Abg. Dr. Dah lem Zentr.) befürwortet die von seiner Partei ge— stellten Abãnderungsanträge zu Ziffer 3 im Interesse des Mittelstandes. Abg;, Bin der (Soz.) weist darauf hin, daß schon in der Kom— mission 27 Abschwächungsanträge gestellt wurden. Durch die Dann der Kommission habe die Vorlage eine Gestalt erhalten, durch die sich niemand mehr hindurchfinden könne. Jeder einzelne Interessent wolle seine Sonderinteressen in dem Gesetz zur Geltung bringen; daher die vielen Ausnahmen; bei der Finanzreform habe man so zarte Rücksichten auf die Steuerzahler nicht genommen. Der Arpell an Tie kleinen Leute werde den Antragstellern draußen im Volle nichts nützen; den unverdienten Gewinn müsse jeder versteuern, der Landesfürst so gut wie der Arbeiter. Das Gesetz sei von Freunden der Regierung in einer Weise verunstaltet worden, daß der Staats— sekretär daran keine Freude haben werde. An diesen Operationen der Antragsteller werde das Gesetz sterben. Seine Freunde be— antragen, die Ziffern 3 und 4 zu streichen und die Regierungsvorlage wieder herzustellen. Abg. Cuno empfiehlt die von ihm gestellten Anträge und be— kämpft den Antrag Müller-Fulda zu Ziffer 3, der in vielen Fällen dem kleinen Handwerker schaden würde.
Staatssekretär des Reichsschatzumts Wermuth:
Meine Herren! Ich lege den größten Wert darauf, schon hier festzustellen, daß ich den Antrag des Herrn Abg. Cuno auf 603 unter Ziffer Ba und einen ähnlichen Antrag des Herrn Abg. Dr. Weber auf 616 unter Ziffer 2 b, Anträge, die dahin gehen, daß auch die— jenigen Aufwendungen und Bauten angerechnet werden sollen, welche nicht mehr vorhanden sind, daß ich diese Anträge mit dem Prinzip des Gesetzes für absolut unvereinbar und für die Wirkung des Gesetzes, und zwar ohne Not, für so schädlich halte, daß ich Sie dringend bitte, diesen Anträgen nicht stattgeben zu wollen. Würden Sie diese Anträge gutheißen, so würden Sie das Prinzip des Gesetzes vollständig verlassen und in eine persönliche Vermögenssteuer hineingeraten. Wenn sich der Wertzuwachs nach dem Zeit—⸗ punkt der Veräußerung bemißt, so muß das auch be— züglich der Aufwendungen gelten, die auf den Wert— zuwachs angerechnet werden. Es ist ganz unmöglich, alle die ökonomischen Vorgänge, die inzwischen seit dem Erwerb in der Zwischenzeit zwischen Erwerb und Veräußerung eingetreten sind, jetzt nachträglich noch zu berücksichtigen. Ganz vereinzelte Härten und Ungleichmäßigkeiten, die hier besonders geschildert zu werden pflegen, können vorkommen. Aber in der überwiegenden Zahl der Fälle ist die Aufwendung, der das Grundstück unterzogen ist, in normaler Weise ausgenutzt; sie ist deshalb entweder beseitigt oder durch einen anderen Bau ersetzt, oder abgeschrieben. Es würde auch ökonomisch völlig ungerechtfertigt sein, nunmehr dem Betreffenden noch nach— träglich zu gestatten, daß er alles, was er in der Vergangenheit getan hat, was er selbst beseitigt, was er amortisiert hat, jetzt noch anzurechnen und dadurch die Erträge der Zuwachssteuer in einer überaus weitgehenden, gar nicht berechenbaren Weise zu beeinträchtigen. Ich bitte Sie dringend, meine Herren, diesem Antrag nicht Folge geben zu wollen.
Abg. Weber (nl,) tritt für seine Anträge ein und bittet das Zentrum, in seinem Antrag statt 10,69 150ᷣ zu sagen. Der Antrag GCarmer, die Geschäftsspesen zu berücksichtigen, geht zu weit. Dem Abg. Binder müsse er erwidern, daß es sich hier um eine ganz neue Materie handle, und daß man bei einem solchen Gesetze auch die kleinen Leute berücksichtigen und ihnen das Geschäft erleichtern müsse. Die Welt bestehe doch nicht bloß aus Terraingesellschaften und Spekulanten, man dürfe doch nicht ohne weiteres jeden Hausbesitzer für einen Verbrecher halfen. ; .
Abg. Vogel (ul.) befürwortet den nationalliberalen Antrag in bezug auf die bergmännnischen Versuchs⸗ und Ausrichtungsarbeiten. Anterstaatssekretär im Reichsschatzamt Kühn hält diesen Antrag für bedenklich, ebenso die Erhöhung der 10 auf 15 Jahre. Gegen den Antrag Cuno zu Ziffer 2 spräche, daß es sich sehr schwer feststellen lasse ob dem Veräußerer bei dem Erwerbe eines Gläubigerrechtes die Einleitung der Zwangsversteigerung nicht bekannt war.
Abg. Dr. Roesicke (dkons.) begründet einen Antrag, wonach für den Fall der Annahme des Antrags Müller-Fulda unter a diesen am Schluß die Worte hinzugefügt werden sollen: „die nicht n, aus Baugewerbetreibenden oder Bauhandwerkern be⸗ stehen .
In der Abstimmung gelangen die Anträge Müller⸗-Fulda und Roesicke zur Annahme, außerdem wird der Satz von 109 Prozent auf 15 Prozent erhöht. Die übrigen Anträge werden abgelehnt, der Antrag Graf Carmer zurückgezogen. sz 10 wird mit diesen Veränderungen angenommen.
s 10a der Kommissionsvorschläge lautet:
Soweit es sich um die Verbesserung von Flächen handelt, die aus Moorland, Sumpfland, Oed- oder Heideland bestehen, ist auf Antrag des Veräußerers an Stelle der in 5 10 Ziffer 3 bezeichneten Aufwendungen dem Erwerbspreis die Erhöhung des Ertragswertes hinzuzurechnen.
