1911 / 26 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 30 Jan 1911 18:00:01 GMT) scan diff

französischer wie unter deutscher Herrschaft unbekannt gewesen. Im übrigen sind auch die Bestimmungen über die Bildung der Ersten Kammer von verschicdenen Seiten und in verschiedenem Umfange be—⸗ mängelt worden. Ich will hier bei der ersten Lesung ebensowenig wie bezüglich der Vorschriften für die Wahlen zur Zweiten Kammer auf Einzelheiten eingehen. Ich will es mir auch versagen, auf die speziellen Fragen abschließend zu antworten, die der Herr Abg. Winckler soeben in staatsrechtlicher Beziehung an den Bundesratstisch gerichtet hat. Das Weitere wird wahr⸗ scheinlich im Verlaufe dieser ersten Lesung oder in der Kommission zu erörtern sein. Ich will nur folgendes sagen: In der Stellung des Statthalters als Spitze der reichs⸗ ländischen Regierung und in der Stellung des Reichskanzlers zum Statthalter wird durch die Vorschläge, die wir Ihnen machen, nichts geändert. Daraus werden sich auch die Konsequenzen ergeben, welche bezüglich der Führung der Politik in Elsaß⸗Lothringen im Verhältnis zum Reichstage zu ziehen sind. Ich wiederhole, ich will das einzelne in diesem Moment nicht näher ausführen; es sind intrikate staats— rechtliche Fragen. .

Zum Schluß will ich nur noch eine allgemeinere Bemerkung machen. Meine Herren, wir schlagen Ihnen für Elsaß⸗Lothringen ein Zweikammersystem vor, und ich muß schon jetzt mit aller Bestimmtheit erklären, daß die verbündeten Regierungen von der Forderung dieses Systems nicht abgehen werden, und daß in diesem System die Erste Kammer ein Bollwerk sein muß, das unter allen Umständen eine jedem Zweifel entrückte deutsche Politik in den Reichslanden gewährleistet. Das sind keine Forderungen theoretischer Doktrin, sondern das sind nationale und politische Forderungen. Deutschlands Söhne haben auf Elsaß⸗Lothringens Schlachtfeldern nicht darum geblutet, daß sich in diesem dem Reiche neu angegliederten Lande deutschfeindliche Tendenzen ungestört, ungestraft breit machen können (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen), aber auch nicht darum, daß wir bei der Ordnung seiner staatlichen Institutionen nach doktrinären Gesichtspunkten verfahren. (Bravo! rechts Es handelt sich darum, dem Lande zu geben, was des Landes ist, aber auch dem Reiche, was des Reichs ist. (Bravo! rechts.) Wir hoffen von den Institutionen, die wir Ihnen vorschlagen, daß sie das politische Leben in den Reichslanden neu anregen werden, und daß jeder Zuwachs an Macht und an Stärke, den Elsaß⸗Lothringen damit erfährt, auch dem Reiche zugute kommen wird. Das ist das alleinige Ziel, welches uns bei unseren Vorlagen vorschwebt, und ich richte auch an den Reichstag die Bitte, daß er bei seinen Beratungen und Entschließungen nur diesem Ziele zusteuern möge. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Preiß (b. k. F.): Die Ausführungen des Reichskanzlers waren offenbar darauf berechnet, für die Tendenzen, auf denen der vorliegende Entwurf aufgebaut ist, Stimmung zu machen. Ich ge⸗ stehe gern zu, daß im übrigen die Ausführungen des Reichskanzlers von einem gewissen menschlichen Wohlwollen gegen Elsaß⸗Lothringen getragen waren. In seinen Worten ist dieses Wohlwollen zur Geltung gekommen. Das kann uns aber nicht genügen. Die Dar—⸗ legungen, die wir heute vom Abg. Winckler und vorgestern gegenüber der Autonomie Elsaß Lothringens gehört haben, haben uns erneut aufs schärfste zum Bewußtsein gebracht, daß weite Kreise des deutschen Volkes, der verbündeten Regierungen und des Parlaments der Auf⸗ fassung huldigen, daß bei der Annexion von Elsaß Lothringen die Haupt⸗ sache in der Eroberung des Territoriums zu erblicken wäre, daß die anderthalh Millionen Menschen auf diesem Territorium erst in zweiter Reihe stehen könnten. Man gibt uns mehr oder weniger zu verstehen, daß wir Elsaß⸗Lothringer mit unseren Gleichberechtigungswünschen uninteressant und unangenehm werden. Elsaß⸗Lothringen ist nicht als Mitglied, sondern als Werkzeug des Deutschen Reichs gedacht. Es ist der alte Circulus vitigsus, daß man uns zu vollberechtigten Deutschen erst dann machen will, wenn wir deutsche Gesinnung offen an den Tag legen, aber man tut alles, um das Aufkommen deutscher Gesinnung geradezu zu verhindern. Hat man doch Elsaß-Lothringen als das Glacis, als das Bollwerk zum Schutz des übrigen Deutsch= lands hingestellt. Ohne Autonomie auch keine Verschmelzung. Wir haben die Empfindung, daß wir hier auf weniger Verständnis stoßen, als es uns lieb ist. Das liegt wohl daran, daß „io des Reichstags den wirklichen Verhältnissen fernstehen. Der Abg. von Dirksen hat mir Zeitungsausschnitte offeriert, die tatsächlich falsch sind. Man wollte laß Lothringen zu einem gleichberechtigten Mitgliede des deutschen Staakenbundes machen, und dieses mächtige Deutsche Reich hat es nicht fertig gebracht, die Verhältnisse in Elsaß⸗ Lothringen so zu gestalten, daß diese Verheißung erfüllt werden kann! Wie ganz anders ist Frankreich Savoyen und Nizza, England Südafrika

