugehen, welche die Aus⸗ schreitungen in Moabit zwar nicht veranlaßt, aber doch ermöglicht haben.
Es steht fest, daß die Ausschreitungen begangen worden sind nicht nur von dem sogenannten Lumpenproletariat, dem radau⸗ und plünderungslustigen Pöbel, sondern auch von gutgelohnten, teilweise von organisierten Arbeitern, sogar von Angehörigen des kleinen Bürgerstandes. Es steht ferner fest, daß die Unruhen und Ausschreitungen, deren Hartnäckigkeit und Dauer in gar keinem Ver⸗ hältnis steht zu dem ursprünglichen geringfügigen Anlaß, dem Kohlen⸗ arbeiterstreik bei Kupfer u. Co, sich in den drei kritischen Tagen mit einer gewissen Planmäßigkeit abgespielt haben. Trotzdem liegen keine Beweise vor, daß es sich um eine von langer Hand vorbereitete Aktion gehandelt habe. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Es ist daher meines Dafürhaltens nicht angängig, einzelne Personen oder einzelne Gruppen von Personen als Anstifter im juristischeu Sinne zu bezeichnen.
Wohl aber kann gar kein Zweifel darüber obwalten, daß die jahraus, jahrein geübte Verhetzung einerseits gegen die Polizei, anderer⸗ seits gegen alle Arbeiter unterschiedslos, die einer sozialdemokratischen Organisation nicht beitreten wollen (sehr richtig! oder einer Streik⸗ order nicht blindlings parieren wollen, naturgemäß bei größeren Streiks zu gesetzwidrigen Vorfällen, Ausschreitungen und Akten der Brutalität und Roheit führen müssen, wie wir sie leider in Moabit zu beklagen hatten. (Sehr wahr! rechts und im Zentrum. — Zuruf bei den Sozialdemokraten: Dieser eine Fall beweist doch nichts.)
ein durch alle sozialdemokratischen Zeitungen und Versammlungen die Arbeitswilligen durch die Bank als Verräter und Lumpe bezeichnet werden (Abg. Dr. Liebknecht: Beweise! — Lachen rechts), wenn die Polizei jahraus, jahrein als brutale, blutgierige Volksfeindin bezeichnet wird, daß derartige Beschimpfungen, Verhetzungen und Verleumdungen nicht auf die Dauer bei ungebildeten und minder gebildeten Leuten Empfindungen und Gefühle hervorrufen müßten, die dann bei gegebener Gelegenheit in Widerstand gegen die Staatsgewalt und in rohen und brutalen Mißhandlungen Arbeitswilliger in die Erscheinung treten. (Sehr richtig! rechts. — Abg. Dr. Liebknecht: Das Gegenteil ist die Wahrheit) Meine Herren, daß es so ist, das beweist nicht nur Moabit, sondern die Vorfälle, die sehr bald darauf in kurzer Reihen⸗ folge sich abgespielt haben in Cöln, Remscheid, Bremen und neuer⸗ dings ja erst wieder bei einem Streik hier in Berlin.
Meine Herren, ich bedauere es lebhaft, daß auch ein Teil der bürgerlichen Presse sich derartigen Treibereien angeschlossen hat. (Leb⸗ hafte Zustimmung rechts.) Ich bedauere das im Interesse der zahl⸗ reichen Arbeiter, deren Sicherheit immer mehr gefährdet und denen das Recht der freien Selbstbestimmung ihres Arbeitsverhältnisses immer mehr verkümmert wird. (Sehr richtig! rechts) Ich bedauere es aber auch im Interesse der Arbeiter, die im Banne der Sozial⸗ demokratie stehen, weil bei ihnen die Neigung zu Gewalttaten, zum Widerstand gegen die Staatsgewalt hierdurch nur gefördert werden kann, und weil dies am letzten Ende zu neuen Ausschreitungen führen muß, deren Unterdrückung alsdann mit entsprechender Energie und Rücksichtslosigkeit erfolgen muß (lebhafter Beifall) und — darüber möchte ich hier in diesem Hause und auch außerhalb keinen Zweifel aufkommen lassen — auch erfolgen wird! Gebhafter Beifall rechts, im Zentrum und links; Zischen bei den Sozialdemokraten — erneuter Beifall. — Abg. Dr. Liebknecht: Wir werden den Frieden allein zu halten wissen, bei uns ist er besser aufgehoben als da drüben bei der Polizei! Glocke des Präsidenten.)