Hierzu beantragen die Abgg. Graf Carmer⸗Zieserwitz und Genossen (8dkons.) folgenden neuen Absatz:
„Dem Erwerbspreis sind Aufwendungen der in 5 10 Ziffer 3
bejeichneten Art auch dann hinzuzurechnen, wenn sie an sich der laufenden Unterbaltung dienen, aber dadurch notwendig geworden sind, daß sie in der Zeit vor dem letzten steuerpflichtigen Rechts— vorgang von einem Besitzvorgänger unterlassen worden sind.
911
Abg. Graf von Westarp (dkons.) begründet den Antrag, zieht ihn
iedoch, da sich Unterstaatesekretar Kühn und die Abgg. Dr. Weber, Dr üdekum und Cuno dagegen aussprechen, für jet zurück. 5 10a wird hierauf in der Kommissionsfassung an— genommen.
Um 63 Uhr wird die Fortsetzung der Beratung auf Donnerstag, 1 Uhr, vertagt.
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 6. Sitzung vom 18. Januar 1911, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung, in der die erste Be⸗ ratung des Entwurfs des Staatshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1911 und des Entwurfs eines Anleihegesetzes fortgesetzt wird, ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Auf die daselbst im Auszuge wiedergegebenen Aus fülstungen des Abg. von Dewitz lfreikons.) entgegnet der
—
Finanzminister Dr. Lentze:
Meine Herren! Es sind sehr wichtige und bedeutsame Probleme, welche der Herr Abg. von Dewitz soeben näher erörtert hat.
Er hat sich zunächst vertieft in die Besprechung einer Neugestaltung unseres Steuerspstems und hat darauf hingewiesen, daß es unbillig
Steuerquelle besitze, deren Heranziehung sehr viel eher berechtigt sei. Der Herr Abg. von Dewitz hat hierzu folgendes gesagt: Durch die Zuschläge, welche in der letzten Novelle zu unserer Einkommensteuer beschlossen worden sind, werden vorwiegend diejenigen getroffen, welche von der Steuer verschont werden müßten, nämlich der Mittelstand, und es sei erwünscht, daß der Mittelstand eine Entlastung erfahre; wenn in Zukunft die bisher beschlossenen Zuschläge in das Gesetz hineingearbeitet würden, würden die Gemeinden das Recht erlangen, hiervon die Kommunalsteuerzuschläge zu erheben, und es würde dadurch eine sehr starke Belastung aller Steuerzahler in den Kommunen eintreten.
Meine Herren, daß die Gemeinden das Recht erlangen würden, dann auch die Zuschläge von den neuen staatlichen Einkommensteuer— sätzen zu erheben, das gebe ich zu; ich kann aber nicht ohne weiteres zugeben, daß auch die Wirkung eintritt, welche der Herr Abg. von Dewitz in Aussicht gestellt hat. Die Gemeinden leiden zurzeit durchweg Not; sie haben für ihre eigenen Gemeindebedürfnisse, zum großen Teil auch dadurch, daß die Staats- und Reichsgesetzgebung ihnen neue Lasten auferlegt haben, solche Summen aufzubringen, daß sie nicht wissen, woher sie die Mittel nehmen sollen. (Sehr richtig! Sie haben bisher diese Mittel durch Zuschläge zur Einkommensteuer beschaffen müssen. Nach der Novelle ist ihnen versagt, Zuschläge auf die staatlichen Zuschläge zu nehmen; des halb mußten sie die Zuschläge zu den bisherigen staatlichen Steuersätzen erhöhen. Es ist also den Steuerzahlern in der einzelnen Gemeinde auch bisher der kommunale Zuschlag zu dem durch die Novelle eingeführten staatlichen Zuschlag nicht erspart worden, sondern er ist nur etwas anders umgelegt, nach meiner Kenntnis der Dinge sogar in einer Weise, die die unteren Steuerstufen stärker trifft, als es der Fall sein würde, wenn den Ge— meinden gestattet würde, Zuschläge zu den staatlichen Zuschlägen zu erheben.
Meine Herren, die Kommunen erheben bekanntlich ihre Steuer⸗ zuschläge schon von dem Einkommen von 420 oder 660 „, mindestens aber von 900 „; die staatlichen setzen aber erst etwas höher ein, und infolgedessen müssen die erhöhten Kommunalzuschläge, um den Bedarf zu decken, von dem niederen Steuersatz an miterhoben werden. Ich glaube deshalb, daß eine Minderbelastung für die einzelnen Steuerzahler in den Kommunen nach dem Vorschlage des Herrn Abg. von Dewitz nicht eintreten würde.
Nun könnte mir erwidert werden: wenn die Gemeinden mal irgend etwas an Einnahmen haben, werden sie das auch nicht wieder herausgeben; wenn sie also durch die bisherigen Zuschläge bei Zu— grundelegung der staatlichen neuen Steuersätze mehr bekommen, dann werden sie es auch behalten. Da kann ich aus eigener Erfahrung sagen, daß die Gemeindevertretungen doch sehr aufpassen und nicht zulassen, daß die Stadtverwaltungen und Gemeindeverwaltungen sich mehr Mittel bewilligen lassen, als tatsächlich erforderlich sind. Ich möchte an einem praktischen Beispiel die Frage erläutern. Es ist nach den bisherigen Sätzen notwendig, daß eine Kommune, ich will mal sagen, 180 0½ Zuschläge zur Einkommen⸗ steuer erhebt. Dadurch daß in ein neues Steuergesetz die staatlichen Zuschläge hineingearbeitet werden, bringen in Zukunft die Zuschläge von 180 00½ ganz erheblich mehr Reineinnahmen. Dann wird die Gemeindevertretung sofort dafür sorgen, daß in Zukunft nicht 180 0 erhoben werden, sondern sie wird darauf drücken, daß mit den Zu⸗ schlägen heruntergegangen wird. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestimmt sagen. Wenn es etwa in dem ersten Jahre nicht geschehen sollte, so wird doch sofort im folgenden Jahre, sobald es sich heraus— stellt, auch da für Herabsetzung der Zuschläge gesorgt werden. Ich glaube also nicht, daß dieser Grund dazu zwingen müßte, dazu über⸗ zugehen, die Zuschläge nicht in das Gesetz hineinzuarbeiten.