egenüber die Assimilation gelungen! Kultur und Sitte machen . dem übrigen Deutschland gegenüber gleichberechtigt, und doch werden die Elsaß⸗Lothringer als nicht ebenbürtige, als Deutsche zweiter Klasse behandelt! Das verletzt den Stolz der Glsässer und ist nicht schmeichelhaft für das Deutsche Reich. Man spricht von der Sicherheit des Reichs in den Reichslanden. Aber nicht dadurch wird die Sicherheit des Reichs in den Grenzlanden garantiert, daß die Bevölkerung immer wieder unnötigerweise vor den Kopf gestoßen wird durch eine nicht ganz würdige Behandlung, sondern dadurch, daß dort deutsche Reichstruppen und Kanonen aufgestellt werden. Diese Notwendigkeit wird immer die gleiche sein, ob Elsaß⸗-Lothringen dem Deutschen Reiche selbständig angegliedert ist oder nicht. Revolutionäre Bewegungen sind seit 40 Jahren überhaupt nicht dort vorhanden gewesen. Die elsässische Bevölkerung hat sich als eine arbeitsame und ruhige gezeigt, sie hat zu Revolutionen niemals Nei⸗ gung gehabt. Beweis; die vielen guten deutschen Soldaten in Elsaß— Lothringen. Man will gegen die Autonomie oder Gleichberechtigung damit Propaganda machen, daß man sagt, bei einer Selbst— derwaltung würden die Französlinge allerhand Sprünge machen gegen die Interessen des Deutschen Reiches. Das sind Hirn— gespinste. Elsaß⸗Lothringen ist kein Land von Abenteurern, es steht auf dem Boden des in dem Frankfurter Frieden geschaffenen Rechts; es kann sich nur mit und in Deutschland entwickeln. Die wirtschaftliche Entwicklung bringt es von selbst in das deutsche Reichsgetriebe hinein und heißt es daran festzu—⸗ halten. Davon abzugehen, wäre Unverstand bei einem Volk, das seine wahren Interessen kennt; das ist ausgeschlossen. Die Elsaß= Lothringer haben sich durch fremde Einflüsse nicht bestimmen lassen, sie wissen schon selbst, was sie zu tun haben. Für alle Fälle bleiben ja die deutschen Truppen in Elsaß⸗Lothringen, so gut wie z. B. in Baden. Außerdem gibt es einen Reichsartikel, wonach einzelne Bundesstaaten, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht genügen, durch Reichsexekutive dazu gejwungen werden können. Es handelt sich also um Hirngespinste, um Phantastereien, die jeder tatsächlichen Grund⸗ lage entbehren. Wo gibt es ein Land, das sich so ruhig und ge⸗ duldig die Herrschaft der eingewanderten Beamten gefallen läßt? Es ist. den Clsässern nicht in den Sinn gekommen, die Rechte dieser Beamten irgendwie zu mißachten. Und dabei genießen diese eine koloniasartig: Privilegierung. So⸗ weit es menschlich möglich ist, habe ich den Nachweis erbracht, daß ein vernünftiger Grund für die Aufrechterbaltung des gegen⸗ wärtigen Ausnahmeregimes nicht mehr besteht. Vorgänge wie die mit der Lorraine sportive sind für die Frage der Bewertung der Sicherheit des Deutschen Reiches einfach bedeutungslos. In allen