Generaldirektor der direkten Steuern Heinke: Bereits im Sommer vorigen Jahres sind durch die Zeitungen Mitteilungen gegangen, daß Freiherr von Richthofen⸗Mertschütz Einkommensteuer⸗ hinterziehungen begangen haben soll. Der Finanzminister hat sofort barüber Bericht eingefordert. Nach einigen Wochen ist der Bericht eingegangen, und daraus hat sich ergeben, daß allerdings eine Denunziation gegen Freiherrn von Richthofen eingegangen ist. Die darauf angestellten eingehenden Ermittlungen e. aber ergeben, daß die Behauptungen des Denunzianten vollständig unzutreffend gewesen sind, daß vielmehr Freiherr von Richthofen völlig zutreffende Steuererklärungen abgegeben hat. Der Staatsanwalt hat daher auch keine Veranlassung gehabt, gegen Freiherrn von Richthofen ein⸗ zuschreiten.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukich (fr. kons.): Der an⸗ dauernde Beifall, den die Rede des Ministers gefunden hat, beweist, daß er die große Mehrheit des Hauses auf seiner Seite hat. Auch die Ausführungen des Gerichtsurteils unterstützen seine Ausführungen auf der ganzen Linie. Durch das Gericht ist zweifelsfrei festgestellt, daß die Sozialdemokratie nicht nur die Mitschuld, sondern die Hauptschuld an den Moabiter Vorgängen trägt. Es unterllegt keinem Zweifel! daß die Erregung des Hasses gegen die Polizei in der Moabiter Bevölkerung planmäßig von der Sozialdemokratie und ihrer Presse geschürt worden it. Die Sozialdemokratie hatte das Pulverfaß gefüllt; von ihr rührte auch der Funke her, der das Pulverfaß zur Explosion brachte. Das Gericht hat auch festgestellt, daß die Polizei, indem sie Leben und Eigentum der gefährdeten Personen schützte, lediglich ihre Pflicht getan hat. (Präsident: Ich bitte wiederholt die Herren, die Zwischenrufe machen wollen, sich auf die Sitzplätze zu begeben; es geht nicht, daß sich Herren dicht neben den Redner stellen und ihn durch Zwischenrufe stören, Ich danke dem Präsidenten für den Schutz, den er mir angedeihen lassen will, aber nötig habe ich's nicht. Sowohl an dem Haß und der Erbitterung gegen die Polizei, wie an dem Haß gegen die Arbeitswilligen trägt die Sozialdemokratie die Hauptfchuld; mitschuldig sind Preßorgane wie das „Berliner Tageblatt“, die in einer Weise, die näher zu charakterisieren ich mir versage, sich in Schweifwedelei gegen die Sozialdemokratie ergehen. Das Gericht stellt ferner fest, daß ein großer Teil der Zeugenaussagen unter sozialdemokratischer Suggestion über Verfehlungen der Polizei abgegeben worden ist. (Stürmische Rufe bei den Sozialdemokraten: Unwahr! Der Präsident ersucht, solche Zwischenrufe, die offenbar „subjektive Unwahrheit“ andeuten sollen, zu unterlassen. Abg. Leinert (Soz): Er meint ja die Polizeizeugen! Präsident: Derr Abg. LMnert, ich bitte, mir nicht zu antworten auf meine ge— schäftsordnungsmäßigen Anordnungen!) . Die Verteidiger anderseits haben sich nicht gescheut, das Gericht als befangen gelten zu lassen. Das war mindestens objektiv eine Frivolität der schlimmsten Art; die Verteidiger haben sich nicht auf der Höhe ihres Berufes befunden, das ist bedauerlich und kann dem Institut der Verteidigung als folchem nur schaden. Für die Folge nach Kräften dafür zu forgen, daß solche Vorfälle sich nicht wiederholen, wird di Aufgabe der Polizei sein; es werden auch die Beschwerden über die Poltzei genau zu untersuchen sein. Aber das hindert nichts an der Tatfache, daß die Polizei im großen und ganzen eine bewunderungs⸗ würdige Haltung bewahrt hat; es ist unsere Pflicht, das vor dem Lande und dem Volke zu konstatieren. Was folgt aus den Vor⸗ hangen? Die Strafprozeßordnung muß Vorsorge treffen, daß solche Prozesse sich rasch abspielen konnen; die Polizei muß schärfer und entschlossener zugreifen, als es hier geschehen ist. Das Gericht hat festgeftellt, das erst vom 26. ab, als die Nerven der Polizei schon aufs äußerste angespannt waren, Ausschreitungen von Polizeiorganen erfolgt sind; das wäre vermieden worden, wenn von vornherein größere Energie angewendet worden wäre. Die Aufreizungen gegen die Arbeitswilligen in der Presse müssen vom Strafgesetz getroffen und auf diese Weise muß den Arbeits⸗ willigen ein stärkerer Schutz gewährleistet werden. Der Abg. Ströbel hat auch angedeutet, daß die Sozialdemokratie sich eventuell nicht bedenken würde, mit offener Revolution zu operieren, und Herr Liebknecht hatte schon früher die Vermessenheit, hier mit dem Generalstreik zu drohen. Das steht mit, Hochverrat durchaus auf dem gleichen Boden. Die planmäßige Agitation der Sozialdemokraten geht ja auch darauf hinaus, die Eisenbahn⸗ arbeiter mit dem sozialdemokratischen Gift zu erfüllen und sie zur Mitwirkung bei einem Generalstreik zu gewinnen. Der Eisenbahn⸗ minsster hat zutreffend bemerkt, daß wir in dieser Hinsicht keine Be⸗ fürchtungen zu hegen brauchen, weil sich die Verwaltung ihrer Pflicht gegen den Staat wie gegen die Arbeiter voll bewußt ist. Richtig ist auch, daß die Gewerbeordnung den Eisenbahnarbeitern nicht zur Seite steht. Wie die Sozialdemokratie darüber denkt, zeigt eine Aeußerung des „Vorwärts“, der diefe Ausführungen des Ministers als eine schwere Probokation der Ärbeiterschaft bezeichnet, auf die diese die Antwort nicht schuldig bleiben werden. Das ist so eine Ruhmredigkeit der solaldemokratischen Presse, denn Herr Ströbel hat sich wohl gehütet, bier etwas davon zu wiederholen. Bei der Revision des Straf⸗ gesetzbuchs muß aber auch erwogen werden, ob nicht auch gegen solche RUlufreizungen ein stärkerer strafrechtlicher Schutz zu gewähren ist. Die Staatsregierung, alfo auch der verantwortliche Redakteur der Thronrede hat' bezüglich bei der Wahlrechtsreferm auf dem Stand⸗ punkt gestanden, daß für Preußen eine organische Entwicklung des Wahl⸗ rechts notwendig sei. Diejenigen, die die Einführung des Reichstags⸗ wahlrechts wünschen, haben kein Recht dazu, sich auf die Thronrede von
19608 zu berufen. Wie die Dinge heute liegen, ist kein Gedanke daran, jetzt mit einer Wahlreformvorlage zu kommen. Man würde nur der Sozial⸗
Meine Herren, es wäre doch geradezu wunderbar, wenn jahraus, jahr⸗
demokratie nenen Stoff zur Verhetzung geben, und das hat nicht im Sinne
der Thronrede gelegen. Die Rechte und die Linke hier im Hause haben
ein gemeinsames Vaterland und gemeinsame Interessen gegen die vater⸗ landelofe Sozialdemokratie zu vertreten. Daß bei der kommenden Ver⸗ waltungsreform der Landrat allein die Schu verwaltung erhält, dapon kann natürlich keine Rede sein. Wohl aber muß ihm ein gewisser Einfluß eingeräumt werden. Es ist unbedingt notwendig, de der Landrat wieder bodenständig wird und eng mit seinem Kreise zusammenhängt, daß er fest verwächst mit den Interessen seines Kreises. Man hat hier das Urteil im Becker⸗Prozeß gegen die Landräte ausgeschlachtet. Ohne daß die Begründung des Urteils bekannt ist, hat der Abg. Wiemer davon gesprochen, daß das Urteil politisch beeinflußt sel. Einen solchen Vorwurf kann anan egen preußische Gerichte überhaupt nicht erheben. Unsere preußischen erichte sind immer unparteiisch gewesen. Die Erklärung des Ministers über den Modernisteneid erfüllt uns mit voller Befriedigung. Die Beibehaltung der katholisch⸗theologischen Fakultäten wird ledig⸗ lich vom Staatsinteresse abhängen. ie Unkbersitäten dienen der freien Forschung. Eine. Fakultät, deren Nitglieder aber den Modernisteneid geleistet haben, kann diesen Zweck nicht mehr erfüllen. Daß die Steuerzuschläge einen durchaus pro⸗ viforischen Charakter haben, steht vollkommen fest. Wenn wir an' die neue Steuerreform herangehen, so wird es sich . um eine gerechte Verteilung handeln. Ueher das jetzige Maß der Steuersätze werden wir auf, keinen Fall hinausgehen dürfen. Die Justizverwaltung bedarf vielleicht noch dringender als die allgemeine Verwaltung einer gründlichen Reform an Haupt und Gliedern. Es ist recht charakteristisch, daß der Vorwärts über den im Etat eingestellten Fonds von 1 Million für die Jugendpflege in ein Wutgeheul ausgebrochen ist. Wir haben dadurch die Zuver⸗ sicht, daß mit dem 5 das Richtige getroffen ist. Wir müssen gemeinsam darauf hinarbeiten, daß die Keime der Religion, der Gottesfurcht, der Königstreue und der Vaterlandsliebe, die in die Herzen der Kinder gelegt sind, auch im weiteren Leben erhalten bleiben.