Meine Herren, die andere Frage, ob die Vermögenssteuer anders ausgestaltet werden müsse, bedarf einer sehr gründlichen Prüfung. Ich möchte mir erlauben, hier heute nicht näher darauf einzugehen, weil das eine sehr weit tragende und schwierige Frage ist. (Sehr richtig!) Ich möchte nur darauf hinweisen, daß die Ausführungen des Herrn Abg. von Dewitz dazu zwingen würden, den Kommunen das Recht zu geben, Zuschläge zur Vermögensstẽuer zu erheben, ein Recht, das sie bisher nicht besitzen. Herr Abg. von Dewitz meinte, es müßten die Steuerzahler gegenüber dem Steuerrecht der Kommunen etwas entlastet werden, und diese Entlastung wollte er durch eine stärkere Heranziehung zur Vermögenssteuer herbeiführen. Es müßte also den Kommunen das Recht verliehen werden, Zuschläge zur Vermögens steuer zu erheben. Dieses Recht besteht bisher nicht, und ich glaube nicht, daß dieses Recht jemals verliehen werden kann.
Dann ist Herr von Dewitz auf ein anderes, sehr schwieriges und großes Problem eingegangen: die Besserung des Kursstandes unserer Staatsanleihen. Meine Herren, es wird von uns allen an⸗ erkannt, daß es sehr betrübend ist, daß unsere Staats- anleihen nicht den Kurs besitzen, den sie ihrer Sicherheit halber haben müßten und den wir im Interesse unserer Staats⸗ fiuanzen wünschen müßten. Es sind da die allerverschiedenartigsten Mittel und Wege angedeutet worden, und neuerdings hat sich die Literatur, sowohl in der Presse wie in Monographien, sehr lebhaft mit der Frage befaßt. Herr von Dewitz hat zunächst darauf hin⸗ gewiesen, daß wahrscheinlich bei der Finanzvewaltung insofern nicht richtig verfahren werde, als in Höhe derjenigen Beträge, welche für die Amortisation bestimmt seien, nicht die Einlösung von Anleihen in natura erfolge, sondern diese zur Amortisierung bestimmten Be⸗ träge von den neuen Krediten abgeschrieben würden. Meine Herren, ich gebe zu, daß früher in dieser Weise verfahren worden ist; es ist aber seit einigen Jahren eine andere Praxis eingetreten, wonach der Betrag, der zur Amortisation verwendet werden soll, auf dem Markt angekauft wird, sodaß auf dem Markte ein Käufer für diese Beträge erscheint. Außerdem hat die Königliche Sechandlung wiederholt, um den Kurs zu halten, Käufe vorgenommen, welche außerhalb der Amortisation lagen. Der Erfolg hat sich ja auch geltend gemacht; wenn es sich zeigte, daß die Kurse zu stark sinken wollten, konnte dies aufgehalten werden.
Nun meinte Herr von Dewitz, es sei doch sehr erwünscht, daß ein neuer Anleihetyp eingeführt würde, daß wir eine zu pari aus⸗ losbare Anleihe schüfen, und glaubte, daß man auf dem Wege es tun müsse, daß ein Einheitstyy — den er mit dem 34 prozentigen als solchen hinstellte — geschaffen und daß dieser dann regelmäßig aus—⸗ gelost würde. Meine Herren, der Zweck, welchen wir verfolgen, ist doch der, daß wir für unsere Anleihen eine Nachfrage schaffen, daß
— . * . — 1 1 2 . . — * — * * * sei, in der bisherigen Form bei der Einkommensteuer Erhöhungen wir uns regelmäßige Käufer suchen und dadurch den Preis in der
stattfinden zu lassen, wahrend man in der Ergänzungssteuer eine ergiebige ! Höhe erhalten wollen. Meine Herren, von den Anleihen, welche wir
bis dahin besitzen, sind die 3prozentigen die am meisten gefragten,
jedenfalls viel mehr gefragt als die 3 prozentigen. Wenn wir also die 3prozentigen Anleihen auf den Zinsfuß der 34 prozentigen in die Höhe brächten, dann würde zweifellos insorern ein Bedürfnis nicht erfüllt; es würde nur der Voraussetzung genügt, daß wir dann den Einheitstyp hätten, welcher gleichmäßig mit in die Amortisatione ein— bezogen werden kann.