Ländern der Welt würde unter gleichen Umständen ein Rengontre mit der Polizei schwer zu permeiden gewesen sein; die Sache ist von Hetzern, von politischen Krämerseelen aufgebauscht worden. Mit und ohne Ausnahmeregime sind alle. Vorgänge denkbar und möglich; sie könnten sich ebensogut in Freiburg, im Breisgau oder in Nancy ereignen. Man rief mir zu Moabit?! Ist denn etwa in Moahit die Sicherheit des Deutschen Reiches in Frage ge⸗ kommen? Der frühere Staatssekretär von Köller, der hüer vorgestern angegriffen wurde, hat eine ruhige und fruchthare . des vornehmen Zusehens befolgt; wir bewahren ihm ür sein letztes Wirken in den Reichslanden ein gutes Andenken. Er hat auch die Reichsinteressen nicht verraten und nicht vernach⸗ lässigt. Der Freiherr Zorn von Bulach aber, der sich vielleicht von der ängstlichen Erwägung leiten läßt, seine Qualität als Elsässer vergessen lassen zu müssen, anstatt den selbstbewußten Elsässer kräftig nach oben und nach unten zur Geltung zu bringen, hat sich wieder auf die schiefe Bahn der schroffen Polizeimaßregeln drängen lassen. Köller hat es fertig gebracht, auch die e Hitzköpfe unter den Einheimischen zum srick r Zusammenarbeiten mit der Regierung zu veranlassen. Das war eine kluge, deutsche Reichspolitik, nicht ein Liebäugeln mit dem Nationalismus, nicht ein Nähren von Schlangen, wie es vorgestern genannt wurde. Schonende, menschliche Rücksicht= nahme fällt bei uns auf fruchtbaren Boden. Wir sind nicht die un⸗ verträglichen Elemente, als die eine . Hetzpresse uns hinstellt. Es muß mit der Ausnahmeregie gebrochen werden, nicht nur im Interesse Elsaß⸗Lothringens, sondern auch des Deutschen Reiches. Elsaß Lothringen fordert und verlangt die ibm seit 40 Jabren wider— rechtlich vorenthaltene bundesstaatliche Selbständigkeit. Es hat sich neben dieser Zurücksetzung noch eine Reihe von Demütigungen gefallen lassen müssen und geduldig hingenommen. Trotz alledem wird unser Verlangen durch die Vorlage nicht erfüllt. Wir haben nicht die Macht, das Reich zu zwingen, aber unsere Forderungen müssen wir geltend machen; mögen der Bundesrat und der Reichstag ent⸗ scheiden! Die Vorlage erscheint als ein Verlegenbeitswerk. Das neuerliche Hervorkehren des Systems der polizeilichen Gewalt— herrschaft hat zu einem überaus schroffen Zusammenstoß zwischen Landesausschuß und Regierung geführt; der Staatssekretaͤr Zorn von Bulach erklärte dem Statthalter Grafen Wedel, es könne fo nicht weitergehen. In aller Eile hat man nun die Vorlage aus— earbeitet, die angeblich schon im vorigen Februar fertig war; eine . Früh⸗ und Fehlgeburt. Vom souveränen Bundesstaat Elsaß Lothringen mit Sitz und Stimme im Bundesrat, entsprechend der Bewohnerzahl von 1 800 0090 Seelen, ist nicht die Rede; es bleibt unselbständiges Anhängsel des Reiches. Von einer erblichen Dynastie der Monarchie will kein Mensch in dem demokratischem Elfaß— Lothringen etwas wissen; die Frage der Souveränität wäre also so zu regeln, daß die Staatsgewalt durch einen vom Kaiser auf Vor— schlag des Bundesrats auf Lebenszeit ernannten Statthalter aus— geübt wird; der Statthalter ernennt in Straßburg, wo er residiert, aus eigenem Rechte seine Minister und frei und unabhängig von Berlin auch die drei uns rechnungsmäßig zukommenden Bevollmächtigten zum Bundesrat. Damit würde dem vorgebeugt, daß die preußischen Stimmen im Bundesrate de jure oder de facto bermehrt würden. Der Kollege Bassermann hat ausgeführt, ein auf Lebengjeit ernannter Statthalter für Elsaß⸗Lothringen würde ein gefährliches Geschenk sein, er könnte krank werden uw. Diese Bedenken existieren doch bei jedem Landesherrn, König oder Großberzog, in gleicher Weife. Diese. Möglichkeiten sind im voraus gesetzlich kerücksichtigt, und es, könnten auch für den Statthalter die erforderlichen Kautelen mit Leichtigkeit getroffen werden. Die lebenslängliche Ernennung hätte auch den Vorteil für uns, daß Elsaß Lothringen eine staats rechtlich und politisch von Berlin unabhängige Landes verwaltung erhalten müßte, wie sie in den übrigen Bundesstaaten existiert. Nach der jetzigen Vorlage werden sowohl der Stattbalter wie die Minister von Berlin ernannt werden und von Berlin aus ahsetzbar sein. Bei dem jetzigen System werden die böchften Landesbeamten bei ihren Beschlüssen ihren Blick vor allem nach Berlin richten und weniger auf das Land selbst. Das Vertrauen von Berlin wird ihnen instinktiv die Hauptsache fein, und bei großen und kleinen Konflikten werden sie nötigenfalls die Interessen Berlins auch als die Interessen des sie honorierenden Landes vertreten müffen. Haben wir nicht Anspruch auf eine gleiche Behandlung der öffentlichen Angelegenbeiten wie das übrige Deutschland? Die Vorlage zeigt in f sist die unendliche Schwäche der von Berlin abhängigen elsaß— lothringischen Regierung. Diese Regierung durfte es gar nicht wagen, eine solche Vorlage zu machen. Wärden die baverische und württem bergische Regierung so gehandelt haben gegenüber dem klaren Willen ihrer Landeskinder? Der Verfassungsentwurf sollte doch von dem Tande selbst gemacht oder wenigstens . Genehmigung unterbreitet werden. Hier wird aber Elsaß-Lothringen gar nicht gefragt. Die Verfassung wird ihm oktroviert, und das Reichsland kann es auch nicht ändern. Das ist gar keine Verfassung, sondern ein jederzeit von außen wider⸗ rufliches Ding; es ist eine Verfassung wie lucus a non lugendo. Die Bestimmung des F 28, wonach die Verfassung auch durch 8 gesetz aufgehoben oder abgeändert werden kann“, muß unbedingt be— seitigt werden. Das Reich hält nach wie vor seine obervormund⸗ schaftliche Hand auf die ungezogenen Kinder in Elsaß-Lothringen. Seit 1888 hat das Reich überhaupt kein Gesetz für Elfaß-Lothringen erlassen; die Vorlage bringt hier also überhaupt nichts Neues. Etwas Neues ist das Wahlgesetz für die Zweite Kammer. Wir sind in Elsaß⸗Lothringen an das allgemeine, direkte und geheime Wahl. recht seit der französischen Zeit gewöbnt. Nun heißt es, Ihr könnt ig das Wahlgesetz selbst ändern, wenn es Euch nicht Je— fällt. Wer so spricht und gleichzeitig neben diese Zweite Kammer als gleichberechtigten Faktor der Landesgesetzgebung eine ultra⸗konservative Erste Kammer setzt, ohne die nichts geandert werden kann, der sieht nicht, daß es sich nur um ein nominelles, nicht reelles Selbstbestimmungsrecht der Zweiten Kammer handelt. Der Kasser kommt auch als dritter gesetzgebender Faktor in Aussicht neben der vorgesebenen Ersten und Zweiten Kammer, da die Uebereinstimmung des Kagisers und beider Kammern zu jedem Gesetz erforderlich sein soll. Die vorgesehene Erste Kammer ist für uns unannehmbar und auch durchaus überflüssig. Für unsere kleinen und bescheidenen Verhältnisse enügt eine Kammer vollständig. Hält man aber an der Ersten Kammer 6j so, sollten die Mitglieder direkt gewählt werden. Die Ernennung der Mitglieder durch den Kaiser ist für uns unannebmbar. Mit der Ersten Kammer würden ernste Konflikte mit der Zweiten Kammer geschaffen und die ganze Gesetzgebung so lahm gelegt werden. Dem Entwurf, wie er vorliegt, er wir ein en f ken ũ⸗ Nein entgegen. Machen Sie dem unwürdigen Provisorium, das jetzt aufs unbestimmte verlängert werden soll, ein Ende. Es wurde gesagt, im Deuschen Reich gibt es keine elsaß-⸗lothringische Frage. Das ist richtig. Der Frankfurter Friede besteht; aber glauben Sie nicht, daß das Deutsche Reich, indem es den Ausnahmezustand in h Lothringen aufrecht erhält und mit dieser außergewöhnlichen Ma rege! die Elsaß-Lothringer hindert, zufriedene Leute im Deulschen eiche zu werden, die latent zweifellos existierende elsaß⸗ lotbringische Frage aufrollt und offenhält ? Wenn Elsaß Lothringen zufrieden wäre, würde es anders aussehen, auch zum Wohle und Nutzen des Deutschen Reiches. Dazu gehört aber vor allem, daß Sie den Elsaß-Lothringern im Deutschen Reiche ein Heim bereiten, in dem sie sich wohlfüblen und eine glückliche und glor— reiche Vergangenheit bergessen können. Dann dürfen die Elfaß— Lothringer nicht mehr als minderwertige, unebenbürtige Fremde be— trachtet werden. In Elsaß Lothringen sehen wir das lehrreiche Bei⸗ spiel, daß ältere Männer, die 30 Jahre und länger lovale Stützen des Deutschtums gewesen sind, nunmehr schließlich von tiefem Groll erfüllt werden über die unverdiente Behandlung, die unserm Volke zu teil wird. Lassen Sie die 3 leben und sich ein—⸗ richten, wie es ihre mit gutem französischen Geist durchdrungene Eigenart mit sich bringt. on dem französischen Geiste würde ich manchem unserer Gegner nicht zu seinem Schaden ein wenig wünschen. Das Deutsche Reich könnte nach innen und außen nur gewinnen, wenn es dem Beispiele Frankreis folgte. Bis 1879 durfte in den Kirchen deutsch gepredigt werden, die Verordnungen der Präfekten waren bis 1970