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten Dr. Freiherr von Schorlemer:
Meine Herren! Ich darf mir wohl vorbehalten, demnächst in der Kommission und bei der zweiten Lesung des Staatshaushaltsetats im einzelnen auf die Ausführungen des Herrn Vorredners zurückzukommen, soweit sie mein Ressort betreffen. Ich möchte nur gegenüber dem Herrn Abg. von Zedlitz und auch gegenüber einigen in den letzten Tagen verbreiteten Zeitungsnachrichten ausdrücklich darauf hinweisen, daß der gegenwärtige Landvorrat der Andsiedlungskommission in keiner Weise dazu nötigt, im laufenden Jahre die Besiedlungstätigkeit ein⸗
zuschränken. Wenn in letzter Zeit einige Entlassungen von Verwaltern und Kündigungen derselben vorgekommen sind — es handelt sich im
ganzen um 12 Personen —, so ist das ein Vorgang, der sich in den letzten Jahren schon häufiger wiederholt hat, und der lediglich mit
der geringeren oder größeren Zahl von Gütern zusammen⸗ hängt, die sich augenblicklich noch in Selbstbewirtschaf⸗ tung durch die Ansiedlungskommission befinden. Etatsmäßige Zeichner sind überhaupt nicht zur Entlassung gekommen.
Bei der Entlassung von Hilfsarbeitern hat es sich lediglich um solche Persönlichkeiten gehandelt, die zur vorübergehenden Be⸗ wältigung einer besonderen Arbeit angenommen und deren Dienste dauernd überhaupt für die Ansiedlungskommission nicht in Aussicht genommen waren. Im übrigen bedarf es wohl nicht der Ver⸗ sicherung, daß die Staatsregierung auch fernerhin sich die energischste und zielbewußte Förderung des Deutschtums in den Ostmarken ange⸗ legen sein lassen wird. (Bravo! rechts.)
Meine Herren, obschon die bevorstehende Beratung des Antrags des Abg. Reck und Genossen mir noch Gelegenheit geben wird, ein⸗ gehender auf den Stand der Maul⸗ und Klauenseuche und die Maß⸗ nahmen zur Bekämpfung derselben einzugehen, so glaube ich doch dem Wunsche der Vertreter ländlicher Wahlkreise nachkommen und mit Rücksicht insbesondere auf die Ausführungen des Herrn von Pappen⸗ heim einige Worte über die Maul⸗ und Klauenseuche sagen zu sollen.
Meine Herren, nach dem Stande vom 31. Dezember des ver⸗ gangenen Jahres waren in Preußen 1900 Gemeinden und im ganzen 4091 Gehöfte verseucht. Davon entfallen auf die Provinz Posen allein 1014 Gemeinden mit 2242 Gehöften. Wenn Sie bedenken, daß im Jahre 1892 durch die damals herrschende Maul- und Klauenseuche im ganzen 16000 Gemeinden mit über 58 000 Gehöften (hört, hört! bei den Freikonservativen) und im Jahre 1899 15362 Gemeinden mit über 77 861 Gehöften verseucht waren, daß in Oesterreich⸗Ungarn die Zahl der verseuchten Gehöfte schon heute über 70 000 beträgt (hört, hörth, so werden Sie mir zugeben müssen, daß bei uns im gegenwärtigen Augenblick die Maul- und Klauenseuche noch einen verhältnismäßig geringen Umfang hat, und daß es wohl zweifellos den energischen Maßnahmen der Veterinärverwaltung zuzuschreiben ist, wenn sie nicht einen größeren Umfang angenommen hat. (Sehr richtig! rechts.)
Meine Herren, ich verkenne nicht, daß gerade die Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung der Maul⸗ und Klauenseuche in länd⸗ lichen Kreisen große Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten hervor⸗ rufen und zu wirtschaftlichen Schädigungen Anlaß geben, welche im Interesse der kleineren und ärmeren Landbevölkerung ganz erheblich zu beklagen sind. Aber ich glaube Ihnen nachweisen zu können, daß seitens der landwirtschaftlichen Verwaltung das Möglichste geschehen ist, um diese wirtschaftlichen Schädigungen auf ein geringes Maß zurückzuführen. Sie wissen, daß es sich bei der Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche, die im wesentlichen nach den Anordnungen des Erlasses vom 13. November 1906 erfolgt, in der Hauptsache um die Bildung der sogenannten Sperrbezirke und Beob⸗ achtungsbezirke handelt, daß aus Sperrbezirken Klauenvieh überhaupt nicht ausgeführt und in dieselben auch nicht eingeführt werden darf, und daß aus den Beobachtungsbezirken die Ausfuhr von Vieh nur nach vorhergehender tierärztlicher Untersuchung und auf Grund einer Bescheinigung, die nur 24 Stunden Geltung hat, er— folgen darf.