Herr von Dewitz hat gemeint, der Einheitstyp sollte dadurch er— reicht werden, daß eine Hinaufkonvertierung vorgenommen würde, daß also der Staat, statt bisher 30ͤ0, in Zukunft 30/0 Zinsen zu zahlen hätte. Das macht bei 1,6 Milliarden, welche der Staat an 3 pro⸗ zentigen Anleihen bis dahin aufgelegt hat, eine jährliche Mehrausgabe für Verzinsung von 8 Millionen Mark. Mit diesen 8 Millionen Mark muß der Staat unter allen Umständen rechnen. Demgegenüber steht dann die Erwartung, welche die Maßregel erfüllen soll: es soll der Kurs so in die Höhe gehen, daß tatsächlich diese 8 Millionen Mark jährlicher Mehraufwendung für den Staat wieder heraus- springen. — Meine Herren, das ist natürlich eine Annahme; man kann es nicht wissen. Es ist aber doch höchst zweifelhaft, ob dadurch tatsächlich der Kurs in dieser Weise gesteigert werden kann. Meine Herren, es gibt auf dem Markte schon jetzt eine große Zahl mündel⸗ sicherer Papiere, die ebenfalls ausgelost werden, für die ebenfalls eine jährliche Amortisation besteht, und diese mündelsicheren Papiere haben allesamt einen geringeren Kurs oder höchstens denselben Kurs, wie ihn unsere Staatsanleihen heute haben. Ob infolge der Auslosung bei der Staatsanleihe der Kurs erheblich steigen wird, das ist also sehr zweifelhaft meine Herren. Ich verweise auf die gesamten Kom— munalanleihen, welche amortisierbar sind, und ich verweise auf die Rentenbriefe. Für die Rentenbriefe haftet außer der Staatsgarantie sogar noch das Immobiliarvermögen, und nichtsdestoweniger stehen die Rentenbriefe niedriger als unsere preußischen Staatsanleihen.
Also mit der Hoffnung, daß durch die Einführung der Auslosbar⸗ keit tatsächlich eine Kurssteigerung eintrete, kann man ohne weiteres nicht rechnen. Das wäre ein Experiment, und diesem Experiment gegenüber stände die Verpflichtung des Staates, jährlich 8 Millionen Mark mehr für die Verzinsung derselben Anleihen aufzubringen.
Meine Herren, eine derartige Maßregel ist bis dahin auch noch in keinem anderen Lande vorgenommen worden; es würde das erste Mal sein, daß ein Staat dazu überginge, den Zinsfuß seiner eigenen Schulden in die Höhe zu setzen. Es ist nicht unmöglich, daß eine solche Maßregel im Auslande so aufgefaßt werden könnte, als ob der preußische Staat durch seine schlechten Finanzen dazu gezwungen wäre. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen Denn wenn ein Schuldner den Zinsfuß seiner Schulden in die Höhe setzt, so ist das im all— gemeinen kein gutes, sondern ein schlechtes Zeichen. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.)
Zu der Amortisation möchte ich noch auf folgendes hinweisen. Ich persönlich bin jahrelang der Ansicht gewesen, das bekenne ich offen, daß unsere Staatsobligationen einen besseren Markt haben würden, wenn sie einer Amortisation durch Auslosung unterlägen. Durch eingehendes Studium habe ich mich aber davon überzeugt, daß ich auf einem Holzwege war. Meine Herren, diejenigen Anleihen, welche auslosbar sind, stehen nur gut, wenn nur noch wenige Stücke davon vorhanden sind, wenn also die Chance, daß man bei der Aus⸗ losung herauskomme, groß ist. Sind dagegen viele Stücke vorhanden, ist die Chance gering, dann stehen diese Anleihen alle ziemlich tief. Ich hatte mir vorhin schon erlaubt, auf die einzelnen Kommunal— anleihen hinzuweisen. Bei diesen ist es durchweg so, daß nur die⸗ jenigen ziemlich hohen Kurs haben, von denen nur noch wenige Stücke vorhanden sind, bei denen also die Chance des Gewinnes größer ist als bei den anderen Anleihen.
Dann stehen auch noch weitere Schwierigkeiten im Wege. Wir sind jahraus jahrein genötigt, Obligationen auszugeben. Bis dahin haben wir einen einheitlichen Typ, den Konsoltyp. Wenn wir nun in Zukunft zu einer amortisierbaren Anleihe übergehen, dann wäre die Frage: wollen wir bei diesem Typ bleiben oder wollen wir nicht dabei bleiben? Wollen wir jede einzelne neu aufzunehmende Anleihe besonders bezeichnen, und wollen wir sie in sich auslosen, oder wollen wir die gesamte Staatsschuld nach wie vor als einheitliche betrachten und einheitlich auslosen? Wenn wir die Anleihen jede für sich nehmen, dann tritt natürlich allmählich das ein, was ich vorhin als gewinnsteigernd bezeichnet habe, daß nämlich schon eine große Zabl von Stücken ausgelost ist und dadurch die Kurse in die Höhe gehen. Dieser Umstand würde aber auf der anderen Seite den großen Nach— teil haben, daß wir allmählich auf dem Kurszettel eine lange Liste von einzelnen preußischen Serien hätten, daß wir einen Kurszettel be— kämen, der auf die Dauer zu unübersichtlich und, ich glaube, auch im Lande sehr unbeliebt würde und daß wir dadurch eine Zersplitterung von Angebot und Nachfrage auf dem Anleihemarkte herbeiführten, die nachteilig auf die Kurse wirken muß. Früher hat der preußische Staat eine solche Zersplitterung gehabt, und es ist dann erst 186] durch das Konsolidationsgesetz der einheitliche große Staatstyp einge⸗ führt worden. Wir würden also zu den Zuständen zurückkehren, die wir früher gehabt und als nachteilig erkannt haben.