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trotz 390 jähriger Zugehörigkeit zu Frankreich in deutscher und franzö Sprache 56. publiziert. Das sind Akte, die die ere Entschließt sich das Deutsche Reich nicht zu einer gründlichen Umkehr so. wird ihm aus der Tiefe der elsaß Mlothringischen Volksseele nach wie vor und mit vollem Recht wie dem Vater unferes jetzigen Staatzsekretärs grollend das Wort entgegenhallen: Sie haben di Sprache, Sie haben die Macht; aber eines haben Sie nicht, die Generositãt. einfach Gerechtigkeit. Abg, Liebermann von Senngnberg (wirtsch. Vgg.): Wi haben gesehen, wohin das Wohlwollen führt. Sogar die Rednerliste ss durchhrochen, und ich bin in die unbequeme Lage versetzt worden, nach dem Vorredner zu sprechen; wenn auch vor leerem Hause, fo werden doch meine Auffassungen einen starken Widerhall im Lande finden. bin dem Vorredner dankbar, daß er mit dieser Umständlichkelt und Ausführlichkeit bewiesen hat, daß die Auffasfung richtig ist: ez sst weder der Zeitpunkt gekommen, noch ist der größte Teil des elsaz⸗ lothringischen Volkes reif für eine Verfassung. Der Vorredner hat gesagt, die Erste Kammer sei unannehmbar. Der Reichskanzler bat energisch erklärt, daß die Vorlage ohne die Erste Kammer für die derbündeten Regierungen unannehinbar ist. Ich glaube danach, di Sache wird sich so entwickeln, daß Elsaß- Lothringen vielleicht eine Frist gewährt wird, in der es noch etwas umlernen kann. Die Rede des Staatssekretärs Dr. Delbrück war hochinteressant, man konnte seinen Ausführungen zustimmen, nur komme ich zu der entgegengesetzten Schluß. folgerung. Es wäre zweckmäßig gewesen, wenn die Regierung diefe Vor⸗ lage nicht gebracht hätte, oder wenn sie sie jetzt, nachdem die Elsaß⸗ Lothringer ein so abfälliges Urteil darüber gefällt haben, zurũckzõge. Wir wollen doch den Elsaß-Lothringern nicht zumuten, in würdelos Zustände“ hineinzugeraten, oder daß die Abgeordneten sich lächerlich machen! vor dem Volk. Ich glaube, eine Zurückziehung der Vorlage durch die Regierung würde sich trotz der inneren Verpflichtung, die sie. zu ihrer Einbringung hatte, rechtfertigen. Furst Bismarck würde sich dahin resümiert haben, die Clsaß. Lothringer sind noch nicht würdig und nicht reif genug für die Verfassung. Die Gesinnungsgenossen des Ahg. Vonderscheer müssen dann eben mit leiden. Um weniger Gerechter willen kann. man nicht eine Maßregel durchführen, die die Ün' gerechten begünstigt. Man soll sich en ruhig die beiden Dauptgesichtspunkte klar machen, den praktischen und den ideellen, aus denen wir 1870 das Reichsland uns angegliedert haben. Man muß sich vor allem vor Augen halten, daß es sich bei 46. Verfassungsfrage keineswegs allein um eine elsaß-lothringische An. gelegenheit handelt, sondern daß das Reich mit seinem Wohl und Wehe dabei beteiligt ist. Der praktische Gesichtspunkt war die militärische Sicherung unserer Reichsgrenze gegen Frankreich besser als vorher. Wir mußten Metz und Straßburg haben. Wir brauchten, wie Bismarck sagte, damit, man nicht die Weißenburger Ecke bei einem Kriege gegen Deutschland angriffe, ein Glacktz. Leider haben wir nicht Belfort genommen, was uns noch weit mehr geschützt hätte. Wir dürfen der Reichssicherheit wegen nicht ver⸗ gessen, daß das Reichsland als Glacis, als Rayon gedacht ist. Die Stimmung der Elsaß Lothringer, wie sie in Wahrheit ist, kann man an verschiedenen Beispielen erkennen. Wie werden die deutschen Soldaten behandelt! (Lebhafte Unterbrechungen; Zurufe des Abg. Will: Wir waren selbst Soldaten) Wenn Sie in elsaß= lothringische Quartiere kommen, werden sie nicht so behandelt wie die Reichsd eutschen. (Erneute lebhafte Unterbrechungen und Zwischenrufe. Wir, haben so selten das Vergnügen, Sie (zu den Elsäffern) im Reichstage zu sehen, Sie sind ja niemals hier. Im Quartier werden die Soldaten überteuert. (Fortwährende Unterbrechungen und große Unruhe. Glocke des Präsidenten; Zwischenrufe Ich werde be— weisen, wie recht ich habe, und meine Meinung sagen so deutlich wie ich will. (Heftige Zurufe: Zur Ordnung müssen Sie gerufen werden) Das steht dem Präsidenten zu, nicht einem benebigen Mitgliede. (Lebhafte, teilweise stürmische Unterbrechungen. Zuruf: Sie (find nicht reif! Glocke des Präsidenten. Vizepraäͤsident Dr. Spahn bittet wiederholt energisch um Ruhe.) Die Daltung gegenüber den elsaß⸗lothringischen Bauern bet Flurschäden und dergleichen war stets außerordentlich entgegenkommend, aber jedes Entgegenkommen wird als Schwäche ausgelegt. In der Bevölkerung von eh, und Umgegend hat man eine ganz merk— würdige Kenntnis der Terrain⸗ und Festungsverhältnisse. Von sach⸗ verständiger Seite wird bekundet, daß der Grenzverkehr ein auf— fallend lebhafter ist. (Unruhe; Zurufe des Abg. Wetter!; Vizepräsident Dr. Spahn läutet wiederholt und bittet energisch um Ruhe,) Die Grenzen sind in höchstem Maße gefährdet. We Truppenübungen taucht mit einem Male ein Clgiron in französischer Tracht auf. (Lachen bei den elsaß lothringischen Abgeordneten. Das ist dech nicht zum Lachen. Es ist Tatsache, daß bei Ballonübungen die telegraphischen Leitungsdrähte vielfach durchschnitten worden sind, ohne daß man jemals dahinter kommen konnte, wie es geschah. Daß so etwas vorkommen kann in dem friedlichen Elsaß Lothringen, beweist, daß die Zustände anders sind, als die Herren sie hier im Augenblick zu schildern bemüht sind. Ich gebe zu, daß auch von seiten der Reichsregierung Fehler gemacht sind in Bezug auf die Instruktion der Offiziere. Es ist nicht gut, daß ein großer Teil unserer Offiziere nicht genug Französisch kennt, um verhindern zu können, daß die Bauern iich über Deutschland und unsere Armee lustig machen. (Lachen bei den Elsaß⸗Lothringern Es gehört zur Sache, daran zu erinnern, wie die Stimmung 1870 im Reiche war. Im Reiche lebte damals unguslöschlich das Be— wußtsein der Stammeszusammengehörigkeit mit Elsaß⸗Lothringen, das Bewußtsein, daß dieses Land deutsches Land sei; überall herrschte der Gedanke: es muß wieder unser werden! Die deutschen Pro⸗ testanten wie die deutschen Katholiken empfanden ein Hochgefühl, als Elsaß⸗Lothringen dem jungen Deutschen Reiche als Morgengabe dargebracht wurde. Vielleicht wurde damals schon der erste Fehler gemacht, indem man es nicht einem oder einigen der Bundes⸗ staaten einverleibte. Schuld an den jetzigen Verhãältnissen sind neben dem Ueberschwang des deutschen Volkes auch die Reichsregierung durch ihr System der Systemlosigkeit und der Reichstag, indem er übereilten Maßnahmen, wie der Aufhebung des Diktaturparagraphen zustimmte. Die elsaß⸗ lothringische Bevölkerung hat 6 zum großen Teil durch die Aufreizungen der französischen Presse zu i, , Widerstand gegen die Verwaltung aufstacheln lassen; die Bevölkerung hat dauernd die engste Verbindung mit Frankreich und pflegt sie in einer Weise, die sich mit der Reicht⸗ sicherheit nicht vereinbaren läßt, und unterstützt wird sie darin natür⸗ lich von den Sozialdemokraten, die ja noch 1895 Protest gegen die Einverleibung bei der französischen Kammer eingelegt haben. Die Metzer Vorgänge sind ungemein charakteristisch. ach, den Vor⸗ gängen von He end und Mülhausen wurde uns für die Folge in ähnlichen Fällen scharfes Eingreifen versprochen; daß gegen den Arrangeur des Mülhausener Vorganges, gegen dag Verhalten des , eingeschritten worden ware, davon hat man aber nichts gehört. Ist es wahr, daß von Reichs wegen eine Anordnung erlassen werden konnte, wonach bei den Feiern der Reichs ründung der Niederlagen der Franzosen nicht gedacht werden sollte? Nach alledem müssen wir diese Vorlage als eine Gefährdung der Reichsinteressen 3 sind auch nicht in der Lage, für die Kommissionsberatung zu stimmen, sondern würden die urückziehung der Vorlage um so lieber sehen, als dann die Verantwortung für die jetzigen Zustände die Veranstalter der Demonstrationen und die Urheber der Wühlerelen allein trifft. Mit diesem Standpunkt stehen wir im Reichstage allein, aber draußen haben wir dafür eine starke Anhängerschaft. . wir denken gar nicht daran und haben nie daran gedacht, die Einverleibung in Preußen zu befür— worten; aber kommt der Tag, von dem der Reichskanzler sprach, so wird man vielleicht doch an die Korrektur jenes ersten Fehlers denken müssen. Der nächste Krieg ist durch diese Vorlage und das Verhalten der elsässischen Abgeordneten in eine Nãhe gerückt. (Groh Unruhe links; Zuruf des Abg. Ledebour: Sie Angstmeierh