Wir haben nun zunächst versucht, durch sofortige Abschlachtungen die Aufrechterhaltung von Sperrbezirken und Beobachtungsbezirken überflüssig zu machen. Wir haben in 52 Fällen derartige Ab⸗ schlachtungen vorgenommen und dafür eine Summe von über 21 000 6 verausgabt. Es ist aber außerdem noch den Herren Regierungtpräsidenten aufgegeben worden, dahin zu wirken, daß die Sperrbezirke sich möglichst auf die geschlossenen Ortschaften beschränken und weitere nicht im Zusammenhang liegende Gehöfte nicht mit ein⸗ begreifen. Es ist dann in einzelnen Fällen gestattet worden, sowohl Vieh zur sofortigen Abschlachtung einzuführen, als auch schlachtreifes Vieh aus den Sperrgebieten zur sofortigen Ab⸗ schlachtung auszuführen. Ebenso ist die Einfuhr von Vieh zu Nutz
und Zuchtzwecken im Falle eines wirtschaftlichen Bedürfnisses gestattet
worden. Es ist außerdem zum Zwecke der schnelleren Durchführung der Untersuchung des aus Beobachtungsgebieten auszuführenden Viehes für die Heranziehung von Hilfstierärzten Sorge getragen worden, und die Herren Regierungspräsidenten sind ersucht worden, soweit es möglich war, zu veranlassen, daß zur kostenlosen Untersuchung des auszuführenden Viehes bestimmte Tage angesetzt würden.
Meine Herren, ich glaube, daß mit diesen Maßnahmen im Augen⸗ blick alles geschehen ist, was geschehen konnte, um die Härten in der Bekämpfung der Maul⸗ und Klauenseuche für die landwirtschaftliche Bevölkerung zu mildern. Ich bin aber gern bereit, die Zusage zu geben, daß ohne Aufhebung der bestehenden Vorschriften im all⸗ gemeinen doch in einzelnen Fällen, soweit es angängig ist, auch weiter⸗ gehende Milderungen herbeigeführt werden, daß besonders da, wo es sich um die Ausfuhr schlachtreifen Viehes handelt oder um die not⸗ wendige Einfuhr von Zucht- und Nutzvieh, nach Möglichkeit die er⸗ forderliche Genehmigung erteilt wird.
Meine Herren, in der gestrigen Verhandlung ist, wenn ich recht unterrichtet bin, der Abg. Ströbel auch auf die Fleischnot eingegangen und hat die Ausführungen bestritten, die ich in dieser Beziehung seinerzeit im Deutschen Reichstage gemacht habe. Ich will auf das, was der Herr Abgeordnete gesagt hat, hier nicht näher eingehen, aber ich darf doch ihm gegenüber darauf hinweisen, daß die Kleinhandels⸗ preise für Fleisch vom November zum Dezember des Jahres 1910 zurückgegangen sind, und zwar bei Rindfleisch von 168,8 auf 167,7 pro Kilogramm, bei Kalbfleisch von 189 auf 186,8, bei Hammelfleisch von 173,8 auf 172,8 und bei Schweinefleisch von 164,1“ auf 160,8. Wenn ich dem gegenüber hervorhebe, daß im Dezember 1909, wo in keiner Weise über Fleischnot und über Fleischteuerung geklagt wurde, der Preis für Schweinefleisch 170, gegen 160,8 betrug (hört, hört! rechts), und wenn ich wiederhole, daß unser Fleischkonsum nahezu zur Hälfte durch Schweinefleisch gedeckt wird, dann glaube ich ruhig behaupten zu können, daß im großen und ganzen die Voraussagen eingetroffen sind, welche ich seinerzeit im Reichstage gemacht habe, und daß ich keinen Anlaß habe, von den dort gemachten Ausführungen ein Jota zurückzunehmen. (Bravo! rechts.)
. Abg. Schmieding nl.) : Mit Rücksicht auf die großen Aufgaben unseres Staates auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet kann man unseren Ausgabeetat nicht als zu hoch bezeichnen. Ich schließe mich allerdings dem allgemeinen Mahnruf zur Sparsamkeit an. Aber nach meinen parlamentarischen Erfahrungen darf der Finanzminister auf Sparsamkeit im Parlament nicht zu sehr rechnen denn da fängt die Sparsamkeit des einzelnen immer erst bei den Wünschen des anderen an. Von dem Ausgabeetat wird nicht viel ab⸗ zuhandeln sein, aber schwieriger ist die Frage der Deckung. Es kommt nicht nur darauf an, daß wir Deckung schaffen, sondern auch darauf, wie wir die Deckung schaffen. Als Einnahmequellen stehen dem Finanzminister die Rente unseres Staatsvermögens und die Steuern zur Verfügung. Für den Finanzminister hesteht die Schwierigkeit, die Höhe der Rente festzustellen und danach den Restbetrag zu be⸗ stimmen mit dem die Steuerkraft des Landes in Anspruch zu nehmen ist. Unsere Rentenguellen sind die drei großen Objekte: Domänen und Forsten, der Bergbetrieb und die Eisenbahn. Bei den Domänen liegt die Verwaltung einfach, aus den Forsten werden wir hoffentlich noch etwas mehr herauswirtschaften; ein Schmerzenskind ist aber die Bergberwaltung. Während wir früher daraus Ueherschüsse von 60 Millionen hatten, gibt sie uns jetzt kaum 15 