Würden wir aber, nun bei einer einheitlichen Staatsschuld bleiben, dann käme es natürlich darauf an, daß wir, wenn eine Aus—⸗ losung irgend welchen Erfolg haben sollte, sehr viel stärker tilgen müßten als bisher. Wir haben bis dahin eine Jahrestilgung von knapp 60 Millionen. Bei einer Staatsschuld von über 9 Milliarden würde selbstverständlich eine Auslosung von 60 Millionen überhaupt gar keine kurssteigernde Wirkung haben können; denn die Chance für jeden einzelnen, bei der Auslosung herauszukommen, wäre sehr gering, es müßte also schon eine sehr verstärkte Auslosung eintreten, um diese Chance herbeizuführen. Andererseits gibt es aber sehr viel Käufer für die Staatsanleihen im Lande, denen eine Auslosung höchst un— bequem ist. Meine Herren, die Auslosung wird durchaus nicht von allen verlangt. Das beweist auch die immer mehr zunehmende Be— nutzung des Staatsschuldbuches. Alle diejenigen, die sich in das Staatsschuldbuch haben eintragen lassen, wollen auch dauernd In⸗ haber dieser Obligationen bleiben, sie wollen sich nicht um irgend etwas bekümmern; sie wollen nichts mit Auslosungen zu tun haben usw.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Sie wollen die feste Staatsrente beziehen, und diese ist ihnen durch die Eintragung im Schuldbuch am meisten gesichert. Sobald also die Amortisation eingeführt würde, würde das Staatsschuldbuch in seiner jetzigen Gestalt nicht bestehen bleiben können; denn bei dem Staats⸗ schuldduch werden die einzelnen Obligationsnummern vernichtet; die bleiben nicht mehr. Wir haben es dann einfach nur mit einer Staats⸗ schuld zu tun, mit weiter nichts. Bekanntlich wird neuerdings eine Staatsschuld auch eingetragen, ohne daß Obligationen mit überreicht werden: man kann durch Einzahlung bei der Seehandlung sich sofort eine Eintragung in das Staatsschuldbuch verschaffen.
Meine Herren, wie wenig auch durchweg die Ansicht vertreten ist, daß amortisierbare Schulden mehr Käufer haben würden und be⸗ liebter im Lande sind, das beweist jetzt auch eine Neuemission, die in diesen Tagen herausgekommen ist. Im „Börsencourier! vom 13. Januar 1911 ist eine Subskription auf 25 Millionen Mark 49o9oiger Pfandbriefe der Preußischen Zentral⸗Boden⸗Kredit⸗Aktien⸗ gesellschaft bekannt gemacht. Sie werden aufgelegt mit der ausdrück⸗ lichen, gesperrt gedruckten Angabe: „Eine Verlosung findet bei dieser Anleihe nicht statt, ebenso wenig eine Rückzahlung innerhalb einer bestimmten Frist?“. Die Preußische Zentral-⸗Boden-Kreditanstalt ist also offenbar der Ansicht, daß sie sich durch diesen Typ eine große Zahl von Kunden gewinnen wird, die sie sonst nicht bekommen würde.
Man kann also nicht durchweg sagen, daß eine auslosbare An⸗ leihe beliebter ist und daß die Auslotbarkeit infolgedessen kurssteigernd wirkt. Jedenfalls bestehen erhebliche Bedenken dagegen, daß man das Risiko übernimmt, durch Heraufkonvertierung eine jährliche Schuld von 8 Millionen Mark an Schuldendienst auf sich zu laden. Außerdem muß ja auch jedesmal zu pari amortisiert werden, und eine Pari⸗ amortisation erfordert natürlich für den Staat höhere Opfer als ein Ankauf zum derzeitigen Kursstand. Ich glaube nicht, daß, selbst wenn man sich ganz auf den Standpunkt des Herrn von Dewitz stellt, der Kurs alsbald auf pari steigen wird, und somit würden für den Staat hier noch weitere Opfer entstehen. Wenn man also auf der einen Seite Mehreinnahmen dadurch schaffen will, daß wir durch Ein⸗ führung der neuen, zu pari amortisierbaren Obligationen einen besseren Kurs bekommen, so müßte man auf der anderen Seite doch wenigstens die Gewißheit haben, daß die Opfer, die man dafür bringt, auch im Verhältnis zu dem stehen, was man damit erreichen will und erreichen wird. (Sehr richtig) Das aber, meine Herren, ist außer⸗ ordentlich zweifelhaft (sehr wahr! bei den Nationalliberalen), und ich glaube infolgedessen, daß die Anschauungen des Abg. Herrn von Dewitz, so bestechend sie auch sein mögen, in der Praxis doch kaum auf Durch⸗ führung rechnen können. (Sehr richtig! bei den Konservativen.)
Herr von Dewitz hat dann bemerkt, daß unsere Staatsanleihen auf dem Anleihemarkt eine große Konkurrenz durch Obligationen er⸗ fahren, die in dieser Form eigentlich gar nicht auf dem Markt zu erscheinen hätten, nämlich Industrieobligationen. Es ist zutreffend, daß alljährlich ungeheure Summen an Industrieobligationen auf den Markt kommen, und daß sie sämtlich eine staatliche Genehmigung nicht erhalten haben, die Herr von Dewitz für erforderlich hält. Herr von Dewitz empfahl zugleich noch, diese Industrieobligationen einer
sonderen Conponsteuer zu unterwerfen. Meine Herren, ich will nicht untersuchen, ob die Industrieobligationen denen, welche sie kaufen, unter allen Umständen Schaden bringen; ich möchte aber doch bemerken, daß sie sich ganz offenbar als ein Bedürfnis für Handel und Gewerbe herausgestellt haben. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen id Freikonservativen.) Denn sonst würden sie nicht in so großer Zahl vorhanden sein und auch nimmer einen so großen Käuferkreis finden. Ich halte es daher doch für sehr wichtig und notwendig, daß man, wenn man den Industrieobligatlonen gegenüber irgendwelche Maß⸗ nahmen ergreifen will, das mit sehr schonender Hand tut. (Sehr richtig) Denn man soll sich nicht den Ast absägen, auf dem man sitzt, und gerade Handel und Wandel, die Industrie bringen uns doch großen Einnahmen, deren wir bedürfen. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.)