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Was wir fordern, ist nicht Generosität, sondern

zum Deutschen Reichs

Mn 26.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Ach, mein lieber Herr Ledebour, der Appell an die Furcht findet in deut⸗ schen Herzen keinen Widerhall. (Zuruf des Abg. Emm el) Ach, mein lleber Herr Emmel, Sie zwingen mich, auch Sheen zu sagen, daß der Ginverleibungs gedanke heute eine Unmöglichkeit ist. Der Revanche⸗ sedank. glüht in Frankreich weiter, er kam auch in der Bemerkung Jaureg zum Vorschein. Wir können den Reichskanzler nur ermahnen, nichts preiszugeben von dem, was mit so schweren DYpfern erkämpft worden ist. Den Elsaß Lothringern aber, die noch soeben ihren intransigenten Standpunkt kundgetan haben, rufen wir U: Lu las Toulu, Georges Daudin! Ihr selbst seid schuld, wenn

Ihr kein Entgegenkommen findet. Erster Vizepräsident Spahn; Bei der vorhin herrschenden Un—

ruhe im Hause war es zweifelhaft, ob der Vorredner mit seinem Ausdruck: „Sie sind nicht reif. Mitglieder des Hauses gemeint hatte oder nicht. Ich habe es nicht so verstanden; wäre ich anderer Meinung gewesen, so hätte ich den Ausdruck gerügt. Der Äb— geordnete Liebermann von Sonnenberg hat aber ausdrücklich erklärt, daß er Mitglieder des Hauses nicht gemeint habe, und deshalb habe ich auch keine Veranlassung, seine Bemerkung nachträglich zu rügen.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Delbrück:

Meine Herren! Nachdem der Herr Reichskanzler eingehend noch einmal die allgemeine Situation beleuchtet und die Gründe er— zrtert hat, die die verbündeten Regierungen veranlaßt haben, die Ihnen jetzt vorliegende Vorlage einzubringen, und nachdem er erneut den Standpunkt dieser Vorlage mit aller Entschiedenheit vertreten hat, kann es zweifelhaft sein, ob es angezeigt und notwendig ist, daß ich noch einmal im Namen der verbündeten Regierungen in die Debatte eingreife, zumal ich es nicht für angebracht erachte, auf einzelne Fragen, die im Laufe der Debatte bis jetzt erörtert sind, hier bei der ersten Lesung und im Plenum einzugehen. Es sind aber immerhin, und namentlich in den Ausführungen der letzten Redner, eine Reihe bon Ausführungen gemacht, die mich nötigen, Ihre Aufmerksamkeit noch für kurze Zeit in Anspruch zu nehmen.