Millionen. Beim Uebergang der Staatsbergwerke in. Privgthände würde der Staat einen Preis erzielen können, der vie höher ist, als er selbst den Wert seiner Bergwerke einschätzt. Die piece de rèsistance unseres Staatsvermögens ist der große Besitz der preußischen Staatsbahnen, neben den Steuern das Rückgrat der preußischen Finanzen. Bei der Verstaatlichung der Eisenbahnen hatte man bange Sorge, ob sie die nötige Rente bringen würden. Diese Sorge ist beseitigt, wir haben mit der Hersfen n ein glänzendes Geschäft gemacht. Für Erwerb und Ausbau des Staatsba nwesens haben wir ein Anlage⸗ kapital von 104 Milliarden aufgebracht, das sog. statistische Anlage⸗ kapital. Von diesem sind bereits über 3 Milliarden in 30 Jahren getilgt worden, sodaß heute der ganze Staatsbahnbesitz nur noch mit 7.23 Milliarden zu Buche steht. Das ist in keinem anderen Stagte zu finden. Wir haben dem Finanzminister nicht den Vorwurf der Thesaurierungspolitik gemacht, wie seinerzeit der Abg. Eugen Richter und jetzt der Abg. Wiemer, denn im Betrage der Eisenbahnüberschüsse braucht der einzelne Bürger nicht durch Steuern in Anspruch genommen zu werden; aber wir haben bei dieser Finanzpolitik immer darunter gelitten, daß wir niemals wußten, wieviel Rente wir haben würden, und was wir an Steuern zahlen müssen. Die Eisenbahnen decken jetzt einen großen Teil der Verzinsung und der allgemeinen Staatsausgaben und liefern noch 32 Millionen für den Ausgleichsfonds, sowie ein Extraordinarium zur Verbesserung ihrer Anlagen, die später sicher eine Rente bringen. Die jetzige Verbesserung der Finanzlage ist durch den wirtschaftlichen AÄuf— schwung der letzten Jahre erreicht worden. Der Aufschwun harakterisiert die außerordentliche Beschäftigung im Lande, die 6 in gesteigerter Einfuhr und in noch stärker gesteigerter Aus⸗ fuhr, allerdings bei sehr geringen Preisen, zeigt. Dabei entwickeln sich die Eisenbahnen günstig, weil ihnen die Massentransporte zufallen. Die Verdienste unseres Eisenbahnministers sind nicht zu, bestreiten: seiner Initiatine ist es. zu danken, daß die Eisenbahnen so ausgestaltet sind, daß sie nach allen Richtungen leistungsfähig, und dadurch die großen Ueberschüsse ermöglicht worden sind. Wir hatten 1906 und 1907 auch schon steigende Ein⸗ nahmen, aber bei der damaligen Unpollkosmmenheit der Eisenbahn— anlagen stiegen die Ausgaben verhältnismäßig noch mehr; jetzt sind die Unvollkommenheiten beseitigt, der Betrieb ist berbilligt, die Be⸗ triebskosten herabgedrückt. Allerdings werden wir in der Tommission die Gestaltung des Ertraordinariums noch besonderg prüfen müssen, denn eine Erhöhung des Extraordinariums verursacht sofort eine Verringerung der Eifenbahnrente. Was die Steuern anbetrifft, so sind die Steuerzuschläge nur als Provisorium bewilligt worden. In der jährlichen Bewilligung einer bestimmten Steuerquote würde allerdings ein Antrieb zur Sparsamkeit liegen. Im einzelnen möchte ich noch die Anregung empfehlen, daß zur Unterstützung des Flugwesens Mittel in den Etat eingestellt werden, damit wir hinter den anderen Staaten nicht zurückbleiben. Die Wahlrechtsvorlage ist durch die Abgg. von Heydebrand und von Richthofen sowie vom Zentrum zum Scheitern gebracht worden. Was hatte es für einen Wert, daß man erklärte, Opfer bringen zu wollen, und dann nichts zu stande brachte? Die lange Dauer der Prozesse in der letzten Zeit wünschen wir gleichfalls zu beseitigen, schon aus Gründen der Humanstät, denn wenn eine Strafe sofort der Tat auf dem Fuße folgt, kann sie um die Hälfte geringer bemessen werden, um wirksam zu sein. Die Ausführungen des Abg. Ströbel über die Daltung der Polizei habe ich aber mehr als Kanonendonner aufgefaßt, um einen Rückzug aus schwieriger Situation zu decken. In den in Betracht kommenden Kreisen ist in keinem Haus andere als sozialdemokratische Lektüre zu finden, und diese Presse trägt mit ihrer Verhetzung die volle Verantwortung für das Blut, das an den Polizeisäbeln klebt; daran sind in letzter Linie diejenigen schuld, die das Feuer des Aufruhrs geschürt und damit gespielt haben. Kann man jemandem eine schwierigere Aufgabe stellen, als gegenüber einer fanatisierten Menge fortgesetzt feine Nerben in der Gewalt zu haben 2 Der Aus⸗ gangäpunkt der Unruhen war der Zwang gegen die Arbeitswilligen. Das ist der wundeste Punkt. Wir haben den Arbeitern das Koalitionsrecht, das Recht zum Streik gegeben, das erfordert aber auch die Ächtung vor der Arbeit. Davon hat der Abg.