Außerdem glaube ich auch, daß der Staat eine große Verant⸗ vortung übernehmen würde, wenn er die einzelnen Industrie⸗ zbligationen einer Prüfung unterwerfen wollte. (Sehr wahr) Zu⸗— ichst steht es noch dahin, ob der Staat überhaupt die geeigneten Organe besitzt, die eine richtige sachgemäße Prüfung vornehmen können. Der Staat kann auch die Verantwortung, die er durch eine solche rüfung übernimmt, gar nicht tragen; denn er hat ja gar keinen Einfluß darauf und gar keine Kontrolle darüber, wie das durch die ligationen beschaffte Geld hinterher verwendet wird. Wenn die Industrieobligationen zugelassen sind, dann ist gleichsam ein staatliches Plazet darauf gesetzt, und sie gelten dann für um so sicherer. Der Staat würde damit also eine sehr große Verantwortung auf sich laden.
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. 7 * ö arm , Sor Cee ftr gkl iar Meine Herren, die Besteuerung der Industrieobligationer 2 Va 5 * 6 7 vor Sry 2 — J 2 rr Mot Couponsteuer ist auch sehr schwer durchführbar. Als eine ! 6 2 ö ö ö n 5 86 würde sie wohl kaum eingeführt werden können; denn es ist
direkte Steuer, welche der Landesgesetzgebung vorbehalten ist, und wie weit man da mit einer Besteuerung vorgehen kann, bedarf, wie jesagt, auch einer sehr gründlichen Untersuchung. Die Folgen könnten sonst verhängnisvoll sein. Ich möchte infolgedessen hier nur erklären aß alle diese Fragen sehr gründlich geprüft werden müssen, ehe man
Dagegen bin ich mit Herrn Abgeordneten von Dewitz vollständig der Meinung, daß der Staat unter allen Umständen einen steigenden Abnehmerkreis für seine Obligationen zu gewinnen suchen muß. Der Staat ist genötigt, alljährlich mehrere 100 Millionen auf den Anleihe⸗ markt zu bringen, und er muß für diese Anleihen dann auch einen festen Abnehmerkreis haben; sonst wird der Kurs sinken, weil der Preis sich nach Angebot und Nachfrage richtet. Ich bin mit Herrn Abg. von Dewitz durchaus derselben Meinung, daß dazu in erster Reihe die Sparfassen mit berufen sind. Meine Herren, ich bin selbst während meiner
Berlin, Tonnerstag, den 19. Januar
ganzen früheren Tätigkeit auch im Dienste der Sparkassen mit tätig gewesen und kann es nur als eine absolut notwendige Maßregel be— zeichnen, daß die Sparkassen einen größeren Teil ihrer Einlagen zum Ankauf mündelsicherer Staatspapiere verwenden müssen. (Sehr richtig) Ich halte es für höchst gefährlich, wenn die Sparkassen alles in Hypotheken anlegen (sehr richtig); denn einmal finden die Sparkafsen in vielen Gemeinden nicht immer die richtigen Hypotheken zu einem Zinsfuß, den sie gern haben, und sie werden dann dazu geführt, in andere Gegenden zu gehen und dort Hypotheken auszugeben, deren Sicherheit sie nicht so kontrollieren und beurteilen können, als in der eigenen Gemeinde. (Sehr richtig! Auf der anderen Seite liegt darin für eine Sparkasse auch eine ziem— liche Gefahr, daß sie, wenn plötzlich größere Zahlungen für sie not— wendig werden, alle ihre Gelder festgelegt hat (sehr richtig), denn sie weiß dann nicht, wie sie die Mittel beschaffen soll; die Hypotheken haben alle längere Kündigungsfristen. Darum müssen Sparkassen über bestimmte Beträge Staatsanleihen und mündelsichere Papiere verfügen. Ich kann auch versichern, daß bei den meisten größeren Sparkassen dieselbe Ansicht besteht und auch viele kleinere diese An— sicht vertreten. Denn man kann sich den großen Gefahren nicht ver—⸗ schließen, die die Anlegung der Sparkassengelder lediglich in Hypotheken im Gefolge hat. (Sehr richtig) Diejenigen
Sparkassen, die sich dagegen sträuben, verkennen ihren eignen Vorteil. Die Sparkassen wollen sehr oft mit⸗ einander Konkurrenz treiben, sie wollen sich gegenseitig
die Spater abjagen, und sie tun das nur dadurch, daß die eine Sp arkasse einen höheren Zinsfuß für die Spareinlagen bietet als die andere. Das ist ein sehr gefährliches Unternehmen: denn da⸗ durch wächst die Gefahr, daß die Spareinlagen nicht so sicher angelegt werden, wie sie angelegt werden müßten (sehr richtig!, und wenn die Sparkassen ihre Einlagen nicht überall zu so hohem Zinsfuße anlegen können, wie sie bei Hypotheken erreichen, dann wird im allgemeinen ihre ganze Rechnungs- und Wirtschaftsführung solider, als wenn alles auf Hypotheken ausgegeben ist.
Herr von Dewitz hat dann darauf hingewiesen, daß auch die Aktiengesellschaften durch gesetzgeberische Maßnahmen verpflichtet werden möchten, die gesetzlichen Reservefonds in Staatspapieren an— zulegen, und ebenso hat er geglaubt, daß es notwendig sei, auch den
versicherungsgesellschaften und überhaupt sämtlichen Ver— sicherungsgesellschaften eine gleiche Verpflichtung gesetzlich aufzuerlegen. Meine Herren, diese Frage unterliegt zurzeit einer eingehenden Er⸗ örterung und Beratung in den beteiligten Ressorts; ich bin daher außer stande, mich näher darüber auszulassen. Ich muß aber Herrn von Dewitz durchaus zugeben, daß diesen Bestrebungen ein sehr gesunder Gedanke zugrunde liegt, und daß es an ssich, ohne daß ich mich festlegen will, doch sehr erwünscht wäre, wenn auch bei diesen Unternehmungen und Gesellschaften eine Pflicht bestände, jährlich einen bestimmten Betrag ihrer Bestände in Staatsanleihen anzulegen.