Meine Herren, ich habe mir, als ich die Ausführungen des herrn Abg. Preiß gehört habe, die Frage vorgelegt, was er mit diesen Ausführungen eigentlich bezweckt. Wenn er mit diesen Ausführungen den Zweck verfolgt hat, hier in diesem Hause und außerhalb dieses hohen Hauses die Sympathie für die weiter— gehenden Forderungen, die er hier vertreten hat, zu steigern, so hat er offenbar einen Mißgriff getan. Das bezeugen deutlich die nnergischen Zurückweisungen, die er seitens des Herrn Redners erfahren hat, der unmittelbar nach ihm gesprochen hat.

In den Ausführungen des letzten Herrn Redners sind aber einige Punkte, die ich doch richtigstellen möchte. Es ist in diesen Aus⸗ führungen allgemein der Vorwurf erhoben worden, daß die elsaß⸗ lothringische Bevölkerung unsere dort in Quartier liegenden Truppen unfreundlich und schlecht behandle. Der hier anwesende Herr Staatg⸗ sekretär von Elsaß⸗Lothringen hat mich ersucht, demgegenüber hier ausdrücklich festzustellen, daß ein derartiger Vorwurf in dieser Allgemeinheit nicht aufrechterhalten werden kann. (Hört! hört! in der Mitte) Selbst wenn, was ja überall passiert, die Mann⸗ schaften gelegentlich über die Behandlung seitens ihrer Quartierwirte u klagen hätten, so sei demgegenüber doch festzustellen, daß seitens ker kommandierenden Generale noch jedes Mal nach Schluß der hroßen Truppenübungen dem Herrn Statthalter gegenüber der Dank usgesprochen worden sei für die freundliche und gute Behandlung, leren sich die Mannschaften zu erfreuen gehabt hätten. (Hört! hört! in der Mitte) Meine Herren, ich glaube, es ist ein Gebot der Billigkeit und' der Herr Vorredner selbst wird mit mir darin ämnig sein wenn ich das im Interesse der elsaß⸗Iothringischen Be⸗ köälkerung und im Interesse einer ruhigen und objektiven Behandlung ler wichtigen Frage, die uns heute hier beschäftigt, noch einmal fest⸗ gestelt habe. (Bravo! in der Mitte.)

Im Anschluß daran, meine Herren, möchte ich ferner feststellen, laß die Verfügung des Polizeipräsidenten in Mülhausen aus Anlaß mes Umzugs, der vor einigen Wochen dort stattgefunden hat, in der Nat so ergangen ist, wie es in den Zeitungen referiert ist, aber auch letenen, daß es sich hier zweifellos um einen Mißgriff, um eine sehr karke Entgleisung des betreffenden Beamten gehandelt hat (hört! hrt! Zuruf von den Sozialdemokraten), die von seiten des Herrn Statthalters mit aller Entschiedenheit gerügt ist. (Abg. Emmel: Des Jahr vorher hat es die Straßburger Regierung doch uch gestattet) Meine Herren, was den Zuruf des Herrn llg. Emmel betrifft, so ist richtig, daß allerdings das, was in ktser Verfügung ausdrücklich gestattet ist, in früheren Fällen still. hhreigend geduldet wurde und zu Ausschreitungen keine Veran⸗ kung gegeben hat. Das war aber kein hinreichender Grund, diese Dinge offiziell, wie es geschehen ist, nicht nur stillschweigend zu dulden, sendern ausdrücklich zu genehmigen lsehr richtig! rechts), und hier— bien hat sich die Rüge des Herrn Statthalters gerichtet. Das steht sso im völligen Einklang mit den tatsächlichen Vorgängen, auch wie se der Herr Abg. Emmel auffaßt.

Ich möchte ferner feststellen, daß den Behörden des Reichslandes Kllass, in denen Vorschriften darüber enthalten gewesen sind, wie unn bei der vierzigjährigen Jubelfeier des Deutschen Reichs über die dimpfe des Jahres 1870171 sprechen und nicht sprechen dürfe, nicht

annt sind.

Und nun, meine Herren, komme ich noch einmal auf die Aus— sirungen des Herrn Abg. Preiß zurück, die auch ich um deswillen icht unwidersprochen lassen möchte, weil sie nach meiner Ueberzeugung king wegs der Auffassung der Mehrhelt der Elsaß⸗Lothringer ent— huechen, wie wohl die elsaß- lothringischen Redner, die wahrscheinlich ich mir noch zum Worte kommen werden, bestätigen werden. Meine Herren, der Herr Abg. Preiß hat, anscheinend um den unspruch auf volle Autonomie zu begründen, hier die schärfsten Vor⸗ sirfe gegen das Deutsche Reich, gegen seine Organe und gegen die peutsche Regierung in Straßburg erhoben. Er hat uns den Vorwurf nacht, wenn ich ihn richtig verstanden habe, daß wir die Elsaß— sethringer wie einen Hottentottenstamm, wie eine fremde Völker⸗

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Zweit e nzeiger und Berlin, Nontag

schaft behandeln. (Zurufe von den Elsässern: Neis, das hat er nicht gesagt) Meine Herren, wenn dieser Vorwurf erhoben ist, so wie ich ihn verstanden habe, ist er zweifellog unberechtigt, und er ist unge⸗ eignet, die Wünsche des Herrn Abg. Preiß zu unterstützen; denn er würde in hohem Maße geeignet sein, die Auffassung aller derer zu stärken, die nicht nur nicht das geben wollen, was der Herr Abg. Preiß wünscht, sondern die Bedenken haben, auch nur das zu konze⸗ dieren, was ihnen die verbündeten Regierungen vorschlagen.

Der Herr Abg. Preiß hat dann darzulegen versucht, daß der In= halt der Vorlage, die heute zur Erörterung steht, eigentlich ein Hohn wäre gegenüber der loyalen, friedlichen und ordnungsliebenden Haltung, die die Bewohner des Reichslandes innerhalb 40 Jahre an den Tag gelegt hätten. Meine Herren, auch dag ist nicht zu verstehen, namentlich wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, wie der Herr Abg. Preiß und seine engeren Freunde in den. Reichslanden bis vor kurzem zu allen diesen Fragen gestanden haben. Meine Herren, die Zeit ist noch gar nicht lange her, wo man im Elsaß und namentlich in den Kreisen des Herrn Preiß und seiner Freunde der Ansicht war, daß das, was die verbündeten Regierungen jetzt anbieten, in absehbarer Zeit niemals angeboten werden würde und ganz unerfüll⸗ bare Wünsche darstelle. (Hört, hört! rechts und links.)