Ströbel in seiner zweistündigen Rede kein Wort gesprochen. Graf Praschma meint, in der ganzen Welt sei man bestrebt, die Völker zu einigen, und er bezeichnete ein innerdeutsches und innerpreußisches Komitee zur Milderung der Gegensäße als eine dringende Aufgabe. ch habe mich über diese . aufrichtig gefreut. das deutsche Volk hat es in seiner ganzen Geschichte eigentlich nie so gut gehabt, wie gerade 1 Es ist ihm endlich nach langen Kämpfen gelungen, geeint dazu tehen, im Innern haben wir einen geradezu heispiellofen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung gehabt, die Ausbildung hat bei uns zugenommen, wie in keinem anderen Lande, wir find heute das gebildetste Volk der Welt, und das versöhnliche Element in dem großen wirtschaftlichen Aufschwung ist, daß daran gerade die untersten Klassen, die hand⸗ arbeitenden Klassen, am stärksten beteiligt sind. Nachdem wir das alles erreicht haben, was ist die Wirkung, dabon gewesen? Ein bei⸗= spielloser Hader auf sozialem Gebiet, wie er nicht schlimmer ge⸗ decht werden kann. Dieser innere Hader liegt leider in unserem Volkscharakter. Fürst Bismarck hat gesagt, von der Vorsehung sei dem deutschen Volke die Zwietracht gegeben, weil sie ihm so große Eigenschaften in die Wiege gelegt habe, daß es sonst die ganze Welt erobern würde. Im vorigen Jahre haben wir von dem Kollegen Herold eine Rede gehört, wie sie schärfer gegen uns Nationalli zerale überhaupt nicht sein konnte; sie denunzierte uns als die alleinigen Friedensstörer vor dem Lande (Widerspruch des Abg. Grafen raf nch — jawohl, ich bin selbst persönlich an— gegriffen worden. Und nach einigen Wochen störte wieder die päpstliche Enzyklika den Frieden. Graf Praschma sollte seine Mahnung zum Frieden vor allem an die eigene Partei richten. Als Modernismus wird jetzt schon verdächtigt, wenn ein Katholik die protestantische Kirche als Schwesterkirche bezeichnet. Schreibt doch der Baron de Mathis in seiner Broschüre; Wir sind wahrhaftig zwei Völker im Stagt. Mich erinnert unwillkürlich die tige politische Situation an die Zeit der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Damals wie heute war Ruhe die erste Bürgerpflicht, und das laudahbiliter se subjecit“ spielte damals eine große Rolle. Diese Situation führte dann zu der großen Niederlage nach Olmütz. Im berechtigten Gegensatz zu dieser verwickelten Parteikonstruktion entwickelte sich dann die große liberale Partei zur unbestrittenen Herrschaft in Preußen, nicht bloß im Westen, sondern auch im ganzen Osten. Sie ging aber daran zu Grunde, daß ihr das Ver— ständnis für die Bedeutung der preußischen Armee fehlte. Diese Er— fahrungen der Konfliktszeit müssen sich die liberalen Parteien zur Warnung dienen laffen. An die Stelle der Armeefrage ist jetzt die Gefahr des inneren Feindes getreten. Die Verkennung dieser Gefahr würde auch die Gefahr für den Bestand des Liberalismus sein. Wenn die bürgerliche Demokratie glauben sollte, mit der Sozial demokratie gegen die übrigen Parteien marschieren zu können, so würde sie einen verhängnisvollen Fehler begehen. Einen gleichen Fehler würde aber e. die konserpative Partei sich zu schulden kommen lassen, wenn sie glauben wollte, mit Hilfe des Zentrums den Gesamtliberalismus niederzuwerfen. Der Reichsbote schrieb vor kurzem: „Der Preis der römischen Knechtschaft ist zu hoch, wenn nur mit diesem die Abwehr der Sozialdemokratie erkauft werden kann. Die nationalliberale Partei wird auf, der Mittellinie weiter wandeln, damit wir in Preußen zur Freiheit gelangen zur wahren, besonnenen Freiheit. . Abg. von Arnim-Züsedom (kons): Es freut mich, daß die Auf⸗ merksamkeit der Regierung auf das landwirtschaftliche Fortbildungs⸗ schulwesen gelenkt worden ist. Ich bedaure aber, daß auf einem anderen Gebiete die Aufmerksamkeit des Landwirtschaftsministers mit allem Nachdruck angerufen werden muß, nämlich für das Gesetz über die Entschuldung des ländlichen Grundbesitzes. Es besteht ein dringendes Bedürfnis, das Gesetz von 1906 zur Durchführung zu bringen, das durch eine Königliche Verordnung auf die einzelnen Provinzen aus— gedehnt werden kann. Wir wünschen auch eine konstante Fortführung der. Ansiedlungspolitik und begrüßen deshalb die Erklärung des Ministers. Für fraglich halte ich es, ab, aus der Einkommensteuer 15 Millionen Mark mehr zu erwarten sein werden. Mit Befriedi⸗ ung habe ich die Erklärung des Ministers gehört, daß neue An⸗ eihen nicht ausgegeben werden sollen; diese Erklärung wird den Stand der Anleihen wesentlich heben. Es wird Aufgabe des Ministers sein, auch dem Sparkassenwesen seine besondere Aufmerk- samkeit zuzuwenden. In, der Beurteilung des Eisenbahnetats kann ich dem Abg. Friedberg nicht beistimmen; es ist nicht wahr, daß das ganze. Extraordinarium werbendes Kapital ist. Der Abg. Wiemer hat eine Erhöhung der Löhne und Gehälter gefordert, aber nicht an— gegeben, wie diese Mehrausgaben gedeckt werden sollen. Zu der Be⸗ schuldigung gegen Freiherrn von Richthofen, daß er eine falsche Steuer⸗ deklaration abgegeben habe, habe ich noch zu erklären, daß gegen den Denunzianten öffentliche Anklage wegen Verleumdung erhoben worden ist. Im Gegensatz zu dem konservativen Redner, der sich aller Polemik enthalten hat, hat der Abg. Friedberg einen Ton an⸗ ge hlagen den wir nicht als besonders freundlich empfunden haben. Besonders seine Ausführungen über die Landräte entfernten sich außerordentlich von der Objektivität. Wir werden bei der Beratung der Interpellation über den Fall Becker den Nachweis erbringen, daß an den Behauptungen des Abg. Friedberg nichts wahr ist, und daß wir mit den Maßregeln, die die Landräte treffen, durchaus zufrieden sein können, daß sie diejenigen Beamten sind, welche den Geboten der Gerechtigkeit gemäß handeln, so wie ihr Eid, ihr Amt und ihre Stellung es ihnen vorschreiben. Bezüglich des Wahlrechtes habe ich namens meiner politischen Freunde zu erklären, daß wir das durch die Thronrede im Oktober 1908 gegebene Versprechen durch die im verflossenen Jahre gemachte Vorlage als eingelöst betrachten und zu einer weiteren Vorlage ein Be⸗ dürfnis um so weniger einsehen, als es sich gezeigt hat, daß eine Unterstützung der anderen bürgerlichen Parteien auf un⸗ überwindliche Schwierigkeiten stoßen würde. Wozu eine Vorlage machen, wenn eine Annahme der Vorlage durchaus nicht zu erwarten ist? (Zurufe von den Sozialdemokraten Sie zu den Sozial— demokraten) werden uns doch nicht zu einem anderen Willen zwingen wollen. ( Jurufe von den Sozialdemoktaten: Abwarten! — Sie werden schon müssen ) Glauben Sie doch nicht, daß diejenigen Mittel, welche Sie bei der großen Masse in Anwendung bringen, bei uns, irgendeinen Eindruck machen. (Abg. Liebknecht: Das wird schon noch kommen!) Wenn meine politischen Freunde schon durch ihren Beifall zu den Ausführungen des. Ministers von Dallwitz zum Ausdruck gebracht haben, daß sie seine Ausführungen vollständig billigen, ja daß sie über dieselben in hohem Maße erfreut waren, so kann ich noch hinzufügen, daß die Entschiedenheit in der Ausführung seiner Rede sowohl wie in dem an den Tag ge— legten feften und entschlossenen Willen uns ganz besonders erfreut hat. In dem Moabiter Urteil ist ausdrücklich hervorgehoben worden, daß vom 26. September ab vollständige Anarchie geherrscht hat. (Abg. Hof fim ann; Durch die Polizei! In welchem Lande hätte die Polizei nicht die Verpflichtung, wenn vollständige Anarchie herrscht, mit allen verfügbaren Mitteln die Ordnung wieder herzustellen? (Abg. Hoffmann: Mit Gummischläuchen) Wenn wir es auch vermißt haben, daß die Polizei gleich mit der nötigen Entschiedenheit aufgetreten ist, so hat doch die Polizei von dem Augenblicke an, wo es geschehen ist, mit größter Energie und absoluter Gerechtigkeit ihres Amtes gewaltet. Wenn den Herren Sozialdemokraten der ganze Verlauf der Angelegenheit nicht recht angenehm ist (Zuruf von den Sozialdemokraten: Im Gegenteil 1j, so kann ich mir das sehr wohl denken. Die Sozialdemokratie will das Volk auspeitschen — den Ausdruck hat der Abg. Hirsch hier bei der Wahlrechtsdebatte wieder holt gebraucht — die Sozialdemokraten halten es für ihre Auf⸗ gabe, das Volk aufzupeitschen. Da können sich die Herren nicht wundern, wenn weniger gebildete Leute hei einer Gelegenheit, die ihnen , . erschien, die bestehenden Gesetze auf das gröblichste verletzten (Ubg. Hoffmann: Sie meinen wohl die Schutzleute) und bis zu Maßregeln gingen, die an Auftuhr grenzten. Wenn auch nicht direkt bewiesen ist, daß durch die sozialdemokratischen Führer
die Vorgänge veranlaßt worden sind, so tragen sie doch die
Verantwortung dafür, da sie das Volk zur Unzufriedenheit auf⸗ gez haben. (Abg. Dr. Liebknecht: Dafür sorgen Sie jah Der bg. Ledebour hat ja im Reichstage, Bebel auf dem Magdeburger Parteitage, Noske im Jahre 1851 die Republik gefordert und erklart, daß sie die ganze bestehende Gesellschaftsordnung umsteßen wollen. Da können Sie sich nicht wundern, wenn die unter Ihrer Knute stehende Menge es bei geeigneter Gelegenheit für angezeigt hält, die Erscheinungen des Aufruhrs an den Tag zu legen. Insofern tragen Sie die Verantwortung für Moabit. enn die Staatsregierung nur entschlossen ist, feste Maßregeln gegen die verhetzten i. und gegen die verhetzenden Führer der Sozialdemokratie zu gebrauchen, dann wird es doch noch gelingen, die Sozialdemokratie zu unter⸗ drücken. (Große Unruhe und Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten.) Sie können nachher sprechen. Wir bedauern es, daß seit dem Abgange des Fürsten Bismarck ein festes Auftreten mit entschiedenen Mitteln gegen die Sozialdemokratie nicht stattgefunden hat. Für die Arbeiter ift hinreschend gesorgt worden. Bis jetzt sind bereits 83 Milliarden den Arbeitern zugewendet worden, das Doppelte der französischen Kriegsentschädigung. Trotz dieser Fürsorge hat Bismarck das Sozialistengesetz gegeben, von dem Bebel gefagt hat, daß unter der Herrschaft desselben es der Sozialdemokratie wirklich schlecht ge⸗ gangen wäre. (Zurufe von den Sozialdemokraten: Was hat es ge⸗ holfen ) Leider haben wir aber seitdem keine energischen Maßregeln gehabt. Der Reichskanzler Caprivi wurde bei seinem Abgange, ohne daß er etwas gegen die Sozialdemokraten getan hatte, lediglich vom Freisinn betrauert. Sein Nachfolger war ein liberaler Süd⸗ deutscher, welcher sich zwar dreimal vorgenommen hatte, etwas gegen die Sozialdemokratie zu tun, der aber seinen Willen nicht durchsetzte. Unter den drei Vorlagen war auch das Gesetz zum Schutze der Arbeits⸗ willigen. Ich babe mit großer Befriedigung gehört, daß der Abg. Friedberg nach einem neuen Gesetz zum Schutze der AÄrbeitswilligen verlangt. Jedenfalls haben damals, seine politischen Freunde an der Versenkung des Gesetzes mitgeholfen. Die streikenden Massen bilden namentlich in den großen Städten einen Staat im Staate (Abg. Hoffmann: Wohl wie die Hintze⸗ garden, oder stimmt das nicht, wenn die Vertreter der Staatsbehörden nirgends Unterkunft finden (Stürmische Zurufe von den Sozialdemokraten), wenn man den Schutzleuken nicht ein Lokal vermieten will? Das ist ein Staat im Stagte. Wenn der Staat sich das gefallen läßt, dann hört der Begriff Staat überhaupt auf. (Erneute lebhafte Zurufe von den Sozialdemokraten, Fürst Bülow hat sich zwar die größte Mühe gegeben, die Sozialdemokratie im Reichstage mit Worten zu bekämpfen, aber leider ist er nicht dazu übergegangen, irgendwie energische Maßregeln zu ergreifen. (Abg. Ho ff mann: Wie wäre es denn mit Oldenburg?) Das ist ein, so kleiner Staat, der interessiert mich gar nicht. Unter dem eichskanzler Bülow sind aus konservativem Leder für die Liberalen Riemen geschnitten worden. Daß dag auf die Daugr, nicht ging, war absolut klar. Ich habe aus den Ausführungen des Ministers des Innern die Ueberzeugung gewonnen, daß, wenn seine Wünsche, seine Entschiedenheit und seine Entschlossenheit von allen Mitgliedern der Staatsregierung geteilt würden, wir das starke Preußen behalten werden, dessen Vorhandensein der Abg. Bebel beklagt hat. Er hat dem Abg. Frank gegenüber, einem Vertreter Süddeuts lands, gesagt, daß Preußen ein ganz besonderer Staat sei; wenn die Sozial⸗ demokraten erst Preußen hätten, dann hätten sie alles. Ich hoffe, daß wir eine Regierung haben, welche Preußen Preußen bleiben läßt, und daß in diesem Sinne Preußen die Vor⸗ macht für Deutschland sein und bleiben wird. Nur die Politik wird richtig sein, die die Sozialdemokratie endgültig niederwirft.
Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Unser erster Etatsredner hat zu der Wahlrechtsvorlaͤge nicht Stellung genommen, weil darüber ja ein besonderer Antrag vorliegt. Die Angriffe der Sozialdemokraten gegen unseren Fraktionskollegen Martin Spahn sind vollständig unzutreffend. Gerade Martin Spahn ist in den Reichslanden für das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht eingetreten und hat auch wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß Preußen seinen Wählern auch gewähren müsse, was das Reich seinen Wählern gibt. Aber die Aussichten, die die Uebertragung des Reichstagswahlrechts auf Preußen hat, sind augenblicklich außerordentlich minimal. Hat doch der Abg. Schmieding erklärt, daß seine Freunde es für ein Unglück halten müßten, wenn das Reichstagswahlrecht in Preußen eingeführt wird. Das Zentrum ist durchaus bereit, unter Aufrecht⸗ erhaltung der grundsätzlichen Forderung der geheimen, gleichen und direkten Wahl an einer Verbesserung mitzuarbeiten. Aber angesichts der Reichstagswahlen und der aufgeregten öffentlichen Meinung ist zurzeit keine Aussicht darauf. (Zurufe von den Sozialdemokraten.) Ja, verehrtester Herr, man kann doch nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen. Dem Zenttum sind wegen seines Verhaltens bei der Wahlrechtsvorlage die schamlosesten Be schimpfungen zugefügt worden. Man hat gesagt, daß wir das geheime und direkte Wablrecht verhindert hätten. (Sehr richtig! bei den Soz) Das ist unwahr. Als wir aber auf Grund des direkten und ge beimen Wahlrechtes die Vorlage gestalten wollten, klaffte die Mehr heit des Hauses auseinander, weil ein Teil zugleich das gleiche Wahl⸗ recht wollte, der andere Teil, die Nationalliheralen, dagegen ein ungleiches Wahlrecht wollten. Die Nationalliberalen wollten den plutokratischen Charakter des Wahlrechts noch verschärfen. Wer sagt, wir hätten ein neues Wahlrecht bekommen können, wenn das Zentrum nur gewollt hätte, der sagt die Unwahrheit. Das gleiche Wahlrecht zu bekommen, war von vornberein unmöglich. Möglich schien nur eins von beiden: das geheime oder direkte Wahlrecht, und das Notwendigere schien uns das direkte Wahlrecht zu sein. Denn wenn ein Wahlmann öffentlich gewählt ist, ist er schon genügend kompromittiert, um nicht noch geheim abstimmen zu brauchen. Es ist sogar vor gekommen, daß bei der geheimen Abstimmung Wahlmänner sich bestechen ließen. Wir betrachten die Wahlrechtsvorlage unter dem Gesichtspunkte des Erreichbaren. Unter diesem Gesichtspunkte be⸗ trachten wir überhaupt alle Fragen in diesem Hause. Und wenn jemand die Dreistigkeit haben sollte, zu behaupten, daß wir die Volksrechte verraten haben, so weise ich ihn auf folgendes hin: Selbst der dreisteste Mensch wird nicht behaupten wollen, daß wir nicht bei den Maigesetzen die Volksrechte gewahrt hätten; und wir sind bei der Aufhebung dieser Gesetze auch nur schrittweise vorgegangen. Wir halten es auch für notwendig, die früher beseitigten Verfassungsartikel wiederherzustellen, aber wir haben eingesehen, daß das nicht zu er— reichen ist, und sind deshalb nicht immer von neuem damit gekommen. Der Minister des Innern hat eine Aufstellung über die Besetzung der höheren Beamtenstellen hier mitgeteilt; diese Liste wäre voll ständiger gewesen, wenn sie auch die Glaubensangehörigkeit der Beamten berücksichtigt hätte. Man konnte die Wahrnehmung machen, daß die katholische. Bevölkerung außerordentlich wenig bei der Besetzung berücksichtigt wird. Ich möchte den Minister bitten, auch darüber Ermittlungen anzustellen und insbesondere festzu— stellen, wieviel Referendare der katholischen Bevölkerung an— gehören. Zum Kultusetat ist der Abg. Wiemer davon ausgegangen, daß Graf Praschma ein Lied gesungen habe: Seid umschlungen, Konfessionen! Aber er fügte hinzu, seine Partei sei mißtrauisch gegen die Friedensschalmeien des Zentrums, und er benutzte sogar den alten, abgebrauchten Witz, im Reichstage sei der erste Redner Erzberger grob gewesen, der zweite sei Gröber gewesen. Herr Wiemer scheint bei diesen Reichstagsverhandlungen gar nicht dabei gJewesen zu sein. Herr Gröber hat im Reichstage nur den Herren Müller⸗Meiningen und Eperling eine allerdings recht deutliche Antwort auf ihre Angriffe gegen das Zentrum gegeben. Der Abg. Wiemer will keinen Kulturkampf, aber dann verstehe ich nicht, wozu er seine ganzen gestrigen Aus— führungen gemacht hat, zu denen wir ihm keine Veranlassung gegeben haben. Er hat nicht nur über den Modernisteneid gesprochen, sondern uns im allgemeinen vorgeworfen, daß wir keinen Frieden wollten; auch unseren guten, seligen Grafen Ballestrem zog er heran mit einer Aeußerung, die dieser im Jahre 1887 getan hat. Herr Wiemer sagte, der Friede werde erst da sein, wenn der Staat sich der Kirche ganz unterworfen habe. Fürst Bismarck hat aber 1887 gesagt, daß in den damaligen Novellen zu den , ,. nur mäßige Konzessionen und nur ein modus vivendi enthalten seien, d. h. also kein rr ig! Friede.
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