Meine Herren, ich möchte dann noch auf die Ausführungen ein— gehen, die der Abg. Dr. Wiemer vor zwei Tagen gegenüber der Etats aufstellung gemacht hat. Der Herr Abg. Dr. Wiemer hat erklärt, daß die Etatsaufstellung, wie sie bis dahin beliebt worden wäre, be⸗ denklich sei. Er hat wörtlich gesagt:
Die allzuweit getriebene Vorsicht ist die größte Fehlerquelle unseres Etats,
und er hat mir zu gleicher Zeit empfohlen, ich möchte doch in Zukunft von diesem Grundsatz absehen und dazu übergehen, lieber den Etat
auf andere Grundlagen zu stellen.
Meine Herren, wenn, wie das die preußische Finanzverwaltung zu tun hat, fremde Gelder verwaltet werden, dann muß man andere Grund— sätze anwenden, als wenn man sein eigenes Vermögen verwaltet. (Sehr richtig! rechts. Bei der Verwaltung des eigenen Vermögens trage ich schließlich selbst den Schaden und niemand anders, und ich bin infolgedessen in der Lage, überblicken, ob ich einmal etwas riskieren will oder nicht. Wenn ich dagegen eine Finanzverwaltung führe, von deren Maßnahmen ein ganzes Land mit betroffen wird, dann muß ich jedenfalls eine Vorsicht üben, die über die hinausgeht, die ich bei meinem eigenen Vermögen zu üben pflege. Ich muß alles ausscheiden, was ein gewisses Risiko in sich trägt, was einen
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Optimismus und Wagemut verrät. Ein gewisser Optimismus ist natürlich gar nicht zu entbehren: ein Wagemut darf aber meiner
Ansicht nach nicht seln. Denn der Wagemut kann auch, da die Zu⸗ kunft dunkel vor uns liegt, das Gegenteil umschlagen und sich verhängnisvoll geltend machen.
Infolgedessen stehe ich nicht an, erklären, daß ich die bis⸗ herige Finanzpolitik für eine durchaus gesunde gehalten habe und sie auch noch heute halte, und daß ich auch für meine Person bei Prüfung aller Fragen von ähnlichen Grundsätzen ausgehen werde, als es bis dahin der Fall gewesen ist. (Bravo! rechts.)
Der Herr Abg. Dr. Wiemer hat gesagt, die Finanzverwaltung wäre darauf aus, Plusmacherei betreiben. Meine Herren, bei unserem heutigen Etat, wie wir ihn schon seit langer Zeit haben, kann man doch von einer Plusmacherei nicht reden, wir haben eigent— lich eine Minusmacherei (Zustimmung und Heiterkeit), und wenn die Finanzverwaltung dieser Minusmacherei etwas entgegentritt, so kann
ö
man das doch nicht gleich als Plusmacherei bezeichnen. (Sehr richtig!) Ich glaube, solange wir uns nech in Fehlbeträgen bewegen, dürfen wir nicht von den bewährten Grundsätzen und Grundlagen abgehen, und da auf der anderen Seite noch sehr viele unsichere Faktoren im Staatshaushalt enthalten sind, müssen wir auch auf dem bisherigen Standpunkte und bei den bisherigen Prinzipien verbleiben.
Ich habe mir schon das vorige Mal auszuführen erlaubt, daß wir bei unserem Etat doch noch mit sehr unsicheren Zahlen rechnen müssen. Der Höchstbetrag, den wir von der Eisenbahnverwaltung bekommen, eträgt 2,10 0, des statistischen Anlagefapitals. Das ist der Höchst— betrag. Zum Glück ist die wirtschaftliche Lage ja derartig — der Herr Abg. Schmieding hat das gestern sehr treffend ausgeführt —, daß wir bei der Eisenbahnverwaltung mit wirklich größeren Ein—
1911.
nahmen zu rechnen haben. Solange wir das können, bekommen wir den Höchstbetrag; sobald aber wieder der Verkehr auf der Eisenbahn nachläßt, bekommen wir nicht den Höchstbetrag, sondern entsprechend weniger, und dieses Weniger muß dann wieder durch Beschränkung der Ausgaben und durch möglichst pflegliche Behandlung der Ein⸗ nahmen ausgeglichen werden. — Also, meine Herren, wir sind zurzeit noch gar nicht imstande, zu sagen, wir wären in einer so günstigen Finanzlage, daß wir an Plusmacherei überhaupt denken können.
Der Herr Abg. Dr. Wiemer hat mir dann zum Vorwurf gemacht, daß ich die Kirchhoffschen Pläne mit einer Handbewegung beiseite geschoben hatte. Meine Herren, es ist mir gar nicht eingefallen, die Kirchhoffschen Pläne mit einer Handbewegung beiseite zu schieben; denn sie haben ja dieses hohe Haus wiederholt länger be— schäftigt und haben auch für mich Veranlassung zu einem sehr ernsten Studium der Frage gegeben. Ich habe mir nur erlaubt zu sagen: ich wolle dieses Mal auf die Kirchhoffschen Pläne nicht näher eingehen, weil der Herr Abg. Dr. Friedberg erklärt habe, er würde erst darauf zurückgreifen, wenn die Staatsregierung mit einer Erhöhung der Steuern kommen würde, — und ich habe mir dann ausdrücklich vor⸗ behalten: sobald es gewünscht werde, würde ich die Kirchhoffschen Pläne meinerseits auch hier näher erörtern. Das kann man doch nicht so ohne weiteres als ein Beiseiteschieben durch eine Hand— bewegung bezeichnen.