Der Herr Abg. Preiß hat in einem Antrage vom ö. Dezember 1905 es ist wohl hier im Reichstag gewesen die Forderungen seiner Freunde in 3 Paragraphen formuliert. Der erste Paragraph fordert die Einverleibung Elsaß, Lothringens als Bundesstaat, der zweite Paragraph verlangt die Ausschaltung des Reichs tags als Landtag für Elsaß⸗Lothringen und die Umwandlung des Landesausschusses in ein vollwertiges Parlament, und der dritte Paragraph sagt:

Die gesetzgebende Gewalt in Elsaß Lothringen wird ausgeübt durch den Kaiser und den Landtag. Die Uebereinstimmung des Kaisers und des Mehrheitsbeschlusses des Landtags ist zu einem Landesgesetz erf orderlich und ausreichend.

Die hier festgelegten Forderungen sind im Landesausschuß in Elsaß Lothringen oft erörtert worden, und der Herr Abg. Preiß hat zu den einzelnen Fragen wiederholt Stellung genommen. Ez ist vielleicht nicht uninteressant, wenn ich aus seinen damaligen Aus⸗ führungen hier einiges rekapituliere. Herr Preiß führt, indem er von den Forderungen, die ein anderer Abgeordneter erhoben hatte nämlich Ausschaltung des Reichstags als Landtag für Elsaß⸗Lothringen und Ausgestaltung des Landesausschusses zu einem wirklichen Landtage —, folgendes aus: Beide haben eine große Bedeutung für uns in völlig gleicher Weise. Beide existieren aber völlig unabhängig voneinander, und wenn z. B. die eine dieser Forderungen, wie die Ausschaltung des Reichstags als Landtag von Elsaß⸗Lothringen, in leichterer, in rascherer Weise realisiert werden kann als di andere Frage, die Einführung des allgemeinen Wahlrechts für den Landesausschuß, so werde ich doch als vernünftiger politischer Mann in Elsaß⸗ Lothringen nicht erklären: ich will nicht die Ausschaltung des Reichstags als Landtag von Elsaß⸗Lothringen, solange uns nicht auch gleichzeitig das allgemeine Wahlrecht gegeben wird. Wenn ich das Eine haben kann, meine Herren, so nehme ich es an und will nicht darauf verzichten, weil mir nicht auch das Zweite zu gleicher Zeit gewährt wird. (Hört! hört h Das Erste und das Zweite soll jetzt mit einigen Modifikationen gewährt werden. (Sehr richtig) Es soll das angeboten werden, was der Herr Abg. Preiß selbst als im hohen Maße unwahrscheinlich und unerreichbar bezeichnet hat, und heute behauptet er, daß, wenn die verbündeten Regierungen so wenig böten, über die Sache überhaupt nicht zu verhandeln sei. (Zuruf.) Der Herr Abg. Preiß sagt bei einer anderen Gelegenheit folgendes: Diese kurze Darlegung des zurzeit bel uns bestehenden, bei unserer Verfassungsreform in Betracht kommenden Rechtszustandes zeigt auch dem Laien, erstens, daß die Entscheidung über unsere konsti⸗ tutionellen Wünsche und Forderungen nicht hier in Straßburg durch den Landesausschuß oder durch die elsaß lothringische Regierung⸗ sondern nur in Berlin durch den Reichstag und den Bundesrat ge⸗ troffen werden kann und getroffen werden muß.

Das ist vielleicht auch Herrn Naumann nicht uninteressant, der

vorgestern hier eine andere Regelung als die gegebene als unrichtig

bezeichnete.

Es heißt weiter:

zweltens, daß die Verwirklichung unserer beiden ersten Forderungen, nämlich die Ausschaltung des Reichstages und des Bundesrat, viel leichter zu bewerkstelligen ist, als die Verwirklichung der dritten Forderung, der Aufnahme von Elsaß⸗Lothringen in den das Deutsche Reich bildenden Staatenverband und die Stimmberechtigung der elsaß⸗lothringischen Vertreter im Bundesrat. Der Weg, den wir als praktische und vernünftige Politiker bei der so gekenn— zeichneten Sachlage zu beschreiten haben, dürfte meines Erachtens der sein: wir müssen in erster Linie mit allem Nachdruck verlangen, daß die Verwirklichung der beiden ersten Forderungen, deren Be— rechtigung heute eigentlich von niemand mehr ernstlich bestritten wird, mit allem Eifer und aller Energie betrieben und in die Wege geleitet wird. Schließlich sagte der Herr Abg. Preiß:

Ich habe damit nur einen Teil der Hauptschwierigkeiten an⸗ gedeutet, welche sich der Verwirklichung unserer dritten Forderung entgegenstellen. Aber auch diese Schwierigkeiten, meine Herren, können gehoben werden; nur müssen wir uns, glaube ich, mit etwas Geduld wappnen und müssen versuchen, Hand in Hand mit der Regierung sowohl in Elsaß⸗Lothringen wie mit der Regierung in Berlin zusammen an die Lösung dieser schwierigen Frage heran zutreten.

(Hört! hört h Guter Wille scheint ja Überall vorhanden zu sein. Die Frage muß

Meine Herren, mir waren diese Ausführungen des Herrn Abg. Preiß bekannt, als ich die Vorlage ausarbeitete, und ich hatte unter diesen Umständen zunächst die Auffassung, daß der Herr Abg. Preiß sagen würde: Ich bin überaus erfreut, daß alles das eingetroffen ist, was ich vorher gesagt habe. Ich freue mich, daß die verbündeten Regierungen sich endlich haben bereit finden lassen, zusammen mit uns in Frieden und Ruhe über das Erreichbare zu diskutieren. (Sehr gut! rechts.)

Nun, meine Herren, in diesem Punkte habe ich mich getäuscht, und ich muß zugeben, es ist das in bezug auf das, was die Elsaß⸗Lothringer wollen und nicht wollen, nicht das erste Mal, daß ich mich getäuscht habe. (Sehr gut! und Heiterkeit) Und daraus meine Herren, könnte vielleicht in allererster Linie ein Einwand gegen den jetzt von den verbündeten Regierungen gemachten Vorschlag er— hoben werden, daß man sagt: die Elsaß⸗Lothringer wissen ja selbst noch nicht, was sie wollen. (Heiterkeit rechts. Widerspruch in der Mitte.) Aus diesem Grunde hat es keinen rechten Sinn, sich jetzt nach den Wünschen zu erkundigen, von denen Fürst Bismarck gesagt hat, daß sie erfüllt werden sollen, wenn die Elsaß Lothringer mündig geworden wären.