Meine Herren, ich will heute aber doch mit ein par Worten diese Frage streifen. In der neuesten Publikation, die Exzellenz Kirchhoff erlassen hat, spricht er davon, daß das vorhandene Defizit für den Staat beseitigt werden könnte, wenn man seinen Plänen nachfolgte⸗ wenn man also auf der einen Seite das Extraordinarium der Eisen— bahnverwaltung aus Anleihemitteln bestritte und auf der anderen Seite denjenigen Bedarf, welchen die Staatsverwaltung noch hätte, 1s den Einnahmen der Eisenbahnverwaltung ihr zuwiese; es würden dann noch ausreichende Mittel vorhanden sein, um den Ausgleichsfonds u füllen. Er hat dabei aber noch eine Einschränkung gemacht, indem er hinzugefügt hat, es müsse aber auch der preußische Staat sich daran ge⸗ wöhnen, daß er in Zukunft keine Ausgaben macht, ohne die nötige Deckung dafür zu besitzen. Meine Herren, diese Einschränkung läßt doch darauf schließen, daß auch Exzellenz Kirchhoff sich jetzt dazu bekehrt hat, daß der Finanzverwaltung nur ein bestimmter Betrag von der Eisenbahnverwaltung überwiesen werden soll, daß sie nur diesen Betrag jährlich verwendet, und daß sie im übrigen, wenn sie dann noch neue Ausgaben notwendig hat, ebenso die Steuerschraube anzieht, wie das sonst auch der Fall ist. Dieser Zusatz ist in der Presse gar nicht richtig gewürdigt worden. In der Presse hat man allgemein gesagt: die Kirchhoffschen Pläne würden bedeuten, daß der preußische Staat damit ein für allemal aus seiner Steuer⸗ und Finanznot heraussein würde, es wäre damit alles gut und gesund, und die böse Finanzverwaltung sollte dem nur folgen.
Meine Herren, so ist das nun nicht. Die Kirchhoffschen Pläne bedeuten nach meiner Ansicht jetzt mit dieser Einschränkung nicht mehr das, was sie früher bedeutet haben, und sie nähern sich sehr wesentlich der Regelung, welche im vorigen Jahre mit Zustimmung
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dieses Hohen Hauses auf einen Zeitraum on fünf
Jahren getroffen worden ist. Denn wenn ich der Finanzverwal⸗
tung dauernd nut einen bestimmten Betrag liefere und ihr sage:
wenn du damit nicht auskommst, dann mußt du Steuern erheben, se ös
ist dies nichts anderes, als was sich bei der im Vorjahre beschlossenen Regelung auch ergibt, und auch kassenmäßig ist es zunächst ganz dasselbe, ob hinsichtlich der aufzunehmenden Anleihe nach dem Kirchhoffschen Vorschlage oder nach der vorjährigen Regelung verfahren wird. Dies hat der Herr Ministerialdirektor Offenberg in seiner vor⸗ jährigen Studie ja schon ganz überzeugend dargelegt. Es liegt indessen doch ein wesentlicher Unterschied darin, daß man, wenn das Extra ordinarium immer aus Anleihen genommen wird, doch sehr viel leichter geneigt ist, Ausgaben zu bewilligen, als wenn es nicht aus Anleihen genommen wird, und daß dann tatsächlich die Sparsamkeit nicht geübt wird, welche im Interesse des Staatshaushalts und der ganzen Staats finanzen geübt werden muß.
Meine Herren, die Eisenbahneinnahmen sind nun einmal im Laufe der Zeit historisch verwendet worden zur Bestreitung der Kosten der allgemeinen Staatsverwaltung; das läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Ursprünglich beschränkte sich der Zuschuß auf 2.2 Millionen; man ist aber allmählich dazu übergegangen, die ganzen Staats— ausgaben auf diese Einnahmen hin zu begründen. Da sich das nicht mehr rückgängig machen läßt, so läßt sich nur das eine noch tun, um den Staat vor den großen Schwankungen, die ein so großer Betrieb natürlich zur Folge hat, befreien, daß man die Spitze abschneidet, daß man sagt: Staat, richte dich für die Zukunft auf einen Mittelsatz ein, mehr bekommst du von der Eisenbahnverwaltung nicht; mit anderen Worten: es soll die größte Gefahr dadurch abgewendet werden, daß nur ein Mittelbetrag gewährt wird. Meine Herren, das ist durch die Lösung geschehen, die im vorigen Jahre gefunden worden ist, und das würde auch nach den Kirchhoffschen Vorschlägen geschehen. Die Kirchhoffschen Vorschläge würden uns also, wie gesagt, gar nicht von Steuerzuschlägen befreien, wenn es notwendig werden sollte, daß wir neue Einnahmen brauchten.
Meine Herren, um mal auf den diesjährigen Etat zu exemplifi zieren, möchte ich folgendes sagen: Bei unserem diesjährigen Etat schneiden wir mit einem Fehlbetrage von 29 Millionen ab. Wenn wir nach den Vorschlägen von Exzellenz Kirchhoff verführen, würden wir diese 29 Millionen von der Staatseisenbahnverwaltung erhalten; wir würden überhaupt keinen Fehlbetrag im Staatshaushalt haben. Ich nehme aber an, daß auch Exzellenz Kirchhoff sagen würde: das ist das Höchste, was die Staatsverwaltung jemals von der Eisenbahn— verwaltung bekommt; richte dich damit ein, mehr wirst du in Zukunft nicht bekommen. Dann würde dieser Betrag von 29 Millionen Mark von der Staatseisenbahnverwaltung anzuleihen sein. Dies würde kassenmäßig genau dasselbe sein wie jetzt. Der Ausgleichfonds würde statt 323 Millionen nur 35 Millionen betragen und würde vermehrt
werden um denjenigen Betrag, welcher für das bis dahin aus laufen