Meine Herren, alle diese Ausführungen zeigen, daß doch bis zu dieser Mündigkeit ein nicht unbeträchtlicher Weg zurückzulegen sein wird, und daß die verbündeten Regierungen recht getan haben, wenn sie ihre Vorschläge auf das beschränkt haben, was die Herren Elsäßer selbst vor wenigen Jahren als das voraussichtlich äußerste erreichbare Ziel bezeichnet haben.

Im Anschluß an diese Ausführungen des Herrn Abg. Preiß möchte ich aber auch gegenüber dem Herrn Abg. Emmel noch folgendes feststellen. Der Herr Abg. Emmel hat vorgestern hier der Auffassung Ausdruck gegeben, daß in der Vorlage der verbündeten Regierungen, jetzt den Kaiser als gesetzgebenden Faktor in der Landesgesetzgebung von Elsaß⸗Lothringen einzuführen, eine gewisse Verdunkelung des bis⸗ herigen Rechtszustands liege; der Kaiser sei niemals gesetzgebender Faktor in Elsaß⸗Lothringen gewesen.

Meine Herren, das ist unrichtig. Wir haben bezüglich der Gesetzgebung in Elsaß Lothringen drei Perioden zu unterscheiden. In der ersten Periode vor der Einführung der Reichs verfassung war auch für die Landesgesetzgebung in Elsaß Lothringen zuständig der Kaiser und der Bundesrat. Nach der Einführung der Verfassung waren zu⸗ nächst für die Landesgesetzgebung ausschließlich zuständig die Organe, die für die Reichsgesetzgebung zuständig sind. Hier griffen also die Vorschriften der Reichsverfassung Platz. Bei dem Gesetz von 1877 aber, das in der Verfassung von 1879 wieder aufgenommen ist, besteht gar kein Zweifel, daß von da an für die Landesgesetzgebung drei Faktoren erforderlich waren: der Kaiser, der Bundesrat und der Landegausschuß. (Zuruf des Abg. Emmel: Und die Erklärungen des Unterstaatssekretärs Herzog am 20. März 18777 Glocke des Prãäͤsidenten.)

Meine Herren! Was am 20. März 1877 erklärt ist ich brauche auf diese Erklärung nicht welter einzugehen —, ist zweifellos unerheblich, wenn es sich darum handelt, ein im Jahre 1879 ver— abschiedetes Gesetz, über dessen Wortlaut gar kein Zweifel sein kann, anzuwenden und zu interpretieren. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen.) Und daß diese Interpretation auch im Elsaß bis vor kurzem als die richtige angesehen ist, ergibt sich ja aus dem Antrag Preiß, den ich Ihnen eben zu verlesen die Ehre gehabt habe. Im übrigen ist dieselbe Frage aus einem anderen Anlaß seitens des Herrn Grafen Posadowsky ich glaube, es ist im Jahre 1907 ge⸗ wesen hier im Hause eingehend erörtert und dabei einwandfrei fest— gestellt worden, daß die Auffassung, die der Herr Abg. Emmel vertreten hat, unzutreffend ist. Ich habe das hier nur noch einmal ausdrücklich feststellen wollen.

Und nun, meine Herren, möchte ich mir noch einige allgemeine Bemerkungen im Anschluß an diese speziellen Ausführungen gestatten. Der Herr Redner der konservativen Partei hat versucht, aus den bis— herigen Verhandlungen ein Fazit zu ziehen und gewissermaßen die Chancen der Vorlage zu horoskopieren. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, daß eigentlich der Gang der Debatte wenig günstig für die Vorlage liege, es könne so scheinen, als wenn das Zuwenig, was auf der einen Seite und das Zuviel, was auf der anderen Selte betont sei, zu dem Schluß berechtige, daß die verbündeten Regierungen mit ihrer Vor— lage wohl die richtige Mitte gefunden hätten, aber, sagte er, wenn ich ihn richtig verstanden habe, dieser Eindruck ist ein irrtümlicher, denn wenn man sieht, wie viel die Linksstehenden mehr haben wollen, als die verbündeten Regierungen ihnen konzedieren wollen, dann sieh man von vornherein, daß die Vorlage wenig Aussicht auf Verabschle dung hat.

Meine Herren, ich teile diese Auffassung nicht, und ich bin über— zeugt, daß die Verhandlungen in der Kommission und hier im Hause dieser optimistischen Betrachtung der Dinge Recht geben werden. Auch die Elsaß⸗Lothringer werden sich auf das besinnen, was ihnen der Herr Abg. Preiß vor einigen Jahren so klar auzeinandergesetzt hat, daß ich es heute nicht besser machen könnte, nämlich, daß man nehmen soll, was erreichbar ist und über dem Jagen nach dem Uner⸗ reichbaren das Erreichbare nicht aus der Hand lassen soll, und das, was erreicht werden kann, ist sehr viel.

Meine Herren, Sie bekommen, wenn Sie pure annehmen, was die Regierung Ihnen jetzt anbietet, ein auf modernen Grundsãtzen, auf reichlich liberaler Grundlage aufgebautes Unterhaus, eine Zweite Kammer. Das ist das, was Sie gewünscht haben, und diese Zweite Kammer soll ausschließlich zuständig sein in Fragen der Landesgesetz gebung, die Mitwirkung des Reichstags soll bier verschwinden. Sie erreichen ferner, meine Herren, die Ausschaltung des Bundesrats. Ja, Herr Preiß, Sie schütteln mit dem Kopfe, ich werde Ihnen gleich auseinandersetzen, worin das llegt, was Sie gewinnen werden. Sie sagen, Ihr setzt uns an die Stelle des Bundegrats eine erste Kammer. Gewiß, das tun wir, aber diese erste Kammer ist zweifellos für die Behandlung landesgesetzlicher Angelegenbeiten geeigneter wie

im Interesse des Landes und im Interesse des Reiches gelöst werden.

der Bundesrat, nicht um deswillen, well ich wie der Herr Abg. Nau—